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Full text of "Benediktinische Monatschrift zur Pflege religiösen und geistigen Lebens"

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Benediktiniſche 
Mo natſchrift 


zur Pflege religiöfen und geiſtigen Lebens 


herausgegeben von der 


Erzabtei Beuron 


4. Band 
1922 


Verlag der Beuroner Aunfifchule, Beuron (Hohenzollern). 


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HARVARD COLLEGE LIBRARY 
TREAT FUND 


Ja. Y, 1477 


Druck des Aunftverlages Beuron. 


Inhalt 


Nufſätze 


Dom Weſen des katholiſchen Glaubens und Pebens (B. Daniel Feuling) 1, 

Die Epiphanie im Lichte der Religionsgeſchichte (P. Odo Caſel) r 

Die Anfänge der Klöſterlichen Profeß (P. Matthäus Rothenhäusler) . 

Der Geiſt des hl. Franz von Sales (P. Alois Mager) 

Erinnerungen an einen Meifter liturgiegeſchichtl. Forſchung (P. cunibert mohlberg) 

Dom Ursmer Berlières Führung durch die A ene 2 
Gebildetenkreife (P. Anfelm Ianſer) F 

Papft Benedikt XV. (Abt Raphael Molitor) . ; 

Die Weisheit des Predigers (P. Athanaſtus Miller) 

Dealismus und Wirklichkeit (P. Timotheus Kranich) 

Pfalm 90 (91) in der Faſten (B. Sturmius Kegel) 

dwei Oſterpſalmen Abt Toftis (P. Anſelm Manſer) 

Rardinal Newman über Wege zur Wahrheit und Gewißheit Bi Daniel aug 

Mag Reger und die Kirchenmuſik (P. Fidelis Böfer) . . 

Sottgeweiht im Laienkleid (Abt Plazidus Glogger) 

Pfingſten: der Triumph des Geiſtes der Triumph Chrifti p. Benedikt Baur) 

Don den Katakomben zu St. Peter in Salzburg (P. Anſelm Ebner) . 

dan van Ruusbroeck, Wie Chriſtus ſich ſelbſt für alle im Sakramente des 
Altares hinterlaſſen hat. Don himmlichem Wohl und hölliſcher Qual we 
b. P. Willibrord Derkade) . N 214 

du einem Gedenktage des väterforſchers Dom Germain Morin (B. A. manſer) 

neue meßbücher für das katholiſche Volk (B. Amandus G' sell) 

Erinnerungen an Daniel Bonifatius Dr. von Haneberg O. 8. B. (P. Rupert du) 

Die Weisheit der Ewigen Weisheit (P. Athanafius Miller) 

Weſen und Aufgabe der Afzefe (P. Daniel Feuling) . 

Der hl. Baſilius der Große und die klöſterliche Profeß (P. Matth. Botenfäusler 

Muſtiſche und magiſche Seelenvorgänge (P. Alois Mager) 5 

holländiſche und deutſche liturgiſche Bewegung (B. Amands G' sell) 

Der Ewigen Weisheit Vermählung mit der Seele des Gerechten P. ac Miller) 

Die Aſzeſe der Benediktinerregel (B. Daniel an 

Die Heldenfeele (P. Timotheus Kranich) 8 

Benediktinifches Leben an der Weſer in alter und neuer geit (b. odo Cafe 

In der alten Kloſterbibliothek von Tleresheim (P. Bafilius Hermann) 

Die Gemeinſchaft der Heiligen (P. Benedikt Baur) . : 

erwachen der Vernunft und Sündenbewußtſein (P. Alois mager) 

Die Aöventskantika des monaſtiſchen Breviers (P. Bernhard Barth) 

ein tauſendjähriges St. Benediktsheiligtum (PB. Kornelius Aniel) . . 

Die drei „0“. Eine Weihnachtsbetrachtung für e en De Sloggen 

Oberammergau 1922 (P. hugo Pang) 3 


IV 


Gedichte 


An die hl. Mutter des bichts. Aus dem Syriſchen. (Überf. von P. Pius Zingerle) 

Gied von der Bruderliebe. Aus der Römiſchen Sründonnerstagsliturgie (überf. 
von P. Anfelm Manfer) . . 

Die Auferftehung Chrifti. Die Auferftehung des Fleiſches. Aus dem Italieni- 


[hen des Luigi Tofti (überſ. von P. Anfelm Manſer) . 143 
Eine Mlorgenanmutung zum Dreieinen von der hl. Caterina von Siena (überf. 
von B. Anfelm manſer . Er A er. ae 


»Ipsi sum desponsata« (M. Benedikta von Spiegel) 2 
Aöventskantika. Aus Jſaias, Kap. 40, 42, 49 (überſ. von p. Bernhard Barth) 


verſchiedenes 


Geftärkt ward der Jungfrau herz (Mariä Verkündigung) 
Die Macht der kath. Kirche. Aus Newman, Grammar of Assent . RR 
Ein Wort des hl. Auguftinus von der Liebe. . . . . Bea Bene 
Aus Möhlers Symbolik . A 5 
Ein Wort des hl. Baſtlius von der Sottesliebe 0 b. aufen mouse 
Weihnacht, Reſponſorium der Metten ; R 


kleine Beiträge und Hinweiſe 


Ehrung des hl. Hieronymus im früheſten bekannten Marturologium 
Spaniens (P. Anſelm Manfer) . . : 

Rirchenväterlefung am Gymnafium zu Difentis p. Anfelm Manfer) er 

Der hl. Franz von Sales ein Freund und Förderer der Anatomie? G. Sie: 
brand Bihlmeyer) . 3 . ; g 

dur Pflege der Biturgiewiſſenſchaft (B. Amandus Esel) 

Giturgifhes Betrachtungsbuch (P. Amandus B’secl) . . 

Uraufführung des Oratoriums Mariä Heimgang (P. Gregor Shwake) . 

Erfte . der Academia Benedictina Bavarica (P. Paurentius 
Banfer) Be an ET. 

michael Tangl + . 

Urfprung der Pauliniſchen Religion @. hugo Bövenot) . 

Eine Werkwoche auf Burg Rothenfels (P. Daniel Feuling) . . 

Huazinth Holland über Haneberg als Lehrer der HI. Schrift (P. Anfelm manſer) 

Die Feſtſchrift für Albert Ehrhard (P. Anſelm Manfer) . 5 

Dom Germain Morin und Dom Ursmer Berlière zur literariſchen Eigenart der 
Benediktinerregel (P. Daniel Feuling) ; R 

Der Seelforgsklerus und die Pflege der Giturgie b. Amandus &'sell) . 

Aus der Literatur gegen Theoſophie und Anthropoſophie (P. Alois 5 Mage) 

Zum 100. Todestage von B. Agidius Jais, Benediktbeuren . 

dur Weihnachtskrippe (P. Amandus G’sell) . 5 


Beſprochene Bücher 


Allgeier, H., Bibel und Schule u 
Anizan, F., Ders uhnuꝶ -» > 2 2 2 2 2 ne 
Apel, Ch., echte Wanderer 

Arias, F., Die Dergegenwärtigung Gottes 
Baldöus, H., Auguftin Wibbelt 


Selte 
54 


102 
145 


190 
418 
420 


112 
150 
289 
357 
379 
448 


64 
65 


66 
151 
154 
154 


155 
155 
305 
306 
307 
380 


383 
386 
487 
461 
462 


463 
231 


315 


466 
232 


* 


Baumann, I., Die ſelige Irmengard 


Becher, E., Geiſteswiſſenſchaften und nanruiſenſefien 


Berlière, U, G’Oröre monastique . 

Braun, %., Giturgik . 

Brors, F., Gloria in excelsis Deo! . 5 
Bruhn, W., Der Vernunftcharakter der Religion 8 
Bühler, J., Kloſterleben im deutſchen Mittelalter 
Camelli, J., Bekenntniſſe eines Sozialiſten 
Dimmler, E., Das Alte Teſtament 


Feder, A., Die geiſtlichen Ubungen des 5 dance von i Boyola 


Feſtſchrift A. ehrhard 
Förſter, F, Am Tiſche des gerrn i er 
Guby, R., Die niederbauriſchen Donauklöfter N 
Guardini, R., Die Lehre des hl. Bonaventura von der eusfg 

— Gottes Werkleute r a 
Haaſe, b., Corvey im Sonnenglanze 
gammerſchmidt, m., Der Mönch 8 
Haecker, Th., Newman, Philoſophie des Glaubens 
van heemſtede, b. Psallite sapienter! . 
Heinen, f., Die Bergpredigt geſu Chriſti 
Henkelmann⸗Anthes, Das Kloſter N 
Herwig, F., Der Jahresfeſtkreis : 
gobner, D., Citaniae Gauretanae . 

— Acht neue Marienlieder . 

— Zehn neue Rommunionlieder . . 

— Neue Schule des 5 Cheralgefanges 
Klug, J., Ringende und Reife R 

— Einkehr . . .. PA 
Kögel, R., Die Palimpfeftphotographie | 
Krebs, E., Dogma und beben 
kKreitmaier, J., Op. 21 Unſere Kirche 

— Op. 27 Dem Rönig der Könige 
Arufe, U., Ich will! Ich kann! 

— bebenskunſt R 
bandersdorfer, 8., Die Pfalmen 
beimbach, K., Die Pſalmen i 


69, 


Giturgifhes Shriftum . . . 44, 151, 154, 224, 299, 380, 386, 


Göderer, Der Wandel vor Gott 


Po ſchmann, B., Die kirchl. vermittlung! der Sünbenergebung nad Auguftinus 


Maas, O., Spanien er 
Mager, A, Der Wandel in der Gegenwart Gottes 
Meffert, F., Iſrael und der Alte Orient 


Ueẽundörfer, D., Studien zur älteſten Geſchichte d des Kloſters Sorſch. 


Hottarp, h., Die Bistumserrichtung in u im a Sahrhundet . 


Reger, M., Zwölf geiſtliche Lieder 
Regin, R., Der alte Gott und der neue Glaube FEN 8 
Reiners- Ewald, Aunftdenkmäler zwiſchen Maas und Mofel R 


Richſtätter, &, Die Berz.Fefu-Derehrung des deutſchen Mittelalters f 


Rießler, B., Gebete der HI. Schrift 


Rive, B., Die Ehe in dogmatiſcher, moraliſcher und nile Besiehung 


Roloff, E., Im Gande der Bibel ; 
Rothack er, E., Einleitung in die Beifeswiffenfaften ’ 
Sandöhage, A., e II. s 


234 
466 


313 
314 


465 
462 


158 
156 


311 
311 


469 
159 
230 
466 
388 
158 
467 

73 


VI 


Scharſch, Ph., Die Devotionsbeichte . 
Schieg, A., Theorie und Praxis der Stimmerziehung 
— Allgemeine Schule der Stimmerziehung 
— Das deutſche Gied - . . 
Schlögl, U., Die hl. Schriften des neuen Bundes 
— Der Babuloniſche Talmud 2 8 
Schmid, K., heiliges Land : 
Schmidt, 8., Gotteslob e 
Schmidt, W., Der deutſchen Seele not und geil „ a a 
Segmüller, F, Die Glockenweihe £ 5 
Theoſophiſches und Antbropofophifes Sörifttum 
Wibbelt, A., Ein Heimatbud) ; . ce 
— ein Spruchbuch u 
Wittig, J., Herrgottswiſſen von Wegrain und Straße . x 
Wöhrmüller, B., Das königliche Gebot 8 
Japletal, D., Jephtas Tochter 
v. Jezſchwitz, 8., Warum Katholiſch? 
Zürcher, A., Gute menſchen r 
— Sottesdienſt und Gottesmenſchen. e e e 


Aus dem Orden des hl. Benediktus 


Dem Andenken des Stifters von St. Hildegard zu Eibingen 
Regierungswechſel in Scheyern (P. Paurentius be 

Don alten und neuen Äbten . . . j St 
biturgiſche Wochen in Benediktinerklöſtern ee ae A 
Die Wiederbelebung der Benediktinerabtei Weingarten 

Zweite Tagung chriſtlicher Künſtler in Maria⸗Paach 

Don der ſeligen Irmengard von Chiemfee . 

Weihe der Abteikirche zu 8. Paolo in . 

Das wiedererſtehende Buckfaſt Bu 

Von St. Matthias zu Trier 

Fünfzig Jahre Maredſous 


Bilderklärungen 


P. Defiderius Genz. Cäcilia, Kaffandra und Iphigenie (P. Sturmius &egel) . 


Runftbeilagen 


Die betende Kirche (P. Gabriel Wüger) . 

St. Hildegardisabtei zu Eibingen im Rheingau . 

P. Defiderius enz (Br. Uotker Becker) 

Cäcilia, Kaſſandra und Iphigenie (B. Deſiderius Benz) 


Der Friedhof zu St. Peter in Salzburg \ 
Untere Katakombe — St. Gertraudenkapelle. 
Obere Katakombe — Maximushõöhle j 
Obere Katakombe — Maximushöhle Gmbh 


Mönch (P. Gabriel Wüger) . . 

Gaienbruder (P. Gabriel Wüger) 

Kirche von Gippolösberg a. d. Weſer 
Benediktikirchlein in Mals (Altarwand — noröwand) 


Seite 
72 


76 
77 
67 
309 
310 
230 
236 
159 
457 ff. 
232 
232 
389 
388 
69 
233 
73 
73 


79 
237 
239 
240 
316 
391 
392 

. 470 
47 
472 
472 


160 


N 


VII 
Seite 

Strich zeichnungen 
Wappen der Academia Benedictina Bavaria -. - - » 2 2 155 
Wappen des Abtes Simon Gandersöorfer . e e ee re ie DIR 
Das kRarolingifhe Benediktikirchlein in mals ä 4426 
Rekonftruierte Altarwand des nn, in mals .. 433 


U. I. O. G. D. 


Berichtigung: Die Unterſchriften der Bilder 8. 161 und 176 bitten wir in der 
unter „Aunftbeilagen“ auf 8. VI angegebenen Weiſe abzuändern. 


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Monatſchrift 


Inhalt: 


P. Daniel Feuling: Dom Weſen des katholiſchen Glaubens 
und Lebens (S. 1). P. Odo Cafel: Die Epiphanie im Lichte 
der Religionsgeſchichte (8.13). P. Matthäus Rothenhäusler: 
Die Anfänge der klöfterlichen Profeß (8.21). P. Alois Mager: 
Der Geiſt des hl. Franz von Sales (8. 29). P. Cunibert 
Mohlberg: Erinnerungen an einen Meiſter liturgiegeſchicht⸗ 
licher Forſchung (8. 44). P. Anfelm Manfer: Dom Ursmer 
Berlieres Führung durch die benediktiniſchen Jahrhunderte 
für Gebildetenkreiſe (S. 55). 


Kleine Beiträge und Hinweiſe: 
P. Anfelm Manfer: Ehrung des 55 Hieronumus im früheſten bekannten 
Martyrologium Spaniens (8. 64). kirchen väterleſung am Gumnaſium 
von Diſentis (8. 65). 5 Hildebrand Bihlmeyer: Der hl. Franz von 
Sales ein Freund und Förderer der Anatomie? (8. 66). 
Bücherſchau: 

Beſprechungen von P. Bernhard Barth, P. Benedikt Baur, P. Fidelis Böſer, 
P. Dominikus Johner, P. Athanafius Miller, P. Joannes Pfättiſch, 
P. Plaziòus Pflumm, Heinr. Sambeth, P. Geo Sattler, P. Willibr.Derkade. 
Aus dem Orden des hl. Benediktus: 

Dem Andenken des Stifters von St. hildegard zu Eibingen. 
Unſere Bilder: 


P. Gabriel Wüger: Die betende Kirche. 
Die St. Hild egardisabtei zu Eibingen. 


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1922 
let Jahrgang 
8 u belt von der 

Erzabtei Beuron (Hohenz .). 


Januar — Februar 


Druck und Verlag: 


Benediktiniſche 


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Runftverlag Beuron. 


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Die „Benediktiniſche Monaſſchrift-⸗ N 


— zur Pflege religiöfen und geiſtigen Lebens — 
erſcheint vorläufig in Doppelheften in einem Umfang von 64—96 Seiten. Jedes 
heft enthält mehrere Kunſtbeilagen. Der Jahrgang koſtet für das Jahr 1922 bei 
unmittelbarem Bezug vom unterzeichneten Verlag für Deutſchland, Freiftaat Danzig.. 
Guzemburg, Memelgebiet, öſterreich und Weſtpolen (einſchließlich des z. It. N. 12.— 
betragenden Poſtgeldes) M. 32.—. Für Finnland, Jugoſlavien, Rumänien, Tſchecho⸗ 
ſlovakei und Ungarn leinſchließlich des 3. Ft. M. 30.— betragenden Poftgeldes) 
M. 50.— Für das übrige Ausland gilt folgender Jahrespreis (einſchließlich Porto): 
Amerika 1 Doll. | England 4 Sh. | Italien 6 Dire. 

Belgien 6 Fr. Frankreich 6 Fr. Schweiz 4 Fr. 
Dänemark 4 Kr. Holland 2 Gld. | Spanien 4 Des. 

Für Seminare, Erziehungsanſtalten u. Vereine, die mindeſtens 5 Stück unmittelbar 
beziehen, wird ein Vorzugspreis gewährt. Preis des Doppelheftes im Einzelverkauf 
M. 4.—. Beſtellungen nehmen alle Poſtanſtalten, Buchhandlungen und der 
unterzeichnete Verlag entgegen. 


Den unmittelbaren Beziehern empfehlen wir zur Einzahlung des N * 
gahresbetrages unſer Poſtſcheckkonto Ur. 7034 beim Poſtſcheckamt 
Rarlsruhe, Baden. Verlag der Beuroner Kunſtſchule, Beuron (Hohenz.). 


Alle Belöfendungen bitten wir an die untenſtehende Adreſſe (nicht 
einfachhin an die Abtei oder die Kloſterverwaltung) zu richten und 
ihnen die Bezeichnung „für die Benediktiniſche Monatſchrift“ 
gütigſt beizufügen. 

Jahrgang 1919, 1920 und 1921 Tind, ſolange der Vorrat reicht, zu den obigen 17 
Preiſen noch erhältlich. 


Runſtverlag Beuron (Hohenzollern). 


Dollftändig liegt nunmehr vor: | 

Felder, Bilarin, Dr. O. M. Cap., geſus Chriftus. Apologie feiner 
Meffianität und Gottheit gegenüber der neueſten ungläubigen ER 
Zweite Auflage. I Band: Das Bewußtfein geſu. 4 45.—; ge: .# 51.— 
II. Band: Die Beweife geſu. / 48.—; geb. # 54.— 
Als Sonderdruck aus dem II. Band erſchien: 


Die Heiligkeit Jeſu. kart. 4 9. —. — wer in den auftauchenden Geben-Fefufragen eine 
ſichere und kritiſche Antwort haben will, der wird mit großem Bewinn Felders Werk leſen. 


.. Auf die Preiſe Sortimenterzuſchlag rr e 
Verlag von Ferdinand Schöningh in Paderborn. 


HENENENNNNNEEENNENBENENENENENNENENENERNENENENENRNEENNENEN 
Durch den Derlag der Abtei Emaus in Prag zu beziehen: 


Geben und Regel des hl. Vaters Benediktus. & 


Herausgegeben von der Abtei Emaus in Prag. 8 
Dritte Auflage, 210 Seiten, Sroß-Oktav, auf feinſtem Kunftöruckpapier. 
Mit 75 Aluſtrationen, nach Kompoſitionen der Beuroner Kunſtſchule, die zumeiſt 
in Monte⸗Caſſino, Beuron und Emaus als Wandgemälde ausgeführt find. 
Preis in Original⸗Ganzleinenwand mit Soldpreſſung M. 20.—. 


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——— — 


2 7 


Die betende Kirche 


Rlauftrum 
Bemäldegröße 33 5g cm 


Beuron, 


P. Gabriel Wüger 


Dom Wefen des Ratholifchen Glaubens 
und Lebens. 


mit beſonderer Berückfichtigung der Frage 
der Menſchheitsreligion. 
Don P. Daniel Feuling (Beuron). 


Im vergangenen Sommer wurde ich eingeladen, in Darmftaöt auf der herbſttagung 
der „Geſellſchaft für freie Philoſophie“ Weſen und Bedeutung des katholiſchen 
Glaubens und deſſen Verhältnis zur Menſchheitsreligion ganz im katholiſchen Sinne 
darzulegen. Eine ſolche Gelegenheit, die katholiſche Botſchaft in einen großenteils 
außerkirchlichen kreis zu tragen, glaubte ich nicht unbenützt laſſen zu dürfen und 
nahm daher die Einladung an. Unvorhergeſehene Umſtände hinderten mich, in 
Darmſtadt zu ſprechen, doch fügte es ſich, daß ich den Vortrag zu Anfang Oktober 
in der „Geſellſchaft der Künſte“ zu Köln halten konnte. Von den verſchiedenſten 
Seiten, auch aus dem reife meiner Kölner Zuhörer, wurde ich gedrängt, dieſen 
Vortrag im Drucke erſcheinen zu laſſen. Gerne folge ich dieſem Wunſche, da es mir 
am herzen liegt, mich vor größerer öffentlichkeit zu dem zu bekennen, was ich in 
Darmſtadt ausſprechen wollte. Die Form der Rede glaubte ich unverändert beibehalten 
zu follen. — Der Vortrag erſcheint gleichzeitig als 8onderabdruck im Verlag der 
Beuroner Kunſtſchule. 


N das, was an der katholiſchen Religion dem Außenftehenden 
auffällt und ihn befremdet oder befreundet, nicht das zu be⸗ 
ſprechen iſt meine Abſicht. Dom innerſten Sinn und Weſen des 
katholiſchen Glaubens und Lebens will ich zu Ihnen reden, vom 
Weſen des katholiſchen Glaubens und Lebens, wie es dem Innen= 
ſtehenden leuchtet. 50 erwarten gewiß Sie ſelbſt es, wenn ein katho⸗ 
liſcher Theologe in Ihrer Mitte das Wort nimmt. Denn das haben 
Sie alle oft ſchon empfunden: auf dem großen Markte des geiſtigen 
Gebens hört man Außenurteile über katholiſches Sein und Leben 
tauſend fach; vom letzten entſcheidenden Innenweſen hingegen faſt nie. 
So leihen Sie mir Ihr Ohr, wenn ich von kiatholiſchem Ratholifch rede, 
und verſuchen Sie es, durch die bloß äußeren Eindrücke und Urteile 
hindurch mit mir zur Innenſchau katholiſchen Weſens und Lebens 
zu gelangen. 


Benediktinifche Monatfchrift IV (1922), 1—2. 1 


I. 

uerft wollen wir uns verftändigen über einige Vorausſetzungen, 

die ich machen muß, die ich aber bei der Fülle des Gegenſtandes 
und der Bürze der Zeit nicht, wie ich möchte, erkenntnistheoretiſch 
und metaphuſiſch begründen kann. Ich bitte Sie, meine Voraus- 
ſetzungen mit mir wirklich zu machen und ſie bei allen Einzelheiten 
meines Vortrages ſich gegenwärtig zu halten. Widerſtreiten meine 
Dorausfegungen Ihren eigenen Annahmen oder Überzeugungen, ſo 
bitte ich Sie, wenigſtens in hupothetiſch⸗methodiſcher Setzung meine 
Dorausfeßungen ſich anzueignen. Im Lichte dieſer Dorausfeßungen 
wollen Sie alles betrachten, was ich vortragen werde. 

Als Erſtes ſetzen Sie voraus den theiſtiſchen Gottesglauben, die 
Überzeugung von dem einen, unendlich vollkommenen Schöpfergott. 
nehmen Sie den Gottesbegriff und den Gottesglauben ſo, wie ihn 
das vatikaniſche Konzil meint und umſchreibt mit den Worten: „Die 
Kirche glaubt und bekennt, daß ein wahrer und lebendiger Gott iſt, 
der Schöpfer und herr des himmels und der Erde: allmächtig, ewig, 
ohne Grenzen; im Weſen jede Faſſungskraft überfteigend; unendlich 
an Erkenntnis, Wille und jeglicher Vollkommenheit; einer, einzig, 
ſchlechthin einfach und unveränderlich, eine geiſtige Subftanz und des⸗ 
halb nach Sein und Weſen von der Welt verſchieden, in ſich und durch 
ſich glückſelig und unausſprechlich erhaben über alles, was außer 
ihm iſt und gedacht werden kann“ (Denzinger, Enchiridion Sumbo⸗ 
lorum etc. n. 1782). 

Setzen 8ie zweitens voraus, daß wir das Weſen dieſes überwelt⸗ 
lichen Gottes mit unferer natürlichen Vernunft, mit den Mitteln der 
philoſophiſchen Erkenntnis zwar irgendwie erreichen, aber nicht bis 
in feine tiefſten und letzten Seheimniſſe durchdringen können, daß 
daher vieles von der innerſten Weſensfülle und Vollkommenheit des 
lebendigen Sottes uns notwendigerweiſe unerreichbar bleibt, ſolange 
wir auf uns felber, auf unſer menſchliches Suchen und Finden an⸗ 
gewieſen ſind. 

Die dritte Dorausfeßung ſei, daß der ewige, unendliche Gottesgeiſt 
das letzte und höchſte Ziel des Menfchengeiftes iſt, und daß der Menſchen⸗ 
geift, das innerſte Sein und Sehnen des Menſchen, ſich vollendet in 
dem geiſtigen Beſitze dieſes göttlichen Gutes, in der perſönlichen Lebens- 
gemeinſchaft mit dem perſönlichen Bott in Zeit und Ewigkeit. 

Dieſe drei Wahrheiten, für die ich als Theologe und als Philoſoph 
mit voller Überzeugung einſtehe, wollen Sie alſo in mindeſtens hu⸗ 
pothetiſch⸗ methodiſcher Setzung unſeren folgenden Gedankengängen 


3 


unterſtellen: — das Daſein des unendlichen, allvollmommenen Gottes, 
die alle menſchliche Weisheit und Wiſſenſchaft überſteigende Weſens⸗ 
und Wahrheitsfülle dieſes Gottes, endlich die Wahrheit, daß Gott 
letztes Jielgut und höchſter Inhalt für das menſchliche Geiſtesleben iſt. 


Und nun, nachdem Sie ſich mit mir über dieſe Dorausfekungen 
verſtändigt haben, machen Sie mit mir gleich den folgenden vor⸗ 
bereitenden Gedankenſchritt: 

Unter den angegebenen Dorausfegungen ift es denkbar und mög⸗ 
lich, daß der überweltliche, perſönliche Bott fi dem vernünftigen 
Geſchöpfe mitteile zum Erkenntnis- und Lebensinhalt in einer Weiſe, 
die über alles anerſchaffene Dermögen des Menſchen ſchlechthin hin⸗ 
ausgeht; daß Gott ſich mitteile gerade in dem, was die geſchaffene 
Vernunft aus ſich in keiner Weiſe und durch keine Entwicklung er⸗ 
reichen kann, und ſich dem Gefchöpfe ſchenke und vereinige zu einer 
Oebensgemeinſchaft, zu der der Menſch ſich aus Eigenem nie und 
nimmer zu erheben vermag. Das wäre eine übernatürliche Selbſt⸗ 
mitteilung Gottes, übernatürlich im ſtrengen Sinne des Wortes, und 
dieſen Wortſinn wollen Sie zugrunde legen, ſooft Sie aus meinem 
munde das Wort übernatürlich vernehmen werden. 

Solche übernatürliche Selbſtmitteilung Gottes zur Erkenntnis und 
bebensgemeinſchaft wird auf zwei verſchiedene Weiſen möglich fein: 
auf eine un vollkommene Weiſe, gewiſſermaßen grundlegend und ein⸗ 
leitend, in dieſem Geben, in irdiſch⸗menſchlicher Erſcheinungsform, und 
auf vollkommene Weiſe in einem Leben nach dem Tode des beibes, 
frei von den Schranken des leibgebundenen Geiſteslebens. Die voll⸗ 
kommene Selbftmitteilung Gottes wäre gegeben in der unmittelbaren 
Anſchauung Gottes und feiner innerſten Weſens⸗ und Geheimnisfülle, 
in der unverlierbaren perſönlichen Vereinigung mit Gott als dem 
unwandelbaren Gute des Geiſtes und in der ſeligen Teilnahme an 
Gottes eigenem ewigen Leben. Es wäre das betzte, Tiefſte, Größte, 
was es für den gefchaffenen Geiſt — freilich nur unter der Voraus- 
fegung des Theismus — überhaupt geben kann, es wäre das höchſt⸗ 
maß der Vollendung und daher auch der Seligkeit des vernünftigen Ge- 
ſchöpfes ſchlechthin. — Die unvollkommene Form der übernatürlichen 
Selbſtmitteilung Gottes wäre zu denken als eine Dorftufe, ein Keim 
der angedeuteten vollkommenen Bottesgemeinfchaft: aber doch weſent⸗ 
lich als übernatürliche Mitteilung Gottes zur Erkenntnis feines inneren, 
verborgenen Weſens und bebens und als übernatürliche Selbſthingabe 
Gottes zu einer Gebensgemeinfchaft, die jenſeits ift aller Derbindung 

8 1* 


4 


mit Gott durch die bloß natürliche kraft des menſchlichen Denkens, 
Fühlens und Wollens. | 

Ihrem Weſen nach müßte dieſe übernatürliche Gotteserkenntnis 
und Gottesgemeinſchaft durchaus metaphuſiſchen Charakter haben, 
gründend in einer realen Gnadenausltattung, d. i. in einer metaphu⸗ 
ſiſchen Seins⸗ und Tätigkeitserhebung, bewirkend eine metaphuſiſche 
Erweiterung der bebensſphäre und der bebenskräfte, ungeahnte Tiefen⸗ 
ſchichten göttlicher Wirklichkeit und Wirkſamkeit erſchließend, in dieſe 
Wirklichkeit die menſchliche Seele hineinziehend, ohne der Seele ihr 
perſönliches Selbſt und Bewußtſein zu rauben. Und zwar müßte 
die irdiſch⸗un vollkommene Form des übernatürlichen Seins und Lebens 
nicht weniger derart metaphuſiſchen Charakters ſein als die voll⸗ 
kommene Form der Ewigkeit. Der weſentliche Unterſchied beider 
Formen müßte wohl dieſer ſein: an die Stelle der unmittelbaren An⸗ 
ſchauung Gottes müßte hienieden der Glaube treten, Glaube genommen 
als urteilendes Ergreifen der übernatürlichen Wahrheit und Wirklich⸗ 
Reit in der vertrauenden hingabe an Gottes Zeugnis oder Offen 
barungswort; und auch entfalten würden ſich die beiden übernatür⸗ 
lichen Lebensformen auf verſchiedene Art: dort im hellen Lichte voll⸗ 
kommener Gottes ſchau, hier im viel geringeren Peuchten des Glaubens, 
deſſen Sonderart jegliche Betätigung des irdiſch⸗ übernatürlichen Lebens 
beſtimmen und bemeſſen würde. 

Weiteres über die irdiſch⸗ menſchliche Erſcheinungsform eines ſolchen 
übernatürlichen bebens in der Zeit auszumachen, dürfte rein philoſophi⸗ 
ſchem Denken unmöglich ſein. Denn an und für ſich könnte ſolches 
beben doch wohl auf die verſchiedenſten Arten ausgeſtaltet werden. 
Es könnte verliehen werden auf rein geiſtig⸗ innerliche Weiſe oder aber 
auf eine Weiſe, die teils geiſtig⸗ innerlich, teils empiriſch⸗menſchlich 
und ſinnenhaft vermittelt wäre; Glaube und Gnade könnten gegeben 
werden im Anſchluß an eine Gemeinſchaft und durch deren Vermitt⸗ 
lung, oder ohne jede Bindung an eine übernatürliche Gemeinſchaft 
und Kirche. Der Weg zur übernatürlichen Wahrheitserkenntnis und 
zu den übernatürlichen Gebenskräften könnte vom einzelnen Menſchen 
nach Wunſch und Neigung frei zu wählen oder er könnte feſtgelegt 
fein durch eine von Bott gegebene Norm. Wer dürfte dem höchſten 
Herrn Weg und Weiſe ſeiner gnadenvollen Selbſtmitteilung vorſchreiben 
wollen! Einzig Gottes eigenes Offenbarungszeugnis könnte über 
dieſe und gar viele andere Dinge Nufſchluß geben. 

Dies alles ſind Folgerungen aus dem klar gefaßten und entſchieden 
durchgeführten theiſtiſchen Gottesglauben. Sie zeigen uns, was vom 


5 


Gottesglauben aus als denkbar und möglich erſcheint. Und fie er⸗ 
lauben es uns, nunmehr zum eigentlichen kern der Sache zu kommen. 

Der kern der Sache aber iſt dieſer: 

Der Ratholiſche Glaube kündet der Welt, daß wirklich geworden 
iſt die übernatürliche Selbſtmitteilung Gottes an den geſchaffenen 
Geift und die übernatürliche Lebensgemeinſchaft des geſchaffenen Geiſtes 
mit Gott — ganz in dem Sinne, den ich ſoeben zu deuten verſucht. 
Der katholiſche Glaube macht gewiß, daß Gott ſelbſt ſich den Menſchen 
geben will zum ewigen Beſitz in übernatürlicher Geiftesfeligkeit, als 
Inhalt des vollkommenen, unvergänglichen Lebens. Der Ratholifche 
Glaube bietet ſich dar als „der Keim dieſes künftigen bebens und 
als die Bürgſchaft deſſen, was uns zu ſchauen noch verſagt“ (hebr. 11,1). 
Aber nicht nur auf Künftiges weiſt der katholiſche Glaube. Er will 
auch etwas ſein und bedeuten in dieſer Welt und für dieſes irdiſche 
beben. Mitten im Fluß unſeres ſinnenhaft greifbaren Seins will 
katholifcher Glaube und katholiſches Leben fein die unmittelbar gegen⸗ 
wärtige Derwirklichung des übernatürlichen Lebens in irdiſch⸗menſch⸗ 
licher Erſcheinungsform. Teilnahme an Gottes verborgener Erkenntnis 
will der katholiſche Glaube fein, Teilnahme an Gottes Güte, Liebe 
und Geben will das katholiſche Geben fein, eine Teilnahme, die ver⸗ 
wurzelt iſt in einer metaphuſiſchen Seinsbeſtimmtheit völlig über⸗ 
natürlicher Art, in einer Seinsweiſe, deren Weſen es geradezu iſt, 
mit Gottes ureigenſter Übernatürlichkeit zu verknüpfen und eine über⸗ 
natürliche Gottähnlichkeit zu verleihen, die weder durch das natur⸗ 
gegebene Weſen unſeres Geiſtes, noch durch feine angeborenen Kräfte, 
noch durch ſein Erkennen und Wollen, auch nicht durch geniales 
Geftalten und Schaffen je erreicht werden kann. Das und nichts 
anderes iſt der innerſte Sinn des Ratholifchen Glaubens und Lebens, 
ſo wie es wirklich geglaubt und gelebt wird, das iſt es, was mit 
feinem Glauben und Geben der ſchlichte katholiſche Chrift meint, der 
es nicht deutlich ausſprechen kann, und was der katholiſche Theologe 
und Philoſoph meint, der es mühſam in Worten darzuſtellen ſucht. 
Übernatürliche Seins» und Erkenntnis- und Lebenswirklichkeit in 
irdiſch⸗menſchlicher Erſcheinungsform: das iſt es, was das Weſen des 
Ratholiſchen Glaubens und Lebens ausmacht; und daß dieſes Weſen, 
dieſe Übernatürlichkeit des Seins und der Beſtimmung, des Erkennens 
und Lebens wirklich ſei, das iſt das überwältigende Zeugnis des 
Ratholifhen Glaubens, der katholiſchen kirche — ein Zeugnis, über⸗ 
wältigend in feiner Wahrheit, wenn es wahr iſt, oder 8 
in ſeinem Wahn, wenn es unwahr wäre. 


Nur ungern widerſtehe ich der Derfuchung, die mich von der Weſens⸗ 
frage zur Wahrheitsfrage lockt, zur Rechtfertigung der katholifchen 
Überzeugung, zum Erweis der Glaubwürdigkeit Chrifti und der Kirche. 
Ich begnüge mich zu ſagen, daß nach katholiſcher Überzeugung der 
übernatürliche Glaube nicht willkürlich iſt und auch nicht willkürlich 
angenommen werden darf, daß die katholiſche Frohbotſchaft des 
übernatürlichen bebens ſich dem Katholiken vor Vernunft und Gewiſſen 
rechtfertigt durch ihren Srundcharakter, durch ihren Wert für das 
religiös⸗ſittliche Leben. der Menſchheit, durch ihre Wirkung auf die 
Seelen, durch die übermenſchliche Größe und Glaubwürdigkeit geſu 
Chrifti, durch die Seſchichte der Kirche im Ganzen, durch die göttliche 
Bezeugung in Form von übernatürlichen Kennzeichen und Tatſachen, 
wie ſie im Wunder im weiteren und engeren Sinn gegeben ſind. 
Und ich füge hinzu, daß die Innenſchau des katholiſchen Glaubens und 
bebens und Seins, wie ſie ſich aus dem gelebten katholiſchen Glauben 
ergibt, zur tiefwirkenden Beftätigung dieſes Glaubens und bebens wird. 

Doch zurück zur Weſensfrage!l An einigen befonderen Punkten 
möchte ich Ihnen Sinn und Weſen des katholiſchen Glaubens und 
bebens faßlicher machen: manch tieferer Juſammenhang wird Ihnen 
dabei offenbar werden. 

Ich habe zuerſt hupothetiſch und dann bejahend geſprochen von 
der metaphuſiſch⸗ übernatürlichen Seins⸗ und Lebenserhöhung, die nach 
katholiſchem Glauben das Weſen des katholiſchen Lebens ausmacht. 
Dieſes Metaphuſiſch⸗Ubernatürliche — die theologiſche Sprache nennt 
es die geſchaffene Gnade — iſt für unſere natürliche Erkenntnis kraft 
weſentlich verborgene Wirklichkeit. Junächſt iſt diefes Ubernatürliche 
ſeinem innerſten Weſen nach geiſtig: deshalb iſt es notwendig ver⸗ 
borgen für den Sinn, die Empfindung, das Gefühl, das ja immer 
etwas Sinnenhaftes einſchließt. Derborgen und unerreichbar iſt es aber 
auch für das geiſtige Seelenauge, für den weſen⸗ und wirklichkeit⸗ 
ſchauenden Blick des Derftandes und der Vernunft. Wohl iſt das 
übernatürliche Sein ein Intelligibles in ſich, aber es kann, weil eben 
ũbernatürlich, nicht erſchaut und es kann nicht erſchloſſen werden auf 
dem Wege, auf dem wir geiſtige Wirklichkeiten der natürlichen Ordnung 
erſchauen und erſchließen können. Darum iſt es auch nie und nimmer 
ein Beweis gegen das Übernatürliche, wenn jemand ſagt: Ich fühle 
es nicht, ich ſchaue es nicht, ich kann es mir nicht beweiſen. Seine 
eigenſte Art verlangt, daß dem ſo ſei. 

So gibt es alfo keine ſchauende oder durch logiſchen Schluß er⸗ 
langte Gewißheit des Übernatürlichen im katholiſchen Leben. 


7 


Iſt nun damit geſagt, daß es überhaupt keine Gewißheit davon gibt? 

Nein! Unſere katholiſche Gewißheit vom Übernatürlichen ift bloß eine 
andere als die ſchauende Gewißheit: es iſt die Gewißheit des Glaubens. 

Was nicht erſchaut, nicht erfühlt, nicht erſchloſſen werden kann, 
das kann offenbar werden im Glauben. 

Ehe ich zum erſtenmal durch das Mikroſkop und das Ultramikroſkop 
blickte, hatte ich von der Hinterwelt und Unterwelt des Sichtbaren 
kein ſchauendes Wiſſen, aber ich hatte davon dennoch Gewißheit: 
ich war überzeugt von ihrem Daſein, weil glaubwürdige Männer 
mich ihrer verſicherten, und ich tat recht, ihnen zu glauben. Über 
unſere Zeitgenoſſen haben wir, oder können wir haben, ein ſchauen⸗ 
des Wiſſen: von dem aber, was beim Erwachen unſerer Vernunft an 
Menſchen und Geſchichte ſchon vergangen war, können wir nur eine 
Gewißheit des Glaubens haben: indem wir ſolchen glauben und ver⸗ 
trauen, die das Dergangene geſchaut haben und uns verläſſiges Zeugnis 
davon geben. In einem natürlichen, menſchlichen Glauben kann uns 
das kund werden, was unſeren Sinnen und unſerer erſchließenden 
Erkenntnis unerreichbar bleibt. 

Und in analoger Weiſe kann uns durch einen übernatürlichen, 
göttlichen Glauben das kund werden, was nicht nur hinter der ſinn⸗ 
lichen, ſondern auch hinter der natürlich⸗geiſtigen Erkenntnis ſchlecht⸗ 
hin liegt. Auf Gottes Zeugnis kann ſich uns eine Gewißheit vom 
Übernatürlichen gründen, die der natürlichen Gewißheit gleichkommt, 
ja fie um vieles überragt. Der perſönliche Bott — Sie erinnern ſich, 
daß ich aus dem Theismus heraus ſpreche — der perſönliche Gott, 
deſſen Hand alles trägt, durch deſſen urſächliches Wirken alles Sein 
und Werden und Tun der Geſchöpfe möglich und wirklich iſt, dieſer 
perſönliche Gott kann auch den menſchlichen Beift von innen her er⸗ 
leuchten und gewiß machen über das, was die göttliche Weisheit und 
Güte ihm offenbaren will. Wie Gott die ſichtbare Welt und die ganze 
Welt des Geiſtes geſchaffen hat, fo kann er auch im geſchaffenen 
Geiſte eine neue Welt erwecken, eine Welt der Erkenntnis jener Dinge, 
die im vollen Derftande des Wortes übernatürlich find. Er kann dem 
menſchlichen Geiſte Zeugnis geben von dem, was aus ſich nur Gott 
allein weiß und wiſſen kann. Und er kann dem Menſchen die Ein⸗ 
ſicht geben, daß er ſittlich und pflichtgemäß handelt, wenn er auf 
dieſes göttliche Jeugnis mit dem unerſchütterlichen Ja der Über⸗ 
zeugung Antwort gibt. 

Diefes Zeugnis, beachten Sie das wohl, wird die Überzeugung 
nicht erzwingen. Der Slaubensakt, mag er ſich auf Natürliches oder 


8 


Übernatürliches beziehen, iſt ſeinem Weſen nach frei. Und fo ift denn 
auch der Ratholiſche Glaube, weil er Glaube iſt, eine freie Tat des 
freien Menfchen. Frei nicht in dem Sinne, als ob der Menſch aus 
eigener kraft den Glauben ſetzen könnte oder ihn nach Willkür wählen 
dürfte, aber frei in dem Sinne, daß der Menſch die Glaubenszu⸗ 
ſtimmung verweigern kann, und daß es einer inneren Weſensent⸗ 
ſcheidung und fittlichereligiöfen Tat bedarf auch dann, wenn der Menfch 
die Glaubwürdigkeit des göttlichen Jeugniſſes hinreichend erkannt 
hat. Deshalb wird auch vom gereiften Katholiken der katholifche 
Glaube nicht als ein Zwang und eine kinechtſchaft empfunden, ſondern 
als ein Schritt zur Freiheit, zur Freiheit und Weite des übernatür⸗ 
lichen, ewigen Lebens. 


Auf Gottes Zeugnis gründet ſich die kenntnis der übernatürlichen 
Wahrheit und des übernatürlichen Lebens. Eine Frage iſt nun die, 
wie Gott ſein Jeugnis gibt. 

Es könnte dies Zeugnis rein innerlich fein, gar kein Zweifel; 
Gott könnte jedem einzelnen Menſchen in den verborgenen Tiefen 
der Seele das übernatürliche Geheimnis, in das er ihn einweihen will, 
Rund tun. | 

Aber es handelt ſich jetzt nicht um das, was fein könnte, fondern 
um das, was iſt. Und das, was iſt, kann uns in der übernatür⸗ 
lichen Wirklichkeitsordnung nicht unſere Willkür, unſer eigenes Wünſchen 
und Meinen kund tun, das kann uns einzig und allein der kund 
tun, der in Wahrheit der Herr der natürlichen und übernatürlichen 
Welt iſt, der perſönliche Bott. Ihm ſteht es zu, das Übernatürliche 
uns zu erſchließen nach dem Maße, wie er es in Weisheit und Güte 
beſtimmt; ihm ſteht es zu, aus den vielfachen Möglichkeiten, ſich ſo 
oder anders mitzuteilen, die auszuwählen, die er verwirklichen will; 
und einzig und allein fein Zeugnis kann uns gewiß machen, welchen 
Weg er tatſächlich gewählt hat. 

Und Gottes Zeugnis, das wir Katholiken in Offenbarungswort 
und Offenbarungswirklichkeit vernehmen, es lautet: nach frei ge⸗ 
wähltem Grundgeſetz der übernatürlichen Ordnung gibt Gott für gewöhn⸗ 
lich ſein Jeugnis nicht rein innerlich dem einzelnen Menſchen, er gibt 
es vielmehr, der menſchlichen Sonderart ſich anpaſſend, äußerlich und 
innerlich zugleich — er gibt es ſo, daß er für gewöhnlich die innere 
Glaubensgnade nur zuſammen mit der äußeren Glaubensbotſchaft 
ſchenkt, die von Menſchen vermittelt wird. Damit aber die durch 
menſchen vermittelte äußere Glaubensbotſchaft ſowohl dem göttlichen 


9 


Zeugnis als der menſchlichen Natur voll entſpreche, läßt Gott dieſes 
äußere Zeugnis für gewöhnlich geben nicht durch einen beliebigen 
Einzelmenfchen, ſondern durch eine große, göttlich beglaubigte Lehr- 
gewalt, durch die Autorität feiner Kirche, die er in der Weitergabe 
feines Jeugniſſes vor Irrtum bewahrt. Und göttlichem Geſetze gemäß 
iſt für gewöhnlich der Weg zum Glauben der, daß Bott den Menſchen 
hören läßt die Botſchaft, die die Kirche in feinem Namen gibt von 
der übernatürlichen Welt, daß er ihn ſchauen läßt zugleich die gött⸗ 
liche Beglaubigung der kirche für dieſe Botſchaft, und daß er mit 
dem Worte der Botſchaft und mit der Erkenntnis der Glaubwürdig- 
keit verleiht die innere Glaubensgnade, daß er innerlich, übernatür⸗ 
lich den Geiſt erleuchtet, den Willen ſtärkt, wodurch allein dann der 
menſch feinen Geiſt in übernatürlich freier Tat hingeben kann an 
Gottes übernatürliche Wahrheit um der Wahrhaftigkeit willen des 
ſich offenbarenden Gottes ſelbſt. — Daß Gott den Einzelnen außer⸗ 
ordentlicherweiſe auch anders führen kann, daß er manchen auch 
wirklich anders führt, daran iſt wohl kein Zweifel: aber ſich ſelbſt 
und ſeinem Geſetze treu, wird er es nur tun, wo der Menſch ohne 
eigene Schuld der äußeren Botſchaft der Kirche entbehrt; denn un⸗ 
möglich können wir annehmen, Gott gebe dem, der wiſſend und 
wollend ſeine Wege verſchmäht, auf andere Weiſe das . 
bicht und das übernatürliche Leben. 

Wenn Sie, meine Zuhörer, meinem Gedankenſchritte gefolgt find, 
fo wird ſich Ihnen das Derftändnis eröffnen für Sinn und Bedeutung 
der kirchlichen Gehrgewalt oder Autorität im Sanzen des Ratholifchen 
Glaubens und Lebens. Durch den Glauben gewinnt der Menſch Zu⸗ 
gang zu den übernatürlichen Wahrheiten und Wirklichkeiten; Glaube 
aber ſetzt voraus die Bezeugung, dieſe Bezeugung, wenn ſie nicht 
rein innerlich an den Menſchen ergeht, verlangt Vollmacht und Be⸗ 
glaubigung, kurz gottverliehene, übernatürliche Autorität. Göttliche 
Autorität iſt ein unentbehrliches Weſensſtück im Ganzen des katho⸗ 
liſchen Slaubenslebens, weil es ſich hier um übernatürliche Wahr⸗ 
heiten handelt, die nur durch Gottes Zeugnis und Autorität uns Rund 
werden können. Ob dieſe Autorität ſich der Menſchen, der Kirche 
bedient, um zu den Einzelnen und zur Geſamtheit zu reden, iſt eine 
Frage einfach der Tatſächlichkeit und ändert am Weſen der Sache 
nichts. Don hier aus, und nur von hier aus, dürfen Sie die Stellung 
und den Sinn der Autorität im katholiſchen Glauben und Leben be⸗ 
trachten, — jede andere Betrachtung bleibt an der Oberfläche und 
verfehlt geradezu den Sinn der ganzen Frage. Betrachten Sie aber 


10 


wirklich den katholiſchen Autoritätsglauben in dieſem Lichte, fo werden 
Sie ſehen: für feine grundfägliche Bewertung kommt überhaupt nicht 
in Betracht, ob ein Menſch, ob ein Volk, ob eine Zeit mehr oder 
weniger reif, mehr oder weniger ſelbſtändig iſt in Kultur und Geiftes- 
leben, mehr oder weniger drängend nach eigenartiger Geftaltung feiner 
Innerlichkeit und Religiofität: — einzig und allein kommt vielmehr 
in Betracht, ob der Mensch zu übernatürlicher Religion berufen 
iſt und ob der Weg zur übernatürlichen Wahrheit göttliche Autorität 
und übernatürlicher Slaube iſt. Darum halten Sie es feſt: Berech⸗ 
tigung, Sinn und Bedeutung der Autorität für den katholiſchen Menſchen 
und die katholiſche Welt iſt ganz und gar darin zu ſuchen, daß die 
göttliche Autorität die einzige uns gegebene Brücke iſt zum Reiche 
der übernatürlichen Wahrheit und Wirklichkeit. Alles andere kommt 
für das Weſen der Sache überhaupt nicht in Betracht! 

Welche Bedeutung im beſonderen der menſchlich vermittelten Offen⸗ 
barungsautorität zukommt für Bildung und Beſtand der übernatür- 
lichen religiöſen Gemeinſchaft, der ktirche, ſei nur kurz angedeutet. 
Eine übernatürliche Religion, die rein auf innerer Bottesoffenbarung 
beruhte, wäre dazu verurteilt, die Religion der Einzelnen und Ein⸗ 
ſamen zu fein. Ausgefchloffen bliebe die gemeinſame Arbeit für das 
Höchfte und Tiefſte im Miteinander und Füreinander der Liebe; und 
koltbare Güter des übernatürlichen Lebens dürften ſich niemals entfalten. 


Sie haben Wichtiges verſtanden, wenn Sie das Weſen des katho⸗ 
liſchen Glaubens verſtanden haben als freigewollte Aneignung der 
übernatürlichen Wahrheit in Gottes Kraft und auf Grund der gött⸗ 
lichen Autorität. Durch den Glauben tritt das Übernatürliche, das 
in Gott verborgen und in metaphuſiſchen Seelentiefen begründet iſt, 
in den Blickkreis des menſchlichen Erkennens; durch den Glauben 
erfährt der Menſch die Wirklichkeit dieſes Ubernatürlich⸗Metaphuſiſchen 
und deſſen Bedeutung und die Mittel, es zu mehren und zu erhalten. 

Zu dieſen Mitteln gehören als ein Weſensteil der eee 
Religion die Sakramente. 

Betrachten Sie auch die Sakramente der katholiſchen ktirche und 
ihre Stellung im katholiſchen Geben in jenem großen Juſammenhang 
der übernatürlichen Offenbarungsreligion in irdiſch⸗menſchlicher Er⸗ 
ſcheinungsform: dann dürfen Sie hoffen, die Grundidee, den Sinn 
und das Weſen des Sakraments zu erfaſſen — ſonſt nicht. Wie Nebel 
vor der Sonne zerrinnen der katholiſchen Innenſchau die Mißdeutungen, 
wonach die katholiſchen Sakramente im tiefſten Grunde Magie und 


11 


magiſcher Brauch, heidniſche Symbolik und Entlehnung aus den an⸗ 
tiken Muſterienreligionen ſind. 

ö Der katholiſchen Innenfhau find die Sakramente ſumboliſche 
Handlungen, durch die Gott ſelbſt real hineinwirkt in die innerſten 
Seelentiefen, die übernatürlich⸗ metaphuſiſche Seinserhebung bewirkend, 
übernatürliche Kräfte mitteilend, übernatürliche Hilfen verleihend. Sie 
ſind Zeichen und zugleich Urſachen des Übernatürlichen in der Seele: 
Zeichen in ihrer Bildhaftigkeit, Urſachen in Gottes Araft, die in ihnen 
und durch fie wirkt: Urſachen eben des Übernatürlichen, das fie bild⸗ 
haft bezeichnen. Die Sakramente find Mittel der Gnade nach Gottes 
Anordnung und in Gottes Araft. Selbftverftändlich bedarf Gott ſolcher 
ſichtbaren Mittel nicht; felbftverftändlich kann er in jeder Seele un⸗ 
mittelbar das übernatürliche beben wirken. Aber wie er nach katho⸗ 
liſcher Überzeugung tatſächlich die übernatürliche Wahrheit mitteilt 
unter Mitwirkung menſchlicher Lehrer: fo teilt er auch tatſächlich 
weſentliche und grundlegende Gnaden mit durch das Mittel der 
Sakramente: beides nicht feiner ſelbſt wegen, ſondern der Menſchen 
wegen, um das Werk der Wahrheits⸗ und Gnadenmitteilung anzu- 
ſchmiegen an die leibſeeliſche Natur des Menſchen, und indem er auch 
dem Sinnenhaft⸗törperlichen im übernatürlichen Gnadenreich eine 
ganz wunderbare Bedeutung gibt. 

Der erſte und weſentlichſte Sinn des Sakraments iſt alſo meta- 
phuſiſch, ſofern das Sakrament metaphuſiſch übernatürliche Bnaden= 
urſache iſt in Gottes ktraft. Aber auch pſuchologiſch wertvoll iſt 
das Sakrament: auf ſinnlich⸗geiſtige Weiſe bringt es dem gläubigen 
Menfchen, der es empfängt, jenes Metaphuſiſch⸗Ubernatürliche als 
gegenwärtig und wirkſam zum Bewußtſein, und es bereitet den 
Geift und ſtimmt das Gemüt für die willige Aufnahme der göttlichen 
Gnadenkraft und für das Mitwirken mit ihr. Die ſozial⸗ Kirchliche 
Bedeutung des Sakramentes finden Sie unſchwer darin, daß der 
gemeinſame Beſitz und Genuß des übernatürlichen Lebens, die geiſtig⸗ 
übernatürliche Zuſammengehörigkeit, die Jdee des „Corpus Christi 
musticum“ dadurch zum lebendigen Ausdruck kommt. Endlich hat das 
Sakrament einen überragenden religiös⸗ſittlichen Wert: macht⸗ 
voll hilft, ja zwingt es den gläubigen Menſchen zur religiöfen und 
ſittlichen Tat, treibt ihn, frei und ſelbſttätig die Seele zu bereiten für 
Gottes heilige Sabe, drängt den inneren Menſchen, ſich zu läutern 
und zu erheben, auf daß er das Sakrament würdig empfange und 
es ihm wirklich zum Quell übernatürlicher Kraft und übernatürlichen 
bebens werde. 50 ift alſo Sinn und Bedeutung der Sakramente 


12 


vielfach und gerade dadurch fo groß. Aber beachten Sie eines: alle 
religiös: ſittliche, kirchlich⸗ſoziale und pſuchologiſche Wirkung der Sak⸗ 
ramente wurzelt weſenhaft in deren metaphuſiſch⸗ übernatürlicher Wirk⸗ 
lichkeit und in der gläubigen Überzeugung davon: ohne jene Wirke 
lichkeit wäre das Jakramentale Leben unwahrhaftig und unwahr, 
ohne dieſe Überzeugung wäre es ſeeliſch leer und kraftlos. Sinn 
und Bedeutung hat eben das Sakrament nur als Weſensteil des 
weſenhaft übernatürlichen katholiſchen Glaubens und Lebens. 


50 habe ich denn verſucht, meine Zuhörer, und hoffentlich nicht 
vergebens, Ihnen einen erſten Begriff vom Weſen des katholiſchen 
Glaubens und Lebens zu geben. Das Merkwürdige iſt: mit all meinen 
Worten konnte ich Ihnen nichts anderes fagen, als was auch das 
ſchlichte katholiſche Volk weiß und lebt und verſteht. Das ſchlichte 
Ratholiſche Volk wird fein Wiſſen und Leben und Verſtehen vielfach 
in ſchlichtere Worte kleiden, als ich es getan, aber in Worte doch, 
die ganz dasſelbe bedeuten und meinen wie das, was Sie aus meinem 
munde vernommen. | 

Einen erſten Begriff habe ich Ihnen zu geben gefucht vom katho- 
lifchem Wefen und Sein: denn jenen unter Ihnen, die nicht katholifchen 
Glaubens find, kann das alles zunächſt ja nur Begriff fein, anmutend 
vielleicht ſogar wie leerer Begriff. Uns aber, die wir katholiſch find 
und Ratholiſch glauben und leben, ift es nicht nur Begriff, uns ift 
es volle, ftarke Wirklichkeit, Wirklichkeit, fo lebendig und friſch, fo 
reich und beglückend, daß wir Welt und Leben voll freudiger Über⸗ 
zeugung hingäben, wenn es als Preis unſeres Ratholifchen Glaubens 
und Lebens gefordert würde. 

Einen erſten Begriff alſo vom Rathalifchen habe ich zu geben 
verſucht. Nun aber ſollte ich fortfahren dürfen und den abſtrakten 
Begriff mit Fleiſch und Blut, mit Farbe und Klang umgeben; ſollte 
Ihnen in großen Zügen und mit heißer Liebe ſchildern dürfen, wie 
ſich aus feinem Weſen heraus das katholiſche Sein und Leben ent⸗ 
faltet, mit ſeiner ganzen Fülle und Tiefe, ſeinen innigen Freuden, 
feinen Rämpfen und Siegen. Da dürfte ich reden von jener erhabenen 
Geſtalt, die mitten im katholiſchen Geben und Denken und Minnen 
ſteht, von der das katholiſche beben ſeine Wirklichkeit, ſeinen Grund, 
feinen Mittelpunkt hat: von Jefus Chriſtus, dem Sottmenſchen. Ich 
dürfte reden von dem wundervoll zarten und ſtarken Leben, das ſich 
in Frömmigkeit und Liturgie und Myftik um ihn rankt, zumal auf 
dem ſakramentalen Fruchtboden der Luchariſtie. Ich dürfte reden 


13 


von der Gemeinſchaft der Kirche als der Gemeinſchaft der Liebe und 
Gnade, reden auch von dem vollgereiften katholiſchen Geben, wie es 
in Gottesliebe und Heiligkeit, aber auch in menſchenliebender Tatkraft 
ſich bewährt, immer und überall im bichte des übernatürlichen Glaubens 
und in der Kraft übernatürlicher Gnade und in der machtvollen Ruhe 
tiefſter Gewißheit. 

Das alles und ſo vieles noch ſollte ich ſagen und bildhaft vor 
Ihre Augen ſtellen dürfen 

Aber ich darf es nicht. Ich muß abbrechen, um noch Zeit zu 
haben für einen Blick in die Weite der Welt und der Menſchheit. 

(Schluß folgt.) 


ene eee eee eee eee sees e eee seeehr sees teste eee %ũ,j . 


Die Epiphanie 
im Dichte der Religionsgeſchichte. 


Don P. 080 Cafel (Maria-Gaad)). 


er nr wählt auf Ratholifcher Seite die Erkenntnis von 
der Bedeutung der Religionsgeſchichte. Anfangs flößte ein 
geſunder Inftinkt den Katholiken eine gewiſſe Scheu vor dieſer neuen 
Wiſſenſchaft ein. Man fürchtete die Gefahr, der ja auch viele erlegen 
ſind, es könnte, wenn alle Religionen als Denkmäler der religiöſen 
Sehnſucht mit gleicher Sorgfalt und Achtung ſtudiert würden, wenn 
dann auch das Chriſtentum in dieſe Reihe eingereiht und in die 
Entwickelung hineingeſtellt würde, die abſolute Stellung der chriſt⸗ 
lichen Religion, ihr göttlicher Urſprung und übernatürlicher Charakter 
verkannt und geleugnet werden. 

Dieſe Gefahr beſteht jedoch nur ſo lange, als man ohne kritiſche 
methode, ohne tiefere Scheidung analoge Erſcheinungen verſchiedener 
Religionen nebeneinander ſtellt und daraus auf Gleichwertigkeit und 
Abhängigkeit ſchließt. Da wirbeln denn Brahmanen, Mexikaner, 
Bantuneger, Buddhiſten, Shintoiften, Griechen, Ägypter, Iranier, Gaotfe, 
Buddha, Jarathuſtra, Mani ufw. durcheinander, und in diefen ver- 
wirrenden Wirbel werden auch die erhabenen Geſtalten unferer Religion 
hineingezogen und verlieren dabei notwendigerweife ihre Würde und 
ihren überirdiſchen Glanz. Eine ſolche Beilteshaltung muß zum JIn= 
differentismus führen, dem jede Religion das Gleiche gilt und daher 
gleichgültig iſt. 

Wird jedoch die Vergleichung der Religionen mit kritiſcher Schärfe 
vorgenommen, zieht man vor allem erſt dann das Chriſtentum in 


14 


diefen Kreis, nachdem man es bis in feine Tiefen durchdacht hat, 
fo kann die Religionsgefchichte der höheren Schätzung des Chriſten⸗ 
tums nur förderlich ſein. Zwei Früchte werden insbeſondere aus 
religionsgeſchichtlichem Wiſſen herausreifen. Einmal wird man durch 
die Dergleichung mit anderen Religionen erkennen, daß gewiſſe ehren 
und Gebote, die man vielleicht bisher für ſpezifiſch chriſtlich gehalten 
hat, auch anderen religiöfen Suſtemen angehören (wenn auch meiſt 
die gleich zu erwähnende tiefere Derwurzelung fehlt); man wird da⸗ 
durch gezwungen, nach dem eigentlich und weſentlich Chriſtlichen zu 
ſuchen, und wird gerade dadurch die alle anderen religiöfen Wege 
überragende Höhe des Chriftentums erkennen; man wird dann auch 
einſehen, daß auch jener ſcheinbar mit anderen Religionen gemeinſame 
Beſitz im Chriſtentum ungleich tiefer und wahrer begründet iſt. Anderer⸗ 
ſeits wird einem die Einfiht aufgehen, daß die chriſtliche Religion 
wirklich die Krone aller Religionen iſt, inſofern fie das, was in den 
anderen geahnt, gefühlt, angeſtrebt wird, zur Klarheit und Wirklich⸗ 
keit emporführt. So wie Chriſtus Gipfelpunkt aller menſchlichen Ent⸗ 
wickelung iſt, ſo muß auch ſeine Religion die Merkmale jeder reli⸗ 
giöſen Betätigung, von der primitivften bis zur höchſtgeiſtigen, in 
ſich enthalten, aber in einer höheren göttlichen Einheit. So wäre 
es denn ein Unding, die Urſprünglichkeit des Chriſtentums ſo auf⸗ 
zufaſſen, als dürfte es nur ganz Neues, Unerhörtes vorbringen, als 
müßten all feine Formen durchaus von dem Beſitze anderer Religionen 
abſtechen. Mit Recht ſagt R. Reitzenſtein : „Eine Originalität in jenem 
äußerlichen Sinne“, als müßten nämlich alle Formen, Bilder, Vor⸗ 
ſtellungen durchaus ſelbſtändig ſein, „kann es in einer höheren Religion 
überhaupt nicht geben“. 

Was von dem Chriftentum überhaupt, das gilt noch mehr von 
feiner Liturgie. Liturgie iſt die zu lebendiger Form gewordene 
Religion. Die Form aber iſt weit weniger beweglich als der Geift. 
Auch wer ganz neue Dinge vortragen will, muß dazu Wörter in den 
mund nehmen, die ſchon alt und feſtgeprägt ſind. Er legt einen 
neuen Inhalt hinein, aber fie behalten doch viel von dem alten Sinne 
und noch mehr von der alten Stimmung bei. 8o mußte auch der 
chriſtliche Kult ſich überlieferter Formen bedienen. Er goß neuen 
Beift in alte Formen; dieſe aber verloren deshalb nichts von ihrem 
alten Stimmungswert; dieſer begann vielmehr neu zu leuchten. 

So ift es denn keineswegs überflüſſig, mit Hilfe der Religions- 
geſchichte ſich in die Vorgeſchichte unſerer heiligen Riten zu vertiefen. 

1 Das iraniſche Erlöſungsmuſterium (1921) 149. 


15 


Nach einem Grundgeſetz des menſchlichen Denkens muß für gewöhnlich 
der Geiſt des Menſchen vom Niederen zum Höheren ftufenweife empor⸗ 
ſteigen; am Ziele angelangt, mag er die Leiter beiſeite ſtoßen. Viele 
Formen der Liturgie bekommen ein ungeahntes Geben, wenn fie in 
den Fluß der Entwicklung, in das friſche Keimen und Sproſſen reli⸗ 
giöſen Denkens und Fühlens hineingeſtellt werden. 

Ein kurzer Blick auf den Begriff und das Wort Epiphanie wird 
uns das klarer machen. | 

Das griechiſche Hauptwort Zrıpdveıx kommt von dem Zeitwort 
Si ꝙc cle /erſcheinen“ und bedeutet demgemäß „Erſcheinung“. Zu 
einer Erſcheinung gehört es, daß ſie plötzlich und unerwartet auftritt, 
und gewöhnlich auch, daß die Geftalt des erſcheinenden Weſens von 
bicht umfloſſen iſt. Das erſcheinende Weſen offenbart ſeine macht⸗ 
volle Gegenwart, die den einen zum Schrecken, den anderen zum 
unverhofften Troſt und zum Beiſtande wird. So verbindet ſich mit 
dem Begriffe der Epiphanie der des heiles aus tiefer Not. Die Er⸗ 
ſcheinung kann auch darin beſtehen, daß zwar die Hilfe augenſcheinlich 
ift, die Geftalt ſelbſt aber nicht ſichtbar wird. Aus dieſer Begriffs» 
beſtimmung des Wortes ergibt ſich ſchon, daß die Epiphanie in der 
Regel von übernatürlichen Weſen, nach dem Glauben der heiden von 
Göttern oder Heroen oder Dämonen, ausgeſagt wird. 

In dieſem Sinne finden wir Epiphanie ſchon bei den Griechen der 
älteren Zeit.‘ Ein Beiſpiel gibt uns herodot. Er erzählt VI 61 von 
der ſpäteren Gattin des königs Ariſton in Sparta, fie ſei als kleines 
Rind häßlich und unfcheinbar geweſen. Ihre Amme habe fie daher 
jeden Tag in das Heiligtum der Helena, die ja durch ihre Schönheit 
berühmt war, getragen und dort vor deren Bild gebetet, ſie möge 
das Rind von feiner Häßlichkeit befreien. Als fie nun einmal aus 
dem Tempel trat, da „erſchien“ (Erıpavavaı) ihr eine Frau und fragte, 
was fie da trage. Nach einigem Zögern zeigte die Amme das Kind; 
die Frau berührte deſſen Kopf und fagte, es würde ſchöner werden 
als alle Frauen in Sparta. Und ſo geſchah es. Hier haben wir die 
Charakteriftika einer Epiphanie: das plötzlich Sichtbarwerden einer 
übernatürlichen Macht, die Heil und Segen bringt. Beſonders zahlreich 
find die Zeugniſſe für die Epiphanie der Götter aus der helleniſtiſch⸗ 
römiſchen Zeit, in der das Chriſtentum entſtanden iſt. Wir geben nur 
ein paar Beiſpiele. Im nördlichen Säulengang des Tempels der 
Athena in Pergamon, der hauptſtadt der Attaliden, fand man in 


1 Pgl. zum folgenden Fr. Steinleiter, Die Beicht im Juſammenhange mit der 
ſakralen Rechtspflege in der Antike (Geipzig 1913) 15 ff. 80 f. 


16 


Stein gehauen einen Brief des Aönigs Attalos III. Philometor an 
die Pergamener, in dem er berichtet, feine von ihm ſehr geliebte 
mutter Stratonike habe eine beſondere Verehrung für den Zeus 
Sabazios, „der in vielen Handlungen und vielen gefährlichen Lagen 
unſer Beiſtand und helfer wurde und den wir wegen der von ihm 
geſchehenen Epiphanien zuſammen mit der Siegſpenderin Athena zu 
weihen beſchloſſen,“ d. h. ihm in dem Tempel der Athena einen 
ktult mit Opfern, Umgängen und Muſterien einzurichten. Die Epi⸗ 
phanien des Gottes ſind hier offenbar ſeine Hilfen in Schwierigkeiten 
und Nöten des Staates. In einem Feſtkalender von Pergamon aus 
dem. Ende der Attalidenherrſchaft iſt die Rede von der „Epiphanie 
des Zeus Tropaios,“ alſo des Wenders in der Schlacht, der den 
Truppen des ktönigs den Sieg, vielleicht über die damals in kllein⸗ 
afien eingedrungenen Gallier, gegeben und fo feine helfende Gegenwart 
gezeigt hatte. Eine epheſiſche Inſchrift rühmt die „offenbaren Epi⸗ 
phanien“ der Artemis.“ Diodor fagt in feinem Geſchichtswerke J 25, 4, 
„die ganze Welt ſozuſagen ... mache ſich eine Ehrenfache daraus, 
die Ifis zu feiern wegen ihrer in den Heilungen ſich offenbarenden 
Gottesmacht“ (griech. wegen ihrer Epiphanie in den heilungen). Und 
Dionyfios von Halikarnaß hält es in feinen „Altertümern“ II 68, 1 
„für angemeſſen, die Epiphanie der Göttin (Desta) zu erzählen, die 
ſie den ungerecht angeklagten Jungfrauen erzeigte.“ 

80 wird denn das Eigenfchaftswort Erıpavhs, Erıpavsorarocs, das 
für uns unüberſetzbar ift — wir können es „mit ſich offenbarend“ 
wiedergeben; die Römer überſetzten es mit „praesens“, gegenwärtig; 
es bezeichnet, wie wir geſehen, die ſich glänzend und augenſichtlich 
irgendwie hilfreich zeigende Macht der Gottheit — zu einem ehrenden 
Beiwort ſehr vieler Götter, die wir hier nicht aufzählen wollen. Wie 
ſehr der Epiphanie⸗ und der Heilsgedanke verbunden find, zeigt auch 
eine pergameniſche Weihung „an die Dioskuren, die Heilgötter, die 
ſich, offenbarenden Götter.“ Beſonders verbreitet ift dieſe Dorftellung 
in Kleinaſien. Bier mifchen ſich ja griechiſche Religion und orienta⸗ 
liſcher Glaube; und da letzterer tiefer und perſönlicher war als das 
religiöfe Fühlen der hellenen, fo ſehen wir, daß hier nicht nur die 
Epiphanien beſonders oft erwähnt werden; fie nehmen zugleich einen 
intimeren Charakter an und werden, während ſie in Griechenland 
bloß ein hilfreiches Eingreifen der Gottheit in das Schickſal des ein⸗ 

W. Dittenberger, Orientis graeci inscriptiones selectae n. 331 Feile 50 ff. 
2 Fränkel, Die Inſchriften von Pergamon I (1890) 160 n. 247 col. 2. ° Corpus 


inscript. Graec. II 2954 A; Dittenberger, Sylloge? 867, 35. Fränkel a. a. O0. 
I 236 n. 321. 


(PYJuDyJog1o]]) 
nodurgy un uadugıg ne 13490S19108391G 18 


17 


zelnen oder des Staates bedeuten, öfters zu einem ganz perfönlichen 
Erlebnis.” Wenn z. B. ein Sklave Primos der „Bergmutter“ einen 
Dotivftein ſetzt, „durch eine Epiphanie der Göttin aufgefordert,“ fo 
dürfen wir annehmen, daß hier die „große Mutter“ etwa im Traum 
mit ihrem Diener geſprochen haben ſollte. 

Die huldreichen Offenbarungen der Gottheit werden in den Tempeln 
zuſammen mit den Weihegeſchenken aufgezeichnet. Eine ſolche 
Tempelchronik hat man in den Trümmern der Stadt Lindos auf 
Rhodos gefunden; ſie zählt die Weihegeſchenke gemäß der Zeit der 
Weihung auf und fügt dazu Erzählungen von Epiphanien der Göttin 
Athena, die den Anlaß zu jenen gaben, wie die Infchrift ſelbſt ſagt: 
„Da der Tempel der lindiſchen Athena... von den älteſten Zeiten 
her mit vielen und ſchönen Dotivgaben geſchmückt ift wegen der 
Epiphanie der Göttin“ uſw.“ Aus den Aufzeichnungen der Prieſter 
gingen ſolche Erzählungen in die lokale hiſtoriſche Literatur über. 
Rus der Stadt Chersonnesos in der tauriſchen halbinſel (jetzt Krim) 
haben wir eine Inſchrift aus dem 3. Jahrhundert v. Chr. Darin 
beantragt ein Bürger, Herakleidas, in der Dolksverfammlung, Suris⸗ 
Ros, Sohn des Berakleidas,‘ ſolle gelobt und mit einem goldenen 
Aranze bekränzt werden, „weil er die Epiphanien der Parthenos (d. h. 
der Jungfrau, der Hauptgöttin jener Stadt) fleißig aufgeſchrieben 
und vorgeleſen hat;“ die Bekanntmachung dabei ſolle lauten: „Das 
Volk bekränzt den Syriskos, Sohn des herakleidas, weil er die Epi⸗ 
phanien der Parthenos aufſchrieb .. der Wahrheit gemäß und 
wie es ſich für unſere Stadt zieint.“ Dieſem Antrage wurde ſtatt⸗ 
gegeben, das Protokoll der Derfammlung niedergeſchrieben und außer⸗ 
dem in Stein gehauen im Tempel der Parthenos aufgeſtellt.“ Syriskos 
benutzte dabei offenbar die im Tempel vorhandenen chronikartigen 
Aufzeichnungen der Prieſterſchaft. Was er aufſchrieb, waren aber 
nicht nur Ereigniſſe grauer Vorzeit; die Epiphanien vollzogen ſich 
noch in den Tagen der Schreiber. 8o geht aus einer Inſchrift hervor, 
in der wiederum Herakleidas beantragt, das Volk möge ſich der 
Parthenos dankbar erweiſen, „da es früher durch ſie aus den 
größten Gefahren gerettet worden ſei, und auch jetzt, als ſchon die 
Einwohner mit ihren Rindern aus der Stadt gegangen waren.“ Wie 
man ſich im einzelnen die rettende Epiphanie der Göttin dachte, zeigt 
ein anderer Stein: „Die Parthenos, die in allem den Chersonnesiten 


1 Pgl. Steinleitner a. a. O. 81. ? Sterrett, The Wolfe Expedition to Asia minor 
280 n. 400, bei Steinleitner 19. ° Chr. Blinkenberg, Die Dindiſche Tempelchronik; 
ogl. Dittenberger, Sylloge I? (1917) 725. es iſt ein anderer Herakleidas gemeint. 
M. Rostowzew, ’Erıpavera. Klio 16 (1919) 203 ff. ° Rostowzew a. a. O. 205. 


Benediktiniſche Monatfchrift IV (1922), 1—2. 2 


18 


vorſteht und auch damals dem Diophantos beiſtand, verkündigte das 
zukünftige Ereignis durch die Zeichen, die in ihrem Tempel geſchahen, 
und flößte dem ganzen Heere Kraft und Wagemut ein.“ Die am 
nordufer des Schwarzen Meeres liegenden Griechenſtädte wurden im 
3. Jahrhundert oft von den Skuthen bedrängt; in ihrer Not glaubten 
fie den Beiſtand der Götter zu fühlen und ſchrieben dankbar ihre 
Epiphanien nieder, nicht nur in den Tempeln, ſondern auch in Geſchichts⸗ 
werken. 50 gab es im Altertum auch ein Buch des Jstros „Epiphanien 
Apollons“ und eins des Phularetos „Über die Epiphanie des Zeus.“ 

Die Epiphanien der Götter wurden aber nicht nur aufgezeichnet 
und ſo dem Gedächtnis der Nachwelt überliefert, ſie wurden auch all⸗ 
jährlich oder allmonatlich gefeiert. Auf dem Markte in Magnefia 
am Maiandros war auf einer Steinplatte ein Dolksbefchluß der Bürger 
der „perſiſchen Antiocheia“ aus der Zeit Antiochos d. Gr. (223 — 187 
v. Chr.) zu leſen, in dem dieſe ſich bereit erklären, auf die Einladung 
der Magneten hin an dem Feſte der Artemis Leukophryene teilzu⸗ 
zunehmen. Die Befanöten der Magneten „hatten in längerer Aus= 
führung die Epiphanie der Göttin dargelegt“ und „aufgefordert, den 
Wettkampf um einen Aranz, den fie zu Ehren der Artemis Leuko- 
phruene gemäß dem Orakel des Gottes halten, anzunehmen.“ Das 
Feſt beftand in „dem Opfer, der Feſtverſammlung, dem Gottesfrieden 
und dem den puthiſchen Spielen gleichwertigen Wettkampf um den 
franz in Mufik, Turnen und Pferderennen“. Da das Felt der 
eEpiphanie der Göttin galt, lag es nahe, es kurzweg als Epiphanie 
zu bezeichnen. Auf den höhen des Taurusgebirges, auf dem jetzt 
Demrud-Dagh genannten Berge, errichtete ſich der König Antiochos 
von ktommagene im 1. Jahrhundert v. Chr. ein rieſiges Grabmal und 
ſchmückte es mit gewaltigen Standbildern des Jeus Oromasdes, des 
Mithras, Artagnes, der Rommagene und feiner ſelbſt, ferner mit 
Reliefbildern feiner vergöttlichten Dorfahren. All dieſe bezeichnet er 
als „ſich offenbarende Götter“ (daloveg Erıpaveic) und zählt ſich ſelbſt 
ihnen zu. Ihnen und ſich ſelbſt zu Ehren ſetzt er Feſte ein: „Meinen 
leiblichen Geburtstag am 16. Rudnaios und die Annahme der Arone am 
10. Loos weihte ich zu Epiphanien der großen Götter, die mir Führer zu 
glücklicher herrſchaft und meinem ganzen Reiche Urſache gemeinſamer 
Güter wurden“. Sie ſollen alljährlich an je zwei Tagen vom ganzen 

1 Rostowzew a. a. O. 204; Sylloge? 709. Rostowʒew 203. 

® Dittenberger, Or. Graec. inscr. sel. 233. 

Ebd. 383, 82 ff. Die Feier des Regierungsantrittes (bei den Römern „natalis 


imperii“) iſt urſprünglich perſiſche Sitte; vgl. Herodot IX 110. Antiochos ſchreibt 
auch perſiſches Gewand für den Prieſter vor; Jeus Oromasdes iſt Ahuramazda. 


19 


Volke, jeden Monat aber von der Prieſterſchaft feierlich begangen wer⸗ 
den. hier ſieht man deutlich, wie das Feſt felbft zur Epiphanie wird. 

Zugleich zeigt uns die Inſchrift des Antiochos, daß ſein wie ſeiner 
Herrfhaft Geburtstag als Epiphanie aufgefaßt wurde. Daß die 
Epiphanie des Gottes fein Geburtstag ſei, iſt ſchon älterer Glaube. 
So feierten 3. B. die Delphier am 7. Byfios die Epiphanie des Apollon; 
fie nannten das Feſt Yeopdvır, d. h. Sotteserſcheinung, und betrachteten 
es, weil der Gott für fie an dieſem Tage zuerſt in Erſcheinung ge⸗ 
treten war, als feinen Geburtstag, wie Plutarch berichtet (Quaeft. 
graec. 9): „Und dieſen fiebten halten fie für des Gottes Geburtstag“. 
Die Epiphanie der oben erwähnten Artemis Geukophryene galt eben⸗ 
falls als ihr Geburtstag. Am 6. Artemiſion war ihr Kultbild feierlich 
in dem Parthenon zu Magneſia aufgeſtellt worden; ſo war dieſer 
Tag für die Magneten ihr Geburtstag, denn ſeitdem lebte fie in ihrem 
Bilde bei ihren Derehrern’. 

Die Inſchrift vom Berge Tiemrud-Dagh ift ferner ein Zeugnis da⸗ 
für, wie die eigentlich nur von Göttern auszuſagenden Ausdrücke 
allmählich auf die herrſcher übergingen. Antiochos weiht die Bilder 
und den kult freilich zunächſt den Göttern, dann aber auch feinen 
vergöttlichten Vorfahren, ja er ſchließt ſich ſelbſt ein, obwohl er noch 
unter den Lebenden iſt. Griechiſche und orientaliſche deen floßen 
im Herrſcherkult zuſammen, und dies wieder hauptſächlich in Klein⸗ 
afien, zuerſt vielleicht in Kappadokien.“ Don dort drang er nach 
Süden und Weſten vor und beherrſchte in der Kaiſerzeit auch das 
römiſche Reich. Stolz nennt fi der König von Kommagene am 
Beginne ſeiner Inſchrift: „Der Großkönig Antiochos, der Gott, der 
Gerechte, der ſich Offenbarende (Epiphanes)“. Die Beiſpiele ließen 
ſich häufen. Die mächtigen Könige und Raifer, die dem Volke Ruhe 
und Frieden brachten, kamen dieſen als „leibhaft erſchienene Götter“ 
(Oeol Zrıpaveis) vor, die durch ihre Wohltaten ſich als „gegenwärtig“ 
(„deus praesens“) zeigten.“ Deshalb feierten die Bürger ihren Beſuch 
als eine Epiphanie. Auf einer zu Ehren des Hadrian gefchlagenen 
münze ſteht ’Erıpdvix Adyobcrou, Epiphanie des Auguſtus. Die orien- 
taliſche Anfchauung von dem Gottkönigtum hat auch im Welten geſiegt. 
Wie die Götter Könige find, fo find die Könige Götter, ſichtbare Er⸗ 
ſcheinungen, Epiphanien der Gottheit. ö 


1 W. Schmidt, Geburtstag im Altertum. Keligionsgeſch. Verſuche u. Dorarb. VII 
1 (1908) 86 f. Schmidt 96; dort noch weitere Belege. Dgl. Steinleituer, Beicht 
in der Antike 19 f. Ee. Kornemann, Fur Seſchichte des antiken Herrfcherkultes. 
kilio 1 (1901) 83 N. 3. DgL Bened. Monatſchr. III (1921) 20 f. 


2* 


20 


Damit haben wir alle Wefensmerkmale des Begriffes Epiphanie, 
wie fie ſich im helleniſtiſchen Zeitalter, als das Chriſtentum in die 
Welt eintrat, gebildet hatten. Sie bezeichnet das glänzende, lichtvolle 
Sichtbarwerden des Gottes, der ſich als gewaltigen König und als 
frieden⸗ und ſegenbringenden Heiland (surhp) offenbart. Wie nahe 
lag es, daß die Chriften dies Wort auf ihren im Fleiſche erſchienenen, 
zum heile der Menfchen gekommenen Bottkönig Chriſtus anwandten! 
So ſehen wir denn das Wort Epiphanie ſchon im Neuen Teſtament 
zuſammen mit dem eng verwandten von der Paruſie auf die gnaden⸗ 
reiche Ankunft des herrn in Menfchengeftalt gedeutet.. Das war eine 
andere Offenbarung als die der heidniſchen Wahngötter oder als die 
der ſtolzen römiſchen Statthalter und Caeſaren. Das heil, das dieſer 
Heiland brachte, war unendlich erhaben über die äußerlichen, ver⸗ 
gänglichen Güter der ktaiſerherrſchaft. Und trotzdem bot jenes Wort 
mit ſeinem reichen Stimmungsgehalt eine Form dar, in der die Chriſten 
einigermaßen ausſprechen konnten, was ihre Seele bewegte und erfüllte. 

80 drang der Begriff von der Epiphanie bald auch in den kult 
ein, in dem ja die junge Chriſtenheit all ihr Denken niederlegte, ihr 
Glück ausjubelte. Das Epiphaniefeft der Chriſten war das Geburts⸗ 
feſt ihres herrn, an dem er der Welt im Fleiſche erſchienen war und 
ſeine königliche Würde geoffenbart hatte. Als ſpäter das Weihnachts⸗ 
feſt neben die Epiphanie trat, da ſchwand die eigentliche Geburt aus dem 
Inhalte des Feſtes; um fo mehr leuchtete der Gottköniggedanke hervor. 

Doch die Geſchichte des chriſtlichen Epiphaniefeſtes müſſen wir 
einem fpäteren Nufſatz vorbehalten. Hier ſollte nur gezeigt werden, 
wie der Hellenismus. die goldene Schale darbot, in die die Kirche 
den Wein Chrifti gießen konnte. Erinnert fei nur kurz an den Introitus 
des Feſtes in der römiſchen Liturgie, der nun einen neuen Glanz und 
ausgeprägteren Stimmungsgehalt empfängt: „Erfchienen iſt der Herr⸗ 
ſcher, der Herr; Rönigtum iſt in feiner hand, Macht und ktaiſergewalt“. 
Ihm bringen im Offertorium alle Völker und Könige der Erde ihren 
Tribut, wie einſt die Satrapen dem Perſerkönig; und in der Communio 
ſteht der Stern über ihm und bezeichnet ihn als den „Großkönig“, 
den „König der Könige, und als Gott“. 


1 Hd. Deißmann, Licht vom Oſten (' 1909) 284. Deißmann behandelt 278 bis 

283 ausführlicher den mit der Epiphanie nah verwandten Begriff der Parufie, Ankunft, 

„aöventus“. 282 das lateiniſche Gegenftück zu der erwähnten Münze: „Aöventus 

Auguſti“. 80 fagt z. B. Gregor v. Ilaz. or. 38, 3 (Mligne PG 36, 313) — bei Schmidt 87: 

„Die Theophanie oder auch der Geburtstag; beides kann man ſagen; zwei 

Pe bezeichnen dieſelbe Sache; es erſchien nämlich Gott den Menſchen durch die 
eburt“. 


21 


Die Anfänge der klöſterlichen Profeß. 
Don P. Matthäus Rothenhäusler (St. Joſef bei Coesfeld). 


E" Beitrag zur Geſchichte der klöſterlichen Profeß berührt nicht 
nur die Geſchichte des chriſtlichen Mönchtums, ſondern auch die 
Geſchichte der Liturgie, des kirchlichen Rechts und der chriſtlichen 
Frömmigkeit. Durch die Forſchungen von J. Wilpert, 9. Koch,“ 
F. Martinez, R. Reitzenſtein“ find wir über den Entwicklungsgang 
der Gelũbde im altchriſtlichen Aszetentum unterrichtet, ſoweit die Jeug⸗ 
niſſe es geſtatten. Die Geſchichte der klöſterlichen Profeß knüpft un⸗ 
mittelbar an dieſe „Profeß“ der alten chriſtlichen Aszeten an. Nament⸗ 
lich R. Reitzenſtein hat darauf hingewieſen, daß die älteſte Form der 
Bindung an das chriſtliche Mönchsleben in der ſogenannten ono ol 
zpöc Heév, dem „Vertrag mit Gott“ vorliegt.“ In privater Weiſe, wie 
urſprünglich die chriſtlichen Aszeten beider Geſchlechter, ging der, 
welcher ſich dem Mönchsleben weihen wollte, dieſe „Verabredung“, 
diefe „Vereinbarung“ mit Gott ein. Über den Inhalt diefes „Vertrages“ 
(der lateiniſche Name iſt „pactum“) ſind wir ausgiebig unterrichtet. 
Er läßt ſich zuſammenfaſſen in das eine Wort „Entſagung“, & G α I 
oder, wie die häufigere Form lautet, ärorayh. Wer die Befchichte 
der Profeß des alten chriſtlichen Mönchtums ſchreiben wollte, dürfte 
ihr dieſes Wort zum Titel geben. Zu faſt unüberſehbarer Fülle 
wächſt die Jahl der Stellen, in denen die Schriften des Mönchtums 
von Inhalt und Begriff dieſer „Abſage“ ſprechen. Der Inhalt ent⸗ 
ſtammt den bekannten Stellen des Evangeliums, in denen der Heiland 
von feinen Jüngern „die Entſagung“ fordert, ebenſo wie das auch in der 
profanen Literatur gebräuchliche Wort (arorkoceoda) an einer dieſer 
Stellen vorkommt. Das chriſtliche Mönchtum iſt ja zu einem guten 
Teile aus der altchriſtlichen „apoſtoliſchen“ Lebensform derer heraus⸗ 
gewachſen, die gleich den Apofteln und Jüngern des Herrn alles ver⸗ 
ließen, um die chriſtliche behre zu verkünden. „Entſagende“ (dnoraxrızot 
oder dnoranriraı) hießen noch in ſpäterer Zeit an manchen Orten die 
Aiszeten und Mönche. Die lateiniſche Überſetzung gebraucht „abre⸗ 
nuntiatio“ für drorayh; an die Stelle trat vielfach „conversio“ (Be- 

1 Die gottgeweihten Jungfrauen in den erſten Jahrhunderten der Kirche, Frei- 
burg 1892. ? Dirgines Christi, Leipzig 1907. G’Ascktisme chrͤtien pendant les 
trois premiers siècles de l'eglise, Paris 1913. Des Athanaſtus Werk über das 
Geben des Antonius, Heidelberg 1914; historia monachorum und historia lausiaca, 
Göttingen 1916. ° Athanaſtus über Antonius S. 62; Historia monachorum 8. 42 f., 
56, 258. Puk. 14, 25; 14, 33. Matth. 10, 37. Puk. 9, 23-27. Puk. 14, 33. 


sgl. Benediktiniſche Monatſchrift III (1921) 8. 89 — 92. gl. Dictionnaire d“ archkol. 
chret. L 2 col. 2604 — 2615: „apotactites et apotaamènes“. 


22 


kehrung) durch eine gewiſſe Derfchiebung des Begriffs, deren Geſchichte 
noch nicht recht aufgehellt iſt. 

Wie vollzog ſich nun in den erſten Zeiten in den Klöftern die 
Verpflichtung zum Mönchtum? Die älteſte Form blickt uns ohne 
Zweifel aus einer Nachricht in der griechiſchen Lebensbeſchreibung 
des hl. Pachomius entgegen. Wir wollen diefes Zeugnis etwas näher 
beleuchten, da es uns die Anfänge der klöſterlichen Profeß ſehr an⸗ 
ſchaulich vor Augen führt. Pachomius ift eine bedeutende Erſcheinung 
im ältereren chriſtlichen Mönchtum. Von heidniſchen Eltern geboren, 
hatte er als junger Mann bei Gelegenheit ſeiner Einziehung zum 
heeresdienſte die Chriften kennen gelernt. Seine Aufmerkfamkeit auf 
fie war erregt worden durch die auffallende Liebe, mit der fie die 
harte Cage der Rekruten zu lindern ſuchten, indem fie ihnen allerlei 
Erquickungen ſpendeten. Diefe Liebe war von da an für Pachomius 
der Deitftern feines Lebens. Sie lenkte feine Schritte zu Ratechumenat 
und Taufe, dann führte fie ihn zu heroiſcher Hingabe an die chriſt⸗ 
lichen Ideale im Einſiedlerleben. Den wohlerprobten Einfiedler führte 
fie zur Gründung von Klöſtern, um im gemeinſamen beben der chriſt⸗ 
lichen Liebe einen größeren Spielraum zu ſchaffen. Den großen Er⸗ 
folg feines Werkes zu ſchildern ift hier nicht der Ort; feine Klöfter 
waren noch lange ein Segen für das koptiſche Volk. 

Gleich aus den erſten Zeiten der Gründung des gemeinfamen 
Gebens berichtet die Lebensbeſchreibung von ihm: „er begann auf⸗ 
zunehmen, die zu ihm Ramen. Und alſo mit gebührender Prüfung 
ihrer ſelbſt und ihrer Eltern legte er ihnen das Gewand der Mönche 
an, nachdem er ſie zuvor unterrichtet hatte über das beben im 
einzelnen. Und zwar zuerſt, daß ſie der ganzen Welt entſagen 
müſſen und dem Ihrigen (rois lötoıs) und ſich ſelbſt, und fo dem Er- 
löſer, der alfo lehrt, nachfolgen. Denn dies iſt das Areuz tragen.“ 

Beſtätigt wird dieſe Nachricht über den Brauch in den Pacho⸗ 
miusklöftern durch einen Brief des äguptiſchen Biſchofs Ammonius, 
worin er Erinnerungen aus feinem beben als Mönch im £lofter des 
hl. Pachomius auffriſcht. Über ſeine eigene „Profeß“ erzählt er: 
„Als wir vor dem Rlofter ſtanden, würdigte ſich der Mann Gottes 
Theodorus an der Pforte mit mir zuſammenzuſein, und er ſprach 
mit mir über die Pflichten, ließ mich dann das Gewand wechſeln 
und führte mich hierauf in das kiloſter hinein“. 

Acta Sanctorum Bolland. Maii t. III (Antwerpen 1680) n. 16, pg. 29* B. 

Theodor war lange Zeit die rechte hand des hl. Pachomius und als Koadjutor 


feines zweiten Nachfolgers der Geiter ſämtlicher in ſtreng zentraliſtertem Verbande 
vereinigter Klöſter. . c. n. 1, 64 A. 


23 


Der eigentlichen „Entſagung“ oder Profeß geht zunächſt die „Prü⸗ 
fung“ voran. Den Bewerber um Aufnahme vorher einer Prüfung 
zu unterziehen, die ſich ohne Zweifel auf perſönliche Eigenſchaften 
und auf Stand und Herkunft bezog, lag nahe. Wir dürfen daher 
der Lebensbefchreibung glauben, daß ſchon Pachomius, der ſich in 
allem als kluger und überlegender Geiſt zeigt, eine ſolche Prüfung 
vorzunehmen pflegte. Wenn Ammonius in ſeinem Briefe nur den 
Unterricht und die Einkleidung erwähnt, von der Prüfung aber ſchweigt, 
fo dürfte dies wohl darin feinen Grund haben, daß Ammonius und 
feine Derhältniffe dem Theodorus ſchon bekannt waren. Wir brauchen 
alſo nicht anzunehmen, daß die Nachricht über die Prüfung nicht 
dem echten lern des Pachomius⸗Pebens, fondern der interpolierten Er⸗ 
weiterung angehöre. Die „Prüfung“ wurde ſpäter zu einer regel⸗ 
mäßigen Einrichtung bei der Aufnahme in die Alöfter. Als „Scru= 
tinium“ iſt ſie eine ſtändige kirchenrechtliche Einrichtung geworden; 
ebenſo entſprechen die heute noch vom kirchlichen Rechte für die 
Aufnahme von Novizen geforderten ſchriftlichen Zeugniffe jener alt= 
ehrwürdigen „Prüfung“. Ein beſonderer Umſtand trat in der alten 
Zeit zu den übrigen allgemeinen Gründen für eine „Prüfung“ hinzu: 
es kamen häufig auch Sklaven und baten um Aufnahme in die 
Rlöfter. Das konnte zu Verwicklungen mit ihren herren führen, 
wenn deren Einwilligung fehlte. Auch ſuchten Sklaven allzuleicht 
mit der Bitte um Aufnahme nur drückenden Derhältniffen zu ent⸗ 
rinnen, fo daß ihnen der wahre Beruf gänzlich mangelte. | 

Eine Parallele zu dieſer Prüfung fehlt auch im griechiſchen Vereins⸗ 
leben nicht ganz. Eine done finden wir bei manchen antiken 
Vereinen vorgeſchrieben. Sie bildete ſich hier in ſpäterer Zeit zu⸗ 
weilen zu einer umſtändlichen Förmlichkeit aus, doch war ſie nicht 
allzuweit verbreitet und hielt ſich nur an Außerlichkeiten.° 

Wenn die Prüfung ein günſtiges Ergebnis hatte, folgte der Unter⸗ 
richt. Er ging auf das klöſterliche Leben „im einzelnen“. Die 
Grundlage bildete eben die „Entſagung“ in ihrem dreifachen Gebiete: 
Welt, Haus und habe, das eigene Ih. Als Zweck dieſer negativ 
gerichteten Anforderungen wird ausdrücklich („und ſo“) genannt die 
Nachfolge Chriſti. Weltentſagung, Trennung von Familie und Eigen= 
tum (rois tötoıs umfaßt wohl beides), Selbſtentſagung und Nachfolge 
Chrifti: das iſt das Leben des chriſtlichen Mönchs im Weſen, negativ und 
poſitiv. Don der kurzen Faſſung der „Entſagung“ an unſerer Stelle 


1 Nov. V 2 ſchreibt Kaiſer quſtinian diefe Prüfung auch durch Staatsgeſetz vor. 
E. Jiebarth, Das griechiſche Dereinswefen, Leipzig 1896, 8. 141. F. Poland, 
Seſchichte des griechiſchen Dereinswefens, Leipzig 1909; ſ. Inhalts verzeichnis: Soxıpaote. 


24 


bis zu den bald einſetzenden ausführlichen „Aatechefen” oder der ein- 
gehenden Profeßformel bei Johannes von Untiochien aus dem zwölften 
Jahrhundert, die Reitzenſtein mitteilt‘, und der ganz ins einzelne 
gehenden peinlich ſcharfen Zergliederung der Profeß der griechiſchen 
Mönche, der „hl. Weihe“ (rede &yia), bei Eufthatios von Theſſalonich' 
(+ zwiſchen 1192 und 1194), der ſich dabei auf das „Buch der Ent⸗ 
ſagung“, d. h. das Rituale der Profeß ſtützt', überall iſt der Inhalt der 
„Entſagung“ der gleiche. Nur tritt in der klöſterlichen Profeß bald auch 
ein Derfprechen des Gehorſams und ſpäter auch der Beſtändigkeit hinzu. 
Wenn der Ankömmling belehrt wurde, und zwar im einzelnen, daß 
er auch ſich ſelbſt entſagen müſſe, fo umfaßte dieſer Abſchnitt der 
Belehrung ohne Zweifel auch im pachomianiſchen Brauch ſchon das 
Gebiet des klöſterlichen Gehorſams. Denn wollte man dem Zögling 
fein künftiges beben im einzelnen vorführen, „die Pflichten“ (v& d oy rc, 
fo war hier der Ort, vom Gehorſam zu ſprechen. 

Später ſtellte man zu der Entſagung (&) die Unterordnung 
im Gehorſam (Srorayn)’ und ſprach von einem oͤcorννe, dem Mönch, 
der ſich zum Gehorfam verpflichtet hat.” Markus Eremita ſpricht von 
der öpoο U ö nr VI und von den ouvdnixaı Ye brorayiic, dem 
Derfprechen, dem Vertrag des Gehorfams. Wie in der Taufe der 
„Abſage“ die „Zufage an Chriſtus“ entſprach, fo heißt es auch in der 
gegenwärtigen griechiſchen Profeß: „Siehe, wem du zuſagſt und wem 
du abſagſt“ (Biere vl auvrdoon ...xal xy Anorkoon). Da der o- 
revo, der Mönch, ſich zur Änderung feines Lebens, zur „zweiten 
Abſage“ (Arorayt deu rep, abrenuntiatio secunda, abrenuntiatio mo= 
rum) verpflichtete, fo ſprach man mit neuer Abänderung des Stamm⸗ 
wortes von einem „Umſtellen des Lebens” (kerarkoseotar Blov). 80 
fügt ſich alſo zur andrakıs die auvrakıs, die nerdrads und die ore rig, 
eine Husdrucksweiſe, die wir im Deutſchen nicht nachahmen können. 
Es wäre aber irrig, wollte man hier nur an ein äußerliches, zufälliges 
Wortſpiel denken. Die Gedanken ſelbſt verband man. Jfidor v. Pelu⸗ 
ſium nennt dieſe Sprache (drorayi-önorayr) eine den Tatſachen entſpre⸗ | 

hiſt. mon. 8. 258. Zur Seſchichte der Profeßformel, die R. hier berührt, 
ſollen im Laufe der Zeit für das Altertum die wichtigſten Ergänzungen in dieſen 
Blättern folgen. Als Beiträge zur Geſchichte der chriſtlichen Frömmigkeit dürften fie 
allgemein willkommen ſein. Bar. 135, 730 ff., 743 B ff., 746—- 756. . c. 746 B. 
* Marcus Eremita Pgr. 65, 956 D (169); Jsiòor von Belusium-ep. I 1, Pgr. 78, 180. 
5 Marc. Erem. Par. 65, 956 D (170). ebd. EdxoAdyıov rö peya, Rom 1873, 
3. 231. gl. Evagrius Ponticus rpoßinpare zpoyvaorıxa, M. Frankenberg, 
Berlin 1912. 8. 117 Ur. 79. ° Siehe Herwegen, Geſchichte der beneoiktiniſchen 


Profeßformel. Münfter 1912. (Beiträge zur Geſchichte des Möndtums F. III 2) 8. 56°. 
ı° Nilus, mon. egerc. Pgr. 79, 721 C. 


25 


chende (zpooayoplas kpnodlxs rots npkyuaxcı), zu unferer Unterweiſung 
und Belehrung. Bei der „ZJuſage“ an Chriftus erhellt das von ſelbſt, 
ebenfo von der nerkrakic. Aber auch den Gehorſam, die örora v, 
betrachtete man im inneren Juſammenhang mit der Selbſtentſagung. 
Wir werden ſehen, wie dies ſchon die Pachomiuserzählungen tun. 
So verbindet ja dann auch der hl. Benedikt die „abrenuntiatio“ un⸗ 
mittelbar mit dem Verzicht auf den eigenen Willen und mit dem 
Kriegsdienſt Chrifti, des wahren Rönigs, unter den Waffen des Ge⸗ 
horſams.“ Doch dies war ja allgemein. Überraſchen könnte es 
dagegen für den erſten Augenblick, daß man auch die Stabilität, das 
Vermeiden unnötigen Umherziehens, mit der „Entſagung“, näherhin 
mit der Areuzesfymbolik in Zuſammenhang brachte, wie dies Ifidor 
von Delufium einmal tut: „Weshalb gibſt du das unerſchütterliche 
Vertrauen auf den herrn auf und das Tragen des Areuzes und tau⸗ 
ſcheſt Ort mit Ort?“ (zirov neraßkddsıs 2x rr Aber auch das 
Gebetsleben des Mönchs verbindet Nilus mit der „Entſagung“: „Gehe 
hin, verkaufe was du haſt und gib es den Armen und nimm das 
Kreuz und verleugne dich ſelbſt, damit du ungeteilt beten könneſt“.“ 
Es liegt natürlich der Gedanke des hl. Paulus zu Grunde, das Ur⸗ 
wort für alle Verbindung chriſtlicher Aszeſe und chriſtlichen Mönch⸗ 
tums mit Gebet und biturgie. Man mag darin etwas Gnoſtiſches 
ſehen, ebenſo wie im Worte des Evangeliums an Martha und Maria: 
das Chriſtentum müßte nicht die Erfüllung und Zufammenfaffung aller 
berechtigten allgemein menſchlichen Reime fein, wenn es dieſe „Gnofis” 
nicht beſäße. Auch in diefem Zuſammenhange mag wieder an den 
hl. Benediktus erinnert werden, der ſo ſinnvoll auf die zweite Gruppe 
feiner Regel (4— 7), auf die aszetiſchen Grund kapitel die Gruppe von der 
biturgie folgen läßt. Er ſtellt diefe Gruppe nicht an die erfte Stelle, 
obgleich fie in feinen Augen das „pensum servitutis“ iſt, dem „nichts 
vorgezogen werden ſoll.“ Die Liturgie ſteht ſehr hoch in ſeinen 
Augen; aber fie iſt nicht der Stiftungszweck feines kiloſters. Sie fügt 
ſich harmoniſch und in bevorzugter Weiſe den klöſterlichen Gebens- 
zielen ein: der Preis des Allerhöchſten ziemt dem vor allem, der alles 
verlaſſen hat, um ſich dem Dienſte des Allerhöchſten in vollkommener 
hingabe des Geibes und der Seele, in Selbſtheiligung und in der Nach⸗ 
folge geſu Chrifti zu weihen. Schon Athanaſius erwartete von dem, der 
Chriftus eng anhangt, „daß er einzig das Kreuz deſſen, der für ihn 
gekreuzigt ward, auf ſeine Schultern nehme und Sinnen und Trachten 


1 Ep. 1 1, Pgr. 78, 177. prol. 7 Butler. ep. I 41 Par. 78, 2068.  Tlilus, 
de oratione c. 17 Pgr. 79, 1172 A. ° 1 Cor. 7, 32-35. c. 43, 5 Butler. 


26 


Tag und Nacht darauf gerichtet halte, ihn in unaufhörlichen Hymnen. 
und Cobliedern zu befingen.”' 

Der „Unterricht“ wird auch näher beleuchtet durch andere Stellen 
der bebensbeſchreibung. „Das kreuz zu tragen und nicht den Willen 
des eigenen herzens“ wird als „Gebot“ bezeichnet.“ Im Unterrichte 
„vor der Einführung in das Kloſter“ gebot Pachomius dem jungen 
Silvanus, wie die Erzählung fi ausdrückt „Gebote“. Ein Mönch, 
der zu ſeinen Eltern zurückkehrte „ergab ſich nicht dem Tragen des 
Kreuzes nach kräften“. 

Der Heiland hatte als Bedingung feiner güngerſchaft gefordert, 
das kireuz auf ſich zu nehmen und ihm nachzufolgen.“ Dem wahren 
Gnoftiker hatte Clemens von Alexandrien die Erfüllung dieſer For⸗ 
derung zugeſprochen.“ Dieſe Jueignung geht auf den Mönch über. 
Gerade in der bebensbeſchreibung des hl. Pachomius iſt der Kreuzes⸗ 
gedanke ſehr beliebt. Außer den ſchon angeführten Stellen ſeien 
noch folgende verzeichnet: „Tag und Nacht den gekreuzigten Chriſtus 
vor Augen haben“. Palämon, des Pachomius Lehrer, „trug immerfort 
das kreuz nach dem Worte des Erlöfers und folgte ihm“. „Pachomius 
harrte aus eingedenk der Nägel an den händen und Füßen des Er⸗ 
löſers am kireuze“. „Huch wenn der Areuzesträger (6 oraupopäpog 
= der Mönch) nicht ein (beſonderes) Leiden hat, fo genügt ihm doch 
das Kreuz und die Aszefe (= das Mönchsleben)“.“ Baſilius d. Gr. 
nannte dann auch, hierin ein getreuer Schüler pachomianiſcher Ge⸗ 
danken, das Geben des Mönchs oraxupopöpos Blog, das kreuztragende 
beben. Ohne Zweifel hängt mit dem Areuzesgedanken in der Gehr- 
weiſe des hl. Pachomius auch die Nachricht zuſammen, die Pacho⸗ 
mianermönche hätten an der „Kukulle“ (Kopfbedeckung) das Zeichen 
des lireuzes in Purpurfarbe getragen. Im morgenländiſchen Mönch⸗ 
tum iſt dann dieſe Sumbolik immer gepflegt worden. Noch heute 
heißt der griechiſche Mönch or αοοοοο po (Hreuzträger). Unſere Texte 


Athan. zepi naptevlas b. ö. Goltz (T. u. U. XXIX 1906 H 2a) c. 3 pg. 37, 20— 25. 
® AASS l. c. n. 70, 43°C. ° ebd. n. 66, 42°C. ebd. n. 47, 37° D. Puk. 9, 23; 
4, 27; Matth. 10, 38; 16, 24; Mark. 8,34. Strom. II 20 Stählin 170, 14. AA88 
I. c. n. 1. 26˙ A. Ebd. n. 4, 27 A. Ebd. n. 6, 27 C. % Ebd. n. 58, 40 A. P gr 
31, 625 D. Balladius hist. laus. 32 Butler pag. 90, 1. Dgl. K. bübeck, Das 
Mönchsweſen der griechiſchen Kirche, Dereinsfchrift der Görres-Gefellfhaft 1921, 8. 1, 
5.45. In der Profeß, die Pf. Dionyfius für feine „Mönchsweihe“ entwirft, beſiegelt 
der Priefter” den Profitenten nach der Katedhefe und dem Jawort „mit dem Zeichen 
des Kreuzes“ H. Eccl. VI 2. In der gegenwärtigen griechiſchen Profeß wird die Tonfur 
des Profitenten „Rreuzförmig“ (orauposıdsis) vollzogen, und am Schluß der ganzen 
Feier wird ihm ein Kreuz überreicht mit den Worten: „es ſprach der Herr: wenn 
jemand mir nachfolgen will, verleugne er ſich ſelbſt und nehme ſein Kreuz auf ſich 
und folge mir nach.“ EöxoAdyıov. 


27 


zeigen alfo, wie früh ſich ſchon im morgenländiſchen Mönchtum 
Spuren einer Kreuzesmuſtik zeigen, die man erſt ſpäter vermuten 
möchte (vgl. das Andenken des hl. Pachomius an die kireuzesnägel 
des Herrn). Im Orient war eben die Areuzesverehrung überhaupt 
ſtark und bildete ſich in Kult und Frömmigkeit lebhaft aus. Auch die 
realiſtiſche Darſtellung des Kreuzes in der chriſtlichen Kunſt entwickelte 
ſich früh im Orient und ging erſt fpäter von da ins Abendland über.“ 

Wenden wir uns nun dem fern unſeres Zeugniſſes von der Profeß 
bei Pachomius und in feinen kilöſtern zu. Der eigentliche „Profeßritus“ 
iſt, wie ſich ſofort ergibt, die Anlegung des Mönchsgewandes. 
In ihr beſtand die früheſte Art, ſich dem Mönchsleben zu widmen 
und auf feine Aufgaben ſich zu verpflichten. Wer „das Gewand 
gewechſelt“, „das Gewand der Mönche“ angelegt, „bekannte ſich“ 
(LM , profiteri) damit zum Mönchtum. Die Fähigkeit diefes 
Vorgangs, einen ſolchen Standeswechſel zu kennzeichnen und eine 
ſolche moraliſche Verbindlichkeit auszudrücken, iſt leicht verſtändlich. 
Im antiken Geben „bekannte ſich“ fo vorzugsweiſe auch der Philoſoph 
durch das Tragen des Philoſophenmantels. 

Als ſpäter, ſo in der Regel des hl. Benediktus, eine ausdrückliche 
Verpflichtung in Worten neben die „Einkleidung“ trat, ward dieſe 
mehr eine ſichtbare Folge der mündlichen oder ſchriftlichen Profeß. 
Doch zieht ſich die urſprüngliche Kraft der einfachen „mutatio habitus“, 
des Wechſels des Gewandes, die Profeß ſelbſt nicht bloß anzudeuten 
oder ihr nachzufolgen, ſondern ſie auch zu bewirken, durch das ganze 
mittelalterliche Kirchenrecht hindurch und teilweiſe bis tief in die neuere 
Zeit hinein. Heute iſt diefe ihre Rechtskraft erloſchen. 

Nach unſerer Pachomiuserzählung vollzog der Abt des Kloſters 
ſelbſt oder ſein Stellvertreter die Einkleidung und nahm damit die 
Profeß entgegen. Mönche, die beim Eintritt in den Mönchsſtand 
die Form des Einſiedlerlebens wählten, erhielten das hl. Gewand 
(o Bh, habitus) aus der Hand eines älteren „Vaters“, deffen Schüler 
ſie wurden, oder ſonſt einer hochſtehenden Perſönlichkeit unter den 
Mönchen. Selbſt Frauen des Aszetenftandes konnten das hl. Gewand 
einem Bewerber um das Mönchtum geben. So berichtet Evagrius 
Pontikus, der gefeierte Mönchsſchriftſteller (F nach 400), der nach 
wechſelvollen Schickſalen durch die Bemühung der hl. Melania d. Älteren 
(+ bald nach 404) für das Mönchsleben gewonnen worden, daß fie 


1 Zur ireuzesſumbolik im Urchriſtentum (Anſchluß an das Evangelium und 
Paulus) ſ. Ignatius Smyrn. 1. Funk 274; Harnack, Texte u. Unterſ. XXXV (1910) 
6. 4. 8. 60 (Oden Salomons O. 27 u. Anm.) 


28 


ihm „am Tage der Auferftehung des Herrn das hl. Gewand gegeben 
und ihn fo in die Zahl der Mönche eingereiht“ habe!. | 

Ein bemerkenswerter Bedanke begegnet uns ſchon in den Pacho⸗ 
mius erzählungen, ohne daß ſich freilich irgendwie ſagen ließe, daß 
er auch auf den hl. Pachomius ſelbſt zurückreicht: es iſt die Auffaffung 
der Profeß des Mönchs als zweite Taufe und Beſiegelung. So heißt 
es an einer Stelle: „wenn ein Menſch getauft wird, indem er ſich 
zum Mönchtum verſpricht und das Siegel des Geiſtes empfängt“. 
Ahnlich heißt es auch bei Nilus im Briefe an Amphilochius: „auch 
du wurdeſt unſichtbarer Weiſe geſalbt, als du dich dem verehrungs⸗ 
würdigen Gewande nahteſt. Salbung nämlich nenne ich die göttliche 
auf dich herabgekommene Gnade des hl. Beiftes”*. 

Bat der Neuling durch die Annahme des Mönchsgewandes feine 
„Profeß“ vollzogen, fo hat er ſich „Bott verſchrieben“, den oben 
genannten Vertrag mit Bott abgeſchloſſen: „die Seele, die die Welt 
verlaſſen und ſich Gott verſchrieben hat“.“ Noch findet ſich in unſeren 
Pachomiuserzählungen eine Stelle, aus der man ſchließen könnte, 
daß in den Pachomiusklöſtern mit der Einkleidung auch eine münd⸗ 
liche Profeß, die mündliche oͤpo o yl, verbunden worden fein mag. 
Pachomius habe, ſo heißt es da, dem jungen Silvanus „an der Türe“, 
nachdem er ihm die Pflichten des klöſterlichen Lebens dargelegt, er⸗ 
klärt: „Schau auf dich, ob du nicht doch unfähig biſt, Mönch zu 
werden“; den leichtfertig gewordenen Mönch Silvanus erinnert Pacho⸗ 
mius dann ſpäter: „und du haft verſprochen vor Gott: ich werde es 
(Mönch) “, zart opoAdynoas Evamıov ro Heod & Vo. Ob dies eine 
der ſpäteren Zutaten in der Dita iſt, wiſſen wir allerdings nicht. 

Nach der Profeß wird der Mönch in das ktloſter hineingeführt⸗. 

Seine Aufnahme in das Rlofter iſt vollzogen. Durch die „Entſagung“ 
in der Profeß iſt der Mönch mit Chriftus geſtorben. Aber der my= 
ſtiſche Tod mit Chriftus iſt nur die Durchgangs ſtufe zur Auferftehung 
und zum beben mit Chriſtus. „Sie (die Mönche) leben dem, der für 
fie geſtorben und auferftanden iſt““. „Theodorus ſpricht es mit Tat 
und Wort aus: Chriſto bin ich mitgekreuzigt; ich lebe aber nicht 
mehr ich, ſondern Chriftus in mir“. Der Mönch muß leben xuark 
XY, Chriftus gemäß, der Urbild und Grundriß „dieſes Weges“ iſt'. 


& * 


Brief an Melania. Frankenberg 8. 581. AASS. l. c. n. 89, 48“ F. f. ſ. Fr. 
Degenhart, Der hl. Nilus Sinaita. Münfter i. W. 1915 8. 99 f. AAs8. I. c. n. 19, 
56 F. Ebd. n. 66, 42 C. Ebd. n. 1, 64 A. Ebd. n. 15, 68˙ DE. ebd. n. 2, 
64* CD. ebd. n. 15, 68“ E. 


29 


Der Geiſt des hl. Franz von Sales. 
Zum dreihundertjährigen Gedächtnis feines Todes (1622 — 1922). 
Don P. Alois mager (Beuron). 


66 Erſcheinungen und Zuſammenhängen kann nur ein 
Denken gerecht werden, das in Formen verläuft, wie ſie etwa 
in den Funktionen der neueren Mathematik einen geſchloſſenen Nus⸗ 
druck fanden. Wir entfernen uns in den Grad von der tatſächlichen 
Wirklichkeit, als wir Perſönlichkeiten und Ereigniffe in atomhafter 
Beſonderung betrachten. Zahlen als ftarre Selbſtändigkeiten und 
körperhafte Abgeſchloſſenheiten find für die heutige Mathematik be⸗ 
deutungsleer. Sinnvoll werden ſie ihr erſt, wenn ſie untereinander 
zu Beziehungsgebilden verknüpft werden. Ahnlich entſchleiern ſich 
geſchichtliche Wirklichkeiten in ihrer tatſächlichen Bedeutung erſt, wenn 
das feſtſtellende, urteilende, ſchlußfolgernde Denken ſie als Beziehungs⸗ 
gebilde erfaßt. Gerade im Nufeinanderbezogenſein von Einzelmo⸗ 
menten und ⸗faktoren liegt das Formale aller Wirklichkeit. Wer 
geſchichtliche Perſönlichkeiten und Geſchehniſſe anders zu begreifen 
ſucht, hätte ſchon den Winkel zu einer richtigen inneren Einftellung 
verſchoben. | 

Franz von Sales (“ 21. Auguft 1567, + 28. Dezember 1622) ift 
eine Perſönlichkeit von fo überragender Bedeutung, wie fie nicht jedes 
Jahrhundert der Chriſtenheit ſchenkt. Zur Zeit der kriſenvollen Aultur- 
wende im 16. und 17. Jahrhundert wies er dem kirchlich: hriftlichen 
Frömmigkeitsleben auf lange hinaus den Weg, der es zu einer neuen, 
ungeahnten Entfaltung bringen ſollte. Ein ebenſo weitſchauender 
wie begnadeter Geilt, baute und legte er damals die Kanäle über⸗ 
natürlichen Lebens um, welche die von der Übernatur ſich emanzipie⸗ 
rende Natur, die vom Göttlichen zu vermeintlicher Eigenſtändigkeit ſich 
losreißende Menſchheit weiter, ja noch ausgiebiger mit den Waſſern des 
heiles und der Gnade verforgten. Dom göttlichen Geiſt erleuchtet über- 
brückte er eine Kluft, deren Tiefe wir erſt heute, wo das Reformations⸗ 
zeitalter in feinen letzten unheilvollen Auswirkungen vor unſerem 
Auge liegt, rückſchauend ganz ausmeſſen können. Er hob das Wider⸗ 
ſpruchsvolle in einer Alternative auf, die in jener Zeit alle religiöfen 
Gemüter aufwühlte. In Wort und Tat verkündigte er es feiner Mit⸗ 
welt und den kommenden Gefchlechtern mit einer Überzeugungskraft, 
die nur ein übernatürlicher Gnadenwille einflößen kann, wie man, 
um chriſtlich⸗fromm zu fein, keineswegs auf die Kulturerrungen⸗ 
ſchaften zu verzichten brauche, noch auch, um moderner KRulturmenſch 


30 


zu fein, fi) vom Übernatürlichen losſagen müſſe. Er verkörperte 
in ſich den harmoniſchen Ausgleich zwiſchen Natur und Übernatur, 
Rultur und Snadenführung. Er wurde zum leuchtenden Vorbild und 
Wegweiſer für eine ſeeliſch⸗ religiös erſchütterte, unſicher taſtende und 
ſuchende Zeit. 

Bremond' deckte mit Scharffinn und Feingefühl Beziehungen 18 
Beziehungsglieder in der geſchichtlichen Perſönlichkeit des hl. Franz 
von Sales auf. Wenn er aber glaubt, die beiden Elemente, die nach 
ihm den franzöſiſchen Katholizismus des 17. Jahrhunderts beſtimmten, 
„der humanismus in der Frömmigkeit“ (humanisme deévot) und die 
muſtik gäben eine ausfchöpfende Erklärung der Salefianifchen Eigen- 
art, fo überſieht er, einfeitig geblendet, Weſentliches im geſchichtlichen 
Bild des Heiligen. Zunächſt können jene beiden Geiftesftrömungen 
des 17. Jahrhunderts ſelber nur aus größeren Zuſammenhängen 
heraus verſtanden werden. Vor allem aber ſind wir der Meinung, 
daß Bremond blind war für ein gewiſſes Charisma des hl. Geiltes, 
das eine Seele hienieden ſchon zu einem neuen Weſen zu verklären ver⸗ 
mag. Wenn je der himmel über eine Heiligengeſtalt himmliſche Anmut 
ausgoß, ſo ſicher über den „liebenswürdigſten“ der neueren heiligen. 

Johanna Franziska von Chantal, die wie niemand anders in die 
innerſten Seelengeheimniſſe des Heiligen [hauen durfte, trägt eben doch 
die letzten, feinſten und Rennzeichnendſten Züge in das Bild ihres 
heiligen Seelenführers, wenn fie nach deſſen Tod an den Feuillanten⸗ 
pater Johannes vom hl. Franz ſchreibt: „Unſer feliger Dater war das 
lebendige Abbild des Sohnes Gottes, unſeres Herrn ſelber. Denn 
Anordnung und Einrichtung dieſer heiligen Seele war in der Tat ganz 
übernatürli und göttlich.“ Wie das Übernatürliche, Göttliche in 
ſeiner Seele ſich auswirkte, ſchildert die heilige Frau im ſelben Brief 
mit einer Feinheit und Sicherheit der Beobachtung, wie fie in dieſem 
Punkt nur heiligen eigen iſt. Die beiden geiſtigen Jeitſtrömungen 
der „humaniſtiſchen Frömmigkeit“ und der Muſtik allein hätten Franz 
von Sales niemals zu der höhe emportragen können, auf der er für 
unſere geſchichtliche Betrachtung ſteht. Das göttliche Gnadenwirken 
war die kiraft, die feine Seele zum Flug nach oben beſchwingte. 
Das Übernatürliche allein aber — man verſtehe es recht — hätte ihn 
auch nicht jene entſcheidende Rolle ſpielen laſſen können, wären nicht 
beſtimmte natürliche Vorausſetzungen gegeben geweſen. Erſt das 


1 Histoire littéraire du Sentiment religieug en France depuis la fin des guerres 
de Religion jusqu’ä nos jours. (Paris 1916.) * Gettres de 8. Frangois de Sales. 
(Classiques Garnier.) Paris. o. J. p. XII. 


31 


harmoniſche Ineinandergreifen beider Faktoren befähigte ihn zu den 
beiſtungen, die ewig mit ſeinem Namen verknüpft bleiben. Nichts 
widerſpräche mehr feinem Geift, als wollte man aus der Darſtellung 
des Lebens und Wirkens der Heiligen das Natürlich⸗Menſchliche aus⸗ 
ſchalten. Er ſelber bezeichnet es einmal als „ein Unrecht an den 
heiligen und der Nachwelt“, wenn die bebensbeſchreiber der heiligen aus 
falſch verſtandener Ehrfurcht die Menſchlichkeiten, Fehler und Schwächen 
verheimlichten'. Don ſich ſelber bekennt er einmal in einem Sonderfall, 
daß natürliche Anlage, Erziehung, Lebenserfahrung und 
Anregung der Gnade zur Quelle zuſammenſtrömten, aus der ſein 
Wirken floß“. 

War die Völkerwanderung das Ereignis, das am tiefſten und am 
meiſten umwälzend in das äußere beben und die ſtaatliche Entwicklung 
der abendländiſchen Völker eingriff, fo übte nie etwas auf das Geiſtes⸗ 
leben des Abendlandes einen ſo grundſtürzenden Einfluß wie die ſo⸗ 
genannte Renaiſſance und Reformation. 

Franz von Sales und ſein Wirken können nur aus der geiſtigen 
Bewegung und der veränderten Weltanſchauung begriffen werden, 
die die Seele der Renaiſſance und der Reformation bildeten. Alle 
Faſern ſeiner reichen Natur wachſen aus der Zeit heraus, in der er 
lebte. Ganz von ſelber drängt ſich ein Vergleich auf zwiſchen dem 
heiligen und feinem engeren Landsmann von Genf, dem dritten der 
großen Reformatoren, mit Calvin. Sie haben überraſchend viele Züge 
gemeinſam. Die Linien laufen lange Strecken nebeneinander her, 
enden aber in entgegengeſetzter Richtung. Da tritt allerdings ein 
Unterſchied zu Tag, der nicht geringer iſt, als jener zwiſchen Natur 
und Übernatur. Naturanlage, Erziehung, Art der bebenserfahrung 
drücken Franz von Sales das Gepräge auf, das die Menſchentypen 
der damaligen Zeit kennzeichnet. Nur das vierte Element, das der 
Heilige ſelber als mitbeſtimmend in der Nusgeſtaltung ſeiner inneren 
Perſönlichkeit nennt, die bedingungsloſe hingabe an das Gnaden⸗ 
wirken Gottes, verleiht ihm jene himmliſch verklärten Geſichtszüge, 
die wir bei den religiöfen Neuerern feiner Zeit vergeblich ſuchen. 

Jakob Burkhardt bezeichnet in ſeinem bahnbrechenden Werk „Die 
kultur der Renaiſſance in Italien“ als innerfte Triebkraft der 
Umwälzungen, die unſere moderne kultur ſchufen, die Verſelb— 
ſtändigung des Einzelmenſchen. Wurde der Menſch früher nur 
gewertet als Glied der Semeinſchaft, fo wird er jetzt in feinem Eigen⸗ 
wert und feiner Eigenftändigkeit immer mehr erkannt und gewürdigt. 
A1 dceuvres completes (Ed. Annecy 1892 ss.) t. IX, p. 77. fl. a. O. t. XV, p. 95. 


32 5 

All die durchgreifenden Änderungen, die auf den einzelnen Aultur- 
gebieten ſich vollzogen, hängen ohne Zweifel aufs innigſte zuſammen 
mit dem Umwerten der Bedeutung des Einzelmenſchen. Die ſchöpfe⸗ 
riſchen Mächte der Renaiſſance und Reformation entſprangen jedoch 
einer noch tiefer liegenden Quelle. 

Weſenszweck des Chriſtentums war, die Menſchen innerlich um⸗ 
zuwandeln zu einem Leben, das unendlich hinausflutet über die 
Grenzen, die an fi) allem Gefchaffenen gezogen find. Das wollte der 
Heiland ausdrücken, als er ſprach: „Das Reich Gottes iſt inwendig 
in euch.“ Aus einer ſoziologiſchen Notwendigkeit heraus kann dieſe 
innere Umwandlung der Einzelmenſchen durch das Chriſtentum nur vor 
ſich gehen, wenn dieſe zu einem Semeinſchaftsorganismus zuſammen⸗ 
geſchloſſen ſind. Die Sendung des Chriſtentums wird ihren Abſchluß 
darin finden, daß es die vollendete Gemeinfchaft der innerlich bis zur 
Vollendung umgewandelten Einzelmenfchen begründet. 

Um Mißverſtändniſſen, die aus den folgenden Ausführungen leicht 
entſtehen könnten, vorzubeugen, glauben wir eine kurze Erklärung 
vorausſchicken zu müſſen: Das Chriſtentum auch in ſeiner kirchlichen 
Verkörperung iſt erhaben über jede Entwickelung und Änderung durch 
zeitgeſchichtliche Bedingungen. Wenn von Wandlungen die Rede iſt, 
denen im Lauf der Zeit das Semeinſchaftsprinzip unterworfen iſt, 
fo bleibt die kirche ihrem innerſten Weſen nach davon unberührt. 
Für jedes logiſch fi) vollziehende Denken hebt ein Gemeinſchafts⸗ 
begriff ſich ſelber auf, der eine irgendwie hierarchiſch gegliederte 
Autorität von ſich ausſchlöſſe. Die Primatial⸗ und Episkopalver⸗ 
faſſung der Kirche, die göttlicher Einrichtung iſt, könnte 3. B. nie durch 
etwas anderes erſetzt werden. Die Wandlungen auch im rein natür⸗ 
lichen Gemeinſchaftsbegriff beziehen ſich immer nur auf ein gewiſſes 
Gefellfehaftsgebaren, auf die Art und Weiſe, wie das Verhältnis von 
Einzelmenſch und Gemeinſchaft aufgefaßt wird. Daß ſolche Änder- 
ungen in der inneren Einſtellung nicht ohne Rückſchläge auf das religiös- 
kirchliche Geben find, ift eine geſchichtliche Tatſache. Nur mit dieſen 
Einſchränkungen dürfen — wir betonen es noch einmal — die fol⸗ 
genden Ausführungen über das Verhältnis von Einzelmenſch und 
Gemeinſchaft verſtanden werden, ohne die die eigenartige Sendung 
des hl. Franz von Sales ein Rätſel bleibt. 

Als das Chriſtentum in die Welt trat, fand es eine fertig in ſich 
abgeſchloſſene Kultur vor. Es waren in den Völkern, an die es ſich 
wandte, keine Möglichkeiten zur Weiterentwickelung mehr vorhanden. 
Das Übernatürliche aber konnte in einer kultur, die keine Entwick⸗ 


33 


IungsmöglichReiten mehr bot, nicht zur Auswirkung gelangen. Das 
Weſentliche der antiken Kultur hatte ſich im römiſchen Imperium zu 
einem abſolut ausgeſtalteten Gemeinjchaftswefen kriſtalliſiert. Menſchen 
und Dölker beſaßen Wert und Bedeutung nur infofern, als fie in 
dieſen den „Erdkreis“ umſpannenden Rieſenverband irgendwie einge⸗ 
gliedert waren. Die Vollendung des Einzelmenſchen beftand in der 
vollendeten Deräußerlichung, nämlich in möglichſt reſtloſem Aufgehen 
in der Gemeinfchaft. Das Chriſtentum aber zielte auf die Derinner- 
lichung der Einzelmenſchen und letzten Endes auf eine Gemeinſchaft, 
die alle vollendet verinnerlichten Sinzelmenſchen umfaßt. Das Chriſten⸗ 
tum konnte feine geſchichtliche Sendung nur an Völkern und Menſchen 
verwirklichen, die von einer fertigen Eigenkultur noch nicht ausgeſogen, 
veräußerlicht waren. Ihre loſe, fließende Semeinſchaftsweiſe mußte, 
um ſie höherer Kulturgüter und vor allem der übernatürlichen Werte 
teilhaft werden zu laſſen, zu einer ſtrafferen, in ſich abgeſchloſſenen 
Gemeinſchaftsform zuſammengezogen werden. Es durfte aber nur 
eine fremde Gemeinſchaftsform fein, die die innere Eigenart der neuen 
Völker unberührt ließ. Nur fo konnten fie ein fruchtbarer Ackerboden 
für die Saat des Chriftentums fein. Wäre fie aus ihrem Eigenften 
herausgeboren geweſen, ſo wären es wiederum, ähnlich wie in der 
rõmiſch⸗helleniſtiſchen Welt, innerlich erſchöpfte, veräußerlichte Menſchen 
geweſen. Das Chriſtentum bediente ſich der antiken Gemeinſchafts⸗ 
form. In ſie nahm es die formloſen, beweglichen Maſſen der ger⸗ 
maniſchen Dölker auf. 

Die neuen Völker waren reine Empfänglichkeit, Entwickelungs⸗ 
möglichkeit. Mittel und Zwiſchenglied der erziehenden, innerlich um⸗ 
wandelnden kräfte, die aus dem Chriftentum ihnen zufloſſen, war 
eben die antike Gemeinſchaftsform. Sie ſtand in einem gewiſſen 
Gegenſatz zum Chriſtentum und zu den neuen Völkern: zum Chriſten⸗ 
tum, weil es verinnerlichte und nicht veräußerlichte; zu den neuen 
Völkern, weil fie nicht aus ihrer Eigenart herausgewachſen war. 
Die kiluft zwiſchen der Deräußerlihung, die im Weſen der antiken 
Gemeinſchaftsform lag, und der Verinnerlichung, die das Chriſtentum 
bewirkte, weitete ſich immer mehr, fo daß die Möglichkeit einer Über⸗ 
brückung immer fraglicher werden konnte. Verinnerlichung darf hier 
nicht im bloß religiöſen Sinn, ſondern als eine ſtetig fortſchreitende 
Derfelbftändigung des Einzelmenſchen genommen werden. 

Die Art der antiken Gemeinſchaftsform, die aufs innigſte mit dem 
Chriftentum verhaftet war, wurde in zunehmendem Maße als eine 
hemmende Feſſel empfunden für eine immer tiefer greifende Derinner- 

Benediktiniſche Monatſchriſt IV (1922), 1—2. 3 


34 


lichung. Man war blind dafür geworden, daß die Verinnerlichung 
ihr beben nur aus der Offenbarung und nicht etwa aus den Tiefen 
der eigenen Seele ſchöpfte. Die Spannung war vorhanden. Sie drängte 
auf einen Bruch. Und der Bruch kam in der Reformation. Die 
Verbindung mit der übernatürlichen Kraftquelle war abgeriſſen. Die 
Reformation nahm als Erbe mit, was an Chriſtentum bereits ver⸗ 
innerlicht worden war. Weiterer Zufluß aus der Quelle war ab» 
geſchnitten. Es konnte ſpäterhin einmal der Tag nicht ausbleiben, 
wo das mitgenommene Erbe aufgezehrt ſein würde. Und dieſer Tag 
ſcheint anzubrechen. Die gemeinſchaftswirkende Natur des Menſchen 
fällt, ſobald ſie ſich der ſegensreichen Wirkung des Übernatürlichen 
entzieht, der Deräußerlihung im Stil der antiken kiultur anheim. 
Die Reformationsbewegung, die das Recht der Verinnerlichung ohne 
jede Gemeinſchaftsbindung beanſpruchte, kann nur im geraden Gegen⸗ 
teil, in einer neuen Deräußerlihung enden. 

Der Bruch wurde nicht von allen vollzogen. Die Verbindung 
mit dem Übernatürlichen blieb fo der Menſchheit erhalten. Diejenigen 
aber, die nicht brachen, konnten und brauchten auch nicht der neuen 
Entwicklung ſich entziehen. Das Streben nach Verinnerlichung war 
auch hier im Wachſen begriffen. Nur das Tempo war unvergleichlich 
langſamer. Es unterſtellte ſich der regelnden Wirkung der kirchlichen 
Gemeinſchaft. Wie die Geſchichte zeigt, blieben auch innerhalb der 
kirchlich treuen reife Kriſen nicht aus. Sie laſſen ſich alle auf den- 
ſelben Punkt zurückführen, der den Reformatoren zum Verhängnis 
wurde. Die Sendung des Chriſtentums war in ein kritiſches Stadium 
eingetreten. Die £irche verfügte nicht mehr über die natürlichen, 
menſchlichen Mittel, um die Einzelmenſchen und Einzelvölker in reli⸗ 
giöſer Einheit zuſammenzuhalten. In Zeiten, wo die Einzelmenſchen 
ſich nur als Glieder der Gemeinſchaft fühlten und nur als ſolche 
gewertet wurden, waren ſolche Schwierigkeiten leicht zu überwinden. 
Denn ſoweit reichten die Mittel, welche die antike Gemeinſchafts⸗ 
geſinnung der Kirche bot. Sie mußten aber verſagen gegenüber den 
zur Eigenftändigkeit und zu gewiſſer Gemeinſchaftsunabhängigkeit 
erwachten Einzelmenſchen. Eine neue ſeeliſche Gemeinſchaftshaltung 
hatte ſich noch nicht gebildet. Denn die Verinnerlichung war noch 
nicht vollendet. Es drohte hier eine Gefahr, mit der auch die Zeit 
der Chriftenverfolgung in keiner Weiſe verglichen werden kann. 

In dieſer Not erweckte die göttliche Dorfehung der Kirche Orden 
und Männer, die, vom Hl. Geiſt entzündet, die menſchlich unlösbare 
Aufgabe löſten. Sie ſchufen Zwiſchenglieder, neue Gemeinſchafts⸗ 


35 


weiſen, die zwiſchen der antiken Gemeinſchaftsform und dem neu⸗ 
erwachten felbftändigen Einzelfeelenleben vermittelten. Es iſt das 
unſterbliche Derdienft der Gefellfchaft geſu, dieſe überaus ſchwierige 
Pionierarbeit geleiſtet zu haben. Und die grundſätzliche Bedeutung 
des hl. Franz von Sales, der feine geiſtliche Ausbildung von den 
Vätern der neuen Genoſſenſchaft empfing, beſtand darin, das neu⸗ 
erſchloſſene Miſſionsgebiet zu einer organiſch eingegliederten Provinz 
des kirchlichen Lebens zu machen. 

Um den Geift des großen Biſchofes von Genf in feiner ganzen 
Eigenart kennen zu lernen, müſſen wir auf ein paar Einzelheiten der 
einzelmenſchlichen Verſelbſtändigung, wie fie Renaiffance und Refor⸗ 
mation kennzeichnet, eingehen. Zwei Geſichtspunkte ſind hier vor 
allem von entſcheidender Bedeutung: Nicht logiſche Richtigkeit oder 
Unrichtigkeit von Lehr: und Glaubensſätzen, nicht lehrhafte Meinungs⸗ 
verſchiedenheiten, theoretiſche Schulftreitigkeiten waren es, die Anlaß 
zu den religiöſen Neuerungen gaben. Sie nahmen ihren Ausgangs⸗ 
punkt vom inneren Erleben. Die immer ſelbſtändiger ſich regende 
und betätigende Einzelſeele wurde eines quälenden Gegenſatzes zwi⸗ 
ſchen den nach Weiſe der antiken Gemeinſchaftsform aufgeſtellten 
Forderungen des Chriſtentums und der Ligengeſetzlichkeit ſeeliſchen 
Erlebens bewußt. Bezeichnend genug iſt, daß ſich das innere Erleben in 
dem Gnaden⸗ und Auserwählungsproblem verdichtete. In ihm 
gerade klaffte der Zwieſpalt zwiſchen der Eigenwertigkeit des Einzel⸗ 
menſchen, der ſich als ſelbſtändig mitwirkenden Faktor im heilswerk 
begriff, und dem Verhältnis zwiſchen Menſch und Gott, wie es nach 
der Autoritätsauffaffung der antiken Gemeinſchaft aufgefaßt und 
formuliert wurde. Die Reformatoren traten in einſeitiger ktampf⸗ 
ſtellung für das Recht des Erlebens als zwar nicht ganz ausſchließ⸗ 
licher, aber doch entſcheidender Inſtanz im heilswerk ein. Luther 
und Calvin riſſen Gott und die Seele auseinander. Nur ſcheinbar 
überbrückten beide den ungeheuren Abgrund: Luther durch das un⸗ 
bedingt gläubige Vertrauen, Calvin durch die ſich ſelber ſuggerierte 
Überzeugung der eigenen Auserwählung. 

Der andere Geſichtspunkt ergibt ſich aus folgender Anſchauung: 
Das frühere Denken ſah zwiſchen Natur und Übernatur einen gewiſſen 
feindlichen Gegenſatz, wie etwa zwiſchen Fleiſch und Geiſt in den 
Daulusbriefen. Selbftverneinung und Weltflucht, ein Leben äußerer 
Entfagung und härte waren die ſelbſtverſtändlichen Vorbedingungen 
zur Erreichung der höhen der Vollkommenheit. Nicht als ob die 
Weltleute ihr Seelenheil nicht hätten wirken können. Sie lebten aber 

3 


36 


in einer Befahrzone, wo nur wenige fich retteten. In allen, die in 
der Welt nach Dollkommenbeit verlangten, lebte nur der eine Wunſch, 
eines Tages noch die Welt zu verlaffen, um in Klöſterlicher Welt⸗ 
abgeſchiedenheit das heil der Seele in Sicherheit zu bringen. Nur 
wenige waren in der Cage, den Wunſch zu verwirklichen. Durch die 
fogenannten Drittorden, die im 13. Jahrhundert aufkamen, wurde es 
breiten Schichten des Volkes ermöglicht, Anſchluß an das klöſterliche 
beben zu gewinnen, ohne den weltlichen Stand verlaſſen zu müſſen. 
Das chriſtliche Vollkommenheitsſtreben war von der Welt weg hinein 
in die Abgeſchiedenheit der Klöfter gerichtet. Als Berufe im vollen 


Sinn galten nur der Prieſter⸗ und der Mönchsſtand. Es unterliegt 


kaum einem Zweifel, daß dieſe Art geiſtiger Einftellung im Fortwirken 
der antiken Gemeinſchaftsgeſinnung tief verwurzelt iſt. 

Mit der Bejahung des ELinzelmenſchlichen als ſelbſtändigen, ja 
entſcheidenden Faktors gegenüber dem Gemeinſchaftsförmigen war 
ein ganz neuer Maßftab für die Wertung des Natürlichen, Menſch⸗ 
lichen, Weltlichen gegeben. Es war eine Umwertung der bisherigen 
Werte. Nicht Selbſt⸗ und Weltflucht, ſondern Selbſt⸗ und Weltbejahung 
wurden als Notwendigkeiten für eine umfaſſende Auswirkung des 
Chriftentums angeſehen. Äußere Werke, Weltentſagung, äußere Ab⸗ 
tötung, klöſterliches Leben verurteilten die Reformatoren als den ſitt⸗ 
lichen Forderungen zuwider. Nicht im Fliehen ſondern im Auffuchen 
der Welt und der menſchen, um ihnen helfender Bruder in allem 
zu fein, erkannten fie die Vollendung der Vollkommenheit. Es war 
eine Art Abwehrſtellung gegen das Hufgefogenwerden des Menſch⸗ 
lichen durch das Übernatürliche nach der Weiſe, wie der Einzelmenſch 
von der antiken Gemeinſchaft aufgeſogen worden war. Das Über⸗ 
natürliche ſollte vielmehr in das Menſchliche hereingezogen werden. 
Die Einzelmenſchen ſollten umgewandelt, verinnerlicht werden. Wie 
die Folgezeit zeigte, war der Grundirrtum der Reformatoren der, daß 
fie das Übernatürliche als eine von außen kommende, bindende Macht 
verwarfen und es aus den Tiefen des eigenen Innern herauszuent⸗ 
wickeln meinten. Es war nur folgerichtig, wenn ſie in jeder welt⸗ 
lichen Beſchäftigung und nicht bloß im Prieſter⸗ und Ordensſtand 
einen wahren Beruf erkannten. Maz Weber hat dem Begriff Be⸗ 
ruf eine geiſtreiche Unterſuchung gewidmet. Er weiſt nach, wie früher 
der Begriff Beruf rein religiöfen Sinn hatte, von den Reformatoren 
aber auf jede bürgerliche Tätigkeit übertragen wurde. Gerade die 
calviniftifche Frömmigkeit wird als „innerweltliche Rsgefe” der „außer⸗ 
weltlichen“ des Mönchtums gegenübergeſtellt. 

1 Aufſätze zur Religionsfoziologie. (Tübingen 1920) I. B. 8. 1 ff. 


37 


Die Zeit der Renaiffance und Reformation hat im rein natürlichen 
Seelenleben Gebiete erfchloffen, die früher mit Eigenforderungen nicht 
in die Erſcheinung getreten waren. Sollten diefe Gebiete vom kirchlich⸗ 
übernatürlichen Leben nicht abgeſchnürt werden, fo mußten Mittel 
und Wege gefunden werden, um fie ins kirchliche Leben einzubeziehen. 
Zu dieſer ſchwierigen Miſſion bedurfte es eines Geiſtes, der natürlich 
ganz in ſeiner Zeit fußte und übernatürlich noch uneingeſchränkter 
in der Atmoſphäre der von Chriſtus geſtifteten Kirche lebte. Er 
wurde der ktirche geſchenkt in der Perſönlichkeit des hl. Franz 
von Sales. | 

Die beiden Befichtspunkte, die dem Renaiſſancezeitalter Richtung 
gaben, heben ſich Zug für Jug als natürliche Eigentümlichkeiten auch 
aus dem Leben und Wirken des Heiligen hervor. Wir wiſſen, daß 
für feine ganze Cebensrichtung nicht wiſſenſchaftliche Anſchauungen 
oder beſtimmte Lehrmeinungen entſcheidend waren, ſondern ein Er⸗ 
lebnis, das ſich inhaltlich mit dem der Reformatoren deckt. Es war 
ebenfalls das Gnaden⸗ und Auserwählungsproblem. Das Bekannt⸗ 
werden mit der thomiſtiſchen Gnadenlehre brachte ihn als achtzehn⸗ 
jährigen Studenten in Paris wochenlang in die qualvollſten Zweifel 
ob feiner eigenen Auserwählung. Er glaubte ſich unrettbar zur hölle 
verdammt. Trotz einer inneren Gottesverlaſſenheit, die ſich bis zur 
Verzweiflung ſteigerte, hielt er im nackten Glauben und vertrauens⸗ 
vollen Gebet an Gott feſt, bis endlich vor dem Altar der Madonna 
in Saint⸗Stienne⸗du⸗Grés milder Friede in feine zermartete Seele ſich 
ergoß. Damit war die Richtung ſeines Seelenlebens in einer grund⸗ 
legenden Frage entſchieden. Er bekannte ſich zur moliniſtiſchen 
Gnadenlehre, die damals gerade die katholiſchen Theologen in äußerſter 
Spannung hielt. Sein inneres Erleben hatte ihn überzeugt, daß der 
menſch als ein ſelbſtändig mitbeſtimmender Faktor im heilsvollzug 
tätig iſt. Gottes Gnade ſteht für jeden Menſchen, der guten Willens 
und aufrichtigen Strebens iſt, bereit. Wenn auch die Rettung der 
Seele mehr eine Wirkung der Gnade als des freien Willens ift, fo 
bleibt doch der Widerſtand gegen die Gnade ganz das Werk des 
freien Willens. Wir müſſen im Molinismus geiſtesgeſchichtlich wohl 
den notwendig gewordenen Derfuch erblicken, das Verhältnis zwi⸗ 
ſchen Einzelmenſch und Autorität, wie es ſich durch die einzelmenſch⸗ 
liche Derfelbftändigung herausgeſtaltet hatte, auf eine den neuen 
Seelentatſachen entſprechendere Formel zu bringen. Man darf viel⸗ 
leicht die Behauptung wagen, daß der ſogenannte Thomismus in 
landläufiger Erfaſſung, der das Verhältnis zwiſchen Einzelmenſch und 


38 


Gott mehr nach Art der antiken Bemeinfchaftsgefinnung auffaßte, 
dieſe lebenswichtigſte religiöfe Frage der Neuzeit nicht zu löſen ver⸗ 
mocht hätte. Im Molinismus kommt jener Geift mehr zur Geltung, 
der aus dem Beilandswort zu uns ſpricht: „Der Sabbat iſt des Men⸗ 
ſchen wegen da und nicht der Menſch des Sabbates wegen.“ 

Das Übernatürliche mußte organiſch in die neuen Seelengebiete 
eingebaut und nicht der Derfuch unternommen werden, die durch 
fortſchreitende Entwicklung geweiteten und verſelbſtändigten Einzel- 
menſchen wieder auf die Enge zuſammenzuſchnüren, wie ſie in der 
antiken Gemeinſchaftsauffaſſung gegeben war. Franz von Sales war 
nicht extremer Moliniſt. Seine Anſicht war vielmehr, daß beide, 
Thomismus und Molinismus in ihren äußerſten Folgerungen auf 
Irrtümer hinauslaufen. Nur hielt er den Molinismus, wie er 1618 
an Leffius ſchreibt, „der Barmherzigkeit und Gnade Gottes ent⸗ 
ſprechender, wahrer und liebenswerter.“ Es ſteht feſt, daß das Gut⸗ 
achten, das Paul V. im Moliniſtenſtreit bei dem hl. Biſchof einholen 
ließ, das formelle kirchliche Gebot veranlaßte, den Molinismus nicht 
der Irrgläubigkeit zu verdächtigen. 

Derſelbe Erundzug feines Weſens führte den heiligen dazu, jede 
Seele einzeln, nach ihren beſonderen Anlagen und natürlichen Eigen- 
tümlichkeiten zur Vollmommenheit anzuleiten. „Die Frömmigkeit,“ 
ſchreibt er einmal (Philothea I, 3), „muß anders geübt werden vom 
Edelmann, anders vom handwerker und Diener, vom Fürſten, von der 
Witwe, vom Kind und von der Frau; ja die Ausübung der Frömmig⸗ 


keit muß ſich den Kräften, Derhältniffen und Pflichten eines jeden 


anpaſſen.“ Er darf wohl der Begründer der individuellen Seelſorge 
ohne Ausnahme genannt werden. Das Verhältnis zu denen, die ſich 
feiner Leitung anvertrauten, geſtaltete ſich zu einem intim perſön⸗ 
lichen. Es Ronnte ſich bis zur innigſten Seelenfreundſchaft erheben. 
Könnte es etwas Anziehenderes geben, als feine übernatürlich ver⸗ 
klärte Freundſchaft zur Frau von Chantal! Er iſt auch der Begründer 
der brieflichen Seelenleitung großen Stiles. 

Für Franz von Sales iſt es eine ſelbſtverſtändliche Tatſache, daß 
das beben in der Welt kein Hindernis iſt, auch die höchſten Stufen 
der Vollkommenheit zu erreichen. In natürlicher Bildung und Kultur, 
in menſchlichem önnen und Wiſſen erblickte er mächtige Förderungs⸗ 
mittel für das übernatürliche Geben. Er felber hat bewußt eine Er⸗ 
ziehung und Ausbildung genoſſen, wie ſie den Söhnen der beſten Geſell⸗ 
ſchaft damals zuteil wurden. Er ſchätzte die Wiſſenſchaft ſo hoch, daß 
er als Student feinen Leichnam der mediziniſchen Fakultät in Padua 


39 


zur Sezierung vermachen wollte. Einer menſchenflüchtigen Einſam⸗ 
keit hat der Heilige nicht das Wort geredet. Er verlangte vielmehr 
aus dem Beift chriſtlicher Frömmigkeit heraus, daß man zu geheiligter, 
maßvoller Freude, zu angenehmer Unterhaltung, zu Spiel und Er⸗ 
holung beitrage. Welchen Widerſpruch mußte er von Rigoriften er⸗ 
fahren, als er ſo milde, nachſichtige, ja billigende Worte für Tanz 
und ähnliche Unterhaltungen fand (Philothea III, 31 - 35). Er 
drang immer auf vornehme Haltung, Seſchmack in Kleidung, Rede 
und Gebärde. Er hegte keine Geringſchätzung für äußere Abtötungen. 
Er wertete ſie aber nicht mehr ſo, wie es früher geſchah. Ihm war 
die innere Abtötung alles. Um vollkommen zu werden, braucht man 
nicht die Welt zu verlaſſen. „Es iſt ein Irrtum, ja eine häreſie,“ 
ruft er aus, „das Leben der Vollkommenheit aus den Kaſernen der 
Soldaten, aus den Werkftätten der handwerker, von den Höfen der 
Fürſten und aus den Haushaltungen der Eheleute verbannen zu wollen“ 

(Philoth. I, 3). Er hat das beben der Vollkommenheit aus den Mauern 
der Klöſter mitten in die Welt zurückgeführt. Er hat das Antlitz der 
Frömmigkeit, das in all den früheren Jahrhunderten weltabgewandt 
war, weltwärts gewendet. Grundſätzlich und für immer löſte er das 
Problem, das ſich im Drittordensweſen des 13. Jahrhunderts an⸗ 
gekündigt hatte. Es bedarf wohl kaum der Derficherung, daß dieſe 
Neuorientierung der Frömmigkeit nichts zu tun hat mit einer Gering⸗ 
ſchätzung des klöſterlichen Lebens. Selbſtverſtändlich war der heilige 
von der größten Hochachtung für den Ordensſtand erfüllt. 

Der hl. Thomas unterſchied zwiſchen der Dollkommenheit und dem 
Stand der Vollkommenheit. Lebterer war gebunden an die Beobach⸗ 
tung der evangeliſchen Räte, zu denen man ſich mit einer gewiſſen 
Feierlichkeit verpflichtet. Wer dem Stand der Vollkommenheit an⸗ 
gehören will, muß ſich dem Ordensleben oder dem kirchlichen Stand 
weihen. Franz von Sales geht einen Schritt weiter: Die höhere Voll⸗ 
kommenheit kann und muß als Regel und nicht bloß als Ausnahme 
in jedem weltlichen Stand und Berufsleben geübt werden. Der heilige 
geht darin über die frühere Auffaffung hinaus, daß er die „vie dèvote“, 
das Leben der Frömmigkeit, als Vollkommenheit im engeren Sinn 
nicht auf das Ordensleben beſchränkt ſein läßt, ſondern auf das welt⸗ 
liche Berufsleben ausdehnt. Das Ordensleben wird zu einem Sonder⸗ 
fall der „vie denote”. Dieſe Entwickelung war keimhaft ſchon beim 
hl. Thomas angelegt, vollzogen aber wurde ſie erſt von Franz von 
Sales, der ſich ſonſt mit peinlicher Sorgfalt an die Lehren des Aqui⸗ 
naten hält. Nun war der ſcheinbare Widerſpruch Wirklichkeit ge⸗ 


40 


worden: Weltleben follte klöſterliches Geben und klöſterliches Geben 
beben in der Welt fein, mit anderen Worten: die falſche Trennung zwiſchen 
Welt⸗ und Rloftermoral, wie in ſemann' ſchreibt, wurde von Franz von 
Sales endgiltig überwunden. Das war ſicher ein Gedanke, der zutiefſt 
in der Sendung des Chriſtentums gebunden war. Erſt die Zukunft wird 
die ganz Tragweite dieſes Fortſchrittes offenbaren. Bezeichnend iſt 
die Nuffaſſung, die der heilige vom Beruf zum Ordensſtand hat. 
Sie könnte auf den erſten Blick überraſchen. Sie iſt aber nur die 
logiſche Folgerung aus dem Grundſatz, daß der Einzelmenſch ſelbſt⸗ 
ſtändig mitwirkender Faktor im Heilswerk iſt. Der Beruf hängt nach 
ihm mit vom freien Willen ab. Wie anders ſollen wir Stellen in 
ſeinen Schriften verſtehen, wie etwa folgende: „Wenn ich vom ſpe⸗ 
ziellen Beruf zum Ordensſtand reden ſoll, ſo glaube ich, daß viele 
von Gott hierzu berufen ſind, aber wenige den Beruf feſthalten und 
bewahren. Es gibt aber auch andere, die keinen Beruf hatten, aber 
ſie traten doch ein und ihr Beruf wurde gebeſſert und von Gott ge⸗ 
nehmigt“ (Entret. XVII, t. VI, pag. 311). Er felber hat mit Johanna 
Franziska von Chantal den Orden „der Heimſuchung“ geſtiftet. Der 
Gedanke, den er in der Stiftung urſprünglich verwirklichen wollte, 
war der, daß auch ſchwächliche und gebrechliche Naturen, die ſonſt in. 
keinem anderen Klofter aufgenommen worden wären, ſich dem klöſter⸗ 
lichen beben widmen könnten. In feinem erſten Plan war es auch, 
daß die „Heimſuchung“ nicht bloß dem innerlichen Geben, ſondern 
vor allem der werktätigen Nächſtenliebe dienen ſollte. Er wollte für 
ſeine &löfter Reine klauſur. Er mußte aber dem Drängen des Erz⸗ 
biſchofes von Lyon nachgeben, der unerbittlich auf Klauſur in feinem 
Sprengel beſtand. Als Neal ſchwebte ihm vor die Harmonie zwiſchen 
vollendeter Innerlichkeit und vollſtändiger Hingabe im Dienft der 
nächſtenliebe. Mit ihm eilte er feiner Zeit voraus, der offenbar noch 
die Vorausſetzungen für die Verwirklichung dieſes Jdeales fehlten. 
Die Neigung der Frau von Chantal zu einem ausſchließlichen Leben 
des Gebetes drängte den Orden einſeitig auf die Bahn bloßer Inner⸗ 
lichkeit. Wie ſehr aber der heilige gerade auf die Ausübung chriſt⸗ 
licher Nächſtenliebe hielt, bezeugt niemand treffender als Frau von 
Chantal in dem oben erwähnten Brief an den Feuillantenpater 
Johannes vom hl. Franz: „Die Tugend, die in unſerem ſeligen Vater 
vorherrſchte, war nach meinem Dafürhalten fein Seeleneifer. Manch⸗ 
mal hätte man ſagen können, daß er den unmittelbaren Gottesdienſt 
verfäumte, um den Dienſt des Nächſten vorzuziehen.“ Das Aufgehen 
Moraltheologie. (Freiburg 1878.) 8. 28. 


41 


im Dienft der Nächſtenliede hält Franz von Sales durchaus vereinbar 
mit den höchſten Stufen des Gebetslebens. Er war es auch, der die 
muſtik als felbftverftändliches organiſches Glied, als Vollendung der 
Frömmigkeit in den großen Juſammenhang der chriſtlichen Dollkommen- 
heit einwob. Muſtik ift ihm nichts anderes, als vollendete Derinner- 
lichung und Derfelbftändigung des Einzelmenfchen bis zu dem Grad, 
daß er im „Zipfel der Seele“ (cime de l’äme), in der „feinen Spitze 
der Seele“ (fine pointe de l’äme), im „oberſten und geiſtigſten Teil 
der Seele“ ſich ſelber beſitzt und im vollen Beſitz ſeines freien Willens 
nur noch „von ſich und von Gott abhängt.“ Dort haben auch „die 
göttlichen und übernatürlichen Anmutungen“ (affections divines et 
aurnaturelles) ihren Sitz, die der Heilige als weitere Stufe über die 
gewöhnlich frommen Anmutungen (affections chrétiennes) anführt. 
Die pſuchologiſche Frage nach der Deutung des „Seelengipfels“ würde 
dieſen Ortes zuweit führen. Soviel aber iſt gewiß, daß in dieſer rein 
geiſtigen Region das ſogenannte muſtiſche beben als die organiſche 
Vollendung der „vie devote“ ſich abſpielt. Zu diefen Höhen geiſtlichen 
bebens gelangt die Seele nur, wenn fie ſich zur vollſtändigen Ergebung 
und „heiligen Gleichgültigkeit“, zum „Tod des Willens“ erzieht. Man 
hat dem heiligen — insbeſondere Boſſuet in ſeinem leidenſchaftlichen 
Rampf gegen Fenelon — den Vorwurf des Quietismus und Semiquietis⸗ 
mus gemacht. mit Unrecht. Die heilige Gleichgültigkeit, von der er 
redet, kann wiederum nur zeitgeſchichtlich verſtanden werden. Luther 
und Calvin lehrten eine gänzliche Ohnmacht und Willenloſigkeit 
gegenüber dem Göttlichen, betonten aber um ſo ſchrankenloſer die 
Betätigung auf rein menſchlichen Gebieten. Im Dergleich zu dieſer 
Art Tätigkeit war das Ruhen des menſchlichen im göttlichen Willen, 
worin Franz von Sales die Vollendung der Frömmigkeit ſah, Un⸗ 
tätigkeit, Intereſſeloſigkeit. In Wirklichkeit aber iſt es höchſte Tätig⸗ 
Reit und Betätigung des letzten und höchſten Intereffes. Der heilige 
Biſchof vermied die Klippe, an der Molinos und Fenelon ſcheiterten, 
ohne das Gute, das in den Lehren beider lag, preisgeben zu müſſen. 
Franz von Sales beſitzt eine ausgeſprochene Hochachtung vor 
Eigenwert und Selbſtändigkeit des Einzelmenfchen. Er achtete die 
Freiheit jeder Seele bis zum äußerſten, ſolange nur die Willens⸗ 
richtung eine gute blieb. Man kann ihn als den Schöpfer des indivi⸗ 
duellen Gebets- und Frömmigkeitslebens im heutigen Sinn bezeichnen. 
mag man dieſe Art des Betens aliturgiſch nennen, es wäre geiſtige 
KRurzſichtigkeit, wollte man dem heiligen das Derftändnis für das 
liturgiſche Gebet abſprechen. Das liturgiſche Bebet hatte ſich in einer 


42 
deit gebildet, wo die antike Gemeinſchaftsgeſinnung die Menſchen 


noch ganz beherrſchte. Die Verſchiebung des Derhältniffes zwiſchen 


Einzelmenſch und Bemeinfchaft, wie fie das Renaiſſancezeitalter mit 
ſich brachte, machte eine Erweiterung des Kreifes notwendig. 


Beift und Wirken des hl. Franz von Sales zeigen in ihren natür⸗ 


lichen Grundlinien alle Merkmale, die wir für Renaiſſance und Re⸗ 


formation charakteriſtiſch fanden. Natürliche Anlage, Erziehung und 


Lebenserfahrung, die natürlichen Faktoren in der Entwickelung des 
Heiligen atmen den Geiſt ſeiner Zeit. Und doch trennt ein unüber⸗ 
brückbarer Abgrund das Werk des Heiligen von dem der Reformatoren. 
betzteren fehlte gerade das, was Formelement im Wirken des großen 
Biſchofes war: die Beziehung zum wahrhaft Übernatürlichen. Sie 


ſchuf aus denſelben Gegebenheiten eine neue, anders geartete Welt. 


Zwei große Kanäle find es, die den Zufttom des Übernatürlichen 
in die Niederungen der Natur ſichern: Euchariſtie und päpſtliche Un⸗ 
fehlbarkeit. Es war Franz von Sales, der dieſe beiden Grundtat⸗ 
ſachen in den Mittelpunkt des religiös⸗kirchlichen Lebens rückte, und 
zwar in der Weiſe, wie wir ſie heute in ihrer vollen Entfaltung vor 
uns ſehen. Wie tief immer die Wandlungen im Gemeinſchaftsgebaren 
der Menſchen auch ins kirchliche Leben greifen mögen, Euchariſtie 
und Unfehlbarkeit bleiben die beiden unverrückbaren Pole in der Er⸗ 
ſcheinungen Flucht. Verinnerlichung und Derfelbftändigung der Einzel⸗ 
menſchen ſind mit allen Mitteln zu fördern. Sollen ſie aber nicht 
in ihr Gegenteil, in Deräußerlichung und Verſklavung, alfo ins Heiden⸗ 
tum umſchlagen, fo muß in Eudariftie und päpſtlicher Unfehlbarkeit 
die innigſte Derbindung mit dem Übernatürlichen gewahrt bleiben. 
Euchariſtie und Unfehlbarkeit find die beiden Leitfterne, die das 
Chriſtentum zum Abſchluß ſeiner Sendung führen werden: zur vollen⸗ 
deten Semeinſchaft der vollendet verinnerlichten und een 
Einzelmenſchen. 

Franz von Sales legte die behre von der päpſtlichen Unfehlbarkeit 
bereits mit der Klarheit und Beſtimmtheit dar, mit der fie das Dati- 
canum zum Glaubensſatz erhob. Das Breve, das dem heiligen 1877 
die Würde eines ktirchenlehrers verlieh, legt gerade auf dieſen Punkt 
beſonderen Nachdruck, wenn es ſchreibt: „Vor allem verteidigte er 
(der Heilige) das Anſehen des Apoftolifchen Stuhles und der römifchen 
Biſchöfe als der Nachfolger des hl. Petrus. Er legte Sinn und Weſen 
des Primates bereits mit einer ſo lichtvollen Schärfe dar, daß er den 
Entſcheidungen des Vatikaniſchen Konzils vorauseilte. Wahrhaftig, 
ſeine Ausführungen über die päpſtliche Unfehlbarkeit in der 40. Pre⸗ 


43 


digt des „Controversarium“, deren Urſchrift gerade während der Ver⸗ 
handlungen des Daticanums entdeckt wurde, find derart, daß ſie einige 
noch ſchwankende Väter zur Abſtimmung für die Lehrentfcheidung 
beſtimmten.“ n 

Franz von Sales war ferner ein glühender Verehrer des aller⸗ 
heiligſten Altarſakramentes. Er ift der eigentliche Urheber der eucha⸗ 
riſtiſchen Frömmigkeit, wie fie zum ſprechendſten Wahrzeichen leben⸗ 
digen katholiſchen Lebens unſerer Tage geworden iſt. Frau von 
Chantal lüftet wiederum mit zarter Hand den Schleier von dieſem 
Geheimnis feines Seelenlebens. Nachdem fie mit heiliger Ehrfurcht die 
engelgleiche Sammlung und Verklärung des Heiligen beim Lefen der 
hl. Meffe geſchildert hat, fährt fie fort: „Er hatte eine ganz befondere 
biebe zum allerheiligſten Sakrament. Es war [ein wahres Leben 
und feine eigentliche Kraft. O Gott! Welche brennende und ergreifende 
Andacht hatte er, wenn er das Allerheiligſte bei Prozeſſtonen trug. 
Sie hätten da einen leuchtenden Cherub ſehen können. Unausſprechliche 
Feuergluten zogen ihn zu dieſem Sakrament.“ 

Damit haben wir das betzte und Tiefſte im Geilt des hl. Franz 
von Sales enthüllt. Euchariftie und Unfehlbarkeit bilden den über: 
natürlichen Mittelpunkt, in den alle natürlichen Linien feiner Per⸗ 
ſönlichkeit einmünden. Es find an ſich dieſelben Linien, die wir in 
den Reformatoren und ihrer Zeit feſtſtellen konnten, nur laufen 
bei dieſen die Linien einem Mittelpunkt zu, der die unmittelbare Der- 
neinung des ſaleſianiſchen iſt: bedingungsloſe, einzelperſönliche Inner⸗ 
lichkeit, die Chriſtus feiner Gottheit, Wirklichkeit und feiner ſakra⸗ 
mentalen Gegenwart entkleidet, keine von außen kommende, gemein⸗ 
ſchaftsbindende Autorität anerkennt. 80 entſtanden aus gleichen 
Elementen zwei weſensverſchiedene Gebilde, die wie Natur und Über⸗ 
natur voneinander ſich abheben. 

Der Geift eines hl. Franz von Sales könnte gerade unferer Zeit 
Zeihen und Wegweiſer werden. 


e" durch die mühſame Dorarbeit wiſſenſchaftlicher Einzelunter⸗ 
ſuchungen wird es gelingen, den Strom des afzetifchen Lebens 
an ſeiner Quelle zu faſſen, ihn in ſeinem Fluß durch die Jahrhunderte 
zu verfolgen ... und aus der Fülle zeitgeſchichtlicher Erſcheinungen 
den allgemein kontinuierlich überlieferten Beſtand der chriſtlichen Aſzeſe 
feftzulegen ... welches Studium trüge reicheren Lohn in ih... 
P. de Chastonay in den Stimmen der Jeit 89 (1915) 270. 


44 
Erinnerungen an einen Meiſter liturgie= 


geſchichtlicher Forſchung. 


Bon P. Cunibert Mohlberg (Maria⸗PGaach). 


m 17. Februar 1922 werden fünf Jahre voll ſeitdem E. Bishop 

in feinem ſtillen heim zu Barnſtaple in England geftorben iſt (ö). 
Mit ihm ſind in der Zeit des Krieges und ſeit die Waffen ruhen 
eine Reihe um die Giturgiewilfenfchaft verdienter Männer vom Suchen 
und Forſchen zum Finden und Beſitzen abberufen worden: Dom 
Marius Férotin O. S. B. (+ 15. Sept. 1914), der ſich um die Er- 
forſchung und Herausgabe der ſpaniſchen Liturgiedenkmäler () das 
höchſte Derdienft erworben hat; — der proteftantifche Gelehrte D. 6. 
Rietſchel (T 13. Juni 1914), durch feine liturgiegeſchichtlichen Bei⸗ 
träge zur Realenzuklopädie für proteſtantiſche Theologie und kirche () 
und fein Gehrbuch der Liturgie () unſeres Dankes wert; — Prälat Dr. 
fi. N. Kellner (+ 6. Febr. 1915) bekannt durch feine in verſchiedene 
Sprachen überſetzte Heortologie (); — der unermüdliche um die Er⸗ 
forſchung der Perikopenſuſteme () hochverdiente P. St. Beiſſel 8. 9. 
(T 31. quli 1915); — Prälat Dr. A. Franz (+ 16. Nov. 1916), der 


eifrigfte Pfleger und Förderer liturgiegeſchichtlicher Arbeit ()) — A. 


Holder (+ 12. Jan. 1916) (): — W. Meyer von Speyer (+ 9. März 
1917) () — 6. Rauſchen (+ 12. April 1917) (0; — Mfgr de Waal 
(+ 27. Febr. 1917) (“) P. hugo Gaiſſer O. S. B. ( 26. März 1919) (0. 


Unter dieſen und anderen, die im Rückblick auf die letzten Jahre 


in Ehrfurcht und Dankbarkeit zu nennen ſind, muß ein beſonderes 
Andenken dem Manne geweiht werden, der vielleicht der bedeutendſte 
Gelehrte auf dem Gebiete geſchichtlicher Liturgie war: Edmund Bishop. 
Die deutfche Citurgiewiſſenſchaft insbeſondere verdankt ihm in zweien 
ihrer beſten Vertreter: P. Suitbert Bäumer O. 8. B. (+ 1894) ( und 
Prof. Dr. A. Ebner (T 1898) (0) eine weſentliche Förderung. Die 
liturgiewiſſenſchaftlichen Arbeiten in Deutſchland ſind in einer Weiſe 
in Fluß gekommen (), welche die Hoffnungen des ſterbenden Ebner 
übertrifft und dem Geiſte des toten E. Bishop ſo ganz entſprechend 
ift; fo darf gerade jetzt des letzteren Name mit Fug genannt werden. 
Ich perſönlich fühle mich noch in beſonderer Weiſe dazu gedrängt; 
denn im Sommer 1911 durfte ich in verhältnismäßig kurzem, aber 
in um fo vertrauterem perſönlichen Derkehr mit dieſem einzigartigen 
Manne ſoviel für grundſätzliche Ruffaffung liturgiegeſchichtlicher Fragen 
lernen und foviel Anregung, Mut und kraft ins beben und an die 


45 


Arbeit von ihm mitnehmen, daß es mir herzensbedürfnis ift, das zu 
bekennen und den Gewinn mitzuteilen. 

Edmund Bishop wurde am 17. Mai 1846 zu Totnes (Devonshire) 
von anglikaniſchen Eltern geboren. Die erſte Schulbildung erhielt er 
zu Ashburton und Exeter. Hernach bezog er obwohl Anglikaner ein 
katholiſches Inſtitut in Belgien. Der Schule entwachſen übernahm 
er einen eigenartigen Dienſt bei dem gelehrten Hiftoriker und Schrift⸗ 
ſteller Thomas Carlule (+ 1881). Dieſem war der einzige Setzer 
geftorben, der feine unleſerliche Handſchrift entziffern konnte. 50 
mußte Carlule ſich um eine hilfe zum Umſchreiben für den Druck 
bemühen. Bishop trat in ſeinen Dienſt, nachdem er an einem ad hoc 
zuſammengekritzelten und beſonders umſtändlich verbeſſerten Fetzen 
ſein Examen gemacht und beſtanden hatte. Der ungewöhnlichen 
Handſchrift, meinte Carlyle, werde wohl auch ein ungewöhnlicher 
Schreiber entſprechen. Zweifellos war der Verkehr mit dem alten 
Gelehrten für die zukünftige Geiftesrichtung des jugendlichen Mannes 
nicht ohne nachhaltigen Einfluß. Wie Carlule ſo ſehen wir in der 
Tat Bishop vielſeitig geiſtig intereffiert für Geſchichte und ſchöne Lite 
ratur, Altertumskunde und Theologie, kurz für alles, was auf dem 
Gebiete des Beiftes geworden war und lebte. Wie Carlyle hatte 
Bishop Verſtändnis für deutſche Geiftesart; die hiſtoriſche Schule, aus 
der die Arbeiter für die Monumenta Germaniae heranwuchſen, galt 
ihm als die beſte. Wie Carlule war Bishop originell, manchmal 
ekzentriſch. Vor allem aber glühte in Bishop wie in Carlule etwas 
vom Propheten und der Haß gegen alle Unwahrhaftigkeit und jeden 
Schein. Während aber Carlule das Vergangene dichteriſch ſchaute, 
äußerte ſich Bishops Wahrheitswille im ſtärkſten Sinne für die Tat⸗ 
ſachen. „Tatſachen keine Theorien!“ war von früh an fein Leitwort. 

1864 trat Bishop in der Abteilung für Erziehung und Unterricht 
des „Privu Council Office“ in Dienſt. Zwanzig Jahre lang arbeitete 
er hier für den hohen Staatsrat; zugleich aber privatim für die Wiſſen⸗ 
ſchaft. In den Sommer 1867 fällt die Epifode, von der er ſpäter 
ſchrieb (): Wie lang war der Weg, der mich bis zur Überzeugung 
von meiner Unwiſſenheit führte. Mehr als 32 Jahre find vergangen, 
ſeit ich von einem anregenden Geſpräche über Bücher den alten Mar⸗ 
tene heimtrug und Mabillons „Museum italicum“ bei Mr. Weſtell 
kaufte. In jenem Sommer las ich Martene von einem Ende bis 
zum anderen und wurde dann im Kaufe der Lektüre Ratholiſch.“ 
Nach der Schule Carlules war es alſo hauptſächlich die der Mauriner, 
in der Bishop ſich weiter bildete. Die Freiſtunden ſeines Amtes ver⸗ 


46 


brachte er unter den Handſchriften und Büchern des Britifchen Mu⸗ 
ſeums und des „Record Office“. Damals entdeckte und ſchrieb er u. a. 
an der „Collectio Britannica“, der wertvollen Sammlung von drei⸗ 
hundert Papſtbriefen vom fünften bis elften Jahrhundert; verzichtete 
aber dann auf die Ehre einer Sonderveröffentlichung und ſchenkte 
ſeine Arbeit in freigebigſter Weiſe der Geſellſchaft der Monumenta 
Germaniae (). 

Im Jahre 1885 trat Bishop aus dem Staatsdienſte aus und trug 
ſich mit Kloſtergedanken. April 1886 kam er nach der Benediktiner⸗ 
abtei Downfide. Damals ſchrieb fein Freund, der franzöſiſche Gelehrte 
Graf Riant: „Bishop iſt meines Erachtens ein Gelehrter erſten Ranges, 
er iſt in hervorragender Weiſe befähigt Editionen vom Range eines 
Dugdale Wharton und der Gebensbefchreibungen engliſcher Heiligen 
zu ſchaffen. Er hat immenſes Wiſſen, überaus ſicheren und ſehr feinen 
kritifchen Sinn, dazu große Arbeitskraft und ſtärkſtes Bedürfnis nach 
kleinfter Genauigkeit. Er hat das Zeug zu einem Montfaucon oder 


Mabillon. Ich hoffe und wünſche, daß feine neuen Oberen den Wert 


der Erwerbung ermeſſen, die fie in feiner Perſon machen. Er iſt im⸗ 
ſtande, für Großbritanien das große katholiſche Geſchichtswerk zu er⸗ 
ftellen.” Ob die klöſterliche Wirklichkeit feinen Jdealen nicht ent⸗ 
ſprach und ihm der Beruf fehlte, oder ob feine Gefundheit dem mo⸗ 
naſtiſchen beben nicht genügte, Bishops Name kam nicht in den 
Mönchskatalog der Abtei. Im Jahre 1889 gab er den Gedanken, 
Benediktiner zu werden, auf, blieb aber dem Haufe Downfide bis zu 
ſeinem Tode in treuer Anhänglichkeit ergeben und gewann auf das 
Beiftesleben der Abtei den größten Einfluß. Don 1893 bis 1901 
arbeitete er zuſammen mit Dom Ridan Gasquet, dem ehemaligen 
Prior von Downfide, jetzigen kardindf und Präſident der Dulgata= 
Rommiffion, zu London in der Great Ormond Street in der Nähe des 
British Museum (). Unter feinem Einfluſſe ſtanden die ordens⸗ 
geſchichtlichen Studien Dom CE. C. Butlers, gegenwärtig regierenden 
Abtes von Downrfide. Ruch was Dom N. B. Kuupers „Book of Cerne“ 
(1902) als Textausgabe und in liturgiegeſchichtlicher hinſicht leiſtet, 
geht auf E. Bishop zurück (). Dom h. Connollus Arbeiten über 
Narſai (1909) ( und die Richtung feiner ſyriologiſchen Studien knüpfen 
‚ebenfalls an E. Bishop an. Er hat auch auf manche Arbeiten Dom 
Gasquets, des jetzigen Kardinals, eingewirkt, oder ſich wenigſtens für 
fie eingeſetzt, wie 3. B. für den Bosworth Psalter (1908) (“). Sein 
Einfluß blieb nicht auf den Bezirk der Abtei Downfide beſchränkt, 
auch die Benediktiner in Belgien und Deutſchland ſollten davon nach⸗ 


w . ——j˖.—r—. — ——— — 


47 


haltig berührt werden. Dom Germain Morins patriftifche und litur⸗ 
giſche, Dom Ursmar Berlières monaſtiſche Studien gehen in ihren 
Anfängen über P. Bonifatius Wolff (T 20. März 1920) teilweiſe auf 
E. Bishop zurück, oder wurden direkt durch dieſen gefördert. P. B. 
Wolff ſelber verdankte E. Bishop die reichen Anregungen auf wiſſen⸗ 
ſchaftlichem Gebiete, die er in ſeinen beſten gahren empfing und an 
andere übertrug, fo vor allem an die beiden genannten Mönche der 
Abtei Maredſous. Auch das Beſte, was deutſche Benediktinergelehr⸗ 
ſamgkeit in den neunziger Jahren hervorgebracht hat, iſt von E. Bis⸗ 
hop befruchtet. P. Suitbert Bäumers Arbeiten über das „Stowe 
Miſſale“ (1892) (“% und über das „Sacramentarium Gelafianum“ 
(1893) (0, vor allem aber der breite zeitgeſchichtliche hintergrund 
feiner Breviergeſchichte (), das Spiel und Gegenfpiel von Liturgie 
und kirchlichem Leben, von Liturgie und politiſcher Geſchichte find 
Derdienſte €. Bishops. Es ift heute kein Geheimnis mehr, daß P. 
S. Bäumers Name für E. Bishop lange gahre hindurch die Deckung 
war, hinter dem dieſer gegen die damals erſcheinenden liturgiegeſchicht⸗ 
lichen Arbeiten Duchesnes () und Batiffols (“) Stellung nahm. Erft 
mit dem Tode P. 8. Bäumers (1894) beginnt E. Bishop einzelnes 
ſelbſtändig zu veröffentlichen. 80 noch in demfelben Jahre im An⸗ 
ſchluß an Wilſons Ausgabe des „Sacramentarium Selasianum“ feine 
bedeutende Arbeit über das älteſte römiſche Meßbuch (“). Im Jahre 
1899 die nicht weniger wertvolle, viel Aufſehen erregende, populär⸗ 
wiſſenſchaftliche Studie über den Geift des römiſchen Ritus (“). Im 
gleichen Jahre eine ziemlich unbekannt gebliebene Unterſuchung über 
das Ayrie eleison (*). . Der 1902 erſchienene Anhang zu der bereits 
genannten () ftuuperſchen Ausgabe des „Book of Cerne mag als 
charakteriſtiſches Beiſpiel für die wiſſenſchaftliche Art Bishops genannt 
werden. Sie kann in letzter Ginie als die Arbeit des gefunden Menſchen⸗ 
verſtandes an hiſtoriſchen Tatſachen und Texte bezeichnet werden. Er 
berief ſich dafür gerne auf den alten Bocquillot. (“) Es folgte eine 
Arbeit über den chriſtlichen Altar (“) mit einer Bibliographie von 
75 Nummern als Beigabe (1905), und die bereits genannte (“) mit 
Dom Gasquet durchgeführte Studie über den Bosworth Pſalter (1908). 
Don 1909 an erſchienen im „Journal of theological Studies“ als 
„Liturgical Comments and Memoranda“ (“) eine Reihe liturgiege⸗ 
ſchichtlicher Studien, die ganz das Gepräge ſeiner eigentümlichen 
Geiftesart tragen. | 

Bishop war krank und brauchte Hilfe; die wurde ihm in Dom 
A. Wilmart und Dom P. de Puniet, zwei Mönchen aus der franzö⸗ 


48 


ſiſchen Benediktiner-Rongregation von Solesmes. Nun ſchloß fih um 
ihn in einem internationalen Kreife zuſammen, was an benediktini- 
ſcher Kraft der liturgiegeſchichtlichen Forſchung gedient hatte und zu 
dienen bereit war. 

Im Sommer 1911 durfte ich bei einem Aufenthalt in England 
mit E. Bishop zuſammentreffen. Die mit dieſem ſeltenen Manne 
damals vom 16. bis 23. Juli geführten acht bis zehn Beſprechungen 
habe ich in Tagebuchnotizen ſorgfältig gehütet. Sie charakterifieren 
die eigene Geiſtesart Bishops, feine Auffaffung von der wiſſenſchaft⸗ 
lichen Arbeit im allgemeinen, insbeſondere ſeine aus langer Erfahrung 
gefloſſenen Erkenntniſſe für die liturgiegeſchichtliche Forſchung und 
geben ein deutliches Bild von ſeiner perſönlichen Entwicklung. Ein⸗ 
zelne Ergebniſſe feiner Forſchung follen einer ſpäteten Darſtellung 
vorbehalten werden. hier intereffieren uns nur feine grundlegenden 
Auffaſſungen. 

E. Bishop ſprach nie von „Liturgie“, ſondern von „Christian Wor⸗ 
ship“ (“), chriſtlichem Gottesdienft, ſah darin „das innerſte und inner⸗ 
lichſte beben der Menſchheit, die zarte Blume der Ziviliſation“ und 
empfahl das Studium der Liturgie im weiteſten Sinne als „beben der 
Kirche“. Ihre Gefchichte wollte er aus dem chriſtlichen Gefamtmilieu 
heraus begriffen und dargeſtellt ſehen. Darum hielt er das Studium 
der chriſtlichen Kultgeſchichte für das anſpruchsvollſte. Es fordere 
Schriftkunde und Philologie, politiſche Gefchichte und Geographie, 
Dolkskunde, patriſtiſche und mittelalterliche Literaturkunde und ſchließ⸗ 
lich die Theologie ſelber als Hilfskräfte. 

Die Hauptprobleme der liturgiegeſchichtlichen Forſchung fah Bishop 
bei den Knoten der Entwicklung: zunächſt im Morgenlande vom 
zweiten bis fünſten Jahrhundert. Dabei dachte er nicht nur an geru⸗ 
ſalem und Alexandrien, Konftantinopel und Antiochien, ſondern auch 
an Edeſſa und an die Ufer des Euphrat. Vom fünften Jahrhundert 
an verſchiebe ſich das Intereſſe des Hiſtorikers nach dem Abendlande 
bis zum neunten und gehe über auf Rom und Mailand, auf Spanien 
und Frankreich und die britiſchen Infeln, auf das ganze Hochmittel⸗ 
alter mit feinen Parallelſtrömungen und Gegenbewegungen. Damit 
folle jedoch die Zeit nach Juſtinian für das Morgenland und die 
Geſchichte nach karl dem Großen keineswegs ausgeſchloſſen fein. 
Bishop verlangte gleich liebevolles Intereſſe für die Erforſchung der 
Rircheninventare, der Privaturkunden des ſpäten Mittelalters, wie 
für die Sakramentarien und die übrigen liturgiſchen Quellen früherer 
Zeiten. Darin offenbarte ſich der geborene geiſtvolle Hiftoriker, daß 


49 


er die geſchichtliche Dergangenheit Reiner Zeit und keines Dolkes der 
hiſtoriſchen Unterſuchung für unwert hielt, ſondern für alle Geſchlechter, 
für jede Art und für jedes kultiſche Gebilde Derftändnis und Auf: 
merkſamkeit befaß und verlangte. Er ſprach von einer vergleichen⸗ 
den methode auch in dem Sinne, daß er das Alte an jüngeren und 
modernen Problemen zu ſtudieren empfahl. ga er gab der vom Späteren N 
zum Früheren zurückſchreitenden Forſchungsweiſe den Vorzug. — 
„Das Geringe nicht verachten,“ lehrte er mich an einem ſonnigen 
Morgen, als wir das Studium der liturgiſchen Schriftſteller des 
Mittelalters von Amalarius bis Radulphus de Rivo beſprachen. Wie 
Bishop über die äußere Deranlaffung der Wandlungen liturgiſcher 
Gebräuche dachte, hat er in der Einleitung zur Studie über den chriſt⸗ 
lichen Altar geſagt: (“) „Es kann nie genug betont werden, daß 
weder perfönliche Einfälle leitender Stellen noch... kirchliche Dekrete 
die Wandlungen ſchufen, ſondern der Sinn ... des chriſtlichen Volkes.“ 

Aus dieſer breiten und lebens vollen Auffaſſung der Gefamterfcheinung 
des chriſtlichen Kultus und der erwähnten Anſicht vom gefunden Dolks- 
verſtand erklärt ſich die ablehnende Haltung E. Bishops gegenüber 
liturgiſchen Reformbewegungen. Er ſah darin einen Reſt der Ro⸗ 
mantik. „Man hat Erinnerungen zu Hoffnungen gemacht,“ meinte 
er mit den Worten der Frau Stael. Seine Ehrfurcht dem hiſtoriſch 
Gewordenen gegenüber litt nicht, daß Erworbenes verworfen, Doran= 
ſtrebendes zurückgeſchraubt werde. Dabei bedauerte er aufrichtig, 
daß dem Volke Sinn und Gefühl für das liturgiſche beben und ſeine 
Übung verloren gegangen war. Die heilung erwartete er von der 
Geiftlichkeit; fie müſſe zu den Grundbüchern der Liturgie, beſonders 
zu Brevier und Miſſale als den lebendigen Quellen des Gebetes und 
der Betrachtung zurückkehren. Vor allem ſollten die Pſalmen Gebet 
werden. Bei einer Reform des Breviers — es war im Sommer 1911, 
alſo vor der Reform Pius X. — ſei vor allem das moderne beben 
zu berückſichtigen. Den Geiſtlichen müſſe ihre Arbeit an Samstagen 
und Sonntagen durch ein entſprechendes Offizium erleichtert werden. 
muſter waren ihm die Breviere der gallikaniſchen Liturgie, deren 
völliges Verſchwinden er bedauerte. Daß E. Bishop zu Lebzeiten 
beos XIII. von dieſem für eine liturgiſche Reform des kirchlichen 
Offiziums zu Rate gezogen worden iſt und dafür gearbeitet hat, 
dürfte wenig bekannt ſein. 

nie vergeſſe ich den Abend, an dem E. Bishop unſere Unter⸗ 
haltungen zuſammenfaßte und mit mahnend erhobener Hand warnte: 
„Arbeiten Sie nie für das Schaufenſter.“ Bishop haßte die Ehr⸗ 

Benediktinifhe Monatſchrift IV (1922), 1—2. 4 


50 


geizigen, die nur perſönliche Erfolge bei ihrer Forſchung ſuchen, und 
die Oberflächlichen, die alles angreifen und nichts vollenden. „Beſſer 
einfach und treu ihre Berufspflichten erfüllende Prieſter als eingebildete 
geiſtliche Gelehrte.” Unvergeßlich wird mir das Wort Miltons bleiben, 
das er mir in der allererſten Stunde unſeres Zufammenfeins und immer 
wieder einprägte: „Huch jene dienen, die nur daſtehen und warten.“ 

neben dieſer großen Liebe zur Wahrheit und demütigem gewiſſen⸗ 
haftem Arbeitsſinn forderte Bishop für den Forſcher jenes „Gefühl 
der Unwiſſenheit“, das einſt über ihn kam, als er Martene las. 
Er unterſchied die hiſtoriſche Arbeit ſcharf von der naturwiſſenſchaft⸗ 
lichen. „Reine Chemie,“ warnte er und verurteilte damit die äußerliche 
Bearbeitung der geſchichtlichen Dergangenheit. Es gibt nach der Nuf⸗ 
faſſung Bishops keine fertige Kultgeſchichte, fie muß erſt durch lang⸗ 
ſames Taften, umſichtiges Sammeln aus Verſuchen und Wahrſcheinlich⸗ 
Reiten ganz allmählich erſtehen. Die Schwierigkeiten erwachſen dabei 
hauptſächlich daraus, daß die Denkmäler der Liturgiegeſchichte faſt 
alle ohne Angabe der Derfallerfchaft daſtehen und ſelten aus einem 
Guſſe wurden. Oft find die verſchiedenſten Elemente verſchmolzen 
und das Ganze bleibt unverſtändlich, ſolange die Beſtandteile nicht 
erkannt ſind. Das gilt vor allem von dem ſo mannigfach verſchiedenen 
Geift der einzelnen chriſtlichen Dölker im Schoße der gleichen Kirche. 
Nur die mühſamen und ſorgfältigen kleinen Unterſuchungen, gepaart 
mit weitem Blicke für das Ganze, führen allmählich zu einer einiger⸗ 
maßen ſicheren Erkenntnis. Jeder wahre Fortfchritt an Erkenntnis er⸗ 
zeugt aber geſteigerte Sehnſucht nach höherer Einficht und Trauer über 
die Unvollkommenheit der Erworbenen. Das von E. Bishop geforderte 
„Bewußtſein des Nichtwiſſens“ iſt alſo Gewähr ernſthaften Strebens 
nach Erkenntnis und das ſicherſte Kennzeichen echten Fortſchreitens. 

Noch fehlt im Bilde Bishops ein weſentlicher Jug: er beſaß eine 
Bücherkunde wie wenige. Rardinal Gasquet berichtet (“) darüber 
aus der Londoner Zeit gemeinfamer Arbeit in der „Great Ormond 
Street“: „Wieder und wieder frug ich nach dem beſten Werk für die 
und die Frage, und ſofort kam als Antwort eine Reihe von Autoren, 
die Namen ihrer Werke, das Jahr der Veröffentlichung, die beſten 
Ausgaben und der befondere Wert eines jeden. Genau fo war es 
mit dem großen Hand ſchriftenſchatz des British Museum. Er ſchien 
ihn durch und durch zu kennen; ich glaube, daß nie einer die Hand⸗ 
ſchriften fo gekannt hat und wieder fo kennen wird.“ Der Kardinal 
erzählt dann weiter () von einem Beſuche Bishops auf Monte 
Caffino. Der damalige Archivar und Prior, der jetzige Abt Amelli, 


51 


bat Bishop, ihm die beften Werke für liturgiſche Studien anzugeben. 
Dieſer ſetzte ſich an die Arbeit und ſchrieb innerhalb vierundzwanzig 
Stunden auf vierundzwanzig Quartblätter in kleiner Schrift einen 
Bericht über die beſten Schriften nieder: „Jeder war eine Angabe über 
ihren kritiſchen Wert beigefügt.“ Abt Amelli geſteht, daß er nie je⸗ 
manden ein ſo wertvolles und praktiſches Bücherverzeichnis irgend⸗ 
welcher Art in ſo kurzer Zeit hat ſchaffen ſehen und zwar ohne ein 
Buch oder irgendwelche Notizen. Dieſe umfaſſende Literaturkenntnis 
hatte ſich Bishop in folgender Weiſe erworben: als junger Mann 
hatte er ſich daran gewöhnt, für die verſchiedenen Gegenftände feines 
Studium jeweils Hauptwerke zu nehmen, auf Literatur und Quellen 
zu unterſuchen und Jo feſtzuſtellen, wie weit ihr autoritativer Wert 
gehe. So hatte er 3. B. „Die Geſchichte des Derfalles und Untergangs 
des römifchen Reiches” von Edward Gibbon (“) behandelt. Für das 
Studium der Giturgie war ihm zunächſt Grimaud (“) Führer gewefen. 
Ferner lobte er Dilette, (“) Bocquillot (“) und vor allem den Bene⸗ 
diktiner Claudius de Bert (“), die er die „Schule des gefunden Men⸗ 
ſchenverſtandes“ nannte. Die kritiſche Behandlung liturgiſcher Ur⸗ 
kunden hatte er von Ernſt Ranke (“ gelernt; bei Theodor kfliefoth (“) 
war ihm zum Bewußtſein gekommen, wie notwendig ein lebendiges 
Intereffe für die gottesdienſtlichen Formen und Formeln zum vollen 
Derftändnis der Liturgie ſei. 6. h. Forbes (), der ſich in einſamem 
ſtillen Studium der gallikaniſchen Liturgien angenommen hatte, ſtellte 
er neben Caſſander, neben Bona, Tommaſt und Mabillon. Als die 
beſten Vorbilder ſtreng wiſſenſchaftlicher Arbeit galten ihm die Arbeiten 
der Gefellfhaft der „Monumenta Germaniae Historica“. An fie wies 
er mich in der letzten Stunde unſeres Juſammenſeins. 

Seitdem ift manches durch das band gegangen. Mitten im Kriege, 
am 17. Februar 1917 ift Edmund Bishop zu Barnſtaple geſtorben. In 
Downfide, wohin er feit vielen Jahren regelmäßig zu einem mehrmonat⸗ 
lichen Sommeraufenthalt kam, hat man ihn begraben. Die Mönche 
haben im Rlofter E. Bishop pietätvoll folgende Gedenktafel geſetzt: 

MEM ORIAE EDMVNDI BISH OP VIRI INTER REI LITVR- 
GICAE PERI TOS EXIMI | VI DOCTIS LVCUBRATIONI- 
BVS | AMICITIS ERVDITORVM CLARVS | CLARIOR PIE- 
TATE MODESTIA CARITATE | QVA NVLLI SE CONSV- 
LENTI DEFVIT | EX HAC VITA MIGRAVIT | DIE XIX FEB. 
ANNO MCMXVI | AETATIS SVAE LXXI | ATQVE IN VICINO 
MONACHORVM COEMETERIO | IPSE ANIMO MONACHVS | 
VBI OPTAVERAT REQVIESCIT | ANIMAE IMPLORA PACEM. 

4* 


52 


Was er gearbeitet und das, womit er anderen gedient hat, lebt 
fort. Die eigenen, da und dort veröffentlichten Studien hat er kurz 
vor ſeinem Tode noch überarbeitet. Sie ſind, da er ſchon im Grabe 
ruhte, in einem prächtigen Bande erſchienen: die „Liturgica Historica“, 
das Denkmal feines Lebens und Schaffens. So bedeutend dieſes Buch 
an Umfang und Inhalt fein mag, es iſt doch kein ‚Standard Work’, 
das im Derhältniffe ſtünde zu feinem Wiſſen und Können und zu 
feinem ſeltenen Genie. Weit mehr hat er anderen geholfen und ge⸗ 
geben: Eigenes, das er erarbeitet und das fortlebt in fremden Werken. 
Vieles bleibt begonnen und unvollendet in ſeinem literariſchen Nach⸗ 
laß. Was aber vor allem unter uns fortleben möge, iſt Bishops 
Geift, der Geift, von dem eine jede feiner Arbeiten Zeugnis gibt, der 
ſich uns als ein unbedingtes Streben nach Wahrheit und Wahrhaftig⸗ 
keit und als reſtloſe hingabe an ſie offenbart, die gepaart gehen mit 
einer großmütigen dienenden Liebe und mit harrender ſtarker Geduld. 
In dieſen Geſinnungen hat er geſtanden und gewartet und vielen 
gedient und dadurch die liturgiewiſſenſchaftliche Forſchung wie keiner 
gefördert. | 
miltons Wort, das Bishops Lieblingsfentenz geworden war, hat 
ſich an ihm in ergreifender Weiſe erfüllt: „Auch jene dienen, die nur 
daſtehen und warten.“ 


Anmerkungen. 


() Über e. Bishop gibt die Downside Review 36 (1917) 2/11: fl personal 
appreciation bu 8. €. Cardinal Sasquet; 12/18: Hommage d'un disciple et d' un 
ami bu D. Andre Wilmart; 29/35: Some recent notices of €. B. Darunter die 
Notiz von D. Hugh Connolly im Tablet 1917 (3. märz). Außerdem erſchienen Nach 
rufe: im Journal of theological Studies 18 (1917) 97/102 von N. Robinſon, 
in der Rivista liturgica 4 (1917) 46/8 von Abt Amelli, in den Etudes (1919) 
II. 68/76 von A. d' Alès. 

() Ge biber Ordinum en usage dans l'eglise wisigothique et mozarabe d' Es- 
pagne du Ve au Xle siècle [Mon. Eccl. Pit. V (1904) XLVI, 800 8.] — Piber 
Mozarabicus Sacramentorum et les Manuscripts mozarabes [Ebö. VI (1912) XCI, 
1096 8.] Einen Nachruf widmet ihm F. Cabrol im Journal of theol. Stud. 16 
(1915) 305/13. 

() Dgl. Abend mahlsfeier, Anaphora, Antimenfium, Graduale, Himmelfahrtsfeſt, 
Hoſtien, Kinderkommunion, Kirchenagende, Kirchenlied I (d. alt. Kirche), Kirchgang 
der Wöchnerinnen, Weihnachten. 

(*) Berlin 1900 1909. a 

(0) Freiburg i. B. 1901 (1. Aufl.), 1911 (3. Aufl.). Italieniſch (1906); engliſch 
(1908); Franzöſiſch (1909); Spaniſch (1910). | 

(9) Geſchichte der Evangelienbücher in der erften Hälfte des Mittelalters. Stim- 
men aus Maria Paach, 23. ergzgsbd. (Freiburg i. B. 1906). 

Die Entftehung der Perikopen des Römiſchen Meßbuches. Ebd., 24. ergzgsbd. 
(Freiburg i. B. 1907). Einen Nachruf wioͤmete ihm P. J. Braun in den Stimmen 
der Zeit 89 (1915) 505/13. 


53 


() Die Meffe im deutſchen Mittelalter (Freiburg i. B. 1902). — Das Rituale 
von St. Florian aus dem 12. Jahrhundert (Freiburg i. B. 1904). — Die Leiftungen 
und Aufgaben der liturgiſchen Forſchung in Deutſchland. In den Hift. Pol. Bl. 141 
(1908) 84/99. — Die kirchlichen Benediktionen im Mittelalter (Freiburg i. B. 1909, 
2 Böe). — Das Rituale des Biſchofs Heinrichs L von Breslau (Freiburg i. B. 1912). 
Das erfte Heft der liturgiegeſchichtlichen Forſchungen iſt Franz gewidmet. 

(°) Dielfah und dauernd um Liturgiekunde verdient durch meiſterhafte Be⸗ 
ſchreibung der Reichenauer liturgiſchen Hanöfchriftern zu Karlsruhe; daneben u. a. 
auch durch Veröffentlichung eines Reichenauer Rurzmarturologiums, wofür er den 
beſondern ehrenden Dank Giovanni B. de Roffis erntete; vgl. Röm. Quartalſchrift 
II (1889) 251. | 

(0) Fragmenta Burana (1901); Das Turiner Bruchſtück der älteften irifchen 
Giturgie (1903); Gildae oratio rhuthmica, die alten Reiſegebete, Papae Gelasii De⸗ 
precatio (1912); Spaniſches zur Geſchichte der älteſten mittelalt. Rhuthmik, — Über 
die rhuthmiſchen Preces der mozarabiſchen Liturgie (1913). Die Preces der moz⸗ 
arabiſchen Liturgie (1914). 

(% Eudariftie und Bußſakrament in den erſten ſechs Jahrhunderten der Kirche. 
(Freiburg i. B. 1908, 1. Aufl. 1910 2. Aufl.) 

(% Herausgeber der Römiſchen Quartalſchrift, Mitbegründer des Oriens christia⸗ 
nus, Erforſcher altchriſtlicher römiſcher Kultſtätten und Kultgegenſtände ufw. 

(%) Bekannt durch feine Studien zur Griechiſchen Kirchenmuſik. 

(% Dal. Anm. 22 — 24. E. Bishop hat 1905 in einer bibliographiſchen Lifte 
feine Mitarbeit an Bäumers Studien genau angegeben. 

(0% Dgl. C. mohlberg, Das fränkiſche Sacramentarium Gelasianum in ala⸗ 
manniſcher Überlieferung [Giturgiegefch. Quellen 1/2 (1918)] Einleitung S. XXV/VXXXVII. 
Mitteilungen aus dem Briefwechſel Ebner Bishop. Dieſer Band iſt dem Andenken 
ebners geweiht. 

(?5) Piturgiegeſch. Quellen u. Giturgiegefh. Forſchungen ſeit 1918, Jahrbuch für 
Giturgiewiffenfchaft ſeit 1920. Ugl. Bened. Mmonatſchrift 3 (1920) 495 ff. 

(% In der Studie über das Kurie eleiſon in der Downfide Review (1899). 

(1) Dgl. Neues Archiv 5 (1880) 275/414; 505/96. 

(0) Dgl. Gasquet in: Downfide Review 36 (1917) 5. 

(12) The Prayer Book of Aedeluald the Bishop commonly called The Book of 
Cerne by Dom A. B. Ruypers (Cambridge 1902). Dgl. die Einleitung u. Giturgical 
Note bu €. Bishop. 8. 234/83. 

(% The liturgical Homilies of Harsai: Einleitung und Überſetzung aus dem 
Suriſchen von Dom R. 8. Connolly; erläuternder Anhang 8. 87 — 163 von E. Bishop. 

(% The Bosworth Pfalter bu Abbot Sasquet und E. Bishop. Dgl. die letzte 
aus der Mitarbeit Bishops mit Card. Gasquet veröffentlichte Arbeit „responsiones 
Bregorii ad interrogationes beati Hugustini“ in den: Scritti varii di letteratura 
ecclesiastica dedicati al Kino Ab. Ambrogio Amelli O. 8. B. (Miscellanea Amelli, 
Montecaffino 1920). 

(7) In: Zeitſchrift f. Rathol. Theol. 16 (1892) 446 ff. 

() In: hiſtoriſches Jahrbuch 14 (1893) 241 ff. 

(% Geſchichte des Breviers (Freiburg i. B. 1895). Don Bishop ſtammt 8. 203/18, 
223/7, 228/40, 263 /5, 279/85, 303/27, 8. 265 F. 6 bis 304 3. 14. In der franzöſi⸗ 
ſchen Überfegung (Paris 1905) 1 293/304 F. 6, 306/16, 322/5, 327/42, 351/3, 378/80, 
400/09; II 1/33, 87 3.18 bis 96 F. 16. 

(0 Ges Origines du culte hrötien. (1889). 

(% Histoire du Bréviaire romain (1893). 

(%) The Earliest Roman Mass Book. In: Dublin Review (1894), jetzt: Gitur- 
gica Historica (Oxford 1918) 39/61. 

(?°) Dortrag in der historical Research Society, Weſtminſter 8. Mai 1899. Zuerft 


54 


gedruckt im Weekly Regifter (Mai 1899). Jetzt: Liturgica historica 1/19. Auch: 
Ga Die et les arts liturgiques 5 (1919) 677/93, 828/36, 869/80. 

(*) In der Downfide Review (Dezember 1899), (März 1900). Jetzt: Litur- 
gica Historica 116/136. 

(?°) Dol Anm. 19. 

(% Traite historique de la Giturgie sacrèe ou de la Messe. (Paris 1701) 
Preface 8. VII. f. 

() In der Downfide Review (Juli 1905). Jetzt: Giturgica Historica 20/38. 

(% Dgl. Anm. 21. 

(% I-II 10 (1909) 446 / 9, 592/603; III 11 (1910) 67/73; IV-VI=12 aan) 
384/413; VI-IX =14 (1913) 23/61. 

(% DBgl. Giturgica Historica 116. 

(% Giturgica Historica 20. 

(% Downfide Review 36 (1917) 5 f. 

(0% Ebda 8. 9. 

(?°) The History of the Decline and Fall of the Roman Empire bu Edward 
Sibbon. 12 Bde (Leipzig 1829). Aus dem Engliſchen überſetzt von K. 6. Schreiter. 
19 Bde (Leipzig 1805 - 1806). 

(0% G. Grimaud. La Liturgie sacrée, olı l’antiquite, les mustères et les c&r&- 
monies de la Sainte Messe sont expliquès .. (Gyon 1666, Paris 1678). 

(*) Cl. Villette. Les raisons de Loffice et cèrèmonies qui se font en T’Eglise 
catholique, apostolique et romaine (1611). 

(% P. N. Bocquillot. Traité historique de la Piturgie sacree, ou de la Iesse. 
(Paris 1701). 

(*?) explication simple littörale et historique des c&r&monies de Teglise. Bö. 1. 2. 
(Paris 1697—98); 2. Aufl. (1707—08); Bd. 3. 4, (1713). 

(*) Das kirchliche Perikopen⸗Suſtem aus den älteſten Urkunden der römiſchen 
biturgie. (Berlin 1847). 

(*) The ancient liturgies of the Gallican Church. (Burntisland 1855). 

(%) Giturgifhe Abhandlungen. Bö. 1-8. (Schwerin 1854 — 61). 


2 %%%jj. eee eee eesti eesseeceeessseeeseeeeese sees eee sees ese eee tee eee eres ess 
hennes es tests eee e eee eee eee eee ensesesseneeesst eden ene ses eesstesseeeesssseesseeeeeesse 


An die hl. Mutter des bichts. 
Aus dem Suriſchen überſetzt von P. Pius Zingerle O. 8. B. 
** 


Gruß, o Demütigfte, Dir, Jungfrau und Gebärerin Gottes! 
Mutter, von keinem Manne berührt! Sieh: alle Geſchöpfe 
Preiſen verherrlichend Dich, o Mutter des ewigen Lichtes! 
Du biſt genen, die ſitzen in Nacht, ein tröſtendes Vicht ſelbſt, 
Du der Gläubigen Zierde und Ruhm: und alle Geſchöpfe 
Preiſen verherrlichend Dich, o Mutter des ewigen Lichtes! 


(Harfenklänge vom Libanon, 1840, 8. 148.) 


„ „ & 


5 55 


Dom Ursmer Berlieres Führung 
durch die benediktiniſchen Jahrhunderte 
für Gebildetenkreiſe. | 


Don P. Anfelm Manfer (Beuron). 


In gründlicher und umfaſſender Pflege der Benediktinergeſchichte ſteht 

gegenwärtig anerkanntermaßen Dom Ursmer Berlière, Mönch 
von Maredſous und Mitglied der kgl. belgiſchen Akademie der Wiſſen⸗ 
ſchaften, zwar erfreulicherweiſe nicht allein, aber einzig da. Dertrauend 
nimmt man aus feiner unermüdlichen, vollen hand ein Buch entgegen 
über ein nun ſchon vierzig Jahre treu und erfolgreich bebautes Gebiet! 
Das Buch drängt ſchon vor dem beſen zum Dank an den hochwürdigen 
Derfaffer, der es weit über die gelehrten Fachkreiſe hinaus für die 
ungleich zahlreicheren Gruppen allgemein Gebildeter berechnet hat. 
Und er hat es dabei verſtanden, ſeine Schrift ebenſo faßlich, wie bei 
aller Gediegenheit auch genußreich zu geſtalten. Nach erfter und viel⸗ 
leicht noch mehr nach wiederholter Gefung ſchließt man vorliegendes 
Buch belehrten Geiftes und erwärmten Herzens mit geſteigertem Dank⸗ 
gefühl. Ein kleines, aber reiches, reifes und klares Buch kann an- 
muten wie eine Edelgabe des Herbſtſegens. 

Das Buch erwuchs aus dem lebendigen Wort: nämlich aus einer 
Reihe von Vorträgen an einen reis für Ausbreitung von Hochſchul⸗ 
bildung zu Brüſſel im Winter 1911 auf 1912. Es erſchien bald nachher 
auf vielfache Wünſche hin in erſter Auflage. Laut dem damaligen 
Vorwort rechnete der Derfalfer nur mit einem ganz kurzen Leben und 
Wirken feiner beſcheidenſt gewerteten Arbeit. Als die Auflage bald 
vergriffen war, verſiegte aber die Nachfrage keineswegs. Sie über⸗ 
dauerte den blutigen Weltkrieg und zeitigte die erſehnte zweite Auflage 
dieſes ganz friedſamen und frommen Frieden atmenden Buches. Es 
ift beſonders um viele Nennungen inzwiſchen erſchienener einſchlägiger 
Beiträge zur Mönchsgeſchichte bereichert. Dieſe Fülle von Schriften⸗ 
angaben jeweils hinter den einzelnen Kapiteln des Buches dient nicht 
allein zum Beleg ſeiner Anſchauungen und Tatſachenmitteilungen, 
ſondern nicht minder zum Weiterlernen. Ein Erſatz für dieſe Hinweiſe 
dürfte dermalen anderswo für weitere Kreiſe ſchwer zu finden fein. 
Mehr, ja tunliche Dollftändigkeit nach dieſer Seite hin ſtellt der um⸗ 
ſchauende Forſcher in feinem teilweiſe ſchon vollendeten wiſſenſchaft⸗ 
lichen Handbuch der Benediktinergeſchichte in Ausficht. In dieſen 
Schriftenliſten find die deutfchen Gelehrtennamen reich, ehrenvoll und 
wohl überwiegend vertreten“. 


15“ Oròdre monastique, des origines au XIIme siècle, par D. Urs mer 
Berlière, de Labbaue de Mlaredösous; deuzieme édition revue et complétée; Paris, 
B. Gethielleug, etc. 1921; 276 88. in 8°; 6,50 fres. 

2 Dabei ſtößt man hier ſelten auf fehlgeöruckte Uamen. So erſcheint z. B. der 
verdiente Geſchichtſchreiber des morgenländiſchen Mönchtums, Stephan Schiwietz, auf 
8. 34 auch in der Fehlform Schiewietz. Auf 8. 30 hat der gelehrte armeniſche Archi⸗ 
diakon Dr. Erwand Ter⸗Minaſſiantz den Schlußlaut feines Namens eingebüßt. 


56 


Hauptziel des kleinen Buches ift die verſtändliche und anſchauliche 
Darſtellung der erften ſechs Jahrhunderte der Benediktinergeſchichte 
nach ihren Grundzügen und in zuſammengefaßten geſchichtlichen Ge= 
mälden. Sie halten fi demnach im Zeitraum vom ſechſten bis zum 
zwölften gahrhundert. Gleichſam als Markſcheiden ſtehen da die 
Geftalten des Patriarchen Benediktus (T um 543) und feines hoch- 
mittelalterlichen güngers Bernhard von Clairvaux (+ 1153). Sie 
finden ſich in der auch geſchichtlich vielſagenden Allerheiligenlitanei 
der römifchen Liturgie bedeutſam zwiſchen dem hl. äguptiſchen Alt⸗ und 
Wüſtenvater Antonius dem Großen (356) und dem hl. Stifter (11221) 
des auf Wiſſenſchaft und Predigt eingeſtellten Dominikanerordens ein= 
gefügt und unmittelbar zuſammengerückt. So erſcheinen Benediktus 
und Bernardus als die überragenden Flankengeſtalten der mit ihnen 
ziehenden abendländiſchen Mönchsſcharen von ſechs Jahrhunderten. 

Dieſe Zeitſpanne hat Kardinal Newman (+ 1890) mit feinem 
geſchichtsphiloſophiſchen Tiefblick als die in befonderem Sinne „bene⸗ 
diktiniſchen Jahrhunderte” geſchaut und bezeichnet. Dieſe An⸗ 
ſchauung und Benennung beruht auf der Tatſache, daß das abend⸗ 
ländiſche benediktiniſche Mönchtum während jener Zeit in der Welt- 
kirche und in den Weſtſtaaten bei der Geſtaltung des religiöfen und 
wirtſchaftlichen Lebens, der gelehrten und künſtleriſchen Tätigkeit, und 
dann beſonders im Unterrichts- und Erziehungsweſen allgemeinen und 
oft formgebenden Einfluß beſaß (ſ. Cuthbert Butler, Benedictine 
Monachism, London 1919, 8. 77, Anm. 3). | 

Hieraus wird Rlar, daß Dom Berliere für feine Dorträge und fein 
Buch glücklich einen ebenſo geſchloſſenen wie belangreichen Abſchnitt 
aus der Benediktinergeſchichte herausgegriffen hat. Es bekam und 
bewahrt dadurch eine ungemeine Bedeutung und Anziehungskraft. 
Das Verwachſenſein der europäiſchen Geſchichte und Bildung mit 
dem Mönchtum in dieſen nach mancher Seite hin grundlegenden gahr⸗ 
hunderten ſicherte den ernſten geſchichtlichen Gemälden und Umriſſen 
Berlieres einen großen kulturgeſchichtlichen Zug und Einſchlag. Die 
Abweſenheit von ſtarken Farben und Worten machen ihn nur umfo 
leichter und reiner fühlbar. 

Der geſchichtlichen Betrachtung des benediktiniſchen Mönchtums 
ſtellt der Derfaffer ein Kapitel über das ältere vorbenediktiniſche Mönchs⸗ 
weſen voran. In dieſem erften Hauptſtück fieht der Leſer den treibenden 
Grundzug alles chriſtlichen Mönchtums am Werk: den Rückzug und 
die bosſchälung von der Welt zu einem Gott befonders ge- 
weihten und geeinten beben nach dem Sinne, Nat und Beiſpiele 
Chrifti. Es kann verlaufen in der ernften Stille des chriſtlichen Wohn⸗ 
hauſes, in der Einöde und Einfiedelei oder in der Gemeinſamkeit 
eines berufsgenoſſenſchaftlich angelegten und gegliederten Mönchsver⸗ 
bandes. Wie dieſe verſchiedenen Lebensformen, ziehen auch verſchiedene 
altchriſtliche bänder am beſenden vorüber: zuerſt und beſonders Ägypten, 
dann Syrien wie Rleinafien, Nordafrika wie die europäiſchen Mittel⸗ 
meerländer. Hier leuchtet früh vorab Gallien mit den hll. Martinus 
und Caefarius, mit Marmoutier, Cerinum und den uralten Juraklöftern 
an der franzöſiſch⸗helvetiſchen Grenze. 


57 


Diefes erfte Kapitel hält fi ganz im Zeitalter der Kirchenväter, 
annähernd im ſelben Rahmen wie Johann Adam Möhlers bleibend 
wertvolle Abhandlung „Geſchichte des Mönchtums in der Zeit feiner 
Entſtehung und erſten Ausbildung” (in: J. A. Möhler, Gefammelte 
Schriften und Auffäße, herausgegeben von 9. 9. J. Döllinger, 2. Bd., 
Regensburg, 1840, S. 165 - 225). Die klaſſiſche Arbeit iſt im vor⸗ 
liegenden Buche nicht mitverzeichnet. Sie gehört aber wohl immer 
noch zum Beſten und bichtvollſten, was es über den Gegenſtand zu 
leſen gibt. Nach der gedanklichen Seite hin vermag ſie trotz der 
ſchon weit zurückliegenden Abfaſſungszeit das entſprechende Kapitel 
Berlières aufs paſſendſte zu vertiefen und auszufüllen. Mit der ihm 
eignenden klaren Tiefe hat der große Däterkenner Möhler hier das 
Mönchtum zur Däterzeit und im Geiſte der Väter behandelt. Wie 
das erſte Kapitel in dem kleinen Werke des belgiſchen Mönches hat 
offenbar auch Möhlers Studie Sinn und Gepräge einer Einleitung in 
fernere Rusführungen. Der Marienberger Benediktiner Beda Weber 
konnte denn auch auf Grund vertrauten perſönlichen Umgangs mit 
Möhler mitteilen: „. >. er beſchäftigte ſich fortwährend mit der Jdee 
einer Geſchichte des Benediktinerordens, dem er beſonders zugetan 
war, und wollte in einem großen Oktavbande die unermeßlichen Wir⸗ 
kungen desſelben auf die Kultur des Abendlandes zeigen“ (B. Weber, 
Charakterbilder, Frankfurt a. M. 1853, 8. 7). 

Der gleichen Aufgabe widmet ſich in gedrängterem Maßſtabe vom 
zweiten Vortrag oder Kapitel an Dom Berliere. 

Beim zweiten Kapitel und damit beim hl. Benediktus angelangt, 
fühlt der Betrachtende einen bedeutfamen Fortſchritt und Wendepunkt 
in der Entwicklung des abendländiſchen gemeinſchaftlichen Mönchs⸗ 
lebens oder Coenobitentums. Es kommt reiche und feſte, römiſch⸗ 
geartete Oroͤnung in Gottesdienſt und Arbeit, feſtgelegte Familien⸗ 
und Ortsbeſtändigkeit. Sie drängen und führen faſt unwillkürlich 
zu einem gemeinſamen Reichtum von Beſtrebungen, Erfahrungen und 
Ergebniſſen innerlicher und äußerer Art. So entftehen Bedingungen 
und Unterlagen für eine ſteigende Kloſterkultur. Das Aufkeimen von 
Gelehrfamkeit und Kunſt befremdet dann nicht weiter. Es mag von 
außen, 3. B. vom großen Caſſiodor her, in den früheſten Benediktiner⸗ 
kreiſen Förderung empfangen haben, aber eigenen Boden und Sonnen⸗ 
ſchein hatte es wohl ſchon bei und unter ihnen ſelbſt gefunden. 

Der Derfaffer überſchreibt das zweite Haupſtück mit: „Mönchs⸗ 
apoſtolat,“ denn er wendet ſich raſch zu einer Zeichnung der chriſt⸗ 
lichen Glaubensverkündigung durch Mönche in England und im 
ſtammverwandten Deutſchland, in Friesland und Skandinavien, bei 
den Slawen und Ungarn. Mit eigentümlicher Verehrung gedenkt 
man beim Anblick ſolcher alten Tatſachen unwillkürlich in der Stille 
eines neuzeitlichen benediktiniſchen Miſſtonsklöſterbundes auf baue⸗ 
riſchem Boden und auf Arbeitsfeldern im fernſten Oſten. 

Eine den Inhalt dieſes Kapitels berührende wichtige Beobachtung 
feſſelt das Nachdenken im nächſtfolgenden (8. 87): „Der Anteil des 
Mönchsordens am [Wander-] Apoſtolat war weder allgemein noch 
ftändig. Abgeſehen von der römiſchen Sendung nach England [durch 


58 


den hl. Gregor d. Gr.], ſcheint das eine Beſonderheit angelſächſiſcher 
und keltiſcher Kloftergemeinden ſowie ihrer Gründungen auf dem 
Feſtland geweſen zu ſein. Die Mitarbeit dagegen an der allſeitigen 
Höherbildung war ebenſo allgemein wie dauernd und gewann gerade 
in dem Maße an Nachdruck als die Glaubenspredigt infolge der 
Aufnahme der germaniſchen und flawifchen Völker in den Schoß 
der Kirche nachließ.“ 

Ein zwar beinahe wortloſes, aber dennoch wahres und ungemein 
wirkfames Hpoſtelamt übten die Mönche regelmäßig und ftändig im 
filoſter ſelbſt. Bedeutſamer Weiſe ift das mehrfach gerade von Eng⸗ 
land herüber ſehr deutlich und ſtark betont worden. Kardinal Hidan 
Gasquet ſagt in feiner berühmten Einleitung zur engliſchen Über- 
ſetzung von Charles de Montalemberts „Mönchen des Abendlandes“: 
„Das kiloſter war die behrkanzel des Apoſtelmönches. Seine wirkende 
Kraft beruhte in der hauptſache nicht auf feinem Wort, ſondern auf 
dem Beifpiel feines monaſtiſchen Gebens. Hierin liegt das Geheimnis 
der Bekehrung der europäiſchen Dölker‘.” Und der verſtorbene, hoch⸗ 
angeſehene Benediktiner Biſchof Hedley von- Newport wagte das 
Wort: „Vielleicht je weniger der Mönch ſich Gedanken macht behufs 
der Bekehrung der Welt und je mehr er auf ſeine eigene Beſſerung 
ſinnt, deſto wahrſcheinlicher er ng Ausfiht auf die Bekehrung der 
Welt“ (bei Butler, a. a. O. 8. 3 

Bei Betrachtung re Arten bildenden und fittigenden 
Wirkens in der Gefchichte der Kirche: einerfeits des bewußt unter⸗ 
nommenen und zielklar umſchriebenen, andererfeits des mehr natur⸗ 
haft hervorquellenden und verlaufenden, gewann der Oratorianer- 
Kardinal und außerordentlich feine Gefchichtskenner Newman eine 
ſehr beſtimmte Anſchauung betreffs des hl. Benediktus und ſeiner 
geiſtlichen Familie. „Er traf die Welt voller Ruinen in Natur und 
Geſellſchaft. Es war feine Sendung, die Welt wieder aufzurichten, 
ohne klares Wiſſen darum, ſondern auf den Wege natürlichen Wer⸗ 
dens, ohne den Vorſatz, das in Angriff zu nehmen, ohne eine Er- 
Klärung, ſolches in beſtimmter Zeit oder mit irgend einem ſeltenen 
Eigenmittel oder durch irgendwelche Reihen von kiraftanſtrengungen 
auszuführen. Er ſollte dies im Gegenteil ſo ruhig, ſo geduldig, ſo 
ſchrittweiſe vollbringen, daß man oft den Gang des Werkes nicht 
merkte, bis es vollendet daſtand. Es war eher ein Wiederaufbau, 
als eine Überprüfung, Derbefferung und Umwandlung. Die neue 
Welt, die er bilden half, war mehr gewachſen als gezimmert. Man 
beobachtete ſchweigende Männer in einer Umgegend oder entdeckte 
ſolche im Walde. Man ſah ſie graben, lichten, bauen. Und andere 
ſchweigende Männer, die man nicht einmal zu Geſicht bekam, ſaßen 
im kalten Kloſter. Sie müdeten ihre Augen ab und hielten ſich in 
gefpannter Aufmerkfamkeit beim Entziffern, Abſchreiben und Wieder⸗ 
abſchreiben der von ihnen geretteten handſchriften“ (Historical Sket⸗ 
ches. vol. II, London 1876, 8. 410). 


Francesco Ridano Gasquet 0. S. B., N storico della costituzione mo- 
nastica; Roma 1896, 8. 6. 


59 


newmans Wort könnte die Brücke ſchlagen zwiſchen dem zweiten 
und dritten Kapitel Berlieres. Es ift der Mönchstätigkeit für An⸗ 
und Ausbau von Geſittung und Bildung, von höherer Wiſſenſchaft 
und reiner Runft, von Wirtſchaft und Gewerbe, von liebender Kranken⸗ 
und Armenpflege gewidmet. Eine ungemeine und auserleſene Fülle 
von Einzelheiten iſt hier zu einem ſtattlichen Moſaikbild verarbeitet. 
Sie machen dieſes Hauptſtück zum reichſten, farbenprächtigſten und 
ſpannendſten der ganzen Schrift. Zudem ift es durch die Berührung 
mit vielſeitiger Wiſſens⸗ und Aunftpflege in mittelalterlichen großen 
Abteien ſchon von vornherein der Anteilnahme weiteſter Gebildeten⸗ 
kreiſe ebenſo ſicher wie würdig. Die mitwandernde Hingabe jedes 
beſers findet ſich hier bald reichlich belohnt, beſonders auch durch den 
Blick auf die verſchiedenen Gattungen und Stufen des mittelalterlichen 
benediktiniſchen Unterrichtsweſens. All die vielen und zerſtreuten 
Einzeltatſachen ſprechen auch gemeinſame Worte. Eines wird vorab 
vernehmlich. Wenn der Müßiggang laut dem 48. Kapitel der Mönchs⸗ 
regel des hl. Benediktus ein Feind der Seele iſt, ſo hat ſich durchweg 
emſigfrommer Fleiß als Freund der Seele wie des Einzelmönches ſo 
des ganzen Rlofterheiligtums erwieſen. 

Ein Hhauptmerkmal und =vorzug der Regel des hl. Benediktus iſt 
das in ihr beſtimmte Gleichgewicht von Gebet und Arbeit. Wenn 
der hl. Gregor d. Gr. (T 604) im zweiten Buch feiner Unterredungen 
(ap. 36) an der Benediktinerregel anerkennend ihre Maßhaltung 
hervorhebt, fo iſt damit gewiß die geſetzgeberiſche Derteilungskunft 
des Patriarchen von Montekaſſino mitbelobt, denn fie ift ein Kern- 
ſtück der „discretio“: der maßbeſtimmenden beitungs- und Entſchei⸗ 
dungsgabe. An ihr hängt viel Glück und Leben. 

Dom Berlière weiht zwei Kapitel feines Buches, — das IV. und 
V. — Cluni. Das IV. ſchildert Cluni vorab nach ſeiner inneren 
Eigenart und Geſchichte, nach ſeiner Rolle im ganzen Verlauf der 
benediktiniſchen Debensentfaltung. Das V. betrachtet Cluni in feiner 
Wirkſamkeit über die Schranken von kloſter und Orden hinaus auf 
Kirche und Reich: die eigentliche Weltſtellung Clunis. 

Ciuni erſcheint als ſehr groß in der Mönchsgeſchichte und als 
geiſteserneuernde Macht. Der hl. Gregor VII. (T 1085) darf nach 
vielen Seiten hin als ihre höchſte Derkörperung gelten. Cluni ftand 
im vorgerückten Mittelalter, im elften und zwölften Jahrhundert, als 
glänzendſte monaſtiſche Gemeinſchaft da. Pracht in Gottesdienft und 
Gotteshaus; eine glanzvolle Reihe heiliger Abte wie Odo, Maiolus, 
Odilo, Hugo, denen ſich der große gelehrte Petrus Mauritius Dene- 
rabilis anreiht; glanzvolle raſche Ausbreitung über das Abendland 
hin und bis ins paläſtinenſiſche Morgenland hinüber; zahl⸗ und ruhm⸗ 
reiche Erfolge in der Erneuerung klöſterlichen und kirchlichen Lebens, 
in der Stählung der Kämpfer gegen Übergriffe und ungebührlichen 
Einfluß weltlicher Machthaber auf die Kirchenverwaltung. Und bei 
der Betrachtung dieſer großen geſchichtlichen Ausftattung Clunis ge⸗ 
winnt man durchweg den Eindruck reinen und echten Glanzes, der 
das aufſteigende Gefühl der Bewunderung nicht niederhält. 


60 


Trotzdem bringt der kundige und ehrliche Führer durch Clunis 
ſtrahlende Geſchichte am Schluſſe des IV. Kapitels Bemerkungen über 
Gefahren in der Sonderart jener burgundiſchen Abtei und jenes 
Rlöfterbundes. Eine lag eben in der Derfchiebung des Gleichgewichtes 
von Gebet und Arbeit. Der Chordienſt ging daſelbſt ſehr erheblich 
über das Ausmaß der Regel des hl. Benediktus hinaus, und zwar 
ſtändig und alltäglich. Die „heilige Beſchwerde“ des um viele gemein- 
fame Nebenleiſtungen vermehrten Tag⸗ und Nachtgottesdienſtes ließ 
nur wenig kraft und Zeit für anderes übrig. Auch zwiſchen dem 
Haupt- und Stammkloſter Cluni und feinen hunderten von abhängigen 
Rlöftern beſtand nicht das benediktiniſche familienhafte Gleichgewicht. 
War in Cluni als Gipfel: und Mittelpunkt des cluniſiſchen Klöſter⸗ 
bundes ein Überſchuß von Macht und Ordnungsgewalt über die zu⸗ 
gehörigen Klöſter, fo fehlte dieſen etwas von überlieferter familien⸗ 
mäßiger Selbſtändigkeit. Solche Störungen des Gleichgewichts und 
Gleichmaßes trugen augenſcheinlich das meiſte bei zum raſchen, faſt 
plötzlichen Derblühen Clunis. Es hat aber noch lange nachgewirkt 
und wirkt noch immer nach, 3. B. im zartſinnigen Allerſeelenfeſt des 
zweiten November: weſentlich einem Erbſtück aus dem Gotteshauſe 
von Cluni aus den Tagen feines milden hl. Abtes Odilo (+ 1048), 
eines Hauptförderers des Gottesfriedens in fehdereicher Zeit. In 
Deutſchland wurde Cluni vor allem bedeutſam und mittelbar einfluß⸗ 
reich durch Hirfau und feinen weitreichenden Klöfterbund, dem im 
italieniſchen Süden der von La Cava entſprach. 

neben Cluni leuchtet auf demſelben franzöſiſchen Boden im drei⸗ 
zehnten Jahrhundert eine andere Stammabtei: Cite aux, die Wiege 
der Ciftercienfer oder der „grauen Benediktiner“. Ihnen gilt das 
ſechſte und letzte Kapitel. Vielleicht bringt es unter ſämtlichen am 
meiſten eigentlich neue Auffchlüffe aus der Werkſtatt des gelehrten 
und glücklichen Forſchers von Maredſous. Schon vor zwanzig gahren 
hat er in der trefflichen Löwener Zeitfchrift für Kirchengeſchichte (1900 
und 1901) über den Urſprung des benediktiniſchen Zweigordens der 
Ciftercienfer fruchtbar gehandelt. Sein Urſprung ſteht in nächſter, 
aber auch gegenſätzlicher Beziehung zu Cluni: im Gegenſatz nämlich 
zu deſſen von alter Überlieferung abweichenden Beſonderheiten. Es 
erweckt eine lebendige Dorftellung von der damaligen höhe und Reg: 
ſamkeit monaſtiſchen Denkens und Strebens, daß neben dem noch 
blühenden und bewunderten Cluni bei gleicher Grundlage und Regel 
Citeau aufkam und raſch groß werden konnte. Citeau drang ſeiner⸗ 
ſeits auf pünktliche Wahrung des Buchſtabens der Benediktus⸗Regel, 
auf Einfachheit im Gottesdienft und Gotteshaus, dabei aber auch auf 
echte und reine liturgiſche Textfaſſungen und Formen, auf Bußgeift und 
Abgeſchiedenheit, auf handarbeit und ärmere Lebenshaltung. Mit⸗ 
unter regt ſich die Ahnung, daß Citeaux nicht bloß auf den vielleicht 
ſtrenger als je zuvor aufgefaßten Wortlaut der Benediktus⸗Regel 
zurückgriff, ſondern in einigen Zügen ſogar ſtrenger vorbenedikti« 
niſcher Übung glich. 

Umfo mehr nimmt es wunder, daß etwa innerhalb der vierzig 


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gahre nach 1118 Citeauz ſchon an die ſiebzig Alöfter unmittelbar 
oder mittelbar hatte gründen können (8. 246). Es zählte Abteien 
von Frankreich bis Irland, von Schweden bis Spanien, vom hohen 
deutſchen Norden bis nach Italien hinunter. Und der Klöfterbund 
von Citeauf wuchs immer mehr, wie vielleicht nicht einmal das ältere 
Cluni gewachſen war. Aber der Ausbreitung dieſer etwas herben 
Gebensorönung ging ein ſehr zarter und anmutiger Jug zur Seite. 
Außerordentlich viele Klöfter des „grauen Ordens“ benannten ſich nach 
der Gottesmutter und frommſinnig erwählten Schutzfrau Maria. 
Hiedurch wurde dieſer heilige Name im täglichen Leben des chriſtlichen 
Europa noch um vieles heimiſcher (vgl. P. Ceop. Jan auſchek, Ori⸗ 
ginum Cisterciensium t. I., Wien 1877, S. 361 f). 

Nicht umſonſt war der gehörteſte Marienlehrer des Mittelalters 
ein Ciſtercienſermönch: der hl. Bernhard von Clairvaux. Durch 
ihn überſtrahlte dieſe Abtei an allgemeiner Berühmtheit noch das 
Mutterkloſter Citeaux. Er teilte mit feuriger Seele die Grundfäße [einer 
Mitbrüder über weltabgeſchiedenes Derborgenleben im Rlofter. Auf 
höheren und höchſten Ruf mußte er es aber perſönlich oft verlaſſen 
und mit einer Außentätigkeit und einer geradezu europäiſchen geiſtigen 
Führerſtellung vertauſchen, wie ſie wohl nie einem einfachen Mönche 
beſchieden geweſen war. Überall blieb der heilige ein Ciftercienfer- 
mönch. „Er verkündet das ciſtercienſiſche hochziel auf ſeinen Wande⸗ 
rungen durch Europa. Er will dem Rlofter Seelen gewinnen, fie hie⸗ 
durch Chriſtus ſchenken und in ihnen im Überfluß das beben kreiſen 
laſſen; er will fie mit der Liebe Chrifti entflammen und eingehen 
laſſen in den Anteil eines Glückes, das alles überragt, was die Erde 
an Freude und Befriedigung bieten kann“ (8. 244 f). Bei dem ciſter⸗ 
cienſiſchen Rirchenlehrer tritt eine. lohende Chriftusbegeifterung und 
Chriftusmyftik zutage, die an die Briefe des hl. Ignatius von Antio⸗ 
chien (T um 117) zurückerinnert und ſpäter um 1300 auf deutſchem 
Boden bei der hl. Gertrudis und Mechtildis von Helfta fo vernehm⸗ 
lich widerhallt. Das entſprach alles ſehr der Doppelmahnung der 
Regel des hl. Benediktus: Chriſtus und der Liebe Chrifti nichts voran⸗ 
zuſtellen (Rap. 4 und 72). Ein bedeutender Teil des deutſchen Nordens 
verdankt gerade den Ciſtercienſern mit der Bodenbebauung und Wohl⸗ 
fahrtspflege chriſtliche Wahrheit und Sittigung. 

neben Cluni und Citeaux leuchtete im XI. und XII. Jahrhundert 
die junge Abtei Ge Bec in der Normandie in befchränkterem, aber 
auch milderem Glanze. In Citeauz und Cluni gab es wenig Raum 
und Gelegenheit für eigentliche Pflege der Wiſſenſchaften und für 
Schule. Anders in be Bec. Vor dem Auftauchen der öffentlichen 
Hochſchulen, der Univerfitäten, mit denen nach den benediktiniſchen 
gahrhunderten eine neue Zeit im abendländiſchen Unterrichtsweſen 
anhob, wird es kaum eine ähnlich hochgerichtete monaſtiſche behr⸗ 
ſtätte gegeben haben wie die von Le Bec. Hier war offener Raum 
nicht nur für die „freien Künſte“, für gelehrtes Schrift: und Däter- 
ſtudium, ſondern auch für perſönliche hohe und kühne Denkerfragen 
auf dem Grund von Vernunft und Offenbarung. Waren Cluni und 


62 


Citeauz groß und mächtig durch ihre außerordentlich zahlreichen Kloſter⸗ 
gründungen, fo nannte Le Bec unter den damaligen Zierden kirch⸗ 


licher Wiſſenſchaft viele als ſeine ehemaligen Schüler und als ſeine 


dauernden Freunde. Man erſieht das unmittelbar aus ihren gelegent⸗ 
lichen Selbſtbekenntniſſen, z. B. des Abtes Guibert von Nogent (T 1124), 
Schrifterklärers und für ſeine Zeit kritiſch ungewöhnlich hervorragen⸗ 
den Geſchichtſchreibers, und mittelbar aus dem umfaſſenden Briefſchatze 
des hl. Anſelm (T 1109). Er ift fo recht im ſtillen Kloſter Bec zum 
Vater der älteren freien Form beſchaulicher und hochgeſtimmter Scho⸗ 
laſtik geworden, die in der großen theologiſchen Summe des biſchöf⸗ 
lichen Mitbruders von Dom Berliere, Caurentius Janſſens, ſtändig 
aufs verdienſtlichſte zu Worte kommt. Da kann es vielleicht etwas 
überraſchen, daß der benediktiniſche geiſtige Brennpunkt der Nor⸗ 
mandie nicht bloß im Vortrage, ſondern auch im vorliegenden Buche 
nur fo kurz geſtreift wurde. Er hat wohl zudem die weitere Bedeutung 
eines Wendepunktes an der Grenzſcheide der „benediktiniſchen gahr⸗ 
hunderte“ und eines Dorbildes für gotteswiſſenſchaftliche Mönchs⸗ 
bildung der Folgezeit‘. 

Die erfte Auflage hatte der Verfaſſer zartſinnig in einer ſchönen 
lateiniſchen Inſchrift dem inzwiſchen heimgegangenen Erzabte Adefons 
Schober, einem warmen Freunde ordensgeſchichtlicher Studien, zum 
fünfzigften Gedenktag der Gründung der Abtei Beuron gewidmet. 
Die zweite Auflage eröffnet würdig und ſinnvoll eine Sammlung ge⸗ 
planter kleinerer Werke über geiſtliches beben und Mönchsgeſchichte. 
Schon winken in der Doranzeige u. a. auch zwei Bände über die 
hl. Gertrudis: über ihr Innenleben und ihr muſtiſch mitgelebtes Kirchen⸗ 
jahr. Die Sammlung trägt den erquickenden Namen PAX&, und 
konnte gerade im dreihundertſten Gedenkjahre der Beſtätigung des 
Mauriner⸗Kloſterbundes von 1621 auftreten, dem auch das geiftliche 
beben und Schrifttum gar manches verdankt. Die Anfänge der ver⸗ 
ſprechenden Sammlung erinnern angenehm an die ernſte und friedſame 
Maurinerart zurück. Viel tut dabei ein zeitgenöſſiſches Namenpaar. 

Dem Buche Dom Ursmer Berlières reihte ſich bald eines von 
Dom Germain Morin an über das Mönchsideal in ſeinem Verhältnis 
zum urkirchlichen Leben: die neueſte, dritte Auflage von „L’ideal 
monastique et la vie hretienne des premiers jours“. Dieſes 
gediegene, lichtvolle und feine kleine Buch wird auch immer eine Perle 
der Par⸗ Sammlung bleiben. Dom Berlieres und Dom Morins Gabe 
ſtehen gut beiſammen und ergänzen ſich trefflich. Der berühmte Kenner 
der Däterzeit und unvergleichliche mitlebende Entdecker lateiniſcher 
Däterfchriften zeichnet vorab Ziel und Weg, Lebensgehalt und Gebens- 
form, fomit das innere Weſen des Mönchtums. Dom Berliere dagegen 


1 Über die einſchneidende geiſtes⸗ und bildungsgeſchichtliche Bedeutung der Ab- 
tei Bec vgl. u. a.: . Histoire de l'abbauye du Bec, I (Eoreug, 1901), bel. 
Rap. IV und VII über die dortige Kloſterſchule unter Ganfranc und Anfelm. — 
m. Srabmann, Die Gefchichte der ſcholaſtiſchen Methode, 1. Bd. (Freiburg, Herder 
1909), 8. 225 ff. und 258 ff. — Ein Reife- und Stimmungsbild von Le Bec-Bellouin 
in den hiſtoriſch⸗politiſch. Blättern, Bd. 140 (1907), 8. 135 — 143. 


63 


unterrichtet hauptſächlich über die geſchichtliche Ausgeftaltung und 
Wirkſamkeit des Mönchsgedankens im Wandel der berückſichtigten 
Jahrhunderte. Mit dieſen zwei kleinen neuen Büchern läßt ſich mit 
geiſtigem Genuß ein wertvolles Stück wahrer kenntnis der großen 
religiöfen Erſcheinung des chriſtlichen Mönchtums gewinnen: ſie ver⸗ 
mögen der Erkenntnisluſt und der Erkenntnispflicht ohne viel Zeit⸗ 
aufwand ernſtlich zu dienen. . 

Gar manchen käme vermutlich eine deutſche Überfegung der beiden 
Schriften ſehr erwünſcht'. Sie dürfen ja überall auftreten und lehren. 
Unwillkürlich und ungeſucht belegen und künden ſie viel von dem, 
was eine kloſtergeſchichtlich denkwürdige Rirchenverfammlung von 
Autun in dunkler Merowingerzeit zwiſchen den Jahren 663 und 680 
unter dem großen hl. Mönchsbiſchof Leudegar bezüglich der Mönche 
mahnte und erwartete. „Sie ſollen in allweg erfüllen und halten, was 
die kirchliche Rechtsordnung und die Regel des hl. Benediktus lehrt. 
Wenn das alles . .. ſatzungsgemäß gewahrt wird, dürfte ſich mit 
Gottes Huld die Zahl der Mönche mehren und durch ihr Gebet die 
ganze Welt aller böſen Anſteckungen ledig ſein. Sar alle Mönche 
ſollen gehorſam fein, den Schmuck der Genügſamkeit beſitzen, Eifer 
im Gottesdienfte haben, inſtändig dem Gebet obliegen, in der Liebe 
beharren, damit ſie niemals wegen Ungehorſam und Saumſeligkeit 
zur Speiſe werden dem umherſchleichenden und brüllenden Feinde, 
der da ſucht, wen er verſchlinge. Sie ſollen eines herzens ſein und 
einer Seele. einer ſoll etwas fein Eigentum heißen; alles ſei allen 
gemeinfam; für die Semeinfchaft ſollen ſie arbeiten; fie ſeien durch⸗ 
aus Hüter der Gaſtfreundſchaft“ (ſ. Monumenta Germaniae hist., 
Concilia I, ed. Maaſſen [1893], 8. 221, XV). 

Wenn das ſehnſüchtige Wandern neuer Völker und Zeiten nach 
mehr bicht, Güte und Schönheit ging, fo ſcheinen die Wanderer das 
betende und arbeitende Mönchtum der Weltkirche ſtets wegkundig 
und wegfertig gefunden zu haben. Mit dieſem Gefühl und dieſer 
Überzeugung ſcheidet man dankbar aus den Führungsſtunden von 
Dom Ursmer Berlière. Sein gehobenes Scheidewort ſagt: Die alte 
Regel des hl. Benedikt bewahrt einen fruchtbaren Triebſaft. Er hört 
nicht auf, den altehrwürdigen Baum des monaſtiſchen Ordens zu 
nähren, deſſen Wurzeln in apoſtoliſchen Grund und Boden eingeſenkt 
liegen. Aus jenem Lebensfafte quillt das Ergrünen des Ordens durch 
vierzehn Jahrhunderte, die Mehrung feiner Äfte und Ableger, das 
unverfiegte Treiben von Blüten und Früchten an ihnen zur Verherr⸗ 
lichung Gottes und zum Wohl des chriſtlichen Gemeinweſens (8. 272). 


1 Eben kann der neugegründete katholiſche Theatinerverlag zu München das 
baldige Erſcheinen der von Frau Priorin Benedicta v. Spiegel C0. 8. B. gefertigten 
und lange erwarteten Übertragung dieſer Schrift Morins anzeigen. Sie führt im 
Deutſchen den Titel: Urchriſtentum und Rönchtum. Das (7.) Kapitel vom 
liturgiſchen Sebet war zum voraus in der Bened. Monatſchr. II. Jahrg., 1920, 
8. 16 — 24 geboten werden. 


* K 


64 
Rleine Beiträge und Hinweiſe 
Ehrung des hl. Hieronymus 


im früheften bekannten Martyrologium Spaniens. 


er zweite Band und Jahrgang dieſer Zeitſchrift (1920) verſuchte 8. 372 ff. Aufe 
kommen und Ausbreitung der Ehrung des Kirchenlehrers von Bethlehem in 

den abendländiſchen und vorab monaſtiſchen Marturologien in etwa zu zeichnen. 
Dabei zeigte ſich in Italien wie diesſeits der Alpen und im britiſchen Inſelreich ein 
frühzeitiges und immer mehr ſchwellendes Erblühen dieſer Art liturgiſcher Derehrung 
des Vaters der langſam und fill obſiegenden Bulgata. Anbei kann der ſuchende 
Schreiber nunmehr ein verläffiges und einſchlägiges Jeugnis für Spanien nachtragen. 
Dr. Heribert Plenkers hat feinen bedeutſamen „Unterſuchungen zur Überlieferungs⸗ 
geſchichte der älteſten lateiniſchen Mönchsregeln“ (München 1906) als dritten Anhang 
eine mit gewohnter Sorgfalt gefertigte Ausgabe des Kurzmarturologiums in einer 
Handſchrift des Escoriäl (I— III — 13) beigefügt (8. 85 — 100). Die paar unanſehnlichen 
Blätter mit weſtgotiſcher Schrift ſind ſehr koſtbar. Sie bieten nämlich nach dem 
Urteile des Herausgebers und der beipflichtenden Hußerung des verſtorbenen Bollan⸗ 
diſten Albert Poncelet (Analecta Bollandiana, Bd. 26, 1907, 8. 455) nichts geringeres 
als das ältefte bekannte Martyrologium Spaniens. Die Niederſchrift ſtammt ſpäte⸗ 
ſtens aus der erſten Hälfte des neunten Jahrhunderts, vielleicht aus dem Ende des 
achten. Sie war deutlich zu liturgiſchem Sebrauche angelegt und beſtimmt. 
Das erhellt beſonders auch aus dem öfters erſcheinenden Anfangswort der ſtändigen 
Schlußformel der Martyrologienlefung (vgl. a. a. O. 8. 90). 

dum 30. September nun wird hier der hl. Hieronymus und zwar ausſchließlich 
genannt: „In bethelem iuda depositio sancti ieronimi: Zu Bethlehem 
in Juda Beſtattung des hl. Hieronymus“ (a. a. 0. 8. 97, 13). 

Am gleichen Tage findet ſich Uame und Todesgedächtnis des Heiligen vom 
zehnten Jahrhundert ab in einer Reihe von Feftkalendarien der altehrwürdigen 
einheimiſchen (mozarabiſchen) Liturgie Spaniens. 80 3. B. in dem zeitlich genau 
beſtimmbaren Kalender vom Jahre 961 aus Corduba. Dagegen bringt merkwürdiger⸗ 
weiſe ein mozarabiſches Meß- und Stundengebetbuch aus der berühmten und 1880 
wieder neubefiedelten Abtei des hl. Dominikus (+ 1073) von Silos die reichen 
eigenen Feſttexte für den hl. Hieronymus zwiſchen dem 13. und 16. Juni. Dieſe 
Feſtausſtattung ſteht allein und einzig da. Sie zeugt demnach für ungemeine und 
warme gottesdienſtliche Ehrung des heiligen Mönches und Kirchenlehrers von Beth⸗ 
lehem in jenem Raftilianifhen Klofter um das Jahr 1000. Die Tatſache ſticht um 
fo mehr hervor, als die mozarabiſche Liturgie den Bekennerfeſten neben denen des 
Herrn und feiner heiligen Blutzeugen nicht leicht und nur ſparſam Raum zu ge⸗ 
währen pflegte. Siehe Dom Marius Ferotin, be biber Mozarabicus Sacramen- 
torum, etc., Paris 1912, 8. XIV, Anm. 1, 8. XLIII, 8. LI, Sp. 562 - 566; Sp. 820 f. 

Schon zu feinen Pebzeiten war dem hl. Hieronymus (T 420) von Spanien her 
eine außergewöhnliche Ehrung anderer Art widerfahren. Der ebenſo reiche wie 
hochgebildete, fromme und wohltätige Laie Gucinius (+ 398 /9) hat aus feiner 
ſchönen ſonnigen heimat Andaluſten ſechs Landsleute zum Heiligen nach dem fernen 
Bethlehem entſandt und ſie als Abſchreiber aller bis dahin entſtanden geweſenen 
Werke des bewunderten Gelehrten gedungen. Er wurde fein ungeſehener aber glühend 
geliebter Freund (vgl. den 71. und 75. Brief der Briefſammlung des hl. Hieronymus, 
3. B. bei Migne, Patrologia latina, 22. Bö., Paris 1877, Sp. 668 - 672 und Sp. 
685 — 689). 

P. Anſelm Manfer (Beuron). 


65 


Rirchenväterlefung am Gumnaſium von Difentis. 


er „40. Jahresbericht der Gehr- und Erziehungsanſtalt des Benediktinerftiftes 

Diſentis“ (Chur 1921) bringt unter den Mitteilungen über die Gehrgegen- 
ftände eine ſehr erfreuende und beachtenswerte, wenn auch unſcheinbare Angabe 
über Rirchenväterleſung in den beiden oberſten Klaſſen. 

Mit glücklichem Griff wurden aus dem Schatz des griechiſchen Däterſchrifttums 
ausgewählt: Die (größere) ſo warme und ergreifende, einzelne Seiten des altchriſt⸗ 
lichen bebens anſchaulich ſchildernde „Slaubens verteidigung“ des heiligen Weltweiſen 
und Blutzeugen Juſtinus von Rom aus der Mitte des zweiten Jahrhunderts. 
hieraus kamen Kap. 65—67 zur Derwendung mit ihrer uralten aber unverwüſt⸗ 
lichen Jeichnung der frühchriſtlichen Meß⸗ und Sonntagsfeier. Aufs paffenöfte ver⸗ 
band ſich damit die beſung der klaren und herzlichen, lebensvollen und jugend⸗ 
friſchen Unterweiſungen des hl. Biſchofs Cyrillus von Jeruſalem, die etwa um 
die Mitte des vierten Jahrhunderts an Ueugetaufte gehalten wurden. Dieſe Reden 
für die Oſterwoche unterrichten über die eben empfangenen hll. Sakramente der Taufe, 
der Firmung und des Altars ſowie gleich vortrefflich über das Daterunfer. Lichtvoll 
und anziehend wird gerade auch die ſinnbildliche Seite ſo mancher Gebräuche her⸗ 
vorgehoben und dem jugendlichen Gemüte vielleicht auf immer vertraut gemacht. 
Es wird ihm hier u. a., den Grundzügen nach, der Gang des hHochamtes in der heiligen 
Stadt vor anderthalb Jahrtauſenden vorgeführt. Als Textbuch diente die wohl⸗ 
bereitete Husgabe Gerhard Rauſchens (+ 1917) im fiebten Bändchen feines „Florile⸗ 
gium patristicum“ aus dem Verlag von Peter Hanftein in Bonn. 

Dom hl. Johannes Chryfoftomus (+ 407), dem König der frühkirchlichen 
Meifter der Predigt, wurde eine der gründlich belehrenden Lobreden auf die heiligen 
Märtyrer und eine der geiſtlichen „Anſprachen nach einem Eroͤbeben“ durchgenommen. 
Don dieſem Kirchenlehrer verſichert einer der führenden Altertumskenner der Gegen⸗ 
wart, Ulrich von Wilamowiß-Moellendorff in Berlin: „Alle Hellenen ſeines 
Jahrhunderts, mögen fie auch noch fo überzeugte Anhänger der platonifchen Aka- 
demie fein und auf Platons Stuhle ſitzen, ſind barbariſche Stümper gegen dieſen 
ſuriſchen Chriſten, der es noch in höherem Grade als Arifteides! verdient, mit 
Demoſthenes ſtiliſtiſch verglichen zu werden“ (Die griechiſche Literatur und Sprache: 
in der „Kultur der Gegenwart“, I, VIII, 3. Aufl. 1912, 8. 296). Und wenige Sätze 
weiter heißt der hl. Biſchof hier ein Klaffiker. 

Aus dem Bereiche der lateiniſchen Däter wurden Briefe des hl. Blutzeugen 
Cuprian von Karthago (+ 258) ausgewählt, d. h. Stücke aus der koſtbarſten 
Briefſammlung, die uns aus der Zeit vor der erſten allgemeinen Kirchenverſammlung 
von Nicäa (325) überliefert iſt. Dieſe Briefe find mit ihrer ernften, ſchönen und 
wohllautenden Sprache zum großen Teile zugleich reine Quellen für die Kenntnis 
der blutigen Derfolgungs⸗ und heldenzeit der jungen chriſtlichen Kirche im Umkreiſe 
des römiſchen Staates mit feinem Dielgötterglauben. Der Diſentiſer Schulbericht 
verzeichnet die Lefung von Ciceros Buch „Uber die Natur der Götter“, das durch 
die Beziehung auf Cuprian ein befonderes Licht gewinnen mochte. Solche Derbin«- 
dungen können früh Anteilnahme an der vergleichenden Religionskunde wecken. 

Über das vereinte Studium der chriſtlichen wie außerchriſtlichen altſprach⸗ 
lichen Klaſſiker werden wohl immer die beitſätze des hervorragenden Däterkenners 
und nunmehrigen Bonner hHochſchullehrers Dr. Albert Ehrhard gelten: „Es erſcheinz 
uns als ein unhaltbarer Zuftand, daß die ſtudierende Jugend an unferen 
Symnafien mit der altchriſtlichen Giteratur nicht bekannt wird. Um einer Entftellung 
unſerer Gedanken vorzubeugen, ſei ausdrücklich bemerkt, daß wir die klaſſiſche 
Giteratur der Griechen und Römer als die notwendige Grundlage der humaniſtiſchen 
Studien betrachten. Die Geiſtesarbeit dieſer Völker, denen die Vorſehung eine ſo 

1 Berühmter ſprachreiner kleinaſtatiſcher Redner u. klaſſiker aus dem 2. Jahrh. n. Chr., geft. gegen 190. 

Benediktiniſche Monatfchrift IV (1922), 1—2. 8 


66 


hervorragende Rolle in der Vorbereitung des Menſchengeſchlechtes auf das Chriſten⸗ 
tum zuwies, könnte nur zum empfindlichſten Schaden der chriſtlichen Bildung ſelbſt 
in den hintergrund gedrängt werden. Wir ftellen uns alſo nicht auf den Stand⸗ 
punkt, den der Schlachtruf in einem berühmten Kampfe früherer Jahre kennzeichnete: 
hie Klaſſiker! hie Kirchenväter! heidniſche und chriſtliche Klaſſiker, das ſollte das 
Lofungswort unſerer Gymnafialbilöung fein. Für die völlige Ignorierung der Schrift» 
ſteller des chriſtlichen Altertums iſt auch gar kein ſachlicher Grund zu erfehen. 
Faßt man die rein formelle, ſprachliche und ſtiliſtiſche Seite ins Auge, fo brauchen 
manche Denkmäler der älteften chriſtlichen Giteratur den Vergleich mit der Graecität 
und Gatinität des ſilbernen Zeitalters nicht zu fürchten. Das wird von philologiſchen 
Größen unumwunden anerkannt.. Wir dürfen aber auch die Forderung ſtellen, 
daß unfere gebildeten Kreiſe von Jugend auf mit dem literariſchen Ausdruck der 
hohen chriſtlichen Gedanken, den dieſe in der erften Blüte der chriſtlichen Bildung 
gefunden, vertraut werden.” (Die altchriſtliche biteratur und ihre Erforſchung ſeit 
1880, Freiburg i. Br. 1894, 8. 228 f.) B. Anfelm Manfer (Beuron). 


Der hl. Franz v. Sales ein Freund und Förderer der Anatomie 2 


an kann manchmal die Anſicht vertreten hören, ein Biſchof und Gehrer der 

Kirche, ein Heiliger: Franz von Sales habe ſich nicht geſcheut, feinen Leib 
teſtamentariſch einer mediziniſchen Fakultät zu überlaſſen. Es werden dann wohl 
gelegentlich weitergehende Folgerungen daran geknüpft, und man behauptet, daß 
angeſichts eines ſolchen Jeugniſſes doch wirklich alle Bedenken verſtummen müßten, 
die etwa aus natürlichem Jartgefühl oder chriſtlich⸗pietätvoller Achtung vor der erıt- 
ſeelten hülle des Entſchlafenen entſtehen könnten. 

Nun ift es ja klar, daß Juſtiz und Medizin grundſätzlich der Anatomie nicht 
entbehren können. Die Art und Weiſe aber wie der hl. Franz von Sales als Jeuge 
oft aufgeführt wird, verdient eine hiſtoriſche Richtigftellung. In ihrer Jeugenaus⸗ 
ſage von 1627 berichtet die hl. Johanna Franziska v. Chantal kurz und klar, was 
fie hierüber aus dem Munde des Heiligen ſelber vernommen hat. Sie ſagt alſo: „Er 
ſagte mir ferner, er ſei zu Padua fehr ſchwer Krank geweſen .. Da ſein behrer 
der beſagte Herr [Abbe] Deage nicht anders glaubte, als er müßte ſterben, frug 
er ihn, wo er begraben fein wollte. Der Selige antwortete, man ſolle feinen Geib 
den Ärzten für die Anatomie geben, damit, wie er beifügte, wenn ich den Menſchen 
während meines Lebens nichts genützt habe, ihnen wenigſtens mein Geib nach meinem 
Tode einigen Nutzen bringe, indem ich Jo die Zänkereien verhindere, die gewöhnlich 
ſtattfinden, um einen beichnam zu erhalten“ („Geben u. Tugenden des hl. Fr. v. 8. 
nach den gerichtl. Jeugenausſagen der hl. Fr. v. Ch.“ Amberg 1876, U. 4, 8. 7). 

Aus dieſem Zeugnis der hl. Johanna Franziska, dem weitere zeitgenöſſtſche 
deugniffe beſtätigend zur Seite treten, geht nun mit Deutlichkeit hervor, daß nicht 
der Biſchof, oder gar der Kirchenlehrer oder der Heilige auf der höhe feiner Entwick⸗ 
lung dieſe Verfügung getroffen hat, ſondern der Student zu Padua. Ebenſo erſcheint 
als Motiv der eölen, bei feinem adeligen Stand doppelt beachtenswerten Tat zunächſt 
nur die Liebe, die im Tode noch nützen möchte, falls fie es im Leben noch nicht getan. 
Daß er ſeinen Schritt ſpäter förmlich mißbilligt hätte, iſt nicht anzunehmen; die hl. 
Seugin hätte dies ſonſt ſicher geſagt. Ob er ihn aber damals nicht vielleicht als 
bloßen Jugendſchritt bewertet hat? Jedenfalls hat er im Alter, wo er es als Biſchof 
freilich kaum mehr konnte, eine ähnliche Beſtimmung nicht mehr getroffen. 

So gut, ja notwendig für Rechtspflege und Heilkunde die Anatomie ſomit iſt, 
ſo geht es doch zu weit, wollte man behaupten, in Franz von Sales habe ein Biſchof, 
Rirchenlehrer und heiliger ſich als Freund und Förderer der Anatomie erwieſen. — 
Weitere Jeugenausſagen bei Hamon, Die de 8. Francois d. 8. nouv. &. t. I. (Paris 
1917) 85 f. P. Hildebrand Bihlmeyer (Beuron). 


P ˙ . 


67 


Bücherfchau 


Die hl. Schriften des Neuen Bundes. 
Aus dem Urtext überſ. mit Erläuterungen 
u. einer Einführung v. Dr. Uivard Schlögl 
O. Cist. gr. 8° (428 8.) Wien 1920, Burg- 
verlag: Richter & Zöllner. Geb. R. 33.— 

Wie ich daran ging, Schlögls Heues 
Teſtament zu beſprechen, Ram mir gerade 
eine Reihe von Druckbogen meiner dem- 
nächſt erſcheinenden Uberfegung der grie⸗ 
chiſchen Evangelien zu. Ich habe mich der 
Mühe unterzogen, fie mit Schlögls Über⸗ 
tragung zu vergleichen, und damit, weil 
mir der Urtert ſtets vorſchwebte oder 
nötigenfalls eingeſehen wurde, eine ein⸗ 
gehende Vergleichung Schlögls mit dem 
griechiſchen Original vorgenommen. Der 
Hotamina, die ich mir dabei in Schlögls 
Überſetzung machte, ſind überviele ge⸗ 
worden, und wenn ich darauf zurückſehe, 
kann ich nicht anders als das Buch ab- 
lehnen. Ein fo großer Gelehrter auf dem 
Gebiete der altteſtamentlichen Ezgegefe kann 
gewiß mit Recht beanſpruchen, daß er 
gehört werde, wenn er ſich daranmacht, 
das Ueue Teſtament zu überſetzen. Er 
gibt auch der Anregungen eine große Fülle, 
im Text wie in den Anmerkungen, aber 
ebenſo oft auch Grund zu Widerſpruch. 
An Anfechtungen hat es demnach nicht 
fehlen können. Schlögl hat ihnen in feinem 
Uachwort das trotzig⸗ſtolze Wort entgegen 
gehalten, daß er „die erſte richtige und 
erſte deutſche Überſetzung der Hl. Schriften 
des Ueuen Bundes“ biete. Wir nehmen 
gerne an, daß darin nicht eine Derkennung 
fremder und eine übergroße Einſchätzung 
eigener Arbeit liegen will, daß Schlögl 
vielmehr, als er das ſchrieb, nur an jene 
Stellen dachte, die er erſtmalig richtig 
überſetzt zu haben vermeint, ſowie an 
fein grundſätzliches Jurückgehen auf die 
Fhebräiſche“ Urform neuteſtamentlicher 
Wörter und Worte. Immerhin muß ſich 
aber ein Überſetzer, der ſo von ſeinem 
Werke ſpricht, auch gefallen laſſen, daß 
ihm ſtreng auf etwaige Fehler geſehen 
werde. Und Anlaß dazu iſt allenthalben 
gegeben. Es wird genügen, auf einiges 
hinzuweiſen. 


Segen die Textkritik Schlögls läßt ſich 
viel einwenden. So gilt ihm IIR. 2,26 
„zu Ebjatar, dem hohenprieſter“ als un⸗ 
richtiger einſchub; mehr als ein Hinweis 
auf das erſte Buch Samuel wird dazu 
nicht bemerkt. IIR. 13,32 iſt geftriden, 
„noch der Sohn“ wiſſe von jenem Tage, 
das bei Mt. und auch bei IR. in manchen 
Texten fehle; denn „als Gottes ſohn eins 
mit dem Vater mußte geſus davon wilfen“. 
Wenn man ſo zu Werk ginge, würden 
ſich mit leichteſter Mühe alle Schwierig» 
keiten des heiligen Textes beheben laſſen. 
Ein anderes Beiſpiel gibt der Anfang des 
13. Kapitels bei Johannes, dem Schlögl 
in keiner Weiſe gerecht wird. Der Ein⸗ 
leitungsſatz zum beiden Chriſti ſoll alſo 
lauten: „Da geſus vor dem Oſtertage 
wußte, daß feine Schickſalsſtunde nahe 
ſei, in der er aus der Welt zum Vater 
hinübergehen ſollte, und da er die Seinen 
in der Welt unendlich liebte, ſo weihte 
er fie.” Wenn aber die Überlieferung 
nicht geändert würde, dann müßte, wie 
die Anmerkung belehrt, überſetzt werden: 
„er erteilte ihnen das biebes mahl“. Dieſes 
Vorgehen erinnert nur zu ſehr an die 
Art Belſers, in die Worte alle möglichen 
Geheimniffe hineinzuleſen. Wie ſchlicht 
und groß klingt doch der Satz, wenn 
man ſich endlich dazu verſteht, ihn nicht 
als Einleitung bloß zum Abendmahl, 
ſondern zum zweiten Teil des Evange⸗ 
liums zu nehmen! Beim Engelsgruß 
hätten wir „du glücklichſtes Weib“ am 
liebſten ganz vermißt. Joh. 6,69, alſo 
lange vor der Szene bei Cäſarea Phi- 
lippi, leſen wir das ganz unmöglide: 
„Wir glauben und wiſſen, daß du der 
Chriftus, d. i. der Gottes ſohn bift.“ Über⸗ 
haupt ſcheint es, eine beſeart habe um 
fo ſicherer auf Aufnahme rechnen können, 
je mehr fie vom gewöhnlichen Tezt ab⸗ 
weicht. Wären die abſonderlichen Gefe- 
arten im Kommentar immer wie Mk. 7,2 
vermerkt, gäbe das einen großen Apparat. 
Das Schlimmſte ſteht in der Bemerkung 
zu Mt. 1,16, die Kirche habe den Text 
geändert, weil er irreführend überſetzt 


5* 


68 


worden ſei! Die altteſtamentlichen Zitate 
haben zwar an ſich mit der Textkritik 
nichts zu tun; wohl aber bei Schlögl, der 
mit unglaublichen Wagemut das Zitat der 
Urſtelle angleicht, erweitert, in Worte des 
Evangeliften umwandelt und doͤgl. mehr. 

Viel tut ſich Schlögl darauf zugute, daß 
er manche Wörter, aufs Hebräiſche zurück⸗ 
gehend, zum erſten Mal richtig überſetzt 
habe. Nur auf zwei Fälle ſoll eingegangen 
werden. Don Brüdern geſu zu reden 
wäre nach dem Nachwort Gottesläfterung. 
Das iſt mir unverſtändlich; doch möge 
Schlögl, ſtatt zu den Brüdern eine kurze 
Anmerkung zu geben, von Vettern geſu 
reden. Aber es iſt, als ob Bruder im 
weiteren Sinn überhaupt zu meiden fei. 
So ſteht Mt. 5,22 dafür einmal Mitmenſch 
und einmal Nächſter, 5,47 Volksgenoſſe 
und Mt. 23,8 ſagt der Heiland gar: „Ihr 
alle ſeid gleichberechtigte Amtsbrüder.“ 
Eingreifender iſt, wenn für das übliche 
Segnen und Danken bei der Brotver⸗ 
mehrung und beim letzten Abendmahl 
Vermehren und Verwandeln geſetzt iſt. 
Wie kann aber dasſelbe Wort GR. 22,17 
„nach Verrichtung des Tiſchgebetes“ und 
OR. 22,19 „verwandelte es“ heißen? Und 
warum hat Schlögl PR. 22,17 von einem 
lielche geſprochen, an allen anderen Stellen 
aber, wenn wir vom „Meßkelch“ 1 Kor. 
10, 16 abſehen, ftatt des Kelches Wein ein⸗ 
geſetzt? Eine ganze Entgleiſung ift die An⸗ 
merkung zu It. 14,12; wer Guft hat, leſe 
fie nach. Soviel ift aber ſicher: eine Uber⸗ 
ſetzung: „. .. vermehrte fie. Dann brach 
er die Brote” ift unmöglich; denn die Ver⸗ 
mehrung erfolgte erſt nach dem Brechen 
und das Wunderwirken dauerte ſo lange 
fort, als die Jünger von den Broten und 
Fiſchen austeilten. 

Hebraiſterend iſt die Wiedergabe fo 
mancher Eigennamen wie Jirmeja und 
Rajapha, die durch Jeremias und Kaiphas 
in den Anmerkungen erklärt werden. 
Solcher Manier hat Schlögl ſelbſt das 
Urteil geſprochen, da er Namen wie Meſ⸗ 
ſias, Chriſtus, Johannes, Maria, Jeſus 
nicht zu ändern wagt. Was tun in 
einer deutſchen Überſetzung „Sebedäiden“ 
(Mt. 22, 20) ſtatt der „Söhne des Jebedäus“ 
(MR. 10, 35), was eine regelmäßige Trans 
ſkribierung des Hofanna (Jo. 12, 13)? 


Schlimmer ift, wenn der Text III. 16, 17 
beſagt: „Sohn des Johannes“ und die 
Anmerkung richtigſtellt: „Griech.: Jonas 
(verkürzt aus gohannes).“ Dürfen wir 
die Dollform einſetzen, wenn Jeſus das 
abkürzende Barjona gebraucht hat? 
Doch genug davon; wozu all die Eigen- 
heiten aufführen, die freilich oft bedenklich 
genug find! Es finden ſich ſonſt Über⸗ 
ſetzungsfehler und Ungenauigkeit in Menge. 
Mt. 8, 4 iſt von der Gabe die Rede, die 
Moſes geſetzlich vorgeſchrieben hat; Mk. 1,44 
heißt es dafür: „wie es Moſes vorge⸗ 
ſchrieben hat, ihnen zum Jeugnis.“ Eine 
der Überſetzungen iſt falſch. Ahnlich 
könnte man mit den Parallelſtellen ver⸗ 
gleichen 3. B. Mt. 12, 29; 13,6; 15,9; 
Mk. 2, 10. Daß „ein Böſewicht“ und „der 
Feind“ (Ii. 13, 28 u. 39) dasfelbe befagen, 
läßt ſich gewiß nicht behaupten. Wenn 
Mt. 13, 18 ſtatt des Imperativs ſteht: 
„Ihr habt gehört“, ift das nur ein Der- 
ſehen, das freilich ſehr ſtört. Joſef „nahm 
ſein Weib zu ſich, obgleich er ihr nie bei⸗ 
wohnte“ findet ſich nicht Mt. 1, 24, und 
darüber hilft keine Gelehrfamkeit hinweg. 
Wie matt und falſch ſchließt doch die 
Bergpredigt: „Fällt ein Regen oder ſtür⸗ 
men die Fluten heran oder brauſen die 
Winde und ſtoßen gegen ein ſolches Haus, 


ſo ſtürzt es ein!“ Schlögl hat ſich oft vom 


Satzgefüge des Urtextes freigemacht, wie 
oft aber das Verhältnis der Gedanken 
verkehrt gegeben! Ebenſo willkürlich find 
mitunter die Uberleitungen. Bei Matthäus 
heißt es da: „Als geſus dann in das 
Gebiet von Cäſarea Philippi Ram”, bei 
Markus noch deutlicher: „Don dort begab 
fih Jeſus in die Ortſchaften bei Cãſarea 
Philippi“. Iſt es denn ſicher, daß die 
Cäfareafzene unmittelbar auf das Oetzt⸗ 
erzählte folgte? Was ſoll man ſagen, wenn 
Mt. 13, 1, wo wir überſetzen „an jenem 
Tage“, dafür „einſt“ zu leſen iſt, umge» 
kehrt aber Pk. 8, 1 ſtatt „in der Folge⸗ 
zeit“ geſetzt ift „am folgenden Tage“, das 
ſchon mit dem Inhalt des Folgenden in 
grellem Widerſpruch ſteht. Wie Schlögl 
Mt. 27, 50 zu der Überſetzung kommt: 
„dann entwich ſeine Seele“, iſt mir ein 
Rätfel. Überfegungen wie: „Unfer Dater, 
der im himmel du thronft, deine Hoheit 
werde heilig gehalten“ oder: „Der Weiber 


Slücklichftes biſt du, gepriefen ſei die Frucht 
deines Geibes” zeigen, daß die Überſetzung 
fürs Volk wahrlich nicht geeignet iſt. Bei 
einer anderen Stelle (Jo. 6, 63), wo es 
heißt: „Die Sottheit iſt, die das beben 
verleiht, die Menfchheit allein nützt nichts,“ 
. müffen wir ſtaunend fragen, ob denn 
Jeſus je von feiner „Gottheit“ und „Menſch⸗ 
heit“ geſprochen und ob er damals ſchon 
feine Gottheit Jo unzweifelhaft geoffenbart 
habe, daß er ſolchermaßen reden konnte. 
Was Schlögl in den Anmerkungen hie 
und da einfließen läßt, zeigt gerade für 
ſolche Fragen wenig Verſtändnis. So ſollen 
ſchon bei der Heilung des Gelähmten die 
Feindel ) Jeſu verftanden haben, daß er 
als Gott betrachtet ſein wollte. Schon zu 
Beginn zeigt ſich da Unklarheit. Es iſt 
erfreulich, von den Magiern zu hören, fie 
ſeien gekommen, dem Neugeborenen zu 
huldigen; wie aber kann herodes ihnen 
antworten, er wolle ihn auch anbeten? 

es iſt gut, das Buch zu ſchließen; denn 
ſonſt Räme man an kein Ende. Das Ge⸗ 
ſagte wird aber hinreichend erkennen laſſen, 
daß Schlögls Überſetzung abzuweiſen iſt 
und nur dem Kundigen in die Hand ge⸗ 
geben werden darf, der den Urtext richtig 
zu leſen verſteht. Dann aber bietet ſte 
vieles, mag man Zchlögl im Einzelfall 
folgen oder widerſprechen. Ich habe ſie 
ſchon benützt und denke oft darnach zu 
greifen. 

B. qoannes Maria Pfättiſch (Scheuern). 


Das alte Teftament überſ., eingeleitet u. 
erklärt von Emil Dimmler. 1. Das 
Buch der Weisheit. 12° (173 8.) M. 
Glaòbach 1920, Bolksvereins verlag. M. 10. 
2. Prediger. (74 5.) 3. Jſaias. (318 8.) 
4. Jeremias (278 8.) 5. Ezechiel. (270 8.) 
6. Daniel, Klagelieder, Baruch. (221 
8.) 7. Die kleinen Propheten. (331 8.) 
Ebd. 1921. Seb. je M. 7.20. 

Dimmlers Ausgaben des II. T. find be⸗ 
Rannt. Mit fleißiger Hand hat ſich der 
herausgeber nun auch an die einzelnen 
Bücher des A. T. gemacht und läßt in er» 
ſtaunlich raſcher Folge Bändchen auf Bände 
chen erſcheinen. 

Die Methode der Bearbeitung iſt im 
Weſentlichen die gleiche wie bei den Aus ⸗ 
gaben des N. T. Gute Einführungen, die 


69 


den geſchichtlichen hintergrund zeichnen und 
die wichtigſten literariſchen Probleme be⸗ 
rühren, leiten die einzelnen Bücher ein. 
Bei der Kürze der Behandlung ſollte ſich 
aber der Herausgeber vor Behauptungen 
hüten wie: „Der Unglaube hat die Deu⸗ 
teroiſaias⸗Frage aufgeworfen“ (Ifaias, 
Einl. 8. 15). Das iſt zum mindeſten ſehr 
irreführend. 

Die Überſetzung iſt gut und berück⸗ 
ſichtigt an ſchwierigen Stellen den Urtext. 
Dadurch, ſowie durch Einfügen mancher 
erklärender Wörter und Wendungen ge⸗ 
winnt der Text an Klarheit. 

Die Erklärung beſchränkt ſich im weſent⸗ 
lichen auf einführende Bemerkungen, die 
jedem Kapitel bezw. Abſchnitt vorausge- 
ſchickt werden, den Inhalt kurz zufammen- 
faſſen und wenn nötig, einſchlägige Pro⸗ 
bleme und Schwierigkeiten berühren. Ob 
dieſe Methode, ſchon rein äußerlich ge⸗ 
nommen, ganz glücklich iſt, darüber ließe 
ſich ſtreiten. Jum mindeſten erſchiene 
mir eine Verteilung und Einfchiebung. 
dieſer einführenden Erklärungen in den 
Text ſelber viel zweckmäßiger; denn bis 
man zum Text ſelber kommt, hat man 
den Inhalt der vorausgehenden Bemer⸗ 
Rungen wohl vielfach wieder vergeſſen. 
Eine mechaniſche Vergleichung der zu⸗ 
ſammengehörigen Abſchnitte iſt deshalb 
nicht immer möglich, weil die Zahl dieſer 
Abſchnitte in Text und Erklärung viel⸗ 
fach nicht die gleiche iſt. Ein zuſammen⸗ 
hängendes beſen des Textes würde dieſe 
Art der Anoroͤnung gleichwohl ermög⸗ 
lichen, da Erklärung und Text mit ver⸗ 
ſchiedenen Gettern gedruckt ſind. 

Dimmlers Ausgaben des U. T. haben 
gewiß viel Uutzen und Freude geſtiftet. 
Die Ausgaben des A. T. werden es nicht 
weniger tun. Darum ſeien die handlichen 
Büchlein vor allem der katholiſchen Paien⸗ 
welt beſtens empfohlen. 

P. Athanafius Miller (Beuron). 


Japletal, Dincenz, 0. B., Jephtas 
Tochter. Kulturbilder aus der Frühzeit 
des jüdiſchen Volkes. 8° (VIII u. 372 8.) 
Daderborn, Schöningh. Geb. M. 13.— 
In Band II (1920 5. 187) dieſer Zeit. 
ſchrift hat Rezenſent über den erften Band 
der „Erzählungen und Betrachtungen aus 


70 


dem Buche der Bücher“ von Dr. IM. Höhler 
berichtet. Was Höhler in mehr volks- 
tümlicher, ſchlichter Weiſe zu bieten verſucht 
hat, das verſucht hier ein berufener Vertreter 
der altteſtamentl. Wiſſenſchaft in großem 
Stile auf Grund reicher exegetiſch⸗wiſſen⸗ 
ſchaftlicher Kenntniſſe und perfönlicher Er» 


fahrungen und Erlebniffe im Lande der. 


Bibel. Der gedrängte, einfache Bericht 
von gephtas Geben, Taten und Schickſalen 
iſt hier in ein ungeheuer reiches Gewand 
bibliſch⸗archäologiſcher Schilderungen aus 
dem Alltagsleben des Morgenlandes ge⸗ 
hüllt. Faſt möchte man meinen, es wäre 
hierin zu viel des Guten geboten; denn 
dadurch wird die ganze Erzählung nicht 
nur im allgemeinen zu breit, ſondern 
auch viele Einzelheiten müſſen dabei doch 
recht geſucht und unnatürlich untergebracht 
werden. Warum muß z. B. 8. 17 f. Jephta 
mit feinem Spielkamerad den Schmerz der 
bekannten Natanparabel erleiden (2. Sam. 
12. 1 ff.)? Der Charakter Jephtas, das 
Werden und Wirken des helden iſt ſonſt 
im Ganzen gut gezeichnet. Der Erzählung 
fehlen nicht ſpannende, ja ergreifende 
Einzelſchilderungen. Feſſelnd leſen ſich 
3. B. Abſchnitte wie die „Abende“ oder 
„In Begleitung einer Karawane“. Über 
der Tragik des blutigen Opfertodes felbft 
führt uns der Derfaffer in diskreter Weiſe 
raſch hinweg. 

Wäre es geſtattet, über den geſchichtlichen 
Wert der Schilderungen ein Wort zu Jagen, 
fo müßte man alleröings wohl hinter 
manches ein Fragezeichen ſetzen. Das Buch 
enthält eine etwas ſtarke Miſchung von 
Altertum und Ueuzeit. Decken ſich die 
jetzigen arabiſchen Sitten und Anſchau⸗ 
ungen auch in vielem mit den Gebräuchen 
der alten Zeit, fo darf man doch nicht 
ſchlechthin alles Heutige in jene Jahr⸗ 
hunderte zurückverlegen. Dies gilt be⸗ 
ſonders von ſo vielen modernen Albern⸗ 
heiten und Tollheiten (vgl. 3. B. 8. 14; 
72; 207), die man leicht vermiſſen könnte. 
Geſchichtlich unpſuchologiſch wirkt auch die 
väterliche Ermahnung an Jephta (8. 71). 
Der freie, jugendliche Verkehr beider Ge- 
ſchlechter dagegen, wie ihn der Verfaſſer 
im allgemeinen nicht nur anläßlich der 
Hochzeit ſchildert, iſt heute ſicher nicht die 
Regel. Im alten Israel mag es gleich 


wohl ſo geweſen ſein. Der „Jordankaſten“ 
(S. 89) ſtützt ſich wohl auf eine Darſtellung 
der Madabakarte. Die jährliche Verteilung 
des Ackerfeldes mit einem Strick erinnert 
ſtark an Gebräuche, wie fie unter der 
Türkenherrſchaft in der Philiſterebene 
herrſchten. Mit der Zeit unſerer Erzäh- 
lung haben alle diefe Dinge kgum etwas 
zu tun. 

Daß der Derfaffer Fephta feine Tochter 
wirklich opfern läßt, ift bei einem Alt⸗ 
teſtamentler ſelbſtverſtändlich. Jede andere 
Auffaſſung beweiſt wenig Derftänönis für 
Text und Zeitgeſchichte. Dagegen fällt 
die ganze, ſonſt kräftig gehaltene Er» 
zählung am Scluffe leider ſtark ab. 
Hier wird Jephta der held auf einmal 
— man verzeihe den Ausdruck — reif für 
die pſuchiatriſche Klinik und ſiecht und 
ſtirbt kläglich dahin in Schwermut urid Der- 
zweiflung über eine Tat feines Gewilfens. 

Das Buch bietet viel des Anregenden, 
Spannenden und archäologiſch Belehren⸗ 
den. Ich möchte aber glauben, die meiſten 
Gefer werden ſich ſchließlich doch an dem 
einfachen, ſchlichten Text der Bibel mehr 
erbauen, als an dieſer Art von „Mid- 
raſchim “. 

P. Athanaſius Miller (Beuron). 


Die kirchliche Dermittlung der Sünden. 
vergebung nach Auguftinus. Zonder⸗ 
abö ruck aus der Zeitſchrift für katholifche 
Theologie Band XLV (1921). Don Dr. 
Bernhard Poſchmann, Prof. d. Theol. in 
Braunsberg. 80 (80 8.) Im Selbſtverlag. 

Für Auguftinus ſteht es unerſchütterlich 
feft, daß die Sündenvergebung nur in der 
Kirche möglich iſt. In der Frage aber 
nach dem Inhalt der kirchlichen Göfegewalt 
iſt A. nicht Jo klar. 

Hier müſſen drei Faktoren zuſammen⸗ 
wirken: die perſönliche Bußleiſtung, Sott 
und die Kirche. 1) die Sünde muß bei 
der Buße — anders bei der Taufe — durch 
perfönlihe Anſtrengung geſühnt werden. 
Dabei betont A. vorzüglich die Bußgeſin⸗ 
nung, die Reue, im Gegenſatz zu Origenes 
und Cuprian, die den Uachoͤruck auf die 
Genugtuung legen. — 2) Gott erweckt 
den Sünder zu neuem Geben (suscitatio). 
Die unmittelbare Wirkung der göttlichen 
Wiedererweckung ift die „confessio“, ö. i. 


die irgenöwie geäußerte Reue, mit der 
aber nach A. nicht ſchon die Sünden ver⸗ 
gebung, die eigentliche Wiedergeburt ge⸗ 
geben ift; fie iſt vielmehr nur die Wege⸗ 
bereitung für Gott, damit er zum Sünder 
komme. — 3) Der von Gott zum neuen 
beben Erweckte muß noch gelöft werden 
(solutio). Dies hat die Kirche zu tun. 
Sie löſt den „reatus peccati“ der auch 
nach der göttlichen „suscitatio“ in der Seele 
bleibt, alſo nicht nur die Strafe, ſondern 
auch die Schuld. 

Der heilige Geift ift es, der die Sünden 
nachläßt; dieſer Heilige Geift iſt nur in 
der wahren Kirche. Alſo gibt es nach A. 
außer der wahren Kirche keine Sünden⸗ 
vergebung. Die eigentliche Wirkurſache 
iſt nicht das sacramentum an ſich, ſondern 
der Eintritt in die organiſche Lebens 
gemeinſchaft mit der Kirche der heiligen, 
d. i. der Gläubigen, welche den hl. Geiſt 
beſitzen. Der heilige Geift gießt die Liebe 
in die herzen der in die Kirche Eintreten⸗ 
den und die Giebe tilgt die Sünden. Die 
prieſterliche Tätigkeit der Löſung beſteht 
in der Wiedervereinigung der Sünder mit 
der Kirche, und fo iſt die ſakramentale 
Gewalt das unentbehrliche Mittel zur Mit⸗ 
teilung des Heiligen Geiftes, d. i. der Recht⸗ 
fertigung nach der negativen und pofitiven 
Seite. Dadurch, daß der kirchliche minister 
kraft amtlicher Ausübung der Schlüſſel⸗ 
gewalt, nicht mit Rückſicht auf ſeine per⸗ 
ſönliche ſittliche Beſchaffenheit, dem Sünder 
den Einlaß in die Kirche der heiligen ver⸗ 
mittelt, wirkt er, als causa instrumen⸗ 
talis, ex opere operato die Sündenver⸗ 
gebung. 

So gibt es für Auguftinus außer der 
Kirche kein Heil. Indes iſt nach ihm die 
krirchlich⸗ſakramentale Vermittlung der 
Gnade nicht abſolut notwendig, wenn fie 
ſchon normalerweiſe gefordert iſt. hier 
finden ſich bei Auguftinus zwei unaus⸗ 
geglichene Dorftellungen, ebenſo wie Au- 
guſtinus in der Frage nach dem Gegen⸗ 
ſtand der Buße und in der behre, daß 
gewiſſe ſchwere Sünden noch im Fenſeits 
vergeben werden können auf Schwierig 
keiten ſtößt, die er nicht vollmommen zu 
löſen vermag. Eine private Buße, ins- 
befondere für Rückfällige, kennt Augu⸗ 
ſtinus nicht. 


71 


D.’s Unterſuchungen zeugen von einer 
intenfiven Beſchäftigung mit der überaus 
ſchwierigen Frage, in welche fie viel Licht 
bringen. Man wird indes nicht allen, 
Anſichten des D. ohne weiteres zuſtimmen 
können. Die Frage nach der Privatbuße 
dürfte auch durch P.“s Polemik gegen Prof. 
Adam nicht entſchieden ſein. 

P. Benedikt Baur (Beuron). 


Guardini, Dr. R., Die Lehre des hl. 
Bonaventura von der Erlöfung. gr. 8°. 
(XX u. 206 8.) Düſſeldorf 1921, Schwann. 
m. 25.— 

„Der Gegenftand dieſer Schrift ift zu⸗ 
nächſt ein geſchichtlicher, aber ihre eigent⸗ 
liche Abſicht zielt auf das Zuſtematiſche.“ 
Dementſprechend finden wir zwar, jeweils 
am Schluß einer Gedankengruppe, Hin⸗ 
weiſe auf Auguftinus, Pſeudodionuſtus, 
Anſelm, Alexander von Hales u. a., auch 
gelegentlich eine feingefühlte Andeutung, 
wie ſich eine beſtimmte Auffalfung des 
hl. Bonaventura aus feiner perſönlichen 
Eigentümlichkeit und Stellung erklärt, 
aber „es kam dem Derfalfer nicht fo ſehr 
darauf an, zu zeigen, wie der Meiſter zu 
dieſer oder jener Anſchauung kam, [on« 
dern darauf, wie fie ſuſtematiſch im 
Geöankenkomplex ſeiner Gehre ſtehe, und 
ferner, ob der betreffenden Gedanken⸗ 
fügung eine tupiſche, für den Aufbau der 
Soteriologie überhaupt maßgebende Be⸗ 
deutung innewohne.“ Bonaventura aber 
wurde deshalb zur Grundlage gewählt, 
weil bei ihm der ganze Reichtum der 
Erlöſungslehre an ſpekulativen, muſti⸗ 
[hen und praktiſchen Gedanken wie bei 
keinem anderen Scholaftiker zur Ent» 
faltung komme; vgl. beſonders den dritten 
Teil, wo die Erlöſung nicht bloß behandelt 
iſt als Genugtuung, ſondern auch als 
Belehrung und Erziehung, als Neu⸗ 
ſchöpfung, als Wiederherſtellung der Ge- 
meinſchaft mit Gott, als Befreiung von 
der Gewalt des Teufels, ferner in ihrer 
Beziehung zum muſtiſchen Leib Chriſti 
und zum Seelenlicht. Dadurch wird neben⸗ 
bei der Dorwurf entkräftet, daß die mittel⸗ 
alterliche Theologie die Satis faktionsidee 
einſeitig betont hätte. Dieſen Reichtum 
an Gedanken über die Erlöſung gewinnt 
man allerdings nur, wenn man, wie Der« 


72 


faſſer es getan hat, ſämtliche Werke 
des hl. Bonaventura durcharbeitet. Es iſt 
bewundernswert, wie er den reichen und 
‚komplizierten Stoff meiſtert und zu einem 
lebensvollen, einheitlichen und überſicht⸗ 
lichen Ganzen verbindet. Er ſteht ganz 
über dem Stoff und ſieht auch die 
Unvollkommenheiten in der Lehre des 
Heiligen. Das zeugt von einer großen 
ſpekulativen und dialektiſchen Kraft und 
gründlichen, ſelbſtändigen theologiſchen 
Durchbildung. 
P. Placidus Pflumm (Neresheim). 


Scharſch, Ph., Obl. m. J., Die Devo⸗ 
tionsbeichte. Die Tilgung der läßlichen 
Sünde in der heiligen Beichte. Lehre und 
Anleitung. 8° (229 8.) Leipzig 1920, 
Dier-Quellen-Derlag. Seb. M. 16.—. 

ein wichtiges Glied im Organismus des 
geiſtlichen Lebens wird hier zum erſten 
Mal allſeitig und grundſätzlich behandelt. 
Die Gehre iſt theologiſch klar und gediegen. 
Die Anleitung voll Umſicht, Menſchen⸗ 
kenntnis, Milde. Die Sprache edel, friſch, 
anziehend. 

Die erften drei Kapitel haben mehr vor⸗ 
bereitenden Charakter. Im Rampf gegen 
die läßliche Sünde, deren Eigenart und 
Wirkungen das 1. Kap. darſtellt, iſt die 
Devotionsbeicht (Heiligungsbeicht) nur ein 
Mittel unter vielen anderen (Kap. 2), je⸗ 
doch neben der heiligen Eudjariftie das 
wirkfamfte (Rap. 8). Die Kapitel 4— 10 
bilden den Kern des Buches. Sie regen 
an zu einer gründlichen Ueugeſtaltung des 
herkömmlichen Beichtbetriebs. Grund- 
legend iſt (Rap. 4) die Beſinnung auf den 
Doppelzweck der Beicht: Reinigung der 
Seele von der begangenen Sünde und 
Bewahrung der Seele vor der künftigen 
Sünde. Mag bei der ſeltenen und bei der 
Bekehrungsbeicht die Vergangenheits⸗ 
wirkung der Hauptzweck fein, bei der 
Devotions- (oder Erziehungs ) Beicht muß 
das Hauptaugenmerk ſich auf die Zu- 
Runftswirkung richten. Die Devotions⸗ 
beicht ſoll eine Schule der Selbſterziehung 
fein. Dieſer Gedanke wird in den Kapiteln 
8 10 auf die einzelnen Beſtandteile der 
Beicht (Gegenftand, Gewiſſenserforſchung, 
Reue, Vorſatz, Anklage, Genugtuung) an⸗ 
gewandt. Um jeden Anlaß zu Angſtlich⸗ 


Reit auszuſchalten, erledigt der Verf. jedes» 
mal zuerſt mit Sorgfalt die Bedingungen, 
unter denen die Beicht gültig iſt, und 
geht erſt dann an das eigentliche Thema: 
wie wird die gültige Beicht auch frucht⸗ 
bar. Es wird Reinen beſer geben, der 
nicht neue Klärung, Beruhigung und Er⸗ 
munterung erfährt bei der Lektüre der 
Kapitel über Gewiſſenserforſchung und 
Reue. Die wertvollſten Abſchnitte aber 
ſind die Kapitel über den Vorſatz (8 und 
10). Die Dernadläffigung des Vorſatzes 
iſt der Grund, warum ſo viele Beichten 
faſt ohne Einfluß auf das Geben bleiben. 
Die meiſten Geute begnügen ſich mit dem 
virtuellen, d. h. im Reueakt enthaltenen 
Vorſatz oder doch mit dem ganz all« 
gemeinen, nicht mehr ſündigen zu wollen. 
Aber es iſt klar, daß nur der ausdrück⸗ 


liche, klar gefaßte, der eigenen Not und 


Kraft angepaßte, die vorbeugenden, an⸗ 
eifernden, ſühnenden Mittel voraus- 
beſtimmende Vorſatz, nur ein Vorſatz alſo, 
der als ſelbſtändiger Derftandes- und 
Willensakt in die Zukunft [haut und fie 
zu bemeiſtern fucht, die Beicht wahrhaft 
wirkſam und fruchtbar machen kann. 
Die drei letzten Kapitel betrachten die 
Devotionsbeicht wiederum als Ganzes und 
erledigen die Fragen, wie oft man beichten, 
ſoll, welche Früchte man von der häu⸗ 
figen Beicht erwarten darf, und in wel⸗ 
chem Verhältnis Devotionsbeicht und täg⸗ 
liche Kommunion zu einander ſtehen. Der 
Seiſt des hl. Franz von Sales und der 
hl. Gertrud weht in diefem Buche. Mit 
Vorliebe beruft ſich der Verf. auf dieſe 
beiden Heiligen. Dem Geifte diefer Heiligen 
entſprechen die beiden Grundgedanken des 
Buches: in der Devotionsbeichte geſchehe 
alles aus Liebe, mit weitherziger Freiheit 
und hochherzigem Eifer, und dann: in 
geiſtlichen Dingen hat nicht das Gefühl 
zu entſcheiden, ſondern die zielklare Der- 
ftandeserwägung. 

Das Hauptverdienſt des Buches befteht 
aber darin, daß es die pofitive Seite der 
Buße wieder mehr ins bicht rückt und 
dazu anleitet, die Beicht nicht einſeitig als 
Reinigungsbad zu betrachten, ſondern als 
weckende Kraftquelle, nicht als ein bloß ab⸗ 
ſchließendes Aufräumen und Reinmachen, 
ſondern als tatfrohen Anfang, als neuen 


Stützpunkt für Jukunftsbemeiſterung, als 
göttliche Ausrüftung und Weihe für den 
Angriff. 

Ein kleines Sachregiſter würde das 
Wiederaufſuchen der trefflichen Ratſchläge 
und Grund ſätze, die durch das ganze Buch 
hin zerſtreut ſind, erleichtern. In der Dar⸗ 
ſtellung der behre von der läßlichen Sünde 
vermißt man eine Einteilung der Arten 
der läßlichen Sünden nach ihrer Schwere. 
Auch der Unterſchied zwiſchen Unvoll⸗ 
kommenheit uud läßlicher Sünde (8. 9 
und 74) dürfte eingehender und grund⸗ 
ſãtzlicher behandelt fein. 

P. Bernhard Barth (Maria - Paach). 


Zürcher, Ambros, O0. 8. B., Gute 
menſchen. handbücher zur heran⸗ 
bildung guter Menſchen. Taſchen⸗ 
format. Einfiedeln 1921. Benziger & Co. 


. Gute Rinder (384 5.) M. 9.30 
Gute Söhne . (452 5.) Mm. 14.— 
Gute Töchter (456 8.) M. 14.— 
Gute Männer (408 8.) M. 14.— 
Gute Frauen (472 8.) M. 14.— 


S M D 


. Gute alte Geute . (500 8.) M. 16.— 


(Und höher). 
Gottesdienft und Gottmenſchen. Lehr- 
und Andachtsbücher für die Jugend und 
das Ratholiſche Volk zur Einführung in 
das Derftändnis der Ratholiſchen biturgie 
und in das Ratholiſche beben. Taſchen⸗ 
format. Ebd. 1921. 

1. Wlegbüdjlein der Jugend. (126 8.) 
M. 6.90. Dasſelbe mit Anhang (126 u. 
39 8.) M. 9.60. 2. Meßbuch der Jugend. 
(576 8.) M. 16.50. 3. Meßbuch für Volk. 
(766 8.) M. 16.50. 4. Ich beichte bald. 
(230 8.) M. 9.—; geb. M. 13.50. 5. Ich 
kommuniziere bald. (224 8.) M. 6.60; 
geb. M. 11.—. 6. Der gute Miniſtrant. 
(288 8.) III. 8.25. 7. Der gute Sakriſtan. 
(630 8.) M. 19.50. (Und höher). 

Die Serie „ute Menſchen“ berückſichtigt 
die verſchiedenen Altersftufen und Stände. 
Die Belehrungen, die den erſten und den 
Hauptteil jedes Bändchens ausmachen, ſind 
bei aller Einfachheit ſehr anſprechend, ge⸗ 
diegen, durch und durch praktifh und 
zeitgemäß. Der zweite Teil jedes Bänd⸗ 
chens enthält entſprechende Gebete und 
Andachten. — Die zweite Serie „Gottes ⸗ 
dienſt und Sottmenſchen“ dient der Der- 


78 


tiefung des liturgiſchen Berftändniffes des 
Ratholifhen Volmes. Die Meßerklärung, 
die liturgiſchen Erläuterungen der einzelnen 
Wleßgebete, die vielen praktiſchen Winke 
und Anleitungen zum befferen Anhören 
der heiligen Reſſe, zum Empfang der 
heiligen Sakramente des Altars und der 
Buße, befriedigen in ſeltenem Maße. Alles 
praktiſch, gediegen, ganz fürs Volk. 

P. Ambros Fürcher legt in den zwei 
Serien einen neuen Beweis ab für feinen 
glühenden Seeleneifer, für ſeinen prak⸗ 
tiſchen Sinn und für feine Gabe, zum 
Dolke, zu den Kleinen und zu den Großen, 
zu reden. Die beiden Serien verdienen 
uneingeſchränktes bob. Die ſchön aus⸗ 
geſtatteten Bändchen ſind wert, in viele, 
viele hände zu kommen; wir möchten 
ſie hiemit beſtens empfehlen. 

P. Benedikt Baur (Beuron). 


eEinſtimmige ſtirchenmuſik. Unter der 
Bezeichnung „einftimmige Kirchenmuſik“ 
faſſe ich einige Bertonungen religiöſer Texte 
für Sologeſang oder einſtimmigen Chor 
mit Orgel» oder harmoniumbegleitung zu» 
ſammen, die in der letzten Zeit vorgelegt 
worden find. Ich weiß es wohl, es fallen 
nicht alle unter den Begriff „Kirchenmuſik“ 
im engeren Sinn. Aber es können doch 
alle im Gotteshaus und bei gottesdienſt⸗ 
lichen Anläſſen gut verwendet werden. 
1. Sandhage, Albin, op. 7. Requiem III. 
für einftimmigen Rinder⸗ oder Frauenchor 
mit Orgeibegleitung. Regensburg, Puſtet. 
Der verdiente Pfarrdechant von hamm 
in Weſtfalen hat mit dieſem Werke den 
aus feiner Gemeinde ſtammenden gefalle- 
nen Helden des Weltkrieges ein tönendes 
Denkmal geſetzt. Wie die „Vorbemerkung“ 
ſagt, iſt diefe Rompofition ſämtlicher litur⸗ 
giſcher Seſangstegte aus der Totenmeſſe 
„gedacht für Schulkinder, die im Schiff der 
Kirche ohne weitere Direktion als die der 
Orgel am liturgiſchen Gefange teilnehmen”. 
Die Orgelbegleitung iſt obligat. Denn die 
Melodie iſt durhaus harmoniſch empfun⸗ 
den und bedarf nicht bloß des ſtützenden, 
fondern auch des erklärenden und ergän⸗ 
zenden vierſtimmigen Orgelſatzes. Dieſer 
Umſtand und der Taktrhuthmus unter⸗ 
ſcheiden den Gefang vom gregorianiſchen 
Choral. Aber der Geift des „eigentlichen 


74 


liturgiſchen Gefanges“ lebt in der Rompo- 
fition. Ich verftehe darunter den Bebets- 
charakter, die kindliche Einfalt des Herzens, 
den Ernft des Ethos, das Beftreben, den 
liturgiſchen Tezt deutlich und klar, würdig 
und andächtig zum Vortrag zu bringen 
und endlich das demütige Jurücktreten 
des komponierenden und ſingenden Indi⸗ 
viduums hinter die Empfindungswelt der 
kirchlichen Gemeinſchaft. In Kirchen mit 
vielen geſungenen Seelenmeſſen wird ſich 
trotz der hohen Vorzüge des vatikaniſchen 
Choralrequiems das Bedürfnis nach Ab⸗ 
wechslung geltend machen. Ihnen ſei 
Sanöhages op. 7. warm empfohlen. 


2. Johner, P. Dominikus 0. S8. B. Gi-. 


taniae Pauretanae octo modis aòcom⸗ 
modatae 8. Cantus gregoriani. Düſſel⸗ 
dorf, Schwann. | 

Die künftlerifde Form der Litaneien- 
kompoſition ift ein Problem. Iamentlicd) 
zwei Schwierigkeiten ſind zu überwinden: 
Junächſt dürfen die zahlreichen gleich⸗ 
förmigen Anrufungen nicht zu öder, lang 
weiliger, endloſer Wiederholung derſelben 
kurzen melodiſchen Phraſe führen. Trotz⸗ 
dem ſoll aber die liturgiſche Form gewahrt 
bleiben und die Möglichkeit, auch mit dem 
ſingenden Beten die kirchlichen Abläſſe 
zu gewinnen. 

Die erſte Schwierigkeit hat J. über⸗ 
wunden durch Zufammenfaffung von je 
4 Anrufungen zu einer muſikaliſchen Pe⸗ 
riode. Anſtatt 48 mal eine kurze melo⸗ 
diſche Phraſe bis zur Übermüdung zu 
wiederholen, läßt J. dieſe längere, in ſich 
gegliederte, aber durch das künſtleriſche 
Mittel der melodiſchen Steigerung und des 
ſummetriſchen konſtruktiven Aufbaus nach 

dem Vorbild der alten gregorianiſchen 
Choralgeſänge einheitlich geſtalteten Pe⸗ 
riode nur 12 mal fingen. Weil nun dieſe 
12 Perioden zwiſchen Borfänger und Chor 
verteilt werden, kommt auch in die zwölf⸗ 
fache Wiederholung noch genügend Ab⸗ 
wechslung. J. denkt ſich die 3 erſten 
Anrufungen geſungen von den Dorfängern, 
worauf der Chor mit der vierten Anrufung 
antwortet und die Periode zum Abſchluß 
bringt. Die praktiſche Erprobung hat aber 
gezeigt, daß es wirkungsvoller und Rünſt⸗ 
leriſch richtiger ift, die Dorfänger 4 An⸗ 
tufungen, alſo eine volle Periode über⸗ 


nehmen und dann den Chor mit einer 

vollen Periode antworten zu laſſen. 
Die zweite Aufgabe löſt J., indem er 

ſich genau an den kirchlichen Text und 


an die Dorfchrift hält, das ora pro nobis 


an jede Anrufung anzufügen. Sodann 
vor allem dadurch, daß er die ganze Kom⸗ 
poſition mit dem Geiſte des gregorianiſchen 
Chorals erfüllt. Ich denke da nicht nur 
an die Notenſchrift, an die Rirchentonarten, 
an die Einſtimmigkeit, an die Diatonie, 
an den freien Rhythmus — all das find 
formale Elemente, die vom Choral herüber⸗ 
genommen find. Ich meine in erſter Pinie 
jenen hohen Vorzug der altkirchlichen Ge- 
ſänge, auf den einmal der hl. Auguftin 
hindeutet, wenn er in einer ſeiner herr⸗ 
lichen homilien ſagt, cantando oravimus 
et orando cantavimus. 

3. Johner, P. Dominikus O. 8. B. Acht 
neue Marienlieder für einſtimmigen Chor 
mit Orgelbegleitung. Zehn neue Marien⸗ 
lieder (zweite Folge) für Solo- oder ein⸗ 
ſtimmigen Chor mit Orgelbegleitung. Zehn 
neue Rommunionlieder für einftimmigen 
Chor mit Orgelbegleitung. — Derlag der 


kirchenmuſikaliſchen Geſellſchaft m. b. 5. 


St. Gregor, Beuron. 

Die Gieder des Beuroner Rantors haben 
vor allem drei Vorzüge: 1. fie haben ſorg⸗ 
fältig ausgewählte, literariſch hochſtehende 
Texte. 2. Ihre Melodie iſt ein dem Text 
ſehr gut angepaßtes Gewand, das ein 
ſinngemäßes Deklamieren geſtattet. Sie 
iſt ſehr leicht ſingbar, warm empfunden 
und atmet tiefe Frömmigkeit und liebe; 
volles Eingehen auf den Stimmungsgehalt 
der Dichtungen. 3. Die Begleitung iſt nicht 
geſucht und weithergeholt, ergiebt ſich viel⸗ 
mehr mit Notwendigkeit aus der harmo⸗ 
niſchen Grundlage der Melodie. Sie iſt 
einfach, aber modern und trägt nicht eine 
Ralte, ſinnenfeindliche Askeſe zur Schau. 

Wer dieſe bieder zum Vortrag bringen 
will, möge aber folgendes berückſichtigen: 
die Deranlaffung zur Kompoſition der 
J'ſchen bieder gaben die kleinen Mutter⸗ 
gottesandachten, die in Beuron im An⸗ 
ſchluß an die Samstags veſper gehalten 
werden. Hierbei wird ein deutſches Marien ⸗ 
lied von zwei Soliſten vorgeſungen und 
der Refrain vom ganzen Chor wiederholt. 
J. dachte ſich bei der Kompofition nicht 


eine große Dolksgemeinfchaft als ausfüh- 
tendes Organ. Dem intimeren Charakter 
der Dertonung muß man Rechnung tragen. 

Anders liegt die Sache bei den folgenden 
beiden Sammlungen. 

4. Kreitmaier, Jofef, 8. J., op. 21. Un⸗ 
ſere kirche. 176 neue religiõſe bieder für 
Kirche, Schule u. haus mit Orgel» oder Hhar⸗ 
moniumbegleitung. Regensburg, Habbel. 
Derf. op. 27. Dem König der Könige. 
Ein Büchlein neuer Kirchenlieder. Ebd. 

Dieſe bieder find gedacht als „KRirchen⸗ 
lieder“, religiöfe, kirchliche Volks lieder. 
Ju dem Zchatz der kirchlichen Volkslieder, 
die wir aus dem Mittelalter und den 
Tpäteren Jahrhunderten ererbt haben, foll 
auch unfere Zeit ihren Beitrag liefern. 
Es wäre ein ſehr betrübendes Zeugnis 
für die Gegenwart, wenn man geſtehen 
müßte, daß der lebendige Quell, der einft 
ſo voll und reich ſprudelte und uns ſo 
Roftbare Gaben ſchenkte, heute vertrocknet 
ſei. Uun ift ja von vornherein anzu⸗ 
nehmen, daß eine ſo große Anzahl von 
mehr als 200 Giedern, die uns Kr. hier 
bietet, und die er mit Ausnahme von 20 
alle ſelbſt vertont hat, nicht lauter Gold 
und Perlen und Kunſt mit ESwigkeits⸗ 
wert enthält. Die Zeit muß das Wert- 
volle erproben und dem bebens fähigen die 
Palme der Unſterblichkeit ſchenken. An 
uns ift es aber dieſe bieder nicht in den 
beiden Sammlungen verſtauben zu laſſen. 
Sie ſeien namentlich kirchlichen Anſtalten, 
Inftituten, Kongregationen und Vereinen, 
beſonders unſerer lieben ſangesfreudigen 
und wanderluſtigen Jugend warm emp⸗ 
fohlen. | 

5. Max Reger, op. 137. 12 geiftliche 
Gieder für eine Singftimme mit Beglei⸗ 
tung von Klavier, harmonium oder Orgel. 
Leipzig, Peters. 

es ift überaus lehrreich, mit den Fohner- 
ſchen und Areitmaierfchen Liedern auch 
eine biederſammlung des großen, 1916 
verſtorbenen Meiſters der Tonkunſt, Max 
Regers, zu vergleichen. Mit den oben be⸗ 
ſprochenen Sammlungen haben die geiſt⸗ 
lichen bieder Regers aus op. 137 die 
Form und Anlage gemein. Es find ein⸗ 
ſtimmige Lieder, die nach Art kirchlicher 
Volkslieder behandelt find: die Singſtimme 
hat die dominierende Melodie. Die Be⸗ 


75 


gleitung iſt diefer Melodie dienend unter» 
geordnet. Die Orgel hat nicht ſelbſtändige 
Rontrapunktifche Bedeutung in dem Sinne, 
wie Mar Reger in feinem op. 105, dem 
bekannten Marienlied von Novalis: „Ich 
ſehe dich in tauſend Bildern“, die Be⸗ 
gleitungsſtimme behandelt hat. Im op. 
137 ſpielt die Oberſtimme der begleiten⸗ 
den Orgel die melodie der Singſtimme 
mit, ähnlich wie bei Johner und Kreit⸗ 
maier und wie die Orgelpartituren unſerer 
Dolksgefangbüder. Auch find die Stro⸗ 
phenlieder nicht durchkomponiert. Diel- 
mehr ſind der Melodie der erſten Strophe 
auch die folgenden Strophen unterlegt. 

Zum Unterſchied von Johner und Kreit⸗ 
maier ſucht R. ſeine Texte bei Dichtern 
der Vergangenheit. Die jüngſten find Arndt 
und Eichendorff, die mit je einem Werk 
vertreten find. Eines ſtammt aus dem 
14. Jahrhundert. 

Was aber R’s. ieder am meiſten von 
den oben beſprochenen unterſcheidet, iſt 
die Melodik und Harmonik. Abgeſehen 
von dem reizenden „Uns iſt geboren ein 
KRindelein“ (Ur. 3), deffen „uns“ ja [don 
auf eine Gemeinfchaft hinweiſt, und das 
den Charakter des Kirchenliedes auch in 
feiner muſikaliſchen Faſſung vorzüglich 
trifft, begegnen wir in dieſen „geiſtlichen 
biedern“ der ganzen farbenprächtigen 
Chromatik und Diſſonanzenfülle, die wir 
von den übrigen Werken des großen 
Meifters gewohnt find. Es ift aber nicht 
Chromatik u. Diſſonanzenfülle als Selbſt⸗ 
zweck, ſondern im Dienſte eines fein dif⸗ 
ferenzierten, und ſtark ſubjektiv emp⸗ 
fundenen Ausdrucks. Man vergleiche nur, 
wie ſchon die Anfangstakte des erften 
biedes „Bitte um einen feligen Tod“ die 
Bitterkeit des Sterbens mit dem ſchmerz⸗ 
lichen Tritonus und dem folgenden über⸗ 
mäßigen Dreiklang bei, wenn mein Stünd⸗ 
lein“ uns zum fühlbaren Bewußtſein 
bringen. Wenn alsdann R. der Stelle, hin⸗ 
fahren mein’ Straße“ nicht bloß melodiſch 
eine abwärts führende Wendung gibt, ſon⸗ 
dern auch harmoniſch immer tiefer in die 
Unterdominantregionen verſinkt (vergl. 
den neapolitaniſchen Segtakkord, Regers 
bieblingsakkord, bei „mein“), fo wird man 
unwillkürlich an das Wort des Pſalmiſten 
vom „descendere in lacum“ erinnert. 


76 


Ganz befonders reich an Momenten, die 
den Ausdruck tiefſter Ergriffenheit in der 
Seele des Komponiſten verraten, iſt das 
zweite Pied „Dein Wille, Herr, geſchehe“. 
Junächſt diefes demütige Anbeten bei dem 
Wort „Herr“, das einfach ausgedrückt 
durch den F⸗durakkord ſchon bei der erſten 
Seit des zweiten Taktes nach dem G⸗dur⸗ 
anfang uns durch die Unterdominante der 
Unterdominante in den Abgrund der ge⸗ 
ſchöpflichen Armſeligkeit hinabſteigen läßt. 
Wer ſodann bei den Worten „im Zug 
der Wetter [eh ich [dauernd Deine Hand“ 
nicht in der Tiefe feiner Seele „erſchauert“, 
und bei dem tiefempfundenen Flehen „0 
mit uns Sündern gehe erbarmend ins 
Gericht“ nicht zittert vor dem Richter, der 
muß entweder ein oberflächlicher oder ein 
ganz unmuſikaliſcher Menſch ſein. 

Als Sologeſang beim außerliturgiſchen 
Gottesdienft oder zum Studium der R'ſchen 
melodik und Harmonik, wie auch des 
Ethos der R'ſchen Mufik ſeien diefe zwölf 
geiſtlichen bieder angelegentlichſt empfohlen. 

P. Fidelis Böſer (Beuron). 


Schiegg, Anton, 1. Theorie und Praxis 
der Stimmerziehung im Schulgeſangs⸗ 
unterricht mit Anhang: Einführung in das 
Treffſingen. 8“ (XIV u. 100 8.) München 
1915, R. Oldenbourg. M. 4.— 
— 2. Allgemeine Schule der Stimm⸗ 
erziehung. Die Ausbildung und Pflege 
der Sprach- und Singſtimme auf exakter 
Grundlage in ihrem Was, Wie und Warum. 
4° (VI u. 111 8.) München, Bauriſche 
Druckerei und Derlagsanftalt. I. 10.20. 
— 3. Das deutſche Lied, wie ich es nach 
Noten fingen lerne. 8° (58 8.) München 
1921, R. Oldenbourg. III. 3.60. 
1. „Suſtematiſche Erziehung einer ſchö⸗ 
nen und geſunden Sprach⸗ und Sing⸗ 
ſtimme“ — das ift nach dem Verfaſſer „die 
erſte und wichtigſte Forderung für den 
Schulgeſangunterricht.“ Jedermann muß 
dieſer Forderung unbedingt zuſtimmen, 
die Gehrerwelt vor allem. An ſie wendet 
ſich daher auch Schiegg beſonders, führt 
ihr mit zahlreichen wohlgelungenen Ab⸗ 
bilöungen unſeren Stimmaparat vor. führt 
fie in die Lautbildung und ſodann in die 
Bildung der menſchlichen Singftimme ein. 
Hier ſpricht ein Mann, der ein warmes 


Herz für die Jugend hat, der ihr deshalb 
feine ganze reiche Erfahrung und ſein 
pädagogifhes Können zur Verfügung 
ſtellt, um ihr die Wohltat und das Glück 
einer ſchönen, gefunden Stimme zu ver⸗ 
mitteln. Mit ängſtlicher Sorgfalt arbeitet 
der Derfaffer darauf hin, daß die Stim⸗ 
muskulatur von allem Krampfhaften und 
Steifen befreit, und ein lockerer, weicher 
und doch ſatter Ton erzielt wird. Mit 
Recht beginnt er die Tonbildung nicht mit 
dem Vokal a, legt großes Gewicht auf 
Atemübungen, ſucht die hochreſonanz durch 
Dunkelfärbung der hellen Vokale zu er⸗ 


reichen. Man kann ihm auch nur bei⸗ 


pflichten, wenn er in der Volksſchule das 
Hauptgewicht nicht auf außerordentliche 
beiſtungen im Treffſingen, ſondern auf 
das ſchöne Singen legt. 

Für eine Neuauflage möchte ich mir 
einige Bemerkungen erlauben. 8. 24 wäre 
eine allgemeine Regel wünſchenswert, die 
angibt, wann die Vokale als offen, wann 
fie als geſchloſſen zu gelten haben. 8. 25 
iſt nach „den Dorfilben ge und be“ die 
Bezeichnung e einzuſchalten. 8. 57 iſt die 
Wendung „ein viel zu beobachtender Feh⸗ 
ler“ nicht glücklich. Noch weniger glück⸗ 
lich ift der Satz 8. 73 „die Schaffung ver⸗ 
läſſiger Reproduktionshilfen durch zweck⸗ 
entſprechende Inbeziehungſetzung der 
Uamensvorſtellung zur Tonvorſtellung“ 
uſw. Er erinnert beinahe an eine Stil- 
blüte. 8. 67 möchte man gerne etwas 
mehr hören über die „Vorbereitung eines 
Liedes nach der Seite feines Stimmungs- 
gehaltes hin”. 

Der Anhang, der die acht Schulklaſſen 
zum Treffſingen anleitet, verrät wieder 
den erfahrenen Jugendbildner. 

Die Ausftattung auf ſtarkem weißen 
Papier iſt tadellos. Der Preis ift ſehr 
niedrig. 

2. Die allgemeine Schule der Stimm⸗ 
erziehung, die laut Vorwort im Lenz 
1920 veröffentlicht wurde, Rann, was Aus- 
ſtattung betrifft, mit der eben beſprochenen 
älteren Schweſter ſich nicht meſſen; fie 
offenbart eben auch die Folgen des Krieges. 
Der Derfaffer ſcheint von dem gerade nicht 
lobenswerten Wunſche beherrſcht geweſen 
zu ſein, in möglichſt engem Rahmen einen 
ungewöhnlich reichen Stoff zuſammenzu⸗ 


drängen. Das macht das Studium diefes 
Werkes nicht fo anziehend wie das des 
vorhergehenden. Eine ganze Reihe von 
Fremdwörtern hätten vermieden werden 
können, und dies umfo mehr als andere 
bei dem behandelten Stoff ſich nicht um⸗ 
gehen laſſen. Bei einigen Fragen wäre 
eine noch klarere Stellungnahme er⸗ 
wünſcht geweſen. Bei der ſonſt fo pein⸗ 
lichen und dankenswerten Sorge, alles 
Gewaltfame zu vermeiden, hätten Feuch⸗ 
tingers Ubungen zur Beeinfluſſung der 
Zungenmuskulatur auf den Kehlkopf 
(8. 45) weniger Anerkennung verdient. 
Ferner kann ich den Gedanken nicht unter⸗ 
drücken, daß es wohltuender berührt hätte, 
wenn die Perſönlichkeit des Verfaſſers 
trotz der Vortrefflichkeit ſeiner Methode 
und trotz der unleugbaren und ungewöhn⸗ 
lichen Erfolge etwas mehr im hintergrund 
geblieben wäre. Endlich würde ein aus⸗ 
führliches Sachregiſter den Wert des Buches 
erhöhen. 

Nach diefen Ausftellungen fei aber rück⸗ 
haltlos anerkannt, daß wir es hier mit 
einem Werke zu tun haben, das auch auf 
dem „mit Stimmbildungsarten überreich 
beſchickten Büchermarkt“ einen ganz an⸗ 
ſehnlichen Platz beanſpruchen darf. Ja man 
wird wenige Bücher finden, die alle einſchlã⸗ 
gigen Fragen mit ſolcher Umſicht behandeln, 
die nicht bloß das Wie der Stimmbildung 
behandeln, fondern auch auf das Warum 
Aufſchluß zu geben ſuchen. Überall offen- 
bart ſich auch der Mann der Praxis, der 
kein UHachbeter fremder Meinungen iſt, 
ſondern feine eigenen erprobten Anſchau⸗ 
ungen zur Geltung bringt, auch wenn 
große Sänger und Stimmbilöner anders 
denken. Ein beſonderer Vorzug dieſes 
Buches [ind dann noch die überaus zahl⸗ 
reichen und Segen ſtiftenden Übungen, 
endlich die wertvollen Abſchnitte über die 
Pathologie und Therapie wie auch über 
die Hygiene der Stimme. — Der Preis iſt 
bei dem reichen Inhalt und den zahl⸗ 
reichen Abbildungen nicht hoch. 

3. Das dritte Bändchen beginnt mit den 
Worten: „Ziel und Zonnenſchein jeder 
Geſangſtunde iſt das deutſche Lied. Dieſen 


Roftbaren Schatz in feiner reinen Schöne 


möglichſt aus eigenen Kräften zu heben, 
dazu ſoll die Jugend durch den Schul⸗ 


77 


geſangunterricht befähigt werden.” Und 
der Verfaſſer verfteht es dazu anzuleiten. 
Er baut auf den Dreiklängen auf, be⸗ 
handelt ſpäter ihre verſchiedenen Arten, 
ſpricht von Dur und Moll, vom Rhuthmus 
uſw. vergißt ſogar die alten Kirchenton⸗ 
arten nicht, kurz alles Wünſchenswerte 
ift hier praktiſch zuſammengeſtellt. Pehrer 
ſeien nachoͤrücklichſt auf dieſes nur 3.60 
Roftende Heft hingewieſen. 
P. Dominicus gohner (Beuron). 


Gohner Dominicus, 0. 8. B., Neue 
Schule des gregorianiſchen Choral⸗ 
gefanges. 5. erweiterte Auflage. 80 (XVIII 
und 400 8.) Regensburg 1921, Puſtet. 
M. 15.—; geb. I. 20.—. 

Schon die ftetig wachſende Auflagenzahl 
beſtätigt die Tatſache, daß Johner in [einer 
neuen Schule das beſte, umfaſſendſte, 
gedrungenfte und zugleich verhältnismäßig 
billigſte handbuch bietet, das es heute für 
den Choralgeſang gibt, und das nicht nur 
die theoretiſchen Grundlagen für die Kennt⸗ 
nis der heiligen Gefänge erſchöpfend dar⸗ 
ſtellt, ſondern auch die praktiſchen An⸗ 
leitungen für Prieſter, Chorleiter, Organi⸗ 
ſten und Sänger gibt. 

Die 5. Auflage hat Johner, außer durch 
verſchiedene wiſſenſchaftliche Ergänzungen, 


namentlich durch den neuen Abſchnitt be⸗ 


reichert: „Verſuch einer Intervalläſthetik“. 


Bisher hat dieſes Thema noch nirgends 


eine Behandlung gefunden, und doch 
leuchtet ſeine Bedeutung ſchon auf den 
erſten Blick ein. Auch Peter Wagner iſt 
in der ſoeben erſchienenen „Sregorianiſchen 
Formenlehre“ (3. Teil ſeiner Einführung 
in die Gregorianifdhen Melodien, Breitkopf 
und härtel, Leipzig 1921) daran vorbei- 
gegangen (Seite 300). Man ſtaunt, welche 
Unmenge von Material Johner in diefe 


Intervalläſthetik hineingearbeitet hat, und 


mit welch feinem Gefpür er zu Werk ge⸗ 
gangen ift. Freilich läuft er dabei auch 
Gefahr, — wie jeder Aſthetiker, — dok⸗ 
trinär zu werden, (was aber an und für 
fi keineswegs Johners Art iſt). Denn 
nicht jedes Intervall behält in allen Fällen 
den ihm zugemeſſenen äſthetiſchen 8Span⸗ 
nungswert, was übrigens Johner auch 
gefühlt hat, 3. B. in [einer Bemerkung 
über die „hohle“ Quinte des Credo IV. 


= 


78 


Man muß, bei aller Objektivität der 
gregorianiſchen Melodien, in ihrer Analuſe 
auch noch Raum laſſen für das Irratio⸗ 
nale, für die Schwingungen der ſeeliſchen 
binie, wie fie bei der Schöpfung eines 
jeden echten Runftwerkes vorhanden [ind. 
Daß trotzöem in all den mannigfaltigen, 
von den verſchiedenſten Komponiſten ver⸗ 
tonten Geſängen ein einheitlicher Grund«- 
zug mehr oder weniger deutlich vorherrſcht, 
das iſt das Feichen ihrer „liturgiſchen 
Haltung“, der demütigen Jurückſtellung 
des Individuums dem Objektiven, dem 
Söttlichen gegenüber. Dieſen einheitlichen 
Grundzug im Einzelnen nachzuweiſen wird 
dieſe Intervalläſthetik beſonders geeignet 
ſein. 

Sie bietet aber auch eine wertvolle Er⸗ 
gänzung zur Dortrags-Äfthetik, zumal 
für ſolche, welche weder Gelegenheit haben, 
an Ort und Stelle den Choralgeſang der 
Benediktinermönche zu hören und ſich da⸗ 
bei Begeiſterung und Einſichten zu holen, 
noch die intuitive Kraft beſitzen, in die 
heiligen Gefänge von ſich aus einzudringen. 
Aber auch für den intuitiven Menſchen 
bietet fie eine bedeutende Bereicherung 
feiner Erkenntnisinhalte. Man möchte 
wünſchen, daß ſich dieſes 5. Kapitel all- 
mählich zu einem Wegzeiger und Führer 
durch das ganze Graduale und Defperale 
auswachſe. Auch dürften ſich für die ſtrit⸗ 


tigen Gebiete in Rhythmik und Dynamik 


noch weitere wiſſenſchaftliche Erkenntniſſe 
daraus gewinnen laſſen. 

Anderſeits wird Johner bei Wagner noch 
manche Ergänzungen und Bereicherungen 
holen können, fo in deſſen Hſthetik der 
ſteigenden und fallenden Intervalle und 
der relativen höhe; etwa in folgender 
Richtung: Die Funktion der Intervalle 
innerhalb der choraliſchen Periode? Inner⸗ 
halb der Hebungen und Senkungen des 
Textes, denen die Melodie liebevoll nach · 
geht? Innerhalb der Tonmalerei, welche 
nach meiner Anſicht nicht nur Mittel des 
ſeeliſchen Ausdrucks, ſondern oft ſogar 
mit dieſem identifh werden Rann? — 

Das Buch vereinigt wirklich in ſchlichter, 
knapper Sachlichkeit und Selbſtverſtänd⸗ 
lichkeit all das, was der Mönch und 
Forſcher, der ſchaffende Künſtler und der 
praktiſche Pädagoge über die heiligen 


Gefänge zu Tagen hat und ftellt fo für 
den Choralunterricht ein vorzügliches Hand- 
buch dar. 

Heinrich Sambeth (Münſter i. W.) 


Guardini, Dr. R., Sottes Werkleute. 
Briefe über Selbſtbildung 1.— 4. Brief. 
80 (je 8 8.) Rothenfels a. M. 1921, Der- 
lag Deutſches Auickbornhaus. M. —.65. 
u. M. —.80. 

Die Briefe möchten „eine Art hand werk⸗ 
lehre für die hohe KRunſt der Selbftbil- 
dung fein“. Bis jetzt erſchienen vier Briefe: 
über die Freudigkeit des Herzens, über 
die Wahrhaftigkeit des Wortes, über die 
Gemeinfhaft und über das Geben und 
nehmen. — hier ſpricht ein Mann, der 
Klarheit des Gedankens mit Knappheit 
und Wärme der Darſtellung zu verbinden 
weiß. Jugendliche werden die Briefe be⸗ 
geiſtern, Ältere werden fie zur Einkehr 
und Selbſtprüfung drängen; keiner wird 
fie ohne großen Nutzen leſen. 

P. Willibrord Derkade (Beuron). 


hammerſchmidt, M., Der Mönch. Ro- 
man 8° (500 S.) Paderborn 1921, Schõ⸗ 
ningh. Geb. M. 27.— 

Hätte der Verfaſſer das noch immer 
bewährte Hhorazſche: „nonum prematur in 
annum“ in Bezug auf ſein Buch beherzigt, 
ſo wäre wohl ein ausgereiftes Werk zu⸗ 
ſtande gekommen, das man mit ungeteilter 
Freude begrüßen dürfte. Unſtreitig be⸗ 
figt hammerſchmidt ein ſtarkes Talent, 
doch geht ihm noch die fouveräne Ruhe 
ab, mit der ein fo intereffantes Thema, 
wie er es ſich wählte, behandelt werden 
muß. Das Ringen eines eigenartig be⸗ 
gabten Bauernjungen, der verträumt in 
eine ihm fremde Welt kommt, in der er 
enttäuſchung, Verbitterung erlebt, der ſich 
durch mancherlei Verirrung hindurch 
kämpft, bis er endlich den wahren Klofter- 
und Herzensfrieden findet, bringt eine 
ganze Reihe tiefer ſeeliſcher Zwiefpälte, 
deren böſung in ſteter Spannung hält. 
beider tritt an Stelle der überlegenen 
Ruhe des erfahrenen Pſuchologen ſoviel 
jugendlich phantaſtiſcher Überſchwang, 
daß der Genuß unbeſtreitbarer Schön⸗ 
heiten oft ſtark beeinträchtigt wird. 

B. Geo Sattler (Beuron). 


79 


Aus dem Orden des hl. Benediktus 


Dem Andenken des Stifters von St. Hildegard 
zu Eibingen. 


großen Wohltäter der Kongregation verleſen werden, wird auch des Stifters 

von „St. Hildegard“, Sr. Durchlaucht des Fürften Karl zu öwenſtein⸗Wertheim⸗ 
Roſenberg, P. Raumundus O. Pr. dankbar gedacht. „In dieſem Jahre (1921) ge⸗ 
ſtorben“, fügte diesmal der verleſende Cellerar des Kloſters bei. Es ziemt ſich alſo 
wohl, daß diesmal an dieſer Stelle dem Stifter von St. Hildegard zu Eibingen ein 
Wort der Erinnerung gewidmet wird, nachdem ſchon die katholiſche Tagespreſſe ihrer⸗ 
ſeits dem verdienten edlen Fürſten⸗Ordensmann den Dank des katholiſchen Deutſch⸗ 
land ins Grab nachgerufen hat. 

Wer die Geſchichte der neuen St. hildegardisabtei ſchreiben wollte, dem müßten 
ſich erſt verſchiedene Archive öffnen. Die Archivalien des Beuroner Archivs genügen 
nicht, um die zarten, feinen Schleier reſtlos wegzuheben, die über den erften An⸗ 
fängen liegen, und mit voller Sicherheit feſtzuſtellen, in welchem herzen zuerſt der 
Plan dieſer Neugründung aufgetaucht iſt. Auch reichen die dokumentariſchen Be⸗ 
lege nur bis in den Januar 1891 zurück. Nur als Vermutung kann es gelten, 
wenn Erzabt Plazidus am 29. Sept. 1904 an Biſchof Willi von Limburg ſchreibt: 
„Der hochſel. Biſchof Blum hat mir, als ich noch Prior von Arnſtein war, oft 
geſagt, daß die Errichtung einer ſolchen Stätte des Gebetes einer feiner Lieblings» 
wünſche ſei, und ſeiner Anregung iſt ja auch wohl die Stiftung des fürſtlichen Do⸗ 
nators zu danken.“ „Die Entſtehungsgeſchichte des Kloſters iſt ein Werk der Dor- 
ſehung,“ ſagte bei der Einweihung der neuen Abtei am 17. Sept. 1904 Dr. Höhler 
(Gimburg) in der Feſtpredigt (nach dem Df.⸗Bericht der Köln. Dolksztg. n. 780 v. 
19. Sept). „Biſchof Karl Klein von Limburg (1886 - 1898) pilgerte einft nach 
dem Kloſter Solesmes. Bei der Betrachtung des dortigen herrlichen Kloſterlebens 
kam ihm der heiße Wunſch: Wenn du in deiner Diözeſe doch das Hildegardisklofter 
zu Eibingen wieder erwecken Rönnteſt! Jurückgekehrt beauftragte er mich, den 
Staunenden mit vollem Ernfte, mit Soles mes betreffs Einrichtung eines Kloſters zu 
unterhandeln. Damals waren zwei Töchter des Fürſten Löwenftein dortſelbſt 
Glofterfrauen.... Ich wandte mich an den Fürſten von Göwenftein.“ 

Lad) der feierlichen, geſtegelten Einführungsurkunde vom 17. September 1904 
trug ſich Biſchof Klein ſchon ſeit 1888 mit dem Gedanken der Wiedererrichtung des 
Rlofters. Es wäre verlockend gewefen, zu diefem Zwecke das alte Gebäude in Eibingen 
zu benützen. St. Hildegard hatte dieſes Klofter gegründet, in ihm eine Zeitlang ge⸗ 
lebt; allwöchentlich zweimal oder doch öfters hatte fie es, über dem Rhein fahrend, 
in der Regeltreue beftärkt, und nach Zerſtörung des Hauptklofters war es ſpäter 
ihren Nonnen ein Aſul geworden. Aber die Kirche war nunmehr Pfarrkirche und 
der einzige noch ſtehende Flügel diente als Pfarrhaus, Rathaus, Schule und Gehrer- 
wohnung zugleich. So war es das Beſte, das geplante Klofter von Grund auf neu 
zu errichten. „Des ehrw. Biſchofs Bemühen wäre aber von vornherein ganz und 
gar ausſichtslos geweſen“ ſagt die Einführungsurkunde, „hätte er nicht in der Perſon 
des Fürſten Karl von Göwenftein einen Mann gefunden, der, von gleichem Eifer, 
das Kloſter der hl. Hildegard wiederherzuftellen beſeelt, bereitwilligſt die hiezu nötigen 
Mittel beſchafft und zur Verfügung geftellt hätte.“ 

Wäre nach all dem Fürſt Göwenftein nicht der Urheber des Planes geweſen, 
ſo war doch er es jedenfalls, der ihn ſofort freudig aufgriff, materiell überhaupt 
ermöglichte und allen Hhinderniſſen zum Trotz mit der zäheſten Beharrlichkeit zu ver⸗ 
wirklichen trachtete. Es iſt bezeichnend für den gläubigen Sinn des frommen Mannes, 
daß ein Berichterſtatter vom 1. März 1897 nach perſönlicher Zufammenkunft mit 
dem „guten Fürften, der doch ſehr fromm iſt und ſehr übernatürlich denkt,“ bemerken 
konnte, er habe gehört „er (der Fürſt) habe es für feinen größten Ruhm und die 


Aber wenn am NUeujahrsabende im Kapitelſaale zu Beuron, die Namen der 


80 


größte Ehre gehalten — beſonders auch ſeinen Nachkommen gegenüber, — als 
Gründer eines Kloſters dazuſtehen.“ Da zwei Töchter des Fürſten in Solesmes 
(St. Cécile) als Benediktinerinnen lebten, war der Gedanke naheliegend, daß die Grün- 
dung von Solesmes ausgehe und die Hoffnung berechtigt, daß vielleicht gerade die 
beiden Töchter berufen wären, die großen Traditionen der hl. Hildegard von neuem 


aufzunehmen, ja daß vielleicht ſogar eine von ihnen einmal den Hirtenſtab der Hei» 


ligen tragen dürfte. In welch innigem Verhältnis wäre der fürſtliche Stifter damit 
nicht nur zu den äußeren ſondern erſt recht zu den inneren Anfängen des Kloſters 
geftanden. Und dieſes Kloſter, mit dieſer Tradition, an dieſer Stätte und mit 
dieſem, wenigſtens erſehnten, befonderen Beruf! Es war ja nicht nur „die hervor- 
ragend gute, geſchützte, gefunde und wunderſchöne Gage der gewählten Bauſtelle, an 
welcher Steinbruch, behm zum Ziegelbrennen, Sand und Waſſer fi findet und nur 
Holz und Eifenbeftandteile hinaufgebracht werden müſſen,“ es war nicht nur „der 
Wunſch des hochwürdigſten Biſchofs“ und der Segen und die Juſtimmung des 
Hl. Daters, was für die Wahl von Eibingen ausſchlaggebend war. Als „weſentliche 
Motive“ galten: „Die heiligen Gebeine und andere Reliquien der hl. Hildegard dem 
Schutz und der Verehrung der Benediktinerinnen anzuvertrauen; einen Wallfahrtsort 
zur hl. Hildegard zu ſchaffen; die Kenntnis dieſer heiligen und die Verehrung der⸗ 
ſelben im katholiſchen Deutſchland und darüber hinaus zu wecken und neu zu b 

leben.“ (Brief des Fürften an Erzabt Plazidus vom 17. Januar 1897). | 

Große innere und äußere Schwierigkeiten ſtellten ſich der Ausführung entgegen. 
Der Fürft ließ ſich oͤadurch aber nicht abſchrecken: „Eine ſolche Kloſtergründung,“ 
ſchreibt er einmal nach Solesmes (11. Juni 1894), „iſt ein großes, ſegenbringendes 
Werk und zwar um ſo ſegenbringender für mich, je größer die Schwierigkeiten ſind, 
die überwunden werden müſſen.“ Die Vorſehung fügte dann allerdings manches 
anders als Menſchen dachten. Fürſt Cöwenftein ſah in ihren Fügungen den Willen 
Gottes. „Bon Weſten wurden die Ordensleute erwartet und fie kamen von Oſten,“ 
von St. Gabriel in Prag⸗Smichow. Als Erzabt Plaziöus von Beuron am 2. Juli 1900 
den Grundftein zum neuen Kloſter legen konnte, ruhte die zunächſt als Gründerin 
auser ſehene M. Benedicta Maria v. Löwenftein bereits vier Jahre im Frieden Gottes. 
Ob der fürſtliche Gründer damals ſchon ahnte, daß er felber bei der acht Jahre [päter 
ſtattfindenden Kirchweihe der neuen Abtei und der Weihe ihrer erſten Äbtiffin, am 
7. und 8. Sept. 1908, das Ordenskleid tragen und als Subdiakon und Fr. Raymundus 
im Dominikanerhabit der Feier beiwohnen würde? Aber das Ziel war erreicht, „das 
mit fo vieler Mühe während fo vieler Jahre mit fo geringer Nusſicht auf Erfolg und 
bei Auftauchen ſtets neuer Schwierigkeiten angeſtrebt worden war“ — mit den Worten 
des Fürſten vom 19. Januar 1900 zu reden. 

Die Baugeſchichte von St. hildegard zu Eibingen iſt zugleich eine Epiſode in der 
Geſchichte der Beuroner Kunſtſchule und wird als ſolche wohl gelegentlich ihre eigene 
Darftellung erfahren. Werden die Pläne in den Mappen des B. Defiderius je zu 
etwas anderem dienen, als kühnen Phantafien Nahrung zu bieten und den Se⸗ 
danken zu wecken, wie ſchön es wohl wäre, wenn ſie einmal zur Ausführung ge⸗ 
langten? Die Ausführung von Kirche und Kloſter ging ſchließlich in die hände eines 
erfahrenenen Architekten über, P. Ludger Rincklake v. Maria Paach; es entſtand 
auch fo an den Hängen des Rheins ein aller Achtung werter Bau. Ausgemalt 
wurde die Kirche in den Jahren 1907 1913 unter Peitung von P. Paulus Krebs. 
Die Jdeen der Malereien haben in den St. Benedikts⸗Stimmen (39, [1915] 1,3; auch 
als Sonderheftchen erſchienen im Verlag der Abtei) oͤurch P. Thomas Holenftein eine 
ſachkundige Erläuterung gefunden. ’ 

Wenn die Geſamtkirche Herz, Augen und hände zum Himmel erhoben dafteht 
und betet (ſ. unſer Titelbild), ſo werden es vor allem auch die tun, deren ſchönſter 
Beruf es iſt, einzig dem Herrn zu leben — Soli Deo — und zu beten. Sie werden 
auch beten für ihren ſeligen Stifter, der im weißen Dominikanerhabit nun ruht in 
der Gruft feiner Väter. St. K. 


herausgegeben von der Erzabtei Beuron (Hohenzollern), 
für die Schriftleitung verantwortlich: P. Daniel Feuling (Beuron), 
gedruckt und verlegt vom Runftverlag Beuron. 


. 
QUSURREBUBE 


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von 


Cremer, F., 8. 


Analecta Montserratensia. 1. u. 2. Bd. 
1917 u. 1918 4° (XVI u. 400 u. 498 5.) 
Abtei Montſerrat 1918 u. 1919. | 

Anheier, P., Manuale iuventutis Tite- 
tarum studiosae. Ed. sec. 32° (304 8.) 
Bevelaer 1921, Butzon & Bercker. Geb. 
m. 12.75 u. höher. 

Becker, C., Indiſches Kaftenwefen u. 
Chriſtl. miſfon. [Abhandlungen aus 
Miſſtonskunde u. »gefchichte, 20. Heft] 8° 
(164 8. u. 21 Abbildungen). Aachen 1921, 
Zavertusverlag. Geb. IM. 15.— 

—Arztliche Fürforge in Miffionslän- 


dern. [Gleiche Sammlung 24. Heft] 8 
(46 8.) ebd. 1921. II. 5.— 


Bergquell. Berders Wochenkalender 
1922. Mit 65 Bildern u. farb. Deckblatt. 
Freiburg, Herder. IM. 10.— 

Brandes, R., O. 8. B., Eine merkwür⸗ 
dige Heiſe. Nach den hinterlaſſenen 
Papieren des P. B. hrsg. v. Odilo Ring» 
holz O. 8. B. 8° (96 8.) Einſiedeln 1921, 

Verlag des „Einfieöler Anzeiger“. 

Braun, J., 8. J., Liturgik. [Die Aus- 
KRunft 12. Heft! 120 (88 8.) Heidelberg 
1921, ehrig. 

Brors, F., 8. J., Modernes ABC 
für das kath. Volk. Kurze Antworten 
auf die Zahlr. Angriffe gegen die Rath. 
kirche. Neueſte verb. Aufl. (167.— 174. 
TId.) 16° (638 S.) Kevelaer 1921, Butzon 
& Bercker. I. 15.—; kart. M. 18.— 

Bruhn, W., Cheoſophie u. Anthropo- 
ſophie. [Aus Hatur u. Geifteswelt 775. 
Bd.] Leipzig 1921, Teubner. M. 6.80; 
geb. M. 8.80 | 

Castelle, F., Wanderer im Weltall. 
Dichtungen. gr. 8° (200 8.) Warendorf 
1921, Schnell. III. 30.— 


Breugwegandadit. 6. Aufl. 24° (64 8. 
mit Titelblatt) Kevelaer 1922, Butzon 
& Bercker. III. 2.25 


Das Alte Teſtament, überſetzt, eingelei⸗ 


tet und erklärt von Emil Dimmler. 


M. Slaòbach 1921, Volksvereinsverlag. 


1. Job 12° (169 8.) 2. Das Hohelied 
Salomons (62 8.) 3. Sprüche Salomons 
(160 8.) Geb. je M. 7.20. 
FJeſu Sirachs (203 8.) Geb. M. 10.— 
Der babyloniſche Talmud. Überf. und 
Rurz erläutert von Dr. Uivard Schlögl 


O. C. 1. Pief. gr. 8° (96 8.) Wien 1921, 


Burgverlag. I. 10.— 


3., Roſenkranz · und 


4. Sprüche 


Eingelaufene Schriften. 
(Die Einreihung eines Buches in dieſe Gifte bedeutet noch 
keine Empfehlung — Beſprechung erfolgt nach Tunlichkeit. 
Rückſendung findet in keinem Falle ſtatt.) 


2 
ELI 
5 


Der dritte Orden des hl. Franziskus. 
Feſtſchrift zum 700jährigen Jubiläum 
feiner Gründung. Hrsg. v. Matthäus 
Schneiderwirth C0. F. M. gr. 8° (136 8. 
mit Titelbild) Düſſeldorf 1921, Franzis ⸗ 
Rushaus (Kurfürſtenſtr. 5). M. 12.— 

Des Rönigs Banner. Der dritte deutſche 
Quickborntag. Hrsg. v. h. Hoffmann. 


gr. 8° (120 8.) Rothenfels a. M. 1921, 


Verl. Deutſches Quickbornhaus. M. 14.— 


Die Fioretti oder Blümlein des hl. 
Franziskus. Hrsg. von Dr. hanns 


Schönhöffer. 12° (X u. 146 8. nebft 
Bild) Frbg. 1921, Herder. Geb. III. 18.— 

Deufer, W., Anſtands⸗, Verkehrs- u. 
Gebensregeln. 5. verm. Nufl. 1201868.) 
m. Glaöbach 1922, Volksvereinsverlag. 
Geb. III. 14.— 

v. Dunin-Borkowskt, St., 8. 9., Rei⸗ 
fendes Geben. 3. durchgeſ. Aufl. 8° 
362 8.) Berlin 1922, Dümmler. 

— Führer der Jugend. Aufgaben und 
Geftalten junger Führer. 2. durchgeſ. 
Aufl. RL. 80 (1975.) Ebd. 1922. M. 14.—; 
geb. M. 18.— 

recht, F., Der weiße Sonntag. Große 
und kleine Ausgabe, bearbeitet v. D. 


Reller. 16° (464 u. 320 8.) Donau- 


wörth, Auer. M. 9.— u. M. 6.— 
Frohnmeyer, b., Die theoſophiſche Be⸗ 
wegung. Ihre. Geſchichte, Darſtellung 
und Beurteilung. 8° (120 8.) Stuttgart 
1920, Calwer Bereinshandlung. III. 8.— 
Funke, ., Philoſophie und Weltan- 
ſchauung. Skizzen zur Einführung in 
das Studium der Phil. u. zur philofoph. 
Orientierung für weit. gebild. Kreiſe. 
5. Aufl. 8° (X u. 160 8.) Werl (Bea. 
Arnsberg) 1921, Stein. I. 20.—. 
Henze, Kl., C. 88. R., Früh vollendet. 
Kurze Gebensbilder der im Weltkriege 
genen fünf Redemptoriftenkleriker 
er norddeutſchen Ordens-Provinz 8 
(184 8.) Dülmen 1921, 
M. 16.—; geb. M. 22.50. 
Beuvers, ., 8. 9., Der Buddhismus 
und ſeine Bedeutung für unſere Zeit. 
[Abhandlungen aus Miffonskunde u. 
sgeſchichte, 25. Heft] 8° (53 8.) Aachen 
1921, Xaverius-Derlag. M. 6.— 
Buonder, A., 8. 9., Der chineſiſche 
Ritenſtreit. [Abhandlg. aus Miſſions⸗ 
Runde und ⸗geſchichte, 22. Heft! 8 (47 8.) 
Aachen 1921, Xaveriusverlag. I. 5.— 


Gaumann. 


N 
EL 


— 
2 


— Der Europäismus im Miſſionsbe⸗ 
trieb. [Gleiche N 23. Heft] 
(48 5.) Ebd. 1921. I. 5 

ganfen, B., 8. 9., Die Erkenntnislehre 
Olivis. Auf Grund der Quellen darge⸗ 
ſtellt u. gewürdigt. gr. 8° (XVI u. 126 8.) 
Berlin 1921, Dümmler. M. 35.— 

Krane, Anna, Am kriftallenen Strom. 
Heiligenlegenden. 8° (206 5.) Köln 1921, 
Bachem. Geb. I. 44.— 

Geefe, R., Moderne Theofophie. Ein 
Beitrag zum Derftänönts der geiftigen 
Strömungen der Gegenwart. 2. umgearb. 
u. verm. Aufl. gr. 8 (230 S.) Berlin 1921, 
Furde-Derlag. M. 20. —; geb. III. 28.— 

Gefebore, 8., O. 8. B., Liturgia: Ses 
principes fondamentauz. 8° (XII und 
292 8.) Lophem = le3= Bruges 1920, 
Abbaye de St⸗André. Fr. 9.— 

Geimbad, K., Die Pſalmen. II. Teil 
(76-150) [Bibl. Dolksbücder 6. Heft] 
3. Aufl. 8° (1925). Fulda 1921, Aktien⸗ 
druckerei. III. 15.— 

bindner, A., Max Reger. Ein Bild 
ſeines gugendlebens und Rünftlerifchen 


Werdens. gr. 8° (330 8. u. 8 Tafeln). 
Stuttgart 1922, Engelhorns Nachf. 
MI. 60.—; geb. II. 80.— u. M. 160.— 


Maria Beata, Der Triumph der Fung- 
frau. Die hl. Agnes. Ein Spiel in 
fünf Aufzügen. 8“ (40 S.) Aachen 1921, 
Xaveriusverlag. M. 5.— 

Mausbach, J., Die a e Moral 
und ihre Gegner. 5. Aufl. gr. 8° 
(XVI u. 464 8.) Köln 1921, Bachem. 
M. 30.—; geb. III. 36.— 

Mayer, 6. Deutſche Nationalerzie⸗ 
hung und katholiſches Chriſtentum. 
[Religionspädagog. Zeitfragen 6. Heft] 
gr. 8° (120 8.) Kempten 1921, Köfel 
& Puſtet. M. 12.— 

Diebergall, F., Jdealismus, Theoſophie 
u. Chriftentum. [Relig.Dolksb., 23. Heft] 
80 (40 8.) Tübingen 1919, Mohr. NI. 2.—, 
kart. M. 4.— 

Uußpickel, J., Die Himmel träumen 
tief. Gedichte. gr. 8° (124 8.) Waren⸗ 
dorf 1921, Schnell. I. 25.— 

paſſionsblumen u. Pfingſtblüten in dem 
Wirken der Miſſionsbenediktinerinnen 
von Tutzing. gr. 80170 8. reich illuſtriert). 
Miſſionsverlag St. Ottilten. M. 12.— 

Pfeiderer, R., Die Attribute der hei⸗ 
ligen. ein' alphabetiſches Uachſchlage— 
buch zum Verſtändnis kirchlicher Runft- 
werke. 2. Aufl. 8 (205 8.) Ulm 1920, 
Heinrich Kerler. M. 15.— 

Rademaker, F., Monika Hagemanns 
Liebe. Roman aus Neu-Deutſchland. 
80 (320 8.) Kevelaer 1921, Butzon & 
Bercker. I. 17.50. 


Ar 
UEBEBAGSRBRBUSEHEBRGRNRRBEEBBEHRENEBEEHHEBEEHEBEHRRRREHERNNSHNEBEBEHEHREREHEREEHBEEEERBEEBEREBERNEEBBERBEREEBERE 


5.Benedicti Regula Monachorum, hrsg. 
und philologiſch erklärt von Benno 
Ginderbauer C. S. B. gr. 8° (440 8.) 
Metten 1922, Derlag des Benediktiner⸗ 
ſtiftes daſelbſt. 

Schlund, C., O. F. M., St. Franziskus 
und fein Orden in der Heidenmilfion. 
8° (645.) Düſſeldorf, Verlag der Hliffions= 
verwaltung der Franziskaner. III. 1.50. 

Schippers, N., O. 8. B., Die Stifter⸗ 
denkmäler der Abteikirche Maria⸗ 
Gaadh im 13. Jahrh. [Beiträge zur 
Geſchichte des alten Mönchtums 8. Heft] 
gr. 8° (VIII und 68 8. und 21 Abb.) 
9 . 1921, Aſchendorf. M. 20.—; 


Schmidt, 6. 0. F. M., Gotteslob. Nach 
alten Pſalmgebeten i im Anſchluß an das 
Brevier des Prieſters bearb. 16° (5235. 
mit Titelblatt). Kevelaer 1921, Butzon 
& Bercker. Geb. M. 22.50 u. höher. 

Schwake, 8., O. 8. B., Fritz Volbachs 
Werke. Dem Meiſter zum 60. Geburts⸗ 
tag. kl. 8° (36 S.) Münſter i. W. 1921, 
Regensberg. II. 3.50. 

Schwellenbach, 
des Abendlandes. Don der Knecht⸗ 
[haft zur Freiheit durch d. Chriſtentum 
der Tat. gr. 8“ (VIII u. 85 5.) Berlin 
111 D. W. B., de Gruyter & Co. 


142 

Steffes, J., Eduard von Hartmanns 
Keligionsphiloſophie des Unbewuß⸗ 
ten. Ein Beitrag zur Auseinander- 
ſetzung zwiſchen theiſtiſcher und moni⸗ 
ſtiſcher Weltanſchauung. 8° (XII u. 
576 5.) Mergentheim 1921, Ohlinger. 
II. 80.— 


Traub, F., Rudolf Steiner als Philo⸗ 
ſoph u. Theoſoph. [Sammlg gemein⸗ 
verſtändl. Vorträge, Heft 91] 2. umge⸗ 
arb. Aufl. gr. 8° (53 8.) Tübingen 1921, 
Mohr. II. 9. — 

Wöhrmüller, B., O. 8. B., Das König⸗ 
liche Gebot. Kleine Kapitel v. d. Uäch⸗ 
ſtenliebe. 8° (412 8.) Kempten 1921, 
in & Puſtet. M. 48.— Geb. II. 56.— 

M. 65.— 

Wulf, B., 8. J., Einſteins Relativitäts⸗ 
theorie gemeinverftöl. dargeſt. 2. ver- 
mehrte u. verbefferte Aufl. 80 WIu. 88 8.) 
Innsbruck 1921, Turolia. M. 8.50. 

Xaverius⸗ -Zubiläums- -Ralender. Eine 
Feſtgabe zum großen Hliffionsjubiläums= 
jahr 1922. gr. 8° (128 8.) Rachen 1921, 
Xaveriusverlag. M. 6.— 

Die Preiſe, für deren augenblicklichen 

Stand keine Gewähr geleiſtet werden kann, 

erhöhen ſich um die im Buchhandel übl. 


Juſchläge. 


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R., Die Erneuerung 


e ß 


* 


Benediktiniſche 
Monatſchrift 


Inhalt: 
Abt Raphael Molitor: Papſt Benedikt XV. (8. 81). P. 
Daniel Feuling: Dom Weſen des katholiſchen Glaubens 
und Gebens [Schluß] (8. 103). P. Athanaſtus Miller: Die 
Weisheit des Predigers (8. 113). P. Timotheus £ranid): 
Jdealismus und Wirklichkeit (5. 120). P. Sturmius Regel: 
Pſalm 90 (91) in der Faſten (8. 124). P. Anſelm Manſer: 
Zwei Ofterpfalmen Abt Toſtis (8. 138). P. Daniel Feuling: 
Kardinal Newman über Fr sur Wahrheit u. Gewißheit 
146). | 


kleine Beiträge und Hinweiſe: 
PB. Amandus Gsell: Zur Pflege der Giturgiewilfenfhaft (8. 151). Gitur= 
845500 Betrachtungsbuch (8. 154). P. Gregor Schwake: Uraufführung 
es Oratoriums Mariä Heimgang (8. 154). P. Laurentius Hanfer: 
erſte Jahresverfammlung der Academia Benedictina Bavarica (5. 155). 
Michael Tangl + (8. 155). 


Bücherſchau: 
Beſprechungen von P. Amandus Gsell, p. Hieronumus Kiene, 


P. Guöger Leonard, P. Gregor Molitor, P. Polukarp O. F. II., 
N P. Willibrord Derkade. 


Unfere Bilder: 


Br. Notker Becker: Bildnis des P. Defiderius Benz. 
P. Defiderius benz: Cäcilia, Raſſandra, Iphigenie 
f | mit Text. 


Ur. 3—4 
März — April 


1922 | 
Vierter Jahrgang’ 


Herausgegeben von der 
Erzabtei Beuron (Hohenz .) 


Druck und Verlag: 
Runftverlag Beuron. 


ro. 


® — * 2 ; | EI i 8 4 
Die „Benediktiniſche Monatſchrift“ 
u F3 
— zur Pflege religiöfen und geiftigen Lebens — | 
erſcheint vorläufig in Doppelheften in einem Umfang von 64—96 Seiten. gedes 
Heft enthält mehrere Kunſtbeilagen. Der Jahrgang koſtet für das Jahr 1922 bei 
unmittelbarem Bezug vom unterzeichneten Verlag für Deutſchland, Freiſtaat 1 12 a 
Guzemburg, Memelgebiet, Öfterreih und Weſtpolen (einſchließlich des 3. dt. M.12.- - 
betragenden Poſtgeldes) M. 32.—. Für Finnland, gugoſlavien, AALEN Ache 7 
ſlovakei und Ungarn (einfchließlih Poſtgeld und Verpackung) m Für: 
das übrige Ausland gilt folgender Jahrespreis (einſchließlich Porto): 47 
Amerika 1 Doll. | England 45h. | Italien 10 Gire. 
Belgien 6 Fr. Frankreich 6 Fr. Schweiz 4 Fr. 
Dänemark 4 Kr. Holland 2 Gld. | Spanien 4 Pes. 
Für Seminare, Erziehungsanſtalten u. Vereine, die mindeſtens 5 Stück unmittelbar 
beziehen, wird ein Vorzugspreis gewährt. Preis des Doppelheftes im Einzelverkauf 
M. 4.—. Beſtellungen nehmen alle Poſtanſtalten, Buchhandlungen und der 
unterzeichnete Verlag entgegen. un 
Den unmittelbaren Beziehern empfehlen wir zur Einzahlung des 
gahresbetrages unfer Poſtſcheckkonto Ur. 7034 beim Poſtſcheckamt 
kiarlsruhe, Baden. Verlag der Beuroner ktunſtſchule, Beuron (Hhohenz.) . 


Alle Gelöfendungen bitten wir an die untenſtehende Adreſſe (nicht 
einfachhin an die Abtei oder die Kloſterverwaltung) zu richten und 
ihnen die Bezeichnung „für die Benediktiniſche Monatſchrift! : 
gütigſt beizufügen. . 

Jahrgang 1919, 1920 und 1921 ſind, ſolange der Vorrat reicht, zu den obigen 
Preiſen noch erhältlich. f 


%%% 


Runftverlag Beuron (Hohenzollern). 


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An die Beſitzer von 
5 erders konverſations Dei Ron 


Der ſoeben erſcheinende 


Ergänzungsband 


iſt auf die Feitenwende mit den Mlarkfteinen der Vorkriegszeit, des Weltkriegs und 

des Wiederaufbaus eingeſtellt. Er bringt auf allen Wiſſensgebieten in knappen 

aber einläßlichen Darlegungen das le iſt für jeden Beſitzer der früheren Bände 
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unentbehrlich. 


Eine Sonderausgabe unter dem Titel „Herders Zeitlerikon“ macht das auch für ſich 
wertvolle Werk allgemein zugänglich. — Preis 1. Teil (H-) geb. I. 175.— und 
M. 250.— und Fuſchlag. Schlußteil (6-8) folgt 1922. 


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Welcher Abonnent Nr. 38,1921 


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der Salzburger Kirchenzeitung? „ Beuroner Kloſterbibliothek. f 


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Wir machen beſonders aufmerkſam auf die diesmalige Beilage des 


Aſchendorffſchen Verlages zu Münſter i. W. 


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(Rohlezeichnung von Br. Uotker Becker) 


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Dapft Benedikt XV. 


Bon Abt Raphael Molitor (St. Joſeph bei Coesfeld). 


J froher Erwartung durfte Benedikt XV. dem Jahre 1922 
entgegenſehen. Sollte es ja, wie er ſelbſt beim letzten Empfang 
des hl. Kollegiums am Vorabend von Weihnachten andeutete, eine 
Reihe bedeutſamer Feſte und Gedenkfeiern bringen, unter ihnen die 
gahrhundertfeier Philipp Neris, die im Dezember ſchon eingeleitet 
worden, jene der hl. Therefia, der hll. Ifidor, Franz von Sales, Jgna= 
tius von Loyola, Fidelis von Sigmaringen und mit des letzten Feier 
verbunden das 300jährige Jubiläum der Gründung der Congregatio 
de Propaganda Fide. Für Pfingſten war der euchariſtiſche Weltkongreß 
in Rom angeſagt, zu dem die wichtigſten Maßnahmen mit dem Biſchof 
von Namur als dem ſtändigen Präſidenten des vorbereitenden Romitees 
bereits feſtgelegt waren; ſchon im Januar wurde der offizielle Beſuch 
des Königs und der ktönigin von Belgien erwartet. 

Da hat in den erſten Wochen dieſes Jahres der Tod den, Papſt 
abberufen. Eine leichte Erkältung befiel den achtundſechzigjährigen 
Greis, die bald zu Beſorgniſſen Anlaß bot. Vielleicht hat er, der in 
ſeinem beben kaum je einmal krank geweſen, ſich zu wenig Schonung 
gegönnt. Eine Lungenentzündung trat hinzu. Ihr erlag er in der 
Frühe des 22. Januar. | 

nach menſchlichem Ermeſſen hatte der Unermüdliche noch zahlreiche 
und große Aufgaben zu erfüllen. Aber die Aufgaben der Päpſte enden 
nie, ſolange das Schifflein Petri über die Fluten dieſer Zeit dahin⸗ 
ſteuert. Ruch Pius X. wurde aus feinem arbeitsreichen Geben geriſſen, 
ehe weitausſchauende Pläne verwirklicht waren. Hoffnungen und 
Erfolge des Vorgängers fallen dem Nachfolger zu. In allen Päpſten 
aber lebt und wirkt der eine Chriſtus. 

Giacomo della Chiesa war in ſchwerſter Stunde auf den Stuhl 
Petri gelangt, wenige Monate nur, nachdem er den Purpur empfangen. 
Indeſſen betrat er den Vatikan nicht als Fremder und nicht unvor⸗ 
bereitet. Nach gründlichen Studien des weltlichen Rechts, denen er 
ſich zu Genua gewidmet, begann er als Doktor juris ſeine theologiſche 
Ausbildung in dem internationalen Kollegium Capranica zu Rom. 

Don da beſuchte er die Dorlefungen an der Gregoriana, wo er aus⸗ 
gezeichnete Gelehrte, wie Franzelin, Mazzetta, Urraburu und de Angelis 
zu behrern hatte und ſich den theologiſchen Doktorhut summa cum 
laude erwarb. Nebenher gab er in einer der benachbarten Kirchen 
KRatechismusunterricht. Schon im Elternhauſe hatte er ungewöhnlichen 

Benediktiniſche Monatſchrift IV (1922), 3—4. 6 


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Eifer zum Studium und auffallende Talente gezeigt. mehr als einmal 
war die Mutter genötigt, den Sohn von den Büchern in den Garten 
zu ſchicken, damit er durch Handarbeit ſich die nötige Erholung ver⸗ 
ſchaffte. heute noch ſteht die Palme, die der junge Gärtner gepflanzt. 
Später hat er, im Datikan gefangen, den Gärten feines Palaſtes eine 
ſorgſame Pflege zugewendet. Am 21. Dezember 1878 im Lateran 
zum Prieſter geweiht, feierte er am Altar der Cathedra in St. Peter 
feine erſte heilige Meſſe. 1879-83 beſuchte er die Accademia dei 
nobili, an der er wenige Jahre ſpäter ſelbſt Dorlefungen über den 
diplomatiſchen Stil halten ſollte. Am 2. Januar 1882 kam er als 
Sekretär an die Nuntiatur zu Madrid; fein Lehrer und Vorbild wurde 
hier Rampolla, dem unter verwickelten politiſchen Derhältniffen eine 
ſchwere, aber für ſeinen jugendlichen Mitarbeiter eine um ſo lehr⸗ 
reichere Aufgabe geſtellt war. 

War della Chiesa in Madrid dem deutſchen Konprinzen, nachmali⸗ 
gem Raifer Friedrich begegnet, fo [ah er in Rom Kaiſer Wilhelm II. 
bei deſſen Beſuch im Vatikan. Rirchenpolitiſche Fragen führten ihn 
zweimal nach Wien. 1887 wurde Rampolla Kardinal. Mit ihm kehrte 
della Chieſa nach Rom zurück. Hier wurde er Minutant der Kongre- 
gation für außerordentliche kirchliche Angelegenheiten, 1901 Subſtitut 
der Stagtsfekretarie, wo er wieder in täglichen Derkehr mit Rampolla 
kam. Als Pius X. ihn zum Erzbiſchof von Bologna erhob (16. Dezem⸗ 
ber 1907) erteilte er perſönlich dem Erkorenen die biſchöfliche Weihe. 
Den Purpur brachte ihm, nach dem am 6. Dezember 1913 erfolgten 
Tode Rampollas, das letzte Ronfiftorium Pius X. (25. Mai 1914). 
Nicht vier Monate ſpäter, am 3. September, alſo am dritten Tage 
des Ronklave, wurde er, damals im 60. Lebensjahre ſtehend, zum 
Papſt gewählt. Am 6. September folgte ſeine Krönung. 

Mittlerweile war der Weltkrieg ausgebrochen, deſſen Schrecken 
die letzten Wochen Pius X. umdüſtert, des edlen Papſtes Herz ge⸗ 
brochen hatten. Insbeſondere nach dem Eintritt Italiens in die Reihen 
der Kämpfer war es ſchwer und für Angehörige der Mittelmächte 
geradezu unmöglich, perſönlich dem Papſte zu nahen. Schon aus 
dieſem Grunde war eine fo außerordentliche Popularität, wie fie 
Pius X. beſaß, undenkbar. Wer aber glauben mochte, Benedikt XV. 
würde in nicht wenigen und beſonders innerkirchlichen Fragen einen 
weſentlich anderen kurs einſchlagen, ſah ſich bald getäuſcht. Gewiß 
liebte er es nicht, wenigſtens nicht in den erſten Jahren, wie Pius X. 
Entſcheidungen und Gnaden, wenn ſie dem Geſchäftsbereich der kion⸗ 
gregation angehörten, in Privataudienzen zu erteilen; in ſpäteren 


83 


Jahren iſt er etwas davon abgegangen. Aber der neue Papſt ließ 
keinen Zweifel, daß er das Lebenswerk des verſtorbenen erhalten 
und weiterführen werde. Die Verurteilung des Modernismus, die 
ſchon die erſte Enzuklika brachte, die Vollendung des Coder und die 
.Beftätigung des Motu proprio über die ktirchenmuſik u. a. beweiſen 
das zur Genüge. Es gehört überhaupt zu den ſchönſten Zügen im 
Bilde Benedikts XV., daß er bei jeder Gelegenheit mit Worten hoher 
Verehrung und Liebe von Pius X. ſprach, deſſen würdiger Nachfolger 
zu fein, keine leichte Sache ſei. Er bewunderte an ihm den tatkräftigen 
Mut, die ausgezeichnete Weisheit und Milde, die ſeltenen Tugenden, 
mit denen er den heiligen Stuhl geziert, die Demut, womit er dieſe 
Vorzüge zu verbergen gewußt hat. 

Und doch war Benedikt XV. eine durchaus andere Natur als 
Pius X. Jedermann, der von feiner Audienz kam, hat das gefühlt. 
Aber es iſt nicht leicht zu ſagen, worin im Grunde die Verſchiedenheit 
beſtand. Die meiſten waren über die Einfachheit überraſcht, die ſie 
am Papſte gewahrten, und die womöglich noch größer war als bei 
feinem Vorgänger. Vielleicht gab Pius X. ſich mehr fo, wie er fühlte, 
wie er in feinem empfindſamen Herzen teilnahm und litt oder in 
heiliger Strenge eiferte; Benedikt XV. dagegen ſchien kein Tempera⸗ 
ment zu haben und über das, was vorging oder ihn beſchäftigte, 
immer erhaben zu ſein. Er war von einer unerſchütterlichen Objek⸗ 
tivität. Das mochten oberflächliche Beurteiler als nüchterne geſchäft⸗ 
liche Tätigkeit, als unberührte Gelaſſenheit empfinden. Sie irrten. 
Güte und Liebe waren in Benedikt XV. nicht weniger ſtark und 
gewinnend, wenn fie auch anders als bei Pius X. ſich kundgaben. 
Auch fein Geiſt war in all feinem Tun von hohen und höchſten Idealen 
geleitet, wie ſehr ihn auch fein Derfiand und Wille die Wirklichkeit 
nehmen ließen, wie ſie war, wie ſehr der Papſt für die Grenzen des 
Möglichen den klaren Blick bewahrte. Eu 

Tief war feine Frömmigkeit. Gerne erinnert er ſich der Tage, 
die er in Lourdes zubrachte. Er war ja ein Marienkind, am 21. No⸗ 
vember geboren. Ruf den Studenten übte, wie in feiner Heimat die 
Wallfahrtskirche der Madonna, fo in Rom das Heiligtum in Maria 
Maggiore eine große Anziehungskraft aus. Am Feſte Mariä Geburt 
erging feine erſte „Aöhortatio ad universos orbis catholicos“. Der 
Himmelskönigin weihte er fein Pontifikat, der Schmerzensmutter, 
der Mater dolorosa, ſeine Bemühungen zur Beendigung des Welt⸗ 
krieges und zur Linderung der allgemeinen Not. „Per Mariam ad 
gesum“ leſen wir des öftern in feinen Briefen. Von kindheit an hegte 

g Pr 


zu kommen und ihrer Fürſprache ſich zu verfichern, geſtattete der 
Papſt die drei Mmeſſen an jedem 2. November. Als päpſtlicher Be⸗ 
amter las er täglich 6". Uhr nach vollendeter Betrachtung die hl. Meſſe, 
war Mitglied des dritten Ordens vom hl. Franziskus und der Bruder⸗ 
ſchaft des hl. Rochus und mehr denn einmal folgte er im habit der 
Sodalen der Leiche eines Mitgliedes dieſer frommen Vereinigung. 
Als Biſchof von Bologna führte er mit außerordentlicher Pracht das 
Gnadenbild della Buardia zur gewohnten Ausftellung in die Kathe⸗ 
drale. Es war dies eine der erſten Funktionen des neuen Oberhirten, 
die er von Jahr zu Jahr wiederholte. Neben der größten Anſtrengung 
natürlicher Mittel und Kräfte rief er zur Erreichung feiner Cebens- 
aufgabe, zur Erlangung eines wahren Friedens, ununterbrochen zum 
Gebete auf, verordnete gemeinſame ommunionen, Meſſen, Andachten, 
verfaßte das Friedensgebet, ein anderes für die Wiedervereinigung 
des Orients, für die Einigung Italiens. Als Erzbiſchof hielt er täg⸗ 
lich in einer kirche der Stadt die Anbetungsſtunde. Seine Frömmig⸗ 
keit war ſeinem Charakter entſprechend klar und männlich. Eine 
ſolche Frömmigkeit ſuchte er auch in anderen zu fördern, nicht eine 
weiche, verſchwommene, ſinnliche Andacht (vanus mollisque pietatis 
sensus, lacrimula). Einen bedauernswerten Schaden unſerer Zeit 
und eine der größten Gefahren erkannte und beklagte er in der 
mangelhaften Kenntnis Chriſti. Bei der Meſſe folle das Volk dem 
Prieſter folgen, weswegen er die Benützung des Miſſale mit beigefügter 
Überſetzung empfahl: ſo werden die Gläubigen den Gottesdienſt lieber 
beſuchen und reicheren Nutzen daraus ziehen. 

In den verſchiedenen Stellen, die della Chiesa bekleidete, zeichnet 
ihn ein wahrhaft prieſterlicher Seeleneifer aus. Neben feinen gewöhn⸗ 
lichen Arbeiten, predigte er gern, war viel im Beichtſtuhl und gab 
häufig Konferenzen. Als ihn die Wahl des Papſtes auf den Bolog⸗ 
neſer Biſchofsſtuhl berief, bekannte er, die Derwendung in der Seel» 
ſorge entſpreche dem langgehegten, innigen Wunſche ſeiner Seele. 
Als Seelenhirte betätigte er ſich in ſeinem neuen Wirkungskreiſe in 
hervorragender Weiſe durch die mehrjährige Difitation feiner Diözeſe, 
bei der er perſönlich jede Pfarrei beſuchte und öfters drei⸗ bis vier⸗ 
mal am Tage predigte. Und welchen Seeleneifer verrät die erfte 
Enzuklika: „sentimus incredibilem quemdam studii et amoris impe⸗ 
tum ad cunctorum salutem hominum.“ 

Neben tiefer Frömmigkeit und ausgezeichnetem Seeleneifer machte 
ſich bei dem Derftorbenen, welche Stellung er einnehmen mochte, eine 


84 | 
er eine beſondere Andacht zu den Armen Seelen. Um ihnen zu hilfe 


85 


große Einfachheit in der Lebensführung und im Verkehr mit anderen 
bemerkbar. Wer insbeſondere ſein Privatleben kannte, bezeugt das. 
Er hat den Prälaten nicht mehr geſtattet, Abzeichen ihres Familien- 
ſtandes im Wappen zu führen. Für andere war ſchon der jugend⸗ 
liche Prälat immer freigebig, für ſich brauchte er wenig. 

Am meiſten Bewunderung verdient aber doch wohl des Papſtes 
biebe und fein ungebeugter Mut. Bis zu feinem Tode blieb er 
der unerſchrockene Rpoſtel und Anwalt der Liebe; bis zu feinem 2% 
hörte er nicht auf zu hoffen und zu arbeiten. 

In der einzigen Kundgebung, die Pius X. zu Beginn des Krieges 
zu erlaſſen Gelegenheit hatte, klagt er, wie im Dorgefühl der nahen 
Vollendung, das wachſende Elend drohe ihm das herz zu brechen, 
und in der Tat iſt es fo gekommen. Nuch Benedikt XV. fühlte die 
Wucht dieſes Schmerzes. „Es iſt mir,“ ſagte der Papſt, „wie einem 
Vater, deſſen haus vom Sturme gepackt und niedergeworfen wurde, 
das eine Beute des raſenden Orkans geworden iſt; zahlloſe Söhne 
find dahingerafft, und das Übel will kein Ende nehmen, es beginnt 
alle Grenzen und jedes Maß zu überſchreiten.“ Ein Schrei nach 
Frieden (grido di pace) entrang ſich ſeinem herzen. Aber ſo oft er 
genötigt wurde, in dieſen oder ähnlichen Worten zu reden, ſtets fügt 
er bei: „Wir laſſen den Mut nicht ſinken, wir wollen mit unſeren 
Bemühungen zur Rettung Europas und der europäiſchen Civiliſation 
nicht aufhören, wir werden von dieſem Vorhaben durch nichts, weder 
durch zeitweilige Mlißerfolge, noch durch Derdäcdhtigungen und Dro⸗ 
hungen abzubringen fein.” Derartige Hemmungen und Angriffe find 
ihm keineswegs erſpart geblieben. Wohltaten, die er ohne Ende 
ſpendete, wurden zum Anlaß der Anfeindung. Man unterſchob eigen- 
ſüchtige Motive. Er habe den kirieg gewollt und verurſacht, er fei 
an den Niederlagen der italieniſchen Armee ſchuld und ſei mit dem 
Ausgang des kirieges unzufrieden. Die hetze wurde beſonders in der 
italieniſchen Preſſe ftark und wuchs zeitweilig zu einer wirklichen 
Gefahr an. Aber auch anderswo erhoben ſich Anklagen gegen den 
Papſt. Die törichteſten Anſchuldigungen fanden Gehör. Doch er blieb 
unerſchütterlich: „Menſchenurteil bekümmert uns nicht. Die Wahrheit 
wird eines Tages ſich durchringen. Wir find nicht niedergedrückt. 
Wir arbeiten ja für die Kirche Gottes, für ihre Ehre und heiligkeit; 
Tadel und Lob der Menſchen bewegen uns nicht.“ Dieſer Starkmut 
iſt für Diele ein leuchtendes Beiſpiel, eine Stütze, ein Troft geworden. 

Ebenfo ſchön wie dieſe Unbeugſamkeit iſt des Papſtes Liebe 
namentlich zu den zahlloſen Notleidenden, den unglücklichen Opfern 


86 


des Weltkrieges in jeder Geſtalt und in jedem Lande. Diele feiner 
Schreiben find beredte Zeugniſſe dieſer Liebe, nicht zuletzt jenes 
an Kardinal Amette gerichtete, worin er das Gebot der Liebe, das 
der Welt mißfällt, hervorhebt und feine Erfüllung auch den Feinden 
gegenüber verlangt (7. Oktober 1919). 

„Ein unbeſchreiblicher Drang und eine gewaltige Liebe“ erfüllt feine 
große Seele. Mit Chriſtus dem Erlöſer betet er: „Vater bewahre fie 
alle, die du mir geſchenkt haft.” Dieſe Liebe darf zu jedermann reden, 
zu den Völkern, wie zu den Regenten und Machthabern, zu Katho- 
liken und Nichtkatholiken. Lebtere lud er anläßlich des Bonifatius⸗ 
jubiläums zur Wiedervereinigung mit der Mutterkirche ein (14. April 
1919). Seine Liebe macht ihn „zum Sprecher des allgemeinen Schmer⸗ 
zes“, zum Fürbitter für die geängſtigten Mütter, Frauen, Bräute der 
Rämpfenden, für die armen Waiſen, für die Hungernden, die Ge⸗ 
fangenen und Verwundeten. Selbſt die Toten find nicht vergeſſen. 
Zu ihrer Hilfe beſtimmt er, daß jede hl. Meſſe, die für einen im Kriege 
Gefallenen geleſen werde, die Vorteile des privilegierten Altares habe 
(5. O. 28. Januar 1915). „Reiner feiner Söhne leidet, ohne daß das 
herz ihres Vaters mitleidet.“ Wie wenige hat er den Krieg mitgelitten, 
mitgetragen. Unter den vielen öffentlichen und privaten Schreiben, 
die während dieſer Jeit und nachher aus dem Vatikan hervorgingen, 
find weitaus die meiſten beredte Zeugen dieſer Teilnahme und Liebe. 
Beſonders auch das Friedensgebet, das er im Januar 1915 herausgab. 

War die Fortſetzung des ktrieges nicht zu verhindern, fo wollte er 
doch das wachſende Elend auf jede Weiſe mindern. Was er in dieſer Hin⸗ 
ſicht erreicht hat, bleibt unvergeßlich. Auf feine Dermittlung erfolgte der 
Nustauſch kriegsunfähiger Gefangener, die Derbringung der Derwun- 
deten in die Schweiz, der Beſuch der Gefangenenlager durch neutrale 
Abgeordnete, ihre regelmäßige Paſtoration durch Prieſter, welche ihre 
Sprache redeten. Mehr als einen Gefangenen hat die perſönliche 
Fürſprache des HI. Daters vor dem ſicheren Tode bewahrt oder der 
Freiheit zurückgegeben. kiaum hörte Benedikt von der Not der bel⸗ 
giſchen kinder, als er für Kleidung und Nahrung ſorgte. Ebenſo 
eifrig bemühte er ſich um die Bewohner der beſetzten Gebiete und 
jener Candſtriche, die als ktriegsſchauplatz am meiſten heimgeſucht 
waren. Wie er kurz vor Ausbruch des italieniſchen Krieges in groß- 
artiger Weiſe für die vom Erdbeben ſchwer betroffenen Bewohner Sũd⸗ 
italiens auf Hilfe bedacht war, fo unterſtützte er die Bevölkerung Polens 
und Galiziens, die durch den jahrelang hin⸗ und herwogenden krieg 
hart geſchädigt waren. Wo er bei anderen die gleiche Liebe wirken 


87 


ſah, verfäumte er nicht, zur Weiterarbeit zu ermuntern (Briefe an 
die Biſchöfe Benzler und korum, an ktardinal von Hartmann). 
Dieſe gũtige, geduldige Liebe erſchien ihm „als der vorzüglichfte, als 
der Königsweg zum Frieden.“ ge länger der Krieg dauerte, um fo 
mehr ſollte nach der Anſicht des Papſtes dieſe Mildtätigkeit zunehmen. 
Es war fein Schmerz, daß feine Diebestätigkeit nicht jede Not er⸗ 
reichen und lindern konnte, und wozu er unermüdlich aufforderte, 
war nicht bloße Humanität, ſondern echt chriſtlich übernatürliche Liebe. 
Aber ebenſo warnte er gelegentlich vor falſchen Einigungsbeftrebungen, 
wie fie in England unter Derwildung dogmatiſcher Begriffe von nicht 
Ratholifcher Seite verſucht wurden. Mit beſonderem Eifer bemühte 
ſich Benedikt um die Beſeitigung der hungerblockade. Als dieſe ge⸗ 
fallen war, ſchrieb er, die CLandleute möchten mit der Zufuhr von 
Gebensmitteln in die Großftädte nicht zögern und verſicherte die 
deutſchen Biſchöfe, ſeine Liebe ſei dort am größten, wo er die größte 
not erkenne. Auf den Tag der unſchuldigen Kinder wurde 1919 in 
ſämtlichen Diözeſen der Welt eine Rollekte veranftaltet, die ein in 
jeder Hinſicht erfreuliches Ergebnis hatte. 1920 erging die Auffor= 
derung an die Kinder der vom Kriege weniger betroffenen Länder, 
für ihre leidenden Befchwilter in den Mittelſtaaten auf Weihnachten 
Gaben zu ſammeln. Don fremder hilfe unterſtützt, ſpendete der Papſt 
beträchtliche Summen, im Jahre 1920 allein 16 / Millionen Dire und 
rettete Ungezählte vom moraliſchen und phuſiſchen Untergang. Als 
die hungersnot in Rußland zu wüten begann, ſtattete er ſofort einen 
Hilfszug aus und dankte anderen, die wie hoover bereit waren, der 
entſetzlichen Not in Europa zu ſteuern, wie er früher die Schweiz 
(insula pacis, pulcherimum theatrum caritatis) wegen ihrer Gaſtlich⸗ 
keit und Fürſorge für die Gefangenen und Verwundeten mit hohem 
bobe ausgezeichnet hatte. 

Dieſe glühende Liebe zeigt ſich beſonders in dem Bemühen, der 
Welt den Frieden zu geben. Man kann ohne Übertreibung fagen: 
ſein Pontifikat iſt ein einziges, unabläſſiges Ringen um den Frieden. 
Schon feine erſte ktundgebung galt dieſem Ziele. Inſtändig be⸗ 
ſchwor er die Machthaber, ſich der menſchlichen Not zu erbarmen 
und Friedensverhandlungen einzuleiten, ſie würden dadurch ihren 
Völkern und ſich ſelber den ſchönſten Ruhm und Dank erwerben. 
Wenige Wochen darauf, am 1. November erging die Enzyklika 
„Ad beatissimi Apostolorum Principis“. Sie war großenteils der 
Wiederherſtellung des Friedens gewidmet. Kurz danach ſchlug 
Benedikt XV. für Weihnachten eine „Treuga natalizia“, eine kurze, 


88 


genau bemeſſene Waffenruhe zu Ehren der Geburt des Welterlöfers 
vor. Sie wurde von den Mittelmächten bereitwillig begrüßt, von an⸗ 
derer Seite abgelehnt. Zu Beginn 1915 erſchien die „Ezhortatio ad 
populos et regentes“. Der Ton war womöglich noch ernſter geworden. 
Er wies hin auf auf die Blutära, in der wir lebten, auf den Selbſt⸗ 
mord, den Europa feiner Würde vergeſſend und feiner Bildung und 
des früheren Wohlſtandes nicht achtend, wie im Fieberwahne an ſich be⸗ 
gehen wollte, wies hin auf das entſetzliche Morden, auf das beiſpiel⸗ 
loſe Unglück, dem die Völker entgegeneilten, auf den Untergang, dem 
ſie geweiht würden, auf das zweckloſe Blutvergießen, auf weitere 
Gefahren, die mit der Länge des kirieges unvermeidlich würden: 
Sittenloſigkeit, Minderung der Autorität, Revolution. In dem grau⸗ 
ſigen Gefchehen ſah er nur den Bruderkrieg, deſſen Härte alles bisher 
Dageweſene überbot, eine Entehrung Europas, die Derwültung des 
Gartens der Welt, die kommende Verarmung. Es wird nicht mög» 
lich fein, dieſe Mahnungen und Klagen an Eindringlichkeit zu über⸗ 
bieten, und heute wird die Zahl derer wohl täglich zunehmen, die es 
aufrichtig bedauern, daß eine ſolche Sprache überhört und eine ſolche 
Liebe nicht allſeitig verſtanden werden ſollte. Dom deutſchen Episco⸗ 
pate erhielt der Papſt dankbare Juſtimmung. Ebenſo von Biſchöfen 
Italiens, Oeſterreichs, Ungarns, Spaniens. Aber der gewünſchte Er⸗ 
folg blieb aus. 

Über die Motive, die den Papſt bei dieſer ee bewegten, hat 
er ſich oft und klar ausgeſprochen. 

Sein Amt als Nachfolger des Friedensfürften, feine Stellung als 
Papſt, Chriſti drängende Liebe, fein Bewilfen, das unfägliche Leid, 
das er über die beiden der Menfchheit trug — dolemus omnium 
dolore — hießen ihn ſo handeln, wie er handelte, und gaben ihm 
keine Ruhe. 

Nicht einzelnen Menſchen, ſondern der Menſchheit wollte er dienen, 
nicht ſeine eigenen Intereſſen, ſondern die der Welt wahren. Daß 
er hierin verkannt und ſeine unausgeſetzte Tätigkeit in unwürdigſter 
Weiſe verdächtigt und herabgeſetzt wurde, mochte ihn ſchmerzen, konnte 
ihn aber nicht einen Augenblick von der erkannten Pflicht und dem 
gefaßten Entfchluffe abbringen. Nach feiner Überzeugung war der 
Friede möglich, wenn nur erſt der Wille zum Frieden ſich einſtellte 
und der Wille zum Kriege ſich legte. Ein Schritt weiter war die 
Aufforderung, auf dem Wege des Gedankenaustauſches die vorhan⸗ 
denen Zwiſtigkeiten zu beheben. Um das Kußerſte zu verſuchen 
und möglichen Dorwänden zu begegnen, unternahm es Benedikt XV. 


89 


am 1. Nuguſt 1917, ſelbſt Srundlinien zu entwerfen, von denen ein⸗ 
leitende Beſprechungen ausgehen könnten. Es waren im weſent⸗ 
lichen folgende Dorfchläge: Recht vor Gewalt, Freiheit der Meere, 
gegenſeitiger Nachlaß der kiriegsſchäden, Räumung der beſetzten 
Gebiete, eigene Derhandlungen über einzelne Grenzgebiete zwiſchen 
Deutſchland und Frankreich, Oſterreich und Italien, ferner über 
Armenien, den Balkan, Polen. Dieſes Schreiben hat vielleicht am 
wenigſten Beifall gefunden, was ſich teilweiſe daraus erklären 
dürfte, daß die öffentliche Meinung der verſchiedenen Länder nicht 
genugſam geklärt war und die Hoffnung auf Friedensvermittelung 
ohne die Beihilfe des Papſtes vielerorts überwog. Was jedoch den 
Schritt des Papſtes hauptſächlich zum Scheitern brachte, und wieweit 
überhaupt damals in den Derhältniffen eine Möglichkeit auf Erfolg 
vorhanden war, dieſe Frage endgiltig zu entſcheiden, muß der Zukunft 
vorbehalten bleiben. 

Wenn Benedikt XV. gegen Ende des kirieges zu wiederholten 
malen ſagte, er habe alles getan, was zur Herbeiführung eines ge⸗ 
ſunden Friedens zu tun möglich war, wird die Geſchichte ihm un⸗ 
bedenklich Recht geben; er hat, wie er beifügen durfte, mehr getan, 
als die meiſten wiſſen, ſelbſt wenn wir abſehen von dem, was auf 
privatem oder geheimem diplomatiſchem Wege von ihm verſucht wurde, 
und worüber nach Jahren die Archive einmal Nufſchluß geben werden. 

Dagegen hat der Papſt von Anfang feiner Regierung an es ängſtlich 
vermieden, in den Bang der Dinge unmittelbar einzugreifen, obſchon 
die Aufforderung hiezu nicht gefehlt hat. Die Wege auf denen er 
mittelbaren Einfluß zu erhalten hoffte, waren andere. Es waren neben 
feinen öffentlchen und privaten Bitten und Dorftellungen Aufklärung 
über die kommende Not, Förderung des Gebetseifers, Aufforderung 
zu Werken der Buße. Am 7. Februar 1915 begab er ſich feierlich 
von den Rardinälen und dem Hofſtaate begleitet in die Peterskirche 
zu längerem Gebete. Am gleichen Tage fanden auf feine Derorönung 
gemeinfame Gebete in den kirchen Europas ſtatt, wie ſolche am 
1. märz in den außereuropäifchen Ländern. Gemeinſam mit den 
Biſchõfen und Prieſtern des Erdenrundes las er die hl. Meſſe am Feſte 
Peter und Paul 1918, um den Frieden zu erlangen. Für den Monat 
Juni 1915 verordnete er beſondere Andachten. Wiederum ermahnte 
er zum Gebete während der Faſtenzeit 1916. Die lauretaniſche Litanei 
erhielt den Beiſatz „Regina Pacis“. Nicht zu vergeſſen die kinder⸗ 
kommunion, die am 30. Juli 1916 veranftaltet wurde. Don taufend 
unſchuldigen Lippen und von den reinen Herzen der kinder ſollte mit 


90 


dem euchariftifchen Opfer vereint das Gebet zum himmel dringen und 
um Derföhnung rufen. Mehr und mehr erkannte der Papſt, daß 
menſchliche kräfte nicht imftande wären, dem Unheile zu fteuern. 
„Nur Gottes Gnade und die mütterliche Liebe der Kirche,“ ſchreibt er 
am 5. mai 1918, „vermögen die Schäden zu beſſern, deren größte in 
den herzen der Menſchen entſtanden ſind, wo die gegenſeitige Bruder⸗ 
liebe erſtirbt.“ Er ſah klar, daß es nicht mehr genüge, die Waffen 
niederzulegen; um einen wahren Frieden zu erhalten, muß es ge⸗ 
lingen, den tiefen Haß auszurotten, der die Dölker entfremdet: „de⸗ 
positis armis deponantur odia“. Doch auch Hier verzagte Benedikt XV. 
keineswegs. Die Kraft des Blutes Chriſti wird ſich bewähren. Sie 
zu erlangen, ermuntert er zu Werken der Buße und ordnete nach 
dem Ausbruche des italieniſchen Krieges ein dreitägiges Faſten in 
Italien an. 

Benedikt XV. war nie der Anwalt eines Friedens in jeder Form 
und unter jeder Bedingung. Was ihm vorſchwebte, war, wie aus 
wiederholten Erklärungen mit Deutlichkeit hervorgeht, ein ehrenvoller 
Friede, der den Forderungen der Gerechtigkeit und Billigkeit entſprach 
(justa, honesta) und damit die Gewähr langer Dauer (stabilis) bot. 
Oder vielmehr ſein erſtes Beſtreben war die Waffenruhe und der Be⸗ 
ginn gegenſeitiger Beſprechungen. Er vertraute auf die Einſicht und 
Gerechtigkeit der Menfchen; ſie würden, wenn einmal eine erſte, 
bereitwillige Ausfprache eröffnet würde, doch zum Jiele kommen und 
einen Ausweg finden, der Alle befriedigte und die Ehre Aller wahrte. 
Dazu war nach des Papſtes Anſicht unbedingt erfordert, daß die Ab⸗ 
machungen nach den Grundſätzen chriſtlicher Liebe und Gerechtigkeit 
getroffen würden. Alſo „ein Werk der Gerechtigkeit, aber einer ſolchen, 
die nach allen Seiten gerecht iſt, allen Nutzen bringt, die Ehre der 
am ktriege beteiligten Völker wahrt, eine freundſchaftliche Verſtändi⸗ 
gung“. Ein Friede, der auf gegenfeitiger Liebe — caritas cui nemo 
extraneus aut alienus — bafiert. Denn das Gebot der Liebe gilt 
wie von menſch zu Menſch, fo von Staat zu Staat (Enzyklika 
23. Mai 1920). Anders werde der Friede weder wahr noch dauernd 
ſein. Ein ſolcher war nach der Überzeugung des Papſtes 1915 und 
1917 möglich. Später nur mehr „als Gefchenk Gottes“; denn Menſchen 
vermögen den Frieden wohl zu zerftören, nicht aber ohne Gottes 
Hilfe wiederherzuftellen. Bei dieſen Hoffnungen und Erwägungen 
ging der Papſt vielleicht von anderen Geſichtspunkten aus als die 
kriegführenden Parteien. Er ſah in erſter Cinie auf die Derheerung, 
die der Krieg in wachſendem Maße anrichtete, ſah auf die ſteigende 


91 


Erbitterung, die ftete Ausdehnung und die Folgen eines verlängerten 
£irieges, während die Parteien, zum Teil über die Entwicklung der 
GBefamtlage mangelhaft unterrichtet, in ihrer Auffaſſung durch Tat⸗ 
ſachen und Umſtände mitbeſtimmt wurden, die vor dem Äusbruch 
des £rieges ſich abſpielten und mit Recht oder Unrecht als unmittel⸗ 
bare Urſachen des Krieges galten oder der inneren Politik des Landes 
angehörten. Ein Dernidtungskrieg zwiſchen großen Dölkern war in 
den Augen Benedikt XV. nicht nur etwas Schreckliches, ſondern etwas 
Unmögliches und daher Zweckloſes, Unberechtigtes. „Nationen ſterben 
nicht“, der unterdrückte Teil wird nur mit Widerwillen das entehrende 
doch tragen und auf die Stunde der Entgeltung rechnen (Ezhortatio 
28. Juni 1915). Warum uns der Friede nicht früher und warum 
uns kein beſſerer Friede beſchieden wurde, iſt hier nicht zu erörtern. 
Sein Urteil über Derfailles hat der Papſt nicht verheimlicht. „Der 
£rieg”, ſagte er im Ronfiftorium des 7. März 1921 und früher in der 
Enzuklika vom 23. Mai 1920, „iſt nicht zu Ende, ſolange die alten 
Gegenſätze weiterbeſtehen; der wahre Friede muß ſich auf dem chriſt⸗ 
lichen Sittengeſetze aufbauen. etzt aber lebt der kiriegsgeiſt fort, 
wenngleich die Waffengewalt zur Zeit ruht. Die Völker müſſen ſich 
nach einem ſolchen Weltgeſchehen gegenſeitig verzeihen, ſonſt nützen 
Verträge nichts, ſie bleiben wertloſes Papier.“ Ahnlich in der Allo⸗ 
cutio im Ronfiftorium vom 21. November desſelben Jahres: Pax 
domi forisque desideratur.“ Ein anderer, der chriſtliche Geift muß 
wieder in die Geſinnung der Einzelnen eindringen und die Staaten 
wieder beherrſchen, Selbſtſucht und Überſchätzung zeitlicher Güter müſſen 
ſchwinden. Das Gebot Chriſti verlangt, daß wir den Feinden ver⸗ 
zeihen und für fie beten.“ Als dann die Konferenz nach Waſhington 
berufen wurde, benutzte der Papſt ſogleich dieſen Anlaß, um in ge⸗ 
nanntem Konſiſtorium darauf hinzuweiſen, daß die Welt noch keinen 
Frieden hat und vor allem des Friedens bedarf. In der erwähnten 
großen Friedensenzuklika (23. Mai 1920) hat er ſelbſt den Wunſch 
geäußert, die Staatshäupter ſollten ohne Derzug zu einer Konferenz 
zuſammentreten. Ebenda entrollt er die Jdee eines Dölkerbundes 
und redet der allgemeinen Abrüſtung das Wort. Zugleich geſtattete 
er katholiſchen Fürſten den Beſuch in Rom, um mit ihnen in un⸗ 
mittelbaren Derkehr treten zu können. 

Kurz zuſammengefaßt war die Stellungnahme Benedikt XV. zum 
Weltkriege dieſe: ſeit Beginn ſeines Pontifikates bot er alles auf, 
um den ehrenvollen Frieden zu beſchleunigen. Dom Augenblicke, da 
dieſer möglich ſchien — und nach der Überzeugung des Papſtes war 


92 


dies mehrmals und ſchon früher der Fall — verurteilte er die Fort⸗ 
ſetzung des Krieges. Derfailles hat feine hoffnung auf einen gerechten 
und dauernden Frieden nicht erfüllt. 

Eine vielfach erörterte Frage bildet des Papſtes Neutralität. Es 
war von vornherein ſein klar gefaßter Entſchluß, im Kriege neutral 
zu bleiben. Welch ein Maß von Klugheit und Standhaftigkeit er⸗ 
fordert war, um dieſem Grundſatze treu zu bleiben, das vermögen 
erſt [pätere Zeiten zu erkennen. Für Benedikt XV. aber war Neu⸗ 
tralität eine heilige, ſelbſtverſtändliche Pflicht. Um für alle arbeiten 
zu können und allen Gutes zu erweiſen, wollte er keiner Partei 
angehören, ſondern der gemeinſame Vater, der „Parens catholicus“ 
fein, der überall zahlreiche geliebte Söhne hat, für die Chriftus ge⸗ 
ſtorben iſt (Ronſiſtorium 22. Januar 1915). Tatſächlich erftreckte 
ſich ſeine vermittelnde und helfende Tätigkeit gleichermaßen nach allen 
Seiten. Ohne für jemanden Partei zu ergreifen, bat er die Macht⸗ 
haber der beſetzten Gebiete, die heiligſten Gefühle der Bevölkerung 
zu ſchonen, die Bevölkerung aber, nicht durch unklugen Drang nach 
Freiheit die fremden Gebieter zu reizen und die Cage zu verſchlimmern. 
Die kirche, ſchrieb er gelegentlich, iſt weder lateiniſch, noch griechiſch, 
noch flovenifch, fie iſt Ratholiſch. Alle Nationen nehmen beim heiligen 
Stuhle den gleichen Rang ein (eundem locum obtinent, 1. Mai 1917); 
und wiederholt hob er in Briefen hervor, daß die Kirche nicht poli⸗ 
tiſchen Parteien diene. Darnach richtete er fein Verhalten im kiriege 
wie bei inneren Fragen einzelner Länder ein und blieb ſich darin 
gleich. Beweis ſind ſeine Schreiben an die Biſchöfe von Portugal 
(Verhalten gegen die Regierung), an Kardinal Cogue (iriſche Frage), 
an die Biſchöfe Polens. Er beklagt das Nufleben der flandriſchen 
Frage nach dem kiriege, wehrt dem Eindringen politiſcher Zwilte in 
die Seminarien Böhmens, will in beiden Ländern der Mutterſprache 
ihr Recht gewahrt wiſſen und fordert vom kilerus in Kanada, daß 
er um jeden Fwiſt zu meiden, die franzöſiſche und engliſche Sprache 
erlerne. Auch in der oberſchleſiſchen Frage hielt er fi neutral. Das 
hinderte ihn nicht, ih für die Wiederherſtellung Belgiens und die Selb⸗ 
ſtändigkeit Polens einzuſetzen. Mit allen Ländern leidet er und ver⸗ 
urteilt jedes Unrecht, wann und auf welcher Seite es geſchieht. Aber 
er hat niemanden ſchuldig erklärt und über keinen konkreten Vor- 
gang geurteilt. Bald nach dem Einzug der Deutſchen in Belgien ant⸗ 
wortete er an ftardinal Mercier, wle fehr er mit dem bande Mitleid 
empfinde, wies auf die biebe hin, die franzöſiſche Gefangene in Deutſch⸗ 
land erfahren und hoffte, ein Gleiches werde deutſchen Gefangenen 


93 


in anderen Ländern zuteil. Als Kardinal Amette über Derwüftungen 
auf franzöſiſchem Boden berichtete, antwortete Benedikt XV. in einem 
herzlichen Schreiben, beſchränkte ſich aber auf die Derficherung, daß 
er mit allen leide und allerorts die Not zu mildern ſuche. Über die 
Beſchießung der Rathedrale zu Rheims ſchrieb ihm der dortige Kardinal. 
Der Papſt dankte für dieſen Bericht (16. Oktober 1914) enthielt ſich 
aber wiederum des Urteils. Später meldeten Zeitungsnachrichten, er 
hätte auf erneute Dorftellungen hin geäußert, daß von anderer Seite 
anderslautende Berichte bei ihm einliefen. Die Erhebung der allerſelig⸗ 
ſten Jungfrau zur „Patrona Bavariae” fand feinen Beifall, wie ſpäter 
das Dankfeſt der franzöſiſchen Kriegsteilnehmer in Lourdes. Er ſpen⸗ 
dete im Oktober 1916 für die belgiſchen Kinder 20000 Lire, eine 
andere Summe für die bedrängten Litauer, wie er nach dem kriege 
fi), in der Giebestätigkeit für Angehörige der Mittelſtaaten erſchöpfte. 
Wir ſehen alfo in kleinen und großen Fragen immer dieſelbe Unpartei⸗ 
lichkeit. In der Sorge um Arme und Notleidende machte er auch 
vor konfeſſionellen Unterſchieden nicht halt'. Die Katholiken der ver⸗ 
ſchiedenen Länder aber ermahnte er, ſich gegenſeitig zu achten und 
nicht ſich herabzuſetzen. Wie ſorgſam der Papſt die Neutralität zu 
wahren bedacht war, zeigt ein Fall, der gerade manche Zweifel da⸗ 
gegen erregt hatte: die Kanoniſation der Jungfrau von Orleans. Die 
Vorarbeiten zu dieſer Heiligſprechung waren lange vor dem Kriege 
im Gange, wenn nicht nahezu abgeſchloſſen. Noch wichtiger iſt, daß 
weder in der päpftlichen Ankündigung, noch im folgenden fonſiſtorium 
semipublicum, noch in der BHomilie, die der Papſt während der feier⸗ 
lichen kianoniſation las, noch in der ausführlichen Urkunde (Lit⸗ 
terae decretales) auch nur ein Wort ſich findet, das auf den Weltkrieg 
Bezug nimmt. Ganz allgemein wird die heilige, ihr Leben und 
Beiſpiel dem verweltlichten Zeitgeiſte gegenübergeſtellt und die Auf- 
forderung damit verbunden, es möchten alle Menſchen Gottes Wille zur 
Richtſchnur ihres Handelns nehmen. In der eben erwähnten Homilie 
mußte der Papſt des anweſenden franzöſiſchen Sondergefandten ge⸗ 
denken. Die Worte aber, mit denen er das tat, enthalten nichts, was 
auch nur den leiſeſten Schatten auf ſeine Neutralität werfen könnte. In 
derſelben Homilie lehnte er die rationaliſtiſche Auffalfung der Wunder 
als rein natürliche Vorgänge ab, welche Nuffaſſung, wie berichtet 
wird, u. a. auch der eben genannte anweſende Geſandte in ſeinem 
Seſchichtswerke über die Jungfrau von Orleans vertreten hatte. „Ohne 


1 Aucune distinction de parti, de nationalité, ni de religion. Brief an Kardinal 
Hmette 23. April 1915. | 


94 


ſtrenge Neutralität ift es der Kirche unmöglich, ihre hohe Miſſion zu 
erfüllen und Nutzen zu ftiften; fie liefe Sefahr, den kampf der Gegen- 
ſätze nur zu bald auf das Gebiet des Religiöfen verpflanzt zu ſehen.“ 
Das war ſeine Überzeugung, die er ungeſcheut ausſprach und nach 
der er unter den ſchwierigſten Derhältniffen handelte. Die Tatſache, 
daß mit ſeiner Billigung die deutſchen Biſchöfe von Straßburg und 
Metz nach dem Ausgang des kirieges von ihrem Amte zurücktraten, 
iſt kein Beweis gegen dieſe Neutralität. Um dieſe und ähnliche Dor- 
gänge beurteilen zu Können, wäre es durchaus notwendig, nicht nur 
genau zu wiſſen, wie ſie ſich zugetragen, ſondern noch mehr, durch 
welche Dorausfegungen fie veranlaßt find. Ohne Zweifel ſuchte der 
Papſt vor allem zu fördern und zu erhalten, was dem Gemeinwohl 
der Kirche und dem heil der Seelen diente; und wo er dies ernſtlich 
und dauernd gefährdet ſah, umging er jeden Kampf, den er für aus⸗ 
ſichtslos hielt. Don ſolchen Rückſichten geleitet, bildete er die neue 
Diözefe Eupen-Malmedy und vereinigte fie in Perſonalunion mit Cüttich, 
bis eine weitere päpſtliche Anordnung anders verfüge (30. Juli 1921), 
während er für das Saargebiet, das durch den Dertrag von Derfailles 
von Deutſchland nicht gelöft ift, die Errichtung einer geſonderten kirch⸗ 
lichen Derwaltung ftandhaft ablehnte. Was aber den Papſt und feine 
Neutralität in hervorragender Weife ehrt, ift fein Derhalten in der 
Auslieferungsfrage und fein erfolgreiches Eintreten für die Perſon 
Raifer Wilhelms II. Wenn hier das Schlimmfte verhütet wurde, ift 
das in hohem Maße feiner energiſchen perfönlichen Derwendung zu 
danken. Und das zu einer Zeit, in der die Wogen der beidenſchaft 
und des Haſſes tobten und mit wuchtiger Gewalt ein Opfer forderten. 
Vielleicht hat damals kein Blatt deutlicher als der päpſtliche Osser⸗ 
vatore Romano dargetan, wie unzuläſſig ein Urteil ſein müßte, das 
vom Feinde und nach einem Geſetze gefällt würde, das der imputier⸗ 
ten Tat nicht voranging, ſondern eigens zur Beſtrafung des bereits 
vollendeten Gefchehniffes aufgeſtellt wurde. Mit beſonderem Danke 
gedenken wir ferner des Intereſſes, mit dem Benedikt XV. nicht nur 
das Heiligtum Mariae Heimgang in geruſalem vor der drohenden Pro⸗ 
fanation ſchützte, ſondern auch dafür Sorge trug, daß es den deutſchen 
katholiken erhalten blieb und von den früheren Bewohnern ſobald als 
möglich wieder bezogen wurde. Wenn er zugab, daß es zeitweilig den 
belgiſchen Benediktinern anvertraut wurde, geſchah es, weil dies der 
einfachſte und ſicherſte Weg zu ſein ſchien, das Heiligtum zu retten, und 
nachdem das Anrecht der deutſchen Katholiken urkundlich anerkannt 
worden war. hievon war der Papſt durch nichts abzubringen. 


95 


Die drei großen Gefichtspunkte, unter die Benedikt XV. (vergl. 
Aux chefs des peuples belligerants 1. Auguft 1917) fein Pontifikat 
vom Tage feiner Wahl an ſtellte: Neutralität, weitgehendfte Hilfe: 
leiſtung nach allen Seiten, unermüdliches Bemühen um den Frieden, 
hat er mit unabänderlicher Konſequenz und unũberwindlicher Kraft 
in wechſelvoller Zeit und harter Bedrängnis eingehalten. Für alle 
Zukunft hat er ſich damit den Ruhm eines überragenden Staats⸗ 
mannes und eines der größten Wohltäter der Menſchheit erworben. 
Er iſt eine der herrlichſten Papſtgeſtalten, die je den Stuhl Petri und 
die Kirche Chriſti geſchmückt haben. 

Er iſt eben dadurch in eminentem Sinne auch ein ſozialer Papſt. 
Er hat die großen Gebote der Liebe und Gerechtigkeit und Billigkeit 
unausgeſetzt verkündigt und verteidigt, er hat vor allem durch ſein 
Beiſpiel und durch die Tat gezeigt, was die Kirche den notleidenden 
Völkern zu bieten und zu werden vermag. Für theoretifche Fragen 
waren die Zeitumſtände nicht angetan. Fragen „bei denen nichts 
erreicht wurde“, liebte Benedikt XV. ganz und gar nicht, und das 
Wort, das er bald nach der Thronbeſteigung privatim äußerte und 
dann öffentlich in ſeiner erſten Enzuklika vom 1. November 1914 
wiederholte: Batholiken ſollen ſich durch keinerlei Beinamen von⸗ 
einander unterſcheiden, ſondern es bei dem alten Satze belaſſen, „Chri⸗ 
stianus mihi nomen, catholicus cognomen“, war für ſich allein ſchon 
eine ſegensvolle Tat. Übrigens verſäumte er keine Gelegenheit, auf 
die Bedeutung der ſozialen Frage hinzuweiſen und die Wurzel ſo⸗ 
zialer Übel aufzudecken. Hier fei nur an feine Schreiben zum Jubi⸗ 
läum des franziskaniſchen dritten Ordens und zum Jubiläum der 
Erhebung des hl. Joſef zum Schutzherrn der katholiſchen ktirche erinnert. 
Andere Dokumente dieſer Art ſind der ſchöne Brief über den Fami⸗ 
liencharakter der einzelnen Pfarrei und fein Wirken für die italie⸗ 
niſchen Auswanderer. j 

Wie die früheren Päpſte hat Benedikt der XV. der Preſſe hohe 
Bedeutung beigemeſſen; er ſah in ihr mit Recht die „effectrig publicae 
opinionis“. Für die italieniſche katholiſche Preſſe erſchienen eigene Sta⸗ 
tuten. Eine wohltätige Mitwirkung der Preſſe erwartete er beſonders 
bei Herſtellung eines wahren Friedens. 

Eines der wichtigſten Ereigniſſe im letztverfloſſenen Pontifikate 
bildet die Herausgabe des Coder juris canonici. 1904, alfo zu Be⸗ 
ginn feiner Regierung hatte Pius X. den Plan gefaßt, — immensum 
pene opus — das beſtehende Kirchenrecht in einem einheitlichen Coder 
zu ſammeln und ſoweit nötig, den heutigen Bedürfniſſen anzupaſſen. 


96 


Gegen Ende feiner Regierung konnte der ausgearbeitete Text dem 
Epiſcopate zur Begutachtung vorgelegt werden, nachdem Wort um 
Wort in zahlreichen Sitzungen der beiden Kommiffionen und durch 
die Konfultoren feſtgeſetzt war. Als die Antworten der Biſchöfe und 
Ordensvorſteher einliefen, war Pius X. tot. Sie wurden unter dem 
neuen Papſte geprüft und in den Text verarbeitet. Am Pfingſtfeſte 
(17. mai 1917) erfolgte die letzte päpſtliche Approbation und Pro- 
mulgation, das Jahr darauf (19. mai 1918) trat das Geſetzbuch in 
Kraft. Es hat alſo feine abſchließende Faſſung unter Benedikt XV. 
erhalten, wenn dieſer auch ſeinen Vorgänger als einzigen Urheber 
bezeichnet, dem in der Geſchichte des Kirchenrechtes ein unſterblicher 
Name dadurch geworden fei (Konſiſtorium 4. Dezember 1916). So 
iſt das neue Geſetzbuch, — in dieſem Punkte ähnlich dem alten Cor= 
pus Gregor IX. — in einer Zeit an die öffentlichkeit getreten, die 
vom firiegslärm wiederhallte. Einigen wenigen Orden wurde ein 
kurzer Auffchub für die Einführung mit Rückfiht auf die Zeitver⸗ 
hältniſſe gewährt, die ihnen den Derkehr von Provinz zu Provinz, 
und damit die Einführung erſchwerten oder unmöglich machten. Doch 
hat die Durchführung nirgendwo zu ſtörenden Schwierigkeiten oder 
Kämpfen geführt. Benedikt aber ſchätzte ſich glücklich, „das unſterb⸗ 
liche Werk“ der Kirche zu übergeben und damit „eine Erwartung 
der Welt zu erfüllen.“ Zu ſeinem Schutze ſetzte er die Commiſſio 
Interpretum ein, der aber nur Ordinarien Fragen vorlegen dürfen. 
mit dem Inhalte des Buches weniger Vertraute vermuten darin 
etwas weſentlich Neues und Grundlegendes. Das trifft nicht zu. Die 
Bauptvorzüge des Werkes liegen in der Vereinfachung des Studiums 
und der handhabung des früher ſelbſt für Unterrichtete ſchwer zugäng⸗ 
lichen Rirchenrechtes, ſowie in der überſichtlichen Juſammenfaſſung 
des früher vielfach zerſtreuten ausgedehnten Stoffes. Den Lehrern 
und Schülern empfahl der Papſt in mehreren Briefen, und das zeigt 
uns wieder ſeine ernſte praktiſche Art, in der Erklärung der Canones 
von Spitzfindigkeiten ſich fernzuhalten und um ſo mehr den objek⸗ 
tiven Sinn der Geſetze zu erfaſſen. 

noch in anderer Weiſe ift das Pontifikat Benedikt XV. für die 
Geſchichte der kirchlichen Derfaffung und Disziplin bedeutſam ge⸗ 
worden. Schon vor der Promulgation des Code erfolgte durch ihn 
die Aufhebung der Congregatio Indicis und die Errichtung der Con⸗ 
gregatio de Seminariis et Universitatibus. Die Aufgaben der Index⸗ 
Kongregation fielen teils an das S. Officium, teils an die Poenitentiarie. 
Die kompetenz der Signatur wurde erhöht und genauer begrenzt. Für 


(auaßdıgdg — vıgudljuy — 01909) 
Lueg sniasoued d 


2 * 


97 


Nordamerika, Brafilien, Mexiko, Schottland und Polen führte die Congre⸗ 
gatio consistorialis das Derfahren ein, wonach die regierenden Biſchöfe 
in regelmäßigen Zeitabſchnitten Liften ſolcher Prieſter vorlegen, welche 
für das biſchöfliche Amt ſich eignen und für die Biſchofsernennung 
in Frage kommen können. Rardinäle, welche einem ſuburbicariſchen 
Bistume vorſtehen, erhalten fortan keine Suffraganbiſchöfe mehr, 
ſondern führen perſönlich die Derwaltung ihrer Diözeſe. Die Verei⸗ 
nigung unbotmäßiger und ſchismatiſierender Prieſter in Ungarn und 
Böhmen (Jednota) wurde verboten, und der Gedanke an die Aufhebung 
des Cölibates mehrmals und mit vollſter Entfchiedenheit zurückgewiefen. 

Trotz der Ungunſt der Zeit durfte Benedikt XV. eine Reihe apofto- 
liſcher Dikariate und Diözeſen errichten. In Deutſchland wurde das 
Vikariat Anhalt aufgehoben und mit der Diözeſe Paderborn vereinigt. 
Sachſen erhielt das Bistum Meißen. 

Dem Orient wandte der Papſt feine fortwährende Aufmerkſamkeit 
zu. Die politiſchen Deränderungen regten feine karitative Tätigkeit 
auch für dieſe bänder an. Zugleich kamen von dort Hilferufe nach 
Wiedervereinigung mit der katholiſchen Kirche. Dieſe zu fördern 
verfaßte Benedikt XV. das erwähnte ſchöne Gebet, erhob den hl. 
ephrem in die Zahl der Kirchenlehrer, gründete in Rom das Jnsti⸗ 
tutum orientale (15. Mai 1917), an dem Lateinern, Katholiken und 
Nichtkatholiken, Gelegenheit zum Studium aller die orientaliſche Kirche 
betreffenden Fragen geboten wird. In feiner Anſprache im kionſiſtorium 
des 10. März 1919 konnte er daran erinnern, wieviel er den ſchwer 
geprüften Armeniern, Syrern, den Bewohnern Rußlands und des 
Balkans Gutes getan. In kionſtantinopel unterhielt er ein Haus für 
die vertriebenen und flüchtigen armeniſchen Kinder. Im kionſiſtorium 
vom 13. Juni 1921 erhob er feine Stimme zum Schutze der hl. Orte in 
Daläftina, die in Gefahr waren, in nichtchriſtliche hände zu gelangen. 
Auch die Ruthenen erfuhren die wohltätige Sorge des Papſtes. 

Für die Studien hatte Benedikt XV. einen offenen Sinn und eine 
offene hand. In Rom entſtand das Kolleg für die Schweizer, ein 
ſolches für die Ruthenen, das der Maroniten wurde wiederhergeſtellt. 
Warſchau erhielt feine theologiſche Fakultät, Lublin und Mailand ihre 
katholifche Univerfität; für köln förderte er die Errichtung des katho⸗ 
liſchen philoſophiſchen Inſtitutes. Den Wiederaufbau der Bibliothek 
in Oöwen unterſtützte er eifrigſt. Ein leuchtendes Denkmal feiner 
biebe zu den Studien iſt des Papſtes Enzuklika zum Dantejubiläum. 
Der Görresgeſellſchaft ermöglichte er noch vor kurzem durch eine 
bedeutende Spende den Druck eines neuen Bandes der Tridentiner 

Benediktinifhe Monatfchrift IV (1922), 3—4. 7 


98 


Ronzilsakten. Für den Biſchof, ſchrieb er, ſei die gute Erziehung und 
Ausbildung des Klerus das Wichtigſte, das Seminar das Liebfte. 
Auf die Bedeutung des Studiums der HI. Schrift kam er in den An⸗ 
ſprachen, die er Jahr für Jahr an die Faftenprediger der Stadt Rom 
hielt, regelmäßig zu ſprechen; ſie bildet, wie er immer wiederholte, 
den Bauptgegenftand der Predigt, während ihre Dernachläſſigung 
ein Hauptgrund iſt, warum viele Predigten ohne die rechte Frucht 
bleiben. Ganz ausführlich ſprechen über die Hl. Schrift die Enzykliken 
über den hl. Hieronymus und den hl. Ephrem, zum Teil auch das 
Schreiben zum Jubiläum des hl. Dominikus. Dem Predigtamte iſt 
außerdem die große Enzuklika vom 15. Juni 1917 gewidmet, der die 
Congregatio consistorialis eine genaue Inſtruktion anſchloß. 

Auf dem Gebiete der Citurgie hatte der Papſt weniger Gelegenheit 
in hervorragender Weiſe ſich zu betätigen, nachdem Pius X. die be⸗ 
deutenden Reformen in Angriff genommen. Doch fagte er bei wieder⸗ 
holten Gelegenheiten berechtigten Sonderriten feinen Schutz zu, ſo 
für die Orientalen, für die Ruthenen, für die Diözeſe Braga (Portugal). 
Den Ritus der Ruthenen rühmte er als Palladium dieſes Volkes 
(24. Februar 1921). Das Motu proprio Pius“ X. über die Kirchen⸗ 
muſik beſtätigte er ausdrücklich und ſprach ſeine Befriedigung über 
die Wiederherſtellung des alten Chorals aus. Fur Einweihung des 
Denkmals für Paläſtrina gab er einen namhaften Beitrag und ließ 

ſich durch Kardinal U. Danutelli dabei vertreten. 

In der heidenmiſſion drang Benedikt XV. auf erhöhte Heran⸗ 
ziehung eines eingebornen kilerus. Bittere Derlufte während des 
Krieges, der zahlreiche europäiſche Miſſionäre vertrieben und die Miſ⸗ 
ſionen ihrer Geiſtlichen beraubt hatte, rieten dazu. Für die Erhaltung 
der Miſſionen, für ihr Eigentum und die bisherigen Miſſionäre be⸗ 
mũhte fi der Papſt in Derfailles und bei Wilſon. In Deutfchland 
und in anderen Ländern wurde die Bildung der Unio cleri pro mis⸗ 
sionibus angeregt. Über die Bedeutung der heidenmiſſion ſprach in 
feierlicher Form die Enzuklika vom 30. November 1919. 

Die römiſche Frage war infolge des Krieges mehr denn je akut 
geworden. Zum erſtenmale ſeit 1870 traten die Schwierigkeiten für 
jedermann erkennbar zutage, in die das Oberhaupt der Weltkirche, 
durch den Einmarſch der Piemonteſen zum Gefangenen gemacht, bei 
internationalen Derwickelungen gelangen mußte. Die italieniſche Re⸗ 
gierung verbürgte zwar freien Derkehr der päpſtlichen Korrefpondenz, 
ein Derfprechen, das von einigen unbedeutenden Mißgriffen abgeſehen, 
eingehalten wurde. Dagegen reiſten die deutſchen und öſterreichiſchen 


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99 


Botfchafter beim Datikan notgedrungen aus Rom ab. Der Verkehr 
mit dieſen Ländern war nur mehr durch die Nuntien möglich, eine 
eigene Vertretung dieſer Regierungen ausgeſchloſſen. Benedikt XV., 
der die Proteſte feiner Dorgänger über die unhaltbare Lage wieder⸗ 
holte, anerkannte die vorhandenen ſchweren Hinderniſſe, welche die 
Löfung der verwirrten Frage naturgemäß in ſich trägt, und anerkannte 
ſelbſt den guten Willen, mit dem einzelne italieniſche Staatsmänner 
die Löfung erſtrebten (Konfiltorium 6. Dezember 1915). Lebhafte 
Erörterungen in der Preſſe festen namentlich nach Bekanntwerden 
der Londoner Rlaufel ein. Heute ift ſicher, daß der Datikan keinen 
Schritt unternommen, um durch einen Dertreter bei dem Friedens- 
kongreß zugelaſſen zu werden. Ferner, daß er die römiſche Frage weder 
durch Waffengewalt, noch durch Internationalifierung des Garantie- 
geſetzes gelöft ſehen wollte und will, ſondern einen gerechten Ausgleich 
von der Einſicht und Gerechtigkeit des italieniſchen Volkes erhofft. 
Seit Beendigung des Krieges vollzog ſich dann geräuſchlos inſofern 
eine gewiſſe Annäherung, als wiederholt päpſtliche Würdenträger und 
königliche Beamte bei öffentlichen Anläſſen im Gebiete des ehemaligen 
KRirchenſtaates ſich zuſammenfanden, was früher ſtrenge vermieden 
wurde. Dazu kommt, daß die Popolari im politiſchen Leben Italiens 
eine Macht geworden find und die öffentliche Meinung im Lande 
ſtark beeinfluſſen. Die Ereigniſſe beim Tode des Papſtes und neueſtens 
bei der Wahl Pius’ XI. haben gezeigt, wie lebhaft eine Cöſung der 
römifchen Frage beiderſeits gewünſcht wird. In welcher Form ſie 
zu ſuchen und zu erreichen iſt, bleibt in erſter Linie dem Urteil des 
Papſtes überlaffen, und daran haben die Ereigniſſe nichts geändert. 

Während des Krieges unterblieben die gewohnten Pilgerzüge von 
auswärts. Es war im Vatikan ftille, bis 1919 der frühere Zudrang 
allmählich wieder auflebte. Wilſon, mit dem der Papſt durch Inſgr. 
Ceretti wegen des Schutzes der miſſionen in Verbindung getreten, 
wurde im Vatikan empfangen. Ebenfo der König von Dänemark, 
der Kronprinz von Japan und der Prinz von Wales. Das diploma⸗ 
tiſche klorps im Vatikan ift heute, wenn wir die Vertreter der großen 
Mächte im Auge haben, fo zahlreich wie nie. Das Konkordat mit 
Bauern ſteht anſcheinend dem Abſchluß nahe, das mit dem deutſchen 
Reiche iſt in Dorbereitung. Für Derhandlungen mit den neuen Staaten 
ſtellte die Allocutio des fionſiſtorium vom 21. November 1921 bedeut⸗ 
ſame Grundlinien auf. 

Benedikt XV. war perſönlich Protektor des Ordens der Benedik⸗ 
tiner und Dominikaner. 1917 erſtand der Orden der Theatiner wieder, 

7* 


100 


der einige Jahre vorher aufgelöft bzw. mit einem anderen vereinigt 
war. Der Papſt blieb ihr Patron. Zum hl. Benedikt trug der Papſt 
eine warme Verehrung, und das Vertrauen, an dieſem heiligen in der 
ſchweren Zeit feiner Regierung einen mächtigen Beſchützer zu haben, 


war, wie er in Privatgeſprächen verſicherte und in der für Subiaco 


erlaſſenen Constitutio Apostolica erwähnt (31. März 1915), bei der 
Wahl des Namens für ihn mitbeſtimmend. Der Orden verehrt in 
ihm einen wahren Wohltäter. Unter ihm erſtand die belgiſche Kon⸗ 
gregation, die kommende Subiaco wurde unterdrückt und das Kloſter 
zur „Abbatia nullius“ erhoben. Denſelben Charakter erhielt St. Peter 
(Münfter) in kanada. Belmont wurde Abtei, verzichtete freiwillig 
auf den Rathedralcharakter, wofür der Papſt namens des Hl. Stuhles 
die Zuſicherung gab, ein Mitglied des engliſchen Epiſkopats ſolle, 
wenn möglich, ſtets aus dem Benediktinerorden genommen ſein. 
In ſeine Heimat Pegli, wo früher ein Benediktinerkloſter beſtanden, 
berief er wieder Mitglieder dieſes Ordens und übergab die altehrwür⸗ 
dige Kirche St. Juſtina in Padua den Patres von Praglia, die Abteien 
Niederaltaich und Neresheim erſtanden von neuem, die koreaniſche 
miſſion wurde in zwei Dikariate geteilt, Rio Branco mit der Abtei 
Rio de Janeiro verbunden, für die Weihe exempter Äbte das „man⸗ 
datum Apostolicum“ erteilt, der Erzabt von Martinsberg erhielt die 
Vollmacht, Äbte der ungariſchen kiongregation ſelbſt zu weihen, wenn 
der Diözeſanbiſchof verhindert iſt. 1917 führte der Orden das KRalen⸗ 
darium proprium (nach der Reform Pius“ X.) ein. Unvergeßlich bleibt 
aber vor allem der herzliche Empfang, den Benedikt 1920 den 
Präſides der Benediktinerkongregationen bereitet, und die Worte der 
biebe und Ermutigung, die er an ſie gerichtet hat. „Das Wort Chriſti,“ 
ſagte er damals, ‚Ih bin bei euch bis ans Ende der Zeit‘, ift der 
Troſt und die Kraft des Papſtes in den Wirrniſſen dieſer Welt; es 
ſei Ihr Troſt, Ihre Kraft, wenn Sie die ewige Stadt verlaſſen und 
in Ihre Abteien zurückkehren.“ 

Vier Gedenktafeln ſchmückten den Katafalk Pius’ X. und hoben 
als die größten handlungen und Erfolge ſeines Pontifikates hervor: 
Förderung der täglichen kommunion und Wiedereinführung der Kom 
munion der Rinder, Rodifikation, Verurteilung der Trennung von 
Kirche und Staat in Frankreich, Derurteilung des Modernismus. An⸗ 
dere Erfolge in nicht geringer Fahl hätten beigefügt werden können. 

Das Pontifikat Benedikts XV. hat wenig äußere Ereigniffe auf⸗ 
zuweiſen, und es wird außer dem unvollendet gebliebenen Muſeum 
von St. Peter in Rom kaum ein Bau von Bedeutung das Wappen 


101 


della Chiesas tragen, während Pius X. für den Datikan und feine 
Sammlungen großartiges getan hat. 

Benedikt XV. hat nur wenig kirchliche Reformen oder Einrich⸗ 
tungen von Bedeutung geſchaffen; nach den ausgedehnten Erneue⸗ 
rungen Pius’ X. war hiezu kein Anlaß. 

Aber die fieben und einhalb gahre feiner Regierung waren bei 
aller äußeren Einfachheit eine große, planvolle Zeit. Groß und planvoll 
durch die wachſende moraliſche macht des Papſtes und durch den 
unermeßlichen Segen, den ſeine Weisheit und Liebe der Menſchheit 
vermittelt haben. 

Zur Zeit, da der Weltkrieg die Gemüter bis in die innerſten Tiefen 
erregte, hat er mit unerſchütterlicher Ruhe die Reformwerke Pius“ X. 
weiter⸗ oder in das Leben der Rirche eingeführt. 

Zur Zeit, da die menſchliche Geſellſchaft ſich für immer in feind- 
liche Lager zu ſpalten drohte, hat er die Notwendigkeit der Einheit, 
die Idee der Dölkerfamilie, die Solidarität ihrer geiſtigen und mate⸗ 
riellen Intereſſen unabläſſig verkündet und wirkſam verteidigt. 

Zur JFeit, da das menſchliche Wiſſen und können zum großen 
Teil auf Zerftörung der menſchlichen Arbeit und des menſchlichen 
Gebens eingeſtellt waren, hat er mit unermüdlichem Nachdruck den 
Wert dieſer Güter betont und auf die kommenden unerſetzlichen 
Schäden hingewieſen. 

Als nach feiner Überzeugung Europa ſich und feinem Wohlſtande 
die tiefſten Wunden ſchlug, ſuchte er der unheilvollen Derblendung 
zu wehren, nach allen Seiten hin aufzuklären und war unverdroſſen 
bemüht, dem Unglück zu ſteuern und aufzubauen, was andere nieder⸗ 
riſſen. Der eigenen Gefahr nicht achtend, wurde er den Mutloſen 
ein Tröfter, den Notleidenden ein helfer, der Welt der Apoſtel der 
chriſtlichen Liebe. 

Er konnte nicht, wie es ſein ſehnlichſter Wunſch war, die Welt 
im Frieden ſehen, aber er hat gezeigt, auf welchem Wege ein wahrer 
und dauernder Friede möglich iſt, er hat ſich erſchöpft im Ringen um 
den Frieden, hat jede dahin zielende Beſtrebung lebhaft unterſtützt, 
im Namen der ktirche und der Menſchen den Frieden gefordert und 
ihm die Wege gebahnt. 

Benedikt XV. hat durch Geſinnung und Tat bewieſen, daß die 
Kirche weder im kriege noch nachher verſagt hat. Von der diplo⸗ 
matiſchen Dermittlung und vom Friedens kongreß ausgeſchloſſen, hat 
er das Anſehen und den Einfluß des Papſttums, die Derehrung der 
Welt für den Nachfolger Petri in einer Weiſe gehoben, die vielleicht 


102 


ohne gleichen iſt. Faſt alle Staaten haben ſich beeilt, ihre ſtändigen 
Vertreter in den Vatikan zu ſenden, und mehr als je verlangt das 
italieniſche Dol und feine Regierung die Löſung der römiſchen Frage. 

Dieſe Erfolge ſind die Früchte einer hohen Weisheit und Tugend, 
der Lohn für feine Mühen, Gebete und Leiden; fie verdankt der Papſt 
namentlich feiner großherzigen, wohltätigen Liebe, feinem unbeug⸗ 
ſamen mute, der hohen Nuffaſſung, die er von der Bedeutung und 
Macht feines Amtes hatte. Er hat, feiner Dorgänger Pius IX., Geo XIII. 
und Pius X. durchaus würdig, der Welt gezeigt, welch unerſchöpf⸗ 
liche Gebenskräfte im Paſttum lebendig find. 

Machtvoll, ein Gegenſtand allgemeiner Verehrung, ſteht dieſes an 
der Schwelle der neuen Zeit. Wie ganz anders als 1648 und 1815. 
Das iſt Gottes Fügung, aber auch das Derdienft der letzten Päpſte. 

„Vivebat enim non sibi, sed omnibus; et populi erat vitae aeter- 
nae minister“: So lebte er nicht für ſich, ſondern für alle; und der 
Menfchheit war er ein Mittler des ewigen Lebens. Dieſes Wort des 
Ambroſius (epistol. 15, 3) darf unbedenklich von Papft Benedikt XV. 
gelten, wie auch das andere: „abiit, non obiit, et emigravit a nobis 
veteranus Christi Jesu”: Er ift uns entriffen, aber nicht verloren. 
Als ein Diener, der feinem herrn Chriftus Jeſus viele Jahre hindurch 
in Treue gedient, iſt er zur heimat eingekehrt. 


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bied von der Bruderliebe 
aus der Römiſchen Gründonnerstagsliturgie. 


Wo Büte und Liebe: alldort iſt Gott. 
In einer Hürde vereinigte uns Chrifti Liebe. 
Freuen wir uns und frohlocken wir in ihm! 
Den lebendigen Gott laßt uns fürchten und lieben, 
Und uns ſelbſt einander lauteren Herzens lieben. 
Da wir denn in einer Hürde beiſammen find, 
Hüten wir uns, daß die Herzen je ſich trennen. 
Derlöfchen ſoll giftiger Hader, verlöſchen aller Streit. 
Und in unſrer Mitte ſei Chriſtus, unſer Gott. 
mögen wir auch allzumal mit den Seligen ſchauen 
Slorreich Dein Antlitz, Chriſtus, unſer Gott: 
Eine Freude, die unausmeßbar iſt und heilig: 
Durch all“ die e Ewigkeit. Amen. 

(Überſetzt von P. N. M.) 


| 


103 


Dom Weſen des kathol. Glaubens und Gebens. 


mit befonderer Berückſichtigung der Frage der Menſchheitsreligion. 
Don P. Daniel Feuling (Beuron). 
a 


E iſt im Sinne der an mich ergangenen Einladung, wenn ich im 
zweiten Teil meines Vortrages das Weſen des katholiſchen Glaubens 
und Lebens verknüpfe mit der Frage der Menſchheitsreligion. 

Unter der Frage der Menſchheitsreligion verſtehe ich die Frage, ob 
für die Menſchheit, für all die mannigfach verſchiedenen Einzelmenſchen 
und Völker und Raſſen weithin in Zeit und Raum gemeinſam möglich ſei 
die gleiche Beziehung zum Ewigen, zu Gott und den göttlichen Dingen. 

Dieſe Frage entſpringt daraus, daß die Menſchheit von jeher, in 
graueſter Dorzeit wie heute, in ihrem religiöfen Slauben und Leben 
geteilt ja zerſplittert war. Derfchärft wird die Frage dadurch, daß 
Inhalt und Form der einzelnen Religionen vielfach zuſammenhängen 
mit den Anlagen und dem Kulturleben der betreffenden Völker und 
menſchen. Iſt es nicht fo, daß der alte Ägypter naturnotwendig 
feine ägyptifche Religion hervorbringen und haben mußte, der heitere 
Grieche die olumpiſche Götterwelt, der Araber feinen Mohammedanis⸗ 
mus? Iſt nicht der Brahmanismus die eigentlichſte Ausdrucksform 
des Indergeiftes? hängt nicht die religiöfe Welt des Chineſen eng 
zuſammen mit feiner leibſeeliſchen Eigenart? Und wenn es ſo iſt, 
wie ſoll dann eine gemeinſame und gleichweſentliche Religion für all 
dieſe verſchiedenen Menſchen und Völker und Kulturen möglich fein? 
Darf dann irgend eine der tatſächlich vorhandenen Religionen den 
Anſpruch erheben, berufen zu ſein zur Menſchheitsreligion? Und um 
den Zufammenhang mit meinen vorausgegangenen Darlegungen zu 
gewinnen: kann die katholiſche Religion wirklich katholiſch genannt 
werden, das iſt allgemein, geeignet und beſtimmt für alle Menſchen, 
alle Völker, alle Zeiten, befähigt, das ganze Menſchengeſchlecht in 
der Einheit des Glaubens und Lebens zu verbinden? Ruch dieſe 
Frage ſoll und will ich aus dem katholiſchen Glauben und Denken 
heraus behandeln. 


Wäre der geiſtig⸗ſittliche Zuſtand der Menſchen immer und überall 
fo, wie er fein follte, hätten ſeeliſche Blindheit und Unvernunft, Irr⸗ 
tum und innere Unwahrhaftigkeit, Unſittlichkeit und ſchlechte Geſin⸗ 
nung Reine Macht über die Geifter und herzen: dann wäre die eine, 
gemeinſame Religion wohl leicht zu gewinnen. Wir aber haben mit 


104 


der Menſchheit zu rechnen, wie fie wirklich iſt. Dieſe Menfchheit 
nun beſitzt zwar als koſtbares Gemeingut die geiſtig⸗ vernünftige An⸗ 
lage für Wahrheit, Sittlichkeit und Religion. Aber ſo viel ſteht dieſer 
Anlage entgegen an hemmenden Mächten, an geiſtigen 8ewöhnungen 
und Entwöhnungen, an Bequemlichkeit und Trägheit und oberflächlichem 
Sinn, daß die Menſchheit, ihrem natürlichen Sang und Drang über: 
laſſen, allerdings nie zu einer gleichweſentlichen Religion gelangen kann. 

Die eine Religion der Menſchheit dürfte und könnte nur die wahre 
Religion ſein, die wahre und des Menſchengeiſtes würdige Religion 
aber gründet im Glauben an den einen, geiftigen Schöpfer⸗Gott. Diefen 
einen wahren Gott kann die menſchliche Dernunft an ſich mit Sicher⸗ 
heit erkennen, ſofern ſie nur ihren Weg ohne Abirren bis zu Ende 
geht; und aus dieſer vernünftigen Botteserkenntnis wird bei lauterem 
Streben auch eine lautere Religion hervorgehen, eine Religion, die 
vielgeſtaltig ſein mag in äußeren Formen und inneren Stimmungen, 
die aber gleichweſentlich fein wird bei allen, die alle zu Gott in die 
gleiche geiſtige Beziehung und Gemeinfchaft ſetzt. Daß ſolche ver⸗ 
nünftige Gotteserkenntnis an und für ſich möglich ift, dafür trete ich 
als katholiſcher Theologe wie als philoſophiſch denkender Menſch ent⸗ 
ſchieden ein. Aber bei dem tatſächlichen Juſtande des menſchlichen 
Geiſtes iſt es dennoch ausgeſchloſſen, daß dieſe religiöfe Erkenntnis 
und dieſes religiöfe beben von der großen Menſchheit, von den Dielen, 
den Völkern und Menſchen, leicht und ſicher und ohne vieles Der- 
ſagen und Abirren tatſächlich erreicht werden kann. Bei der tatſäch⸗ 
lichen Weltverfangenheit des menſchlichen Geiſtes wird immer wieder 
der Lärm der Sinne abziehen vom Überſinnlichen, oder das Ahnen 
der Schönheit der Natur wird hineinziehen in pantheiſtiſches Fühlen 
und Denken, oder das Vielfältige der ſichtbaren Welt wird ſich wider⸗ 
bilden in einer Dielheit und Spaltung des göttlichen Prinzips. Kurz, 
das Schwergewicht unſerer von Sünde verſehrten Natur wird den 
Aufftieg immer hemmen, und ſelbſt nach hoffnungsvollen Anläufen 
eines geläuterten Denkens wird die Allgemeinheit bald wieder herab⸗ 
ſinken in jene Bezirke, wo das Wahre durchmiſcht wird mit vielem 
Irrtum und Wahn. Und Irrtum und Wahn werden die Menſchen immer 
wieder auseinandertreiben in dem, was ihnen das Tiefſte und Größte iſt. 


Aber läge die Sache nicht anders, wenn die Menſchheit in eine 
Schule gehen könnte, in eine große Schule der Weisheit, die eine 
Schule wäre der religiöfen Wahrheit und des religiöfen Lebens? Eine 
Schule meine ich, die das religiöſe Denken auf die rechte Fährte 


105 


brächte, und die zugleich den religiöfen Sinn und das religiöfe Be⸗ 
dürfnis weckte und die gottzugewandte Geſinnung zielbewußt ſtärkte. 
Die gleichweſentliche Seiſtesanlage in der ganzen Menſchheit voraus⸗ 
geſetzt, könnte ſolche Schulung und Erziehung doch wohl das religiöfe 
Denken und Fühlen und Streben allmählich zu immer größerer Ein⸗ 
heit führen. Immer zahlreichere Menſchen, immer weitere £reife, 
Schließlich auch die Dölker und die Menſchheit im Großen und Ganzen 
könnten durch eine ſolche weltumſpannende Schule gefördert und 
geführt werden hin zu dem großen Ziele der einen gemeinſamen Religion 
und zu einer tiefgegründeten Bemeinfchaft in ihr. Ob dieſes Ziel bei den 
einen Gruppen und Völkern leicht und ſchnell, bei anderen nur mühſam 
und langſam erreicht würde, ob es für eine ſolche religiös ſittliche 
Durchbildung und Formung des Menſchengeſchlechts Jahrhunderte und 
gahrtauſende bräuchte: das würde den kiern der Sache nicht berühren. 

Freilich, wer unter den Menſchen dieſe Schule und Hochſchule der 
göttlichen Weisheit und des religiöfen Lebens gründen ſollte, wer fie 
erhalten und zuſammenhalten ſollte und aus ihr fern halten könnte 
in der Dauer der Zeit und in der Weite des Raumes all jene Mächte 
des Irrtums und der Gleichgültigkeit, der Stumpfheit und der Ge⸗ 
wöhnung, die in der Menſchheit ſo verderblich und ſo trennend wirken: 
das wäre allerdings eine ſchwere, nein, eine unlösbare Frage. 

Aber eine unlösbare Frage doch nur dann, wenn menſchlicher 
Weisheit und kilugheit, menſchlichem Planen und Wirken dies große 
Werk der Erziehung des Menſchengeſchlechts zur einen gemeinſamen 
Religion überlaſſen ſein müßte. 

Ganz weſentlich anders lägen die Dinge, wenn Gott ſelbſt ſich 
dieſer Erziehung des Menſchengeſchlechts annähme, wenn Gott ſelbſt 
durch ſein offenbarendes Wort die Wahrheit lehrte, wenn Gott ſelbſt 
dieſe Schule der Weisheit leitete und vor dem Untergang ſchützte im 
Kampf mit den entgeiftenden Mächten der Welt. 

Beachten Sie, meine Zuhörer, daß es ſich hierbei noch gar nicht 
handeln müßte um eine Offenbarung übernatürlichen Inhalts und 
Ziels, von der ich im erſten Teile geſprochen habe. Nein, ich ſpreche 
hier zunächſt nur von einer göttlichen Offenbarung der natürlichen 
Grundwahrheiten der Religion, vor allem des göttlichen Dafeins und 
Weſens und deſſen, was einer Gottes und der Menſchen würdigen 
Religion weſentlich iſt. 

Damit eine ſolche Gottesoffenbarung ihren Zweck erreichte, dürfte 
fie nicht bloß einmal oder auch noch ein zweites: und drittesmal 
einem eifernden Menfchen den Gedanken jener Schule und die zu 


106 


verkündenden Wahrheiten eingeben. Die Einheit und Dauer diefer 
Schule ſelbſt und ihrer Lehre könnte nur fließen aus einer einheit⸗ 
lichen, dauernden Autorität, einer von Gott verliehenen Autorität, 
die ſtark genug wäre, das Gegengewicht menſchlicher Stumpfheit und 
Verblendung zu überwinden bei behrern und Schülern. Nur eine 
ſolche übermenſchliche Autorität könnte den Lehrern und Lehren den 
unentbehrlichen Nachdruck und Überlegenheit über bloßmenſchliche 
meinungen geben, nur eine ſolche Autorität könnte den Lernenden 
das hingebende Vertrauen ſchenken, ohne das eine Erziehung ſchon 


in geringeren Dingen ſchwer, in dieſen höchſten Dingen des Geiſtes 


unmöglich iſt. Eine ſolche Autorität wäre nötig, nicht damit fie den 
Menfchen eigenes Denken und Leben erſparte, ſondern damit fie es 


auf rechte Bahnen lenkte, ihm kiraft und Sicherheit verliehe und es 


liebend aufwärts führte, aufwärts triebe in die höhere Welt. 

So utopiſtiſch eine ſolche Schule der religiöfen Weisheit und des 
religiöfen Lebens manchem ſcheinen mag: dieſe Schule beſteht, und 
fie behauptet, wirklich im Befi der religiöfen Wahrheit zu fein und 
in Gottes Namen dieſe Wahrheit den menſchen zu künden. Die 
katholiſche Kirche ift dieſe Schule der Weisheit, die den Glauben an 
den lebendigen Bott feit zwei Jahrtaufenden unter den Menſchen lehrt 
und arbeitet an der Erziehung des Menſchengeſchlechts zu echter Reli⸗ 
gion und Frömmigkeit. Und Sie werden nicht leugnen, daß dieſe 
Schule mit wunderbarer Einheit und Beſtändigkeit gearbeitet hat und 
mit einer behrgewalt, die ihresgleichen nicht hat in der ganzen Geiſtes⸗ 
geſchichte der Menſchheit. Was es heute an Glaube an den einen 
perſönlichen Gott in der Menſchheit gibt, es iſt faſt ausſchließlich zu 
verdanken dem Wirken diefer Schule des religiöfen Glaubens und 
bebens, der katholiſchen Kirche, ihrer Dehrtätigkeit, ihrer Erziehungs⸗ 
arbeit. Das gilt weit hinaus über die Kreiſe, die ſich heute zur Ratho⸗ 
liſchen kirche bekennen, das gilt 3. B. vom ganzen Proteſtantismus, 
der feinen Bottesglauben mitgenommen hat als ein Erbteil aus der 
katholiſchen Zeit, das gilt großenteils vom Mohammedanis mus, deſſen 
pofitiver Gehalt aus der bibliſchen Offenbarung ſtammt und deſſen 
pofitiver Einfluß in vielem die religiöfe Arbeit der Kirche vorausſetzte; 
das gilt auch gewiß von gar manchen reinen und tiefen Gedanken, die 
im Caufe der Zeit in fernen Völkern des Oſtens ſtark geworden find 
durch die Berührung mit dem Gottesglauben und dem religiöfen Leben 
der Kirche. Und durchſäuert nicht die religiöfe Botſchaft der kirche 
nach und nach auch diejenigen Völker, die ſich bis vor kurzem ängſtlich 
wehrten, die Boten der Kirche zu ſich dringen zu laſſen? 


107 


Soweit haben wir alfo dies Ergebnis: eine Autorität, wie fie die 
Ratholifche Kirche beanſprucht und ausübt, ſcheint unentbehrlich für die 
Herbeiführung einer weltumfaſſenden, gleichweſentlichen Menſchheits⸗ 
religion; und ferner: tatſächlich hat die Autorität der katholiſchen 
kirche der Derwirklichung der Menſchheitsreligion ſchon wirkſam vor⸗ 
gearbeitet, indem fie die erſte Dorbedingung einer Menſchheitsreligion, 
den theiſtiſchen Gottesglauben, weithin begründet und geſichert hat. 


Nun iſt etwas, wodurch die katholiſche Kirche in dieſer Hinficht 
noch eine ganz beſondere und überragende Bedeutung gewinnt. Ich 
meine das übernatürliche Weſen ihres Glaubens und Lebens. Die 
Autorität, die der Menſchheit den Gottesglauben verbürgt, iſt zugleich 
die Autorität, die die übernatürliche Wahrheit und das übernatürliche 
Geben lehrt — übernatürliche Wahrheit und übernatürliches Leben in 
dem ſtrengen Sinne, wie ich es früher entwickelt habe. Mit der 
weſentlich übernatürlichen Religion verknüpft, erlangt die Autorität 
und Bürgſchaft für den Sottesglauben eine völlig neue kraft und 
Wucht. Es ift nun nicht mehr fo, daß lediglich menſchlicher Schwäche 
und Irrtumsfähigkeit halber, alſo gewiſſermaßen aus negativen Grün⸗ 
den, eine göttliche Autorität auftritt; ſondern die göttliche Autorität 
tritt auf, weil fie poſitiv und weſentlich notwendig ift, um die über- 
natürliche Religion zu begründen, zu ſchützen und zu erhalten; und 
dieſe nach Form und Inhalt weſentlich übernatürliche Autorität be⸗ 
gründet, ſchützt und erhält zugleich den Glauben an den Schöpfer⸗ 
Gott, der eingeſchloſſen ift in der Wahrheitsfülle der übernatürlichen 
Religion. Gerade als weſentlich übernatürliche Autorität hat die kirche 
verdoppelte Macht zur Eroberung der Welt und der Dölker: wie ja 
die kirche gerade als weſentlich übernatürliche Autorität tatſächlich 
die Völker gewonnen hat, die ſich jetzt ſchon zu ihr bekennen. 

Der übernatürliche Glaube, den die göttliche Autorität der Kirche 
ſo wirkſam begründet, vermag nun noch etwas zu geben, was für 
die Menſchheitsreligion von größter Bedeutung iſt: er vermag über 
die bloße Einheitlichkeit hinaus zu geben die Gemeinſchaft des Glau⸗ 
bens und der Religion und das machtvolle Bewußtſein dieſer Semein⸗ 
ſchaft bei aller ſonſtigen Trennung unter den Menſchen. Nehmen Sie 
etwa einen deutſchen Künſtler oder Gelehrten, einen armen italieniſchen 
Bettler, ein Negerweib im dunklen Afrika, einen indiſchen oder chine⸗ 
ſiſchen Weiſen und noch andere ſo ganz verſchiedene Menſchentupen 
und fragen Sie alle nach ihrem Glauben an Gott. Wenn dieſe Men⸗ 
ſchen alle beteuern, daß fie an den einen perſönlichen Schöpfer⸗Gott 


108 


glauben, der fi ihnen in Natur und Gewilfen offenbart: werden 
Sie nicht immer noch den Zweifel haben, ob nicht doch ſchließlich 
jeder etwas anderes meint, einen andern Gott anbetet als die übrigen? 
Und wird nicht dieſer Zweifel ſich um ſo mehr regen, je mehr jene 
menſchen nach Denken und Fühlen, nach Werten und Streben aus⸗ 
einandergehen? Aber ſetzen Sie den Fall, daß all die genannten ſo 
verſchiedenen Menſchen katholiſche Chriften find, die da glauben im 
äußeren und inneren Anſchluß an die katholiſche Kirche und ihre 
Autorität: wie ganz anders iſt dann auf einmal das Bild, wie ganz 
anders die greifbare Wirklichkeit. Dann ſammelt ſich wahrhaft und 
wirklich der Glaube all der Derfchiedenen mit all dem eigenen und 
einzigen Ton und Klang, der beſtimmt iſt durch Raffe und Zeitgefchichte, 
durch Beruf und Bildung, durch Erfahrung und Wiſſen, durch Leid 
und Freud — dann ſammelt ſich wahrhaft und wirklich all dieſer 
menſchen Glaube zum einen gleichen Gegenſtand, zur nämlichen gött⸗ 
lichen Wahrheit und Wirklichkeit, er ſammelt ſich, wie durch ein 
Prisma ſich die Blicke vieler ſammeln können zum einen leuchtenden 
Punkt, er ſammelt ſich durch das Mittel der kirchlichen Autorität und 
behre: denn dieſe Ratholiſchen Chriften alle wollen nichts glauben 
und glauben auch wirklich nichts, als was die kirche glaubt und 
lehrt. Sie alle meinen jenen einen Bott und feine Wahrheit, fo wie 
das Lehramt, das Dogma der Kirche fie meint. hier, in dieſem gläu⸗ 
bigen Meinen eben der Wahrheit und Wirklichkeit, die die Kirche 
lehrt und meint, in dieſem gläubigen Meinen, das in der lebendigen 
Autorität der kirche feinen Ausgangs= und Richtpunkt hat, hier liegt 
die ſammelnde Kraft, die trotz aller hemmenden und auseinander⸗ 
treibenden Mächte imſtande ſein wird, das ganze Menſchengeſchlecht 
zuſammenzufaſſen zu einer gemeinſamen Religion, zur Weltreligion, 
zur wahrhaft katholiſchen Religion der Ratholifchen Kirche. 


Aber nicht nur die übernatürliche Autorität, auch der übernatür⸗ 
liche Wahrheits⸗ und Gebensinhalt macht die katholiſche Religion für 
den katholiſchen Betrachter zur berufenen Menſchheitsreligion. Um 
dies zu zeigen, müßte ich mit Ihnen das weite Gebiet des katholiſchen 
Glaubens und Lebens durchwandern und immer wieder darauf hin⸗ 
weiſen, wie all die verſchiedenen Lehren, Gnadenmittel und Einrich⸗ 
tungen der katholiſchen Kirche Antworten ſind, tiefbedeutſame Ant⸗ 
worten auf hundert und tauſend Fragen und Forderungen, Bedürf⸗ 
niſſe und Sehnſüchte des menſchlichen Geiftes und Herzens. Ich müßte 
und könnte den Nachweis führen, wie die katholiſche Religion in der 


109 


Tat bei allen Menfchen und bei allen Völkern ihre Anknüpfungs⸗ 
punkte hat, wie ſie ſich allen offenbaren darf als die Erfüllung tiefen, 
geheimnisvollen Erwartens und Derlangens, wie fie in der wunder⸗ 
baren Mannigfaltigkeit ihrer geiſtig⸗ übernatürlichen Welt der Wege 
genug hat, um aus aller Zerſplitterung und Ferne hinzuführen zur 
großen Einheit der übernatürlichen Menſchheitsreligion. 

Doch höchſtens ein Beiſpiel herauszuheben, erlaubt mir die vor⸗ 
geſchrittene Zeit. Es ſei das Beiſpiel, das ich ſchon im erſten Teil 
des Vortrags kurz beſprochen habe: das ſakramentale Leben der Kirche. 

Wir haben vorhin geſehen, was die Autorität der Kirche bedeutet 
für die Möglichkeit und für das Bewußtſein der katholiſchen Ge⸗ 
meinſchaft. Hier muß ich nun fagen, daß auch die Sakramente der 
Ratholifchen Kirche und die ſakramentale Liturgie von unſchätzbarem 
Werte ſind um das Bewußtſein zu wecken und zu ſtärken, daß alle 
im übernatürlichen Glauben und beben eins und einig ſind, das Be⸗ 
wußtſein, daß die Ratholifche Religion wirklich katholiſch, wirklich 
die berufene Menſchheitsreligion iſt. Nirgends erfaßt dies der Katholik, 
der ſchlichte wie der hochgebildete, nirgends erfaßt er es ſo gut, 
nirgends wird es ihm fo lebendige Wirklichkeit, wie in der Gemein= 
ſchaft der Sakramente und des Kultes. Fin der Tatſache, daß alle 
menſchen und alle Völker, daß die Reichen und Armen, die Wiſſen⸗ 
den und Unwiſſenden auf dieſen einen, gleichen Weg gewieſen ſind 
um zu Gott zu kommen, in dieſer Tatſache und ihrer ſinnenhaften 
Greifbarkeit kann und muß auch dem ſchlichteſten ſchwarzen oder 
braunen Menſchen die überragende, menſchheitsumfaſſende Art der 
katholiſchen Religion zum Bewußtſein kommen. Und wird es etwas 
geben, was einer Religion im Derftändnis der Menſchheit machtvoller 
den Weg bereiten kann, als eben dieſe geſchaute und erlebte über⸗ 
völkiſche, überzeitliche Semeinſchaft? 

Oder nehmen Sie die gleiche Sache von einer anderen Seite. Der 
fakramentale Unter⸗ und Außenbau des Ratholiſchen übernatürlichen 
bebens macht das Übernatürlich⸗Metaphuſiſche auch dem einfachſten 
Denken und Fühlen wunderbar ſinnennahe, es ermöglicht auch den 
unentwickeltſten Menſchen und Dölkern, bewußt zu ergreifen die ge⸗ 
heimnisvolle Tiefe und Größe des übernatürlichen bebens in feiner 
unmittelbaren, geiſtigen Gegenwart. Eine Religion, die des Sinnen⸗ 
haften, Anſchaulichen, Fühlbaren entbehrt, eine Religion, die ſich bloß 
auf abſtrakte Begriffe oder auf rein perſönliches Erleben gründet, 
kann niemals Menſchheitsreligion fein; fie mag Religion fein irgend 
einer befonders gearteten Gruppe von Menſchen und Völkern, aber 


110 


fie kann nicht fein die Religion aller, die Religion der Großen und 
Kleinen, der hochentwickelten und der Primitiven zugleich, ſie kann 
nicht die Religion fein, die die Menſchheit wirkſam und dauernd vereint 
in der Gemeinſchaft des Glaubens und des Kultes. Zugleich darf 
aber die Religion, die Menſchheitsreligion ſein ſoll, nicht bloß für die 
Unreifen und Unentwickelten, die Kleinen und Schlichten fein: wie 
fie für dieſe paßt, muß fie auch den Höchftentwickelten gemäß ſein, 
muß ſich der tiefſten philoſophiſchen Betrachtung als weſenhaft und 
. wertverleihend erweiſen. Und das iſt, vom katholiſchen Glauben aus 
geſehen, gerade für das unentbehrliche Äußere gegeben in den Sakra⸗ 
menten der katholiſchen kirche, in dieſen von Bott geſetzten und von 
Gottes Kraft erfüllten Symbolen und Urfachen des übernatürlich⸗meta⸗ 
phuſiſchen Lebens der Seele. Denn dieſe Sakramente, obwohl etwas 
- Außeres, find doch dem Weſen der katholiſchen, der übernatürlichen 
Religion nicht äußerlich, ſie ſind ihm weſensverwandt, weſenhaft in 
ihm verwurzelt, ein wahrhaftes Stück übernatürlicher Weſensent⸗ 
faltung. Niemand, der die katholiſchen Sakramente in ihrem über⸗ 
natürlichen Sinne und Weſen verſteht, kann fie als etwas bloß Außer: 
liches, Wertloſes, als ſtörend oder entbehrlich betrachten, ſei es für 
ſich oder für andere. Gewiß, wem das übernatürlich⸗metaphuſiſche 
Weſen, wem das innerſte Geheimnis des katholiſchen Glaubens und 
bebens noch fremd iſt, den mögen auch die Sakramente als ein bloß 
Hußerliches und Fremdes anmuten, und der iſt eben, mit katholiſchen 
Augen betrachtet, nicht reif, nicht aufgetan für katholiſchen Glauben 
und katholiſches Geben. Umgekehrt aber kann ſich das geiftige Ruge 
für das innerſte Weſen des katholiſchen Glaubens gerade beim Blick 
auf das fakramentale Sein und Wirken der Kirche entſcheidend öffnen. 

Ich ſtelle nur eine Tatſache feſt, wenn ich ſage: gerade durch die 
Sakramente, durch Vertiefung in ihren Weſensſinn, und durch die 
innerlichſt begründete Sinnennähe des ganzen katholiſchen Kultes, 
der ja in den Sakramenten ſeine Wurzeln hat, gerade alſo durch 
Sakrament und Liturgie eröffnet ſich immer wieder ſuchenden Men⸗ 
ſchen der Weg zum Derftändnis des katholiſchen Lebens und zum 
katholiſchen Glauben ſelbſt — wie nicht nur in heidniſchen Ländern, 
ſondern auch inmitten unſerer abendländiſchen Kultur immer häufigere 
Erfahrungen zeigen. 

So erweiſt ſich alſo bei verſtehender Betrachtung das ſakramentale 
beben der Kirche als wahrhaft katholiſch, als geeignet und eignend 
für die allumfaſſende Menſchheitsreligion. Was bedeutet doch 3. B. 
das Bußſakrament mit dem Sündenbekenntnis, der Reue und Los» 


111 


ſprechung für die fündenbedrückte Menfchheit!l Weithin in der Ge= 
ſchichte der Religionen wiederholt ſich das Sehnen und Suchen nach 
ſolcher Hilfe: in der katholiſchen Religion iſt dieſes Sehnen geſtillt, und 
das Suchen wird zum ſicheren Beſitz. Oder wie haben die Menſchen in 
den verſchiedenſten Formen geſtrebt nach einem ſumboliſchen Ausdruck 
ihrer Dereinigung mit Gott: die religiöfen Opfermahle der verſchiedenen 
Religionen, der Muſterienkulte zumal, find Zeugnis dafür. In der 
euchariſtiſchen Opfer: und kommunionfeier der katholiſchen Kirche iſt 
dieſes Streben wunderſam erfüllt: unter dem Symbol und Gewand 
des Brotes bietet ſich der Gottmenſch geſus Chriftus wahrhaft und 
wirklich dar zur heiligen Seelenfpeife und innigſten Verbindung. 
Aber nicht nur im Sakrament, auch ſonſt wird echt menſchliches 
Suchen und Taften im katholiſchen Glauben und beben immer wieder 
erfüllt. In ihrer ganzen inneren Art iſt die übernatürliche Religion 
der katholiſchen Kirche allſeitig und weit, univerfal und wahrhaft 
katholiſch. Alles echte und lautere Denken und Wollen und Streben 
des Menſchen findet hier ſeinen Platz und ſein Recht. Hier darf 
kraftvolles Forſchen in Ehrfurcht eindringen in heiligſte Geheimniſſe 
und tiefſte Fuſammenhänge, aber auch liebedurchglühte kontemplation 
darf ſich hingebend verſenken in das höchſte, göttliche Gut. hier iſt 
Raum für mutige, welterobernde Tat wie für ſtill⸗ verborgene Ruhe 
in Gott. Neben der übernatürlichen Weihe der menſchlichen Liebe im 
Sakramente der Ehe ſteht hier als hohes Jdeal die ungeteilte Hingabe 
der Seele an Bott. hier im katholiſchen Dogma und Leben wird 
überwunden das bloße Schwelgen in Schönheit und Stimmung, und 
gewinnt doch die Kunſt und ihr Schaffen eine heilige Weihe, ja eine 
liturgiſche Aufgabe. Die allſeitige Abhängigkeit des Gefchöpfes von 
Gott kommt zum vollen Bewußtſein, und doch wird die ſittliche Frei⸗ 
heit des Menſchen nachdrücklich gewahrt. Die Erlöſung durch Bottes 
erbarmende Gnade iſt grundlegende Lehre, aber zugleich wird die 
religiõs⸗ſittliche Selbſttätigkeit des Menſchen entſchieden gefordert. 
Nichts ſtellt ſich zwiſchen die gläubige Seele und ihren Gott, und 
doch hat auch die Gemeinſchaft ihre tiefe Bedeutung für das heil 
und feine Vermittlung. Wohin wir auch blicken, überall ſehen wir 
im Ratholiſchen Glauben und Leben natürlich⸗menſchliche Gegenſätze 
und Ausſchließlichkeiten überwunden in der höheren Einheit des über⸗ 
natürlichen Lebens. Überall erweiſt fi) die katholiſche kiirche als 
eine überlegene geiſtige Macht, die allen Menſchen und Menſchenarten, 
allen Bedürfniſſen und Sehnſüchten des geſchaffenen Geiltes entgegen⸗ 
kommt in einzigartiger Univerſalität ihrer Güter und Werte. Nehmen 


112 


Sie dazu die überragende Bedeutung der katholifchen, weltumfpannenden 
Autorität, fo werden Sie mich verſtehen, wenn ich ſage: aus ihrer 
übernatürlichen Weſensfülle heraus betrachtet, erſcheint die katholiſche 
Religion allſeitig befähigt und berufen, das Menſchengeſchlecht zu 
verbinden in der Gemeinſchaft der einen und gleichweſentlichen 
Menſchheitsreligion. 


Ich bin am Schluſſe. Ich habe zu zeigen geſucht, was dem gläu⸗ 
bigen katholiſchen Chriften der katholiſche Glaube und das katholiſche 
beben iſt. Ich habe verſucht, Sie geiſtigerweiſe hineinzuführen in 
das innerſte Heiligtum dieſes Glaubens und Lebens und Ihnen ſein 
Weſen zu deuten. Übernatürliche Glaubenserkenntnis im Lichte Sottes 
und im Anſchluß an die gottverliehene Autorität. der Kirche; über⸗ 
natürlich⸗metaphuſiſches Geben in Kraft der Gnade und im Anſchluß 
an die Sakramente der Kirche; übernatürliches Erkennen und Geben 
in zeit= und weltumſpannender Gemeinfchaft; und dies alles in irdiſch⸗ 
menſchlicher Erſcheinungsform: — das iſt es, was ich im Lichte des 
katholiſchen Glaubens gezeigt habe als das Weſen des katholiſchen 
Glaubens und Lebens. Und das zweite war dies: hinblickend auf 
das übernatürliche Weſen des katholiſchen Glaubens und Lebens, hin⸗ 
blickend zugleich auf die Menſchheit und auf ihr tiefſtes Bedürfen 
und Sehnen, mußte ich fagen: wenn wirklich der katholiſche Glaube 
und das katholiſche Leben das ift, was unſere Kirche davon glaubt 
und lehrt, dann können wir nicht zweifeln: in ihrer weſenhaften 
Übernatürlichkeit und in ihrer irdiſch⸗menſchlichen Erſcheinungsform 
iſt die katholiſche Religion befähigt und beſtimmt, zu ſein und immer 
mehr zu werden die eine und gleichweſentliche, wahrhaft katholiſche 
Menſchheitsreligion. | 


„Geftärkt ward der Jungfrau Herz, in dem fie die göttlichen Muyfterien beim 
Engelsgruß empfing.“ (5. Reſponſorium [monaft. 6.] der Heujahrs · Matutin.) 

Wie ein Engel am Ölberg Chriftus ſtärkte, daß fein zarter, jungfräulicher Geib 
nicht erläge unter der Gaft der Leiden; und wie Gott ſelber durch fein wunderbares 
bicht uns ſtärken will, daß wir in der Sottſchau vor Entzücken nicht im Nu zu 
Staub und Aſche brennen — ſo trat ein Engel Gottes in der Verkündigung zur hl. 
Jungfrau: kraftſpendend trat er hin, daß der ſchwanke Gilienftengel nicht bräche, 
da das Gewicht der Gottheit als eim in ihren Kelch ſich ſenkte und das namenloſe 
Wunder ſich vollzog, daß in der jungfräulichen Blüte uns zugleich die lieblichſte 
Frucht entgegenreifte. 

„Und da empfing fie den Schönſten der Menfchenkinder in ihren keuſchen Gliedern. 

Und die Gebenedeite in Ewigkeit brachte uns den Gott und Menſchen. 

Des keufchen Herzens Schrein wird plötzlich Gottes Tempel: N 

Die Jungfrau, die vom Mann nicht weiß, empfängt im Wort den Sohn.“ 

(3. Teil nach Peter Chruſologus s. 142 n. 1, 7. u. 8. Gefung [mon. 9. u. 10.] in der Matutin v. Mariä Namen.) 


113 


Die Weisheit des Predigers. 


Don P. Athanaſtus Miller (Beuron). 


s ergreift uns jedesmal in tiefſter Seele, wenn wir in den Lefungen 

des Totenoffiziums die erſchütternden Klagen des frommen Dulders 
gob vernehmen. Selten wohl hat ein Menſch ſo tief ergreifende Töne 
gefunden, um den ganzen Schmerz ſeiner Seele auszuweinen, wie 
Job. Alle körperlichen Leiden, und waren fie noch fo groß, treten 
völlig zurück vor dieſen Äußerungen bitterften Seelenſchmerzes. Und 
der tieffte Grund der Qual dieſer zu innerft erfchütterten Seele war 
das große Rätfel: „Was haben Leiden und Frömmigkeit miteinander 
gemein? Warum muß ich als Gerechter fo viel leiden?“ hat nicht 
Bott in feinem heiligen Seſetze den Frommen langes Leben, Glück 
und Frieden verheißen?“ Und nun, fo konnte Job mit dem Pſalmiſten 
klagen: „Das ſchafft mir Wehe, daß ſich geändert hat des Herren 
Rechte“ (Pf. 76, 11). Die Freunde, die gekommen waren, Job zu 
tröften, ſtellten ſich auf den gleichen Rechtsſtandpunkt göttlicher Der- 
geltung, der da lautete: „Dem Guten muß es gut, dem Schlechten 
muß es ſchlimm ergehen“; und von dieſem Standpunkt aus argu⸗ 
mentierten ſie gegen Job. „Wenn dich Gott ſo furchtbar heimſucht, 
dann haft du's eben auch fo verdient!“ Aber das iſt immer ein ſchlechter 
Troſt, den man einem beidenden gewährt, wenn man, ſtatt ihn zu 
tröſten, mit Steinen nach ihm wirft. Es war indes Job nicht ſchwer, 
die Anklagen [einer Freunde zurückzuweiſen. Sein Gewiſſen und fein 
beben zeugten für ihn, und hätten die drei Freunde ein offenes Auge 
für die Wirklichkeit gehabt, dann hätten fie wahrnehmen müſſen, 
daß die Erfahrung in ſo vielen Fällen ihren Anſchauungen wider⸗ 
ſprach und ſich auf die Seite Jobs ſtellte. Job war nicht der einzige 
Fromme, dem es ſchlecht erging, und auf den das Unglück herein⸗ 
ſtürzte wie der Sießbach von den Bergen in die Täler. Aber Job 
war derjenige, der dieſer drückenden Wahrnehmung, die auf ſo vielen 
Gemütern feiner Zeit laſtete, offen ins Auge ſah und ihre Löfung 
mit einer Offenheit verfocht, die unſer Staunen erregt. 

Und doch hat eigentlich Job mit ſeiner Frage: „Wie iſt es mit 
der göttlichen Gerechtigkeit vereinbar, daß der Gerechte ſo viel leiden 
muß”, die große Frage der Zeit nur teilweiſe berührt und gelöft. 
Job wurde wieder geſund und erhielt alles, was er verloren, zehn⸗ 
fach zurück. Damit war für ihn die Schwierigkeit befeitigt, und 
der Segenſatz zwiſchen dem frommen Glauben und der nüchternen 
Erfahrung weggefallen. Die überftandene heimſuchung war für ihn 

Benediktiniſche Monatſchriſt IV (1922), 3—4. 8 


114 


eine bloße Prüfung feiner Treue und feines Glaubens, die er glänzend 
beſtand, freilich nicht ohne die ſchwerſten Seelenkämpfe durchkämpfen 
zu müſſen. Die Frage, die in der damaligen Zeit und beſonders in 
den folgenden Jahrhunderten beinahe bis auf Chrifti Zeiten in fo 
vielen herzen lebte und auf fo vielen Lippen lag, war viel umfang⸗ 
reicher und bedeutungsvoller. Sie ſchloß nicht bloß das „Leiden des 
Gerechten“ in ſich. Sie lautete nicht bloß: „Was hat das beiden des 
Gerechten für einen Sinn,” ſondern, „Was hat das Leben überhaupt 
für einen Sinn?” Das iſt die große Frage, die ſich nach Job ein 
anderer mit gleicher Offenheit geftellt, koheleth oder „der Prediger“, 
wie man ihn gewöhnlich zu bezeichnen pflegt. „Was hat der menſch 
für einen Gewinn von all ſeiner Mühe, mit der er ſich abmüht unter 
der Sonne,“ fo fragt ſich Koheleth; und die Antwort lautet: „Heinen 
— alles iſt eitel!“ Mit anderen Worten: „Ift das Leben wert, gelebt 
zu werden?“ Und koheleth antwortet mit einem erſchütternden, aber 
deshalb nicht weniger entſchiedenen, reſtloſen „Nein!“ 

Wir ſehen gleich den großen Unterſchied, wie Job und Koheleth 
die brennende Frage ſtellen und löſen. Job iſt in feinen beiden und 
in feinen klagen nicht ſchlechthin lebensmüde. Jſt feine Schwierigkeit 
gelöſt, d. h. ergeht es ihm wieder gut, dann iſt für ihn alles in Ord⸗ 
nung. Koheleth aber iſt trotz aller Aufmunterung zum Debensgenuß 
ſchlechthin lebensmüde, einerlei, ob er äußerlich vom Glück umrauſcht 
iſt oder in Trauer, in Elend ſein Daſein friſten muß. Das alles iſt 
für ihn zunächſt Nebenſache. Für ihn handelt es ſich nicht bloß um 
die Überwindung eines kritiſchen bebensabſchnittes, ſondern um Ziel 
und Ende des Lebens überhaupt. 

Aber wie kommt Roheleth dazu, den Wert des bebens im Grunde 
zu verneinen? So etwas würde man doch wohl von einem inſpirierten 
Autor der HI. Schrift nicht erwarten! Und doch konnte Koheleth 
ſchier nicht anders über den Wert des Lebens urteilen, wenn er dem 
beben ernſt ins Auge ſah und nach einer Löfung ſuchte, die er nicht 
fand. Roheleth war ein Mann, deſſen Seele ein tiefer Gebensernft 
erfüllte. Er war ſelbſt viel geprüft und ſah viel Elend und Mühſal 
und Ungerechtigkeit um ſich her. Er lebte zudem in einer politiſch 
höchſt unſicheren und gefährlichen Zeit, die viel Dorfiht und Klug⸗ 
heit erheiſchte und ohne Zweifel viel düſtere Schatten auf fein Leben 
warf. Ein Menſch aber, der das Leben ernſt nimmt, lebt nicht in 
den Tag hinein. Er verfolgt ein klar erkanntes Ziel und dieſes Ziel 
beſtimmt fein Denken und handeln. Was war nun für kioheleth das 
Biel des Menſchenlebens? Als gläubiger Ifraelite kannte er ein 


115 


Gebensziel, er weiß auch von einem Fortleben des Menſchen im gen⸗ 
ſeits. Aber wie ſich dies alles ſchließlich geſtalten, und wo es enden 
wird, darüber find für feine Augen undurchdringliche Schleier aus⸗ 
gebreitet. 

Im liatechismus wird für uns die Frage der Lebensbeftimmung 
des Menſchen mit den wenigen ſchlichten Worten beantwortet: „Der 
menſch iſt auf Erden, um Gott zu erkennen, ihn zu lieben, ihm zu 
dienen, und dadurch in den himmel zu kommen.“ Auch ktoheleth 
kannte dieſe Daſeinsbeſtimmung des Menſchen; auch er kannte das 
große Gebot der Liebe, das da lautete: „Du ſollſt den Herrn, deinen 
Bott, lieben aus deinem ganzen herzen, aus deiner ganzen Seele und 
aus allen deinen kräften (5. Moſ. 6, 5); auch er ſpricht es am Schluſſe 
feines Buches klar und deutlich aus: „Zott fürchten und feine Gebote 
halten, das ift der ganze Menſch.“ Und trotzdem fehlt feinem ganzen 
Streben und beben etwas, wodurch dieſes beben und Streben erſt 
lebenswert wird. mit den Worten des Katechismus ausgedrückt, 
befteht dieſes „Etwas“ in dem unſcheinbaren Sätzchen: „Um dadurch 
in den himmel zu kommen“, oder wie der Heiland fagt: „Freuet 
euch und frohlocket, euer Lohn wird groß ſein im himmel.“ Es iſt 
freilich wahr, daß die vollkommene Erfüllung des Gebotes der Liebe 
nicht nach Lohn. fragt; fie dient Gott um feiner felbft willen. Aber 
wir können von einem Jfraeliten des Alten Bundes nicht verlangen, 
daß er ſich immer von der vollkommenen Liebe leiten läßt, wenn es 
ſelbſt im Neuen Bund verhältnismäßig nur ſehr wenige Menſchen 
gibt, die dies tun. 

Das Alte Teſtament hatte zwei Fragen, deren Löfung nachdenk⸗ 
lichen Geiftern mit der Zeit unüberwindliche Schwierigkeiten bereiten 
mußte. Es war die Frage der Vergeltung von Gut und Bös, und 
die Frage nach dem Zuſtand der Abgeſchiedenen im genſeits. Die 
Dergeltungslehre der älteren Zeit der altteſtamentlichen Offenbarung 
war dem ganzen ſinnlichen Zug des ifraelitifchen Volkes entſprechend, 
zunächſt ſtark auf das Zeitliche, Sichtbare und Greifbare gerichtet. 
Die Vergeltung des Guten beſtand in einem langen und im allgemeinen 
glücklichen beben, in reichem Kinderſegen, in einem guten Namen, in 
genügend Erdengütern und ihrem friedlich heiteren Genuß; die Der- 
geltung des Böſen im Gegenteil. Dieſe notwendige und weiſe gött⸗ 
liche Pädagogik mußte ſich aber mit dem geiſtigen Fortſchritt des 
Volkes ändern und hat ſich auch geändert. Daher begann denn nicht 
ſelten das wirkliche Leben dieſer Dergeltungslehre zu widerſprechen. 
Wir haben oben ſchon geſehen, wie ſchwer Job unter dieſem ſchein⸗ 

8 


inte Pulli = F 
. 


116 


baren Widerſpruch zwiſchen Glaube und Erfahrung litt. Und ſchon 
aus dem fünften Jahrhundert berichtet uns der Prophet Malachias 
von Leuten, die da ſprachen: „Es iſt nutzlos, Bott zu dienen. Oder 
was hatten wir für einen Vorteil davon, daß wir uns an ſeine 
Gebote hielten und um des Herrn der Heerfcharen willen in Trauer 
einhergingen? Darum preifen wir die Übermütigen glücklich; denn 
die, welche Böſes verübten, kamen vorwärts, und die Gott verſuchten, 
gingen ſtraflos aus“ (Mal. 3, 14 f.). Und ſagt nicht Koheleth ſelbſt: 
„Beides hab“ ich geſehen in den Tagen meiner Nichtigkeit: es gibt 
Gerechte, die trotz ihrer Gerechtigkeit umkommen und es gibt Un⸗ 
gerechte, die trotz ihrer Schlechtigkeit lange leben“ (7, 15). Und 
wiederum: „Da ſind Gerechte, denen ergeht es nach dem Tun der 
Frevler, und da find Frepler, denen ergeht es nach dem Tun der 
Serechten“ (8, 14). Und ein andermal glaubt er wieder wahrzu⸗ 
nehmen, daß im Grunde alle dasſelbe Schickſal haben: „der Gerechte 
wie der Ungerechte; der Reine wie der Unreine; der opfert, wie der, 
welcher nicht opfert. Wie dem Guten, fo ergeht es dem Frevler; dem 
Meineidigen, wie dem, welcher wahr ſchwört“ (9, 2). kurz, die Er- 
fahrung ſchien zu klar und deutlich mit dem Glauben in Widerſpruch 
zu ſtehen. Da aber Gott gerecht iſt und gerecht ſein muß, findet 
die volle Vergeltung vielleicht doch erſt nach der großen Lebenswende 
im genfeits ſtatt? Gewiß findet die volle und eigentliche Vergeltung 
erſt im genſeits ſtatt. Don dieſem Geſetze machte auch das Alte 
Teftament keine Ausnahme — aber dieſe Wahrheit war den damals 
bebenden in Wirklichkeit ſo gut wie unbekannt. Der Schleier, der 


das Jenfeits den Augen der Sterblichen verdeckte, war damals noch- 


kaum gelüftet. Die herrſchenden Anſchauungen über den Zuſtand der 
Derfiorbenen in der Unterwelt, im Scheol, waren derart, daß ſie den 
Nachdenkenden nur mit Schauder und Schrecken erfüllen, geſchweige 
denn in den Stunden der Trübſal tröſten konnten. Denken wir nur 
an die düſteren Schilderungen der Unterwelt, wohin alle, Gerechte 
wie Ungerechte, hinabſteigen mußten, im Buche Job (10, 21 ff.): „Laß 
ab von mir, daß ich ein wenig meinen Schmerz beweine, bevor ich 
gehen muß ins Land, das Finfternis bedeckt und Todesſchatten; ins 
band des Elends und der tiefſten Dunkelheit, wo Todesſchatten ſchleichen 
und keine Ordnung herrſcht, wo ewiger Schrecken wohnt.“ Denken 
wir daran, mit welchem Schauder es ſelbſt Gerechten vor Tod und 
Unterwelt bangte: „Was nützt dir denn mein Blut, wenn ich ins 
Grab ſinke? Wird dich dort meine Aſche preiſen, und dort verkünden 
deine Treue“? (Pſ. 29, 10). Ebenſo klagt der Dichter in Pſalm 87, 6f.: 


117 


„Erſchlagenen gleiche ich, die ſchon im Srabe ruhen, und derer niemand 
mehr gedenkt; von deiner Hand ſelbſt find fie ausgeſtoßen. Zu unterſt 
in die Grube gruben fie mich ein, in Finſternis und Todesſchatten.“ 
Und der gottesfürchtige König Szechias ruft beim Nahen des Todes 
aus: „Beinen Dank ſingt dir die Unterwelt; dich lobt kein Tod und 
die ins Grab Gefunkenen harren nimmer deiner Treue. Wer lebt, 
wer lebt, der ſagt dir Dank, wie ich an dieſem Tage“ (If. 38, 18 f.). 
Sanz dieſelben Dorftellungen von der Unterwelt beherrſchen auch 
KRoheleth. Die düfterften Töne ſchlägt er an, wenn er auf fie zu 
ſprechen kommt. „Das ſchlimmſte Übel, das ich unter der Sonne 
ſah, iſt, daß alle das gleiche Schickſal haben. Daher iſt auch des 
menſchen Herz voll Bosheit in dieſem beben und darnach geht es zu 
den Toten. Aber nur wer den Lebenden zugeſellt iſt, hat Hoffnung. 
Daher iſt beſſer ein lebender hund als ein toter Löwe; denn die 
bebenden wiſſen wenigſtens noch, daß ſie ſterben müſſen, die Toten 
aber wiſſen gar nichts mehr, noch haben fie weiter einen Lohn, da 
ihr Angedenken der Dergeffenheit anheimfällt. Auch all ihr Lieben 
und ihr Haffen und ihre Eiferfucht, fie find dahin; fie haben keinen 
Anteil mehr an dieſer Welt und an all dem, was unter der Sonne 
geſchieht. Alles, was daher deine hand zu tun vermag, tue; denn 
es gibt kein Tun, kein Überlegen, kein Erkennen, keine Weisheit 
mehr in der Unterwelt, wohin du gehſt“ (9, 3 ff.). 

Beachtet man dieſe Anſchauungen von genſeits und Vergeltung, 
dann wird es klar, wie Koheleth fo über den Wert des Lebens urteilen 
konnte. Wenn das Leben ſo wie ſo voll von „Kummer und Schmerz“ 
iſt, von „Mühſal und Enttäuſchung“, wenn es ſo viele ungelöſte 
Rätſel birgt, die kein Sterblicher je gelöſt hat, noch löſen wird, ſo 
ſehr auch der menſchliche Geift darnach verlangt, wenn in dem ſchein⸗ 
bar ewigen Einerlei, in dem die Welt und ihre Dorkommniſſe ſich 
immer wiederholen, kaum eine Änderung und Beſſerung im menſch⸗ 
lichen Daſein zu hoffen iſt, wenn dann auch noch nach dem Tode 
nichts Beſſeres zu erwarten iſt, als das düſtere Schweigen und das 
ewige Einerlei einer Unterwelt, die alle ohne Ausnahme in ihren 
finfteren Schoß aufnimmt — ja, dann iſt dieſes beben allerdings nicht 
wert, gelebt zu werden; dann iſt alles eitel! Der Glaube an einen 
gerechten Gott allein ohne Erfahrungsbeweis für dieſe Gerechtigkeit, 
ohne jede auch nur einigermaßen tröſtliche Nusſicht auf eine beſſere 
Zukunft nach dem Tode und vor allem auch auf eine im Jenfeits 
ſtattfindende, völlige Ausgleichung aller Mißverhältniſſe hier auf Erden, 
vermag den menſchen in den ſchwerſten Stunden des Lebens nicht 


118 


genug zu tröften und läßt vor allem fein Herz, das gerade in ſolchen 
Augenblicken Troft und Wärme braucht, mehr oder weniger kalt. 
ga, nicht ſelten wirft in ſolchen Augenblicken der Gedanke an einen 
gerechten Gott ohne beſtimmte Nusſicht, wie dieſe Gerechtigkeit fi 
ſchließlich auswirkt, erſt recht den Zündſtoff in die Seele und reizt 
die im Grunde lauernde Derfuchung nur noch mehr. 

Was Wunder alſo, wenn dann auch Koheleth den ſchneidenden 
Segenſatz zwiſchen dem frommen Glauben und der widerſtreitenden 
Erfahrung dadurch zu überwinden ſucht, daß er ſich den verſchieden⸗ 
ſten bebensidealen zuwendet. Dor allem war es die „Weisheit“, die 
ihm dazu verhelfen ſollte. lioheleth war ſelbſt ein „Weiſer“ von 
Beruf und gehörte ſomit einem Stande an, der in damaliger Zeit 
das höchſte Anſehen genoß. Die Weiſen waren die öffentlichen Sitten⸗ 
lehrer und Dolkserzieher, die ihre Schüler und ihre Schulen bzw. 
ihre Synagogen hatten. Sie waren die Vertreter der Wiſſenſchaft 
ihrer Zeit und das Streben nach Weisheit galt als das höchſte Jdeal. 

Aber die Weisheit brachte Koheleth das erhoffte bebensglück nicht. 
Gewiß ift die Weisheit etwas Großes und Erſtrebenswertes. Aber 
ihre Erlangung iſt mit vieler Mühſal verbunden und ſchließlich iſt 
alles Wiſſen nur eitles Stückwerk. In Wirklichkeit ſchafft fie dem 
Herzen mehr Schmerz als Freude. Sie ſchaut überall das Unvoll⸗ 
kommene, Unzulängliche, Fehlerhafte und kann ſchließlich doch nichts 
ändern. Vor allem aber gibt fie über die Menge der quälenden 
bebensrätſel keinen befriedigenden Auffhluß, und was das Aller⸗ 
ſchlimmſte iſt, auch fie iſt unfähig, ihrem Beſitzer ewige Jugend zu 
verleihen, auch ſie vermag nicht, vor dem grauſen Tod und der ſchreck⸗ 
lichen Unterwelt zu befreien. Das Gleiche gilt von anderen weltlichen 
Beſtrebungen, denen die Menfchen fo gern als ihrem Lebensideal 
nachjagen: von dem uneingeſchränkten Genuß des Lebens, vom An⸗ 
ſammeln von Reichtümern, von reger Betätigung und fauſtiſch hoch⸗ 
gemutem Streben. Alle dieſe Dinge hängen ſchließlich doch von 
tauſend „Wenn und Aber“ ab; ſie können das menſchliche herz nicht 
befriedigen und verſagen vor allem in den ſchwerſten Stunden des 
bebens. Daher das unaufhörliche und ſtets unbefriedigte Suchen und 
Taſten, das ruheloſe „auguſtiniſche“ ſich Wenden vom einen zum anderen 
— ſtets mit dem gleichen Erfolg: „Alles iſt eitel.“ Daß Koheleth 
dabei die Dinge hie und da ſchwärzer ſieht, als fie find und verall⸗ 
gemeinert, müſſen wir feiner ganzen ſeeliſchen Derfaffung zugute halten. 

Nach allem reſultatloſen Suchen und Taſten kehrt Koheleth am 
Schluſſe zu der Erfahrung zurück: „Zott fürchten und ſeine Gebote 


119 


halten, das ift der ganze menſch.“ Das befriedigt ihn ſchließlich 
innerlich doch noch am meiſten und ſtärkt ihn obendrein in ſeinem 
Glauben. Wenn alle Hilfsmittel, über die Schwierigkeiten und Wider⸗ 
fprüche des Lebens Herr zu werden, verfagen, die Gottes furcht und 
das Zeugnis eines guten Gewiſſens hielten ihn nach allem Schwanken 
immer wieder aufrecht. Immerhin blieb das Leben auch ſo noch 
für ihn hart und düſter genug, und da vor allem nach dem Tode 
nichts mehr zu erwarten war, fo fordert Koheleth alle auf, das Erden⸗ 
leben zu genießen, aber in Gottesfurcht. Es ift nach ihm das Üer- 
nünftigfte, was der Menfch tun kann, und kioheleth wünſcht allen, 
daß Sott ihnen die Saben des Lebens in dieſem traurigen Dafein 
in Snaden gewähren möge. Beſonders möge die Jugend das Leben 
in aller Gottesfurcht genießen, bevor die großen und ſchweren Rätfel 
des Lebens an fie herantreten. Wenn das Leben auch nicht wert iſt 
gelebt zu werden, ſo muß es eben der Menſch doch leben und darum 
ſoll er ſich, fo gut er kann, in aller Sottesfurcht ein beſcheidenes 
bebensglück ſchaffen. Er ſoll das beben möglichſt weiſe einrichten 
und ſich nicht durch Torheiten und beidenſchaften das bischen Lebens- 
glück, das er vielleicht noch erlangen kann, verderben. So hat er 
dann wenigſtens einen gewiſſen Gewinn von ſeiner Mühe unter der 
Sonne. Im Übrigen aber bleibt für den Prediger beſtehen als aller 
Weisheit letzter Schluß: „O Eitelkeit der Eitelkeiten, alles ift eitel auf 
dieſer Weltl“ 

Wir ſehen, das ganze Buch Koheleth iſt ein Schrei nach Offen⸗ 
barung, wie er im ganzen Alten Teſtament kaum ſtärker gehört 
worden iſt. Ohne den beſtimmten Glauben an ein beſſeres Jenfeits 
und an eine endgültige und vollgerechte Vergeltung nach dem Tode 
ift das beben in der Tat nicht wert gelebt zu werden, da der Menſch 
die ſchneidenden Widerſprüche und drückenden Oebensrätſel auf die 
Dauer nicht gleichmütig ertragen kann. Wenn Koheleth trotzdem an 
ſeiner religiöſen Überzeugung nicht irre wird, ſo iſt das nur ein Be⸗ 
weis für die Araft des Offenbarungsglaubens im Alten Teſtament. 
Wie für gob aus der Tatſache, daß es dem Gerechten ſchlecht geht, 
trotz allen inneren Kämpfen noch lange nicht folgt, daß es deshalb 
keinen Bott gibt, fo vermag auch das Leben, fo widerſpruchsvoll 
und troſtlos es auch ſei, koheleth an feinem Gottesglauben nicht 
irre zu machen. Er will nichts wiſſen von jener griechiſchen Philo- 
ſophie, die damals in Paläftina ſich breit machte und die Weisheit 
und ein glückliches Leben ohne Gott verſprach. Immerhin mußte 
das ſchwierige Problem der Vergeltung und des Scheolglaubens zum 


120 


Denken anregen; es mußte eine Rückwirkung im religiöfen Leben 
erzeugen, die gebieteriſch Auffhluß über dieſen ſchwierigſten Punkt 
der altteſtamentlichen Offenbarung erheiſchte. 

Roheleth war von der göttlichen Dorfehung berufen, dem Denken 
und Empfinden, dem heißen Sehnen ſeiner Zeitgenoſſen in ſeinem 
Buche Ausdruck zu verleihen. Das iſt ja gerade eine der ſchönſten 
Seiten der Heiligen Schrift, daß ſie nicht bloß dogmatiſtert, daß viel⸗ 
mehr in ihr all die quälenden Zweifel, das harte Ringen, die bitteren 
beiden, die je eine Seele verkoſtet, ergreifenden Ausdruck finden. 
Und der Schrei ſo vieler gequälter herzen drang zum himmel und 


fand Erhörung. Dielleicht hundert oder hundertfünfzig Jahre ſpäter, 


gab das Buch der Weisheit Aufſchluß über all die Rätfel, die im Buch 
KHoheleth noch ungelöft die Geiſter quälten. Hätte Koheleth dieſes 
bicht gekannt, das auf einmal die Himmel weitet und die entzückte 
Seele einen Blick tun läßt in das: unbeſchreibliche Glück der Gerechten 
im genſeits, dann hätte er ohne Zweifel feinen Gedanken über den 
Wert des bebens eine andere Wendung gegeben. So aber liefert es 
in jeder feiner Feilen den Beweis für jenes große Wort des hl. Nugu⸗ 
ſtinus: „Unruhig und ungeſättigt bleibt unſer Herz, bis es in dir ruht.“ 


Jdealismus und Wirklichkeit 


Don P. Timotheus ſtranich (Beuron). 


Wen. man das deutſche Weſen in eine einheitliche Formel bringen 
will, fo ſpricht man vom deutſchen Jdealismus. Dieſer 
Jdealismus unſeres deutſchen Volkes äußerte ſich in Aunft und 
Citeratur. Man wollte durch Ethik und Hſthetik die ſchöne Seele 
ſchaffen. Doch wer kann Löwen mit Rofen-ketten binden? Die Er⸗ 
ziehung zur Kunft hat unſer Volk nicht vor dem Unglück bewahrt. 
Es wirken tieriſche Inſtinkte und dämoniſche Kräfte in jeder Seele, 
auch in der Dolksfeele. Die laſſen ſich nicht bändigen und eindämmen 
nur durch verfeinerten Geſchmack. Die ſchöne Seele blieb ein Traum. 

Aber wie iſt es denn mit der Wiſſenſchaft? Sie will die weiſe 
Seele ſchaffen, hat aber nur kluge Röpfe fertig gebracht; doch keine 
guten herzen kann ſie ſchaffen, keine glücklichen Menſchen. Der 
KRantſche Idealismus hat Fiasko gemacht. Dor dem unglücklichen 


Weltkriege ſchrieb einſt Ernſt horneffer: „Wir brauchen keinen Chriſtus, 


wir haben Kant.” Demnach müßte nun Deutſchland, die Heimat 
Kants, wirklich das ſittlich größte Land und die deutſche Nation das 


121 


ſittlich reiffte Dofk fein. Kann man das wirklich heute noch behaupten? 
nein, auch von der Wiſſenſchaft kommt nicht das heil, die Rettung 
aus unſerer Not. 

Und auch die ſtarke Seele, die Friedrich Nietzſche als Zukunfts- 
ideal empfohlen, hat unſerem deutſchen Volke nicht den Weg zum 
Slück gezeigt. Die dee vom Übermenſchen hatte in unſerer Volks⸗ 
ſeele ſchon tiefe Wurzeln geſchlagen. Und iſt fie auch eine Ver⸗ 
ſtiegenheit, fo hat fie doch einen echten ern. Der Menſch braucht 
ein Ideal, das ſonnenhell und ſonnenhoch über ihm ſteht. Er ſoll 
aus dem Untermenſchlichen heraus hinaufſtreben in alles Hohe, hinein 
ins Göttliche und Ewige. Das Lied vom Übermenſchen wird freilich 
Dichtung bleiben für alle Zeit. Der Menſch iſt Erde und wird Erde 
bleiben, aber die Erde kann blühen. Das ift das Erreichbare. Und 
fie ſoll blühen, ſoll ewig blühen in Gottes Garten. Das iſt die boſung 
des wahren, des chriſtlichen Jdealismus: „Laßt uns aus dem 
beben etwas Schönes machen! Laßt uns das Erdenleben verwandeln 
in himmelsfreude, in Ewigkeitswert!” Da hat Jean Paul recht, wenn 
er ſagt: „Wir follten das beben, dieſen nie wiederkehrenden Geburts⸗ 
tag der Ewigkeit, heilig und feſtlich begehen.“ Das iſt der Sinn des 
Lebens: der Geiſt erobert ſich die Welt, das Herz den Himmel. 
In jedem einzelnen Menfchenherzen ſchlummert eine unendliche Fülle 
von verborgenen Glücks möglichkeiten. Da gilt es, nur die inneren 
Reime zu wecken, zur Blüte zu bringen und zur Frucht. Chriſtlicher 
Idealismus und heiligkeit ſind verwandte Begriffe. 

Doch da meldet ſich mit Wucht die Wirklichkeit. 

Die Sehnſucht gibt uns Flügel, Adlerſchwingen. Doch das Geſetz 
der Schwere, das Eroͤgewicht zieht uns nieder. Man ſagt, wir werden 
mit Flügeln geboren. Es iſt wahr. Das Rind ſchafft feinen himmel 
ſich auf Erden, ſeine ideale Welt. Weil es von oben kommt, aus 
dem Reich des Lichtes, trägt es den Erinnerungsduft des Paradieſes 
in der morgensfriſchen Seele. Juerſt ift es fremd in der Welt. Es 
ſpricht von ſich in der dritten Perſon, bis dann der erhabene Augen=. 
blick kommt, wo es zum erſtenmal Ich ſagt. Damit beginnen aber 
auch die Konflikte. Der kleine König des Lichtes merkt die Grenzen 
der Menſchheit und ſtößt an der Wirklichkeit die Flügel ſich wund. 
Es iſt wie das Erwachen des Adlers im Käfig. Einft hat er die 
königlichen Schwingen geregt, einſt flog er über die höchſten Gipfel 
der Berge: über ſich die Sonne, um ſich den blauen Himmel, tief unter 
ſich die Erde. Und nun iſt er gefangen. Geht es nicht oft dem 
menfchen fo? IM er nicht auch eingeſchloſſen in dieſes haus von 


122 


behm wie in ein Gefängnis? „Ein Wurm ift der Menſch“, ſagt der 
Pſalmiſt. Und ein „Wunder ift der Menſch“, ruft St. Ruguftin aus. 
Beide haben recht. Oft kommen dem Menſchen Maulwurfsgedanken, 
die das Dunkel und die Tiefe ſuchen. Und dann wieder tragen ihn 
Adlergedanken zur höhe. „Die Sehnſucht zum Licht iſt des Lebens 
Gebot“, ſchreibt Ihfen. Wir find die Sehnſucht. 

Da möchte man ein wirklich feiner Menfch fein. Man fühlt im 
Inneren den Tempel Gottes. Der flammt von herrlicher Schönheit, 
ein Soldpalaſt. Ja das wäre etwas herrliches, ſo wohnen zu können 
in Glanz und Reinheit, ein ſittlich feiner, abgeſtimmter Charakter. 
Doch auf einmal kommt die Rataftrophe. Es iſt gerade wie damals, 
als der Degionär trotz des Feldherrn Derbot die Fackel hineinwarf in 
den Tempel zu Jerufalem. Da ging das Wunder der alten Welt in 
Flammen auf. 80 iſt es oft auch mit dem menſchen. Da wirft der 
Naturmenſch den Feuerbrand hinein ins Heiligtum, und der fittlich ideal 
veranlagte Menſch ſteht vor Trümmern: Idealismus und Wirklichkeit. 
„Zwei Seelen wohnen, ach, in meiner Bruſt“, klagt Fauſt. Da wird 
mancher zum menſchenverächter, wie Friedrich der Große, der einmal 
rief: „O Gott, wie ſchön iſt deine Natur und wie ſchrecklich ſind deine 
menſchen.“ Und felbft kant meint, das radikale Böſe könne weder 
durch Erziehung noch durch Vorſätze getilgt werden, ſondern nur durch 
eine unbegreifliche moraliſche Revolution. Dieſes Wort hat Böthe 
ſehr übel genommen. Aber Göthe war hier ein ſchlechterer Menſchen⸗ 
Renner, als der Philoſoph von Rönigsberg. Freilich mit dieſer „un⸗ 
ebegreiflichen moraliſchen Revolution“ oder dieſem „Muſterium“, wie 
es Schopenhauer nennt, iſt der Ausgleich zwiſchen Idealismus und 
Wirklichkeit im beben nicht gefunden, und die Nachtblume des 
Peſſimismus entſproßt dieſer Weltweisheit. 

Die Krankheit des Menſchendaſeins kann nur einer heilen, der 
Heiland geſus Chriſtus. In ihm hat ſich Jdealismus und Wirklichkeit 
vermählt zur harmonie der Gottmenſchlichkeit. „Ecce homo“, dieſes 
Pilatuswort, in feiner Tiefe gefaßt, beſagt: ſiehe da den Urtyp der 
menſchheit, den Jdealmenfchen, den Gottmenſchen! Du Haft nichts 
weiter zu tun, als dieſen Jdealmenſchen in dir auszugeſtalten. Wie 
fo kurz und treffend St. Auguſtinus fagt: „Per Christum hominem 
ad Christum Deum: Durch Chriſtus, den Menſchen, zu Chriſtus, 
unferem Gott.” 

Freilich das ift nicht der Chriftus der Modernen. Ein gefeierter 
Bühnendichter entwirft folgendes Bild von Chriftus: „Der blaſſe 
Dazarener hat nur Freude an ſtaubigen Stirnen und gebeugten 


123 


Nacken, er ift ein Jertreter wimmernder Wonnen.“ Doch das ift 
 Käfterung und Lüge. Chriftus ift Licht und Leben, Freude und Frieden. 
Marx Klinger ſchildert ihn als den Freudenbringer, unter deſſen Fuß 
die Frühlingsveilchen ſproſſen. Das iſt das wahre heilandsbild. 
Chriftus zeigt uns nicht nur den Weg zum Glück. Da gibt es keinen 
Rategoriſchen Imperativ der Pflicht. Nein, die Liebe macht uns alles 
leicht. Sie neigt ſich nieder, nimmt uns bei der hand und macht 
uns ſtark. 

Das iſt die böſung des Debensrätſels. Das iſt der Ausgleich 
zwiſchen Idealismus und Wirklichkeit: Derklärtes Leid! Die Wunden, 
die uns das Leben ſchlägt, ſollen einſt in ewiger Verklärung leuchten, 
wie auch unſer herr die Wundmale mit ſich genommen in ſeine 
Herrlichkeit. So verſtehen wir das große Wort Maria Thereſias: 
„Das Leben iſt erſt ſchön, wenn es voll kampf ift; dann kann die 
Liebe ſiegen.“ 

Wenn der Dichter klagt: „Die Jdeale find zerronnen, die einſt das 
trunk’ne Herz geſchwelgt“, fo gilt das nicht von den chriſtlichen Jdea- 
len. Die bleiben voll Sonnenkraft, ewig jung. Manche Sterne find 
längſt erloſchen. Wir ſehen nur noch ihr überliefertes Licht. Und 
manche Blume welkt im Garten unferer Jugend, wie die Maienblüte 
in der Nacht. Mancher rofenrote Traum von Liebe und Glück wird 
violett, wie das ſchwindende Alpenglühn, dann grau in grau; es kommt 
die Nacht. Die wahren, die chriſtlichen Lebensideale aber find un⸗ 
ſterblich wie Gott. Darum kann man nicht vom ſterbenden Idealismus 
reden. Nur Illuſionen ſterben, und auf ihrem Grabe blüht die Blume 
der Erkenntnis. 

Und wenn uns manches liebe Lichtlein auslöſchte im Sturm des 
Lebens wie die Lichter am Weihnachtsbaum, dann müſſen wir immer 
wieder „an der hl. Flamme unſer kierzlein neu entzünden“, wie Göthe 
fagt auf einem Beſuch beim Einſiedler Gnadenbild. Geben wir unſerem 
beben wieder einen großen Mittelpunkt! Die Magnetnadel unſeres 
Herzens muß auf den göttlichen Nordſtern gerichtet fein, andere Gicht» 
lein dürfen ſie nicht ablenken. Mit ſicherem Blick und feſter Hand, 
das Herz nach oben gewandt, bis das Neal uns Wirklichkeit wird, 
bis aus den Dornen ſich hebt die tauſendblättrige Roſe der Ewigkeit. 


124 


Pfalm 90 (1) in der Faften. 


Don P. Sturmius Regel (Beuron). 


J* der heutigen Faſtenliturgie der Kirche iſt unter allen Pſalmen 
einem eine unverkennbare Dorzugsftellung eingeräumt. Welchem? 

Wer ſich im Pſalter gut, im Brevier und Meßbuch weniger gut 
auskennt, der wird vielleicht meinen, es handle ſich um Pſalm 21 
(22): „Deus, Deus meus, quare me dereliquisti, Gott, mein Gott, 
warum haft du mich verlaffen!”, „den Pſalm von unſeres Herren 
Marter“ wie ihn der ſelige Seufe fo bezeichnend nannte und fo marter⸗ 
voll übte, da er müßt „den Durchbruch nehmen“ durch Chriſti „ge⸗ 
litten Menſchheit“, um wahrlich zu kommen „zu ſeiner bloßen Gott⸗ 
heit“ — „das war ihm ſchwer und bitter“! (Seuſes Geben, Rap. 13): 
Einer ſolchen Annahme läge eine richtige und eine irrige Dorausfegung 
zu Grunde. a 

Richtig ift, daß keine Zeit geeigneter und keine Zeit bedürftiger 
iſt, das Leiden und Sterben unſeres Hheilands zu betrachten als gerade 
die Faſtenzeit. Chriſti Erlöſerleiden und Erlöſertod läßt ſich ja nun 
auf zweierlei Art betrachten: mehr dogmatiſch, d. h. in feinen großen 
Juſammenhängen, feinen letzten Urſachen und weſentlichen Zielen, 
oder mehr hiſtoriſch, d. h. in den Einzelheiten, den örtlichen und zeit⸗ 
lichen Zufälligkeiten feines geſchichtlichen Verlaufs. Beide Betrach⸗ 
tungsweiſen find gut und müſſen in der Frömmigkeit des Einzelnen 
wie der Geſamtheit ſich dauernd abwechſeln und ergänzen. Wie wir 
die Geheimniſſe des Leidens, Sterbens und der Auferftehung des 
Herrn, die „saeramenta paschalia“, betrachten, daran liegt es auch nicht; 
wenn wir fie aber nicht einmal in der Faſtenzeit betrachten, wann 
im ganzen Rircheniahre werden wir es dann tun? | 

Wäre alfo die eine Vorausſetzung richtig, daß nämlich die Faſten⸗ 
zeit die gegebene Zeit der beidensbetrachtung ift, fo iſt die andere nicht 
zutreffend, daß auch die Kirche in der ganzen Faſtenzeit das Leiden 

Einer zwar „außerliturgiſchen“, aber in ihrer Art doch auch wieder nicht 
„unliturgifhen“ Frömmigkeitsübung fei hier gedacht: der Sitte, während der Faften- 
zeit je eine Woche hindurch ſich dauernd und faſt ausſchließlich nacheinander mit je 
einem der fünf Geheimniffe des ſchmerzhaften Roſenkranzes zu beſchäftigen. Eine 
ſolche gewiß „ ſchlichte ! Übung hat manche große Vorteile, von denen die geringſten 
nicht wären: daß fie den Geift in ruhiger Sammlung hält, dauernd den Blick auf 
die liturgiſche Gegenwart und ihre unmittelbare Zukunft lenkt und eine wirkliche 
Brücke ſchlagen könnte zwiſchen dem einfachſten Mann und dem feinſtgebildeten 
Geift. Die Faſtenzeit kürzt ſich dabei merklich und wie von ſelber ab, und ehe 
man ſichs verſteht, ſteht man mitten drin, und zwar wohl vorbereitet, in den Ofter- 
geheimniſſen der heiligen Woche. 


125 


des Herrn einzig zum Gegenſtande ihres liturgiſchen Betens mache. 
Die Kirche denkt die ganze Faſten⸗ und Dorfaftenzeit an das Leiden, 
Sterben und die Nuferſtehung des Herrn, aber fie redet nicht oder 
doch nur ſelten und oft nur wie abgeriſſen und in Bildern davon. 
Der wachſende Widerſtand der Juden wider den Heiland wird uns 
nicht verborgen; mit der um Lätare einſetzenden und eigentlich aus⸗ 
ſchliezlichen Derwendung des Johannesevangeliums tritt er ſogar ſehr 
deutlich in die Erſcheinung. In der Paſſionswoche ſteht ſchon, außer 
oben am Donnerstag, kein Evangelium mehr, das nicht von Gefangen= 
nehmen, Töten, Steinigen redet, bis dann in der karwoche die Paſſion 
ſelber folgt. Wir wiſſen auch alle, daß es nach geruſalem geht und 
haben den feſten Glauben, daß auf den Karfreitag der felige Oſter⸗ 
morgen folgt — „ad vesperum demorabitur fletus et ad matutinum 
laetitia!“ Unſer hiſtoriſches Wiſſen von den Geſchehniſſen iſt unſerem 
Glauben vor dem Eintritt in die eigentliche Leidensliturgie noch eine 
feſtere natürliche Stütze, als den Jüngern die Zähigkeit der ſchier 
unausrottbaren falſchen jüdiſchen Meſſtashoffnungen vor ihrem Ein⸗ 
tritt bzw. geſu Eintritt in das beiden ſelber es war. Und doch iſt 
beid Geid und Schmerz Schmerz. Nuch in der Liturgie der Kirche 
überwiegt trotz aller eingeſtreuten Triumphlieder in der Paſſion das 
bittere Weh und die ergreifende klage. Das gibt eine ganz eigen⸗ 
artige Spannung in die Seele, daß es auch uns drängt und bedrängt 
„bis es vollendet iſt“. „Sie waren unterwegs nach geruſalem und 
Jeſus ſchritt voraus...“ (Mark. 10, 32). Und er bildete feine Jünger 
noch auf dem letzten Bang in wunderbarer Weiſe, indem er ihnen 
alles verkündete, wie es nach des Daters Wille kommen mußte, in 
göttlicher Güte ihnen das Ärgfte zugleich verfchleiernd, daß fie würdig 
wären und die Kraft hätten, die kommenden Dinge zu tragen. Nichts 
anderes bezweckt auch die Kirche in der Faſtenzeit bis zur Paſſions⸗ 
woche. Sie will uns bereit machen, will uns durch ſeeliſche Einkehr, 
Faſten, Gebet und Liebeswerke vorbereiten für die kommenden Tage 
und die würdige Mitfeier der heiligen Oſtergeheimniſſe. Eine ſolche 
Hinkehr zu Zott und Abkehr von Welt und Satan geht aber ohne 
ſchweres Ringen, ohne Widerſtand des „Herrſchers dieſer Welt“ und 
ohne ganz beſondere Hilfe des höchſten herrn im himmel nicht ab. Das 
iſt es, warum uns die Kirche weder den 21. (22.) Pfalm in den Mund 
legt, noch ſonſt einen Leidens pſalm, ſondern den Pfalm der ganzen 
losgelaſſenen Hölle und zugleich des unerſchütterlichen Gottver⸗ 
trauens: den Pſalm 90 (91): „Qui habitat in adjutorio Altissimi, 
Wer in des höchſten Hilfe wohnt.“ 


126 


Pſalm 90 wird in der Liturgie der Faſtenzeit ganz ungewöhnlich 
häufig verwertet. Er liefert zunächſt einmal ausnahmslos alle ver- 
änderlichen Befangstezte für die meſſe des erften Falten: 
fonntags: Introitus, Braduale, Traktus, Offertorium und Rommunio. 
Der Traktus bietet, eines der heute nur wenigen Beifpiele, bis auf 
drei Derfe (U. 8 — 10) den ganzen Pfalm. Aber hiemit nicht genug 
gibt der Pſalm, und darin liegt eigentlich ſeine ganz beſondere Be⸗ 
vorzugung, ſämtliche Texte für alle der Faſtenzeit eigentüm- 
lichen Derfikel und Reſponſorien im römiſchen Brevier für 
den Sonntag wie für die Wochentage ab, und War nach folgender 
künftlich=feftgefügter Anordnung: 

DV. 3 : „Er befreit mich aus der gäger Schlinge — und vor dem 
‚harten Worte“: Derfikel der Matutin am Sonntag (1. 
Nokturn) und am Montag und Donnerstag; Reſponſorium 
der Terz. 

DBV. 4 : „Mit feinen Schwingen wird er dich umſchatten, — und 
unter feinen Flügeln wirft du hoffnung haben“: Verſikel 
der Matutin am Sonntag (2. Nokturn) und am Dienstag 
und Freitag; Verſikel der Terz, Reſponſorium der Segt. 

D. 5 : „Gleich einem Schild umgibt dich feine Treue, — Du brauchſt 
nicht bangen vor dem ‚Schreck‘ der Nacht“: Verſikel der 
Matutin am Sonntag (3. Nokturn) und am Mittwoch und 
Samstag; Derfikel der Sezt, Reſponſorium der Non. 

D. 11 : „Seinen Engeln hat Gott deinetwegen befohlen, — Sie 
ſollten dich behüten auf allen deinen Wegen“: Derfikel der 
Defper und Laudes (an Sonntagen und Werktagen) und 
Derfikel der Non. 

D. 11/13: bilden das erſte Reſponſorium der Matutin am erſten 
Faſtenſonntag; freilich nur an ihm. Es ſei das nur der 
Dollftändigkeit halber erwähnt. hier iſt auch das einzige 
mal in der Liturgie der Tage, was einen faſt wunder⸗ 
nehmen könnte, U. 13 verwendet: „Über Natter und 
‚Bafilisk‘ wirft du ſchreiten, zertreten ‚Leu‘ und „Drachen.“ 

In der liomplet hat das römiſche Brevier den Pſalm: „Qui habitat“ 
leider nicht mehr täglich. Im monaſtiſchen Brevier bleibt ſich aber 
die Komplet das ganze Jahr hindurch gleich. So betet man in ihm 
auch während der Faſten in der Komplet den 90. Pfalm. Im übrigen 
verwertet das monaſtiſche Brevier die gleichen Derfe (D. 3,4, 5 und 
11) für die einzelnen Gebetszeiten der Faſtenzeit wie das römiſche. 
nur die Derteilung iſt etwas anders, auch wird D. 12 noch dazu 


127 


verwertet: „Auf händen werden fie dich tragen, — damit du dir den 
Fuß an keinen Stein ſtoßeſt.“ Dieſer Ders dient im monaſtiſchen 
Brevier als täglicher Derfikel in der 2. Nokturn der Matutin an den 
Wochentagen. 

Daß eine fo weitgehende Derwertung des Pſalmes in der Faſten⸗ 
liturgie kein bloßer Zufall fein kann, daß ihr vielmehr beſtimmte 
Abſichten zugrunde liegen müſſen, iſt von vornherein klar. Warum 
wurde gerade dieſer Dfalm gewählt? Wem gelten feine Worte, und 
wie ſollen wir ihn beten? 

Sine wiſſenſchaftlich genügende und ſichere Antwort auf die 
Frage, wann und wie der Pſalm in die Faſtenliturgie eingedrungen 
iſt, und welchen Sinn er demgemäß in ihr hat, könnte man wohl 
nur erhalten durch eine ſorgſame und möglichſt vollftändige Rundfrage 
bei jenen alten Exegeten, die ſelbſt ſchöpferiſch liturgiſch tätig waren, 
oͤder doch durch ihre Exegeſe die bekannten oder unbekannten Schöpfer 
der Liturgie weſentlich beeinflußt haben. Bei der großen Bedeutung, 
die der Derfuchung geſu im Ganzen des Erlöferlebens und Erlöſungs⸗ 
werkes zukommt, und der wohl frühen Derwertung des Evangelien⸗ 
berichtes in der Liturgie und den Liturgien bot ſich ja oft Gelegenheit, 
auch über die von Satan zitierten Pſalmverſe und den Pſalm ſelber 
zu reden. Da ohnedies der ganze Kampf Chrifti und des Antichriſts 
in der Wüſte ſich rein in bibliſcher Rede und Gegenrede abſpielt, ſo 
wurde man auch ſonſt oft an die Derfuchungsfzene und die ſataniſche 
Pſalmanführung in ihr gemahnt. Bei den in der heiligen Schrift 
ſehr beleſenen Dätern ergaben ſich bibliſche Gedanken verbindungen 
und Stellenverknüpfungen durchaus natürlich und ganz von ſelbſt. 
Joh. 14, 30 oder Luk. 11, 21 ff., die Rede vom liommen des Fürſten 
dieſer Welt, der aber keinen Teil an geſus hat, oder dem bewaff⸗ 
neten Starken, der aber von dem noch Stärkeren hinausgetrieben und 
vollſtändig ausgeplündert wird, erinnerte fie ohne weiteres auch an 
den Sieg in der Wüſte und damit wieder mittelbar an unſern Pſalm. 
Ebenfo iſt es nicht verwunderlich, daß ihnen D. 13 unferes Pſalmes 
fofort in den Sinn kam: „Über Nattern wirft du ſchreiten, über 
Schlangen; zertreten Deu und Drachen“, bei Stellen wie Luk. 10, 19: 
„Seht, ich habe euch Gewalt gegeben, über Schlangen und Skorpionen 
hinwegzuſchreiten, und Macht über alle feindliche Gewalt, und nichts 
ſoll euch ſchaden können“ oder Eph. 6, 10 ff., der Schilderung von den 
Ränken des Teufels und der Notwendigkeit zu kämpfen „nicht nur 
mit Fleiſch und Blut, ſondern auch mit den herrſchaften und Mächten 
und Gewalten dieſer finfteren Welt, mit den böſen Geiftern unter dem 


128 


Himmel“. So gab es immer wieder Anlaß, wie der Derfuchungsfzene 
im allgemeinen, fo auch unferes Pſalmes im beſonderen zu gedenken, 
und dadurch hat ſich Stoff in Fülle aufgehäuft, der ſicherlich in feiner 
Art die Wahl liturgiſcher Texte mitbeſtimmt hat und uns Heutigen 
noch für die Deutung und Auffaffung der gewählten Texte in der 
Liturgie die allerbeſten Dienſte leiſten kann. Neben der Einſicht in die 
alten Exegeten der Hl. Schrift und wohl noch vor ihr käme die Ein- 
ſichtnahme in die Werke der älteren „Exegeten der Liturgie”, und 
neben und vor ihnen das Studium der älteſten und älteren liturgiſchen 
Quellen unferer heutigen Liturgie und ihr Dergleich mit anderweitigen 
Liturgien in Betracht. Vielleicht würde fi) dabei ergeben, daß die 
Texte in Meßbuch und Brevier ihre gefonderte Behandlung verlangten; 
vielleicht wäre die Geſchichte der Verwendung unferes Pſalmes im 
Offizium oder doch feiner heutigen künſtliſchen Anordnung ohnehin 
viel ſchneller geſchrieben als die der Meßbuchterte. Vielleicht ergäbe 
ſich auch, daß die aszetiſch⸗ muſtiſche Deutung der liturgiſch verwerteten 
Derfe unſeres Pſalmes und der liturgiſchen Derwertung des Pſalmes 
in der Faſtenzeit überhaupt zu verſchiedenen Zeiten eine verſchiedene 
geweſen iſt. Die gleichbleibende Formel bedeutet ja durchaus noch 
nicht notwendig auch ſchon eine gleichbleibende Deutung und Nus⸗ 
wertung. Das Affektleben der einzelnen Menſchen und Zeiten iſt 
nun einmal nicht das gleiche: jede Zeit mag beten und ſoll beten, 
wie fie es braucht. Gewiß wäre eine ſolche Unterſuchung keine 
geringe Arbeit und unter Umſtänden würde auch ſie keine volle 
Rlarheit bringen, ſondern erneut zu mancherlei Fragen Anlaß werden. 
Dankbar und fruchtreich würde ein ſolches Studium eines Einzelftückes 
der Liturgie aber ohne Zweifel fein. 

Forderte eine wiſſenſchaftliche Antwort über Sinn und Urſprung 
des 90. Pſalmes in der Liturgie der Faſtenzeit erſt umfaſſende Vor⸗ 
arbeiten, ſo dürfen wir uns trotzdem wohl für unſer Beten eine 
Erklärung ſuchen. Ja, wir müſſen es eigentlich tun; denn wir 
müffen und ſollen doch den Pſalm alljährlich eine ganze Faſtenzeit 
lang bis zum Paſſtonsſonntag beten. 

Vielleicht erklärt ſich der Sinn des Pſalmes in der Faſtenliturgie 
am leichteſten durch Beachtung des Entſtehungsweges, auf dem er 
mutmaßlich in die Liturgie gelangt iſt, des Charakters der Faſtenzeit 
überhaupt und feiner Derknüpfung mit anderweitigen ähnlichen Texten 
der Faſtenliturgie. Der Entſtehungsweg dürfte dieſer geweſen ſein: 
Frühzeitig wurde das Evangelium von dem „vierzigtägigen“ Faſten 
geſu und feiner Derfuchung in der Wüſte für den Beginn der Faſten⸗ 


g 129 


zeit gewählt. Ob das Evangelium dort zunächſt Beleg ſein ſollte für 
die Notwendigkeit des (vierzigtägigen) Faſtens und feinen „apoſto⸗ 
liſchen und göttlichen“ Urſprung' oder ob es zeigen ſollte und wollte, 
daß Taufe und Faſten bzw. Taufe (ernfthaftes Chriſtenleben) und 
Ver ſuchung! untrennbar miteinander verbunden ſind, jedenfalls war 
mit dem Evangelium auch der Pfalm eingeführt. War es auch ein 
ſehr unheiliger Mund, der den Pſalm angeſtimmt hatte, ſo wußte 
doch der Schöpfer der Faſtenmeſſe ohne weiteres, wo er mit Sinn und 
Seſchick feine Gefangstezte herholen konnte. Don der meſſe wird 
der Pſalm dann, vielleicht erft ſpäter, in das Offizium übergegangen 
fein. Mag dem fein wie es will, der Keim der ganzen Pſalmver⸗ 
wertung wird wohl mit Sicherheit in dem Evangelium zu ſuchen und 
der Pſalm daher von dort aus zu deuten ſein. Dom Faſten (im 
engeren Sinne) redet der Pſalm nicht. Selbſt wenn das Faſten 
Jeſu zunächſt beſtimmend geweſen wäre für Wahl des Evangeliums 
am Beginn der „Faſtenzeit“, ſo käme es als ſolches für Deutung des 
Pſalmes nicht in Betracht. Umſomehr der andere Geſichtspunkt, der 
im Evangelium mitſpielt: der enge innere Juſammenhang zwiſchen 
Taufe (ernſthaftem Chriftenleben) und Derſuchung. Zu einem gleichen 
Ergebnis kommt man auch durch Betrachtung des Charakters der Zeit 
ſelber. Die Dinge hängen ja nicht nur hiſtoriſch (Faftenzeit — ehemals 
VDorbereitungszeit zur Taufe) ſondern auch ſachlich (Auferſtehungs⸗ 
vorbereitung — Vorbereitung zu ſeeliſcher Wiedergeburt) miteinander 
auf das innigſte zuſammen. Mit dem hinweis auf das Evangelium 
von der Derfuchung geſu als der Erklärungsquelle für den Sinn der 
Pſalmverwendung iſt die geſtellte Frage allerdings noch nicht beant⸗ 
wortet, aber doch vielleicht etwas faßbarer geſtaltet. Immer noch 
bleibt beſtehen: Gilt der Pſalm in der Faſtenliturgie uns oder gilt er 
unferem Blick auf den Erlöfer? Man kann vom Evangelium aus die 
Frage auch fo ſtellen: Wird das Evangelium von der Derfuchung geſu 
uns am erſten Faſtenſonntag bloß zur Erinnerung an einen längſt 
der Geſchichte, wenn auch der heilsgeſchichte angehörenden Vorgang 
vorgelefen, oder ſoll uns die Erinnerung an Chriſti Verdienſt und 
Beiſpiel das nötige Dertrauen und den richtigen Antrieb geben wie 
für das „Faſten“ fo auch zum ftämpfen wider den Derfucher? Man 
wird wohl fagen müffen: die unſerem Geiſte im Evangelium vor⸗ 
geſtellte Wirklichkeit des wirklichen Lebens geſu ſoll uns drängen 


z. B. Ambrofius, Exp. in Duc. 4, n 15 Migne Pl 15, 1617. z. B. Leo d. Gr., s. 9. 
in Quad. n 1 Pl 54, 295 A. 3. B. Apoft. Konftitutionen, 7, 22, 4-6 (Funk 1905 
5.407). z. B. oh. Chruſoſtomus, hom. 13. in Matth. n 1 Bar 57, 207 ff. 

Benediktiniſche Monatſchrift IV (1922), 3—4. 9 


130 


= 


und treiben zu erneuter und neuer Verwirklichung deſſen in unferem 

eigenen wirklichen Leben, was Jefus zugleich wirklich und vorbild⸗ 

lich für uns in der Wüfte getan hat. In dieſem Sinne gilt wie das 

Evangelium, ſo auch der 90. Pſalm, der Pſalm der Faſtenzeit, uns. 

Auf unfere Dervollkommnung zielt er ab, aber im hintergrunde ſteht 

und bleibt immer groß und vorbildlich ſtehen unſer göttlicher Heiland. 
Dom Guéranger, deſſen „Rirchenjahr” man immer noch und immer 

wieder mit Nutzen lieſt, zeigt ſich in der Erklärung der Meſſe des 

erſten Faſtenſonntags durchaus dieſer Anſicht.! Schon vorher hatte er 

„darüber geſprochen, wie die Kirche dieſen ſchönen Canticus auf die 
bage der Chriften während der Faftenzeit. anwendet.“ Die Kirche 
erblickt nach ihm in ihren Rindern während dieſer vierzig Tage „ein 
ungeheures Beer, welches Tag und Nacht gegen den Feind Gottes 
ankämpft ... Geeint mit dem Erlöfer, der auf dem Berge gegen die 
dreifache Derfuchung Satans kämpft, müſſen wir gewappnet und 
unaufhörlich wachſam fein. Um in uns die Sieges hoffnung 
aufrecht zu erhalten und unſer Vertrauen auf die göttliche 
Hilfe zu ſtärken, ſingt die Kirche den 90. Dfalm...” Sagen 
wir alfo: Pfalm 90 gilt in der Faftenzeit zunächſt uns. Uns will 
er ermutigen und tröſten, uns mit unerſchütterlicher Juverſicht er⸗ 
füllen auf die allmächtige und nie verſagende Hilfe unſeres Herrn, 
„der getreu iſt und uns nicht über unſere Kräfte verſuchen laſſen, 
ſondern mit der Derfuhung auch den guten Ausgang geben wird, 
damit wir ſtandhalten können” (1 Hor. 10, 13). Es wäre doch wirk- 
lich traurig, wenn wir, vom Geiſte ſchon „in die Wüſte geführt“ d. h. 
als getaufte Chriften, dort in der Wüſte noch den „Lüften und den 
Schlangen“ erlägen (ebd. 10, 1 ff.). Es leuchtet ein, wie [ehr ein Lied 
dem Charakter der Faſtenzeit angepaßt iſt, das „das, was unſere 
Väter die providentia spezialissima nannten, in ganz unvergleichlicher 
Weiſe zum Ausdruck bringt“ (Kittel, Die Dfalmen), ein Lied, das die 
allertreueſte, perſönlichſte Daterforge Gottes um jeden einzelnen aus 
uns fo Überzeugung und Vertrauen wechkend ſchildert. 

Daß die Faſtenzeit ihre beſonderen Gefahren in ſich birgt, iſt doch 
klar. Die Däter betonen das oft und ausdrücklich. Nicht nur, daß 
die geſteigerten Frömmigkeitsübungen ſelber den einen oder anderen 
zur törichtſten aller Einbildungen, zum geiſtlichen Hochmut, verleiten 
Rönnten, nicht nur, daß der Widerſtand, den die eigene bequemliche 
Natur gegen die Unbehaglichkeit der Faſtenüberwindungen geltend 


D. B. Guéranger, Das Kirchenjahr, deutſch v. J. B. Heinrich. 5. Bd. Die heilige 
Faſtenzeit (1877), 8. 141 ff. u. 29 ff. 


131 


macht, Derfuchungen eigner Art, Gereiztheit und mürrifches Weſen 
erzeugen kann — auch die hölle rüſtet ſich nach den hl. Vätern in 
dieſer Zeit zu beſonders heftigem Anfall auf die Chriſtenſchar. „Ut 
tentaretur a diabolo, damit er vom Teufel verſucht würde“: „Niemand 
wird vom Teufel verſucht,“ merkt Walafried in der Gloffa an (Pl 114, 
84), „der nicht in die Wüſte hinaustritt, das heißt des Guten ſich zu 
befleißen beginnt“. Nach der Taufe im Waſſer und im hl. Seiſte folgt 
naturnotwendig die Taufe im Feuer der Derfuchung, ſagt uns der 
Derfaffer des Opus imperfectum in Matthaeum (Par 56, 661 f.), wie 
auch in geſu Leben die Derfuchung durch Satan dann erft erfolgte, 
als ihn in der Taufe die Stimme des Vaters feinen geliebten Sohn 
genannt hatte. „Denn im Feuer der Derfuchung wird keiner getauft, 
der nicht zuvor ein Sohn Gottes geworden iſt. Solange jemand bloß 
Katechumen iſt, hat er dem Teufel und all feinen Werken noch nicht 
entſagt. Wenn er aber die (‚vollere‘) Taufe empfangen hat, hat er 
ſich Chriſtus hingegeben und geſprochen: Ich entfage dem Satan und 
allen feinen Werken. Solange er alſo erſt nur fein Katechumen iſt, 
ſchont er ihn noch als in etwa fein Eigen; nach der Taufe aber ihm 
verloren gegangen, verfolgt ihn der Satan mit ganzer Gewalt.“ Wenn 
ſchon das ganze Chriftfein als ſolches einen kampf mit Satan be⸗ 
deutet, dann gilt das in erhöhtem Maße für die Faſtenzeit, die ja 
nach dem hl. Benedikt (Hl. Regel, Kap. 49) das Muſterbild des Mönchs⸗ 
lebens und nach dem hl. Leo (s. 4. in Quadr. n 1 Pl 54, 275 B; 
Gef. am 1. Faſtenſ.) das Urbild des Chriſtentums überhaupt iſt, nur 
daß ſehr wenige die Kraft beſäßen, dauernd das Weal zu leben. 
Aber in dieſen Tagen wenigſtens verſucht es doch die ganze Chriſten⸗ 
heit auf dem ganzen weiten Erdenrund. Darum aber auch die ver⸗ 
ſtärkte Wut des Feindes! „Immer, chriſtliche Seele, mußt du auf der 
Hut fein gegen den Widerſacher deines Heiles... jetzt aber bedarf es 
erhöhter Dorficht und beſonderer Klugheit, wo der Feind in biffigerem 
neide gegen dich wütet. Denn jetzt werden ihm auf der ganzen Welt 
die Gewalt feiner alten herrſchaft genommen und ungezählte Beute⸗ 
ftücke entriſſen. Völker aller Nationen und aller Zungen entſagen 
jetzt dem grimmen Räuber, und ſchon gibt es keinen Menſchenſtamm 
mehr, der ſich nicht auflehnte gegen die Geſetze des Tyrannen, während 
in allen Ländern der Welt Tauſende und Abertauſende zur Wieder⸗ 
geburt in Chrifto ſich vorbereiten. Das find Worte des hl. Leo 
(8. 2. in Quadr. n 2 Pl 54, 268 f.); und immer wieder kommt er er⸗ 
mahnend und ermunternd darauf zurück. Heute haben ſeine Worte noch 
den gleichen Inhalt, wo doch wenigſtens in dieſer Zeit durch „Ofterbeicht 
9* 


132 


und Oſterkommunion“ fo mancher ernſt und ehrlich die gleiche ſeeliſche 
Wiedergeburt oder Gebensfteigerung ſucht und findet, die in der alten 
Kirche die ausgeſöhnten öffentlichen Büßer und die eingeweihten Täuf⸗ 
linge ſuchten und fanden. Ein Kampf wider ‚Welt‘ und Satan iſt 
des Menſchen beben, ein kampf vor allem die Faſtenzeit. Daran 
erinnert uns der dauernd gebetete Pſalm 90, und er ſtärkt uns und 
gibt uns das Vertrauen, daß der in uns über die Derfuchung fiegen 
werde, in dem uns in der Wüſte der Sieg ermöglicht d. h. zugleich 
veranſchaulicht und verdient wurde. Natürlich kann dieſer kampf 
im Negativen nicht ſtehen bleiben. Es findet ſich da eine ebenſo ma⸗ 
leriſche wie lebenswahre Schilderung von Satans Rampf gegen uns 
unter den Faſtenreden des hl. Peter Chryfologus (s. 13. Pl 52, 226 ff.). 
Wenn jetzt die Zeit ift, „wo der kirieger auf die Walſtatt ſchreitet, 
der Chriſt zum göttlichen Faſten eilt“ und „vor dem Thronſitz Chriſti 
und der Engel Zuſchauen unſer tapferer Streit ſich abſpielen ſoll“, 
wenn ewig die unauslöſchliche Makel der Fahnenflucht tragen muß, 
wer jetzt nicht einmal „beim Schall der himmliſchen Trompete unter 
Chrifti und der Engel Augen“ auf den Kampfplatz tritt, dann iſt auch 
jetzt die Stunde gekommen, wo Satan, „vom herrn fo oft und fo 
gewaltig zurückgeworfen“, mit ganzem Grimm Chrifti Schüler anfällt, 
wo auch er die Seinen aufruft und zu ihnen ſpricht: „Dieſe Zeit der 
Faſtenbeobachtung iſt eine ſchwere Zeit für uns, durch Schlemmerei 
und Döllerei und Ausfchweifung laſſen ſich die Leute diesmal nicht 
verſuchen. Schmiedet alſo Ränke, ſtreut Zwietracht aus, ſchürt den 
Haß, weckt die Wut, flößt Lügen ein ... blaft den Geiz zuſammen, 
forgt für ſchändlichen Gewinn, damit doch wenigſtens der Geldſack 
verſchlinge, was der Bauch zur Stunde ſich nicht gönnen und ver⸗ 
ſchlingen Rann. Vor allem aber ſorgt mir dafür, daß ja nicht Barm⸗ 
herzigkeit, Wohltätigkeit und alle Liebe (humanitas) all unſere frühere 
Arbeit vernichte, die gegenwärtige uns nehme und die zukünftige 
unmöglich mache.“ Der letzte Satz des heiligen iſt einer beſonderen 
Beachtung wohl wert. Faſt alle Däter kommen wörtlich oder doch 
ſachlich darauf zu reden, daß dem Armen und Bedürftigen gehören 
ſoll, was wir uns in der Faſtenzeit am Eigenen abziehen. Mittel⸗ 
bar wird das auch ſehr nachdrücklich in den Prophetenſtimmen der 
Faſtenliturgie (Ifaias Rap. 581) betont. Es mag auch das manchem 
zunächſt Überwindung koſten und eine „Derfuchung“ fein; aber ſollen 
wir uns von der heilsarmee und anderen modernen Sekten an hoch⸗ 
herzigkeit und Liebe übertreffen laſſen? Wenn wir uns übrigens 
heute den Kampf der Hölle gegen die Chriſtenſchar nicht mehr fo 


133 


plaſtiſch vorftellen wie die Däter es taten, fo ift er deswegen heute 
nicht minder heftig. Was der hl. Auguftinus (Pl 37, 1149 ff.) in feinen 
beiden Reden über unſern Pſalm zum dritten Derfe: „Er ſelbſt be⸗ 
wahrt dich vor der Jäger Falle (muscipula) und dem ‚harten Worte“ 
bemerkt, mag exegetiſch manchem heute eigen klingen; ſachlich wird 
es allzeit „modern“ bleiben. Das harte, herbe, bittere Wort, das iſt 
ihm der Spott der Heiden, ja, was er mit tiefſter Trauer ſagt, der 
Spott ſelbſt von Chriſten über Chriſten, die wirklich Ernft mit ihrem 
Chriftentum machen möchten. „Viele“, fagt er, „jagt der Teufel durch 
herbe Worte‘ in feine Falle. Da will einer unter Heiden als Chrift 
leben: er hat das Geſpötte der heiden zu tragen, er ſchämt ſich vor 
den Spöttern, weicht des harten Wortes wegen ab vom Wege und 
gerät in die Schlingen der Jäger. „Was kann dir das ‚harte Wort‘ 
ſchaden? Nichts! Wird dir etwa auch die Schlinge nichts ſchaden, in 
die dich der Feind durch das harte Wort treibt? Man ſpannt ein Netz 
hoch oben am Zaun für Dögel auf und wirft Steine gegen den Jaun. 
Die Steine ſchaden dem Vogel nichts. Tötet einer den Vogel, wenn 
er den Stein gegen den Jaun wirft? Aber der Dogel fürchtet den 
hohlen Lärm und fällt ins Netz. 8o fürchten ſich die Menſchen vor 
dem hohlen, leeren Gerede der Spötter, erröten bei dem billigen Ge= 
zeter, fallen ins Netz und der Teufel fängt fie” (a. a. O. 1151f.). Der 
hl. Auguftinus iſt mit anderen auch ein Kronzeuge dafür, wie innig 
dieſer Pſalm durch jenen einen von Satan angeführten Ders mit geſu 
Verſuchung und unferen Derfuchungen verbunden wird, und dadurch 
auch mit dem Evangelium des erſten Faſtenſonntags und der Faſtenzeit: 
„Dies ift der Pfalm“, fo fängt er gleich feine erſte Rede an, „mit 
dem der Teufel unſeren Herrn geſus Chriftus zu verſuchen gewagt hat. 
80 hören wir denn, auf daß wir wohlbereitet, dem Verſucher zu 
widerſtehen vermögen, nicht auf uns vertrauend, ſondern auf ihn, 
der zuerſt verſucht wurde, damit wir in der Derfuchung ſiegten. Er 
nämlich hatte die UDerſuchung nicht nötig: Chriſti Derfuchung iſt unſere 
Belehrung“ (a. a. G. 1149). 

Wenn hier verſucht wurde, aus dem Charakter der Faftenzeit und 
über den mutmaßlichen Entſtehungsweg hinweg zu einem Verſtändnis 
des Pſalmes bzw. ſeiner Stellung in der Faſtenliturgie zu gelangen 
und ſich dabei zu ergeben ſchien: der Pſalm will zunächſt uns in 
unſerem Ringen nach Vollkommenheit d. h. in unſerer ernſten Oſter⸗ 
vorbereitung Warnung vor dem Derfucher und vor allem ein ſteter 
Hinweis ſein auf Gott, der uns ſo gütig ſchirmt und in all unſeren 
Bedrängniffen mit wunderbarer Zuverficht und unerſchütterlicher Sieges⸗ 


134 


gewißheit erfüllt, fo ſcheint auch die Derknüpfung des Pſalmes mit 
anderen ähnlichen Texten der Liturgie dieſe Auffaſſung zu beftätigen. 
Die Worte des hl. Paulus im Kapitel der erſten Defper des erſten 
Faſtenſonntags: „Brüder, ich ermahne euch, empfangt die Gnade Gottes 
nicht umſonſt! Denn es heißt: Jur Gnadenzeit will ich dich hören, 
am Tage des Beils dir helfen“ haben doch eine auffällige Ähnlichkeit 
mit dem Introitusanfang der Meſſe am erſten Faſtenſonntag. Sie 
gelten ohne Zweifel uns. Die Magnifikatantiphon der gleichen Defper: 
„Tunc invocabis et Dominus exaudiet, Dann wirft du rufen und der 
Herr wird dich erhören“ (Jſ. 58, 9) beziehen ſich ebenfalls ihrem ganzen 
bibliſchen und am Tage zuvor bereits in der Epiſtel liturgiſch betonten 
Sinne nach auf unſer Beten in der Faſten und wirken bei ihrer großen 
Ahnlichkeit mit dem Introitus unwillkürlich auch auf dieſen im gleichen 
Sinne ausdeutend ein. Don dem faſt adventlichen täglichen Prim⸗ 
kapitel: „Sucht den herrn, ſolang er ſich finden läßt, ruft ihn an, 
ſolang er nahe iſt“ (If. 55, 6) gilt ein Ähnliches. 

muß man ſomit auch auf Grund des liturgiſchen Ganzen, in dem 
die Texte ſtehen zur Anſicht gelangen, daß ſie ſich zunächſt auf uns 
beziehen, fo iſt es doch gerade wieder das liturgiſche Ganze, in dem 
ſie ſtehen, daß es uns faſt unmöglich macht, die Pſalmſtellen und den 
ganzen Pſalm nicht zugleich auch auf den Heiland zu deuten. Übrigens 
kann es vielleicht auch gar nicht anders fein. Dielleicht ift auch litur⸗ 
giſch der Schlüſſel zum Derftändnis des Pfalmes, was nach St. Au 
guſtin ezegetifch der Schlüffel zu feinem Verſtändnis ift: „nicht nur 
zum Derftändnis bloß eines Pſalmes, ſondern vieler gilt dieſes Geſetz: 
manchmal redet ein Pſalm, und nicht nur ein Pfalm, fondern über: 
haupt eine Prophetie, ſo von Chriſtus, daß nur das Haupt gemeint 
iſt (Chriftus in Perſon) und dann geht er vom haupt zum Leib d. h. 
zur fiirche über, ohne daß die Perſon dabei gewechſelt ſcheint“ (Pl 37, 
1160). Haupt und Glieder bilden eben eine lebensvolle, untrennbare 
Einheit. Vielleicht iſt es auch das dauernde Du der angeredeten Perſon, 
das uns hier die Texte ſo leicht auf Chriſtus deuten läßt; vielleicht 
ſind es ſonſtige verwandte und uns ſehr geläufige bibliſch oder litur⸗ 
giſch ſicher auf Chriſtus bezogene Texte, die uns da und dort beim 
Beten des 90. Pſalmes in den Sinn kommen; vielleicht ift es ſchließlich 
unſere ganze ſeeliſche Einſtellung auf Oſtern, die uns für Chriſtus bei⸗ 
densſtürme und Ofterzuficherungen aus dem Pſalm heraushören läßt. 
Aber können wir anders? Wir könnten in der Liturgie ja oft fragen, 
wer iſt es, der hier ſpricht: Spricht hier der Einzelne, ſpricht die Ge- 
meinſchaft, ſpricht Gott zu uns, ſpricht Chriftus zu Gott? Wer iſt es, 


135 


der an Septuagefima ſo rührend ruft: „Umringt bin ich von Todes⸗ 
ſtöhnen, verftrickt in Höllenqualen ..“ oder an Sezagefima: „Wach 
auf! Was ſchläfſt du, herr! Wach auf, verftoß uns nicht auf ewig !...“ 
und an Quinquageſima: „Sei mir ein Schirmgott, ſei mir Juflucht⸗ 
ſtätte, in der ich Rettung finde.“ Wer wollte in jedem Falle ſicheren 
Beſcheid auf ſolche Fragen geben? Aber wenn man vollends an den 
erſten Faſtenſonntag kommt! „Er ruft zu mir und ich erhöre ihn, 
errette ihn und bringe ihn zu Ehren. Ich will ihn ſättigen mit der 
Tage Fülle.. Man muß ja da faſt an Stellen wie Hebr. 5,7 denken: 
„In den Tagen ſeines Erdenlebens betete und flehte er laut und unter 
Tränen zu dem, der ihn vor dem Tode bewahren konnte, und er fand 
Erhörung feiner Ehrfurcht wegen.“ „Glorificabo eum, ich werde ihn 
verherrlichen!? man darf gar nicht anfangen, all die Stellen von 
Slorificatio und Clarificatio, von Ruhm und Verherrlichung aufzu⸗ 
zählen, womit der Vater in der Oſterherrlichkeit den Sohn verherr⸗ 
licht hat mit jener Herrlichkeit, die er bei ihm beſaß, „eh“ daß die 
Welt war“ (goh. 17, 5). 

Heute ſetzt in der Liturgie unſer Pſalm mit dem Paffionsfonntage 
urplötzlich aus, und ganz andere Pſalmtöne ſchlagen dann an unſer 
Ohr: „Bisher war es die gläubige Gemeinde, die in den Gefängen 
ſprach, ihre Sünden bekennend, aber doch voll Vertrauen zu Bott, 
ihrem Heile, emporblickend. Jetzt ſpricht aus den Geſängen der lei⸗ 
dende Chriſtus. In ganz erſchütternder Weiſe ſchreit er oft mit dem 
Pſalmiſten zum Vater aus übergroßer Geidensnot.” (Schott, Meßbuch 
22. Aufl. 5.250). Nach Amalar von Metz (F um 850), der übrigens auch 
ſonſt ein paar ſehr ſchöne Winke zum liturgiſchen Pſalmenbeten bietet, 
hätte man, des Lukasfchluffes des Derfuchungsberichtes eingedenk, 
in der alten römifchen Liturgie den Traktus des erſten Faſtenſonntags 
am ktarfreitag nochmals geſungen. Denn beſiegt, fei Satan wohl „für 
eine Jeit“ gewichen, aber nur um wiederzukehren, doch jetzt nicht 
mehr bloß zur Derfuchung, ſondern um Chriftus in feinen Gliedern 
zu verfolgen, wie es dann verleſen werde in der auf den Traktus 
folgenden Paſſion (De ordine antiphonarii, Rap. 7. Pl. 105, 1260). 
In ſolchem Lichte erſcheint tatſächlich die ganze Derfuchungsfzene und 
mit ihr auch der Pſalm am erſten Faſtenſonntag, und nicht nur an 
ihm, wie die Ouvertüre zum Leiden. Der Satan weicht, aber in feiner 
wahnſinnigen Wut zieht er nun erſt recht im hintergrunde ſeine 
Schlingen, bis er hervorbrechen wird in der Paſſion. Aber der zum 
Vater fo ergreifend ruft: „Dor dem Rachen des Löwen errette mich, 
o Herr“, der wird den Tod durch feinen Tod befiegen und durch den 


„ * 


136 


Widerfinn des Kreuzes „zertreten Leu und Drachen.“ Bezieht man 
ſo den Pſalm in der Faſtenzeit auch auf den heiland, ſo erhält man 
für ſein Beten eine ganz eigentümliche Anregung. Um nur eines 
zu ſagen: wie beeinfluſſen ſich doch in der Chorliturgie des mona= 
ſtiſchen Breviers das geſungene Faſten⸗ und das Paſſionsreſponſorium 
der Defper, wenn man ſich bei dem einen vorwärts, beim anderen 
rückerinnert: „Mit ſeinen Schwingen wird er dich umſchatten und 
unter feinen Flügeln wirft du ſicher fein!” (Pf. 90, 4) und: „Dor 
dem Rachen des Löwen errette mich, o herr, mich Armen vor der 
Büffel Hörner!” (Bf. 21, 22.) 

Manche Väter haben zwar ausdrücklich betont, der Pſalm beziehe 
ſich nicht auf Chriſtus. Ein „meſſianiſcher“ Pſalm iſt er ja auch nicht. 
Aber wenn er ſich auf „jeden Gerechten“ bezieht, warum nicht dann 
vor allem auf Chriftus, den Heiligen der Heiligen. Was die Däter 
zwang, zu betonen, daß der Pſalm mit Chriftus nichts zu tun habe, 
war auch kaum der Pſalm ſelber — man ſieht das ſchon daraus, 
daß auch Väter, die die Meffianität des Pſalmes in Abrede ſtellen 
mit Recht furchtlos den dreizehnten Ders des Pſalmes auf Chriſtus 
beziehen —, es war auch nicht die Tatſache, daß der Lügner von 
Anbeginn den Ders auf Chriftus gedeutet oder ihm doch nahegelegt 
hatte. Was die Däter zu ihrem Wideérſtand beſtimmte war aus⸗ 
geſprochener häretiſcher Mißbrauch des Pſalmes. Es iſt doch literariſch 
wie dogmatiſch gleich unglücklich, wenn 3. B. im Pſalmkommentar 
des Eufebius (Pgr. 23, 1140 ff.) ein Unterfchied gemacht wird zwiſchen 
dem „Herrn“ und dem „Allerhöchſten“, und daraus bewieſen werden 
ſoll, daß wir zwar auf den „Herrn“, auf Chriſtus, unſere Hoffnung 
ſetzen dürften und ſollten, daß der „Herr“ ſelber aber wieder nötig 
hätte, zum „Allerhöchſten“ ſeine Zuflucht zu nehmen. hieronumus 
meint ſchon, wenn der Teufel die HI. Schrift fo gut gekannt hätte, 
dann hätte er lieber anführen ſollen, was ſich im Pſalme gleich da⸗ 
nach auf ihn beziehe, nämlich Ders 13, ſtatt auf den Heiland zwei 
Derfe anzuwenden, die ſich gar nicht auf ihn bezögen. Immerhin 
iſt es beachtenswert, daß ſich dieſe Auffaflung auch in der Gloſſa 
Ordinaria wiederfindet und ſomit wohl durch Jahrhunderte für die 
mittelalterliche Eregeſe, vielleicht auch für die ſpätere liturgiſche Deu⸗ 
tung des Pſalmes mitbeſtimmend war. Übrigens hatte ſchon Origenes 
mehrfach’ (gegen Baſilides, Dalentin und Marcion) betont, daß Gottes 
Sohn der Engelhilfe nicht bedürfe, und Cyrill von Alexandrien hat gegen⸗ 


1 z. B. in Buc. hom. 31 Pgr 13, 1879 ff. Pl. 26, 286 ff.: Schol. in Duc. 4 Pgr 17, 332. 
in Pf. 90, 11 Pgr 69, 1221/24; in Guc. 4, 10 Pgr 72, 532 f. 


137 


über den Arianern die Weſensgleichheit Chrifti, des „Herrn“, mit dem 
„Allerhöchſten“ energifh und erfolgreich verteidigt. War der Miß⸗ 
brauch des Derfes 13 durch die Arianer vielleicht mitbeſtimmend für 
feine Nuslaſſung im Traktus der meſſe? Heute, wo innerhalb der 
Kirche längſt ruhige Klarheit herrſcht und dem Chriſtus⸗Gläubigen 
die Gottheit des Heilands auch in der kühnſten Rede über feine hl. 
menſchheit unantaſtbar über allem Zweifel erhaben ſteht, können 
wir ſorglos und mit den gleichen Worten bald von uns bald von 
der heiligen Menſchheit unſeres Erlöſers reden. Bald ſteht in unſerem 
Dfalme, für unſer Beten, mehr Chriftus im Dordergrunde, bald mehr 
wir ſelber; bald redet Chriſtus aus ihm zu uns, bald wir zu ihm, und 
bald wieder reden wir mit ihm und durch ihn zum Dater. 

Das Beten des 90. Pſalmes in der Faſtenzeit mag auch eine Art 
„Proteſt fein und eine Sühne für Satans verwegenes Anſinnen an 
Chriſtus“ (Schufter, iber Sacramentorum III, 54). Mit feiner Ver⸗ 
ſuchung in der Wüſte bezweckte Satan nach den Vätern eine Derlockung 
geſu zu Gaumenluſt, Ruhmſucht und Habſucht. Was er eigentlich 
beabſichtigte, war nichts mehr und nichts weniger, als geſus heraus⸗ 
zuſchleudern aus der vom Vater ihm gewieſenen Bahn feines Erlöfer- 
berufes. Über den Rarfreitag ſollte es nach Gottes Ratfchluß zur 
Auferftehung der ganzen Menſchheit kommen. Satan wollte den hei⸗ 
land beſtimmen, ſtatt deſſen den bequemeren und menſchlich verlocken⸗ 
deren Weg jüdiſcher Meſſiasideale zu gehen. Der heiland hat durch 
die Erzählung der Verſuchung feine Jünger von den gleichen falſchen 
Meffiashoffnungen heilen wollen (vgl. Ketter, Die Derfuchung Fefu... 
117 ff. u. 133 f.). Wir willen, welchen Gang der Erlöfer zu unferer Er⸗ 
löſung ging und glauben faſt, es hätte gar nicht anders ſein können. 
Aber immer wieder wird ſich uns im eigenen Leben die Frage auf⸗ 
drängen, ob es denn auch für uns ſo ſein muß. Muß die Erlöſung der 
Einzelnen und ganzer Völker denn wirklich denſelben Weg gehen, den 
der Erlöfer ging? Erlöferideale und Erlöfungsidealel Der 90. Pſalm, 
in der Derfuchung geſu angeſtimmt und von dort her in die Liturgie 
der Faſtenzeit eingedrungen und nun ſo lang in ihr gebetet, könnte 
uns helfen, ſtatt langer unnötiger Fragen mutig und liebend mit dem 
Erlöſer den Weg zu gehen, den Er uns vorgegangen iſt. Er dauert 
ja nicht ewig: er hat ein Ende, da wo Chriſtus thront zur Rechten 
des Daters, Gottes „Heil“. „Zeige uns, o herr“, ſagt der hl. Bern⸗ 
hard, „dein Heil, und es genügt uns. Denn wer jenes ſieht, der ſchaut 
auch dich, weil er in dir und du in ihm“ (s. 17 in Ps. Qui habitat n 7). 

2 * Bu 


133 
Zwei Oſterpſalmen Abt Toftis. 


Mit einem Gedenkwort eingeleitet von B. Anfelm Manfer (Beuron). 


1. 


Es wallt ein Pilger hohen Dranges, 

er wallt zur ſel' gen Gottesftaöt, 

zur Stadt des himmliſchen Gefanges, 

die ihm der Geift verheißen hat. 

Und fieh! gleich Mutterarmen ſchließet 

die Stadt der Pforten Flügel auf, 

ihr himmliſcher Gefang begrüßet 

den Sohn nach tapfrem Pilgerlauf. 
(Gudwig Uhland) 


s wird heuer am 24. September ein Vierteljahrhundert, daß auf 

Montekaſſino Abt Luigi Toſti hochbetagt und hochverdient ruhig 
und gefriedet nach langem heißen Todeskampf im £reife feiner liebe: 
warm trauernden Mitbrüder von hinnen ſchied'. In den Denkmalen 
und Jeugniſſen vom religiöfen Innenleben des berühmt gewordenen 
Toten leuchtet mit ungemeiner kilarheit und Kraft das Suchen und 
Ringen nach der jenſeitigen ſeligen heimat. Lobend und liebend war 
er gewohnt nach dem ewigen Lande auszuſchauen und zu verlangen, 
wo Lob und Liebe kein Ende finden kann. Dieſer Zug in Toftis 
reicher Seele bedeutet eine wahre tiefe Oſterſtimmung und Oſter⸗ 
geſinnung, wie fie in der Apoftellefung der Oſtervigil nahegelegt wird: 
„Wenn ihr mit Chriſtus erſtanden ſeid, ſo ſuchet, was droben iſt, 
allwo Chriftus ift, thronend zur Rechten Gottes“ (Kol. 3, 1). Dieſer 
ſehnende Aufblick entſprach auch fo ganz dem Mahnwort des Gründers 
von Montekaſſino im vierten Kapitel ſeiner Mönchsregel: „Das ewige 
beben mit aller geiſtlicher Begier herbeiwünſchen.“ Damit iſt der Unter⸗ 
grund für innerlich wahre und hohe chriſtliche Oſterliedſchöpfung gegeben. 

Geboren war Luigi Tofti am 13. Februar 1811 zu Neapel. Deſſen 
zauberiſche Naturſchönheit nährte den früherwachten Sinn des kindes. 
Schon mit acht Jahren brachte die verwitwete fromme und vornehme 

Über Toſti vgl. u. a.: + Prälat Dr. Alfons Bellesheim in der Feitſchrift 
Der Katholik, 79. Jahrg., 1899, I. 8. 136—154; und bef. P. Placidus Müller 
0. 8. B. von Diſentis: Blätter der Erinnerung an Abt Luigi Tofti: im den 
Studien und Mitteilungen aus dem Benediktiner- und dem Ciftercienfer-Orden; 
21. Jahrg., 1900, 8. 356—383, und 8. 579—616. Dieſe ſchönen Blätter find eine 
freie dankenswerte Bearbeitung der weitblickenden und warmen Commemora⸗ 


zione di D. Puigi Tofti (Montekaſſino 1898) des verſtorbenen Kardinalerzbiſchofs 
von Capua und Bibliothekars der heiligen römiſchen Kirche Alfonſo Capecelatro. 


+ 


139 


mutter Vittoria Corigliano es ins Heiligtum von Montekaſſino, ver⸗ 
gleichbar dem hl. Beda Denerabilis, der mit ſieben Jahren dem hl. 
Benedikt Biscop ins ftloſter übergeben wurde. Montekaffino follte nun 
an die achtzig Jahre die geiftige Erdenheimat Toftis fein. Innerem 
Drange folgend hat er hier als Mönch Fuß und herz feſtgebannt, 
wie Dante Alighieri den hl. Benediktus feine im Paradies beſeligten 
Jünger und Brüder preiſen läßt (Paradiso 22, 49 f.). 

mit neunzehn gahren faßte und betrieb der jugendliche Mönch 
den Plan, feiner geiftigen Heimat ein gelehrtes Denkmal zu ſetzen. 
Nus neapolitaniſchem Feuergeiſt, nimmermüden Fleiß und edler, hei⸗ 
liger Hhausliebe erwuchs allmählich die dreibändige Geſchichte von 
Montekaſſino, der Stammabtei der abendländiſchen Mönche. Es 
iſt das bedeutſame Erftlingswerk Toſtis und trat 1842 an die Öffent- 
lichkeit. Genau ein halbes Jahrhundert nachher beſchloß er die ſtatt⸗ 
liche Reihe ſeiner weiteren geſchichtlichen Werke (1892) mit einem 
frommberedten und glänzenden Lebensbilde feines heiligen Daters Bene⸗ 
diktus, des Gründers und der wunderſamen Seele von Montekaſſino. 

Auf einem kleinen nach 1860 geſchriebenen Blatt in Toſtis Nachlaß 
findet ſich eine lichtvolle Zeichnung von Gang und Ziel der geſchicht⸗ 
lichen Studien dieſes Mönches. „Ich wollte das Geiſtesleben der 
Völker auf dem Boden der Kirche beſchauen. Die Unbeweglichkeit 
des Glaubensgeſetzes machte den Blick des Geſchichtsforſchers weniger 
ſchwankend. Im Schoß der Kirche ſieht man beſſer und weiter. Den 
Anfang machte ich mit Montekaſſino, meinem Heimatort im großen 
Reich der kirche. Ich erzählte von Mönchen. Aber es waren Mönche, 
die auf Grund der Zeitlage die Schlüſſel zur neuzeitlichen Geſchichte 
beſaßen. Sie führten mich in ihr Heiligtum ein. Ich ſtieg auf ſeine 
höchſte Spitze empor: zum Papſttum. Und das Papſttum ‚zeigte mir 
alle Reiche der Welt'. Ich erzählte von Bonifaz VIII., dem Papſte 
bewegteſten und ſpannungsreichſten Waltens. Gerade über feinem 
Grabe ſchieden ſich mit Schwert und UDerſtandesmacht Licht und Finſternis, 
und nun war eine neue Welt geſtaltet. Die Papſtſtellung in der neuen 
Welt zeigte ich ſchon an Alexander III., dem Stifter des ‚Lombarden- 
bundes“ und tatkräftigem Anwalt angeſtammten Dolkstums. Im 
Buche über die Gräfin Mathilde ſodann zeigte ich in Gregor dem 
Siebten den Begründer der ſtädtiſchen Semeinweſen. Endlich ſchil⸗ 
derte ich das päpſtliche Wirken in all jenen Hoheprieftern, die vom 
Schutzwall der Kirche herab in der Kirchenverfammlung von KRonſtanz 
die anvertraute Dollgewalt gegen den Gallikanismus verteidigten, der 
im Gewande von ktirchenräten auftrat, ſowie gegen die Rirchenfpaltung 


140 


in kaiſerlichem Bewande. Das ift der Kern meiner zwei Schriften: 
‚Die ktirchenverſammlung von Ronftanz‘ und ‚Die griechiſche Rirchen⸗ 
fpaltung‘. Schließlich machte ich Halt mit einer Rückfchau auf den 
durchlaufenen Weg. Dabei ſtiegen die Srundkräfte und Richtlinien 
der Geſchichte der Kirche vor mir auf ins Bewußtſein. In ihnen iſt 
die Unterlage mitgegeben auch für die Seſchichte der Einheit der Kirche. 
Ich vertraute mich ihnen gläubig an, durchdachte ſte und legte ſie 
ſchriftlich nieder im Buche „Allgemeine Einleitungsftudien über 
die Kirche“ (Don Luigi Toſti, Opere postume, Montecassino 
1899, 8. 168). Er 

nebſt ſolchen gelehrten und umfänglichen Werken ſchuf Tofti auch 
kleinere unmittelbar zur frommen ſeeliſchen Erhebung und Erbauung. 
Darunter nimmt wohl der „Pilgerpſalter“ wie die früheſte ſo 
auch die vornehmſte Stelle ein. Er erſchien erſtmals 1845. Toſti 
bot damit ein eigen⸗ und wohl einzigartiges Gebetbuch in geiſtvollem 
und ſich ganz frei bewegenden Anſchluß an den bibliſchen Pſalter, 
an die HI. Schrift überhaupt und an die Liturgie. Das kleine und 
unſcheinbare Buch iſt und wirkt wie ein Widerhall von Schrift und 
Liturgie in einer reinen hohen Seele. Man ahnt, was dieſe zwei 
Gottesmächte einer ſolchen ſagen und werden können. 

Der Gelehrte unter den heiligen Urapoſteln, Paulus der Apoftel- 
fürſt, ermuntert die junge Chriſtengemeinde der kleinaſiatiſchen Aultur= 
ſtadt Koloſſä ähnlich wie von Epheſus: „Mit Pſalmen, LCobliedern 
und geiſtlichen Gefängen lehrt und ermahnt einander“ (fol. 3, 16). 
Diefes Wort ſtellt wohl eine Keimkraft chriſtlicher Pſalm⸗ und Lied- 
dichtung dar. In feinem Licht bekommt der Pſalmenſchatz des 
Kaſſineſermönches ähnlich wie der volkstümlich lehrhafte Pſalm des 
hl. Ruguftinus wider den donatiſchen Irrtum beſondere Weihe und 
Stellung. Toſti dürfte dauernd einen bemerkenswerten Rang in der 
Geſchichte der chriſtlichen Pſalmendichtung gewonnen haben. 

Die ſprachliche Faſſung des Pilgerpſalters offenbart einen erha⸗ 
benen aber durchaus freien Gang und Fluß. Toſti äußerte einmal 
1860 in einem gedankenreichen Bruchſtück „Über chriſtliche Kunſt“: 
„Die höchſte künſtleriſche Form iſt die am wenigſten künſtliche“ (Opere 
postume, 5. 188). Anerkanntermaßen war Tofti als eigenartiger 
Dichter von bedeutender künſtleriſcher Begabung. Im Pilgerpfalter 
einen ſich ſüdländiſche chriſtliche Andacht und dichteriſche Geſtaltungs⸗ 
gabe vielleicht in ſeltenem Grade. Das Buch erſcheint würdig feiner 
Geburtsſtätte: mitten aus dem naturſchönen „glücklichen ktampanien“ 
erhebt ſich der Berg Kaſſino mit feiner altehrwürdigen Gottesburg 


‘ 


ö 141 


wie ein mächtiger Altar, von dem [yon über ein Jahrtaufend Pſalmen 
und Opfer emporfteigen und Segen ringsum und weithin niederquillt. 

Toftis geiftesverwandter Mitbruder und würdiger Freund P. Gallus 
Morel (+ 1872) von Einfiedeln hat 1854 den Pilgerpſalter nach der 
fünften italieniſchen Ausgabe deutſch unter dem Titel „Pſalmen“ dar⸗ 
geboten (Einſiedeln bei Gebr. Benziger). Die Gabe war zunächſt und 
eigens religiöfen Gebildetenkreifen zugedacht (8. Vf.), obwohl fie allen 
gilt und dient, die mit dem hl. Paulus glauben und ſagen: „Wir 
haben hier keine bleibende Stadt, ſondern ſuchen die zukünftige“ 
(Bebr. 13, 14). | 

In der fechften italieniſchen Auflage von 1860 zeigt gerade der 
Ofterpfalm gegenüber der Wiedergabe Morels nach der fünften einige 
Anderungen und Erweiterungen. Diesſeits der Alpen möchte aber 
die vorausliegende ſtraffere Form als die anſprechendere empfunden 
werden. Darum erſcheint ſie hier denn auch weſentlich in der Über⸗ 
tragung des fein nachempfindenden Einfiedlermönches beibehalten. 
Die Überſetzung dagegen des anderen öſterlichen Pfalmes von der 
allgemeinen „Auferftehung des Fleiſches“ iſt ein neuer Derfud. 
Er beruht auf dem italieniſchen Urtefte vom Jahre 1852, wie er in 
Toftis nachgelaffenen Werken vorliegt (Opere postume, 8. 82 — 84). 

hnlich wie Alessandro Manzonis Oſterhumne von 1812 iſt der 
erſte und eigentliche Oſterpſalm Luigi Toftis einfach mit „Ca Risur- 
rezione: Die Auferftehung” überſchrieben. Im Gegenſatz zum Feier: 
liede Manzonis kreiſt dieſer Oſterpſalm Toſtis nicht allein um das 
Geſchehnis der Auferftehung Chrifti, ſondern auch um das Geheimnis 
feines wunderbaren Einzuges in die Hhimmelsherrlichkeit beim Vater. 
Der Pſalm berührt nicht bloß den Oſtertag, ſondern weiterhin das 
Oſtergeheimnis im volleren Sinn: Kreuz und Grab, Urſtänd und 
Himmelfahrt. Etwas Verwandtes zeigt ſich 3. B. in dem alten und 
unverwelkten Oſterprozeſſionshumnus: „Salve festa dies: Gruß dir, 
hochfeſtlicher Tag.“ In dieſem Oſtergruß finden ſich mit der feinen 
Anſpielung auf die Frühlingsnatur mit⸗ und nebeneinander die Crinne⸗ 
rungen an Chriſti Tod und Grab, Auferftehung und Auffahrt ver⸗ 


knüpft. Dieſer liturgiſche Oſtergruß ſtammt weſentlich aus einem 


erhebenden Tauffeſtgedicht an Biſchof Felix des Horditalieners Denan⸗ 
tius Fortunatus, der ums Jahr 600 ſelbſt als Biſchof von Poitiers 


1 Dgl. fein ſehr anziehendes Lebensbild von P. Benno Kühne: P. Gall 
Morel; ein Mönchsleben aus dem 19. Jahrhundert; Einſiedeln, Benziger 1874, 
8.271 f. Sein Verhältnis zu freirhuthmiſchen Kunftgebilden, wie es auch die Toſti⸗ 
ſchen Pſalmen ſind, verrät ſchon ſeine Wertung des Chorals als der „höchſten 
Mufik“; a. a. O. 8. 188. 


142 


ftarb, und gerade bei ihm liegt auch dieſe Gedankenaufreihung aus- 
gefprochen vor (Ders 39 f.: in der Ausgabe der Monumenta Ber- 
maniae hist., 1881, S. 60)“. 

Wie auf Überlieferung fußt der unmittelbare Zuſammenſchluß von 
Oſtern und dem Geheimnis der Himmelfahrt des Herrn auf tiefer 
Sinnbildlichkeit und Anſchauung. Sie kommt im griechiſchen Oftern 
3. B. beim hl. Gregor von Nazianz (T um 390) in feiner aus 
gedehnten, glanzvollen Oſterfeſtpredigt etwa vom Jahre 385 zum 
Ausdruck. Der im Morgen: und Abendlande einflußreich gewordene 
Redner malt hier ſchon (8 25) mit klaſſiſch gebliebenen Strichen und 
Farben ein himmelfahrtsbild (Migne, Patrologia Graeca, Bö. 36 [1858] 
Sp. 657). Den Triumphzug des Auferftandenen von der Erde zum 
Throne des Vaters mag der große Gottesgelehrte, Redner und Dichter 
als höhepunkt und Krönung der Oſterfeiern empfunden haben. Gregor 
faßt und erklärt Oftern als Feſt des Auszuges und der Übergänge: 
die vorbildlichen altisraelitiſchen Oftern find ihm das Felt des Aus: 
zugs und Übergangs des alten Gottesvolkes aus Ägypten nach Kanaan; 
die neuen chriſtlichen Oftern bedeuten ihm Auszug und Übergang aus 
dem Niederen und Irdiſchen in das geiſtig hohe und Himmliſche. 
„Dieſe großen und hochehrwürdigen Oſtern heißen beim Hebräervolk 
in feiner Mutterſprache Phaska. Dieſes Wort aber beſagt Übergang. 
Geſchichtlich genommen bezeichnet es die Flucht aus Ägypten und 
die Derfegung nach kanaan; geiſtlich genommen aber den Wegzug 
aus dem Niederen in das höhere und die Hinauffahrt in das Land 
der Verheißung“ (a. a. O. 8 10; 8p. 636). Ganz im Zufammenklang 
mit Oſtergedanken der Kirchenväterzeit berührt das Oſterlied von 
Toſtis Pilgerpſalter einen dreigeſtaltigen Ubergang Chriſti: vom ſterb⸗ 
lichen Geben in das Grab, aus dem Grabe zur nee vom 
Ölberge in die himmliſche Gottesſtadt. 


1 Dol. zu dieſem Oſtergedicht Wilhelm Meyer aus Speyer in feiner Abhand- 
lung: Der Gelegenheitsdichter Denantius Fortunatus (Berlin 1901), 8. 37 f. 
und S. 81 f. Danach befingen dieſe 110 Derfe die feierliche Oſtertaufe an einer 
Sachſenſchar, deren Bekehrung dem eifrigen Biſchof Feli gelungen war. Sachſen⸗ 
gruppen befanden fi in jenen Zeiten 3. B. im Mündungsgebiete der Seine und 
Goire. Somit beſitzt der liturgiſche Ofterwillkomm Salve festa dies eine nähere 
und bleibende Beziehung zur chriſtlichen deutſchen Geſchichte. 


143 


2. 
Die NAuferſtehung Chrifti. 


leich dem Starken war der Herr entſchlummert, berauſcht von 

feiner unendlichen Liebe. Ins Gewand der Unverweslichkeit ge⸗ 
kleidet, raſtete er im Schoß der Erde. 

Der Boden trank das Blut dieſes ſchuldloſen bammes. Schweigend 
pilgerten von den vier Winden her die Dölker des Erdrunds und 
ſcharten fi ums blutige Kreuz. 

Ein hauch, der vom himmel her wehte, hatte fie verſammelt, und 
als fie das heilige Holz berührten, ergriff fie eine Liebe, wie die 
Liebe der Söhne zum gemeinſamen Dater. | 

Sie umarmten ſich wie Brüder, und es war kein Zwieſpalt der 
Sprachen und Länder mehr; und wie die Lämmerherde vor der Glut 
der Mittagsſonne im Schatten des dichtbelaubten Baumes ausruht, 
fo ruhten jene Völker alle als eine Familie am Fuße des Kreuzes. 

Und dieſe Familie ward dort vereint durch die Erlöſung, verbunden 
durch jenes Blut des bammes und geſchirmt durch Sottes Macht im 
Schatten des Kreuzes. 

Und in großer Erwartung harrten dieſe Völker, ſich fragend: 
Wan kommt endlich der ſtarke lebendige Gott? — und fie ſchauten 
ein wunderbares Geſicht. 

Die Erde wankte unter dem Fuß und Tritt des Auferftandenen: 
ſie wankte und warf die Schuld von ſich weg wie eine häßliche 
Schlange und verjüngte ſich zu neuem Leben. 

Schön wie Gott erſtand aus dem Grab der Tote, dem ſie den 
ſchmachvollſten Tod angetan. Dann ſchwang er ſich bald empor in 
der Fülle feiner Kraft. 

Sein Gewand war rot, wie das Gewand des helden, der von 
blutiger Walftatt kommt, und er trug ein Banner, auf dem in Flammen⸗ 
zügen ftand: O Tod wo ift dein Sieg? Er erſtand: und der Flammen⸗ 
fäule feines Slanzes folgte das aus Ägyptens kinechtſchaft befreite 
Ifrael, das er heim in das Land feiner Väter führt. 

Er erſtand, und als er dann bald die Himmel durchzog, ertönte 
ſein Ruf, der in der Ewigkeit nachhallte: „Offnet, ihr Fürſten, die 
ewigen Tore, und einziehen wird der König der Glorie.“ 

„Wer ift dieſer König der Glorie?“ — „Der herr, der Starke, 
iſt dieſer König der Glorie.“ — Und des Paradieſes Tore taten fi 
auf und der König der Glorie hielt ſeinen Einzug. 

Da traf der feiernde Sieger an der Schwelle zwölf Ältefte mit 


144 

Aronen auf den Bäuptern. Und die Älteften fielen alſogleich auf die 
Knie, legten ihm ihre Kronen zu Füßen und ſprachen: „Würdig ift 
das Lamm, das getötet ward, zu empfangen Ruhm und herrlichkeit.“ 

Und der herrliche trat ein, und wie er vorwärts zog, beugten ſich 
links und rechts die himmliſchen mit Siegespalmen in den Händen, 
und eine Stimme rief: „Preis und Ehre, Weisheit und Ruhm und 
Stärke ſei unſerem Gott von Ewigkeit zu Ewigkeit!“ — 

Und er ſchritt zum Throne des Vaters hinan und ließ ſich nieder. 
Und als der Dater ihn umkleidet ſchaute mit der verklärten Menſch⸗ 
heit, ſo herrlich wie an jenem Tage, da er ihn geboren, da hatte er 
ſein Wohlgefallen an ihm, und Vater und Sohn umſchlang das Ge⸗ 
heimnis unendlicher Liebe. 

Aber die Hhimmelstore ſchloſſen ſich nicht wieder. Wenn nach der 
weltverheerenden Sintflut der Friedensbogen ſich über der Stirne der 
Erde wölbte, fo ſenkte ſich jetzt aus jenen offenen Toren als Ausfluß der 
verklärten Menſchheit ein unverſieglicher Strom himmliſchen Glanzes. 

Und auf dieſem Lichtpfade wallte eine himmliſche Frauengeſtalt 
hernieder voll Anmut und Würde, eine Botin und Bringerin des Heils, 
eine Tochter ewiger Liebe zu uns: es war die Gottesgnade. 

Sie trat unter die Scharen am Fuße des ktreuzes; und wie ſich der 
Wohlduft des Weihrauchs von Saba verbreitet, fo ſtrömte beim Nahen 
der Gottesgnade Friede und Freude und heilige Liebe in jegliches Gemüt. 

Und es war den Menſchen, als ſeien ſie nicht mehr ſterblich, nicht 
mehr Rinder des Staubes, ſondern den en ähnlich geworden und 
Genoffen des Auferftandenen. 

Und in diefem Gedanken voll Wonne beftärkte fie jene himmliſche 
mit den Worten: „Ihr ſeid nicht mehr Bäfte und Fremdlinge, ſondern 
Mitbürger der Heimat der heiligen. 

Und ihr ſeid Tempel des lebendigen Sottes, erbaut über dem 
Grundbau der Propheten und Apoftel, deſſen Eckſtein iſt geſus Chriſtus. 

Auch ſeid ihr mit ihm auferſtanden. Wendet euer Seelenauge ab 
von der Erde, empor zum himmel: denn ihr ſeid mein heiliges Volk, 
eine auserkorene Familie, eine königliche Prieſterſchaft.“ 

Sie ſchwieg. Gleichwie des Abends leichte Wellen ans Ufer ſchla⸗ 
gen, erhob ſich leiſe Weinen und Seufzen unter allen Erdengeſchlechtern 
und ſie klammerten ſich noch inniger an das Kreuz und riefen mit 
geeinter Stimme: . 

„Du haft uns erlöft, o Bott, in deinem Blute; du haſt uns dir zu 
deinem Reich gemacht: Preis und Herrlichkeit, Weisheit und Ehre 
und Stärke fei unſerem Gott von Ewigkeit zu Ewigkeit!” 


145 


3. 
Die Auferfiehung des Fleiſches. 


nd ich glaube: dereinſt werde ich auferſtehen von der Erde der 
Derwefung: meine Gebeine fügen ſich wieder zu feſtem Gerüſt 
und ich umkleide mich mit dem Fleiſche meiner Geburt. 

niemals wird des Geiſtes Spur verwiſcht; über den Erdenftaub 
wandelte er dahin, und feine Fußſpur war mein Leib mit feinem 
Eintagsleben. 

Der Geift verließ ihn am Tage der NAuflöſung und ſprach zu ihm: 

„Warte, bis daß deine Umwandlung anbricht!“ 

Und mein Leib wanderte hinab in das Reich der Gräber und ruhte 
in der Erwartung feines Erlöfers, des Umbildners feiner Niedrigkeit, 
der meinen beib dem beibe ſeiner Klarheit gleichgeſtaltet. 

Ich weiß: mir lebt ein Befreier, und am jüngſten Tage darf ich 
auferſtehen von der Erde, und in meinem Fleiſche werde ich meinen 
Bott und Heiland ſchauen. 

Mag das Flügelrad der Zeiten darüber hinrollen, mag der Wüſten⸗ 
wind darüber herwehen, mag das Gebilde von Gottes Hand gar über 
das Antlitz der Erde verſtreut und vermengt liegen: dennoch ent⸗ 
ſchwinden niemals dem Auge Gottes die gedemütigten Gebeine. 

Es folgt ihnen im ganzen weiten Rund der Schöpfung: denn immer 
noch blitzen ſie von der Flamme der Denkkraft, und über ihnen 
zittert die Dämmerung des bebens. 

Was Sott miteinander verband, wird nimmer geſchieden; er hat 
meinem Fleiſch den denkenden Geiſt vermählt, und zum Geiſte kehrt 
zurück das verweſende Fleiſch. 

Legt mein Gebein in das herz der Berge: verſenkt es in den 
Meeresgrund: Gott wird ſie ſehen, und mein Geiſt wird den Buſen 
der Berge ſprengen und tiefe Flut austrocknen und ſich die aulle 
herholen, die ihn kleidete. 

Gott zog aus dem Nichts mein Fleiſch, und Bott wird es nee 
zurückziehen aus dem Erdenftaub: wo find die Markſcheiden feiner 
macht? Don des Geiftes Herrlichkeit ward er verherrlicht. 

O wie ſchön werden die Menſchenkinder fein am Buſen ihres 
Vaters! Sonnenhaft wird der Leib der Auferftandenen leuchten; in 
ihm kreiſt und waltet der Geift gleich einer zarten Flamme im lautern 
kriſtall; und von den Augen der Erſtandenen wiſcht Gottes Hand die 
Tränen (. beids hinweg. 

Hätte der heilige des herrn die Derwefung geſchaut: die Blume 

Benediktinifhe Wlonatfchrift IV (1922), 3—4. 10 


146 


der Hoffnung wäre am Rande unferer Gräber verwelkt. Chriftus ift 
erftanden! Mit ihm erſtehen wir. 

Am dritten Tag deckte er das Denkmal feiner Ruhe ab, und beim 
Erfcheinen feines ſiegverklärten Leibes werden die begrabenen Gebeine 
auf dem Antlitz der Erde frohlocken. 

mit feinem Leib Öurchörang er die himmel, und die Himmelstore 
verſchloſſen ſich ſeinen Schultern nicht; wie wogende Waſſer, die einen 
Weg gefunden, ſtrömte alles Fleiſch hinein: in Chriſti Menfchheit 
unſere Menſchheit. — 


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Kardinal Newman über Wege zur Wahrheit 
und Gewißheit. 


Don P. Daniel Feuling (Beuron). 


Lehr als bisher beginnt man in Deutſchland dem großen engliſchen 

ftonvertiten und fardinal g. Hh. Newman (11890) Aufmerfamkeit 
zuzuwenden. Auf verſchiedenen Seiten rüſtet man ſich, ja ift man 
ſchon gerüſtet, ſeine Gedankenwelt und ſein Schrifttum dem deutſchen 
Gefer zu erſchließen. Ein Hauptwerk des gedankentiefen Oratorianers, 
ſein letztes größeres Werk, iſt im vergangenen Jahr in deutfcher Über⸗ 
fegung? vorgelegt worden: der „Essau in aid of a Grammar of Assent“, 
gewöhnlich „Grammar of Assent“ genannt, von Newman erſtmals im 
gahre 1870 veröffentlicht. Juerſt ſei die Abſicht und die Bedeutung 
dieſes Werkes, dann die deutſche Überſetzung beſprochen. 

Die „Srammar of Assent” iſt die Frucht eines jahrzehntelangen 
Nachdenkens über die Fragen der Wahrheitsgewißheit überhaupt und 
der vernünftigen Rechtfertigung des chriſtlichen und katholiſchen Glau⸗ 
bens im beſonderen. Schon als Anglikaner veröffentlichte Newman 
im gahre 1843 einen Band mit vierzehn Predigten (eine fünfzehnte 
wurde der dritten Auflage 1872 beigefügt), die er im Laufe der Jahre 
1826 - 43 vor der Univerfität Oxford über Grundfragen des religiöfen 
Gebens, des Glaubens und feines Derhältniffes zur Dernunft gehalten 
hatte (Fifteen Sermons preached before the University of Oxford). 
Beſonders während der fünfziger und ſechziger Jahre beſchäftigten ihn 
jene großen Fragen aufs neue, und es ließ ihm keine Ruhe, bis er 
in mühevoller Arbeit das in Buchform ausgeſprochen hatte, was ihm 
fo oft durch den Geiſt gegangen war. So erſchien denn endlich, als 
Newman ſchon im ſiebzigſten bebensjahre ſtand, dieſes Buch über die 
Juſtimmung oder das Fürwahrhalten. 


1 Über ſtardinal lewmans Geben, Schriften und Geiſtesart habe ich in drei Auf« 
ſätzen der Hiſtoriſch⸗Politiſchen Blätter Bd. 155 (1915) 297 ff. 474 ff. näher gehandelt. 


2 Newman, John Henry Kardinal, Philoſophie des Glaubens (Grammar 
of Assent). Ins Deutſche übertragen und mit einem Nachwort von Theodor Haecker. 
mit einem Bildnis des Kardinals Newman. gr. 8° (VI u. 448 8.) münchen 1921, 
Hermann A. Wiechmann. M. 75.—; geb. M. 90.— 


r 


147 


Die „Srammar of Assent”, über deren Entſtehungsgeſchichte man 
Wilfrid Ward, The bife of 9. 9. Card. Newman II (1912) 242 — 278 
nachleſen mag, entſprang aus dem Wunſche, darzulegen, wie der 
ſchlichte, ungelehrte Menfch, im Unterſchied zum wiſſenſchaftlich denken⸗ 
den Theologen, der vernunftgemäßen Rechtfertigung des Glaubens hab⸗ 
haft und gewiß wird (vgl. Ward II 243). In der Ausführung wurde 
dies Ziel wohl noch immer in der Hauptfache vor Augen gehalten, 
aber Newman beſchränkte ſich darauf, Unterſuchungen hauptſächlich 
pſuchologiſcher Art über die Zuſtimmung (assent), über ihre Eigen 
ſchaften und Arten, über die Wege zu ihr ſpeziell in konkreten Tatſachen⸗ 
fragen vorzulegen und die Hnwendung der gewonnenen Ergebniſſe auf 
die Glaubenszuſtimmung und deren Rechtfertigung verſtändlich zu 
machen. nichts lag Newman ferner, als eine vollftändige Theologie 


und Pſuchologie des Glaubens bieten zu wollen. Vielleicht hat dies 


N. Gardeil O. P. nicht hinreichend vor Augen gehabt, als er in feinem 
bedeutenden Werke „La crédibilité et l'Npologètique“ (* 1912) 283 
bemerkte, daß Newman ſich in der „Grammar of Assent“ von vorn⸗ 
herein jede Möglichkeit genommen habe, zum ſpezifiſch chriſtlichen 
Slauben apologetiſch hinzuführen, weil die Zuſtimmung, von der er 
handle, nicht die Juſtimmung zum göttlichen Offenbarungszeugnis als 
ſolchem ſei. Newman hat (Husg. 1909 S. 100; Überf. S. 83) ganz 
ausdrücklich hervorgehoben, das dem chriſtlichen Glauben Weſentliche 
„weil Gott es geſagt hat“ liege außerhalb des Rahmens und Zieles 
ſeines Werkes. Man vergleiche übrigens die Ausführungen Gardeils 
in der Revue pratique d’Apologetique 7 (1908) 1985, wo er die 
große praktiſche Bedeutung der Nnewmanſchen Art der Rpologetik 
vollauf anerkennt. 

In dem Ausbau ſeiner behre über die Zuſtimmung treten mehrere 
Punkte ſtark hervor. Einmal die Unterſcheidung zwiſchen der „realen“ 
und der „begrifflichen“ Juſtimmung, deren erfte ſich auf konkrete 
Dinge, wirkliche Perſonen und dergleichen bezieht, während die be⸗ 
griffliche Zuftimmung abftrakten Sätzen gegeben wird. Als eine vor⸗ 
zügliche Eigentümlichkeit der „realen“ Juſtimmung ſchildert Newman 
deren lebendige Kraft, die eng zuſammenhängt mit der Bildhaftigkeit, 
mit der die konkreten Gegenſtände im Unterſchied von der abſtrakten 
erfaßt zu werden pflegen. Hier liegen wertvolle Anregungen für die 
Pſuchologie, wiewohl ſich bei genauerer Prüfung herausſtellen dürfte, 
daß newman die Grenzen zwiſchen den zwei Arten der Zuſtimmung 
allzu ſcharf gezogen hat. — Das zweite, was hervorgehoben werden 
muß, ſind die Ergebniſſe über die Schlußfolgerung. Newman findet, 
daß der gewöhnliche und natürliche Weg, zu neuen Denkergebniſſen zu 
gelangen, keineswegs der Syllogismus der ariſtoteliſchen Logik iſt — 
etwa nach dem Schema: Wer lügt, verdient kein Vertrauen; Max 
fügt; alfo verdient Max kein Vertrauen, — ſondern daß der Geiſt des 
des Menſchen auf einfachere, unmittelbarere Weiſe, auf dem Wege 
„formloſer Folgerung“, durch eine Art geiſtigen Inſtinkts oder Folge⸗ 
rungsſinnes zu feinen Folgerungsſätzen kommt. Ganz beſonders treffe 
dies bei den konkreten Wahrheiten zu, etwa bei der Schlußfolgerung, 


10* 


148 


daß die Erſcheinung und Geſchichte der Kirche ihren übernatürlichen 
Charakter und Urfprung beweiſe. Auch hier wird die philoſophiſche 
£ritik an manchen Punkten einzuſetzen haben, namentlich wo es ſich um 
den Gewißheitsgrund der erften Prinzipien handelt. Aber hinſichtlich 
des gewöhnlichen tatſächlichen Verlaufs der menſchlichen Schluß⸗ 
folgerungen hat gerade die neueſte experimentelle Unterſuchung New⸗ 
man weithin recht gegeben. Ugl. 9. Cindworski 5.9., Das ſchluß⸗ 
folgernde Denken. Experimentell⸗ pſuchologiſche Unterſuchungen. 
Freiburg, Herder 1916. — Mit den Feſtſtellungen über die „reale“ 
Zuftimmung und das formloſe Denken hängt eng zuſammen die 
ftarke Betonung des Perſönlichen und der ſittlichen Seelenverfaſſung, 
wo immer es ſich um ſittliche und religiöfe Überzeugungen und ihre 
Begründung handelt. Nie wollte Newman damit die objektive Wahr⸗ 
heit und ihre rein ſachliche Erweisbarkeit auf den genannten Gebieten 
in Zweifel ziehen: mehr als einmal hat er dies nachdrücklich erklärt. 
Er wollte nur die tatſächliche Bedeutung von Perſönlichkeit und Be- 
ſinnung für die Annahme oder Ablehnung religiöſer und ſittlicher 
Wahrheiten ſichtbar machen. Wenn dabei das eigentlich Einſichtige 
der letzten Erkenntniſſe und Prinzipien im Großen und Ganzen zu 
wenig hervortritt, ſo iſt dies ein Mangel, der ſich durch eigenes Denken 
leicht beheben läßt. Überaus wertvoll iſt und bleibt die Erkenntnis, 
daß wir für unfere Überzeugungen verantwortlich find — niemand 
hat dies bisher fo überzeugend dargetan wie eben Newman. — Wichtig 
it auch die Lehre Newmans, daß nicht etwa bloß ſtreng logiſche, 
zwingende Beweisführung, ſondern auch die hohe Wahrſcheinlichkeit 
einer Erkenntnis, wie fie namentlich durch die Häufung ſelbſtändiger 
Wahrſcheinlichkeitsgründe gewonnen wird, eine von vernünftigen 
Zweifeln ungetrübte Gewißheit zu ſchaffen geeignet und beſtimmt iſt. 
war meint Gardeil (Crédibilité 283), es handle ſich bei lewman 
nicht um eigentliche Gewißheit, ſondern immer nur um eine wenn 
auch ſtarke Meinung; allein eine unbefangene Prüfung ſcheint uns 
zu ergeben, daß Newmans Auffalfung ſich in ihrem Berne durchaus 
deckt mit den Ergebniſſen, zu denen Gardeil ſelbſt in ſeiner bei uns 
viel zu wenig bekannten Studie über die certitudo probabilis (8. Tho⸗ 
mas, S. th. II II q. 70 a. 2) gelangt iſt (Ca certitude probable, in Revue 
des sciences philosophiques et theologiques 5 [1911] 237 ff., 441 ff.). 

Die „Grammar of Alssent“ ift, der Natur ihres Gegenftandes ent⸗ 
ſprechend, auf weite Strecken hin ein nicht eben leichtes Buch. Aber 
die zahlreichen und großen Abſchnitte über das Gewiſſen, den Gottes= 
glauben, die natürliche Religion und das Chriſtentum ſind leicht zu 
verſtehen und vermögen auch dem weniger philoſophiſchen Lefer koſt⸗ 
bare Erkenntniſſe zu geben, von denen aus dann wohl auch die 
ſchwierigeren, aber nie eigentlich abſtrakten Teile des Werkes zugäng⸗ 
licher werden. Wertvolle Dienſte bei Studium und Verwertung der 
Grammar kann das hilfsbuch leiſten, das John J. Toohey 8. 9. 1906 
herausgegeben hat unter dem Titel: An indexed Synopsis of an essay 
in aid of a Gr. o. A. (Condon, Longmans, Green & Cie). 

Soviel über die „Srammar of Assent” an ſich. 


149 


Nun zu Haeckers deutſcher Überfegung. Daß eine Überſetzung ſehr 
zu begrüßen iſt, bedarf nach dem Gefagten keiner weiteren Begrün⸗ 
dung. Daß aber auch eine Überſetzung Newmans, und zumal der 
„Grammar of Assent“ Reine leichte, vielmehr eine ungewöhnlich ſchwere 
Sache iſt, weiß jeder, der in Newmans Engliſch zuhauſe iſt und ſich 
ſelbſt, zumal für den Fall der Grammar, die Frage der Überſetzung 
manchmal geftellt hat. Ich habe mir die Mühe genommen, haeckers 
Überſetzung von Satz zu Satz mit dem Original zu vergleichen. Allem 
Anſchein nach hat Haecker eine frühere Ausgabe benützt, die die letzten, 
allerdings unweſentlichen Uerbeſſerungen des ktardinals nicht enthält; 
ſo mögen ſich manche Abweichungen der Überſetzung von dem mir 
vorliegenden Abdruck des gahres 1909 erklären. Daß Haecker ſich 
große Mühe gegeben hat, Newman getreulich wiederzugeben, leuchtet 
aus jeder Seite hervor. Tatſächlich hat er im Großen und Ganzen 
den Sinn Newmans klar erfaßt und verſtändlich wiedergegeben. 
Freilich fehlt es nicht an Stellen, deren Sinn ihm weniger deutlich 
geworden iſt. Es finden ſich Sätze, in denen der Sinn des Originals 
nicht erkennbar iſt. Manche Einzelheiten genau wiederzugeben, wäre 
nur ein Theologe von Fach imftande geweſen. So iſt Seite 104 der 
theologiſche Fachausdruck aus der Trinitätslehre „notio“ mit „Be⸗ 
griff“ übertragen, was den von Newman beabſichtigten Sinn über⸗ 
haupt nicht erraten läßt. Des öftern hat der Überſetzer die feinen 
Gedanken⸗ und Vorſtellungsverknüpfungen einzelner, und zwar auch 
wichtiger Wörter nicht oder doch nicht ſcharf genug erfaßt und ift 
damit dem Sinn und der Stimmung des Originals fern geblieben. 
Als Beiſpiel nenne ich das Zeitwort to realise, das meiſtens mit „ver⸗ 
wirklichen“ überſetzt wird, wodurch die betreffenden Stellen unkennt⸗ 
lich werden: meiſt hätte etwa „lebendig inne werden“, „die Bedeu⸗ 
tung der Sache erfaſſen und empfinden“ oder etwas Ähnliches ſtehen 
müſſen. Im Allgemeinen hat wohl der Überſetzer dem Grundſatze 
gehuldigt, dem Original auch im Einzelnen, und namentlich in der 
Wortſtellung ſoweit nur immer möglich zu folgen. Das hat gewiß 
feine Vorteile, aber auch feine Nachteile. Das Ergebnis muß unferm 
deutſchen Sprachempfinden oftmals widerſtreben und infolgedeſſen dem 
leichten Gefen und Derftehen Eintrag tun. Nufgefallen ift mir, daß 
der Überſetzer — hier anders vorgehend als die ſeit 1907 vorliegende 
franzöſiſche Überſetzung der Madame Gaston Paris — nicht nur die 
prachtvolle Widmung des Buches, ſondern auch eine Anzahl zum 
Teil recht wertvoller Anmerkungen und den erſten Anhang am Schluſſe 
des Buches weggelaſſen hat ohne das zu rechtfertigen oder auch nur 
anzumerken. Und auch der Titel, der für die deutſche Überſetzung 
gewählt worden iſt, will mir nicht gefallen. Newman hätte ihn 
ſicher nicht gebilligt. Mit vollem Bedacht hat er feinen eigenen Titel 
gewählt, der ſich deutſch etwa fo wiedergeben läßt: „Verſuch eines 
Beitrags zu den Brundlehren von der Zuſtimmung“. — Trotz dieſer 
Ausftellungen erkenne ich den Wert der Überſetzung gerne an. Sie 
iſt da und dort verbeſſerungsfähig und ⸗ bedürftig, wird aber gewiß 
vielen gute Dienſte leiſten und hoffentlich manchen der Wahrheit näher 


eo 


150 


bringen. Ich für meine Perſon bekenne gerne, daß mir das Verſtänd⸗ 
nis von mehr als einer Stelle der „Srammar of Nssent“ durch Haecker 
erleichtert worden iſt. Und wer etwa eine völlig einwandfreie und 
ſprachlich vollkommene Überſetzung zu ſchaffen unternähme, dürfte das, 
was Baecker geleiſtet hat, auf keinen Fall unberückſichtigt und un⸗ 
verwertet laſſen. . 

Das Nachwort des Überſetzers, das Sinn und Bedeutung des Werkes 
verſtehen lehren möchte, enthält manche gute Bemerkung. Mit Recht 
wird gefagt, daß man Newmans Ausführungen nicht im Sinne des 
nominalismus deuten dürfe, obwohl manches wie Nominalismus 
klingt. Weniger getroffen iſt der Gedanke Uewmans, wenn die Be 
griffe als bloße Zeichen, ähnlich den mathematiſchen Sumbolen, erklärt 
werden. Das war gewiß nicht newmans Abſicht. Und wenn Hhaechker 
gerade an ſolche Deutung feine eigene erkenntniskritiſche Nuffaſſung 
anknüpft, ja darauf ſie gründen möchte, ſo ſei zu bedenken gegeben, 
daß damit alle wahre Philoſophie und alle Wahrheitserkenntnis im 
Prinzip unmöglich wird. Nur wenn unſere Grundbegriffe — von Sein, 
Weſen, Daſein, Urſache, Wahr, Gut uſw. — Erfaſſungen des Seienden 
und Wirklichen ſind, nur dann kann unſerer menſchlichen Erkenntnis 
Wirklichkeits⸗ und Wahrheitswert zugeſchrieben werden. Andernfalls 
iſt alles nur Traum und Wahn, und auch newmans Wegweiſung 
zur Wahrheit ohne Sinn und Wert. | 


Die Macht der katholiſchen Kirche. Iſt beim Übertritt von einer Religion 
zu einer anderen „die Ülbereinftimmung dieſer Religionen in gewiſſen Gehrftücken 
von Bedeutung, ſelbſt wenn die gemeinſamen Punkte nur gemeinſam feftgehaltene 
Irrtümer ſind: ſo wird der Übergang von einer Religion zu einer anderen ohne 
Beeinträchtigung vorhandener Gewißheiten noch um vieles natürlicher fein, wenn die 
gemeinſamen Punkte, auf die ſich jene Gewißheiten beziehen, Wahrheiten find; und 
noch ftärker und nötigender wird in diefem Falle die Sympathie fein, mit der Geifter, 
die die Wahrheit lieben, ſelbſt wenn ſie ſie in Irrtum eingeſchloſſen haben, ſich nach 
dem Ratholifhen Glauben ſehnen, der in ſich enthält und als fein Eigentum bean; 
ſprucht alle Wahrheit, die ſonſtwo zu finden iſt, und mehr als alle, und nichts als 
Wahrheit. Das ift das Geheimnis des Einfluffes, durch den die Rirche Konvertiten 
aus fo verſchiedenen und einander widerſtreitenden Religionen an ſich zieht. Sie 
kommen, nicht fo ſehr um zu verlieren, was fie haben, ſondern um zu gewinnen, 
was ſie nicht haben; und damit vermittelſt deſſen, was ſie haben, ihnen noch mehr 
gegeben werde. Der hl. Auguftinus ſagt uns, daß es keine falſche Lehre gebe ohne 
eine Beimiſchung von Wahrheit; und eben durch das Gicht jener einzelnen Wahr⸗ 
heiten, die in den verſchiedenen Religionen der Menfchen enthalten find, und durch 
unſere Gewißheiten über ſie, die möglich ſind, wo immer ſich jene Wahrheiten finden, 
ſuchen und finden wir langſam aber ſicher unſern Weg zu der Einen Religion, die 
Gott gegeben hat, und wir nehmen dabei unfere Gewißheiten mit, nicht um fie 31 
verlieren, ſondern um fie noch ſicherer zu bewahren und um ihre Gegenftände noch 
vollkommener zu verſtehen und zu lieben.“ 

Uewman, Grammar of Assent (Ausg. 1909, 8. 249). 


K 4 * 


7 


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Kleine Beiträge und Hinweiſe 
dur Pflege der Viturgiewiſſenſchaft. 


enn Dom Louis Sougaud in einem ſehr ſumpatiſchen Artikel der „Revue des 

Jeunes“ 12 (1922) 294 301 über die liturgiſche Bewegung in Deutſchland 
den hochwürdigſten Abt von Maria-Gaady Dr. IAdefons Herwegen den „portesetendare 
le plus autorise“ dieſer Bewegung nennt, fo iſt das kein billiges, nichts ſagendes 
Kompliment, ſondern die Anerkennung des bisher von Maria-Laad) aus Geleiſteten. 
Jedem Beobachter muß die Folgerichtigkeit und Zielſtrebigkeit der Laacher Unter⸗ 
nehmungen auffallen, die alle in einer Pinie liegen und alle um den großen Ge⸗ 
danken der liturgiſchen Erneuerung gruppiert find: Ecclesia orans, Giturgiegefchicht- 
liche Quellen, Piturgiegeſchichtliche Forſchungen. Wie ſehr aber die Abtei Maria⸗Oaach 
damit einem Bedürfnis des deutſchen katholiſchen Lebens und wiſſenſchaftlichen 
Arbeitens entgegenkam, zeigt der Umſtand, daß bereits im letzten Jahr ein „Verein 
zur Pflege der liturgiſchen Wiſſenſchaft“ gegründet werden konnte, der jetzt an⸗ 
nähernd ſechshundert Mitglieder zählt. Durch dieſen Verein iſt es den deutſchen 
Katholiken ermöglicht, in tatkräftiger Weiſe die fo wichtigen Unternehmungen zu 
fördern und anderſeits zu Dorzugspreifen in den Beſitz der Arbeiten zu gelangen. 

Durch die Bildung dieſes Vereines wurde es auch möglich, den liturgiſchen 
Quellen und Forſchungen ein ſchon länger geplantes „Jahrbuch für biturgiewiſſenſchaft“ 
beizufügen.” 1921 iſt nun der erſte Jahrgang erſchienen, herausgegeben von 
P. 060 Caſel aus Maria-Gaady unter Mitwirkung von Profeſſor Dr. A. Baumſtark 
und Dr. R. Guardini. 

Dieſes erſte Jahrbuch überraſcht nach Form und Inhalt. Um mit der Form 
zu beginnen, ſei zunächſt erwähnt, daß man in der Nachkriegszeit nicht leicht eine 
ſolche Rusftattung bei einem wiſſenſchaftlichen Unternehmen findet. Papier und 
Druck machen dem Aſchendorffſchen Verlag alle Ehre, während das ſtattliche, vor⸗ 
nehme Rusfehen von dem guten Gefchmac der Herausgeber zeugt. 

Wer ſich mit dem Inhalt näher befaßt, gewinnt bald den Eindruck, daß der 
Herausgeber bemüht ift, alles Unreife und Dilettantiſche fernzuhalten und nur 
gründliche, methodiſch gearbeitete Beiträge aufzunehmen. Klar und beſtimmt for⸗ 
muliert er in der Einführung die Grundſätze des Unternehmens, die Gewähr bieten 
für die Zukunft des Jahrbuches. Zu begrüßen ift die Zweiteilung in einen geſchicht⸗ 
lichen und ſuſtematiſchen Teil. Denn die Giturgiewiffenfhaft wie das liturgiſche 
beben ſehen ſich vor Fragen geſtellt, die neben der geſchichtlichen Betrachtungsweiſe 
eine ſuſtematiſche Behandlung erfordern. Freilich iſt bei einer ſolchen die Gefahr 
des Dilettantismus oder wenigſtens einer ſchöngeiſtigen Betrachtungsweiſe größer, 
als bei einer hiſtoriſchen Unterſuchung. Mit Recht betont daher der Herausgeber, 
daß die hiſtoriſchen Nufſätze ſchon aus inneren Gründen in der Regel den größeren 
Raum für ſich beanſpruchen werden. Wirklich tiefgehende, wiſſenſchaftliche, ſuſte⸗ 
matiſche Unterſuchungen werden wohl von ſelbſt nicht ſo reichlich bei der Schrift⸗ 
leitung einlaufen. Aber daß ein eigener Raum für ſuſtematiſche Arbeiten geſchaffen 
wurde, iſt hoch anzuſchlagen und wird gewiß manches Gute fördern zum Segen 
der biturgiewiſſenſchaft und nicht zuletzt des liturgiſchen Lebens. 

Die geſchichtlichen Aufſätze werden eröffnet durch die ſorgfältige Unterſuchung 
Baumftarks über „Das Communicantes und feine heiligenliſte“, die zu dem über⸗ 
raſchenden Ergebnis führt, daß die endgültige Geftalt des Communicantes wohl erſt 
ins ſiebte bis achte Jahrhundert anzuſetzen iſt. Eine Stellungnahme zu dieſem Auf- 

1 Verlag der Afchendorfffhen Buchhandlung. Münſter i. W. gr. 8° (IV u. 216 8.) M. 60.—. Vergl. 
P. Cunibert Mohlberg. Ein Jahrbuch für Giturgiewiſſenſchaft. Diefe Jeitſchriſt 3 (1921) 495— 98. 


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fat ſoll hier nicht verſucht werden, da dies in einigen wenigen Sätzen ganz aus 
geſchloſſen wäre. Leicht hat es Baumſtark auch diesmal feinen Gefern nicht gemacht, 
und doch wird jeder, der über den rõmiſchen Meßkanon ſtudiert, ſich mit diefer befonders 
durch reiches Vergleichs material ausgezeichneten Arbeit auseinanderſetzen müſſen. 

Methodiſch lehrreich und anregend iſt der Beitrag des Herausgebers P. 086 
Cafel über „Actio in liturgiſcher Derwendung“. Schritt für Schritt vorgehend kommt 
er zu dem Ergebnis, das zwar ſchon früher geahnt, aber nie fo klar bewieſen 
wurde, daß nämlich „Actio“ die Opferhandlung, die Feier des Opfermuſteriums der 
meſſe bedeutet. Der Artikel ſchließt mit einer feinen Bemerkung, die wir heraus» 
heben möchten, da fie für jeden wichtig ift, der irgendwie mit Liturgie ſich abgibt. 
„Sie (nämlich die Bezeichnung „HActio“) iſt zugleich ein wichtiger Fingerzeig für die 
Beurteilung der altchriſtlichen Liturgie überhaupt. Nicht ſtumme Derfenkung iſt ihr 
Inhalt, nicht abftrakte, theologiſche Doktrin ihr Gegenftand, ſondern Handlung, Tat; 
aber eine Tat, die voll tiefer Beſchauung iſt: das Myſterium der Erlöſung durch 
Tod und Auferftehung des Herrn.“ 

Auch der folgende Auffag iſt der Unterſuchung eines einzelnen liturgiſchen 
Wortes, der „Devotio“ gewidmet. Leider weilt der Derfaffer P. Auguftir Daniels 
nicht mehr unter den Pebenden. Er hatte ein eigenartiges Geſchick, derartige Unter⸗ 
ſuchungen durchzuführen. Erinnert ſei an feine Abhandlung über „Pax“ in der 
Weihnachtsgabe „Pax“ der Abtei Maria aach an die Akademiker im Felde (1917). 
P. Daniels verſtand es, das Material zu ſcheiden und zu gruppieren, und dann 
mit überlegener Klarheit darzulegen. Niemand, der dem Verfaſſer im Geben nahe 
ſtand, wird feine letzte Arbeit ohne ein Semiſch von Freude und Wehmut leſen. 
Mit Freude und zuweilen mit heiterem Lächeln läßt man ſich belehren über die 
ſechs verſchiedenen Bedeutungen von devotio. Wehmütig aber ſtimmt der Gedanke, 
daß dieſe Kraft der liturgiſchen Forſchung entriſſen iſt. 

Einen Blick in die oſtſuriſche Liturgie gewährt uns R. Rücker in feiner Dar- 
ſtellung der „Wechſelnden Gefangsftücke der oſtſuriſchen Meffe.* Es iſt dankbar zu 
begrüßen, daß uns die Kenntnis der orientaliſchen Liturgie durch Fachleute erſchloſſen 
wird. Denn nur bei einer ausgedehnten vergleichenden Methode entgeht die Gitur- 
gieforſchung der Gefahr voreiliger Schlüſſe und einfeitiger Beurteilung. Die Arbeit 
Rückers wird vor allem wertvoll ſein für die Erforſchung des von der Sunagoge 
beeinflußten Wortgottesdienftes. 

Den Schluß der hiſtoriſchen Aufſätze bildet eine Studie über ein „Ambrofius- 
zitat in einer VDotivmeſſe“ von P. Anfelm Manſer aus Beuron. Huf Grund feiner 
umſichtigen und gründlich durchgeführten Unterſuchung gelangt der Derfaffer zu dem 
Ergebnis, daß Alkuin wahrſcheinlich der Derfaffer der Oration iſt, in die ein Am- 
brofiuszitat eingearbeitet iſt. Einen beſonderen Reiz dieſes Auffages bilden die Rus · 
blicke in große Zuſammenhänge, die der Derfaffer in unaufoͤringlicher Weiſe aufdeckt 

Den Grundſtein zum ſuſtematiſchen Teil legt Suardini mit einem beadtens- 
werten Hufſatz „Über die ſuſtematiſche Methode in der Piturgiewiſſenſchaft.“ Ju 
gleich liefert er noch einen weiteren Bauſtein „Das Objektive im Gebetsleben”. 
Guardinis Beiträge find deshalb bemerkenswert, weil fie in etwa für den ſuſtema⸗ 
tiſchen Teil des Jahrbuches charakteriſtiſch und normgebend ſein dürften, und zwar 
in der Problemſtellung wie in der Art der Behandlung. es ſind Grundfragen, die 
aufgeworfen werden, und die Antworten, die darauf gegeben werden, find nicht 
die eines Polemikers, der um jeden Preis eine Idee durchfechten will, ſondern die 
eines Philoſophen und Theologen, der ruhig und leidenſchaftslos die Fragen an⸗ 
hört, den Schwierigkeiten ins Auge ſchaut und ſie dann vom Standpunkt der Philo⸗ 
ſophie und Theologie aus zu löſen verſucht. Wir verſagen es uns, jetzt näher auf 
den Inhalt der beiden Aufſätze einzugehen, hoffen aber Zeit und Gelegenheit zu 
finden, in dieſer Zeitfhrift ausführlich auf manche Anregungen 6.’s einzugehen. 
Eine Bitte wird er uns nicht übel nehmen: in feinem Ausdruck noch ſchlichter, ein: 


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facher, anſpruchsloſer zu werden. Das foll aber keine Kritik feiner Methode fein. 
Im Gegenteil, es muß betont werden, daß nur mit Hilfe der von Guardini befolgten 
methode manche Gebensfragen der Liturgie, wie z. B. Liturgie und Privatgebet, 
Giturgie und Volksandacht, Liturgie und Myftik ufw. gelöft werden können. Die 
Anmerkung, mit der die Schriftleitung den zweiten Hufſatz verfehen hat, dürfte 
inſofern überflüffig fein, als ja 6. nirgends eine apodiktiſche Löfung zu geben ver⸗ 
ſucht hat, ſondern vielmehr die Diskuſſton anregen will. Eine ſolche hätte aber der 
Schriftleiter beſſer in einem eigenen Artikel ausgefochten, ſtatt ſie in einer Anmerkung 
anzudeuten. Seine Gedanken hätten wahrſcheinlich an Klarheit und Tiefe gewonnen, 
während fie jetzt leider bei der Kürze an manchen Stellen verſchwommen und miß- 
verſtändlich find. 

Fwiſchen den beiden Aufſätzen Guardinis ſteht der Artikel von P. Thomas 
Michels aus Maria⸗Paach „Die Liturgie im Lichte der kirchlichen Gemeinſchaftsidee“. 
Bon der Idee der Gemeinſchaft aus wird ein Querſchnitt durch die ganze Liturgie 
gezogen. Dieſe Art der Giturgiebetrachtung iſt ſehr fruchtbar, wenn der Verfaſſer, 
wie es hier geſchieht, ſtets auch die Pängsſchnitte, d. h. das geſchichtliche Werden 
herausfühlt und durchſchimmern läßt. 

In den Miſzellen werden kleinere Beobachtungen mitgeteilt und Fragen auf⸗ 
geworfen. P. 080 Caſel ſpricht über Taufliturgie und Mönchsprofeß. Er zeigt, wie 
in der benediktiniſchen Profeß wahrſcheinlich die uralte Taufformel nachklingt. 

P. Petrus Siffrin aus der Abtei St. Joſeph liefert einen Beitrag zur Entſtehungs⸗ 
zeit des Advents. Er geht von der Tatſache aus, daß die urſprüngliche Stations- 
kirche des erſten Höventsfonntags, St. Andreas, Ende des fünften Jahrhunderts er⸗ 
haut und wohl bald nach ihrer Errichtung für die Statio des erſten Advents- 
ſonntags beſtimmt wurde. Die Einführung des Advents in Rom dürfte ſomit ins 
ende des fünften Jahrhunderts hinaufreichen. Mit dieſem Ergebnis kann man ſich 
einverſtanden erklären. Aber ein Fragezeichen wird man hinter die Behauptung 
fegen müſſen, daß die Winterquatember im beonianiſchen Sakramentar keinerlei 
Hinweis auf das nahe Weihnachtsfeſt enthalten. Es ſei nur hingewieſen auf die 
Orationen bei Feltoe 8. 117 3. 10 und 8. 170 3. 8, in denen doch wohl auf das 
Weihnachtsfeſt angeſpielt iſt. Es iſt deshalb wahrſcheinlich, daß die Winterquatem⸗ 
ber früher als unter Gregor in die Adventsliturgie einbezogen wurden, als der 
Derfaffer annimmt. Man kann fogar die Frage aufwerfen, ob nicht die Winter⸗ 
quatember den älteften Kern der römiſchen Adventsliturgie bilden, und zwar in der 
Weiſe, daß in dieſer ſchon längſt gefeierten Stationsliturgie an Stelle des Ernte⸗ 
dankes die Weihnachtsidee geſetzt wurde. Jedenfalls enthält der „Comes“ von 
Würzburg (Revue Bénédictine 27, 1910 8. 631 f.), der in dieſem Teil wohl vor⸗ 
gregorianiſch iſt, für die Quatembertage ſchon die jetzigen Jlaiaslektionen, und ſo⸗ 
gar ſtatt der jetzigen Samstagslektion aus Daniel die „Fortſetzung aus Jſaias, was 
für ein hohes Alter zu ſprechen“ ſcheint. Es läßt ſich auch leicht denken, daß die 
Vorbereitung auf Weihnachten am eheſten an eine ſchon beſtehende Stationsfeier 
angeknüpft und von da aus erweitert wurde. Dies könnte ſchon Ende des fünften 
Jahrhunderts geſchehen ſein. 

dur Geſchichte des römiſchen Meßkanons macht A. Baumſtark aufmerkſam auf 
einen Text der „Expositio Nlissae Romanae“, in dem wahrſcheinlich ein Stück einer 
älteren Kanonfaffung enthalten iſt. Zuletzt greift Baumſtark nochmals in feine 
reiche Sammlung und teilt uns „wei nicht erkannte Bruchſtücke frühchriſtlich⸗ 
griechiſcher Giturgie Ägyptens“ mit. 

Das Jahrbuch ſchließt mit einem Giteraturbericht über die Jahre 1914—21, der 
78 Seiten umfaßt. Er iſt nach verſchiedenen Geſichtspunkten zuſammengeſtellt und 
zerfällt daher in mehrere Kapitel. Über 700 Schriften bezw. Nufſätze find angezeigt, 
teilweiſe mit kurzer Inhaltsangabe. Eine ſolche Zuſammenſtellung war natürlich 
nur möglich dank einer gut organifierten Arbeitsteilung. Nützlich find in dem 


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Bericht die Hinweiſe auf die religionsgeſchichtliche Literatur, die ja ſoviel Wertvolles 
für die Giturgieforfhung enthält. hervorzuheben iſt auch die Sorgfalt, mit der die 
ausländiſche Literatur nachgetragen iſt. Ein Kutorenverzeichnis erleichtert die Be⸗ 
nutzung des Berichtes. Schon allein dieſer Citeraturbericht macht das Jahrbuch zu 


einem unentbehrlichen Hilfsmittel für jeden, der auf dem Gebiet der Giturgiewilfen 


ſchaft arbeiten will. Und jeder, der über Liturgie etwas erarbeitet hat, wird das 
erſcheinen dieſes Organs dankbar begrüßen, das ein wertvolles Sammelbecken zu 
werden verſpricht für wiſſenſchaftliche Arbeiten zur Erforſchung der Liturgie. 

PB. Amandus G’sell (Beuron). 


Siturgifches Betrachtungsbuch. 


m Jahrbuch für Giturgiewiffenfhaft 1 (1921) 124 ſpricht Guardini den Wunſch aus 

nach liturgiſchen Betrachtungsbüchern. Vielleicht darf hier auf eines hingewieſen 
werden, das freilich noch im Werden iſt, aber von dem man jetzt ſchon manches 
lernen könnte. In der belgiſchen Abtei St. Andre-lez-Bruges erſcheint wöchentlich 
ein „Bulletin paroissial liturgique“, dem jedesmal ein Bogen beigefügt ift mit Be 
trachtungen für zwei Fefttage der betreffenden Woche. Dieſe Blätter können am 
Schluß des Jahres zu einem Buche vereinigt werden. Dieſe Betrachtungen ſind nicht 
nur etwa im Anflug an die biturgie verfaßt, fie wachſen vielmehr ganz aus dem 
betreffenden Feſtgeheimnis heraus, helfen den Gläubigen, ſich einzugliedern in den 
großen Juſammenhang der Liturgie und ſchlagen die Brücke zum Geben. Es ſei 
3. B. kurz die Betrachtung für das Feſt Pauli Bekehrung ſkizziert. Junächſt An- 
betung und Dank für dieſe Bekehrung. Derwertet dabei find Invitatorium und 
Oration. Dann folgt die eigentliche Erwägung im Anſchluß an Epiftel und Evan- 
gelium, worauf naturgemäß die Akte der Darbringung und Bereinigung kommen, 
ſowie des Derlangens, nun in der Kraft des Opfermahles wie ein bekehrter Saulus 
zu leben. Das Ganze ſchließt mit einem praktifchen Dorfat, den guten Kampf zu 
kämpfen. Mit Hilfe einer ſolchen Führung und Anleitung iſt es jedem möglich,, litur⸗ 
giſch zu leben“, d. h. hineinzuwachſen in Chriſtus, fo wie er uns erſcheint im baufe 
des Kirchenjahres. Das Wertvolle und Anregende dieſer Betrachtungsblätter dürfte 
vor allem in der Methode liegen, die ſowohl dem Geift der Giturgie als den Bedürf 
niſſen des Seelenlebens entſpricht. P. Amandus G6'sell (Beuron). 


Uraufführung des Oratoriums Mariä Heimgang. 


Nos wochenlangen, forgfältigen Vorbereitungen fand am Sonntag, den 12. Februar, 
in der neuen großen Tonhalle zu Münſter i. W. die Uraufführung des von 

D. Gregor Molitor aus Beuron komponierten Oratoriums Mariä Heimgang ſtatt. 
Ein eigener gemiſchter Chor von etwa 250 bis 300 münfterifhen Damen und herren 
hatte ſich für dieſe Aufführung gebildet. Die Leitung lag in den händen des herrn 
Generalmufikdirektors Profeſſor Dr. Fritz Bolbach. Fräulein Muckermann fang mit 
ihrer Sängerinnenfchule die Damenchöre. Die vier Soliften waren vom Stadttheater 
und der Muſikſchule in Münfter. Außerdem wirkte das gefamte ſtädtiſche Orcheſter 
mit. Die Uraufführung, die vor völlig ausverkauftem hauſe, in Segenwart des 
Biſchofs und Weihbiſchofs, mehrerer herren des Domkapitels, ſowie der Äbte von 
Maria-Gaady und St. Joſef ftattfand, hatte einen glänzenden, ja begeiſternden Erfolg. 
Das Orcheſter ſpielte mit ganzer hingebung; der große Chor fang von Anfang bis 
zum Schluß mit einer Friſche und Sicherheit, die oft überwältigenden Eindruck 
machte. Die Engelchöre, die an die Ausführenden die höchſten Anforderungen ſtellen, 
erklangen von der höhe des Orgelpodiums in unübertrefflicher Feinheit und Innig⸗ 
Reit. Auf allgemeinen Wunſch wurde das Oratorium Donnerstag, den 16. Februar, 


155 


nochmals aufgeführt, wobei wiederum zahlreiches Publikum die Stadthalle füllte. 
Don vornherein waren dieſe Aufführungen des Oratoriums als eine Wohltätigkeits 
veranftaltung zum Beften der deutſchen Benediktiner im Klofter Mariä-Heimgang 
zu Jerufalem gedacht und angekündigt worden. Das Katholikenkomitee der Stadt 
Münfter erließ die Aufrufe und Einladungen. Alle Freunde des Ordens in der 
Stadt des hl. Guöger, die mit foviel Liebe der benediktiniſchen Sache gedient haben, 
dürfen unferes aufrichtigſten Dankes verſichert fein. 
P. Gregor Schwake (St. Joſef). 


Erfie gahresverſammlung 
der Academia Benedictina Bavarica. 


D. auf dem Generalkapitel der bauriſchen Kongregation zu Plankſtetten am 
30. März 1921 ins Geben gerufene Akademie hielt am 3. Januar 1922 zu 
St. Bonifaz in München ihre erſte Jahres verſammlung ab. Had der um 7 Uhr 
vom hochwürdigſten herrn Abt⸗Präſes, Dr. Plazidus Glogger, gefeierten hl. Meſſe 
wurde die Sitzung vom hochwürdigſten herrn Abt⸗Protektor Willibald Wolfſteiner 


um 8 ½¼ Uhr eröffnet mit 
einer Anſprache über die Be⸗ 
deutung des wiſſenſchaftlichen 
Arbeitens innerhalb unſeres 
Ordens. Uachdem der Se⸗ 
Rretär P. Laurentius Hanſer 
einen Überblick gegeben hatte 
über die Beſtrebungen und 
Bemühungen der Vorfahren 
als MWlitglieder der Societas 
literaria Germano - Benedic⸗- 
tina, der Societas literaria 
Benedictina Bavarica, ſowie 
der bauriſchen Akademie der 
Wiſſenſchaften 1750 — 1850, 


wurde in die Statutenbera- 
tung eingetreten, welche den 
größeren Teil der Tagung 
beanſpruchte. Doch wurde 
fie aufs angenehmſte unter» 
brochen durch zwei gediege⸗ 
ne Vorträge über „Rlofter- 
geſchichtsſchreibung“ von P. 
Wilhelm Fink, ſowie über 
„das Benediktiner - Marturo⸗ 
logium einſt und jetzt“ von 


f P. Alfons qimmermann. Nach · 


dem eine hiſtoriſche Abteilung 
gebildet und der engere Rat 
des Abt-Protektors gewählt 


war, richtete der hochwürdigſte Herr Abt-Präfes Worte des Dankes und der Ermun⸗ 
terung an die Derfammelten. Wenn die wiſſenſchaftlich tätigen Mitglieder der bau⸗ 
riſchen Kongregation, dem Beifpiel ihrer Vorfahren folgend, ſich wieder zu einer 
Akademie vereinigt haben, ſo war für ſie maßgebend ſowohl der Rückblick auf die 
ruhmreiche Vergangenheit vor 1803, als auch der wenig erfreuliche Ausblick auf 
unfere harten Zeiten, die engeren Juſammenſchluß Gleichbeſtrebter in mehr als einer 
Hinſicht erheiſchen. Mögen auch die Zeitverhältniffe größere Unternehmungen nicht 
geſtatten, fo dient die wieder erftandene Academia Benedictina Bavarica doch, ihrem 
Wahlſpruch getreu, veritati in caritate.“ 
D. Gaurentius Hanſer (Scheyern). 


Michael Tangl, Profeſſor der mittelalterlichen Gefhichte an der Univerſität 
Berlin, iſt am 7. September 1921 ſechzigjährig in ſeiner heimat Klagenfurt geſtorben. 
Die Schriftleitung der B. I. glaubt, ihren beſern den Cod eines Mannes mitteilen 
zu ſollen, deffen allgemein anerkannte wiſſenſchaftliche Tätigkeit auch der Erforſchung 
der Benediktinerheiligen Bonifatius, Geoba und Sturmius zu gute kam. Es ſei auch 
erwähnt, daß Tangl feine erſten Anregungen in der Kloſterbibliothen von St. Paul 
in Kärnten empfing, wo die Handſchriften des Schwarzwald kloſters St. Blaſien geborgen 
liegen. Wir freuen uns, daß die Keime, die Tangl während feiner Gymnafialjahre 
in St. Paul aufnahm, ſo herrlich aufgegangen ſind. Ein dankbares Andenken ſei dem 
Manne geweiht, der zur Kenntnis unſerer eigenen Vergangenheit fo viel beigetragen. 


156 


55 


Bücherfchau 


Mager, Alois, 0. 8. B. Der Wandel in 
der Gegenwart Gottes. Eine religions- 
philoſoph. Betrachtung. 80848.) Augsburg⸗ 
Stuttgart 1921, Benno Filſer. 

Anlaß zu dieſer Studie gab die Kontro⸗ 
verfe Hock-Gindworsky. P. Mager bleibt 
bei keinem der beiden ſtehen; das Wert» 
volle von Hock erfährt die wiſſenſchaftliche 


Vertiefung und Begründung; das Berech⸗ 


tigte der Kritik bindworskus kommt dahin 
zur Geltung, daß über das Negative der⸗ 
ſelben hinweg zur poſitiven Darlegung 
der pſuchologiſchen Gefege und der Übung 
des Wandels in der Gegenwart Gottes 
geſchritten wird. Mit dieſer Auswertung 
des Themas bis in das Gebiet der pſucho⸗ 
logiſchen Vorgänge erhielt die Studie ihre 
ganz beſondere Eigenart und ihren eigenen 
religiöfen Reiz. Jweifellos gehörte ein 
gewiſſer Mut und ein gutes Vertrauen 
in die Güte der Sache ſelbſt dazu, gerade 
ein religiöſes Phänomen dieſer Art in die 
Analuſe der Religionspfychologie einzu⸗ 
ſtellen. P. Mager hat ſich dazu entſchloſſen 
— und wir danken es ihm, den Erweis 
erbracht zu ſehen, daß ſich ein Kernftück 
des aszetiſch⸗ muſtiſchen Lebens mit den 
modernſten wiſſenſchaftlichen Mitteln unter⸗ 
ſuchen und begründen läßt. Methodiſch 
klar geht P. Mager an feine Aufgabe. 
Das Dollkommenpeitsideal, dem die Regel 
des hl. Benedikt zuführen will, kennt die 
Übung des Wandels und der beftändigen 
Gegenwart Gottes; auf dieſem feſten Boden 
der Tradition iſt die innere Notwendigkeit 
zu begreifen, im Wandel vor Gott die Seele 
aus der Gottferne und Gottentfremdung 
hinzuführen zur Vereinigung mit Gott; 
die Anlage dazu ift der Natur des Indi⸗ 
viduums wie auch der ſozial aufgefaßten 
WMenfchheit gegeben; eine religiöfe Erneue⸗ 
rung, die auch letztere erfaßt, muß unter 
dieſer Inſpiration ſtehen. Ganz gediegen 
find die Srundfäge auf dem Höhepunkt 
der Studie formuliert, wo die pſuchologiſche 
Möglichkeit des immerwährenden Wandels 
in der Gegenwart Gottes gezeigt wird; 
völlig einwandfrei kommt das Religiöfe 
und fein pſuchologiſcher Ablauf zur Gel- 
tung. Feinfühlig werden die Funktionen 


der Erkenntnis, des Wollens und des 
religiõſen Gefühls abgewogen, und zu⸗ 
weilen ift auch der ſichere Weg der Prak- 
tik angedeutet. Wer den Fortgang der 
Studie kritiſch und methodiſch verfolgt, 
wird den Forderungen und Folgerungen 
zuſtimmen, auch wenn er die Sprache des 
Muſtikers nicht ſofort in das Schema ſei⸗ 
ner Schulphiloſophie einzubauen wiſſen 
ſollte. Wenn P. Mager von der Unmittel⸗ 
barkeit der Gotteserkenntnis ſpricht, fo ift 
das von der Intuition des Myſtikers ge 
ſagt, welche die glaubensmäßige Gottes- 
erkenntnis zur Dorausfegung, nicht etwa 
zum Gegenſatz hat; ähnlich iſt es mit dem 
oft gebrauchten Begriff der Selbſtoerwirk⸗ 
lichung der Seele; er iſt abſolut richtig in 
dem vom Derfaffer gebrauchten Sinne: 
8. 53 „Selbſtverwirklichung der Seele heißt 
... nichts anderes, als dem natürlichen und 
übernatürlichen Wirken Gottes in ihr mög⸗ 
lichſt freien Raum zu ſchaffen; es iſt für 
unfere Zeit nötig das anzumerken, weil 
uns die Jdeenwelt der Muſtik leider viel; 
fach unverſtändlich geworden ift; anftößig 
wirkt da zuweilen, was im tiefften Grunde 
religiös tft.“ So hat P. Nager vom immer: 
währenden Wandel weggenommen, was als 
scandalum erſcheinen möchte; noch mehr, 
er zieht die klare binie noch weiter hinein 
in das Gebiet des muſtiſchen Gebetes. Der 
Wandel in der Gegenwart Gottes iſt nicht 
mehr ein iſolierter Vorgang, geſchweige 
denn eine mechaniſche Askefe; nicht mehr 
eine Ubung des Frömmigkeitslebens, ſon · 
dern Erftlingsfrucht im Garten der Muſtik, 
Vorſtufe zum Gebet der Ruhe und Der- 
einigung. Nicht durch gewaltſames Syfte- 
matifieren führt P. Mager feine Studie zu 
dieſem Ende, ſondern durch die feine pſucho⸗ 
logiſche Einführung dieſes religiöfen Er⸗ 
lebens. — Es dürfte in vielen aufmerk- 
ſamen Gefern der Wunſch aufſteigen, es 
möchte noch manch anderes Stück unſerer 
Aszeſe in eine gleiche wiſſenſchaftlich gründ- 
liche und ſeeliſch vertiefende Behandlung 
genommen werden; dem Notſchrei, Sehnen 
und Hungern der modernen Seele kann 
nur dadurch Stillung werden. 
P. Polukarp O. F. In. (Münden). 


Gefebvre, Gaspar, 0.5.B., Citurgia. Ses 
principesfondamentaug. 8°(2915.) Abbaye 
de St. Andre, Lophemelez-Bruges. Fr. 9.—. 
Diefes Buch könnte man etwa als litur⸗ 
giſche Fundamentaltheologie bezeichnen. 
Es erörtert die Grundlagen der Oiturgie 
und deckt ihren innerften Aufbau und 
FJuſammenhang auf. Ausgehend von dem 
Kern der Giturgie, von der Anbetung, zeigt 
der Verfaſſer, wie diefe Anbetung dem 
dreieinigen Gotte gilt, und zwar im An⸗ 
ſchluß an eine liturgiſche Formel, dem Vater 
durch den Sohn im hl. Geiſt. Und nun 
reiht ſich ſtreng logiſch Kapitel an Kapitel. 
„Durch den Sohn“ führt zum Kapitel über 
den muſtiſchen Peib dieſes Sohnes, die 
Rirdhe. Ihr ift das Meßopfer anvertraut. 
In diefes Opfer gliedern ſich die einzelnen 
ein durch die kommunion und die anderen 
Sakramente. Aus ſtrahlungen der Sakra⸗ 
mente find die Sakramentalien. Einrah⸗ 
mung des Opfers ift das Offizium. Damit 
gelangen wir zum Kirchenjahr und feiner 
Einteilung. An dieſen ſtrengen Aufbau 
ſchließen ſich noch loſe einige Kapitel über 
ſiturgiſche Betrachtung, Katechefe, Gefang, 
liturgiſche und ſoziale Frage, Miſſale. 
Jahlreiche Zitate beleben die Ausführungen. 
Beſonders ift der Derfaffer beſtrebt, die 
Päpſte zu Wort kommen zu laſſen. Die 
„Liturgia“ eignet ſich ſehr als Einleitung 
zum Viturgieunterricht, als allgemeine 
liturgiſche Theologie. Doch kann das Buch 
auch jedem gebildeten Paien große Dienfte 
leiſten, beſonders denen, die eine große 
UÜberficht über die Liturgie gewinnen wol» 
len, ohne auf hiſtoriſche Fragen einzugehen. 
Hervorgehoben ſeien der ſchöne Druck und 
die vornehme Hus ſtattung, die von einer 
künftlerifchen beitung der Kloſterdruckerei 
zeugen. P. Amandus B’sell (Beuron). 


Förſter, F., Am Liſche des Herrn. Ein 
Büchlein von der hl. Kommunion für die 
Frauenwelt. 2. u. 3. verbeſſerte Auflage 
(XII und 188 8. mit Titelbild) Freiburg 
1922, Herder. 

Der Umſtand, daß von dieſem Büchlein 
überrafhend ſchnell gleichzeitig 
eine zweite u. dritte Auflage (4.—8. Tſd.) 
erſchienen iſt, legt für deſſen Vortrefflichkeit 
und praktiſche Verwendbarkeit beredtes 
deugnis ab. Dasfelbe hatte in der erften 


157 


Auflage den Titel: „Für Unſeres herrn 
Tiſchgäſte“ und erhielt in der März ⸗ 
nummer diefer Zeitfchrift im Jahre 1920 
eine längere Beſprechung. — Da das 
Werkchen in ſeiner erſten Auflage alsbald 
allgemeinen Anklang fand, wie es die 
zahlreichen Rezenſionen in verſchiedenen 
Jeitſchriften bewieſen, fo wurde an ſei⸗ 
nem bisherigen Juhalte neben kleinen 
Derbefferungen nur eine größere Än- 
derung vorgenommen. Es wurde nämlich 
bei der Überarbeitung der einzelnen Kapitel 
darauf Beͤͤacht genommen, das Büchlein 
nunmehr ſo zu geſtalten, daß es nicht 
nur zur Gefung, ſondern auch als 
Betrachtungs⸗ und Gebetbud beim 
Empfang der heiligen kommunion 
benützt werden kann. hinſichtlich der 
Brauchbarkeit des Büchleins bedeutet dieſe 
Änderung ſelbſtverſtändlich eine wahre 
Derbefferung und Vervollkommnung. 

Außerdem hat es auch eine dreifache 
dankenswerte Erweiterung erfahren. 
Iwar ift die frühere Einteilung geblieben, 
nämlich I. Eudariftie und Frauenleben. 
II. Dorbereitung. III. Dankfagung. IV. Ge- 
heiligtes Jahr. 8s wurde aber dem erſten 
Abſchnitt ein neues Kapitel eingefügt: 
„Die Braut des Herrn“, welches das 
Büchlein ſpeziell auch für Ordensfrauen 
geeignet machen wird. Sodann wurden 
an geeigneten Stellen paſſende Po ſt⸗ 
kommunionen aus dem meßbuche 
angeſchloſſen, um dadurch auch der litur⸗ 
giſchen Bewegung unſerer Tage 
Rechnung zu tragen. Und außerdem bietet 
der Anhang eine liturgiſche kommu- 
nionandacht, die den Vorbereitungs- 
gebeten des Prieſters vor der hl. Meſſe, 
fowie dem Kanon der hl. Meſſe vor und 
nach der hl. Kommunion entommen iſt. 
Auch fie dürfte den Freunden der Liturgie 
willkommen fein, und ihre Zufammen- 
Stellung wird als ein guter origineller 
Gedanke des Derfalfers gewiß Anerken- 
nung finden. 

So empfehlen wir denn beftens das 
ſchöne Büchlein und geben der Hoffnung 
Ausdruck, es werde ſich der Wunſch des 
Derfaffers erfüllen, daß es auch in feiner 
neuen Auflage dazu beitrage, Gott zu 
verherrlichen und das Heil der Seelen zu 
fördern. P. Luöger Leonard (Beuron). 


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Roloff, Prof. Ernfi, Im Lande der 
Bibel. 8° (304 8.) Berlin 1922, F. Dümm⸗ 
ler. M. 26.—; geb. IT. 33.— 

„Eine neue Welt ift mir aufgegangen 
im bande der Bibel‘ Seit ich den Schau⸗ 
platz .. des Alten wie des Neuen Tefta- 
mentes durch unmittelbare Anſchauung 
kennen gelernt habe, treten mir die heiligen 
Perſonen ſo greifbar vor die Seele, als 
hätte ich ſie perſönlich genannt; und die 
bibliſchen Seſchichten gewinnen ein ſo 
ſprühendes Geben, als hätte ich ihnen 
beigewohnt. Roftbare Frucht einer 
dreiwöchentlichen Pilgerfahrt! Aber der 
Verfaſſer verſteht es auch, dem Veſer rei⸗ 
chen Anteil zu gewähren. Es war nicht 
feine Abſicht, ein hochwiſſenſchaftliches 
Werk zu ſchreiben, ſo ſehr er ſich auf 
allen Gebieten bibliſchen und profanen 
Wiſſens bewandert zeigt und die betref⸗ 
fende SGiteratur beherrſcht. Ihm war 
Hauptzweck der Reife, die Früchte lang⸗ 
jähriger bibliſcher Studien am Orte des 
Seſchehens noch mehr Reife und Leben 
gewinnen zu laſſen und nicht zuletzt: 
dem Drange des Herzens folgend und als 
Ausdruck tiefſter Glaubensüberzeugung 
an den hl. Stätten demjenigen Derehrung 
und Dankſagung zu bieten, der fie gehei- 
ligt hat. Demgemäß bieten feine Reiſe⸗ 
erinnerungen neben Bereicherung des Wiſ⸗ 
ſens mannigfache religiõſe Anregung und 
bei den hervorragenden ſchriftſtelleriſchen 
Sigenſchaften des Derfaffers in einer Form, 
welche die Gektüre leicht und genußbrin⸗ 
gend geſtaltet. Der Verfaſſer iſt treff- 
licher Erzähler; feine Darſtellung ſpannend, 
nie ermüdend; es zeigt ſich feine pãda⸗ 
gogiſche Meiſterſchaft in der Kunft, aus 
der Fülle von hiſtoriſchen Ereigniffen, 
land ſchaftlichen und völkiſchen Merkwür⸗ 
digkeiten, perſönlichen Erlebniſſen und 
Eindrücken das Große, Weſentliche heraus⸗ 
zugreifen und in kurzen Strichen ſo pla⸗ 
ſtiſch darzuſtellen, ö aß man glauben 
möchte, man habe es ſelbſt geſehen und 
miterlebt. Wohltuend berührt die pietät⸗ 
volle Art, mit welcher der Derfaffer bei 
voller kritiſcher Zurückhaltung zu Werke 
geht, obſchon ihm — er war damals noch 
Proteſtant — oft und gerade an heiligſter 
Stätte ſo manches in den Weg trat, was 
unerbaulich war, anderen zum Ärgernis 


gereichte oder in legendariſcher Derhil- 
dung Widerſpruch herausfordern mußte. 
Der verdienſtvollen Arbeit gebührt unge⸗ 
teilte Anerkennung. Gerne ſähen wir fie 
beſonders in den händen der ſtudierenden 
reiferen Jugend; aber auch aller, denen 
daran liegt, für die Gefung der heiligen 
Schriften eine breitere Grundlage und 
tieferes Derftändnis zu gewinnen. 
P. Gregor Molitor (Freiburg Br.). 


Maas, Otto, O. F. M., Spanien. Eine 
Studienreife während des Weltkrieges 8 
(178 8. 26 Abb. u. eine Karte) zu be 
ziehen durch die Redaktion des Antonius 
boten in Wiedenbrüch i. W. Seb. II. 40.— 

du Studien der franziskaniſchen Mif. 
ſtonsgeſchäfte eben noch vor Beginn des 
Weltkrieges in Spanien angekommen, 
ſah ſich der Derfaffer die langen kriegs · 
jahre hindurch dort feſtgehalten. So fand 
er Zeit und Gelegenheit feinem Reife 
zwecke, zumal im Ordensarchiv zu Paſt⸗ 
rana und im Archivo general de India 
zu Sevilla, vollauf gerecht zu werden und 
auch Land und Leute ausgiebig Rennen 
zu lernen. Madrid, Sevilla, Granada, 
Cordoba, das durch des Columbus Aufent 
halt denkwürdig gewordene Franziskaner 
kloſter Ca Rabida bei Buelvas, Toledo, 
das Rieſenmuſeum altſpaniſcher Ardjitek- 
tur und Aunft, und Santiago find die 
Brennpunkte ſeiner Keifeerinnerungen. 
Eine Reihe anderer bedeutfamer Stätten 
wird noch — leider allzu kurz — vor 
geführt. Neben perſönlichen Keiſeerleb⸗ 
niſſen finden fi packende Naturſchil⸗ 
derungen, anſchauliche Beſchreibungen der 
großartigen Kunſtdenkmale Spaniens, 
willkommene Angaben und Berichte über 
Dolksfitten und Dolksbeluftigungen, über 
religiöfe und weltliche Feſtlichkeiten ver- 
flochten mit wohlbegründeten geſchicht⸗ 
lichen Rückblicken. Auch zu einem Stier⸗ 
kampf nimmt m. uns in Sevilla mit. 
er bietet uns reichliche Belege von der 
Deutſchland günſtigen Seſinnung der 
großen Mehrzahl der Spanier, bef. des 
Alerus und Militärs, während des Welt 
krieges, die ſich durch die gehäffigen ber · 
leumdungen franzöſiſcher und engliſcher 
Agenten und Druckſchriften nicht ime 
führen ließen. mit großer Wärme und 


vollem Recht tritt der Derfaffer als Anwalt 
auf für das ſpaniſche Volk und feinen 
Klerus gegenüber den unwahren Anfchuldi- 
gungen verſchiedener, beſonders deutſcher 
Schriftſteller und Reoͤner, wie er auch mit 
berechtigtem Unwillen, vielfach geſtützt auf 
feine eigenen hiſtoriſchen Forſchungen, zahl; 
reiche Geſchichtslügen über Spanien, feine 
Könige, feine Rolonifation und Inquifition 
zurükmweifi:. Daß feine Liebe zu dem 
gaſtlichen Lande feinen Blick nicht getrübt 
hat und er Schatten und Mängel nicht 
überfieht, zeigt er mehrfach, bef. 8. 444 
ff., wo er feine Eindrücke und Wahr⸗ 
nehmungen über das religiöfe und kirch⸗ 
liche Geben in Spanien zufammenfaßt. 
Zu bedauern ift, daß der Derfaffer mehr⸗ 
fach gerade bei Sittenſchilderungen (fo 
8. 227) allzu raſch abbricht und auch 
bei der Uberfülle feines Stoffes den ſpa⸗ 
niſchen Norden ſo kurz behandelt; eher 
wäre wohl eine Kürzung etwa bei poli⸗ 
tiſchen und künſtleriſchen Erörterungen 
und bei Wiedergabe arabiſcher Über⸗ 
ſetzungen am Platze geweſen, wenngleich 
auch dieſe Stücke beachtensweret ſind. 

Sonft aber wird von dem Verfaſſer in 
gewandter Darſtellung bei großer Ab⸗ 
wechslung eine Fülle von Erlebniſſen und 
Schilderungen geboten, die eine fein⸗ 
fühlende Beobachtungsgabe und gute 
Kunſt⸗ und Geſchichtskenntnis bekunden. 
Ausftattung und Druck machen dem Der- 
lag Ehre. Der Gefer, zumal wenn er an 
geſchichtlichen und kulturellen Fragen 
Intereſſe hat, kann aus dem Werke reichen 
Nutzen ziehen. 

P. Hieronymus Riene (Beuron). 


Bunftdenkmäler zwiſchen Maas und 
Moſel von 8. Reiners und W. Ewald. 
40 (248 8. u. 250 Abbildungen) München 
1921, F. Bruckmann A.-G. Oeicht geb. 
m. 75.—. In halbleinenband I. 100.— 
In Halbpergamentband M. 200.— 

Es iſt dieſes herrliche Buch im Auftrag 
der einſtmaligen fünften Armee entſtanden. 
Es war als Erinnerungsgabe für deren 
Angehörige geoͤacht, weshalb auf die 
Nluſtrierung beſonderer Wert gelegt und 
die Darſtellung in allgemeiner Form ge⸗ 
halten wurde. Das alte Gothringer Land 


159 


zwiſchen Maas und Moſel, einftens die 
Grenzmark des deutſchen Reiches, birgt 
eine Fülle hervorragender Bauten, die 
bisher der Kunſtgeſchichte faſt unbekannt 
geblieben, nun aber der Dergeffenheit ent⸗ 
rückt worden ſind. 

Dr. Heribert Reiners und Dr. Wilhelm 
Ewald bearbeiteten das reiche Material. 
Ein Dutzend Architekten und Photographen, 
wohl faſt alle Waffenbrüder, zeichneten 
die Pläne oder nahmen die alten Denk- 
mäler auf. In den prachtvollen, großen- 
teils ganzſeitigen Abbildungen kommen 
nicht nur die Bauten ſondern auch die 
oft ſehr ſchöne Pandſchaft zur Geltung. 
Nicht ohne Wehmut wird mancher Krieger 
die feſſelnde Darſtellung der allgemeinen 
Geſchichte des Landes leſen, das der Schau⸗ 
platz ſeiner Gefahren und Mühſeligkeiten 
war. Er wird ſich aber auch gewiß freuen, 
diefes Land in feinen Schönheiten wieder 
vor feinen Augen aufleuchten zu ſehen. 
Das Buch wird auch deshalb einen 
bleibenden Wert haben, weil die Furie des 
Arieges einen Teil der dargeſtellten Bau- 
ten hinweggefegt hat. 

P. Willibrord Derkade (Beuron). 


Segmüller, F., O. 8. B., Die Slocken⸗ 
weihe. Weihegebete u. Jeremonien. Mit 
Einleitung über Bedeutung, Geſchichte u. 
Technik der Glocken. 16° (42 8.) Pader- 
born 1921, Ferd. Schöningh. 

In vielen Gemeinden werden die im 
Kriege abgegebenen Glocken durch neue 
erſetzt, fo daß gerade jetzt die Glockenweihe 
ziemlich oft vorgenommen werden muß. 
Wie ſchade, wenn bei dieſer langen und 
ſinnreichen Zeremonie das Volk verſtänd⸗ 
nis los zuſchauen muß, weil es nicht in der 
Gage iſt, den Gebeten zu folgen! Dank⸗ 
bar begrüßen wir daher das Büchlein des 
P. Fr. 8., der es verſtanden hat, auf 41 
Seiten das Weſentliche über Beſtimmung, 
Seſchichte und Technik der Glocken nebſt den 
Hauptgebeten des Weiheritus zuſammen⸗ 
zufaſſen. Husgelaſſen find die Pſalmen, 
die dabei gebetet werden. Aber durch die 
ſchlichten und doch tiefen Erläuterungen 
wird der Ritus fo klar, daß ſelbſt Kinder 
mit Derſtändnis folgen können. 

B. Amandus G’sell (Beuron). 


a „ 8 


160 
Unfere Bilder. 


m Sonntag Reminiscere, da man das Evangelium von der Derklärung Chrifi 
A verlieft, den 12. März diefes Jahres, hat P. Defiderius benz im trauten Kreiſe 

feiner glückwünſchenden Mitbrüder feinen 90. Geburtstag gefeiert (#12. März 
1832). Es wirkt faft wie eine liebe fügung der zarten Dorfehung Gottes, daß gerade 
die Derklärung Chrifti auf diefen Tag als Evangelium traf. Iſt doch des Meiſters 
Sinnen und Schauen ſeit Jahren auf die Jdealgeſtalt des Menfdyen gerichtet, wie er 
fie in frommem Glauben nach dem Falle nur noch in der bichtgeſtalt des Erlöfers 
(und feiner jungfräulichen Mutter) verkörpert ſieht. Und hat er doch fein Geben 
lang nur den einen Wunſch gekannt, die religiöfe Kunft und durch fie das Geben 
dauernd und endgültig herauszuheben aus den Niederungen des Alltäglichen, ihnen 
im Lichte der ſtrahlenden Gottheit ſelber ſtrahlende Derklärung zu geben. Der Bau 
des Botteshaufes und fein künſtleriſcher Schmuck follte die gleiche Sprache ſprechen 
wie die Giturgie, die in ihren hl. Zeremonien, Hymnen und Gefängen, ihrem Choral 
und in frommen Schauern wunderſam zum herzen rede. „Es ſoll ſo ſein,“ lieſt man 
einmal in einem Brief vom 12. Januar 1896 aus Prag, „daß wenn der hl. Gottes- 
dienſt beendet und die Kirche leer ift, der eintretende aus dem, was er ſteht — fo 
wie es zu ihm ſpricht und auf ihn wirkt — gleichſam ahne, fühle, errate, was hier 
geſchieht, weſſen Ort und Haus dieſes iſt, daß Ehrfurcht ihn überfalle, daß die Kirche 
ihm ſo gleichſam wie ein Buch der Betrachtung ſei, das ihn anzieht zu verweilen 
und zu ſinnen, das ihn heraushebe aus der Sphäre des Alltäglichen, gemein Bürger ⸗ 
lichen, materiellen Treibens; daß er fühle: Cocus iste sanctus est, dieſer Ort iſt heilig.“ 
Darum ſolle der chriſtliche Künſtler und vorab der klöſterliche „unabläſſig an den 
beften, frömmſten, echteſten Werken aller Meifter und Zeiten ſich belehren und be 
geiftern; ſuchen, gleich ihnen feine Aufgabe mit allen Mitteln, die ihm zur hand, 
möglichſt vollkommen zu löſen, ut in omnibus glorificetur Deus, damit in allem 
Gott verherrlicht werde.“ Es iſt bekannt, wie hoch P. Deſiderius die alten Gtiechen 
und vor allem die Ägypter ſchätzt. In ihrer Kunſt ſieht er die reinfte, tiefſte, un⸗ 
geheucheltſte Religioſität verkörpert. Wie ſehr er trotz allem die Natur liebt und 
beobachtet, wiſſen nur die, die oft mit ihm verkehren. Der eigene (Stuttgarter) ftreuz · 
weg bietet ihm täglich Stoff zu frommem Beten. Aber neben dem abgegriffenen 
Büchlein liegt Dürers „Kleine Paſſtion“, und dem ‚Schmerzensmann‘ hat er die Um ⸗ 
ſchrift gegeben: „Dieſe Figur iſt ein Unikum in der ganzen Kunſt. Solche Tiefe 
des Schmerzes (der Seele) iſt nie dargeſtellt worden — nur Chriſtus litt ſolchen 
Schmerz! Wenn man dieſe Figur mechaniſch vergrößerte bis ſelbſt ins Koloſſale — 
das würde eine (wie allmächtige) Wirkung machen auf jeden ſeelebegabten Ilenſchen, 
und wenn er nur einen Funken von Gemüt hätte. Die Figur braucht keine Er- 
klärung. Sie fagt alles ſelber.“ P. Defiderius iſt eben viel zu viel Künſtler, um 
wahre Kunſt nicht überall dort anzuerkennen, wo wahre Aunft wirklich zu erkennen 
iſt, mögen auch manche feiner Außerungen vielleicht mißverſtändlich fein. Einem 
galt und gilt fein Sehnen: Der Auffindung und Darftellung der ewig gültigen Ge- 
fege von Harmonie und Schönheit, von Anmut und Ebenmaß, die neben allem 
perſönlichen Künſtlerkönnen — der ſelbſtoerſtändlichen Dorbedingung — und über 
ihm d. h. unter allen wechſelnden Formgebungen Beſtand behielten. „Die Kraft und 
Größe und innere Macht“ dieſer „Grundprinzipien“ will er in einem Briefe aus 
montekaſſino vom 3. März 1899 nicht weiter ſchildern; „ich will nur hinweiſen“, 
ſchreibt er, „auf die innere Kraft und äußere Wahrheit und Schönheit der uralten 
äguptiſchen und griechiſchen Blütekunſt, der Doriſchen — und zu bedenken geben, 
wie eine Kunſt ſich wohl empfehlen und wirken würde, die auf ſolche Reiſer die 
Wonne der chriſtlichen Ideen gepfropft zeigte.“ 

Wir freuen uns, dieſem belt ein wohlgelungenes Bild des greifen Meiſters von 
der Künſtlerhand des Br. Notker Becker, Maria -Paach, als kleines Zeichen herzlicher 
Verehrung beifügen zu können. Don den drei Statuen aus der Frühzeit fröhlichen 
Schaffens in München, Nürnberg, Rom ift „Kalfandra“, irrtümlich vielfach als Jphi⸗ 
genie ausgegeben (auch bei Kreitmaier), ſchon früher veröffentlicht. „Cäcilia“ und 
„Iphigenie“ (vgl. Bened. Monatſchr. 11919] 92 und 176) „die Aurora des neuen Weges 
wie der Meiſter die zweite nannte, werden hier erſtmals geboten. St. H. 


Herausgegeben von der Erzabtei Beuron (Hohenzollern), 
für die Schriftleitung verantwortlich: P. Daniel Feuling (Beuron), 
gedruckt und verlegt vom Kunſtverlag Beuron. 


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Die ganze Reihe in Mäppchen M. 3.40; einzeln M. —.30. 
Auf Karton die ganze Serie mM. 17.—; einzeln M. 1.50. 


Talblick — Schloß Bronnen — Beim Jägerhaus — Schloß Werenwag — Burg 
Wildenſtein von Oft und Weſt — An der Holzbrücke in Beuron — Beuroner 
Frieöhof — ktirchenfront — Gartenhäuschen — Im Rloftergarten — Treppenhaus 
in der Abtei: zwölf raſche Impreſſionen mit ſchneller Kohle feſtgehalten. Dem 
Verehrer St. Benedikts und feines Heiligtums im Donautal, dem Wanderer 
durch die Rauhe Alb, dem Freunde der deutſchen Heimat eine liebe Gabe und 
‚ 9 GG * * ſtets freundliche Erinnerung. ö 696595446 


kiunſtverlag Beuron Hohenzollern 


Wer 


belehrt führt berät 


mich über das ſchwere Geſchehen mich ſehend durch mich in weltanſchaulichen, wiſſen⸗ 
des Weltkriegs und das Ringen | die Hot unſererſchaftlichen, politiſchen, beruf⸗ 
um ein erträgliches Morgen? | gärenden Tage? lichen und ſteuerlichen Fragen? 


Herders FJeitlexikor 


Herders 1 erſcheint in zwei Teilen. Der erſte (A—R) Kt a. vor 
(geb. zu M. 175.— u. 250.—) und Juſchlag, der zweite folgt 1 


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F. Dümmlers Verlag Berlin SW. 68 (Poſtſcheck 145). 


Im Lande der Bibel. Von Prof. Ernft m. Roloff. Kart. I. 26.—; geb. III. 36.— 
Ein kunſtvolles, farbenprächtiges Gewebe von heiliger und weltlicher Geſchichte, von 
Ewigem und rein Menſchlichem, von NUaturſchilderungen und Seelenſtimmungen, 
von ethnographiſchen und erökundlihen, archäologiſchen und Runſtgeſchichtlichen 
Mitteilungen. Das Ganze übergoſſen von dem Reiz, der Roloffs Gebenserinne- 
rungen „In zwei Welten“ zu einem ſo einzigartigen Buche geſtaltet hat. 
Don demſelben Derfalfer: 

In zwei Welten. Aus den Erinnerungen und Wanderungen eines deutſchen 
Schulmannes und Gezikographen. Kart. III. 22.—; geb. M. 32.— 4 
„.. Schon lange habe ich Rein Buch mehr mit ſolch innerer Teilnahme geleſen = 

Univ.-Prof. Dr. Göttler. 8 

Führende Jugend. Aufgaben und Geftalten junger Führer von St. von Dunin F 
Borkowski 8. J. 2. Aufl. (4.— 9. Tauf.) Kart. M. 20.—; geb. II. 26.— | 
Don demſelben Verfaſſer: — 

Reifendes Geben. Ein Buch der Selbſtzucht für die Jugend. 3. Auflage (10. 
bis 14. Tauſend). Kart. M. 22.—; geb. M. 30.— 2 

Worte von Friedr. Wilh. Foerſter, geſammelt und herausgegeben von 5. = 
Deine. Fein geb. M. 10.— 2 

Freiheit. Don Dr. Albert Uachtigal. Kart. M. 12.—. Inhalt: Freiheit, die ich 
meine — Der Zwieſpalt —„Ferbrich deine Feſſel“— Polarität — Erdenſchwere - 
Gleichgewicht — Ideal und Wirklichkeit — „Stirb und werde“ — Das Gefühl der 
Schwäche — Das dunkle Reich — Genefung — Die Quelle der Kraft. 

Pädagogiſche Pſuchologie. Eine genetiſche Pſuchologie der Wiſſenſchaft, Kunſt, 
Sittlichkeit und Religion bis zur vollen Reife des Menfchen auf der Grundlage = 
einer differentiellen Pfychologie des Zöglings und des Erziehers. Don Hochſchul⸗ 
profeſſor Dr. 6. Grunwald. M. 40.—; geb. III. 52.— 2 

Seſchichte der Pädagogik in veitſätzen für Dorlefungen m. bef. Berückfihtigung = 
der baur. Schulgeſchichte von Univ.-Prof. Dr. J. Göttler. M. 25.— = 

Deutſchlands Wiedergeburt. Don Med.-Rat Dr. Fof. Graßl. M. 25.— 


Zur Pſuchologie der muſtiſchen Perſönlichkeit. Mit bef. Berückſichtigung 
Gertruds der Großen von Helfta. Don Dr. Willy Nüller=-Keif. M. 15.— Fr 

Segenſtandslogik und Denklogik. Ein Vorſchlag zur Heugeftaltung der Gogik = 
von Dr. Martin Honecker, Privatdozent an der Univ. Bonn. I. 25.— n 

Die Erkenntnislehre Olivis. Auf Grund der Quellen dargeſtellt und gewür⸗ 
digt von Bernhard Janfen S. J. M. 40. — 


Durch die Buchhandlungen; wo nicht erhältlich, wende man ſich an den Verlag. 


Deubeit! 


Grundriß der Liturgik. 


Don Dr. R. Stapper, Prof. der Paſtoraltheologie a. d. Univ Münſter. 
Dritte und vierte, verb. und verm. Auflage. 


VII und 262 8. M. 36.—, gebunden M. 46.— a 

Über die 1920 erſchienene 2. Aufl. urteilen u. a. Theol. Revue Ur. 14/16 1920: Mit Stappers Grund- 

riß haben wir endlich ein Buch bekommen, das die rechte Mitte hält... und das zugleich wohl ge 
eignet iſt, wiſſenſchaftlich in die Giturgie einzuführen und tieferes Eindringen zu bewirken... 5 
Jeitſchr. f. chriſtl. Kunſt 1920, 1/2: Stapper hat feinen grundriß nicht unweſentlich ergänzt, ſo daß = 
dieſer jet ein allſeitig, auch wißbegierigen Galen umfaſſend orientierender Führer 3 
fein kann ... Das Buch St. iſt überaus zunerläffig und mit größter Akrible gearbeitet. Es wird ein 5 
brauchbarer, orientierender Führer werden für Geiſtliche und Gaien. ö 


Aſchendorffſche Verlagsbuchhandlung, Münſter i. Weftf. 
Jede Buchhandlung liefert. 


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Benediktinifche 
| Monatfchrift 


Inhalt: 

P. Fidelis Böfer: Mag Reger und die Rirchenmufik 8 12 
Abt Plazidus Glogger: „Sottgeweiht im baienkleid“ (8. 177 
P. Anfelm Manfer: Eine Morgenanmutung zum Dreieinen 
von der hl. Caterina von Siena (S8. 190). P. Benedikt Baur: 
Pfingſten: der Triumph des Geiſtes der Triumph Chriſti( 8.191). 
P. Anſelm Ebner: Don den Katakomben zu St. Peter in 
Salzburg (8. 199). Jan van Ruusbroeck: Wie Chriftus 
ſich ſelbſt für alle im Sakramente des Altares hinterlaſſen 
hat. Don himmliſchem Wohl und hölliſcher Qual. Überſ. 
von P. Willibrord Derkade (5. 214). P. Anſelm Manſer: 
Zu einem Gedenktage des Däterforfchers Dom Germain 
Morin (8. 217). P. Amandus E’sell: Neue meßbücher 
für das katholiſche Volk (8. 224). 
Bücherſchau: 

Beſprechungen von P. Amandus G’sell, P. Sturmius Regel, 


P. Nikolaus von Putterotti, . Anfelm Manfer, P. Sebaftian von Oer, 
P. Virgil Redlid, P. Albert Schmitt, P. Willibrord Derkade. 


Aus dem Orden des hl. Benediktus: 


. in Scheyern. Don alten und neuen Äbten. 
| DLiturgiſche Wochen in Benediktinerklöſtern. 


Unſere Bilder: 
Vier Darſtellungen: Die Katakomben in Salzburg. 


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1922 
Vierter Jahrgang 


Mai — Juni 


Druck und Verlag: 
Aunftverlag Beuron. 


Herausgegeben von der 
Erzabtei Beuron (Hohenz.) 


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An unfere Heſer! 


Die in den letzten Monaten neuerdings eingetretene bedeutende Steigerung all 
Herſtellungskoſten zwingt uns zu unferem Bedauern den Bezugspreis für die 7 j 


„Benediktiniſche Monatſchrift“ 


von M. 20. — (bezw: 32. —) auf M. 40.— für den Jahrgang zu erhöhen. Die Gieferun ig 
der Zeitſchrift erfolgt jedoch von nun an porto- und ſpeſenfrei, und zwar auf dem 
Poſtzeitungswege, da bei der neuangekündigten Porto-Erhöhung der 927 unter 
Kreugband nicht mehr in Frage kommen kann. Für den laufenden gahrgang 
ſtellen wir es aber unſeren Abonnenten frei, die für ſie in Betracht kommende 
Erhöhung von III. 8.— an unſeren Verlag nachzuzahlen. — Die Abonnenten aus 
Öfterreih, Guzemburg, Weſtpolen und Freiftaat Danzig erhalten die Zeitſchrift aus⸗ 
nahmsweiſe weiter unter Kreuzband zugeſandt zum Betrag von M. 40.—. — Für 
Finnland, Fugoflavien, Rumänien, Tſchecho⸗Slovaßkei und Ungarn beträgt der Abon 
nentenpreis (einſchließlich der jetzt geltenden Poſtſätze) M. 60.— Für das übrige | 
Ausland gilt folgender Jahrespreis (einſchließlich Porto): 
Amerika 1 Doll. | England 45H. | Italien 10 Gire. 
Belgien 6 Fr. Frankreich 6 Fr. Schweiz 4 Fr. 
Dänemark 4 Kr. Holland 2 Gld. | Spanien 4 Des. 
Für Seminare, Erziehungsanſtalten u. Vereine, die mindeſtens 5 Stück unmittelbar 
beziehen, wird ein Vorzugspreis gewährt. Preis des Doppelheftes im Einzelverkauf 
M. 7.—. Beſtellungen nehmen alle Poſtanſtalten, Buchhandlungen und der 
unterzeichnete Verlag entgegen. 


Die unmittelbaren Bezieher bitten wir um baldige Einzahlung des 
gahresbetrages auf unſer Poſtſcheckkonto Nr. 7034 beim Bolz un 
Rarlsruhe, Baden. Verlag der Beuroner Kunſtſchule, Beuron (Hohenz.). 


Alle Gelöfendungen ſende man an die untenſtehende Adreſſe (uicht 
einfachhin an die Abtei oder die Kloſterverwaltung) und füge ihnen die 
Bezeichnung „für die Benediktiniſche Monatſchrift“ gütigft bei. 


Bei etwaigen Ausbleiben der Hefte oder bei unrichtiger Gieferung reklamiere 
man ftets zunächſt bei dem in Frage kommenden Poftamt. Eine ſolche Reklamation 
geſchieht am beſten ſchriftlich und koftet keinerlei Porto oder Speſen. Die Poſt ift 
verpflichtet, etwa nicht eingegangene Hefte Roftenfrei nachzuliefern. Erſt wenn eine 
ſolche bei der Poſt angebrachte Reklamation zu gar keinem Erfolge führen ſollte, 
wende man ſich an den Verlag. Anderung der Anfchrift bitten wir dringend ſtets 
zeitig bekannt zu geben. Nicht zu umgehende Abbeſtellungen müſſen vor dem 
1. Dezember erfolgen. 


Jahrgang 1919, 1920 und 1921 find, ſolange der Vorrat reicht, zu den obigen 
Preiſen noch erhältlich. 


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kunſtverlag Beuron (Hohenzollern). 


Eingelaufene Schriften (Fortſetzung der vierten Umſchlagſeite). 


Jimmer, F., Auf heiligen Bergen. Zürder, A., O. 8. B., Die hl. Elifa» 
Worte der Seelenführung, geſammelt beth. Wege und Winke 5. Heft! 12° 
aus den geiſtlichen Briefen des hl. Franz (95 8.) ESinſiedeln-Waldshut 1921, Ben» 
von Sales. [Keligiöfe Geiſter 5. Bochen] ziger & Co. M. 5.50 
80 (60 8.) Mainz 1921, m. Grünewald» 
Verlag. Geb. III. 15.— 

Foepfl, F., Das Jahr des Herrn. Ein Die Preife, für deren augenblicklichen 
Buch für Rinder. RI. 12° (248 5. mit Stand keine Gewähr geleiftet werden kann. 
Buchſchmuck) Donauwörth, Auer. Geb. erhöhen ſich um die im Buchhandel übL 
M. 11.— Juſchläge. 


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10bere Maximushöble. 2 untere Katabombenbluche. 3 Ruperts Wohnung. 4 Fk. Rntharinen T apello. 5 
St Geckaudeus Kapella, Rreufskapelle. N 


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Der Friedhof zu St. Peter in Salzburg 


Obere Katakombe — Maximushöhle 


161 


Max Reger und die Kirchenmuſik. 


Don P. Fidelis Böſer (Beuron). 


er Cäcilianismus ift erledigt. So lautet der erſte Punkt in 

dem Programm, das die Vertreter der kirchenmuſik für die Diözeſe 
Paderborn! am letzten 14. November aufgeſtellt und zur Richtfchnur 
für neu einſetzende Arbeit gewählt haben. Der Diözefanbifhof war 
bei der Tagung von Anfang bis zu Ende zugegen, und der gegen⸗ 
wärtige Generalpräſes des geſamten deutſchen Cäcilienvereins war 
bei der Aufftellung des Programms mittätig. Ich brauche alfo nicht 
zu fürchten, daß ich mit der Wiederholung des erſten Satzes irgend 
jemand zu nahe trete. 

Natürlich muß man wiſſen, was hier unter „Cäcilianismus“ ver⸗ 
ftanden werden foll. Es iſt jene engherzige Richtung im Cäcilien⸗ 
verein der Vorkriegszeit gemeint, von der Storck in ſeiner Muſik⸗ 
gefhichte? ſchreibt: „Muß man vom rein kirchlichen Standpunkt aus 
das Wirken des Cäcilienvereins im höchſten Grade verdienſtlich finden, 
fo handelt es ſich doch hier um eine Kunſt; es mülfen alſo auch 
Rünſtleriſche Maßftäbe an das Wirken des Vereins angelegt werden. 
Hier wird das Urteil nicht ſo günſtig ſein. Daß ein großes kiompo⸗ 
nieren anhub, in dem von echt künſtleriſchem Geifte wenig zu [püren 
ift..., könnte man als eine vielleicht unvermeidliche Begleiterſcheinung 
auffaffen... Bedenklich dagegen iſt, daß der Cäcilienverein weit über 
die kirchlichen Vorſchriften hinaus Stilforderungen aufftellte, die natur⸗ 
gemäß zuletzt im Formalen ſtecken bleiben mußten.“ Es wird dann 
ein Beiſpiel aus dem „Cäcilienvereins katalog“ aufgeführt und deſſen 
Seiſt charakteriſiert mit dem Satze: „Äirgere Beckmeſſerei iſt kaum 
jemals getrieben worden.“ 

Der Standpunkt Storcks iſt auch der Standpunkt unſerer höchſten 
kirchlichen Autorität. In feinem Geſetzbuch für die katholiſche Kirchen- 
muſik, im Motu proprio vom 22. November 1903, fordert Pius X. 
von jedem liturgiſch verwendbaren Tonſtück neben der Heiligkeit und 
der Allgemeinheit, daß es wahre und wirkliche Kunſt offenbare. 

Unter dem Geiſt des Cäcilianismus, den Storck ſoeben als „Beck⸗ 
meſſerei“ brandmarkte, haben manche große kiomponiſten zu leiden 
gehabt. Übrigens werden die folgenden Zeilen den Beweis erbringen, 
daß weniger die kiomponiſten ſelber, als vielmehr die Kirche und die 
Kirchenmuſik den Schaden trugen und noch lange tragen müſſen. 

gl. Köln. Volkszeitung 1921, Ur. 909. Vierte Auflage (1921), Band 2. 8. 250 f. 

Benediktiniſche Monatſchriſt IV (1922), 5—6. s 11 


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Am 10. Mai 1916 ftarb in Geipzig einer unſerer größten neueren 
Tonkünftler. 9a, mit Recht halten viele Max Reger für einen jener 
wenigen ganz Großen, die Bott nur ſelten der Menſchheit fchenkt. 
Erft nach dem frühen Heimgang des Dreiund vierzigjährigen erfuhr 
die große Welt durch den Bericht von jener Generalbeicht in einem 
Hotel zu Amſterdam, daß der Meiſter ein gläubiger Katholik geweſen 
war. Feinhörige hatten ſchon lange vorher aus der Sprache ſeiner 
von tiefer Muſtik verklärten Aunft ſein religiöfes Bekenntnis ver⸗ 
nommen. Übrigens machte der Meiſter ſelbſt nie ein Hehl aus feiner 
Zugehörigkeit zu unferer ktirche. „Ich bin katholiſch bis in die Finger⸗ 
ſpitzen“, das hat ein Schüler! aus Regers Munde gehört. 

Daß wir trotzdem verhältnismäßig ſehr wenig katholiſche Kirchen⸗ 
muſik — das Wort im engeren Sinne verftanden — dem meiſter zu 
danken haben, daran iſt zum Teil der oben charakterifierte Cäcilia⸗ 
nismus ſchuld. Die ganze Tragik dieſer Schuld kommt einem zum 
Bewußtſein bei der Lektüre des vor kurzem erſchienenen überaus 
wertvollen Buches, das Adalbert bindner, der langjährige Muſik⸗ 
lehrer Regers, über feines Schülers Entwicklungsgang geſchrieben hat. 

Es wird wohl in der Muſikgeſchichte noch nie vorgekommen fein, 
daß der behrer eines genialen Tonkünſtlers, der ſeinen Schüler in die 
Welt der Töne eingeführt, die Entwicklung ſeiner muſikaliſchen Rieſen⸗ 
kräfte leitend beeinflußt und dann als unmittelbarer Zeuge und in 
ſtetem geiſtigen Derkehr den leuchtenden Aufftieg und die welterobernde 
Entfaltung feiner Größe miterlebt hat, am Grabe dem Frühvollendeten 
noch ein biographiſches Denkmal errichten durfte. hier bei Maz 
Reger ift dies Außerordentliche Tatſache geworden, und wir find nun 
im glücklichen Beſitze eines authentiſchen Berichtes über das Werden 
und Wachſen der großen Künſtlerperſönlichkeit unſeres Meiſters. 
Lindner aber darf des ſteten innigen Dankes der muſikgeſchichtlichen 
Forſchung und der ganzen Mit⸗ und Nachwelt gewiß ſein. 

An der Hand des bindnerſchen Buches können wir Schritt für 
Schritt dem Entwicklungsgang Regers folgen. Wir ſehen den 
Sohn der bauriſch⸗oberpfälziſchen Lehrerfamilie als intelligenten, 
munteren und fleißigen Anaben im Daterhaufe und deſſen Umgebung 
ſich tummeln. Wir hören von der Dolksfchule, von der Realſchule 
und der Präparandenanſtalt immer die beſten Zeugniſſe feiner behrer 


ı Dr. Hermann Unger. Vergl. Mar Reger, eine Sammlung von Studien aus 
dem kireiſe feiner perſönlichen Schüler, herausgeg. von Richard Würz, Heft II 3. 130. 

? Mag Reger, ein Bild feines gugendlebens und künſtleriſchen Werdens von 
Adalbert GinÖner, Stuttgart 1922. Engelhorns Nachfolger. 


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und Erzieher. Wir ſehen den Fünfjährigen unter der mütterlichen 
beitung die Anfangsgründe des kilavierſpiels und den Sechsjährigen 
unter väterlicher Leitung die Elemente des Diolinfpiels ſich zu eigen 
machen. 1884 beginnt der Elfjährige bei bindner den planmäßigen 
Klavierunterricht und erreicht von Stufe zu Stufe ſteigend in fünf- 
jähriger Gehrzeit eine außerordentliche höhe. Daneben beginnt 1885 


das Studium des Orgelfpiels und der Harmonielehre beim Vater, und 


im gahre darauf eröffnet der dreizehnjährige Präparandenſchüler eine 
dreijährige Organiſtentätigkeit im katholiſchen Pfarrgottesdienſt. Die 
Königin der Inftrumente wird ihm immer lieber und vertrauter, und 
Akkorde und Akkord verbindungen von unerhörter Kühnheit entlockt 
er ihr bei feinen ſonntäglichen Improviſationen. Der Fünfzehnjährige 
wird von einem Onkel mit nach Baureuth genommen und hört dort 
die Meiſterſinger und den Parſifal. War bisher Beethoven fein Heros 
geweſen, ſo tritt nun Richard Wagner dem Wiener Klaſſiker an die Seite. 

Im Auguft 1889 beſteht Reger mit der beſten Note die Rufnahme⸗ 
prüfung in das Gehrerfeminar. Aber anftatt dort wirklich einzutreten, 
wendet er ſich nun ganz der Mufik zu und geht zunächſt nach 
Sondershaufen zu hugo Riemann, deſſen theoretiſche Schriften und 
Dhrafierungsausgaben der klaſſiker bei Regers Umgebung ſchon viel 
Beachtung gefunden hatten. 

Der neue Gehrmeifter, der ſchon im nächſten Jahre an das KRon⸗ 
ſervatorium zu Wiesbaden kam und dahin auch ſeinen genialen 
Schüler mitnahm, brachte ihm außer umfangreichen und gründlichen 
£ontrapunktftudien namentlich Bach und Brahms nahe. Das war 
für Reger von entſcheidender, richtunggebender Bedeutung. Mit eiſernem 
Fleiß, mit der ganzen Hingabe feines durch und durch muſikaliſchen 
Weſens und mit der von Riemann als „unheimlich ſchnell“ charak⸗ 
terifierten Auffaffungsgabe vertiefte ſich der Siebenzehnjährige nament⸗ 
lich in die Klavier⸗ und Orgelwerke Joh. Seb. Bachs, der von nun 
an ihm war und blieb „Anfang und Ende aller Muſik.“ 

In Wiesbaden begann Reger bald neben ſeinen Studien, von 
feinem Lehrer eingeführt, die dreifache Tätigkeit, die feine Gebensarbeit 
werden und den Meiſter in feinem unermüdlichen Schaffensdrang und 
ſeiner unbegreiflichen Fruchtbarkeit von da an nicht mehr loslaſſen 
ſollte bis zum letzten Atemzuge, nämlich die Lehrtätigkeit, das Konzert 
und vor allem die Kompoſition. Die Lehrtätigkeit erſtreckte ſich 
in den erſten Jahren hauptſächlich auf praktiſche Fächer, namentlich 
Klavier und Orgelſpiel, ſpäter mehr auf theoretiſche Fächer, beſonders 
Kontrapunkt, Ranon und Fuge, Formenlehre und Analuſe der großen 

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Meifterwerke. Im Konzert trat Reger meiſt als Klavierſpieler und 
Dirigent auf. Seine Kompoſitionen umfaſſen das ganze Gebiet 
der Tonkunft mit Ausnahme der Oper und der großen Symphonie. 
mit beſonderer Liebe iſt die Orgel bedacht. Regers Stil, der fi 
mit der ſteigenden Opuszahl immer ſelbſtändiger, reiner und ſchlacken⸗ 
loſer geſtaltete, läßt ſich am beſten durch den Hinweis auf die „drei 
großen B“ kennzeichnen, auf Bach, Beethoven und Brahms, an deren 
Vorbild der kKunſtjünger ſich beſonders geſchult hatte. Don Bach 
hat Regers Stil die lebendige, alle Stimmen durchziehende Poluphonie 
und die unerbittliche Logik und fonſequenz der Entwicklung und des 
architektoniſchen Aufbaus, von Beethoven das Trotzig⸗Titaniſche, dem 
allerdings auch wieder — ähnlich wie Beethovens wundervolle Aöagios 
gegenüber den Eckſätzen feiner Sonaten und Symphonien — Stellen von 
unbeſchreiblicher Innigkeit und muſtiſcher Zartheit gegenüberftehen, 
endlich von Brahms die Verehrung und Treue gegen die klaſſiſchen 
Formen, aber auch die moderne vornehme, allem Gewöhnlichen, Banalen, 
Phraſenhaften bewußt aus dem Wege gehende, oft herb wirkende, nur 
langſam dem liebevollen Studium ſich erſchließende Ausdrucksweife, 

Der äußere Rahmen, in den Regers reiche Tätigkeit ſich ein⸗ 
fügte, war nach Abſchluß der Wiesbadener gahre und eines drei⸗ 
jährigen, ſtillen, aber äußerſt fruchtbaren Aufenthalts in der Heimat, 
von 1901 an München. 1907 erfolgte die Wahl zum Univerfitäts- 
muſikdirektor in Leipzig durch den dortigen akademiſchen Senat. 
Reger nahm an und blieb in Leipzig, bis ihn Herzog Georg II. von 
Sachſen⸗Meiningen im Jahre 1911 an die Spitze der Meininger hof⸗ 
kapelle berief. Die Lehrtätigkeit am Leipziger Konſervatorium, die 
er von 1907 an neben der Univerſttätsſtellung innegehabt, behielt er 
bis zum Tode bei. Im märz 1915 überfiedelte er nach Jena. Am 
10. mai 1916 erfolgte der plötzliche Tod. 

Einem beinahe bis zum 25. Jahre währenden fleißigen, zielbewußten 
unermüdlichen Ringen um die Meiſterſchaft in feiner Kunſt war 
ein Jahrzehnt voll Bitterkeit und Enttäuſchung im Kampf um die 
Anerkennung gefolgt. Erft das letzte Dezennium brachte den ver⸗ 
dienten Lohn: Unabhängigkeit, Ämter und Würden, Auszeichnungen, 
den Hofrat, Doktordiplome, Regerfefte, die een von ſeiten 
der ganzen gebildeten Welt. 

Und die Kirche? oder der Cäcilienverein, der bis zum Motu 
proprio Pius“ X. vom 22. November 1903, ſolange Regers Stern im 
Auffteigen begriffen war, als die tonkünſtleriſche Dertretung der katho⸗ 
liſchen Kirche Deutſchlands gelten konnte? 


rr 


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Vor mir liegen eine Anzahl kirchenmuſikaliſcher Jeitſchriften 


der Proteſtanten. Schon 1899, alfo zu einer Zeit, da Reger noch 
nicht die Opuszahl fünfunddreißig erreicht hatte und noch in der 
Stille und Derborgenheit des Daterhaufes weilte, machte ſchon die 
von Spitta und Smend herausgegebene proteſtantiſche „Monatſchrift 
für Gottesdienſt und kirchliche Kunſt“ auf Regers Orgelkompoſitionen 
aufmerkfam. Im folgenden Jahre erſchienen in nicht weniger als 
drei Nummern derſelben proteſtantiſchen Zeitſchrift ausführliche Würdi⸗ 
gungen und Empfehlungen des katholiſchen Meiſters. In Ur. 4 er⸗ 
greift unſer erſter deutſcher Orgelkünſtler, der damalige Organiſt an 
der Willibrordikirche zu Weſel, der heutige Leipziger Thomas kantor 
Profeffor Karl Straube ſelbſt die Feder und beſpricht eingehend die 
beiden eben erſchienenen großen Orgelkompofitionen Op. 291 und 332. 
„In Max Reger“, ſo lautet fein Urteil, „ift uns ein Talent erſten 
Ranges erſchienen. Ein Talent, welches, ausgeſtattet mit jedem zu 
lernenden Wiſſen der kiompoſitionstechnik die Begabung einer reichen, 
ſchöpferiſchen Eigenart beſitzt! Es ift ein ſchönes Jeichen für unfere 
Zeit, daß ein junger Meiſter, der allem Anſcheine nach berufen iſt, 
eine bedeutſame Erſcheinung in unſerer muſikaliſchen Entwicklung zu 
werden, aus innerſtem Drange heraus feine größte künſtleriſche kraft in 


Werken für das deutſcheſte der Inſtrumente, die Orgel, dokumentiert“. 


Zum Schluſſe wird ein Vergleich mit den Orgelwerken der franzöſiſchen 
Schule und ihren „billigen klangbildern a la Guilmant“ angeſtellt, der ſehr 
zu Gunſten des deutſchen Meiſters ausfällt. Das Endurteil lautet: „Fin⸗ 
den wir Interpreten kongenial dem Schöpfer diefer Kompofition, fo iſt die 
Blüte moderner Orgelkunſt noch immer nicht in Frankreich oder England 
zu finden, ſondern im Lande des klaſſiſchen Orgelſpiels: Deutſchland“. 

Auch andere proteſtantiſche Yeitfchriften trugen das Ihrige dazu 
bei, den jungen Ratholifchen Künftler zu ermutigen und anzuregen 
und ſeinen Namen zu verbreiten. Ich nenne nur die „Blätter für 
Haus⸗ und kiirchenmuſik“ (Cangenſalza), ferner die „Urania“, das 
Organ des Weimarer Hoforganiſten Gottfchalg, und „die Orgel“, das 
„Verbandsorgan des Vereins evangeliſcher Kirchenmufiker Bayerns.” 
Die letztgenannte Zeitſchrift bringt in ihrem neunten Jahrgang eine 
umfangreiche, etwa 15 Spalten füllende Würdigung fämtlicher Orgel⸗ 
werke Max Regers, ſoweit ſie bis dahin erſchienen waren und findet, daß 
manche von ihnen „zu den hervorragendſten Schöpfungen zählen, die bis⸗ 
her die Orgelliteratur gezeitigt hat“ und „Ewigkeitswerte” in ſich tragen. 


1 Phantaſte und Fuge in cemoll. Leipzig, R. Forberg. 
? Sonate in fis-moll. München, Joſ. Nibl. 


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Vergebens ſchaue ich mich um in den maßgebenden Organen 
des Cäcilienvereins aus der Zeit, da Reger um feine Anerkennung 
ringen mußte und feine großen Orgelwerke uns geſchenkt hat. Reine 
Spur von einer Würdigung, die der Bedeutung des Meiſters ent⸗ 
ſprochen hätte. Das iſt um fo mehr zu verwundern, als der Cäcilien⸗ 
verein doch auch die Pflege des kirchlichen Orgelſpiels auf ſeinem 
Programm ſtehen hatte und auch in ſeinen Reihen der Mangel an 
künſtleriſch hochſtehenden Orgelwerken gefühlt werden mußte. Ju⸗ 
dem beſtand ja die Stärke des neuen Regerſchen Orgelſtils gerade 
darin, daß er die Mängel überwand, die man auch von cäcilianiſcher 
Seite als die Schwäche des Rheinbergerftils tadelte. Bei dem inter⸗ 
nationalen gregorianiſchen Kongreß zu Straßburg im Jahre 1905 
wagte es der Domorganiſt, eine Slanznummer Regerſcher Orgelkom⸗ 
pofition (das Gloria aus op. 59, worüber fpäter noch ausführlich zu 
handeln ift) aufs Programm zu feßen. Aber in einem Winkel des 
Münfters ſaß Beckmeſſer in feinem Gemerk, und in der nächſten 
Nummer der Regensburger „Musica sacra“ ward das koſtbare Kunſt⸗ 
werk als „unkirchlich“ angekreidet und abgetan. ö 

Das waren ſchwere, verhängnisvolle Fehler. Schon früher war 
Reger einmal durch die kleinlichkeit und das ungeſchickte Verhalten 
eines ganz unmufikalifchen katholiſchen Geiftlichen in feinem ihn ganz 
beherrſchenden künſtleriſchen Empfinden tief verletzt worden!. Dann 
kam der Einfluß des als Mufiker und Muſiklehrer ſo bedeutenden 
Proteſtanten hugo Riemann, der ihn in die künſtleriſch unſtreitig 
reiche Welt des proteſtantiſchen Chorals und der Bachſchen Orgel⸗ 
muſik einführte. Und endlich die freundliche, ja begeifterte Aufnahme, 
die Regers Orgelwerke in der proteſtantiſch kirchenmuſtkaliſchen Preſſe 
fanden, und das Ausbleiben jeglichen wohlwollenden Echos von katho⸗ 
liſcher Seite. Das alles wirkte ungünftig auf das Verhältnis zur 
katholiſchen ktirchenmuſik. Aber noch brach der meiſter nicht alle 
Brücken ab. Wir wiſſen, daß es ihm immer noch nicht gleichgültig 
war, in unſeren Reihen kein Derftänönis zu finden. Seine letzte Hoff⸗ 
nung ſetzte er auf ſeinen Landsmann Dr. Haberl, als dieſer an die 
Spitze des Cäcilienvereins trat. Don ihm glaubte er, eine gerechte 
Würdigung erwarten zu dürfen. 

Sicherlich wäre es für uns ein unberechenbarer Gewinn geweſen, 
wenn dieſe Erwartung ſich erfüllt und das führende tonkünftlerifche 


ı Diefe und andere Einzelheiten aus dem Geben Mag Regers, die bei Gindner 
nicht zu finden find, verdanke ich perſönlichen Mitteilungen von Freunden des 
Meiſters, welche die fraglichen Dinge miterlebt haben. 


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Organ des deutſchen Katholizismus den Meifter überzeugt hätte, daß 
auch ſeine Mutterkirche ihrer alten Tradition getreu im neunzehnten 
und im zwanzigſten Jahrhundert noch eine Schüßerin und Pflegerin 
echter Tonkunſt geblieben ſei. Das tiefe religiöfe Gefühl und die 
unerſchöpfliche künſtleriſche Produktivität Regers hätten gewiß — ähn⸗ 
lich wie das Entgegenkommen der proteſtantiſchen Fachpreſſe — fo 
auch ein Entgegenkommen katholifcherfeits mit den koſtbaren Gaben 
feines gottbegnadeten Genies reich belohnt. Aber da kam die ſchroffe 
Ablehnung von Regensburg und die Folge war, daß Reger mit ſeinem 
künſtleriſchen Schaffen ſich ganz nach der proteſtantiſchen Seite hin⸗ 
neigte, die proteſtantiſche kirche allein mit ſeinen herrlichen Choral⸗ 
vorſpielen, Choralfantaſien und Choralkantaten beſchenkte und der 
Überzeugung lebte, daß feine katholiſchen Slaubensbrüder keinen Wert 
auf künſtleriſches Streben, insbeſondere nicht auf künſtleriſche höhe 
des Orgelſpieles legten. — 

Iſt max Reger nun für uns kiatholiken ganz unfruchtbar ge⸗ 
blieben? Nein! Aber die im katholiſchen Gottesdienſt verwend- 
baren Kompoſitionen find mühſam aus dem reichen Erbe des 
meiſters zuſammen zu ſuchen. 

Eigens für den katholiſchen Sottesdienſt iſt nur ein Werk von 
ſeinem Schöpfer beſtimmt, nämlich op. 61. Es iſt eine Sammlung 
einfacher, in ſchlichtem ernſtem Stil gehaltener mehrſtimmiger Geſänge 
zum ſakramentalen Segen, für Muttergottesandachten und für Leichen= 
feierlichkeiten.!“ Der Ernft und die Einfachheit dieſer Chöre find ein 
Beweis für die Tatſache, daß der wahre Künſtler inſtinktiv die Stil⸗ 
grenzen achtet, die bei der Vertonung liturgiſcher Texte zu gottes⸗ 
dienſtlichen Zwecken nicht ungeſtraft überfchritten werden dürfen. 
Gerade dieſes opus 61 und einige wenige ſeither unveröffentlichte 
kirchliche ktompoſttionen unſeres Meiſters, von denen bindner (5.239 ff.) 
Proben bietet, laſſen ein intereſſantes Streiflicht auf die Beſtrebungen 
mancher kleinerer Geifter fallen, die meinen, die ganze Triſtanchromatik 
in die liturgiſche Dokalkompofition verpflanzen zu mülfen, um unſerem 
Kirchenmuſikelend aufzuhelfen. 


1 „Geiht ausführbare Kompofitionen zum gottesdienſtlichen Gebrauch“ von Maß 
Reger, op. 61. a) Acht Tantum ergo für gemiſchten Chor. b) Vier Tantum ergo 
für zwei gleiche Stimmen mit Orgel. c) Dier Tantum ergo für gemiſchten Chor 
mit Orgel. d) Acht Marienlieder für gemiſchten Chor. e) Vier Marienlieder für 
zwei gleiche Stimmen mit Orgel. f) Vier Marienlieder für gemiſchten Chor mit 
Orgel. g) Sechs Trauergefänge für gemiſchten Chor. Leipzig, C. F. W. Siegels 
Mufikalienhandlung (R. Ginnemann.) Wie ich einer Mitteilung des Verlegers ent⸗ 
nehme, find dieſe GSeſänge in aller herren Länder verbreitet. 


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Eine bedeutend freiere und reichere Bewegung offenbart Regers 
melos in feinen „Seiſtlichen Liedern“. Ich hebe unter ihnen 
befonders zwei Hefte hervor, weil diefe beiden uns einen Blick ge⸗ 
ſtatten in das religiöfe Denken und Empfinden der großen Künſtler⸗ 
ſeele. In dem erſten Hefte, feinem op. 1051, ift es namentlich das 
muttergotteslied „Ih ſehe dich in tauſend Bildern“ von Novalis, 
deſſen Dertonung mir für die eine Seite der religiöfen Richtung Regers 
charakteriſtiſch zu ſein ſcheint. Den erſten Worten des Textes geht 
in der Orgelbegleitung ein aus vier Akkorden gebildetes Motiv voraus, 
das im Verlauf des Gefanges immer wiederkehrt und wie ein Leit⸗ 
motiv mit rein muſikaliſchen Mitteln uns immer wieder das leuchtende 
Bild der Himmelskönigin vor die Seele zaubert. Die Melodik und 
Harmonik iſt unendlich fern der weichlichen Sentimentalität mancher 
Marienlieder, fie offenbart einen ſolchen Adel und eine ſolche Dor» 
nehmheit des Empfindens, eine ſolche religiöfe muſtiſche Weihe, eine 
ſolche Gemütstiefe und Innigkeit, und dabei einen ſolch beſtrickenden 
Reiz und Wohllaut, wie es nur einer wahrhaft großen Künſtlerſeele, 
aber nur einer Seele mit tiefem natürlichem und übernatürlich ver⸗ 
klärtem religiöfen Gefühl möglich iſt. Reger malt hier das ſonnig 
Derklärende, Erhebende der katholiſchen Blaubenswelt, das ſich an 
die anbetungswürdige Geſtalt des Sottmenſchen knüpft und nicht 
allein als Muttergottesiyrik angeſprochen werden darf. Denn ganz 
die nämlichen verklärten muſtiſchen klänge kehren 3. B. wieder in 
dem wunderbaren Benedictus für Orgel aus op. 59, das die Bebets- 
ſtimmung zum Ausdruck bringt, wie fie den gläubigen Katholiken 
bei den weihevollſten Momenten der Meßliturgie erfüllt. 

Sanz andere Töne ſchlägt Reger in feinem opus 137? an. Wir 
wiſſen, daß die Rompofition dieſes Liederzyklus angeregt worden iſt 
durch einen Todesfall, der dem meiſter ſehr nahe ging. In den 
beiden erſten Nummern der Sammlung iſt es nicht mehr das ſonnig 
verklärte Heilandsbild, das uns in der Sprache der Töne vorgeführt 
wird, ſondern die Majeſtät des Richters und Herrn über Leben und 
Tod. Das ſtrenge Leuchten aus den Augen des Allwiſſenden läßt 
den Künftler demütig den Blick niederfchlagen und einwärtswenden. 
In feiner Jerknirſchung und Seelenangft findet der Meiſter Melodien 
und Harmonien, bei deren klang wir im tiefſten Innern unſeres 


1 Zwei geiftliche Gieder für eine mittlere Singftimme mit Orgel oder Sarmonium- 
begleitung von Maß Reger. op. 105. Leipzig, PLeuckart. 

JIwöõlf geiſtliche Lieder für eine Singftimme mit Begleitung von Aalaviet, 
Sarmontum oder Orgel von Max Reger. op. 137. Leipzig, Peters. Vetgl. dazu 
das vorletzte Heft dieſer Jeitſchrift 8. 75 f. 


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Herzens erſchauern und die ganze Nichtigkeit und Ohnmacht des 
fündigen Gefchöpfes vor der Richtermajeſtät des Schöpfers bittend 
und um Erbarmen flehend ausſprechen möchten. Der ſtark ſubjektive 
Charakter dieſer tiefreligiöfen, ernſten Geſänge geſtattet nur eine gottes⸗ 
dienſtliche Derwendung bei außerliturgiſchen Anläſſen. 

Ungleich reicher iſt die Ausbeute an Tonwerken, die für den 
katholiſchen Gottesdienſt in Frage kommen, wenn wir nun zu dem 
Gebiete übergehen, auf welchem Reger unbeſtritten das Wertvollſte 
geſchaffen hat ſeit den Tagen eines gohann Sebaſtian Bach. „Das 
Orgelſpiel muß erſt mal wieder zu einer ernſten kunſt erhoben 
werden.“ So ſchrieb Mar Reger im erften Jahrzehnt feiner kkompo⸗ 
fitionstätigkeit an einen Organiſten (Lindner 8. 278). Bei der 
Trauerfeier nach ſeinem Tode rühmt ein ſo kompetenter Richter wie 
Generalmuſikdirektor Wolfrum von heidelberg, Reger habe die Jo 
lange verkannte und mißachtete Orgelbank „gleich einem Johann 
Sebaftian Bach wieder zu einem Fürſtenſitze deutſchen Geiftes- und 
Gemütslebens erhoben“ (Lindner 8. 38). 

Ruf welchem Wege der Meiſter die hebung der Orgelkunft erreichen 
wollte, darüber hat er ſich unzweideutig ausgeſprochen. „Vor allem 
muß dem deutſchen Publikum und leider auch vielen Organiſten erſt 
wieder klar gemacht werden, daß das Heil unſerer Orgelmuſik nicht 
in ausländiſchen Erzeugniffen erwartet werden darf, ſondern nur aus 
deutſchen Organiſtenkreiſen. Ich bin extremer Fortſchrittsmann; nie 
kann mir eine Sache zu toll fein — aber nie und nimmer kann ich 
das Heil der Orgelmuſik in der Art finden, wie die Franzoſen und Eng⸗ 
länder die Orgel behandeln. Nur eine aus Bach hervorgewach⸗ 
ſene kompofitionstehnik kann uns den wahren Fortſchritt 
bringen“ (Linöner 8. 278). 

Der Gegenſatz zu der außerdeutſchen Orgelkompoſition zeigt ſich 


bei Reger zunächſt in ſeiner Abneigung gegen alles unwahre Schein⸗ 


weſen, gegen das lügenhafte Verſchleiern der inneren Armut und 
Hohlheit durch einen der Orgel unwürdigen, vom modernen Orcheſter 
geborgten Farbenflitter. „Eine Kompofition muß vollkommen farblos 
gefpielt werden können, wenn fie gute Mufik fein foll.” Solche und 
ähnliche Sätze hörten die Schüler oft aus dem Munde des Meiſters. 
„Phraſentum“, fo ſchrieb dieſer ſchon im fiebzehnten Lebensjahr an 
bindner, „inhaltlofes Getue ift mir ein Greuel; immer muß die archi⸗ 
tektoniſche Schönheit, der melodiſche und imitatoriſche Zauber da fein.“ 
Melodifcher Zauber, der Zauber eines originellen, ſeelenvollen melo⸗ 
diſchen Einfalls, der in einer kunſtvoll und logiſch ſich entwickelnden 


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melodie ſich fortſpinnt, — der imitatoriſche Zauber, eine lebendige, 
reiche Polyphonie, die rege Teilnahme auch der Begleitungsftimmen 
an dem melodiſchen Leben durch eine ſelbſtändige, charaktervolle 
Eigenbewegung — und endlich architektoniſche Schönheit, der konſtruk⸗ 
tive Aufbau des Ganzen und ſeiner Teile in einer dem Weſen des 
Stückes angepaßten, harmoniſchen und ſummetriſchen Form, die nicht 
dem Werke von außen aufgezwungen, ſondern ſich aus dem natür⸗ 
lichen logiſchen Rusleben der künſtleriſchen Jdeen von felbft ergibt — 
das ſind Vorzüge des Regerſchen Orgelſtils, die der Verehrer 
eines Johann Sebaſtian Bach aus dem Studium feines großen Dor⸗ 
bildes gewann. „Im Grunde genommen ſind wir ja alle Epigonen 
gohann Sebaſtian Bachs“, bekennt er demütig in einem Briefe an Gindner. 
Wie wenig übrigens Regers Orgelſtil eine bloß epigonenhafte Nach⸗ 
ahmung des großen Leipziger Thomaskantors darſtellt, dafür ift ſchon 
der Umſtand ein genügender Beweis, daß kein Vorwurf fo häufig 
unferem Meiſter gemacht werden konnte, als der, er ſei ein Neuerer, 
ein Umſtürzler, ein Revolutionär auf künſtleriſchem Gebiete. Schon der 
Vierund zwanzigjährige muß ſich gegen dieſes Urteil wehren. Er ſchreibt 
am 11. April 1899 an feinen Mentor: „Ich, der glühendſte Verehrer 
goh. Seb. Bachs, Beethovens und Brahms', ſoll den Umſturz predigen! 
Was ich will, iſt ja doch nur eine Weiterbildung dieſes Stils!“ 
Es wäre eine außerordentlich verlockende Aufgabe, die melodiſche, 
harmoniſche und rhuthmiſche wie auch die inhaltliche Weiterbildung 
des Bach' ſchen Orgelſtils durch Max Reger im Einzelnen aufzuweiſen. 
Um aber nicht zu weitläufig zu werden, mag es hier genügen, von 
den vielen zu dieſem Problem ſchon geäußerten Gedanken einen her⸗ 
auszugreifen, der die Betrachtung von dem hiſtoriſchen und äſthetiſchen 
Gebiete auf das konfeſſionelle hinüberſpielt. Es ift die Weiterbildung 
des Bachſchen Orgelſtils durch Max Reger ſchon dahin charakteriſiert 
worden, daß man ſagte, Bachs Orgelmuſik ſei proteſtantiſch, die 
Regerſche katholiſch. Den Beweis für die kühne Antitheſe hat man 
in dem unbeugſamen, trotzigen Einherſchreiten der Bachſchen Kontra⸗ 
punktik gegenüber dem demütigen, grübleriſchen, in ſich verſunkenen, 
muſtiſchen Weſen des Regerſchen Ethos erblicken zu müſſen geglaubt. 
Man wird auf dieſen Unterſchied aber kein großes Gewicht legen 
dürfen. Denn einmal iſt damit überhaupt weniger ein Unterſchied 
im Perſonalſtil, als vielmehr im Zeitſtil namhaft gemacht. Zudem 
ließen ſich bei Bach, namentlich in feinen Orgelchorälen, unſchwer eine 
große Anzahl von Stellen nachweiſen, in denen weniger das Trotzige 
und Unbeugſame, als das Muſtiſche und Derfunkene und demütig 


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Anbetende der Bachſchen Frömmigkeit zum Ausdruck kommt. Natür- 
lich geht es auch nicht an, die Feſtigkeit und Unbeugfamkeit, unter 
Umftänden ſogar eine trotzige Unbeugfamkeit aus dem Tugend katalog 
des katholiſchen Charakters zu ſtreichen. Übrigens haben wir fiatho⸗ 
liken allen Grund, mit dem großen Bachkenner und Bachbiographen 
Spitta an der Überkonfeſſionalität der Bachſchen Inſtrumentalmuſik 
feſtzuhalten und ſowohl zum Studium, wie zum gottesdienſtlichen 
Gebrauch die herrlichen Orgelwerke des großen Leipziger Thomas⸗ 
Rantors heranzuziehen. Er iſt ja unſchuldig an dem Umſtand, daß 
ſeine Wiege im proteſtantiſchen Thüringen ſtand und iſt perſönlich 
fein Geben lang allem konfeffionellen Bader fern geblieben. 

mit mehr Recht kann man einen konfeſſionellen Unterſchied in 
den Orgelwerken der beiden großen Meiſter konſtruieren, wenn man 
die von beiden verwerteten Motive nach ihrer herkunft aus 
liturgiſchen Sefängen des katholiſchen oder proteſtantiſchen 
Gottesdienftes unterſuchen wollte. Bei dieſer Frageſtellung ent⸗ 
decken wir unter Regers Orgelwerken einige Stücke, die nur der mit 
der Liturgie des katholiſchen Kottesdienftes vertraute ſüddeutſche 
meiſter ſchreiben konnte. In feinem op. 591 findet ſich eine Nummer 
mit der Überſchrift: Bloria in ezcelsis. Das Hauptthema dieſes 
Stückes iſt dem gregorianiſchen Choral entnommen und findet 
ſich als Intonation des Bloria in der vierten Meſſe des vatikaniſchen 
£yriale. Mit mächtigen, doppelgriffigen lapidaren Akkorden, Note 
für Note harmoniſiert, ſteht die jedem katholiſchen Kinde vertraute 
Weiſe an der Spitze. Nach wenigen Zwiſchentakten, die ſich wie die 
kurzen Nusrufe: laudamus te, benedicimus te etc. im Gloria der 
Meſſe anhören, erſcheint das hauptthema abermals im Pedal, wäh⸗ 
rend doppelgriffige Akkorde im Manuale Note gegen Note kontra⸗ 
punktieren. Ein zehn Takte umfaſſender Zwifchengedanke führt zum 
Beginn einer erſten groß angelegten Satzentwicklung mit einer durch 
ſiebenundzwanzig Takte fortſchreitenden gewaltigen Steigerung, an 
deren Höhepunkt das Gloriamotiv erſcheint, zuerſt wirkungsvoll von 
dem in doppeltem forte einſetzenden Pedal und dann auf dem Gipfel- 
punkt der Entwicklung und dunamiſchen Steigerung von der durch 
Oktaven verſtärkten Oberſtimme mit vollem Werke vorgetragen. Nun 
ſetzt piano ein gegenſätzlicher Gedanke ein. Wie im Gloria der Meſſe 
nach den freudig jubelnden Lobpreifungen Gottes die Seele ſich ihrer 
Armſeligkeit bewußt wird, ihren lauten Jubel unterbricht und ein 
demütiges qui tollis peccata und suscipe deprecationem ſtammelt, fo 

1 Zwölf Stücke für die Orgel von Mar Reger op. 59. Leipzig, Peters. 


mi 


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ſchlägt auch der folgende kurze fugierte Zwiſchenſatz einen innig 
flehenden Ton an. Aber kaum iſt er im fanfteften pianiffimo aus⸗ 
geklungen, da hebt auch ſchon wieder der Jubel an. Das Gloria⸗ 
motiv wird nun ſelbſt zum Gegenſtand thematiſcher Bearbeitung. Ein⸗ 
ſtimmig, von einem im lebendigen Triolenrhuthmus ſich bewegenden 
Rontrapunkt umſpielt, tritt es ſiegreich und der Erhörung gewiß auf. 
Ein weiteres Stimmenpaar bemädtigt ſich feiner: und führt die Ent⸗ 
wicklung weiter. Immer lebhafter wird die Bewegung, immer lauter 
der Gobeshymnus, bis ſchließlich die volle Orgel all ihre Stimmen zur 
Verfügung ſtellt und mit einer an apokaluptiſche Bilder gemahnen⸗ 
den Gewalt beim letzten höhepunkt all ihre Kraft zuſammenfaßt in 
ein mächtig ausklingendes jubelndes „Gloria in excelsis Deo“. 

Hier iſt die Bachſche Orgelſprache weitergebildet, machtvoll ge⸗ 
ſteigert, in das neuzeitliche muſikaliſche Spradidiom überſetzt und 
mit katholiſchem Seiſte erfüllt. Hihnlich wird in einem anderen Ton⸗ 
ftück desfelben Opus 59 die gregorianiſche Intonation des bobgeſanges 
Te Deum laudamus thematiſch ausgedeutet und meiſterhaft durch⸗ 
geführt. Es find zwei künſtleriſch vorbildliche Mufter, an denen 
unſere Orgelſpieler und Orgelkomponiſten lernen ſollten, wie unſere 
herrliche Liturgie durch das feſtliche Spiel der Orgel zu umrahmen 
iſt, wie unſere wunderbaren liturgiſchen Gefänge wirkungsvoll ein⸗ 
geleitet und zu einem machtvollen Ausklang gebracht werden können. 
hier iſt von einem gottbegnadeten Genie der Weg gewieſen zu einer 
künſtleriſchen Derbindung altchriſtlichen Geiftes mit der muſikaliſchen 
Form eines gohann Sebaſtian Bach, zu einer Vermählung der alt⸗ 
kirchlichen gregorianiſchen Melodien mit der hochentwickelten neuzeit⸗ 
lichen Tonſprache, ein Denkmal überzeitlicher und übernationaler Katho⸗ 
lizität, ein lebendiges Symbol der ſubjektiven Durchdringung 
und Befeelung der objektiv gegebenen, aus der Vergangen- 
heit überkommenen liturgiſchen Formen durch liebevolles, 
betendes und künſtleriſch ſchaffendes Derfenken. 

nicht direkt gregorianiſche Weiſen, aber wunderbare von tiefer 
Frömmigkeit und muſtiſcher Andachtsglut erfüllte tonkünftletifche Nach⸗ 
dichtungen liturgiſcher Weihegeſänge bietet Reger in feinem Kurie 
eleison und Benediktus aus demſelben Opus 59 und in ſeinen beiden 
Ave Maria aus Opus 631 und 802. 

Für den katholiſchen Gottesdienſt könnten auch eine Reihe von 
Choralvorſpielen komponiert ſein, die Reger in ſeinen op. 67, 


Monologe. Zwölf Stücke für Orgel von Mag Reger. op. 63. Geipzig, Peuckart. 
Heft II. Ur. 7. Zwölf Stücke für Orgel von Max Reger. op. 80. Leipzig, Peters. 
Heft I. Nr. 5. N 


173 


79 b, 135 a und 145! veröffentlichte. Wir entöÖecken unter ihnen Melo⸗ 
dien zu Rirdhenliedern, die auch vom katholiſchen Volke gefungen 
werden. So das beliebte Paſſionslied: „O Haupt voll Blut und Wunden“ 
(op. 67, n. 14 und op. 135 a, n. 21), ferner das alte Pfingftlied: 
„Romm heiliger Geiſt, Herre Gott“ (op. 145, n. 6) und das bekannte: 
„Großer Gott, wir loben dich (op. 135 a, n. 10). Das Weihnachts- 
lied „Dom himmel hoch da komm ich her“ hat Reger mehr⸗ 
mals bearbeitet: einmal in ſeinem op. 67, n. 40, und op. 135 a, n. 24; 
dann in der Orgelſonate op. 60, wo die Melodie als Abſchluß des 
zweiten Satzes erſcheint, den der Meiſter mit Invokation überfchrieben 
hat, und endlich in feinem letzten Orgelwerke op. 145, das uns Reger 
kurz vor feinem Tode geſchenkt hat. Das dritte Orgelſtück dieſer 
Sammlung trägt den Titel: „Weihnachten.“ Wer da nun meint, etwa 
ein ſüßliches Paſtorale zu finden, iſt bald enttäuſcht. Reger hat 
feine Aufgabe viel tiefer erfaßt. Das Anfangsmotiv, das die erften 
achtzehn Takte beherrſcht, klingt mit feinen ſchwermũtigen Diſſo⸗ 
nanzen wie der Seufzer einer unerlöſten Seele, die aus tiefer Ar⸗ 
mut und not nach ihrem Heiland ruft. Mit Takt 19 ſetzt ein 
ſehnſüchtiger Seſang ein, der voll tiefer Empfindung emporſteigt 
und dann wieder ſtill verklingt. Das Seufzen iſt zum ſingenden Beten 
geworden, das aber unerhört verhallt. Wieder werden die ſchmerz⸗ 
lichen Aöventsfeufzer des Anfangs hörbar. Da im Takt 51 ſtimmt 
das Pedal eine choralmäßige Weiſe an. Es tönt wie aus der Unter⸗ 
welt, wie der Gefang des altteſtamentlichen hoffenden Nrael aus der 
Dorhölle. Die Oberſtimmen kontrapunktieren lebhaft, zuerſt piano, 
dann poco a poco crescendo ſteigen Melodien auf, die mit ihrem 
ſchmerzvollen Chroma zu der ruhig ſingenden Unterſtimme kontra⸗ 
ſtieren. Es ift, als ob unerlöfte beidensklage und qualvolle Sünden⸗ 
not aus heidniſcher Vorzeit ihre Stimme mit der Sehnſucht des gläu⸗ 
bigen Ifrael vereinigte, um nach dem Meffias zu rufen. Die Seelen⸗ 
not wird immer ſchmerzlicher, das Rufen immer lauter, der Fuſammen⸗ 
klang ſteigert ſich ſchließlich zu einer Kette von Diſſonanzen, wie fie 
nur einem Reger zu Gebote ſtehen, und die wie Verzweiflungsaus⸗ 


brüche zum himmel ſchreien. Da auf einmal im Takt 68 bricht der 


Verzweiflungsſchrei ab. Leife klagend verklingt die Choralweiſe. Aus 
der Tiefe läßt ſich noch einmal der Seufzer des Anfangs vernehmen. 
Plötzlich hellt ſich der himmel auf. In den höchſten Tonregionen 


1 op. 67: 52 Choralvorſpiele. Leipzig, Univerfaledition. — op. 79 b. Kompo= 
fitionen für Orgel. Langenfalza, Beyer. — op. 135 a. 30 Rleine Choralvorſpiele. 
Berlin, 8imrock. — op. 145. Orgelſtücke. Hameln, Oppenheimer. 


a 


174 


mit den feinften Engelftimmen der Orgel — Reger ſchreibt vor: „äußerft 
lichte Färbung” — beginnt es mit dem hellſtrahlenden D-dur-Drei- 
klang zu fingen: „Dom Himmel hoch da komm ich her“ — und im 
Tenor ſingt es leiſe wie ein ferner Männerchor — Reger ſchreibt vor: 
„ſehr zart hervortretend“ — „Stille Nacht, heilige Nacht“ und wunder⸗ 
bar harmoniſch verweben ſich die Engelſtimmen von der höhe und 
die Stimmen der erlöſten Menſchheit aus der Tiefe zu einem ſüßen, 
anbetenden Huldigungsgeſang vor dem Gotteskinde in der Krippe. 
Ein tiefergreifendes Tongedicht. Die geſamte Orgelliteratur kennt 
wenige Stücke, in welchen ſich alſo wie hier religiöfe Weihe und 
Rünſtleriſche Vollendung die Hand reichen. | 

Auch von den übrigen weniger bekannten kiirchenlied⸗ 
melodien haben manche im katholiſchen Gotteshauſe Bürgerrecht. 
Die Sangweiſe des alten Liedes „O Welt ich muß dich laſſen“ (op. 67, 
n. 38. und op. 135 a, n. 22.) erſcheint in manchen katholiſchen Seſang⸗ 
büchern (3. B. im Freiburger Magnifikat) zu dem Text: „O heilige 
Seelenfpeife”. Bäumker! weiſt noch u. a. von den folgenden Liedern 
nach, daß fie auch in katholiſchen Geſangbüchern ſich finden: „Allein 
Gott in der höh ſei Ehr“ (op. 67, n. 1. und op. 135 a, n. 23. „Aus 
meines Herzens Grunde” (op. 67, n. 4). „Chriftus, der ift mein Geben” 
(op. 67, n. 5; op. 79 b, Heft 2, n. 3; op. 135 a, n. 1). „Berzliebfter 
geſu, was haft du verbrochen“ (op. 145, n. 4). „Jeſus meine ZJuverſicht“ 
(op. 67, n. 28; op. 135 a, n. 13). „nun danket alle Gott“ (op. 67, 
n. 27; op. 79 b, heft 2, n. 5; op. 135 a, n. 18). „Nun freut euch 
liebe Chriſten“ (op. 67, n. 28). „nun komm der heiden Heiland“ 
(op. 67, n. 29). „O Lamm Gottes unſchuldig“ (op. 67, n. 32). „Sollt 
ich meinem Gott nicht ſingen“ (op. 67, n. 36). „Straf mich nicht in 
deinem Zorne“ (op. 67, n. 37). „Werde munter mein Gemüte“ (op. 67, 
n. 47). „Wer weiß, wie nahe mir mein Ende“ (op. 67, n. 48; op. 79 b, 
Heft 1, n. 6). „Wie ſchön leuchtet der Morgenſtern“ (op. 67, n. 49; 
op. 135 a, n. 29). 

Wenn ich nun noch kurz aus den übrigen Orgelkompoſitionen 
Max Regers eine Auswahl von ſolchen Tonftücken treffen ſoll, die 
ich im katholiſchen Sottesdienſt für verwendbar halte, ſo er⸗ 
öffne ich deren Reihe mit einem kurzen Feſtpräludium, deſſen 
Fakſimile bindner (8. 226) veröffentlicht und deſſen Entſtehungs⸗ 
geſchichte er folgendermaßen erzählt: „An einem heißen Augufttag 


Das Ratholifhe deutſche Kirchenlied in feinen Singweifen von den früheften 
deiten bis gegen Ende des 17. Jahrhunderts von Wilhelm Bäumker. Freiburg, 
Herder. 1886 ff. 


175 


kam Reger in mein Arbeitszimmer und entdeckte da auf meinem 
Schreibtiſch einen Band Notenpapier, auf dem ich mir ſelbſt eine Reihe 
von Orgelſtücken namhafter kkomponiſten zuſammengeſchrieben hatte. 
mein Freund las die Sachen flüchtig durch, lächelte und meinte: ‚Haft 
ja nicht viel Gefcheites darin. Schreib ich dir was anderes herein. 
Aber eine feine Limonade koſtet es!“ Sofort ging er ans Schreiben. 
Ich beeilte mich natürlich, meinem Freunde die gewünſchte Limonade 
zu bereiten, und hatte bereits einige Minuten nach Fertigſtellung 
meines Gebräus das Vergnügen, ein inzwiſchen geborenes, eine Seite 
langes Feſtpräludium in c-moll begrüßen zu dürfen, das ſchon auf dem 
Flügel, auf welchem wir es ſofort zuſammenſpielten, gar prächtig 
klang. Ungleich eindruckmächtiger wirkte es natürlich auf meiner 
ſchönen neuen Stadtpfarrkirchenorgel, wo ich es ſpäter zur Ehre 
Gottes und zum Andenken an den abwefenden Freund noch gar oft⸗ 
mals feierlich erklingen ließ“ (8. 225). 

Zunächſt wäre ſodann eine wirkungsvolle Romanze in a=moll . 
zu nennen, die Reger ohne Opuszahl für harmonium und auch für 
Orgel erſcheinen ließt. Unter den ſechs Trios, die der Meiſter als 
op. 47? veröffentlichte, iſt namentlich der einleitende Kanon, dann die 
ſchöne kianzonette (n. 3) und das Siziliano (n. 5) zu empfehlen. Als 
op. 56 folgten „fünf leicht ausführbare Präludien und Fugen“ ?. Die 
Themen der E⸗dur⸗ und 6⸗dur⸗Fuge haben kirchlichen Charakter. Das 
Präludium in C-dur atmet Bachſchen Geil. Das in h⸗moll gehört 
zu den innigſten und zarteſten, die Reger geſchrieben hat. Das Paſto⸗ 
rale aus dem mehrfach ſchon genannten op. 59 iſt ein herrliches 
Beiſpiel für die ktunſt des Meiſters, ein an ſich weich klingendes 
Thema vornehm und der Würde und dem Ernft der Orgel angemeſſen 
durchzuführen ohne der Paſtoralſtimmung Gewalt anzutun. N. 6 
bringt eine prächtige Fuge mit echt orgelmäßigem Thema und wir⸗ 
kungsvoll ſteigernder Entwicklung; n. 11 eine Melodie von wunder⸗ 
barer Sanglichkeit. Aus den Monologen op. 63 (vergl. oben 8. 172) 
hebe ich außer dem ſchon genannten Five Maria die C-dur⸗Fuge (n. 2) 
und die herrliche kanzone (n. 3) hervor. Don der glänzenden Paſſa⸗ 
caglia (n. 6) laſſen ſich nur die erſten Sätze im Gottesdienft verwerten. 
Im Gegenſatze zu dem Paſtorale aus op. 59 trägt dasjenige aus 
op. 651 einen mehr herben Charakter, während die Conſolation die 
ganze muſtiſche Tiefe der Regerſchen Mlufe offenbart. Die Fuge (n. 6) 
entwickelt ſich aus einer gewiſſen Zurückhaltung, die das chromatiſche 


1 Derlag von Karl Simon, Berlin. ? Peipzig, Univerfaledition. Ebendaſelbſt. . 
Zwölf Stücke für die Orgel. Leipzig, Peters. ER 


176 


Thema am Anfang zur Schau trägt, zu feſtlichem Glanz. Die kan⸗ 
zone (n. 9) iſt ein Prachtſtück Regerſcher Melodik, wie die Fuge (n. 12) 
ein Prachtſtück Regerſcher Kontrapunktik. Aus op. 691 führe ich nur 
den Moment musical (n. 8) an. Seine herrliche Melodie gehört mit 
den ſoeben genannten Ranzonen aus op. 63 und 65 und den beiden 
Melodia überfchriebenen Stücken aus op. 59 und dem noch zu nen⸗ 
nenden op. 129 zu jenen glücklichen Eingebungen Regerſcher Kunſt, 
die den ſchlagendſten Gegenbeweis liefern gegen die verbreitete Mei⸗ 
nung, Reger ſei außerſtande geweſen, eine ſangbare, großzügige, 
aus dem herzen quellende und zu herzen gehende Melodie 
zu bilden. Auf einer künſtleriſch gut intonierten Orgel von Künſtler⸗ 
hand geſpielt, gehören die genannten Stücke zu den wertvollſten 
Melodien, welche von der Tonkunſt im Gottesdienft zur Verherrlichung 
des Allerhöchſten je geſungen wurden. Es lebt in ihnen etwas von 
dem Geiſte und dem Ewigkeitswert des gregorianiſchen Chorals. 

Aus op. 80° find außer dem oben genannten Ave Maria die in⸗ 
time e⸗moll⸗Fuge, die etwas unruhige kianzonetta, die liebliche Romanze 
und das freundliche Intermezzo mit feinen Echowirkungen zu erwähnen. 
Don den vier Präludien und Fugen des op. 85? haben die in cis⸗ 
moll und F⸗dur gottesdienſtlichen Charakter. Das F⸗dur⸗ Präludium 
entführt uns in myftifche höhen. Huch das Präludium und die Fuge, 
welche op. 92“ einleiten, ſodann die Romanze in As-dur aus demſelben 
Opus, und endlich die Fuge in d⸗moll, der Kanon und das Intermezzo 
mit der ſchon genannten Melodia aus op. 129° find Werke, die ebenſo 
künſtleriſche höhe, wie religiöfe Weihe offenbaren. Dielleicht ließe 
ſich auch unter den zahlreichen hier nicht ausdrücklich genannten 
Orgelkompoſitionen noch das eine oder andere im Gottesdienſt ver⸗ 
wenden. Ich halte fie zum Konzertvortrag für paſſender und befinde 
mich wohl in dieſer Auffaffung mit ihrem Schöpfer in Übereinftimmung, 
der am 15. Januar 1900 an einen Organiſten ſchrieb: „Ift denn ver⸗ 
geſſen worden, daß die Orgel nicht nur ein ktircheninſtrument iR, 
ſondern auch Konzertinftrument erften Ranges!” — 

„gede Babe Gottes ift eine Aufgabe“. Max Reger, fein 
geniales Künſtlertum, feine Werke, die künſtleriſche hebung und Be⸗ 
reicherung der Orgelkompoſition find ein großes Geſchenk der Vor⸗ 
ſehung. Auch dieſe Gabe ſtellt uns vor eine Aufgabe: Die künſt⸗ 
leriſche höhe der Orgelkompoſition muß im Rahmen der hl. Liturgie 

1 Fehn Stücke für die Orgel. Berlin, Bote und Bock. Zwölf Stücke für die 


Orgel. Leipzig, Peters. Ebendaſelbſt. Suite für die Orgel. Leipzig, Otto For- 
berg. ° Neun Stücke für die Orgel. Berlin, Bote und Bock. 


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Untere Katakombe — St. Gertraudenkapelfe 


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Obere Katakombe — 


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177 


zur Geltung kommen. Die liturgiſche Mufik foll wahre und wirk- 
liche Kunſt fein. Das ift Geſetz ſeit Pius X. Die neue Generation 
der Kirchenmufiker möge lernen aus den traurigen Erfahrungen der 
Vergangenheit. Man ſoll nicht mehr ſagen können mit Anton Bruckner: 
„Wenn ihnen nichts einfällt, dann nennen ſie“s kirchlich!“ Sache der 
kirchenmuſtikaliſchen Organiſationen iſt es, dafür zu forgen, daß der 
gute Name unferer hl. Hirche auch im zwanzigſten Jahrhundert ge⸗ 
wahrt bleibt oder wiederhergeſtellt wird. Und dieſer gute Name 
heißt: Schützerin und Pflegerin der heiligen Kunſt. 


annere eee eee eee eee eee sees eee bee eee dense 
eee AO eee eee eee eee eee eee οBνE,&,s ü % ο,,,we gesessen οο h ,mʒubaessses FELD SERIE EROLHABGGAITIGHIEEOSEATLUBLVOGHELTTAUFEDEABTAE 


„Gottgeweiht im Gaienkleid”. 


Bedanken und Ratfchläge zur Tertiaren⸗ und Oblatenbewegung 
von Abt Plazidus Glogger (Augsburg). 


I. 

as Bilò der Hirche Chrifti in ihrer ganzen gugendſchönheit [childert 

uns die Apoſtelgeſchichte (2, 44 ff): „Alle Gläubigen waren bei⸗ 
fammen und hatten alles gemeinſam. Ihr Hab und But verkauften 
ſie und teilten es unter alle, wie es einem jeden not tat. Täglich 
verharrten fie auch einmütig im Tempel, brachen das Brot in ihren 
Häufern umher, genoſſen ihre Speiſe in Frohlocken und herzensein⸗ 
falt und lobten Bott und waren beim ganzen Volke beliebt“. Leider 
konnte es nicht immer fo bleiben. Die Kirche breitete ſich aus und 
mußte auch Elemente in ſich aufnehmen, welche nicht in dieſer All⸗ 
gemeinheit die evangeliſchen Räte befolgen konnten, ſondern ſich auf 
das gewöhnliche chriſtliche beben beſchränkten. Aber immer hat es 
in der Kirche auserleſene Seelen gegeben, die in beſonderer Weile 
ihrem Gott dienen wollten, wie die weltflüchtigen Einfieöler in der 
Wüſte, wie die ungezählte Schar von Mönchen und Ordensfrauen 
von den älteſten Jeiten bis auf unſere Tage. Doch ſie alle lebten 
oder leben in Weltabgeſchiedenheit oder in Rlöfterlicher Gemeinſchaft 
und fo ift vielen wahrhaft gottliebenden Seelen dieſer Weg durch die 
Derhältniffe verſchloſſen. Deshalb tauchte immer und immer wieder 
der Gedanke in der ktirche Gottes auf, auch Seelen, die in der Welt 
leben, die Möglichkeit eines „gottgeweihten“ Lebens zu verſchaffen. — 
Schon in den erſten chriſtlichen Jahrhunderten gab es Seelen, welche 
Bott ihre Jungfräulichkeit weihten und dabei zuhauſe bei ihren An⸗ 
gehörigen lebten. Im Mittelalter ſchuf der große ſeraphiſche hl. Franz 
von Aſſiſt ſeinen berühmten Dritten Orden für Weltleute, auch für 

Benediktinifhe Monatſchrift IV (1922), 5—6. 12 


178 


Verheiratete, und viele andere Orden haben dieſe ſegensvolle Einrich- 
tung nachgeahmt, indem fie den in den Klöftern lebenden Orden 
einen Dritten Orden oder ein Oblateninſtitut anfügten. Zur Zeit der 
Glaubensſpaltung rief die hl. Angela Merici die Gefellfehaft der in 
der Welt jungfräulich lebenden Urfulinen ins Geben. Daneben haben 
Bruderſchaften, fromme Vereine und namentlich die Marianiſchen 
Rongregationen eine ungeahnte Ausdehnung gewonnen. Nuch in 
unferen Tagen geht ein Zug nach größerer Gottinnigkeit, nach einem 
vollkommneren Leben durch die Welt und wir müſſen dieſem Bedürf- 
nis Rechnung tragen, wenn wir die Zeichen der Jeit verſtehen wollen. 
Einen neuen Orden für Weltleute ins Leben rufen zu wollen wäre 
angeſichts der bereits vorhandenen trefflichen Einrichtungen völlig 
überflüſſig. Dagegen dürfte es nicht unangezeigt erſcheinen, die ſchon 
vorhandenen Vereinigungen zu neuem Eifer anzufachen und ihnen 
neue Mitglieder zuzuführen. 

Viel wird gegenwärtig geſchrieben und geredet, um die Welt zu 
verbeſſern. Dies mag alles gut fein. Aber wir brauchen Leute, 
welche handeln, welche den Sauerteig bilden ſollen, um die Welt 
allmählich und unbemerkt, aber um ſo ſicherer und erfolgreicher mit 
den chriſtlichen Srundſätzen zu durchdringen. Wir brauchen eine be⸗ 
trächtliche Anzahl ſolcher, die nach einem vollmommenen beben ſtreben. 
„Gebt fie uns, und es folgt mit innerer Notwendigkeit, daß fie ihre 
Umgebung nicht nur zur Erfüllung ihrer Standespflichten anſpornen, 
ſondern auch zur Anſtrebung einer höheren Dollkommenheit als jene, 
zu der ſchon das allgemeine Sittengeſetz verpflichtet.“ So ſchrieb 
unfer fo jäh abberufener hl. Vater Papſt Benedikt XV. in feiner Enzu⸗ 
klika vom 6. Januar 1921 zum 700jährigen Sründungsjubiläum des 
Dritten Ordens vom hl. Franziskus, indem er dadurch in großartiger 
Weiſe das Signal zu einer neuen Tertiaren⸗ und Oblatenbewegung 
gab. — Dieſen auserwählten Seelen in der Welt, die in frommen 
Vereinen, Bruderſchaften, Marianiſchen Kongregationen, Oblateninſti⸗ 
tuten oder einem Dritten Orden zu beſonderen Gruppen vereinigt 
ſind, oder die allein für ſich unter der beitung ihres Seelenführers 
leben, möchten wir im folgenden den gemeinſamen Namen „Gott⸗ 
geweiht im Laienkleid” geben. Ihr gemeinſames Ziel ift bei 
aller Derfchiedenheit der Lebensbedingungen und bei aller Mannig⸗ 
faltigkeit der Mittel zur Erreichung dieſes Zieles das Beſtreben „in⸗ 
mitten eines böſen und verkehrten Geſchlechtes“ (Phil. 2, 15) die 
Seele „heilig und unbefleckt“ (Eph. 5, 27) zu bewahren als reine 
„Braut Chriſti“ („Sponsa Christi“, ftirchl. Tagzeiten). 


179 


II. 

We der HI. Dater Benedikt XV. in feiner Enzuklika vom Dritten 

Orden des hl. Franziskus fagt, gilt von allen „Gottgeweihten 
im Daienkleide“: „Es wäre wünfchenswert, daß es keine Stadt, ja 
keine Gemeinde und keine Ortſchaft gäbe, die nicht eine gute Anzahl 
von Mitgliedern hätte, und zwar nicht bloß ein paar ſtille (im 
Urtext „besides“, d. h. „müßige“, „untätige“) Mitglieder, die ſich 
damit begnügen, Tertiaren zu heißen, ſondern ſolche, die mit 
Tatkraft für das eigene heil wie für das des Mitmenſchen 
eifern.“ Um den Wunſch des HI. Vaters in feinem erften Teile zu 
erfüllen, müſſen wir zuerſt am zweiten Teile arbeiten und hier wiederum 
am Allerwichtigſten, am eigenen heil. 

Unfere im Organifieren ſo gewandte Zeit verſteht es, auch auf 
geiſtigem Gebiete, Bleichgefinnte zu vereinigen und große Verbände 
zur Verwirklichung irgend eines erhabenen religiöfen oder caritativen 
Gedankens ins Leben zu rufen und ihnen mit allen Mitteln moderner 
Werbetätigkeit eine möglichſt große Zahl von Mitgliedern zuzuführen. 
Hiebei liegt die Gefahr nahe, den Erfolg vornehmlich nach den klingen⸗ 
den Namen oder der Anzahl der Mitglieder zu bemeſſen und ſich mit 
der Statiſtik des Sakramentenempfangs und des Beſuches von Ver⸗ 
ſammlungen in der Hauptſache zu begnügen. Hat ja ſelbſt bei Emp⸗ 
fehlung der häufigen hl. Kommunion, der herz⸗Jeſu⸗Freitage, der 
„Familienweihe“, des „Männer⸗Hpoſtolats“ mancher wohlwollende, 
aber unkluge Seelforger ſich wegen feines unerleuchteten Eifers den 
harten aber nicht ganz unberechtigten Vorwurf des „Hoſtienzählens“ 
und „Hineintreibens“ gefallen laſſen müſſen. Wer viele für Chriſtus 
gewinnen will und dazu für eine noch vollkommenere Vereinigung 
mit ihm als ſie vom gewöhnlichen Chriſten verlangt wird, der muß ſich 
zuerſt ein kleines häuflein treu ergebener Seelen heranziehen und 
dieſe nach dem Beifpiele Chriſti von innen heraus umformen. 
Sind Same und Wurzel nicht geſund, ſo hilft alle Kunſt des Gärtners 
wenig oder nichts, um den Stamm oder die Zweige geſund zu machen. 
Sicher iſt die Aufgabe ſchwer, aber nicht unmöglich. Wie mitten im 
Moraft des Heidentums Rofen und bilien chriſtlicher Heiligkeit blühten 
— man denke an einen hl. Pankratius, an eine hl. Agnes —, ſo muß 
es mit heldenhafter Selbſtbezwingung, mit ſtarker Opferliebe und 
Bottes allesvermögender und unwiderſtehlicher Gnade auch gelingen, 
mitten im Modergeruch unſerer ſich ſelbſt zerſetzenden, gottentfremdeten 
Überkultur Blumen der Beiligkeit heranzuziehen, die Gottes Augen er⸗ 
freuen und das herz der Mitmenſchen mit ihrem füßen Duft erquicken. 

12° 


— 
; 


180 


Wir können hier nur einen kurzen Überblick! deſſen geben, was 
eine gottliebende Seele mitten im Weltgetümmel mit Gottes Beiſtand 
zu leiſten vermag. 

Wie nach dem Zeugnis des ktirchenſchriftſtellers Tertullian (F um 
230) in den erften Zeiten der Kirche viele „gleich nach dem Bade der 
Wiedergeburt ihr Fleiſch dem herrn weihten“ (ad uzor. I, 6) und nach 
Origenes (+ um 254) einige Chriſten „aus Liebe zu einer ganz außer⸗ 
ordentlichen Reinheit ... nicht einmal die ... erlaubten Freuden der 
biebe genießen wollten“ (c. Cels. l. I. c. 2), ſo dürfen in unſerer Zeit 
die heldenmütigen Seelen nicht ausſterben, die in freiwilliger Ent⸗ 
haltſamkeit und keuſchheit im Stande der Jungfräulichkeit, der 
Witwenſchaft oder des Büßertums Bott dienen. Es kann dies durch 
einen einfachen Vorſatz ohne jedes Derfprechen geſchehen oder mit 
vorhergehender Erlaubnis des Beichtvaters durch ein einfaches 
Gelübde (etwa auf je ein Jahr) bekräftigt werden. Der Schmutzflut 
der modernen Unfittlihkeit muß nicht nur ein Damm von Befeßen, 
Proteſten und Dorfichtsmaßregeln entgegengeſtellt werden, ſondern 
auch eine ſtarke Streiterſchar von ſolchen, die deshalb unüberwindlich 
find wie Samſon in feinen guten Tagen, weil keine Dalila die Locken 
ihres Hauptes abgeſchnitten. — Die Eheleute brauchen nicht zu 
trauern, daß fie Gott nicht auf obgenannte Weiſe dienen können. 
Im Gegenteil! Gerade im heiligen Eheftande, der heutzutage einem 
Weinberg gleicht, den „ein wilder Eber zerwühlt hat“ (Pf. 79, 14), 
brauchen wir möglichſt viele „gottgeweihte Seelen im Daienkleide“, 
welche ſich im Eheftande zur rechten Zeit zu beherrſchen und die 
Selũſte des Fleiſches in heiliger Zucht und ſtandesgemäßer Keufchheit 
unter die herrſchaft des göttlichen Geſetzes zu beugen wiſſen. — Die 
klöfterlihe Alaufur (d. h. Abgeſchloſſenheit von der Welt) ift un⸗ 
ſchwer zu erſetzen durch die Klauſur der Augen, der Lippen, des 
Herzens, durch Fernbleiben von lärmenden Vergnügungen. — Statt 
der klöſterlichen Rr mut iſt Einfachheit und Sparſamkeit, geordnete 
Dermögensverwaltung und rechtzeitiges Abfaſſen eines Teſtamentes 
zu empfehlen, vor allem aber die chriſtliche Caritas. Wie not tut 
dies alles unferer Zeit! — Der klöſterliche Ge horſam kann in einen 
Gehorfam umgewandelt werden, der manchmal mehr Beldenmut und 
Slaubensfreudigkeit erfordert als bei Ordensleuten. Wenn die „gott⸗ 
geweihten Seelen im Laienkleide” als gehorſame Kinder, gefügige 


ı Ausführlicheres enthält des Derfalfers Schriftchen „Sottgeweiht im baien⸗ 
Kleid“, Winke für gottliebende Seelen, Miſſtonsverlag Schweiklberg bei Vilshofen 
(Bauern) 1922. 


181 


Shegattinnen, pflichttreue Arbeiter und gewiſſenhafte Beamte ſich er- 
weiſen oder als Eltern, Cehrer, Arbeitgeber und Vorgeſetzte Ernſt mit 
Liebe zu paaren verſtehen und fi den göttlichen Meifter bei der 
Fußwaſchung zum Vorbild nehmen, dann kann die aus ihren Fugen 
gehobene, autoritätsloſe moderne Geſellſchaft allmählich wieder feſtere, 
geordnetere Formen bekommen. — Wenn das Betriebe der Welt wenig 
Zeit läßt zu längeren geiſtlichen Übungen, fo kann die „gott⸗ 
geweihte Seele im Laienkleide” doch auch hierin Großes leiſten und 
geradezu heilig werden, wenn fie den Grundſatz befolgt: „Kurz aber 
innig, nicht viel aber oft, nicht lang aber regelmäßig“. Stoßgebete 
find in allen Lebenslagen möglich, gegen eine kurze Gewiſſenserfor⸗ 
ſchung beim Nuskleiden gibt es keine Entſchuldigung, monatlicher 
Empfang der heiligen Sakramente iſt nichts Außerordentliches mehr, 
und ſelbſt jährliche Exerzitien können viele ſich leiſten. Im Notfall 
müffen vollkommene Reue, geiſtliche kommunion, ein Viertelſtündchen 
geiſtlicher Gefung oder eine dem Vergnügen entzogene Stunde des 
Schweigens und der Sammlung als Erſatz dienen. — Zur Abtötung 
bietet das Weltleben mit feinen tauſenderlei Genüſſen und Reizmitteln 
ungezählte kleine Gelegenheiten, die alle ſehr koſtbar find und nichts 
Auffälliges an ſich tragen. Mäßigung und Einfachheit in Speiſe und 
Trank und bei der Erholung vollends ſollten zum Gemeingut aller 
gottſuchenden Seelen gemacht werden. — Eine Schweſter des Gebets 
und eine Tochter der Abtötung iſt die Arbeit. Wenn die „gott⸗ 
geweihte Seele im Laienkleide” ihre Berufsarbeit adelt durch gute 
meinung, Pflichttreue, Redlichkeit, Gründlichkeit und Ausdauer und 
fie vergoldet durch die Liebe, wenn fie ſich — obwohl mit zeitlichen 
Gütern vielleicht reich geſegnet — nicht begnügt mit bloßer „Beſchäf⸗ 
tigung“ oder geſchäftigem Müßiggang, ſondern in harter Arbeit ſich 
abmüht für das Wohl des Nebenmenſchen, dann darf fie ſich ruhig 
an die Seite jener wackeren Mönche ſtellen, die einſt unſere Wälder 
urbar gemacht. — Alles Dollkommenbeitsftreben im kiloſter und in 
der Welt muß ſeine Vollendung finden in der Liebe. Was täte 
unſerer kalten Welt mehr not, als vor allem das erwärmende Feuer 
der nächſtenliebe? Der HI. Vater Benedikt XV. hegt in feiner 
Tertiarenenzuklika ſogar die kühne Hoffnung, daß die gottgeweihten 
Seelen in der Welt den wahren Frieden unter den Völkern vermitteln 
ſollen, nicht durch „ausgeklügelte Abmachungen zwiſchen den Staaten 
und Ständen“, ſondern durch Selbſtheiligung, d. h. durch Geduld, 
gegenfeitiges Ertragen und Unterſtützen, durch jene raſtloſe Kleinarbeit, 
wie ſie der hochwürdigſte herr Abt Bonifaz Wöhrmüller in ſeinem 


132 & 


„Königlichen Gebot der Liebe” (Köfel 1922) fo meiſterhaft geſchildert 
hat. — Und der höchſte Gipfel der Liebe, die Gotteslie be? Soll 
fie der gottſuchenden Seele im Laienkleide verſagt ſein? O nein! 
Aud die neueſte Zeit zählt Heilige, die zu dieſem erhabenen Tabor 
emporgeftiegen find, obwohl fie weder im Heiligtum noch im Klofter 
lebten. Manchmal ift gerade das Leben mitten im Getümmel und 
in der Unraſt der Welt für die gottliebende Seele ein Anſporn, fort⸗ 
während mit dem Pſalmenſänger zu rufen: „Wer gibt mir Flügel 
wie der Taube? Und ich flöge und fände Raſt“ (Pf. 54, 7). 
Glückliche Seele, wenn fie dir der herr in den kurzen Nugenblicken 
nach der heiligen Kommunion gewährt oder bei den heiligen Exerzitien 
oder nach langer Geidensnacht! — Doppelt glücklich, wenn du, vom 
Erdenſtaub befreit, einſt ſingen kannſt: „Im Frieden allzumal will 
ich ſchlafen und ruhen“ (Pf. 4, 9) am herzen meines Gottes! 


II. 


E iſt ohne weiteres klar, daß eine derartige gründliche Unterweiſung 
im inneren beben ohne Lehrer und Veiter nicht möglich iſt. Einen 
großen Teil dieſer Sorge muß ein erfahrener Beichtvater übernehmen, 
obſchon dieſes Glück vielen Seelen in der Welt nicht zuteil wird. 
Manches werden die Satzungen, Ordensbüchlein und andere fromme 
Schriften darlegen. Aber all dies erſetzt nicht die perſönliche Sinzel⸗ 
behandlung. m dieſem Punkte ſcheint es mir bei vielen frommen 
Vereinigungen, Kongregationen, Dritten Orden, Oblateninftituten zu 
fehlen. Die Dorftände werden erwidern, daß bei einer fo großen Zahl 
von Mitgliedern keine Einzelbehandlung möglich iſt. Nun gut, dann 
teile man in Gruppen. Kann man allein nicht alles bewältigen, ſo 
befolge man wie Moſes (Ex. 18, 17ff.) den Rat des Jethro und behalte 
das Wichtigſte und die Oberleitung für ſich ſelbſt und nehme ſich für 
die übrigen Laften Stellvertreter. 

mit mehr als fünfundzwanzig Perſonen kann ſich kein gewöhn⸗ 
licher Menſch, der nebenbei noch feinen Berufsgeſchäften nachgehen 
muß, individuell beſchäftigen. Letzteres iſt aber notwendig, wenn 
nicht die zunächſt für die Pflege des inneren Lebens gegründete Ver⸗ 
einigung, ſtatt eine Familie zu ſein, deren Mitglieder ſich wie die 
Rinder eines Daters kennen und lieben und gegenſeitig fördern, auf 
die Stufe einer modernen Gewerkſchaft herabſinken ſoll, deren Mit⸗ 
glieder ihre Beiträge entrichten, ihr Gewerkſchaftsorgan halten, Maſſen⸗ 
verſammlungen beiwohnen, Maſſenforderungen durchzuſetzen ſuchen, 
alljährlich die eine oder andere große Feſtlichkeit feiern, den ver⸗ 


183 


ſtorbenen Mitgliedern das letzte Geleit geben, aber ſonſt ſich innerlich 
nicht naheſtehen. | 

Die „forma gregis“ „das Vorbild der Herde“ (1 Petr. 5, 3) muß 
zunächſt der geiſtliche Leiter einer Vereinigung fein. Iſt die Jahl 
ſeiner Pflegbefohlenen zu groß, ſo zieht er ſich durch gründliche 
Schulung zuerſt eine Reihe Vertrauensleute heran, teilt dann ſeine 
Schäflein in Gruppen von zwanzig bis höchſtens fünfundzwanzig 
Perſonen und ſucht perſönlich oder durch ſeine Vertrauensleute einen 
regen geiſtigen Verkehr der einzelnen Mitglieder unter- 
einander und mit der beitung der Vereinigung herbeizuführen. 

Auf gemeinſame religiöfe Feiern allein dürfen ſich hiebei die Dor- 
ſtände nicht beſchränken. Denn wie in einem Kloſter der Familienſinn 
nicht nur im gemeinſamen Oratorium (Betſaal), ſondern auch im 
gemeinſamen Refektorium (Speiſeſaal) gepflegt wird, ſo müſſen auch 
die gottgeweihten Seelen durch zwangloſe Zuſammenkünfte und ge⸗ 
meinſame weltliche Deranftaltungen Gelegenheit bekommen, ſich gegen⸗ 
ſeitig auszuſprechen, ſich miteinander zu erholen und zu erfreuen. 
monatliche Derfammlungen find ja faft bei allen derartigen Dereini- 
gungen durch die Satzungen vorgeſchrieben, bei vielen ſogar häufigere. 
Bei ganz außerordentlichen Derhältniffen könnten auch vierteljährige 
Juſammenkünfte zur Not ausreichen; mit bloßen jährlichen Derſamm⸗ 
lungen dürfte man ſich nur in Zeiten der Derfolgung oder in den 
Miſſionsländern begnügen können. Iſt es durch die Derhältniffe 
unmöglich gemacht, durch wenigſtens monatliche Derfammlungen eine 
Verbindung der einzelnen Mitglieder untereinander und mit der bei⸗ 
tung herzuſtellen oder können einzelne Mitglieder dieſen Derfamm- 
lungen nicht beiwohnen, ſo müſſen Erſatzmittel geſchaffen werden. 
Das kann bei unſerer entwickelten modernen Technik geſchehen durch 
Ausgabe von Druckſchriften oder anderen Vervielfältigungen. Hiebei 
iſt es beſſer, wenn öfters wenig, als wenn nur ſelten aber viel auf 
einmal geboten wird. Sollten die Druckkoſten zu teuer zu ſtehen 
kommen, fo bleibt immer noch der Ausweg geſchriebener Zirkulare. 
Derlei Runödſchreiben, die monatlich hinausgegeben werden ſollten, 
müßten dann außer Nachrichten aus dem kleinen Familienkreis der 
Vereinigung nebſt ihren Gruppen oder aus dem großen Bereich des 
Verbandes auch Anleitungen zum inneren Geben und praktiſche Winke 
für deſſen Betätigung bringen, wie es ja in einer Reihe ſolcher Zeit- 
ſchriften oder Dereinsorgane bereits geſchieht. Diejenigen Mitglieder, 
welche nicht zu den gemeinſamen Derfammlungen kommen können, 
ſollten angehalten werden, dieſe monatliche Ermahnung langſam und 


184 


nachdenkend zu leſen, darüber eine halbe Stunde zu betrachten und 
damit eine kurze monatliche Vorbereitung auf den Tod zu verbinden. 
Solche monatliche Rundſchreiben ſollten ferner auch 3. B. die Mit⸗ 
glieder auffordern, täglich fünf bis zehn Minuten oder wenigſtens 
jede Woche einmal eine Diertelftunde in einem frommen Buche zu 
leſen und ihnen Winke geben, welche Bücher ſich für die geiſtliche 
beſung eignen oder welche Neuerſcheinungen auf dieſem Gebiete zu 
empfehlen ſind. | 

Das gedruckte oder geſchriebene Wort iſt allerdings nur ein 
ſchwacher Erſatz für das geſprochene Wort und für den lebendigen, 
perſönlichen Derkehr. Darum wäre überall, wo die Verhältniſſe es 
geftatten, für ſolche Mitglieder, die nicht zu den Derfammlungen 
kommen können, Wandervorträge unbedingt notwendig. Da die 
Dorftände und ihre Vertrauensleute den einzelnen Mitgliedern gegen⸗ 
über die Stelle von geiſtlichen Dätern oder Müttern vertreten, müſſen 
fie ihren „findern“ auch Gelegenheit geben, unter vier Augen mit 
ihnen zu ſprechen, ſei es an beſtimmten Tagen und zu beſtimmten 
Stunden oder brieflich. Hiebei ift an keine „Gewiſſensoffenbarung“ 
gedacht — denn dieſe gehört für gewöhnlich in den Beichtſtuhl — 
ſondern nur an eine vertrauensvolle Ausfprache über die Schwierig⸗ 
Reiten, welche der einzelne im praktiſchen Geben findet, die durch den 
Beitritt zur Vereinigung übernommenen Verpflichtungen zu erfüllen; 
dieſe Husſprache kann ſich auch erſtrecken auf die Erfolge, die mit 
Gottes Gnade errungen wurden, auf Vorſchläge, die zu machen, auf 
Argerniſſe, die abzuſtellen wären, eventuell auch auf rein geſchäftliche 
Dinge, ſoweit fie in ihren Wirkungen auf das geiſtliche Leben des 
einzelnen übergreifen. 

Eiferne Regel ſollte es für alle Mitglieder ſolch frommer Dereini- 
gungen werden, jährlich einmal wenigſtens dreitägige Exerzitien zu 
machen. Da fie mitten in der Welt ſtehen, fo müſſen fie ſich wenig⸗ 
ſtens einmal im Jahre vom Staub des Alltags, dem fie als „gott- 
geweihte Seelen im Laienkleid“ mehr ausgeſetzt find denn die „gott⸗ 
geweihten Seelen im Ordens kleid“, durch heilige Furückgezogenheit und 
eine aufrichtige gahresbeichte gründlich reinigen. Sollte dies trotz 
aller Anſtrengungen und trotz mancher Opfer, welcher eine ſo wichtige 
Sache würdig ift, angeſichts der beſtehenden Verhältniſſe (3. B. in 
miſſtonsländern) nicht möglich fein, fo müßten die betreffenden Mit⸗ 
glieder allen Ernſtes dazu angehalten werden, ſich einmal im Jahre 
drei Tage lang wenigſtens je eine polle Stunde zurückzuziehen und 


über die letzten Dinge und ähnliche Exerzitienſtoffe nachzudenken (durch 


185 


Runöfchreiben oder brieflich könnten ihnen paſſende Skizzen gefandt 
werden). Zu empfehlen wäre auch — ſoweit es ohne Nufſehen ge⸗ 
ſchehen kann — an dieſen drei Tagen möglichſt Stillſchweigen zu 
halten, möglichſt viel zu Haufe oder in der Kirche zu verweilen und 
dem Gebete, der Betrachtung göttlicher Dinge und der beſung geiſt⸗ 
licher Bücher zu obliegen. Selbſtverſtändlich muß auch hier eine 
gahresbeichte mit Empfang der heiligen kkommunion den Schluß bilden 
(in Miffionsländern im äußerſten Notfall als Erſatz ein längerer Akt 
vollkommener Reue und eine etwas längere „geiſtliche kkommunion“). 

Unerwähnt möchte ich nicht laſſen, daß alle beiter religiöſer Verei⸗ 
nigungen als eine ihrer Hauptforgen die Erziehung eines guten Nach⸗ 
wuchſes betrachten müſſen. Wo möglich ſollen ſie ſelbſt oder wenig⸗ 
ſtens durch eine erfahrene, bewährte Dertrauensperfon die Neulinge 
in eigenen Aurfen unterrichten und unpaſſende Elemente ohne Rück- 
ſicht auf die Mitgliederzahl unbarmherzig wegweiſen. Nicht die Jahl, 
ſondern die Güte der Mitglieder bringt eine Vereinigung zur Blüte. 

Als herrliches Vorbild der väterlichen Fürſorge für ihre Schütz⸗ 
linge, beſonders für die entfernt Wohnenden ſei zum Schluß allen Dor- 
ſtänden von frommen Vereinigungen das Beiſpiel des hl. Rpoſtels 
Paulus empfohlen. Wie fein Meiſter am £reuge gleichſam in heiliger 
Unraſt an alle anderen denkt, an die Feinde, an den Schächer, an 
die Mutter, an den Jünger, an den Vater und erſt zuletzt an ſich 
ſelbſt, fo verzehrt ſich der Dölkerapoftel in liebender Unruhe und 
Sorge um ſeine fernen Schutzbefohlenen. Wie er mit Barnabas in 
Antiochien predigt, da denkt er bereits wieder an feine anderen Rinder, 
die er für Chriftus gewonnen und fpridt: „Wir wollen wieder gehen 
und uns nach den Brüdern in all den Städten umſehen, in denen 
wir das Wort des Herrn verkündet haben, wie es ihnen geht“ (Apg. 
15, 36). Wie eilt er auf feinen großen Miſſionsreiſen von Stadt zu 
Stadt, von Provinz zu Provinz, wie ſcheut er keine beſchwerliche 
Reife, keine Mühe und Arbeit, keine Kälte und Blöße, wie wird er 
aufgerieben durch „die Sorge für alle kirchen“ (2 Kor. 11, 28) l Er 
läßt ſich von den einzelnen Gemeinden berichten, ſchreibt an fie aus⸗ 
führliche, unübertreffliche Briefe, lobt ſie und muntert ſie auf, tadelt 
und droht, wenn es nötig iſt, um eingeſchlichene Migßbräuche abzu⸗ 
ſtellen, bedauert, nicht bei ihnen ſein zu können, verſpricht baldige 
Beſuche, hält rührende Abſchiedsreden, wird „allen alles, um alle zu 
retten“ (1 ktor. 9, 22). Wie kalt klingen die Mahnbriefe mancher, 
im übrigen ſehr eifriger und pflichttreuer Vorſteher, welche nur Ge⸗ 
ſetzes⸗ Paragraphen zitieren und dabei vergeſſen, daß fie mehr Vater 


186 


als Herr, mehr Arzt als Richter, mehr guter Hirt als ſtrenger Lehrer 
fein ſollen, verglichen mit den Briefen des großen Rpoftels, der ſelbſt 
bei Strafreden von Diebe für feine Schäflein glüht! Mitten in feiner 
Derteidigung gegenüber den Korinthern ruft er aus (2 Kor. 3, 2 f.): 
„Unfer Brief feid ihr, geſchrieben in unſeren herzen ... ein Brief 
Chriſti, ausgefertigt von uns und geſchrieben nicht mit Tinte, ſondern 
mit dem Geiſt des lebendigen Gottes, nicht auf ſteinerne Tafeln, ſondern 
auf fleiſcherne Tafeln des Herzens”. Man glaubt die Worte einer 
zärtlichen Mutter zu leſen, nicht die flammenden Sätze des Dölker- 
predigers, wenn er an die Galater ſchreibt (4, 19 f.): „Meine ktind⸗ 
lein, um die ich abermals Wehen leide, bis Chriftus in euch ge 
ſtaltet wird. Doch jetzt wünſchte ich bei euch zu ſein und meinen 
Ton zu ändern; denn ich bin um euretwegen verlegen.“ 

Die Sonne ſendet icht und Wärme überallhin, auch in die Ferne, 
und wo ihr Strahl hindringt, da gedeiht frohes beben. Manches 
mitglied wird feiner Vereinigung entfremdet, weil kein Strahl der 
Diebe zu ihm dringt, kein aufmunternder Brief, kein warmes Wort, 
nur hie und da eine trockene Verordnung auf kaltem Papier. ge 
weiter einer vom Daterhaus entfernt iſt, deſto wärmer müſſen die 
Strahlen ſein, die ihn erreichen und erwärmen ſollen. 


%* * 
* 


A: dieſer Stelle kann ich als Ordensoberer es nicht unterlaſſen, 
meine ſehr verehrten Mitbrüder und Mitſchweſtern in Chrifto, 
welche die gleiche ſchwere Bürde tragen, auf die große Gefahr auf⸗ 
merkſam zu machen, welche die moderne Entwicklung der religiöſen 
Genoffenfchaften („religio“ c. 488) und Geſellſchaften („societas” c. 673) 
mit ſich gebracht hat. Diele männliche und beſonders ſehr viele weib⸗ 
liche Ordensleute, deren Regeln und ktonſtitutionen urſprünglich auf 
ein geſchloſſenes Kloſterleben eingeſtellt waren, haben ſich in lobens⸗ 
werte Weiſe bereit erklärt, zum Zweck des Unterrichts, der Erziehung, 
der Krankenpflege und Fürforge und vornehmlich der Miſſion mit 
Erlaubnis der geiſtlichen Obrigkeit einzelne Mitglieder auf „Filialen“ 
oder „Stationen“ zu ſchicken. Zu Hunderten zählen namentlich die 
Schweſtern, welche in ſehr kleinen Gruppen, nur zu oft zu zweien 
oder zu dreien in Erziehungsanſtalten, Krankenhäuſern, Kindergärten 
und ähnlichen häuſern jahrelang wirken. Die Semeinde und die 
hochwürdigen Seelſorger, die ſie erbeten haben, ſorgen getreulich für 
aus kömmlichen Unterhalt, für eine beſcheidene hauskapelle, für Ge⸗ 
legenheit zum öfteren Empfang der hl. Kommunion und zur Anhörung 


187 


der hl. Mieffe. Die Schweſtern beſuchen den Pfarrgottesdienſt, beichten 
bei ihren Seelſorgern (die manchmal zugleich ihre Amtsvorſtände 
find) oder bei einem Nachbarpfarrer, machen einmal im Jahre die 
hl. Exerzitien im Mutterhaus mit und werden vielleicht einmal jähr⸗ 
lich kanoniſch vifitiert. Das iſt aber auch alles. Noch viel ſchlimmer 
ſteht es auf exponierten Poſten in den Miſſionsländern, wo mancher 
Religiofe Monate und Jahre lang fein eigener Oberer und Berater 
iſt und mit feinem Mutterkloſter nur mehr in ſehr loſer Derbindung 
ſteht. Gewiß entſchuldigt den Untergebenen ſtets der Gehorſam, und 
wenn er das Seinige tut, um den Ordensgeiſt zu bewahren, ſo ſteht 
ihm ausreichende Snade gegenüber den mannigfachen Gefahren, denen 
er ausgeſetzt iſt, zur Derfügung. Ob aber das Gewiſſen der Oberen 
in allen Fällen ſo leicht von jeder Schuld freigeſprochen werden kann, 
naoöchte ich bezweifeln. 

5 Das neue ktirchenrecht ſchreibt für baienbrüder und ⸗ſchweſtern 
(e. 509) wenigſtens zweimal im Monat einen dem Ordensſtand an⸗ 
gepaßten ktatechismus⸗Unterricht vor und namentlich für die religiöfen 
Genoſſenſchaften von Laien eine fromme Ermahnung an alle Mit⸗ 
glieder der klöſterlichen Familie. Dom Buchſtaben des Geſetzes ent« 
bindet in obigem Falle die Notwendigkeit, aber nicht von feinem 
Seiſte. Ein Kind, das fo lange Zeit dem geiſtigen Elternhauſe fern 
iſt, nur einmal im gahre am Familientiſche ißt, muß der klöſterlichen 
Familie allmählich entfremdet werden, und es iſt kein Wunder, wenn 
manche Ordensleute, welche nur eine durchſchnittliche Veranlagung 
und Vollkommenheit beſitzen, auf ſo gefährdeten Poſten, wo ſie ſich 
größtenteils ſelbſt überlaſſen ſind, ihren Beruf verlieren, während ſie 
im Mutterhaus, behütet von den wachſamen Augen der Oberen und 
aufgemuntert durch das gute Beiſpiel der Mitbrüder oder Mitſchweſtern, 
bis zum Ende treu ausgehalten hätten. 

Da ſolch exponierte Poſten in fo großer Zahl eine Notwendigkeit 
der Zeit geworden find, ſo muß man auf neue Mittel ſinnen, um 
trotz der damit verbundenen Gefahren den Ordensgeiſt in den Ordens⸗ 
leuten auf ſolchen Filialen friſch und rege zu erhalten. Jedenfalls 
dürfte ſelbſt in den Miſſionen nie ein Ordensmann und noch weniger 
eine Ordensfrau ganz allein auf einer Station weilen — lieber zwei 
Perſonen an einem Platz mit einem größeren Bezirk, als zwei kleinere 
Bezirke mit nur je einer Perſon. Dann müßten die Oberen durch Briefe, 
Rundſchreiben, Druckſchriften und namentlich durch öftere perſönliche 
Beſuche (wobei fie ſich auch durch Dertrauensperfonen vertreten laſſen 
können) den Verkehr mit ihren Untergebenen, die ja ihre Kinder in 


188 


Chrifto find, aufrecht erhalten. Selbſtverſtändlich follten die Unter- 
gebenen in kindlicher Offenheit und mit kindlichem Vertrauen alles 
Wichtige, was fie drückt (ſofern es nicht den Beichtſtuhl betrifft) und 
was in der Zwiſchenzeit vorgefallen iſt, wenigſtens alle Dierteljahre 
ihren Oberen mitteilen. Vielleicht ließe fi auch durch die kirchlichen 
Oberen mancherorts der Gedanke verwirklichen, wenigſtens alle Viertel- 
jahre an gewiſſen Mittelpunkten für die in kleinen Niederlaſſungen 
zerſtreut wohnenden Ordensleute Vorträge über das Ordensleben 
halten zu laſſen. 

Für all dieſe ſchwierigen Fragen können hier natürlich nur all⸗ 
gemeine Geſichtspunkte und Richtlinien gegeben werden. Die prak⸗ 
tiſche Anwendung und das Gnadenlicht des hl. Geiſtes wird den 
Oberen im einzelnen Falle das Richtige eingeben. Mit dem Prediger 
(rd. 4, 10) möchte ich allen Mitbrüdern und Mitſchweſtern im harten 
Amt des Kloſterobern die Worte zur Erwägung geben: „Dae soli“ 
„Weh dem Alleinſtehenden! Denn, wenn er fällt, hat er nieman⸗ 
den, der ihm aufhelfe.“ Als Beiſpiel der Liebe und Sorgfalt für die 
fern wohnenden Schutzbefohlenen aber weiß ich kein beſſeres, als 
das ſchon genannte, das Beiſpiel des liebeglühenden, väterlichen 
Völkerapoſtels Paulus, als Anleitung nichts Bediegeneres, als die 
beiden unvergleichlichen Kapitel der Regel des hl. Benediktus über 
den Abt (Kap. 2 u. 64). Wenn wir Liebe füen, wie dieſe heiligen 
Männer, fo werden wir auch Diebe ernten: „Amor vincit omnia“, 
„die biebe überwindet alles.“ 


IV. 

N“ HI. Dater Benedikt XV. hat, wie oben erwähnt, ausdrücklich 

gewünſcht, daß die „gottgeweihten Seelen im Laienkleide“ nicht 
nur für das eigene heil, ſondern auch „für das des Mitmenſchen 
eifern“. In großem Maßſtab zum Wohl der ganzen kirche iſt letzteres 
nur möglich durch Juſammenſchluß in größere Verbände. Hundert⸗ 
tauſend einzeln verſtreute Soldaten ohne Juſammenſchluß und Führung 
können Beweiſe von perſönlichem heldenmut ablegen, wenn fie für 
ihre Sache begeiſtert find; aber einem wohlgeordneten Heere gegen⸗ 
über, das ihnen an Zahl vielleicht weit nachſteht, können fie nichts 
oder nicht viel ausrichten. Leicht wird man mit ihnen fertig, weil 
man fie einzeln bekämpfen kann. Nun verfügen aber die Gegner 
des Chriftentums über wohlorganifierte Streitkräfte und zwar nicht 
nur die Erbfeindin der Kirche, die Freimaurerloge, welche die Fäden 
ihres Spinnennetzes über die ganze Welt gezogen hat, ſondern auch 


189 


unſere modernen Dolkspropheten und Dolksbeglücker. Dürfen da die 


chriſtustreuen Opferſeelen müßig bleiben? Sollen fie da nicht ihre 
einzelnen Fähnlein zu größeren heerhaufen, d. h. zu Derbänden — 
namentlich im natürlichen Rahmen der Diözeſanverfaſſung — zuſammen⸗ 
ſchließen und ſich dann ſo dem unüberwindlichen, von Gott geſtifteten 
Organismus der Ratholifhen kirche eingliedern? Die einzelnen Vereine, 
Bruderſchaften, Kongregationen, Oblateninſtitute, Dritte Orden follen 
ruhig ihre Eigenart, ihre Selbſtändigkeit und ihre innere Organiſation 
bewahren, aber zur Erreichung gemeinſamer Ziele müſſen fie Jweck⸗ 
verbände und Rrbeitsgemeinfchaften bilden. Eines dieſer edelſten Ziele 
it das Laienapoſtolat, dem Seine Eminenz der hochwürdigſte 
Herr Kardinal Bertram von Breslau einen fo ſchlichten und einfachen, 
aber ebenſo begeiſterten und eindrucksvollen Aufruf in neuefter Zeit 
gewidmet hat!. Der feeleneifrige Oberhirte ſchreibt nicht vom grünen 
Tiſche aus. Er kennt aus eigener Anſchauung das Elend, welches 
die letzten furchtbaren Jahre geſchaffen haben. Er weiß, daß der 
Not, die uns mit hohlen Augen entgegengrinft, bald die bleiche Armut 
und Verarmung folgen wird. Vielleicht haben er und feine hoch⸗ 
würdigften Amtsbrüder und viele brave Seelſorger ſich in ſchlafloſen 
nächten gefragt: Wer wird ſich bei dieſem Mangel an Mitteln und 
an ſelbſtloſen Menſchen der Armen annehmen, die noch unter den 
Wirkungen des grauſamen £rieges und des ſozialen Umſturzes leiden, 
wer ſorgt für die verwahrloſte und gefährdete Jugend, wer für die 
leiblich und geiſtig Kranken, wer erſetzt die fehlenden Kräfte für den 
ktatechismusunterricht, für die Verherrlichung des Bottesdienftes durch 
Befang und Orgelſpiel, wer unterſtützt die überlaſteten Seelſorger in 
der ermüdenden Vereinstätigkeit, wer verſchafft nach der Trennung 
von ktirche und Staat der enterbten Kirche die Mittel, ihren erhabenen 
Beruf ausüben zu können, wer ſpringt den bitter arm gewordenen 
Miffionen in den Heidenländern bei? 

Unfere Seelenhirten mögen nicht bangen! Vielleicht ift gerade jetzt 
der Zeitpunkt gekommen, wo, wie in den Tagen des ſeraphiſchen 
heiligen von Affifi, dem Apoſtoliſchen Stuhl und den Bifchöfen der 
fire zahlreiche, erprobte Hilfskräfte aus der Vaienwelt zur Verfügung 
geſtellt werden. Die glühende Begeiſterung, welche aus der von uns 
wiederholt genannten Enzuklika Benedikts XV. ſpricht, berechtigt zu 
dieſer Hoffnung. 

JSelbſtverſtändlich erfaßt das „Laienapoftolat” alle Kreiſe der katholiſchen 


baienwelt, nicht nur ſolche, welche nach einem vollkommenen beben ſtreben. Letztere 
ſollten aber die Kerntruppen des Laienapoftolates bilden. | 


190 


Auf darum, ihr „gottliebenden Seelen im Laienkleid”, weiht euch 
Gott in beſonderer Weife durch Gebet, Abtötung und Arbeit und ftellt 
euch in irgend einer Weiſe — beruflich oder in euren freien Stunden — 
euren Seelenhirten um Sottes willen zur Verfügung! Mit manchem 
Scherflein könnt ihr vielleicht noch dazu euren Nebenmenſchen unter⸗ 
ſtützen, wenn ihr durch euren Fleiß mehr verdient, als ihr zu einem 
befcheidenen Geben für euch und die Eurigen braucht. Wo kein Priefter 
hinkommt, könnt ihr predigen durch euer Beifpiel, könnt ihr wirken 
durch euer Gebet — in den Kaufmannsläden, in den Wechſelſtuben, 
an der Schreibmaſchine und am Dampfkeſſel, am Amtstiſch und im 
Serichtsſaal, auf der Straßenbahn und im Auto, zu Schiff und auf 
der Eifenbahn. 

Der durch falſche Propheten irregeleiteten, von Gott und Chriftus 
und feiner Kirche losgeriſſenen Arbeiterſchaft wollen wir eine Schar 
chriſtlicher Apoftel der Arbeit entgegenftellen — werktätige und 
geiſtige Arbeiter — welche die herzen durch Wort und Beiſpiel, durch 
Gebet und Opfermut wieder Chriſto zurückerobern müſſen. Und dieſe 
herrliche Schar bilden die „gottgeweihten Seelen im Gaienkleide.” 


Eine Morgenanmutung zum Dreieinen 
von der hl. Caterina von Siena (T 1380). 


Gehalt und Seelenſtimmung, Bau und Sprache laſſen zuſammen mit alter Über. 
lieferung das hier übertragene markige Gebet als echtes Wort der großen heiligen 
Sienefin betrachten. Es zeigt bei aller Kürze doch die ſieneſiſche Derbindung von 
kraft und Gieblichkeit, und vor allem das ausgeſprochenſte chriſtliche Gepräge durch 
Nennung und Anrufung Gottes in feiner Dreiperſönlichkeit, wie das ähnlich und 
vorbildlich regelmäßig 3. B. in den Tagesgebeten des Rõmiſchen Reßbuches geſchieht.— 
Italieniſcher Text des Gebetes mit trefflichen Bemerkungen bei Alf. Capecelatro, 
Storia di 8. Caterina da Siena, 5. Aufl., Rom 1886, 8. 332. An Stelle der End- 
reime ſind hier im Deutſchen andere Sprachmittel verſucht. P. Anſelm Manſer. 


Heiliger Geift, kehr“ in meinem Herzen ein; 
mit Deiner Allgewalt zieh es an Dich, wahrer Gott. 
Verleih“ mir lautere Liebe mit Furcht verbunden. 
Vor allem ſündhaften Sinnen, Chriſtus, beſchirme mich. 
In Deinem lieblichſten Liebesfeuer erwärme und entflamme mich, 
fo daß jegliche Gaft mir leicht erſcheint. 
Mein heiliger Dater und mein milder Herr, 
Seid mir nun zur Seite allweg bei meinem Tagewerk. 
Chriftus: Giebel Chriftus: Giebel Amen. 


191 


Dfingften: 
der Triumph des Geiftes der Triumph Chriſti. 


Don P. Benedikt Baur (Beuron). 


fingften, das Feſt der Geiltesfendung, ift der Abſchluß und die Voll⸗ 
endung des Oſtertages, die Vollendung des Sieges, den Chriftus 
über die Sünde, die Hölle und den Tod errungen hat. Geheimnisvoll 
iſt das Wort des Evangeliſten Johannes: „Der Geift war noch nicht 
mitgeteilt, weil geſus noch nicht verherrlicht war“. Was iſt denn 
dieſer Geift? Und was ſoll denn die Seiſtſendung des heiligen Pfingſt⸗ 
tages? Und warum kann er erſt geſandt werden, nachdem Chriſtus 
verherrlicht iſt? 

Chriftus muß erſt feinen vollkommenen Sieg errungen haben. 

Er erringt ihn in der glorreichen Himmelfahrt. Jetzt thront er, der 
Sottmenſch, verherrlicht „zur Rechten Sottes“?. In feine heiligſte 
menſchheit ergießen ſich die Ströme der göttlichen Herrlichkeit als 
„des Eingeborenen vom Vater“. Jetzt iſt Chrifti verklärte Menſch⸗ 
heit nicht nur in ſich ſelbſt überſtrömend von Kraft und Seligkeit und 
Herrlichkeit, ſie iſt zugleich die lebendige, unverſiegliche Quelle der 
Glorie und Seligkeit für alle, welche berufen find, durch Chriſtus, mit 
ihm und nach ihm in die Seligkeit des himmels, in die vollendete, 
ewige Erlöfung einzugehen, in geſu eigene Herrlichkeit. „Ich habe 
die Herrlichkeit, die du mir gegeben haſt, ihnen gegeben, damit ſie 
eins ſeien, wie wir eins ſind““. 
Vollkommene Erlöfung foll dem Menſchen zuteil werden, Jefu 
eigenes verklärtes, unſterbliches, ewig ſeliges beben. „Ich habe die 
Herrlichkeit, die du mir gegeben haſt, ihnen gegeben“. Was Wunder 
alfo, wenn „der Geift noch nicht mitgeteilt war, weil geſus noch nicht 
verherrlicht war?“ 

Wer ift der heilige Geift, den der verklärte Sottmenſch uns ſenden 
ſoll? Es iſt der von ihm ſelber ausgehende Geift. Chriſti Geiſt, der 
Seiſt des Heilandes, der in Jeſu Gliedern lebt und wirkt und fie zur 
Einheit des verklärten Lebens mit dem haupte heranbildet, „damit 
fie eins ſeien, wie wir eins find“. Der heilige Geift, Chriſti Geift, 
wird Chriſti Geib mitgeteilt, damit er in ihm lebe, mit göttlicher Macht 
in ihm wirke und Jefu Leben in alle Glieder trage und in ihnen 
vollende. Chriſtus will ſiegen und triumphieren — durch feinen Geift, 
den Heiligen und heiligenden Geift. 


Joh. 7. 39. Mark. 16, 19. Joh. 1. 14. * Joh. 17, 22. 


192 


I. | 
Die Siturgie des heiligen Pfingſtfeſtes hat etwas kraftvolles, ge⸗ 
waltig und machtvoll Sieghaftes. Sie kündet in ſtets neuen 
Formen den Sieg und Triumph des Geiſtes Chriftil, des Heiligen Geiſtes. 
Das iſt des Geiltes Sieg, daß er „das Angeſicht der Erde erneuert“. 

1. Er fiegt in den Apofteln. Es iſt ein Sieg der Wahrheit 
über die Zweifel, des Lichtes über die Schatten und die Finfternis 
der Derftändnislofigkeit, an der die Apoftel bisher gelitten. „Noch 
vieles hätte ich euch zu ſagen“, ſagt einmal der Heiland zu ihnen, 
„doch ihr könnt es jetzt noch nicht ertragen. Wenn aber jener, der 
Geift der Wahrheit, kommt, wird er euch in alle Wahrheit einführen“, 
„Der heilige Geiſt kam über fie und erfüllte ihre herzen mit Der- 
ſtändnis“, jubelt das Reſponſorium zur ſiebenten Lefung. heils⸗ 
begierig ruft deshalb das folgende Reſponſorium den Apoſteln zu: 
„Gebet hin in alle Welt und verkündet das Evangelium.” Dom Geift 
der Wahrheit ſind ſie am heiligen Pfingſtfeſte erfüllt worden. Nun 
mögen fie „anfangen zu reden“, mit Petrus hintreten vor den Un⸗ 
glauben und den Spott der guden. Die Wahrheit ſiegt. Bei den 
Worten Petri „durchſchnitt es ihr Herz, und fie fragten Petrus und die 
anderen Apoftel: Brüder, was follen wir tun ...? Die nun fein 
Wort annahmen, wurden getauft. Der Juwachs betrug an jenem 
Tage gegen dreitauſend Seelen“. Wie ift es in den Apoſteln Licht 
geworden! Wie hat der Geiſt fie eingeführt in die Geheimniſſe, die 
fie bisher nie verſtanden! Wie wahr und tief ſpricht der hl. Petrus 
nach der Herabkunft des Geiftes von Chriſtus und feiner Sendung|® 
Woher hat er auf einmal das Derftändnis der heiligen Schriften, der 
Pſalmen und Propheten? „Alle wurden vom heiligen Geiſte erfüllt 
und fingen an zu reden, fo wie es ihnen der Geiſt eingab“’. Das 
iſt der Sieg des Geiftes in den Rpoſteln, der Sieg des Geiſtes der 
Wahrheit. 

Der Sieg des Geiftes in den Apofteln iſt ſodann der Sieg der 
biebe. Des heiligen Geiftes innerſtes Sein und Weſen iſt die Liebe. 
Aus der Liebe des Daters und Sohnes hervorgegangen, iſt er die 
Liebe. Wenn er ſich gibt, fo gibt er ſich als die Liebe, als ver⸗ 
zehrendes Feuer, als glühender Eifer für Chriſtus und ſeine Intereſſen. 
Der Unglaube hat für Chriſtus nur Verachtung, Schmähreden, Haß. 
Aber ſtärker als der Haß des Unglaubens ift die Liebeskraft und 
biebesglut des Geiftes, der über die Apoftel gekommen. Die Furcht 


Apg. 5, 9; 16, 7. Pf. 103, 30. Joh. 16, 12 f. 6. Reſp. Apg. 2, 37.41. 
Ebd. 2,17—40. Ebd. 2, 4. 


193 


ift nicht mehr: der Eifer für Chriftus hat gefiegt. Liebe zu Chriſtus 
ift es, wenn Petrus ohne Jaudern das Wort ergreift und vor feinen 
Haffern ihn als den Gottgefandten erweiſt. Liebe zu Chriftus ift es, 
wenn er aus den Worten Davids, auf Jefus hindeutend, beweiſt: 
„Dieſer iſt es, der nicht im Totenreiche verbleiben, deſſen Fleiſch nicht 
die Derwefung ſchauen follte, Jefus, den Gott auferweckt hat, wie 
wir alle bezeugen“ 1. GKiebe zu Chriſtus iſt es, wenn die Apoftel vor 
dem hohen Rat für geſus eintreten und voll Freude waren, „weil 
fie würdig befunden wurden, um des Namens Jefu willen Schmach 
zu leiden“?. Liebe zu Chriftus iſt es, wenn fie ſich um des Namens 
geſu willen geißeln laffen?, wenn fie verfolgt und aus geruſalem ver⸗ 
ſtoßen werden‘. Liebe zu Chriftus ift es, wenn fie ungezählte Mühen 
auf ſich nehmen und für ihn im blutigen Tode Zeugnis ablegen. Es 
find die gleichen Apoftel, die dereinft im Ölgarten den Meiſter fo feige 
verlaſſen hatten, als fie ihn gefangen ſahen. Wie hat der Geift der 
biebe am Pfingſtfeſt in ihnen fo machtvoll gefiegt! 

Der Sieg des Geiftes in den Apofteln iſt endlich ein Sieg der Kraft 
und des Mutes, ein Sieg über die Bangigkeit, die Unentſchloſſenheit, 
die Menſchenfurcht. Nicht umſonſt war ihnen der Auftrag geworden: 
„Bleibet in der Stadt, bis ihr mit der Kraft von oben umkleidet 
ſeid“.5 Wie war ein Petrus im Hofe des Kaiphas gegenüber einer 
magd des Hohenpriefters fo ſchwach geweſen! Wie hatten die an⸗ 
deren Alpoftel den Herrn fo feige im Stiche gelaſſen! Wie ſollen die⸗ 
ſelben Männer, wenige Wochen ſpäter, für denſelben geſus Zeugnis 
ablegen, für ihn eintreten vor der ganzen Welt? Da kommt am 
Pfingſtmorgen „die kraft von oben“, der heilige Geiſt. Er beſiegt 
die Jaghaftigkeit und Menſchenfurcht. Die Apoſtel, die ſich eben noch, 
aus Furcht vor den Juden, hinter den verſchloſſenen Türen des Speiſe⸗ 
ſaales verſteckt hielten, machen die Tore weit auf. Sie treten heraus 
und verkünden in den verſchiedenſten Sprachen die Großtaten Gottes“. 
Wie freut ſich die Liturgie über diefen Sieg des Geiftes der Kraft in 
den Apofteln! Sie wird nicht müde, immer wieder davon zu reden 
und ſich in dieſe große Tatſache zu vertiefen. Sie hat recht. Was 
hätte der Sieg des Geiltes der Wahrheit und der Liebe genützt, wäre 
nicht der Geiſt der Kraft über die Apoftel gekommen? Wie hätte 
die heilige Kirche durch die Apoftel begründet und gefeſtigt werden 
können, wenn fie jene ſchwachen, furchtſamen Menſchen geblieben 
wären, die ſie ehedem waren? 

1 Apg. 2, 31 f. Apg. 5,41. Apg. 5, 40. Apg. 8, 1. Luk. 24, 49. 
* Defperantiphon, vgl. Apg. 2, 4. 

Benediktiniſche Monatſchrift IV (1922), 5—6. 13 


194 


2. Was der heilige Geift in den Apofteln begonnen, das führt 
er in der neu gegründeten Kirche fort. Dom Feuer und von der 
Kraft des Geiſtes ergriffen und erfüllt, tritt Petrus vor die zum Pfingſt⸗ 
feſt der Juden verſammelten Völker hin. Gegen dreitauſend laſſen 
ſich taufen. Wahrlich, ein herrlicher Sieg des Heiligen Geiftes! Immer 
mächtiger läßt er fein Gicht und feine Wahrheit in die Geiſter dringen, 
immer kraftvoller bewegt er die herzen. Immer neue Maſſen gliedern 
ſich Jeſu und feiner Kirche an. Aber wichtiger iſt, daß der Heilige 
Geift die eroberten herzen innerlich erneuert und umgeſtaltet und ſich 
in ihnen geltend macht. Darum fleht die Pfingſtliturgie mit ſtets 
neuer Innigkeit: „Sende deinen Beift, und fie werden geſchaffen wer⸗ 
den; du wirſt das Angeſicht der Erde erneuern, Alleluja, Alleluja“. 
In den herzen vor allem erweiſt er ſeine Macht, hier erringt er ſeine 
herrlichſten Siege und Triumphe. Staunen ergriff die Juden und die 
heiden, da fie die Kraft des Seiſtes in den Getauften ſahen. 

Sie ſehen die Erſtlingskirche im Glanze der Geiſtesgaben, der 
Charismen. Schon von den Apofteln ſteht geſchrieben: „Sie be⸗ 
gannen in fremden Sprachen zu reden, wie es ihnen der Beilt verlieh“. 
Sie hatten den Auftrag erhalten: „Gebet hin und lehret alle Dölker“?. 
„Sie aber zogen hin und predigten überall. Der Herr (Chriſtus) wirkte 
mit und bekräftigte das Wort durch die begleitenden Wunderzeichen““. 
Machtvoll wirkte in der jungen Kirche die kraft und der Beilt des⸗ 
jenigen, der gefagt hatte: „Mir iſt alle Gewalt gegeben im himmel 
und auf Erden“ “. „Wer glaubt und ſich taufen läßt, wird gerettet 
werden. Folgende Wunderzeichen werden jene begleiten, die glauben: 
In meinem Damen werden fie böfe Geifter austreiben, in neuen 
Sprachen reden, Schlangen aufheben, und wenn ſie etwas Tödliches 
trinken, wird es ihnen nicht ſchaden. kranken werden fie die hände 
auflegen, und fie werden geſund werden“ s. In den verſchiedenſten 
Formen und Abſtufungen erweiſt ſich der heilige Geift in den kirchen 
von Jerufalem‘, Samaria’ und Korinth? wirkſam und fruchdbar. 
Da iſt es die Gabe des Apoftolates, d. i. die Gabe, alles zu verlaſſen 
und nur der Predigt und dem Unterricht der Gemeinde zu dienen. 
Da iſt es die Sabe der Prophetie, d. i. die Gabe, durch das vom 
Geilte eingegebene Wort die Gläubigen zu erbauen und zu fördern, 
ja ſelbſt verborgene und zukünftige Dinge zu erkennen und mitzu⸗ 
teilen. Da ift es die Gabe der Unterſcheidung der Geiſter, d. i. die 
Gabe zu erkennen, ob einer beſtimmten Erſcheinung der Einfluß des 


1 Apg. 2, 4. Matth. 28, 18. mark. 16, 20. Matth. 28, 18. Mark. 16, 
16 ff. Apg. 2, 4. Apg. 8, 18. 1 Kor. 12—14. 


195 


Geiltes Gottes oder der eines unheiligen Geiftes zu Grunde liege. 
Da iſt es die Gabe der Lehre, d. i. die Babe, Chriſti Gehre richtig 
zu erfaſſen und zu verkünden. Da iſt es nicht zuletzt die Babe der 
Wunder, insbeſondere die Sprachengabe, die Sabe der Krankenheilung 
und die Gabe, durch den feſten Glauben Wunder zu wirken. „All 
das bewirkt ein und derſelbe Geift, der jedem feine Gaben zuteilt, 
wie er will“ !, der Geift Chriſti. Es iſt der Sieg und Triumph des 
Heiligen Geiftes. Ihn feiert die heilige Liturgie, wenn fie jubelt: 
„Es kam das göttliche Feuer, nicht verbrennend, ſondern erhellend; 
nicht verzehrend, ſondern erleuchtend, und teilte ihnen die Gaben der 
Charismen mit, Alleluja, Alleluja“?. 

Wunderbar triumphiert der heilige Geift im Star kmut der 
jungen Kirche. ede geſunde Genoſſenſchaft hat ihren eigenen Beift. 
Was Wunder, wenn die Erſtlingskirche jenen Geiſt beſitzt, von dem 
der heilige Paulus ſchreibt: „Gott hat uns nicht den Geiſt der Jag⸗ 
haftigkeit gegeben, ſondern der Kraft“; jenen Geift, der denjenigen 
notwendig war, welchen das Wort galt: „Ich ſende euch wie Schafe 
unter die Wölfe“, den Seiſt der Kraft und Stärke. Dieſer Geift 
ſteigt auf die Apoftel und die neu gegründete Kirche herab und ſtählt 
fie, damit fie ihrer hehren Aufgabe gerecht werden könne. Es ift 
der Seiſt, der die Chriſten ſtark macht, daß fie den Gütern, Reich⸗ 
tümern und Senüſſen dieſer Welt entſagen. Sieghaft, ganz getragen 
vom Geiſte des Starkmutes ruft Paulus den Korinthern zu: „Wir 
haben nicht den Seiſt diefer Welt empfangen, ſondern den Geiſt, der 
aus Gott iſt“. Und die Apoſtelgeſchichte berichtet: „Es gab keinen 
Bedürftigen unter ihnen. Wer Grundſtücke oder Häuſer beſaß, ver- 
äußerte fie, brachte den Erlös daraus und legte ihn den Apofteln zu 
Füßen“. Es ift der Geift, der nicht bloß die Güter, ſondern auch 
den Haß dieſer Welt geringſchätzt. Welche Seelengröße der jungen 
Chriſten! Sie ſind ſtark und edel genug, daß ſie ſich nicht zu Sklaven 
der Menſchen und menſchenfurcht machen, daß fie ſich nicht von 
ihrem Spott und Hohn, von ihrer UDerachtung und Feindfchaft, Der: 
leumdung und Verfolgung beirren und beeinfluſſen laſſen! Da lebt 
fürwahr ein ſtarker Geiſt, ein Geift, der ſelbſt gegenüber dem Schwert 
und Hunger, der Beraubung der Güter und der Derbannung aufrecht 
bleibt und die heldenhaften Opfer der blutigen, grauſamen Derfol- 
gung ſprechen läßt: „Wer wird uns ſcheiden von der Liebe Chriſti? 
Trübfal oder Bedrängnis oder Verfolgung oder Blöße oder Gefahr 


1 1 Kor. 12, 11. * 9. Reſp. (monaft. Brevier). 2 Tim. 1, 7. Matth. 10, 17. 
1 ßor. 2, 12. Apg. 4, 34 f. 


> 


13* 


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oder das Schwert? ... In all dem bleiben wir fiegreich durch ihn, 
der uns geliebt hat“ I. Johannes hat recht, wenn er den Chriften zuruft: 
„Mächtiger ift der, der in euch iſt, als jener, der in der Welt ıft”:. 

noch wunderbarer triumphiert der Heilige Geiſt in der Liebe der 
erſten Chriſten. „Seht, wie ſie einander lieben“, ſagten die Heiden 
von den Chriſten. „Ich werde in ihnen ſein, wie du in mir biſt, auf 
daß ſie vollkommen eins ſeien, damit die Welt erkenne, daß du mich 
geſandt und fie geliebt haft, wie du mich geliebt haſt“s. Wie herr⸗ 
lich iſt in den Tagen nach dem Pfingſtfeſte dies Wort erfüllt! „Sie 
waren Ein herz und Eine Seele. Niemand nannte etwas von ſeinem 
Befi fein eigen. Alles hatten fie miteinander gemeinſam“. Wer 
kann ſolche Seelengemeinſchaft unter Menſchen ſchaffen als allein 
jener Heilige Geift, der die Liebe des Vaters und des Sohnes iſt? 
Dieſer Heilige Geift erfüllt die Erſtlingskirche und macht fie zu Einem 
Körper, zu Einem Organismus. Die macht des Geiftes der Liebe iſt 
fo groß, daß fie den Geift der Spaltung, des Neides und der Selbſt⸗ 
ſucht austreibt. Die Chriſten von geruſalem ſehen ſich ſelbſt und die 
mitchriſten nur mehr in der Einheit des Leibes Chrifti, in die fie 
durch den GBeift erhoben find. Wie hat der Seiſt die Herzen erweitert, 
frei und glücklich gemacht! Mit freudigem Staunen ſieht die heilige 
biturgie in der dritten Nokturn die Prophezeihungen des Propheten 
Sophonias erfüllt: „Ich werde dir ein geringes und dürftiges Volk 
übriglaffen, das auf den Namen des herrn vertraut. Jraels Über⸗ 
reſt wird kein Unrecht mehr begehen und nicht Lüge reden“. 

Herrlicher Triumph des Heiligen Geiftes in den Apofteln und in 
der ihm angetrauten Kirche! Pfingſten hat ein neues Geſchlecht ge⸗ 
boren, mit neuen Jdealen und kräften. Der Geiſt des erſten Pfingſt⸗ 
tages wirkt in der heiligen Kirche ununterbrochen als reinigendes 
und erleuchtendes Feuer, als Geiſt der Wahrheit und der Kraft weiter; 
als Geift, der im Sakrament der heiligen Firmung die ſtarken Seelen 
bildet, die voll Opfermut und Kraft, das Fleiſch, die Welt und Satan 
überwinden; als Geiſt, der die Herzen mit feinen koſtbaren Gaben 
erfüllt und durchdringt, fie einer höheren Welt entgegentreibt und 
immer enger Chriſto vereinigt. Er ſoll in den Getauften triumphieren. 
Darum fleht die heilige Kirche an jedem Pfingſtfeſt fo innig: „Sende 
deinen Geilt, fo werden fie geſchaffen, und du erneuerſt das Angeſicht 
der Erde. kiomm, heiliger Geiſt, erfülle die herzen deiner Gläubigen 
und entzünde in ihnen das Feuer deiner Liebe!“ 


1 Röm. 8, 35 ff. 1 Joh. 4, 4. Joh. 17, 23. pg. 4, 32. Soph. 3, 12 f. 


197 


II. 
Dis Seiſtesſendung des Pfingſttages dient dem auferfiandenen und 
verherrlichten Chriſtus. „Wenn der Beiſtand kommt, den ich euch 
vom Vater ſenden werde, der Geiſt der Wahrheit, der vom Vater aus- 
geht, wird er über mich Zeugnis ablegen; und auch ihr ſollt Jeugnis 
ablegen, weil ihr von Anfang an bei mir ſeid“!. 

Das ift alſo der Zweck der Geiſtesſendung: „Er wird über mich 
Zeugnis ablegen“. „Er wird mich verherrlichen, denn er wird von 
dem Meinigen nehmen und es euch verkünden“.? „Wenn ich nicht 
hingehe, wird der Beiſtand nicht zu euch kommen; gehe ich aber hin, 
ſo werde ich ihn euch ſenden. Wenn dann jener kommt, wird er 
der Welt zum Bewußtſein bringen, daß es eine Sünde, eine Ge⸗ 
rechtigkeit und ein Gericht gibt; eine Sünde, weil fie an mich nicht 
glaubt; eine Gerechtigkeit, weil ich zum Vater gehe .. . ein Gericht, 
weil der Fürſt dieſer Welt dem Gericht bereits verfallen ift“’. Die 
Geiftfendung ſteht im Dienſte Chriſti. Wenn der heilige Geiſt auf 
euch herabkommt, werdet ihr kraft empfangen und meine Zeugen fein“®. 

„Er wird mich verherrlichen“. Oder iſt es nicht eine unvergleich⸗ 
liche Derherrlidung der menſchlichen Natur Chriſti, daß fie in die 
ewige Verklärung aufgenommen ſein muß, ehe der Geiſt in die Herzen 
der Jünger geſandt werden kann? Wenn Chriftus, der vor kurzem 
Gekreuzigte, den von ihm feierlich verheißenen heiligen Geift ſendet, 
beweiſt er damit nicht vollgültig, daß er auch ſeiner menſchlichen 
Natur nach in die Herrlichkeit eingegangen iſt? Wäre er nicht in 
Wahrheit der Sohn Gottes, als den er ſich ausgegeben und durch 
Wort und Werk, vor allem durch feine Auferftehung erwieſen hat, 
wie könnte dann der himmel am Pfingſtfeſt eine der entſcheidendſten 
Verheißungen geſu in Erfüllung gehen laſſen? kiommt aber der ver⸗ 
heißene Heilige Geilt, dann ift Chriftus Gottes Sohn, dann iſt feine 
Sendung eine göttliche Sendung. Dann aber hat die Welt eine Sünde 
getan, da fie nicht an ihn geglaubt hat. Ift ſodann der am lireuze 
ſchmachvoll Gemordete im himmel erhöht, fo daß er die Macht hat, 
den verheißenen Beiſtand zu ſenden, wohlan, dann iſt er nicht ein 
Unheiliger, ein Schuldiger, ein Sottesläfterer: er ift der Gerechte und 
die Welt hat an ihm die höchſte Ungerechtigkeit begangen; dann iſt 
aber auch der Fürſt dieſer Welt, der ſich am Gerechten vergriffen, 
dem Gerichte bereits verfallen. 

Damit hat der heilige Zeiſt fein Werk noch nicht vollendet. „Er 
wird über mich Zeugnis ablegen. Und auch ihr follt Zeugnis ab⸗ 

1 Joh. 15, 26 f. Joh. 16, 14. * Apg. 1, 8. 


198 


legen“. „Wenn der heilige Geift auf euch herabkommt, werdet ihr 
Kraft bekommen und meine Zeugen fein”. Nicht bloß durch ſich 
ſelbſt, auch durch die Apoſtel, durch die Kirche will der Heilige Geiſt 
für den verklärten Sottmenſchen Zeugnis ablegen. 

In der Araft des Geiſtes tritt Petrus auf und wird Zeuge für 
Chriftus. Seitdem verſtummen die Zeugen nicht mehr. Die „Kraft 
von oben“ drängt einen Petrus, über geruſalem und Judäa hinaus- 
zugehen, die engen Grenzen der Heimat zu verlaſſen, in die Weltſtädte 
Antiochien und Rom zu pilgern, um Zeugnis zu geben für Chriftus. 


Sie drängt einen Paulus, der Apoftel der heiden zu werden. Sie 


wirkt in allen Ländern und triumphiert über den Irrglauben und 
die Göttermuthen, über die Leidenfchaften der Menſchen und die 
Wiſſenſchaft der Philoſophen, ſie drängt unwiderſtehlich zum Bekennt⸗ 
nis Chrifti und zur Umgeſtaltung des Lebens nach Chriſti Geift, fie 
drängt zum Zeugnis für Chriſtus, ſelbſt wenn es das Geben koſtet. 
„Ihr ſollt Zeugnis ablegen“. In der Kraft des Seiſtes zeugen für 


Chriftus die langen Reihen der chriſtlichen Marturer, die lichten Scharen 


der Jungfrauen, die helden der chriſtlichen Askeſe und Heiligkeit. Um 
Zeugnis für Chriſtus abzulegen und die Welt der Sünde zu über⸗ 
führen, triumphiert der Heilige Geift in den Apoſteln, in der Erſtlings⸗ 
kirche, in den Getauften allen, die er in der Wahrheit und Liebe eint 
und in der Gnade und den Gaben unaufhörlich der Heiligkeit und Voll⸗ 
kommenbeit entgegenführt und Chriſto, dem Verherrlichten, verbindet. 

So wird der Triumph des Heiligen Geiftes zum Triumph und zur 
Verherrlichung des auferſtandenen und verklärten Chriſtus. Pfingſten 
wird zur Vollendung des Oſterfeſtes, zur Beſtätigung und unumſtöß⸗ 
lichen Bezeugung, daß der Sekreuzigte auferſtanden iſt und lebt; daß 
er auch feiner menſchlichen Natur nach beim Dater thront; daß fein 
Wort Wahrheit, fein beben Heiligkeit iſt. Pfingſten bezeugt, daß 
wir an geſum glauben dürfen und müſſen, daß unſere Hoffnungen 
nicht eitel ſind. Pfingſten bezeugt, daß die Welt, der Unglaube, die 
Sünde dem Gerichte, der ewigen Unſeligkeit, dem ewigen Verderben 
entgegenführt. Pfingſten bezeugt, daß es wahr iſt, was der Heiland 
geſagt: „Ich bin der Weg, die Wahrheit und das beben“. 

Was Wunder, wenn die heilige Giturgie des Pfingſttages ſo helle 
Qubeltöne anſchlägt! Was Wunder, wenn die heilige Kirche an dieſem 
Tage in der kraft des heiligen Geiftes ſich ſtark und fieghaft fühlt, 
voll Kraft zum Zeugnis für Chriftus, feine Wahrheit, fein Gefeß! 
Chriftus fiegt, Chriſtus herrſcht; Pfingſten bezeugt und beſtätigt es. 

1 Joh. 14, 6. 


— 44 — 


199 


Von den Katakomben zu St. Peter in Salzburg. 


Don P. Anſelm Ebner (Salzburg). 


Dire Revier von zwei altchriſtlichen nicht bloß Gebets ſondern 
auch Opfer⸗Stätten befindet ſich ungefähr dreizehn und dreiund⸗ 
zwanzig Meter hoch ſüdlich über der Bodenfläche des Friedhofes im 
fogenannten Nagelfluhgeſtein des Eonglomeratfelfens vom Mönchs⸗ 
berg. Über ihm ragt weit ein Vorwerk der Feſtung hervor, welches 
man wie bei allen derartigen langgezogenen Dorwerken der Burgen 
oder Deften die Katz nennt. Alle Räume der Katakomben find aus 
dem Naturfelſen ausgehauen, der auch ihre und der ſteilen Aufftiege 
Decken bildet. Nur die oberen Teile der ſchũtzenden Abſchlußwände find 
meiſt altes und neueres Mauerwerk mit ſpärlichen Gichtdurchläffen.! 

Don der Kommungruft weg beginnt der Aufftieg zu den beiden 
Felſenkapellen, wovon der untere Sang mit feinen ungefähr vierund⸗ 
vierzig hohen Stufen aus Felsgeſtein oben ſüdöſtlich mit einem hölzernen 


. Türmel, Glöckl darin und Kuppelhaube darüber, abſchließt. Die an⸗ 


ſtoßende kleine, viereckige Bodenfläche mit niederer Schutzmauer auf 
einem vorfpringenden Felſen gewährt einen erwünſchten Überblick 
über den altehrwürdigen Friedhof, auf die St. Margaretenkapelle 
darin, die Stiftskirche, den Dom und einen Teil der Feſtung. Don 
hier weg in weſtlicher Richtung iſt der Zugang zu der unteren oder 
Gertraudenkapelle, zuerſt unmittelbar in einen Vorraum, der auf 
der Nordſeite von einer Mauer mit romaniſchen Fenſteröffnungen 
und weſtlich von einer Holzverſchalung vor Ungunſt der Witterung 
geſchützt iſt. Die Felſenkapelle ſelber ſchließt nördlich ganz, öſtlich 
und weſtlich nur teilweiſe, altes Mauerwerk von außen ab, nördlich 
mit rundbogigem Eingang und zwei romaniſchen Fenſterchen, öſtlich 
mit einem ſolchen Fenſterchen, weſtlich mit einer rundbogigen Einſicht. 
Sämtliches Mauerwerk zeigt innen und außen noch Spuren alter 
Bemalung. Schon im ſiebzehnten Jahrhundert waren außen un⸗ 
deutlich (aber mit gut lesbarer Schrift der Namen darunter) zu er⸗ 
kennen die Figuren der ktreuzigungsgruppe (auch jetzt noch erkennbar), 


1 Es iſt begreiflich, daß in der langen Zeit von ungefähr ſiebzehn Jahrhunderten 
viel Geftein von der Felswand abbröckelte oder durch Bergſkalzierer für die ur⸗ 
ſprüngliche Ausdehnung und Geſtalt der inneren Räumlichkeiten verloren ging. 
Befonders ftörend wirkt dies auf den Beſucher der oberen Höhle, wo, wie außen an 
der tiefen Mulde in der Felswand erkennbar ift, ein bedeutender Teil des Felſens 
nicht mehr beſteht und die Abſchlußmauer ganz nahe an den geofteten Altar heran- 


reicht, während ſüdlich eine tiefe runde Nifche (Apfis) die Architektur des Inneren 


der Höhle verſchönert und gottesdienſtlichen Raum ſchafft. 


200 


des heiligen Martyrers Thomas, Erzbifhofs von Kanterbury, des 
heiligen Biſchofs Patricius von Irland, der hl. Sertrudis von Nivelle 
und der hl. Agnes; innen von denſelben heiligen, der Martertod des 
hl. Thomas über dem Eingange, die Gottesmutter mit St. Agatha 
und St. Gertrud hinter dem St. Agatha⸗Altare, rechts vom gegen- 
wärtigen Altare. 

Der KRapellenraum innen iſt bei 9,50 Meter lang, bei 8 meter 
breit und ungefähr 4,50 Meter hoch bis zur Felſendecke. Er iſt der 
Länge nach in zwei ungleiche Hälften geteilt, wovon die ſüdliche um 
zwei Stufen erhöhte Hälfte faſt in der Gängenmitte, aber nahe der 
oberen Stufe, das kreuzförmige, aus dem Felſen gemeißelte, 1,10 Meter 
hohe Fußgeſtelle (Stipes) des urſprünglichen Altares trägt. Später 
wurde nach Entfernung der Altarplatte (Menſaplatte) eine achtſeitige, 


ſpätromaniſche Marmorſäule mit ſorgfältig ausgearbeitetem Bapitäl 


und Baſis als Stütze der Felſendecke darüber aufgerichtet. Der Schaft 
der Säule hat auf einer Seite des oberen Randes die Majuskel⸗ 
inſchrift: „Luminis Auctores Celi Mereantur honores“ („Die Urheber 
des Lichtes mögen die Ehren des Himmels gewinnen“) und nahe dem 
unteren Rande: „Chunradus . Die Säule ſtand nämlich früher im 
Friedhof und trug dort ein ſteinernes Gehäuſe für ein „Seelenlicht“. 

Die Sitze in den ſechs Blendenarkaden (Bogenniſchen) der Sũd⸗ 
wand dienten der Kleriſei und den Mitgliedern der religiöſen Genoſſen⸗ 
ſchaft mit dem Presbuter spiritualis vitae (Dorftand des geiſtlichen 
bebens) an der Spitze zu gottesdienſtlichen Derfammlungen. Der 
Altar an der Oſtwand erhielt im Jahre 1862 eine Verkleidung und 
Retabel aus gebrannten Tonplatten nach dem Entwurfe des in Rom 
zum Archäologen herangebildeten Malers Seorg Pezolt. Das gleiche 
erhielten auch mit ſolchen Tonleuchtern die Altäre der oberen (Maximus⸗) 
Höhle, alles nach Vorbildern in römiſchen Katakomben. Die Retabel 
der Gertraudenkapelle erhielt unter Bogenſtellungen die plaſtiſchen Na⸗ 
men der Altarpatrone: St. Thomas, St. Patricius und St. Gertrudis. 
Don dieſer unteren Katakombe ſteigt man bei zehn Meter hoch auf 
ungefähr achtundvierzig, teilweiſe durch Ziegel erſetzten Felſenſtufen zur 
Mazimushöhle in füdöftlicher Richtung hinauf!. Die größte Be⸗ 


Sie hat eine Ausdehnung der Gänge nach von Nord weſt nach Südoft bei 10,75 Meter, 
Breite 8 Meter öſtlich mit Einſchluß der ſauber ausgerundeten, 2,50 Meter breiten und 
3 Meter hohen ſüdlichen Niſche (Apfis). Die Höhenlage der Felſendecke beträgt nördlich 
6,80 Meter und ſüdlich 4,60 Meter. Auf der Weſtſeite befindet ſich ein kleiner Dor- 
raum mit etwas niedrigerer Sohle, viereckiger Stützſäule der Felſendecke und Einſicht 
auf den Altarraum öſtlich. Der geoſtete Altar, zu welchem man auf zwei Stufen 
hinanſteigt, ſteht in einer runden Felſenniſche, iſt, wie man vor der Tonverkleidung 

* N 


N 


201 


achtung in diefem Raum findet immer das Arcosolium (Bogen= 
grab, Martyrergrab), ganz ähnlich ſolchen in Rom, welches ehe⸗ 
mals ſicher auch als Opferaltar diente, wie die gange Anlage und 
die Meßkännchenniſche (kaum Lichtniſche) rechts an der Felſenwand 
beweiſen. Zur Aufnahme des Marturerleibes oder von Skeletten 
mehrerer heiligen in Schreinen oder Umhüllungen hat das Grab 
öſtlich eine Tiefe von dreiundſechzig Centimeter, weſtlich, wo auch 
der Rand ſehr beſchädigt, ja faſt unkennbar iſt, von nur achtund⸗ 
zwanzig Centimeter. Die ganze Länge beträgt faſt zwei Meter und 
die Breite achtunddreißig Centimeter. Den oberen Rand umzieht ein 
bei vierzehn Centimeter breiter Falz zum Einlaffen der Srab⸗ oder 
Menſaplatte des Altares. Da dieſes Martyrergrab als Altar vierund⸗ 
fünfzig Centimeter Höhe, 2,30 Meter Breite und 1,30 Meter Tiefe 
hatte und darüber noch 1,00 meter hoch Raum bis zum Bogenfdeitel 
hat, ſo war die Feier des heiligen Meßopfers hier möglich, wenn auch 
nicht bequem für den Zelebranten. Recht ſtörend für die Originalität 
und das Alter des Grabes wirkt die in die Rückwand eingefügte, 
fünfundachtzig Centimeter breite und fünfundſechzig Centimeter hohe 
Marmortafel, deren Inſchrift verdeutſcht lautet: „Im gahre des Herrn 
477 haben Odoaker, König der Ruthenen, die Geppiden, Gothen, 
Ungarn und Heruler im Wüten gegen die Kirche Gottes den ſeligen 
Maximus mit feinen fünfzig Genoſſen, welche in dieſer Höhle fi) ver⸗ 
bargen, wegen des Bekenntniſſes des Glaubens ermordet, über den 
Felſen hinabgeſtürzt und die Provinz der Noriker mit Feuer und 
Schwert verwüftet”!. 

Die nähere Beſichtigung der zwei Felſenkapellen lehrt, daß die 
obere mehr dem internen Gottesdienfte einer religiöſen Genoſſenſchaft 
in gefahrvolter Zeit, die untere aber als Sunodalkapelle zu gottes⸗ 
dienſtlichen Derfammlungen der erſten Chriſten diente. ö 


ſah, aus dem Felfen gehauen, trägt die zwei Tonleuchter und auf einer ganz nied⸗ 
rigen Retabel das tönerne kreuz mit dem plaſtiſchen Lamm Gottes in der Vierung 
und der Inſchrift: „88. Cruci consecratum“, welche nur für die einfache Benediktion 
im Jahre 1862 Gültigkeit hatte. Beider ſeits vom Altare find Sitze (Sedes), der links 
auch mit einer ehemals ſichtbaren Vertiefung in der Mauer (Mauerblende). Rechts 
von dieſem Altare und nur getrennt von ihm durch den Dorfprung des Felſens mit 
der Reßkännchenöffnung befindet ſich in einer ſeichteren Felſenniſche ein Altärchen, 
welches, weil zu wenig lang und breit, wohl nur als Aredenz für die Utenfilien des 
Bottesdienftes gedient haben kann. Seit der Verkleidung trägt das Altärlein auch 
eine niedere Tontafel mit den wertloſen Patroziniumsnamen: 88. Mariae, Agathae, 
Margaritae, Gertrudis. 


1 Die Tafel wurde unter dem Abte Kilian (1525 — 1535) im unteren Teile des 
Ratakombenrevieres angebracht, fpäter aber mit weniger Verſtändnis hier oben. 


202 


Die Römerſtadt Juvavum. 

n der mit unzähligen Meilenſteinen und vielen Stationen für den 

Verkehr darauf wichtigen Konſularſtraße, welche von Rom 
über Aquileia nach Augufta Dindelicorum (Augsburg) führte, in einer 
ſchon von der Natur begünftigten Lage am nördlichen Ausgange aus 
den Alpen auf ein ausgedehntes Hügelland, wo ſchon vorgeſchicht⸗ 
liche Bölkerfchaften eine bedeutende kultur, wie die Funde im Boden 
lehren, geſchaffen hatten, erbauten die Römer eine Stadt und nannten 
fie Juvavum. Hier war auch der geeignetſte Punkt zu einer Gabelung 
der Straße, wovon der nord weſtliche Aſt über Artobriga (Hallbruck), 
Bedaium (Seebruck?), Pons Eni (Pfunzen bei Roſenheim) etc. bis 
Augsburg verlief, der nordöſtliche Aſt aber am nördlichen Rande des 
großen Seegebietes des Salgkammer⸗Gutes bis Ovilia (Wels). 

Den Gründer der Stadt JInvavum, Kaiſer Claudius (vom 
gahre 41 — 54 nach Chrifti Geburt), nennt uns der römiſche Schrift⸗ 
ſteller Plinius, welcher die Städte Norikums aufzählt, die unter der 
Regierung diefes Kaiſers gegründet worden find. Er ſchreibt: „Grenz- 
nachbarn der Räten find die Noriker; ihre Städte find Dirunum (Zoll⸗ 
feld) Celeia (Zili), Teurnia (St. Peter im Holz), Aguntum (Juniden), 
Juvavum (Salzburg)). Denandus Pighius (T 1604) ſah in der 
alten Domkirche am Boden bei der erſten Säule vom Eingange links 
einen Weihe⸗ oder Widmungsſtein der Colonia Hadriana Juvavensis 
an den kfiaiſer Lucius Septimius Severus und Marcus Nurelius Anto- 
ninus (Caracalla). Auch Aventinus, Appianus, Grutner, Hanſitz, 
Joh. Stainhaufer erwähnen ihn. Es ift immerhin leicht möglich, daß 
der die Pracht des Römertums liebende Kaifer Hadrian die Stadt 
beſonders begünftigen wollte und fie zu einer kiolonialſtadt unter 
feinem Namen erhob. Sie hatte eine UDerfaſſung wie andere römifche 
Städte, darunter einen zehngliedrigen Gemeinderat (Decuriones), wo⸗ 
von einer der baukundige (Decurio aedilis) für Bauten und Derkehr 
war, und die zwei rechtskundigen Bürgermeiſter (Duumviri juris dicun= 
di), welche alljährlich am 1. März gewählt wurden, an der Spitze. 

Auf Votiv-, Gedenk⸗ und Grabſteinen in weiter Umgebung find 
uns auch die Namen mehrerer Gemeinderäte (Decuriones) und Bürger⸗ 
meiſter (Duumviri) erhalten geblieben; ſo von: 

. . . Dictor ‚Edilis civitatis quvavensis“ auf einem Grabftein an der 
Pfarrkirche in Biſchofshofen, nun in Wien, 

. . . Saturninus ‚Dekurio und Duumvir“ zu Juvavum auf einem 
Grabſtein, welcher von der kiapelle zu Schönberg bei Ruthering 
in die Bürglſteiner Sammlung kam, 


203 


Lucius Continius, Dekurio der Juvaver und Duumvir (juris di⸗ 
cundi), auf einem Gedenkſtein beim ſüdlichen Kirchturm zu Mondſee, 

Ducius Bellicius Quartio, des Lucius Quartio Sohn, Dekurio der 
Juvaver und Duumvir juris dicundi, auf einem Grabftein, der von 
Troſtberg nach Burghauſen, in den Jahren 1763 bis 1765 nach 
münchen kam, ö 

Caius Catius Secundianus, Duumvir, auf einem Dotivftein an 
Bedaius und die Alounae (Seegott und Flurgöttinen) vom Jahre 219 
nach Chrifti Geburt aus einem Burgſtall bei Salzburg, Ram vom 
Burgſtall nach Seeon und am 13. Dezember 1816 nach München, 

Gucius Dirius Maximianus, Dekurio juris dicundi der Stadt guva⸗ 
vum, auf einem Grabſtein am Seitenaltar der Filialkirche zu Titl- 
moos bei Waſſerburg, 

Firminus Firminianus, Duumvir auf einem Altare (Ara) des Bedaius 
und der Alounae vom Jahre 237, zu Chieming, 

Lucius Caffius Potentinus vom 18. Oktober 204, zu Attl am Inn, 
kam, wie Aventin berichtet, von Krainholz bei Kraiburg nach Attl, 

Lucius Pomponius Conftans und Marcus Urfinius Urſus, zwei 
Duumviri, auf einem Gedenkftein des Jahres 229 an die zwei römifchen 
Ronſuln, zu Rabenden, | 

marcus Proculus Martialis, Dekurio, Duumvir des Munizipiums 
d. h. der Stadt Jguvavum; denn daß Laufen eine Stadt mit zwei 
Bürgermeifterämtern war, davon ift nichts bekannt, der Stein war 
im Schloß zu Laufen eingemauert. 

Das Chiemſeergebiet beſonders ſcheint Anziehungskraft gehabt zu 
haben, weil auf Römerſteinen darin auch Gewalthaber anderer 
Städte auftreten, fo auf einem Steine in Frauenchiemſee ein Edil 
(Redil) von der Stadt Teurnia in Kärnten, in Bernau von ebenda⸗ 
her ein Duumvir und Oberbürgermeiſter (Ober-Rechtsanwalt, prae⸗ 
fectus juri dicundo), in Seeon ein ebenſolcher Stadtgewaltige von der 
Stadt Aguntum (Junichen). 

Auf der Peutinger“ſchen Tafel (Weltkarte des Castorius as 366/67) 
it Juvavum mit einem Tempel eingezeichnet, welcher kein anderer fein 
kann, als der Jupiters, von dem es auch den Namen Juvavum oder 
govavum (Joviacum, Joppia etc. ſpäterer Abſchreiber) hat und der 
Fluß guvarus. Don dieſer oberſten Gottheit der Römer war in 
Norikum bei den aus fremden Ländern angeſtellten Gegionsfoldaten, 
Rugiliartruppen und angeſiedelten Veteranen hoch in Ehren: Jupiter 
Stator vom Tempel auf dem Palatin in Rom, in welchem das zweite 
Ezemplar jedes metallenen Militärabſchiedes (Tabula honestae mis⸗ 


204 


sionis) hinterlegt wurde; dann der Jupiter Arubinus vom Tempel 
zu Arubium zwiſchen Aquileia und Siſcia (vielleicht beim Flecken 
Modrush); endlich der Jupiter Dolichenus vom Tempel zu Doliche 
am Euphrat. Darauf, welcher von dieſen Dreien im guvavum Stadt- 
patron war, führen uns zwei Standbilderaltäre von Mülln in Salz⸗ 
burg. Der eine davon, welcher mit der Roſeneggerſammlung nach 
münchen kam, hat die Inſchrift: „Jovi Optimo Maximo Denusti⸗ 
nus Summus Signum Jovis Arubini cultoribus cum base dono dedit 
( dedicavit)“, verdeutſcht: „Jupiter, dem Beſten, dem Höchſten. Ve⸗ 
nuſtinus Summus hat das Standbild den Verehrern des Jupiter von 
Arubium mit dem Fußgeſtelle zum Seſchenk gemacht (gewidmet)“. 
Der andere Altar, der nun verſchollen iſt, hatte die Inſchrift: „Jupiter, 
dem Beſten, dem höchſten, von Arubium, haben Lucius kiamius 
Celer, Prieſter der ewigen Stadt Rom und Julia Honorata, feine Ge⸗ 
mahlin, für ſich und die Ihrigen ihr Gelöbnis ausgeführt willig 
(freudig) nach Derdienft”!. Der Dotivftein von Piedenhart in Ober⸗ 
bayern, nun ſeit 1816 in München, iſt dem Jupiter von Arubium 
gewidmet und dem Seegott Bedaius, der von Stöttham bei Traun⸗ 
ſtein, ſeit 1818 in München, dem Jupiter von Arubium, dem Bedaius 
und dem göttlichen (d. i. kaiſerlichen) hauſe. Ein Altar von Strau⸗ 
bing war dem Jupiter von Doliche (am Euphrat) errichtet und einer 
von den vielen in Aſchaffenburg gefundenen Altären auch dem Jupiter 
von Doliche und dem kaiſerlichen Haufe (domus divina). Sowie in 
unſeren Gegenden viele Kapellen errichtet wurden 3. B. zu Ehren der 
ſeligſten Gottesmutter unter Titeln bevorzugter, ihr geweihter hl. Stätten, 
fo von Maria Loretto, Maria Einfiedeln, Maria Altötting ete., zu 
welchen der Großteil des Volkes, beſonders vor dem allgemeinen 
Bahnverkehr, nicht oder nur ſehr ſchwer gelangen konnte, ſeither 
auch von Maria Lourdes, fo geſchah dasſelbe auch bei den meiften 
heidniſchen Kulturvölkern. | 
Den Zugang von der Konſularſtraße in den Stadtbezirk vermittelte 
ein durch Natur und Befeſtigungsanlagen gutgeſchützter Torbau, das 
Castellum inferius (unteres KRaſtell) der Bürglſtein, (æöpvog 
griechiſch, burgum ſpätrömiſch), an welches ſich nach Römer Sitte der 
Friedhof anſchloß, deſſen teilweiſe Aufdeckung zwar viel Volks kund⸗ 
liches, aber wenig von Belang für die Ortsgeſchichte zutag förderte 
ſeit dem gahre 1792. 
„Jobi » Optimo marimo - Arubino Lucius Camius Celer Saceröos. Urbis 


Romae Reternae et Julia Honorata coniug pro se et suis votum solverunt libenter 
(laeti) merito.“ 


2 NZ x 


205 


Das obere Castrum (Castellum superius), welches den 
Juvavern auch als Capitolium gegolten haben mag, war am heutigen 
nonnberg, in deſſen Ruinen ſpäter die hl. Erentraud mit ihren 
religiöſen Genoffinnen einzog. Durch einen Stein aus der Vorhalle 
des früher hier beſtandenen St. Ulrichkirchleins, welchen der Archivar 
Johann Steinhauſen gegen Renovierung des Altares und Bildes vom 
Burger und Stadtpfarrzechpropſt Gabriel Weiß erwarb, iſt ein Heilig⸗ 
tum des Gattes Mercur konſtatiert. Er hatte, hier ins Deutſche über- 
ſetzt, folgende Inſchrift: „Dem (Sotte) Mercur hat ein Haus gebaut 
und ein Standbild geſetzt Caius Togionius Cupitus, und fein Sohn 
Caius Togionius Summus hat es erneuert“. Am 18. mai 1602 
überſetzte Johannes Steinhauſer den Stein in den Eingang feines 
Hauſes in der Vorſtadt Stein und brachte darüber eine Marmortafel 
mit der Geſchichte des Steines an. Im Jahre 1790 verſchwanden, 
unbewußt wohin, beide Steine. Appian ſah an der äußeren Rlofter- 
mauer einen Weiheſtein an Hercules, wodurch die Verehrung dieſer 
römifchen Gottheit auch an dieſem Orte beftätigt wird. Überhaupt 
war früher der Monnberg reich an Römerfteinen!. 

Die Ausmündung der Römerſtraße aus der Stadt war nur mög⸗ 
lich in der Richtung des damals durch die Natur, vielleicht auch ſchon 
feſtungsmäßig geſchützten heutigen Klauſentores. Don hier ſetzte ſich 
die Straße fort über Mülln nach Marglan, durch den Park von 
£leßheim, über die Saale, wo dann am linken Ufer im Walde noch 
ein gutes Stück erkennbar iſt. Ein von Albius Florus dem heiligen 
hercules errichteter Weiheſtein, bis zum Jahre 1847 über der Haus⸗ 
türe des Frietzerbauers in Marglan, nun im ſtädtiſchen Muſeum, 
beweiſt die Derehrung auch dieſer Gottheit in einem an vor⸗ und 
frühgeſchichtlicher Kultur ſo reichen Gebiete. 

Die nordöſtliche Abzweigung der römiſchen kKonſularſtraße nach 
Ovilia (Wels) hat man ſich in der Richtung der heutigen Ginzergalfe 
zu denken, dann im weiteren Verlaufe am Südrande des Schalmoofes 
bis Zuigl (Geniculus, d. i. KAniebeuge) am Fuße des fteilen An⸗ 
ſtieges eines Dizinal- oder Saumweges in das Salzkammergut. 
get nennt man noch im Salzburgiſchen allgemein ſolche ſteile An⸗ 
ſtiege wie hier am Guggentalerberg, „Einiebeiß”. Das langgezogene 
rõmiſche Srundgemäuer mit Hhupokauſtenziegeln und Moſaikreſten am 


Jeder, dem die ganz vorzügliche Einrichtung der Römer im Ausblicke auf 
ihre Anfiedlungen, Schutzwehren und Straßen, ſowie ihre Signalgebung durch Rauch 
und Feuer bei Tag und Uacht bekannt ift, wird zugeben müſſen, daß die Höhe des 
Feſtungsberges der günſtigſte Platz für eine römiſche Specula (Warte, Wacht⸗ 
turm) war. 


206 


nördlichen Rande des Parkes vom ehemaligen lodronifchen Sommerfiß 
minesheim in Geigl wird wohl ein Reft vom ehemaligen römiſchen 
Wohn= und Stallgebäude fein. Don Geigl weg hatte die Straße ihre 
Fortſetzung an Berggeländen über Henndorf (Höhndorf, XI. M. P. a 
guvavo) zur Station Tarnantone (Steindorf zwiſchen Keftendorf und 
Straßwalchen), dann zu den Stationen Laciacis (Döklabrugg), Ter- 
golape (Cambach) und endlich nach Ovilia oder Ovilabis (Wels) zum 
Anſchluß an die Purnſtraße nach Steiermark, ſeit Mark Aurel auch 
nach Laureacum (Corch⸗Enns). Nuch einen anderen wichtigen Der= 
kehrsweg wird man nicht überſehen dürfen, welcher am rechten 
Salzachufer auf bedeutende vor⸗ und frühgeſchichtliche Kulturgebiete 
führte, wie die Ausgrabungen von bengfelden und Fiſchach bei Berg» 
heim ſowie in Unterehung beweiſen. Dieſer Weg führte auch die 
Römer zu ihren bis jetzt bekannten Candſitzen am Südabhang des 
Plainberges (Remeting), am Weſt⸗ und Oſtabhang des Dockenberges 
(£erat oder Kereſt und Moosheim), in Schönberg und Gollacken bei 
Authering, in St. Georgen und nördlich davon am Kirchbergl. 

Auch darüber müſſen Funde einige Aufklärung geben, was man 
auf dem Gebiete der gegenwärtigen rechtsuferigen Stadt zur Römer⸗ 
zeit vermuten darf. Bei verſchiedenen Grabungen auf dem ſtädtiſchen 
Bauhof außerhalb der Ochfenftallkaferne in den Jahren 1890 bis 
1897 kamen römiſche Grabfteine und Urnen etc. zum Vorſchein, alfo 
ein römiſcher Friedhof, ferner im Jahre 1873 im Grunde des inneren 
Faberhaufes, gegen die Sũüdweſtecke, zwei römifche Marmorſärge, in 
einem auch ein langes, goldenes Ohrgehänge, im gahre 1875 bei 
Srundaushebungen im Prieſterhausgarten ein römiſcher Aſchentopf 
und viele intereſſante Segenſtände, am 9. November 1872 im Mitter⸗ 
bacherſtraße eine poröſe Tonvaſe mit mehr als 1900 römiſchen 
Silberdenaren von meiſt ſehr gut erhaltenem Gepräge aus der Zeit 
der römiſchen Republik bis ungefähr 235 nach Chriſti Geburt dann 
noch viele zerſtreute Funde. Wer wollte jenen Unrecht geben, welche 
in dieſem Gebiete ein römiſches Villenviertel vermuten und den geſicherten 
Brückenkopf zum Übergang in die Stadt da, wo der Kapuzinerberg am 
nächſten an den Fluß heranreichte, mit einem Wachtturm an Stelle der 
ſpäteren Schafrieſen (feit dem Jahre 1602 ftapuzinerkirche). Die An⸗ 
lage und ſichere Begrenzung der Stadt quvavum wird man wohl erft 
dann wagen dürfen, wenn noch mehrere ſuſtematiſch veranſtaltete 
Aufdeckungen Anhaltspunkte zu einem getreueren Bilde geben. Ent» 
ſprechend der Bedeutung der Stadt für das Römerreich und des Wohlſtan⸗ 
des, der darin herrſchte, war auch groß die Anzahl und die Ausdehnung 


207 


der Villen und Sommerfige in weitem Umkreiſe um dieſelbe, wie die bis> 
her aufgedeckten Reſte lehren, wenn man von den viel wertvolleren 
der Stadt noch abſieht, welche die Schönheit der Römerbauten er⸗ 
raten laſſen. Solche im Rulturboden verſteckte Baureſte wurden auf⸗ 
gedeckt, wie [on erwähnt, auf dem rechten Salzachufer am Plain⸗ 
und Dockenberge, in Sollacken am Kirchberg und in Seigl, dann in 
Obernberg bei Mattſee, im kiollerfeld zu Glas bei igen, wo im Jahre 
1817 ein herrliches Mofaikpaviement zum Vorſchein kam, am linken 
Salzachufer bei Hellbrunn und in Morzg. Glasa (Glas) und Marciago 
(Morzg) werden in chriſtlicher Zeit noch Villa (Weiler) genannt. Ein 
bevorzugter Pandſitz der Juvaven muß der auf den Goigerfeldern (lucus 
d. i. Hain) geweſen fein an der römiſchen Vizinalſtraße, welche in 
gerader Richtung zu den Salzquellen Reichenhalls führt, die ſeit uralten 
Zeiten ſchon ausgebeutet, aber nie erſchöpft werden konnten, wie die 
vorgeſchichtliche große Stätte der heidniſchen Opfermahle und der in 
feiner ganzen Ausdehnung bloßgelegte Römerfrieöhof ſowie ein großer 
Friedhof aus der Dölkerwanderungszeit beweifen. 


Das Chriftentum im heidniſchen Juvavum. 

15° überall im großen Römerreiche find chriſtliche Glaubensboten 

und glaubens freudige Neubekehrte auch auf den unſrigen fo 
wichtigen Derkehrsftraßen gewandelt und haben den heiligen Glauben 
bis an die Reichsgrenze verpflanzt. Es haben ferner ſchon frühzeitig 
chriſtliche Genoſſenſchaften in klöſterlichem Zuſammenleben und 
Sufammenwirken nicht wenig zur Ausbreitung und Erſtarkung der 
chriſtlichen Religion in Glaube und Sitten beigetragen. ein Beweis 
hiefür find die Katakomben in St. Peter mit ihren Altären. Gerade 
die forgfältige Aushöhlung des Felſens mit gewiſſem architektoniſchen 
Derftänönis und Fertigkeit find der Beweis für die frühzeitige Anlage 
derſelben. Der berühmte KRatakombenforſcher Roms De Roſſi be⸗ 
ſichtigte dieſelben mit Kardinal C. N. v. Reiſach und erklärte als Zeit 
ihrer Entſtehung den Beginn des dritten Jahrhunderts, wenn nicht 
ſchon das Ende des zweiten. Don miffioneller Tätigkeit zur Bekehrung 
der heiden in unſeren Gegenden iſt noch nichts Näheres bekannt ge⸗ 
worden; nur die Katakomben von St. Peter, dann die frühchriſtlichen, 
ſorgfältig ausgemeißelten EKultftätten des ſogenannten Bruderloches 
bei St. Margaret, Pfarre Digaun, und der Felſenkapelle zum hl. Georg 
am Palfen, Pfarre Saalfelden, alle in Derftecken und abgeſondert 
vom Verkehr etc., legen Zeugnis ab von früheſter Anweſenheit der 
Slaubensboten im römifchen Norikum. Bei allgemeiner, ungefährdeter 


208 


Derbreitung des Chriftentums hat man nicht mehr finftere, naßkalte 
Felſenhöhlen zu Chriftianifierungs- und gottesdienſtlichen Zwecken mit 
fo forgfältig ausgemeißelten runden Ronchen für Altäre und Niſchen 
für meßkännchen und Heiligtümer anlegen und beſuchen wollen. 
man baute lieber ſonnig und luftig, an allgemeinen Verkehrswegen, 
leicht zugänglich und zum Beſuche einladend. Die früheren, Gott 
geweihten Stätten hielt man aber doch noch immer hoch in Ehren 
und es fiedelten ſich in ihrer Nähe mit Vorliebe religiöfe Genoſſen⸗ 
ſchaften oder fromme Einfieöler an. Die Anfänge des Chriſtentums 
in unſeren Gegenden liegen in einem Dunkel, welches erſt gegen Ende 
der Römerherrſchaft, aber auch nur auf kurze Zeit, erhellt wird durch 
das Auftreten des hl. Severin in Pannonien und in Norikum un⸗ 
gefähr in den Jahren von 453 - 482. Unbewußt, von woher er kam 
(man hielt ihn für einen Afrikaner, vielleicht aus den Einfiedeleien 
von Mittel⸗ oder Oberägupten), erſchien er überall da, wohin er ge 
rufen wurde, als ein rettender Engel, deſſen Bitten nach dem Glauben 
des Volkes bei Gott immer Erhörung fanden. In dieſer traurigen 
Jeit der Dölkerwanderung war Troft und hilfe beſonders erwünſcht 
in den Baftellen der römiſchen großen Derkehrsftraßen und der 
Reichsgrenzen, an denen die eindringenden fremden Völkerſchaften 
nicht mehr abzuhalten waren. So erſchien er auch in Jquvavum und 
in Cucullae (Kuchel) ſüdlich davon, von welchem Kaſtelle er auch 
Marcianus als feinen künftigen Schüler mitnahm. Der Heilige ſtarb 
um das Jahr 482 in feinem Kloſter Fabianae (Sivering bei Wien). 
Seine Schüler nahmen die Leiche mit nach Italien, wo fie in Puteoli 
ſo lange unbeerdigt blieb, bis die vornehme Frau Barbaria ſein 
Maufoleum und ein kleines Kloſter im Caſtellum . Gucullanum 
zwiſchen Puteoli und Neapel fertig geftellt hatte. Im Lucullanum 
waren in den Jahren von ungefähr 482 — 500 Lucillus, dann der 
Kuchler Marcianus und vom Jahre 509 oder 510 Eugippius Dor- 
ſteher (Presbuteri) des geiſtlichen d. i. klöſterlichen Lebens. Dieſer 
letztere hat auch das beben und Wirken des hl. Severin ſehr eingehend 
beſchrieben, da er, wie aus den ortskundigen Schilderungen erhellt, 
früher ſein ſtändiger Begleiter und der Augenzeuge ſeiner Taten war. 
Don den wunderbaren Taten des heiligen in Juvavum berichtet Eu: 
gippius: „Als fie (die Religioſen) eines Tages zur Sommerszeit in die 
Kirche (Baſilica) neben der Stadt eintraten, um die Abendfeier dort 
abzuhalten (sollemnitatem vespere reddituri), fanden fie kein Lit 
und konnten auch keine Flamme, wie ſie gewohnt waren, durch Schläge 
aus den Steinen hervorlocken. Bei dieſem Reiben von Eifen und 


— —— ——k 


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209 


Steinen verſtrich viel Zeit bis zur Abendfeier. Aber der Mann Gottes 
kniete auf dem Boden und betete um ſo inſtändiger. Da entzündete 
ſich die Kerze, welche er in der Hand hielt, in Gegenwart von drei 
Religioſen, welche es ſahen, und mit Dank gegen Gott konnte das 
Abendopfer (die Abendandacht) zu Ende geführt werden. Obwohl 


der Heilige dieſes Wunder den damals Anweſenden, ſowie immer ſolche 


von Gott durch ihn ausgeführte große Taten den Anweſenden ver⸗ 
heimlichen wollte, ſo konnte doch die Offenkundigkeit einer ſolchen 
Wunderkraft nicht verborgen bleiben, ſondern mußte noch mehr 
Slauben und Vertrauen auch bei anderen anregen.“ 

„Ein anderes Mal ereignete es ſich an demſelben Orte, daß An⸗ 
gehörige ein durch fortwährende harte Arbeiten ſchon halbtotes 
(seminecem) Weiblein, für das ſchon das Begräbnis bereitet war und 
um das man laute Totenklage führte, mit vertrauensvollen Rufen faſt 
leblos vor die Zellentüre des Heiligen hinlegten. Als er es ſah, 
fragte er, was ſie wollten. Sie antworteten, daß ſie an die Erlangung 
der Seſundheit des Weibes durch fein Gebet glaubten. Er entgegnete: 
‚Was verlanget ihr Großes von einem leinen?“ Er begab fi nun 
weinend zum Gebet, und als das Weib ſich geſund erhoben hatte, 
ermahnte er die Anweſenden, das, was fie geſehen, ja nicht als fein 
Werk anzuſehen, ſondern als Gnadenerweiſung Gottes für ihren 
Slauben. Die Geſundgewordene konnte am dritten Tage ſchon zur 
Feldarbeit gehen. Noch Srößeres vollbrachte der Heilige bei feiner 
zweimaligen Anweſenheit im Kaſtell Cucullae (KRuchl).“ 


Untergang der Römerſtadt Juvavum. 


30 gegen Ende des vierten Jahrhunderts war die baldige ZJer⸗ 
bröckelung des Römerreiches in feiner unnatürlich großen und 
ſchnellen Zunahme an Ausdehnung und Bevölkerung mit ungezählten 
verſchiedenen Sprachen und Sitten bemerkbar. Im Inneren begann 
der Staatskörper bedenklich zu kränkeln. Der früher fo ſtramme 
Bötterglaube nahm ab, die Sittenloſigkeit aber zu, und, o welche Jronie 
für die damalige Staatskunft! ſelbſt gegen die römiſchen Reichsgrenzen 
anftürmende fremde Dölkerfcharen wurden zur hilfe gerufen, welche 
felbftverftändlich das Ihrige beitrugen, um den Zerfall des Reiches 
zu beſchleunigen. 8o waren im fünften Jahrhundert, wie Eugippius 
ſchreibt, ſelbſt die oberen (ſüdlichen) Städte und Kaſtelle des Ufer⸗ 
oder Donaunorikums, alſo auch Juvavum und Cucullae, von den 
Einbrüchen der Barbaren nicht mehr ſicher. 

Im Ufernorikum waren es die Bojer, welche in das Land ein⸗ 

Benediktinifhe Monatſchriſt IV (1922), 5—6. 14 


210 


drangen und die ehemalige römifche Provinz bis in die Alpen hinein 
beſetzten. Sie wurden, wie der Geſchichtsſchreiber Oroſius berichtet, 
fpäter Baiarii genannt, waren ſchon früher im Lande anfällig, 
wurden aber von den Römern daraus vertrieben. Als landbebauender, 
kriegeriſcher Dolksftamm waren fie früher bekannt, auch find ihre 
Nachkommen im ſüdlichen Bayern, in Salzburg und Oberöſterreich 
jetzt noch geſchätzt als tüchtige Landwirte und Streiter im kriege. 
Die Latinifierung des Wortes „die Bojarn oder Bajarn“ im Volks- 
munde in Bajoarii iſt auch leicht erklärlich. Endlich vollendete der 
Berulerfürft Odoaker auf feinem Durchzuge nach Italien mit feinen 
Stammesgenoffen, dem Großteil der Romanen und mit Reſten anderer 
Völkerſchaften, welche das verwüſtete Norikum den neuen Ankömm⸗ 
lingen überließen, das Jerſtörungswerk wie das Elend in diefen Land: 
gebieten. Den Untergang der Stadt guvavum ſchildert uns Eugippius 
folgenderweife: „Der Sottesmann St. Severin, durch eine bei ihm häufig 
vorkommende göttliche Eingebung ermahnt, ordnete Moderatus, den 
Sänger der Kirche (in Bojodurum, dem Zivildorfe des Kaftells Batava 
Caftra d. i. Paſſau), zu den Bewohnern dieſer Stadt (Juvavum) ab 
mit dem Befehle, es ſollten alle ihren dortigen Wohnſitz ohne Zaudern 
verlaſſen; denn ſie würden bald zugrunde gehen, wenn ſie ſich über 
dieſen Auftrag hinwegſetzten. Da aber die einen eine ſolche Vorher- 
ſagung bezweifelten, die anderen daran gar nicht glaubten, ſo ſandte 
er wieder einen gewiſſen Quintafius dahin ab, zu dem er weinend 
ſprach: Beeile dich noch mehr und verkünde ihnen, daß ſie in der⸗ 
ſelben Nacht noch, wenn fie bleiben, ohne Aufſchub in die Gefangen» 
ſchaft geraten. Auch den hl. Maximus, den Vorſteher des geiſtlichen 
bebens (der religiöfen Genoſſenſchaft), befiehlt er, noch eindringlicher 
zu ermahnen, daß doch er von den Derächtern (des Auftrages) ſich 
trenne (losſage) und beeile, durch Gottes Barmherzigkeit verfchont 
zu bleiben von dem, worüber der Diener Gottes, wie er ſagte, in 
großer Trauer ſei, daß er nicht etwa durch das Auffchieben des heil⸗ 
ſamen Auftrages dem bevorftehenden Untergang verfalle. Der vorher 
Genannte (Quintafius) machte ſich nun auf den Weg und führte, was 
ihm aufgetragen war, aus. Da aber der Dorfteher und die Übrigen 
in ihrem Unglauben ſchwankten, willfahrte auch der Bote des Gottes- 
mannes dem Vorſteher nicht, der ihn zurückhalten wollte, um ihm 
Gaſtfreundſchaft erweiſen zu können. In derſelben Nacht noch drangen 
die Heruler in die Stadt unvermutet ein, verwüſteten fie und führten 
ſehr viele in die Gefangenſchaft fort; den erwähnten Dorfteher aber 
hingen ſie an einem Pfahle auf.“ 


XX Zu SW TTR en. — — 2 7. 


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211 


So ging im Jahre 477 quvavum, die Heidenftadt, unter und blieb 
in Ruinen, bis der hl. Rupertus über ihnen das chriſtliche Salzburg 
zu gründen begann. Die Heruler mit Romanen und Scharen anderer 
Dölkerfchaften waren bereits abgezogen, um im Süden unter günfti- 
geren Bedingungen eine neue Heimat, ein Reich unter Odoakers Herr⸗ 
ſchaft zu gründen. Hinter ſich ließen fie nur Greuel der Derwüftung 
zurück, um den neuen Ankömmlingen jede Anſäſſigmachung unmöglich 
zu machen oder doch zu erſchweren. Es wäre aber naiv, zu glauben, 
daß auch alle früher hier anſäſſigen Deterani und Coloni etc. nach 
Italien abgezogen ſeien. Sie hatten bereits früher durch Fleiß und 
mit vielen aufgewendeten Opfern hier eine erträgliche und meiſt ſehr 
gute Exiſtenz ſich geſchaffen und mußten manche Zweifel hegen, ob 
fie im Stande wären, im dichten bevölkerten Süden unter ihnen un⸗ 
bekannten Derhältniffen ein beſſeres heim zu gründen. Dieſe früheren 
Coloni nach römiſchen Geſetzen werden nun, ſobald fie ſich ſicher 
glaubten und erfuhren, daß die Bajoaren vieler Coloni zur Kultur 


ihrer neuen Ländereien bedürftig wären, ſchon im eigenen Intereſſe 


aus ihren Derftecken in abgelegenen Alpentälern ſich herausgewagt 
haben, um zu ihrem alten Heim zurückzukehren. Senügſam wie fie 


waren, werden ſie ſo manche Ruine in der Umgebung der großen 


Ruinenftätte quvavums anfänglich wieder einigermaßen wohnlich 
gemacht, dann immer beſſer ihr Wohnen darin und die Früchte ihrer 
Tätigkeit geſtaltet haben. Als Coloni waren ſie früher den Römern 
untertänig und dienſtpflichtig, nun ſind ſie es den Bajoaren gegen⸗ 
über geworden. Daraus erklärt es ſich, daß die bayerifchen Herzoge 
das neugegründete Gandes-Bistum mit fo vielen Coloni romani do⸗ 
tieren konnten. Nach dem Durchzuge Odoakers mit feinen Scharen 
wurde zwar der römiſche Grenzwall noch einige Zeit verteidigt, mußte 
aber dann aufgegeben und ſeine Verteidiger nach heftiger Gegenwehr 
aus dem Lande gejagt werden, was ſpätere Geſchichtsſchreiber leider 
mangelhaft und in gedrängteſter Kürze uns überlieferten, ſo in den 
Annales St. Ruperti zum Jahre 5081: „In dieſer Zeit kehrte das 
früher ausgetriebene Volk der Noriker auf feine alten Wohnſttze 
zurück“. Die Annales Aödmuntenses und das Nuctarium Garstense 
zum Jahre 5202: „Das römiſche Heer wird durch Herzog Theodo 
bei Ötting geſchlagen“. 


* Boc tempore gens TNoricorum prius egpulsa revertitur ad proprias sedes. 
? Romanorum egercitus a Bawariis apud Otingans prosternitur per Theodo⸗ 
nem ducem. ö 


14* 


212 


Die Kritik diefer und ähnlicher Texte der Geſchichte gehört nicht 
hieher; nur ſoviel kann behauptet werden, daß die Chronikenſchreiber 
ihre Berichte nicht erdichtet, ſondern aus älteren Quellen geſchöpſt 
haben werden. Durch ſpätere Nusſchmückung ähnlicher Berichte 
werden Dietfurt, Srafing und das Totenfeld zwiſchen Alt⸗ 
und Neuötting, als ehemalige Kampfplätze zwiſchen den Römern 
und Bajoaren, damit in Verbindung gebracht. Der Mönch heinrich 
von Tegernſee berichtet:! „Wie neugeboren trat die bayeriſche Nation 
auf mit ihrem Herzog Theodo, dem Vater desjenigen Theodo, welchen 
der hl. Rupertus taufte“. So konnte der heilige Glaubensbote Ru⸗ 
pertus, in ſeinem apoſtoliſchen Eifer auch geſtärkt durch die Tradition 
aus dem Munde teilweiſe noch chriſtlicher Coloni, mit ſeinen Genoſſen 
bei ihnen anfänglich Unterkunft finden, die Derftecke der erſten Chriſten 
in den Mönchsberghöhlen zum gottesdienſtlichen Gebrauche weihen, 
dann die Notkirche erbauen, in welcher er proviſoriſch die Gebeine 
feines heiligen Dorfahrers in Worms, Amand, beiſetzte, auf dem nun 
zum chriſtlichen Friedhof beſtimmten Grunde. Endlich war es ihm 
möglich, im Vertrauen auf Gott und den chriſtlichen Bauernherzog, 
ſich an den Bau des Miſſionskloſters und der neuen Kathedrale 
heranzuwagen, welche er unter den Schutz des Apoſtelfürſten Petrus 
ſtellte, dem auch feine frühere Kathedrale in Worms geweiht war. 


Fernere Schickſale der Katakomben bis zur Gegenwart. 


195 der oberen, der Mazimushöhle iſt keine Weihe bekannt, weil 
man ſie oͤurch den Martertod von heiligen als ſchon geheiligte 
Stätte in Ehren hielt. Don der unteren, der jetzt Gertraudenkapelle 
genannten Felſenhöhle, ſind mehrere Weihen bekannt. Nachdem das 
Ratakombenrevier wieder, auch mit Hilfe von Vater und Sohn Siboto 
von Surberg, in guten Stand geſetzt war, weihte die untere Rata- 
kombe, wie die Konſekrationstafel angab, der Erzbiſchof Conrad III. 
von Wittelsbach am 27. März 1178, alfo acht Jahre nach der Er: 
mordung des mutvollen Verteidigers der kirchlichen Rechte, des Erz⸗ 
biſchofs Thomas Becket von Kandelberg (Kanterbury) in England, 
zu Ehren diefes hl. Thomas, des heiligen Biſchofs Patricius von Ir: 
land und der heiligen Äbtiffin Gertrudis von Tlivelle. 

Im Jahre 1380 ſtiftete Abt Otto II. Calchosperger die Feier des 
St. Agathafeſtes mit fieben Gichtern (ſechs von Wachs auf dem Altare 


Tum Bawarica velut nova generatio venit cum duce suo Theodone, patre 
illius, quem sanctus Rupertus baptizavit. 


I en ea Ze a u zen 


213 


und eines von Unflit vor dem Altare). Er errichtete fpäter auch in 
der Gertraudenkapelle den St. Agatha⸗Altar ſũdlich vom früheren und 
noch gegenwärtigen. Am Mittwoch nach Oſtern 1406 wurde er vom 
Chiemſeerbiſchof Engelmar Kröll geweiht, doch in neuerer Zeit wieder 
abgetragen. Im Jahre 1407 ſtiftete Abt Otto eine Wochenmeſſe, 
welche immer am Mittwoch abwechſelnd in der St. Gertrauden- und 
Egidikapelle geleſen werden ſollte, wofür der Meſſeleſer zwölf Pfennige 
aus der Oblai erhielt. Im Jahre 1439 wurden für die Renovierung 
der Kapelle zehn Pfund Pfennige verausgabt, ebenſo die Kapelle er- 
neuert unter Abt Wolfgang Walcher (1502 - 1518), am 26. Oktober 
1506 rekonziliiert von Biſchof Nikolaus von Hippo. 

Im Jahre 1659 ließ Abt Amand die Kapelle wieder reftaurieren 
und berichtet, daß das Fußgeſtelle der Deckenſtütze ein aus dem Berg 
ausgehauener Felſen ſei (petra ex monte excisa) und die Stütze darüber 
(damals) aus altem Ziegelmauerwerk beſtehend (lateritio opere an⸗ 
tiquo). Wenn von Reftaurieruugen berichtet wird, fo find darunter 
nur die Schäden an den Altären und am Geſtühle, am nördlichen 
Abſchlußmauermerk, an Fenſtern, Türen und ausgetretenen Stufen zu 
verſtehen. Unter Abt Albert Eder geſchah die Überkleidung des Altares 
mit gebrannten Tonplatten nach Muftern in römiſchen Ratakomben. 


Nach einem ſchriftlichen Berichte wurde im fünfzehnten Jahrhunder 


das Patroziniumsfeſt (8. Gertrudis) am 17. März fo gefeiert: Man 
fang am Dorabend die Defper, am Tage morgens das Amt, beide 
mit vier Berzen von Wachs auf dem Altare und einer von Unſlit 
vor dem Altare. Jedenfalls geſchah das gleiche bei den anderen 
Patrozinien. Nach einem Kalendar vom Jahre 1622 wurden ebenfo 
gefeiert die Patrozinien der hl. Agnes (21. Januar) auf dem nördlichen 
Altare, der hl. Agatha (5. Februar) auf dem ſüdlichen Altare, der 
hl. Gertrudis (17. März) Patrozinium und ktirchweihe der Kapelle, 
des hl. Thomas (29. Dezember) Patrozinium der Kapelle. Das ver⸗ 


mutlich vom heiligen Abtbiſchof Virgil, früher iriſchem Mönch, ein⸗ 


geführte Patrozinium des hl. Patricius ging alſo leer aus. 

Gegenwärtig wird Patrozinium und Kapellenweihe mit heiligen 
Meffen am 17. März gefeiert. Die feuchte Luft im Inneren und 
die Steinſchläge von der Felſenwand auf die Dachungen vor den 
Rapellen bieten immer Gelegenheit zu Nusbeſſerungen. 


* „ 


214 


Wie Chriftus ſich ſelbſt für alle 
im Sakramente des Altares hinterlaſſen hat. 


Aus der „Zierde der geiſtlichen hochzeit“ vom ſel. Jan. van Ruusbroeck dem 


Wunderbaren. Aus dem Flämiſchen überſetzt von P. Willibrord Derkade (Beuron)! 


un finde ich noch ein Kleinod, das Chriſtus in der heiligen Kirche 

für alle guten Menfchen hinterlaſſen hat, im Abendmahl am 
hohen Ofterfeft, da Chriftus aus dieſem Elende zu feinem Dater hin⸗ 
übergehen wollte, nachdem er mit feinen Jüngern das Oſterlamm 
gegeſſen hatte, und der alte Bund ein Ende nahm. Am Schluß der 
Mahlzeit und des Feſtes wollte er eine beſondere Zuſpeiſe geben, etwas 
wonach ihn ſchon lange verlangt hatte. Damit wollte er den alten 
Bund ſchließen und den neuen Bund beginnen. 50 nahm er Brot 
in feine heiligen, ehrwürdigen Hände und Ronfekrierte feinen heiligen 
beib und darnach fein heiliges Blut und gab es allen feinen Jüngern 
und hinterließ es allen guten Menſchen ohne Ausnahme zur ewigen 
Seligkeit. Dieſe Gabe und dieſe Yufpeife erfreut und ſchmückt alle 
hohen Feſte und alle Feſtmähler im himmel und auf Erden. In 
dieſer Gabe gibt ſich uns Chriftus auf dreifache Weiſe: Er gibt uns 
fein Fleiſch und Blut und fein verklärtes leibliches eben voll Freude 
und Süßigkeit. Und er gibt uns ſeinen Geiſt mit deſſen höchſten 
Kräften voll Glorie und Gaben, Wahrheit und Gerechtigkeit. Und er gibt 
uns feine Perſönlichkeit mit der göttlichen Klarheit, die feinen Geiſt und 
alle erleuchteten Geifter in der hohen genießenden Einheit entrückt. 

nun will Chriſtus, daß wir ſeiner gedenken, ſo oft wir ſeinen 
Leib konſekrieren, opfern und empfangen. Erwäge nun, wie wir 
ſeiner gedenken ſollen. Wir ſollen erwägen und betrachten, wie 
Chriftus ſich zu uns hinneigt mit liebender Zuneigung, mit großem 
Verlangen, mit inniger Freude, und mit einem herzlichen Sich⸗Er⸗ 
gießen in unſere leibliche Natur. Denn er gibt uns wieder, was er 
von unſerer Menfchheit angenommen hat, nämlich Fleiſch und Blut 
und feine leibliche Natur. Wir ſollen auch jenen koſtbaren Leib be⸗ 
trachten und anſchauen, gemartert, durchſtochen und zerfetzt vor Liebe 
und Treue um unſeretwillen. Dadurch werden wir geſchmückt und 
geſpeiſt hinſichtlich des niederen Teiles unſerer menſchlichen Natur. 
Chriftus gibt uns aber auch in der hohen Gabe feines Sakramentes 
ſeinen Geiſt voll Glorie und reicher Tugendgaben und voll unaus⸗ 
ſprechlicher Wunder der Liebe und Edelheit. Und dadurch werden 


1 Eine Neu-Überfegung des ganzen Werkes wird demnächſt im Matthias - Grüne; 
wald-Derlag zu Mainz einſcheinen. 


N — 


215 


wir kraft des Innewohnens Chrifti mit feinem ganzen Reichtum 
gefpeift, geſchmückt und erleuchtet in der Einheit des Geiſtes und in 
den höchſten [Seelen⸗] Kräften. Schließlich gibt er uns im Sakramente 
des Altars feine hohe Perſönlichkeit in unbegreiflicher Klarheit. Da⸗ 
durch werden wir vereinigt mit dem Vater und ihm zugeführt, und 
der Dater empfängt feine erkorenen Söhne mit feinem natürlichen 
Sohne, und fo gelangen wir zu unferem Erbe der Gottheit in ewiger 
Seligkeit. Bat der Menſch ſich nun würdig daran erinnert und ſolches 
erwogen, fo ſoll er auf alle die Arten Chriftus begegnen, wie Chriftus 
zu ihm kommt. Er ſoll ſich erheben, um Chriſtus zu empfangen 
mit Herz, Begierde und fühlbarer Liebe, mit allen feinen kräften 
und freudigem Verlangen. Denn fo empfing Chriſtus ſich ſelbſt. 
Und dieſes Derlangen kann nicht groß genug fein, denn unſere Natur 
empfängt ſeine eigene Natur, nämlich die verklärte Menſchheit Chriſti, 
voller Wonne und Würdigkeit. Deshalb wünfche ich, daß der Menſch 
bei dieſem Empfange hinſchmelze und zerfließe vor Begierde, vor 
Freude und Wonne; denn er empfängt den und er vereinigt ſich mit 
dem, der der Schönfte, der Lieblichſte und Minnelichſte ift unter allen 
menſchenkindern. In dieſer liebeglühenden Juneigung und in dieſem 
Verlangen iſt dem Menſchen oft großes Heil widerfahren, manches 
heimlich verborgene Wunder von Gottes reicher Güte aufgedeckt und 
geoffenbart worden. Wenn der Menſch bei dieſem Empfang eingedenk 
it der Marter und Leiden des koſtbaren Leibes Chrifti, den er emp⸗ 
fängt, ſo überkommt ihn manchmal ein ſo feuriges Verlangen ſich 


hinzugeben und ein ſo heftiges Mitleid, daß er begehrt, mit Chriſtus 


an das kreuz genagelt zu fein, und wünſcht, fein Herzblut zu Ehren 
Chrifti zu vergießen. Und er preßt fi) in die Wunden und in das 
geöffnete Herz Chriſti ſeines Erlöſers. Bei dieſer Ubung wurde dem 
menſchen oft vieles offenbart und ift ihm viel Gutes widerfahren. 
Dieſe fühlbare Liebe, die aus dem Mlitleiden hervorgeht, und die 
durch innerliche Betrachtung der Wunden Chriſti ſtark erregte Dor- 
ſtellungskraft können den Menſchen fo ſehr beeinflußen, daß es ihn 
dünkt, er fühle die Wunden und Verletzungen Chriſti in ſeinem Herzen 
und in all feinen Gliedern. Und ſollte wirklich jemand auf irgend 
eine Weiſe die Wundmale des Herrn empfangen, ſo würde es gewiß 
ein ſolcher Menfch fein. Und fo tun wir Chriſtus genug hinſichtlich 


des niederen Teiles ſeiner Menſchheit. 


Wir ſollen auch in der Einheit unſeres Geiftes wohnen und aus⸗ 
ſtrömen mit weitherziger Liebe in himmel und Erde mit klarer Einſicht. 
Und fo find wir Chriftus dem Geiſte nach ähnlich und tun ihm genüge. 


— 


216 


Schließlich ſollen wir in der Kraft der Perſönlichkeit Chriſti ver: 
mittelſt einfacher Meinung und genießender Liebe über uns ſelbſt 
und das Kreatürliche in Chriſtus hinausgehen und in unſerem Erbe 
ruhen, das heißt im göttlichen Weſen, in Ewigkeit. All das will 
Chriftus uns jedesmal geiſtigerweiſe ſchenken, fo oft wir uns alſo 
üben und ihm in uns Bereitſchaft machen. Und er wünſcht, daß 
wir ihn ſowohl im Sakramente als geiſtig empfangen, wenn es ſich 
ziemt, wenn es paſſend und vernünftig if. Wenn auch der Menſch 
nicht immer ſolche Gefühle und ſolches Verlangen hat, — folange er 
Gottes Cob und Ehre, den eigenen Fortſchritt und feine Seligkeit im 
Sinne hat, kann er unbehindert zum Tiſche unſeres Herrn gehen, 
wenn fein Gewiſſen nur rein von Todfünden iſt. 


eee ee eee eee eee eee eee eee ee eee eee eee eee eee eee eee eee 
eee eee eee eee ese tes eee sees eee eee eee ee eee eee eee ee eee ese eee eee sees eee see es ese esse eee ese eee eee eee eee eee e eee 


Von himmliſchem Wohl und hölliſcher Qual. 


Aus Ruusbroecks „Büchlein von der ewigen Wahrheit“. 


1“ der Menſch Gott in ſich fühlt mit reicher, voller Gnade, fo 
nenne ich das himmliſche Geſundheit, denn dann ift der Menſch 
weiſe und klaren Derftandes, überfließend reich an himmliſchen Lehren, 
warmherzig und mildtätig in Liebe, überfließend und trunken vor 
Freude, ſtarken Mutes, kühn und ſchnell bereit zu allem, was er als 
gottgefällig erkennt, und ähnliche Güter mehr ohne Zahl, wie es nur 
jene wiſſen, die es erfahren haben. 

Wenn dann aber die Wagſchale der Liebe ſinkt, und Gott ſich ver⸗ 
birgt mit all feinen Gnaden, dann fällt der Menſch wieder in Troſt⸗ 
loſigkeit, in Qual und finſteres Elend, als ob er nimmermehr geneſen 
ſollte. Dann fühlt er ſich bloß als ein armer Sünder, der von Gott 
wenig oder nichts weiß. Aller Troſt von Seite der Geſchöpfe ift ihm 
ein Deröruß, und von Gott erhält er weder geiſtigen Seſchmack noch 
Troſt. Da ſpricht feine Dernunft in ihm: „Wo ift nun dein Gott? 
Wo iſt all das geblieben, was du von Gott empfandeſt?“ Nun ſind 
Tränen feine Speife bei Tag und bei Nacht, wie der Prophet fagt. 

Soll nun der Menſch von dieſer Qual geneſen, ſo muß er erkennen 
und fühlen, daß er nicht ſich angehört, ſondern Gott, und darum muß 
er den eigenen Willen verſenken in den freien Willen Gottes und 
ihn gewähren laſſen in Zeit und Ewigkeit. kann der Menſch das 
freien Geiftes, ohne Herzensbetrübnis, vollbringen, fo wird er ſogleich 
geſund und führt den Himmel in die hölle und die hölle in den 
Himmel. Wie immer die Minnewage auf und niedergehe, er bleibt 
im Gleichgewicht. 


217 


Zu einem Gedenktage 


des Däterforfhers Dom Germain Morin. 
Don P. Anfelm Manſer (Beuron). 


m 6. november des verfloſſenen gahres 1921 konnte der hoch⸗ 
würdige Pater Germanus Morin O0. 8. B. aus der belgiſchen 
Abtei Maredfous bei Lebzeiten feiner Mutter den ſechzigſten 
Geburtstag und die alsbaldige Aufnahme in den Bottesftaat der 
Kirche Chrifti im Kloſterfrieden feiern, aber nicht im heimatlichen 
Maredfous, ſondern in der Fremde und auf einer Wanderung. 
Dem weltbekannten Erforſcher und Kenner altchriſtlichen Schrift⸗ 
tums und Gottesdienſtes, Ehrendoktor von Oxford und Zürich, war 
zu dieſer verborgenen und ſtillen Feier eine ſtimmungsvolle Stätte, 
eine benediktiniſche Herberge beſchieden: im deutſchredenden Süden 
am Bodenſee. Er mochte dem Ankömmling freundlichen Willkomm 
entgegenrauſchen, hat doch Pater Morin 1891 mit ſeinem Scharfſinn 
einem frommen und gelehrten Sohn der Bodenſeelande ein gar koſt⸗ 
bares Stück geiſtigen Eigentums wieder zuerkannt. Es handelt ſich 
um die Bottesdienfterläuterung [Micrologus] des Prieſters Bernold 
von Ronftanz, der nacheinander Mönch von St. Blaſien und zu 
Schaffhauſen war und am 16. September 1100 ftarb!. Der gelehrte 
Wanderer kam eben aus dem jugoſlaviſchen Oſten. Dahin hatte ihn 
ein hoher ehrender Ruf erbeten gehabt zur führenden Mitarbeit an 
einem geplanten Quellenwerk zur ktirchengeſchichte des alten Illyrien 
mit dem dalmatiniſchen Stammland des ktirchenlehrers Hieronymus. 
Don deſſen reichem, koſtbarem Erbe hat ja Dom Germain Morin 
nacheinander eine Anzahl verſchüttet und begraben gelegener Teile 
wieder aufgefunden und blank und geordnet vorgelegt. An der Spitze 
der Beglückwünſchenden ſtand kein Geringerer als Papſt Ceo XIII. 
mit feinem Schreiben vom 3. November 1896 an den Entdecker. Eben 
werden es fünfundzwanzig Jahre, daß er den erſten ſtattlichen Band 
geiſtlicher Dorträge des Rirchenvaters von Bethlehem veröffentlichen 
konnte (1897). Damit war eine neue Quelle für ſeine vollere wiſſen⸗ 
ſchaftliche Erkenntnis und Würdigung erſchloſſen. 
Raum weniger als die gehobenen Schätze ſelber, erregt die Art 
ihrer Gewinnung Rufmerkfamkeit und Slückwünſche. Der Gewinn 
iſt weſentlich Ergebnis der ftillen einſamen Ausübung der geiftigen 


Scheidekunſt auf Grund von Gedanken- und Stilart ſowie anderer 


innerer Merkmale der fraglichen Texte. Der Finder hat ſich dazu 
ſelbſt (1896) in einem überaus feinem grundſätzlichen Wort geäußert. 
„Es gibt Geiſter, denen die Lefung einiger Seiten, vielleicht weniger 


" Dol. Revue Bèénèdictine, VIII, 1891, 8. 385 - 395, und PB. Suitbert 
Bäumer, 0. 8. B., der eben noch die ZJuweiſung an den hl. Ivo von Chartres 
vertreten hatte: Der Micrologus, ein Werk Bernolös von Konſtanz; in: 
9 0 Archiv der Geſellſchaft für ältere deutſche Geſchichts kunde XVIII, 1893, 

429 — 446. ö 


213 


Zeilen ausreicht, um ohne Furcht, ſich zu täuſchen, auf die Farben⸗ 
gebung des Fürften der chriſtlichen Profaiften und des gelehrten Kirchen: 
vaters erkennen. Andere werden den ganzen Band durchgehen, ohne 
daß es ihnen gelingt, fi irgendwelche feſte und begründete Über⸗ 
zeugung zu bilden. mit den Einen wie mit den Ändern iſt es bei⸗ 
nahe unnütz, ſich des langen über die Echtheitsbeweiſe zu verbreiten: 
die Erſten ſind imſtande, ſich den Beweis ſelber zu machen; den 
Zweiten möchte der Beweisverſuch kaum fruchten. Wellen es bedarf... 
iſt dies: Man muß unter der Hülle des Wortes die Seele des Schrift- 
ſtellers oder Redners zittern fühlen, deren Dertrauter man geworden 
iſt durch eine gewiſſe Entſprechung der geiſtigen Anlagen, durch an⸗ 
haltenden Umgang, durch Leichtigkeit der Angleichung, die ſich nur 
ſelten findet. Nichts vermag dieſe zugleich natürliche und erworbene 
Vorbereitung zu erſetzen“ (Revue 6 histoire et de litterature religieuses 
I, Paris 1896, S. 418). 

Auf der Berreife vom Südoſten berührte der berühmte Finder Wien. 
Trotz aller Derlufte ſpendete es dem vorüberkommenden Gaſte dennoch 
eine verborgen gebliebene Perle: eine Predigt des hl. Nuguſtin us, 
die fein Gebensbefchreiber Poſſidius unter deſſen Werken eigens hervor⸗ 
gehoben hatte und von den Maurinermönchen für ihre große Augu⸗ 
ſtinusausgabe umſonſt ſehnlich geſucht worden war. So iſt dieſer 
Wiener Fund gleichſam am Vorabend des ſechzigſten Geburtstages 
ein ſchöner Nachtrag zu Dom Morins umfaſſender Auguſtinusent⸗ 
deckung im nördlichen Wolfenbüttell. Die wiedergewonnene Predigt 
des nordafrikaniſchen Rirchenlehrers bildet nunmehr eine weitere 
Zierde der von Maredſous opferwillig unterhaltenen und dermalen 
von Dom Donatien de Bruyne geleiteten „Revue Benedictine“, 
die von Dom Morin ſchon an die vierzig Jahre unabläſſig und 
wertvoll bedient wird. Schon die zweite Nummer ihres erften gahr⸗ 
ganges von 1884 enthält einen kleinen Beitrag von ihm dem Dreiund⸗ 
zwanziger. Dieſer Erſtling galt dem Feſte des heiligen benediktiniſchen 
Rirchenlehrers Anſelm von Canterbury, vormals Mönchs und Abtes 
von Le Bec in der Normandie. 

Auf feinen ſechzigſten Geburtstag hatte der neubelohnte Forfeher die 
gebrochene und umflorte kiaiſerſtadt an der Donau bereits mit dem ftillen 
jungen St. Galluskloſter am Gebhardsberg bei Bregenz vertauſcht. Gegen 
das hochragende gotiſche Klofter und Münſter von Maredſous nimmt 
ſich dieſe neue Siedlung der Mönche der altehrwürdigen ſchweizeriſchen 
Benediktinerabtei Mariaſtein beſcheiden aus. Aber die fromme Stätte 
entbehrt keineswegs des Anziehenden wie für das Auge ſo für den um⸗ 
ſchauenden geſchichtlichen Sinn. Sie liegt über dem ſpielenden Spiegel 
des Bodenſees, im Angeſichte der ruhenden Alpen und Berge, in der 
alten Römerprovinz von Rätien. Gerade diefe Kloſterumfriedung iſt die 
Fundſtelle eines ſchönen Opferaltars, den ein nichtchriſtlicher Aurelius 
Auguftus wohl vor etwa zweitauſend Jahren freudig mit Dankgelübden 
geſetzt (ſ. Fr. Dollmer, Inscriptiones Baiuariae Romanae, 1915, 8. 25, 
Nr. 74 a und S. 210 unter Babenwohl, und Tafel 12). 

gl. Beneödiktiniſche MRonatſchrift I, 1919, 8. 252 — 262. 


219 


Die Stätte hat aber eine ganz andere Beziehung, die dem Mönche 
leicht und raſch ein heimatliches Gefühl und eine feſtliche Stimmung 
in die Seele zu weben vermag: auch dem pilgernden Mönche aus 
fernem Lande. Dieſer anmutige Flecken Erde war längerer Lieblings⸗ 
aufenthalt der beiden heiligen Mönche und Alamannenapoſtel Ko= 
lumban und Gallus aus dem entlegenen Irland. Hier lebten fie 
um das Jahr 600 dem Gebet und der Glaubensſaat durch Beifpiel 
und Wort. Don hier zog der eine ſüdwärts über die Alpen und 


ward Gründer von Bobbio, der andere über den See den Appenzeller⸗ 


alpen entgegen. Über und um fein Grab erblühte Abtei und Stadt 
St. Gallen. Die dort von den St. Gallus⸗ Mönchen geſchaffene und 
hinterlaſſene Hhandſchriftenſammlung hat unter der gütigen Obhut und 
Pflege des Prälaten Dr. Adolf Fäh auch Dom Morin geſpendet, ſo u. a. 
für die mit Abt Ambroſius Amelli 1900 von Montekaſſino herab 
gebotene urkundentreue Ausgabe eines Textes der Mönchsregel des 
hl. Benediktus. 

Auch die Geburtsſtadt Pater Germains hatte ſich um klöſterliches 
Heiligtum gelagert und allmählich entwickelt, ähnlich wie St. Gallen. 
Es iſt die mittelgroße Stadt Caen in der Normandie. Caens Kern⸗ 
und Mittelpunkt bildeten einſt zwei Abteien, die der Normannenherzog 
Wilhelm der Eroberer (T 1087) daſelbſt geſtiftet hatte. Als erſter 
Abt des St. Stephanskloſter waltete der ſel. CLombarde Lanfrank aus 
dem blühenden Le Bec. 8o wurde denn Leopold Morin am 6. No⸗ 
vember 1861 in altbenediktiniſches band hineingeboren, und in ein 
band, in das von ſpätkarolingiſcher Zeit ab mit den Nordmännern 
viel Germanenblut eingeſtrömt war. hiedurch wurde die Normandie 
zum Hauptlande der regen und kühnen, fahrenden und entdeckenden 
Wikinger. In feinen Arbeiten fühlt man hin und wieder Dom Mo⸗ 
rins weitherzige ſtille Liebe zu feinem normanniſchen Heimatland, 
3. B. im kernigen und warmberedten Charakterbilde des benedikti⸗ 
niſchen Normannengeſchichtsſchreibers Ordericus Vitalis in der Re⸗ 
vue Benedictine von 1912 (8. 471 — 481). 

Um dem Trieb und Rufe zum Benediktinerleben folgen zu können, 
opferte Leopold das Bleiben in der heimat und bat um Aufnahme 
in der belgiſchen Abtei Maredſous, die durch ewig denkwürdigen 
Edel⸗ und Opferſinn der Familie Desclee geftiftet und erbaut und von 
Beuron her beſiedelt worden war. Faſt gleichzeitig traf als Novize 
der ſpätere Dom Ursmer Berliere ein. Morin erhielt zum klloſter⸗ 
namen jenen des großen heiligen Biſchofs Germanus von Äuxerre 
aus der Kirchenväterzeit, deſſen Felt auf den 31. Juli fällt. Unter 
der Leitung von Pater Bonifatius Wolff (T zu Beuron 20. März 1920) 
konnte Frater Germain Liebe und Luft zur Rirchenväterlefung pflegen 
und entfalten. Später einmal als berühmt gewordener Entdecker 
um die Geheimniffe feines Bildungsganges befragt, bekannte er öffent⸗ 
lich u. a.: „Gott verſtattete uns Novizen — Dom Ursmer Berliere und 
mir — zum Novizenmeiſter einen Mann mit weiten und hohen An⸗ 
ſchauungen .. Er war der Überzeugung, der Benediktinermönch 
beſitze heute wie ehedem eine Stellung in der menſchlichen Gefellfchaft; 


220 


ihm obliege neben dem Gottesdienſt und unbeſchadet der Grund- 
pflichten des Mönchslebens eine weitere fruchtbare Sendung. Ins⸗ 
beſondere meinte er, diene in hervorragender Weiſe dem Mönche zu 
berufsgemäßer Betätigung die mutige Teilnahme an allen Gattungen 
der Geiftesarbeit unſerer Feit; das entſpräche zugleich einem wirklichen 
Erfordernis der Kirche Gottes. Don den erſten Tagen an... trug er 
Sorge für unfere Einführung in die unumgänglich notwendige Kenntnis 
der fremden Sprachen. Soweit es Recht und Brauch zuließen, legte 
er auch eine Reihe trefflicher Werke in unſere hände mit der Auflage, 
fie in Ordnung durchzuleſen und uns dabei Notizen zu nehmen 
Da waren vor allem die Bollandiſten, die benediktiniſchen Quellen- 
ſchriften und Jahrbücher Mabillons, die Werke von Bona, Tommasi 
und Dom Marteène über die alten gottesdienſtlichen kirchengebräuche, 
oder auch irgendeine ebenſo lehrreiche als erbauende Mönchschronik, 
der eine und andere Band der Däterfammlung von migne“ I. Wie 
Dom Morin in den gleichen anmutig lehrreichen Bekenntniſſen im 
erſten Jahrgang (1900) der Cöwener Zeitſchrift für Kirchengeſchichte 
(5. 68) dankbar verrät, war er [yon auf dem Symnafium mit alt⸗ 
chriſtlichen Muſterſtücken bekannt geworden. Das damals in die 
jugendliche Seele eingeſenkte Samenkorn ſollte nachgerade zum blũ⸗ 
henden und fruchtbaren Baume werden, von dem die wiſſenſchaftliche 
Däterkunde wohl immer zehren und nie mehr ſchweigen wird. 

Don feinem Abte Plazidus Wolter, dem fpäteren zweiten Erzabt 
von Beuron, wurde Dom Germain früh mit der Beſorgung einer 
würdigen Ausgabe des heiligen Mönches und Biſchofs Caesar ius 
von Arles (+ 543) betraut. Eine lange Reihe koſtbarer Vorarbeiten 
in der Revue Benedictine deutet auf ein großes Denkmal langwieriger, 
feiner und lichtſpendender Forſchung. 

Auf den Forſchungsreiſen für Caesarius entdeckte der wohlvor⸗ 
bereitete Sucher auch anderes ſehr Bedeutſame, das ſich nicht im 
kleinen Raum und Rahmen der Revue Bénédictine unterbringen ließ. 
So entſtanden denn Dom morins Maredſolaner Fundausgaben: die 
Anecdota Mareösolana, von 1893 ab. Jeder Band brachte 
Kleinodien. Schon 1895 urteilte Adolf Harnack in der Theologiſchen 
biteraturzeitung (XX, Sp. 108) mit einem Seiten- und Rückblick auf 
die Mauriner: „In den Anecdota Mlaredsolana begrüßen wir die 
Fortſetzung der unfterblichen Werke der gelehrten Benediktiner“. Der 
erſte Band brachte das alttoletaniſche Perikopenbuch aus der 
Zeit des hl. Adefons (+ 667) und dadurch einen wichtigen Forſchritt 
in der Sottesdienſtgeſchichte. Dom Germain hat zu ihr immer wieder 
beigeſteuert, und vorab den tiefführenden Sonderzweig der alten latei⸗ 


Aus demſelben mönchs⸗ und Gedankenkreis ſtammt das Wort des gelehrten 
Biſchofs und Theologen Gaurentius ganſſens: „lach dem Gottesdienſt und 
Tugendleben ift nichts des mMenſchen würdiger als die Liebe und Pflege der Wilfen- 
ſchaft, denn nichts entwickelt mehr unſeren vornehmſten Weſensteil und bringt die 
ganze Natur in Rückbeziehung zu Gott durch Einſicht und Liebe von ſeiten eben 
jenes Weſens, das der Schöpfer mit dieſer Beſtimmung in den Mittelpunkt des 
Weltalls geſtellt hat. Die Pflege der Wiſſenſchaft iſt demnach eine heilige und aus⸗ 
nehmend katholiſche Sache“ (Revue Bened. XIV, 1897, 8. 462). 


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221 


niſchen Perikopenordnungen ftändig gefördert. Und das auf Grund 
frühgewonnener und ausgeſprochener Überzeugung. „Das Perikopen- 
buch ift in unſeren abendländiſchen Liturgien durchweg das Buch von 
allerältefter Anlage. Es läßt am weiteſten vordringen in die früheſten 
gottesdienſtlichen Derhältniffe einer Kirche, in welcher Geftalt und unter 
welchem Namen auch immer fi) dieſes Buch uns darbietet. Daraus 
erhellt die eigenartige Bedeutung des Studiums der gottesdienſtlichen 
beſeabſchnitte“ (Morin in der Revue Bénédictine IX, 1892, S. 446). 

Die um koſtbare verwandte Beigaben bereicherte Veröffentlichung 
des frühtoletanifchen Perikopenbuches widmete fein Hherrausgeber feinem 
erſten Abte Plazidus Wolter durch eine warme, anredende Infchrift. 
Sie weiſt dankend zurück auf väterlich behütete und geförderte Wiegen⸗ 
zeit des höheren Studienlebens. Seinem zweiten Abte, Hildebrand de 
Hemptinne, eignete Dom Germain einen weiteren Teil feiner Anecdota 
Maredsolana zu (1903). In einer ihm alsbald folgenden Anzeige 
bemerkt der herausgeber: „Eine Widmung begleitet dieſen Teilband. 
Der Herausgeber hielt darauf, mit dieſer Sammlung vormals Raum 
geahnter Predigtdenkmäler des hl. hieronumus dem hochſtehenden 
Primas des Benediktinerordens und Abte von Maredſous eine Ehren⸗ 
gabe zu widmen: dank ihm konnte ein Unternehmen, das ſo viele 
Opfer erheiſchte, glücklich zu Ende geführt werden“ (Revue Bénéd. XXI, 
1904, 8. 73). Ein Jahrzehnt ſpäter begegnet eine ähnliche öffentliche 
Bekundung dauernden Dankgefühls: am Schluß der Vorrede zum erſten 
Band der zweiten Reihe der Anecdota Maredsolana (Paris 1913). 
„Möchte dieſer Studienband, die Frucht langer gahre, friedlich feinen 
Weg in die Fachkreiſe finden. Ich wünſchte das vor allem aus Dankbar⸗ 
Reit gegen meine teure Mutterabtei: denn dank ihr — und ihr allein — 
iſt gegenwärtige Veröffentlichung möglich geworden. ... Wahre Seelen⸗ 
freiheit, eine vorläufige irdiſche heimat, ſelbſt die zur Auswirkung der 


Geiſtesanlagen unerläßlichen äußeren Hilfsmittel: all das habe ich in 


dieſem bevorzugten Erdenwinkel finden dürfen, der Maredſous heißt. 
Daß doch die zweite Reihe der Anecdota Maredsolana einen weiteren 
Titel begründete auf die Dankbarkeit der Nachwelt gegenüber Mared⸗ 
ſous und eine weitere Blume ſei in dem ſchon reichen Kranze, der 
feine noch jugendliche Stirne ſchmückt!“ Don ſelbſt werden die Gedenk⸗ 
tage ſolcher Söhne auch wiſſenſchaftliche Ehrentage für die Mutter. 
Der hl. Hieronumus beſchloß fein kleines Buch über die kirchlichen 
Schriftſteller mit einem ſchlichten Verzeichnis ſeiner eigenen Werke. 
Etwas Ähnliches finden wir im vorgenannten Bande. Pater Morin 
bietet dort zunächſt auf 79 Seiten in 114 kurzen Abſchnitten wohl⸗ 
geordnete Angaben und Bemerkungen über ſeine gelehrten Werke und 
Abhandlungen, deren Zahl 1913 ſchon 114 überftieg. Eine Reihe diefer 
oft kaum zwanzig Seiten umfaſſenden Unterſuchungen iſt bahnbrechend 
geworden oder abſchließend geweſen. Tleben der Urfprünglichkeit und 
kriſtallenen kilarheit, dem Scharfſinn und der ſeelenvollen Feinheit der 
Behandlungsweiſe erregt auch die menge und Mannigfaltigkeit der 
behandelten Stoffe und Fragen ernſtes Staunen. Ein breites und 
reiches Stück Neuland iſt durch dieſen Forſcher entdeckt und gepflegt 


222 


worden. Bedeutſam und teuer ift dem chriſtlichen Gebildeten jedes 
Fleckchen neugewonnenen Ratakombenbodens, jede noch ſo ſchlichte 
Darſtellung und Inſchrift aus dem Wiegen⸗ und Jugendalter der 
heiligen Kirche Chrifti, und fo ähnlich auch jede neue Entdeckung und 
geiſtige Erſchließung von nie veraltenden Väterſchriften und von 
gottesdienſtlichen Worten und Gebräuchen aus eben jener grundlegenden 
Frühzeit. Man kann in ſie gerade an der hand Pater Morins frucht⸗ 
bar und angenehm eindringen. Ein Meiſter in der Wertung väter⸗ 
kundlicher Ceiſtungen, Abbe Paul Oejau, äußerte ſchon 1904 in einem 
feiner ausgezeichneten Berichte über altchriſtliche Philologie: „Ich 
empfehle den Anfängern die beſung der Veröffentlichungen von Dom 
Morin. Die kirchlichen Texte ſtehen nicht im Rufe mitreißender Zug⸗ 
kraft. Aber mit einem ſo gelehrten und umſichtigen Cicerone wie 
Dom Morin möchte keiner daran Mißvergnügen erleben, wenn er 
etwas Sinn und Geſchmack für Geſchichte und Seelenkunde beſtitzt“ 
(Revue d'histoire et de litterature religieuses IX, Paris 1904, S. 367). 

Morins Überſchau der eigenen Veröffentlichungen gemahnt in ihrer 
Art ganz im Sinne des Urhebers — an die zwei Bücher „Derbefferungen 
und Widerrufe des hl. Auguftinus”. Schon 1895 hatte der mutige 
Däterkenner eine verbeſſernde Selbſtprüfung in der Zeitſchrift von 
Maredſous veröffentlicht. Er war demnach mit einem überrafchenden 
Beiſpiel einer Mahnung vorausgeeilt, die er 1905 einem ſehr koſt⸗ 
baren Cöwener Vortrage „Über Arbeit für die Jungen“ einflocht. 
„Wenn es dem einen oder anderen zuſtößt — und das iſt unvermeid⸗ 
lich — ſich zu vergeſſen oder eine falſche Fährte zu verfolgen: daß er 
dann doch ohne Säumen auf dem Wege des geſunden Denkens und 
ohne die mindeſte Rückſicht auf mißverſtandenes Ehrgefühl, wieder 
zu den ‚Wonnen der Wahrheit“ einlenke“ (Revue d'Histoire ecclösias- 
tique VI, Couvain 1905, 5. 345). 

neben dem überwiegenden fachgelehrten Zweig der ſchriftſtelleriſchen 
Tätigkeit Dom Morins ſteht ein anderer, der mehr unmittelbar dem 
religiöfen und klöſterlichen Geben zugewendet iſt. Die früheſten Jahr: 
gänge der benediktiniſchen Zeitſchrift von Maredſous find Zeugen davon. 
Seiten wie 3. B. die im VII. Bande (1890) über Epiphanie werden 
wohl immer einführend und erhebend wirken können (S. 1—6). 
Ungemein groß ſodann ift der Anteil des ſeltenen Liturgiekenners am 
reichen Mönchsrituale (1895) des Beuroner Klöfterbundes. Vor allem 
zählt zu dieſer Gattung Morins weiten Kreiſen bekannt und ſo lieb⸗ 
gewordene Schrift über den „Hochgedanken des Mönchtums und das 
urchriſtliche beben: C'idèal monastique et la vie chretienne des 
premiers jours“. Sie liegt nunmehr in dritter Auflage vor. Die 
erſte war 1912 ohne den Namen des Derfaffers erſchienen. Er war 
vom Gedanken gedrückt, das kleine Buch mit ſeinem Bild vom vollen, 
echten, chriſtlichen Mönchsleben, die vorgetragene Lehre möchte nicht 
wenig einbüßen, wenn bekannt wäre, „welch armfeligen Werkzeuges 

2. ſogen. Alemensbrief vom jungfräulichen Geben, Rap. 2, § 4 [bei Fr. X. Funk, 


Batres Apostolici, vol. IL, ed. IL, Tübingen 1901, 8. 16, 25; vermutlich im 3. Fahr- 
hundert im ſuriſchen Morgenland entſtanden!. s 


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ſich Gott zu ihrer Darbietung bedienen wollte” (aus dem Vorwort). 
Gedankenwelt und Sprache, der durchweg wahrnehmbare hauch über⸗ 
legener Däter- und Liturgiekenntnis uſw. verrieten aber unſchwer 
Feder und Namen des Verfaſſers. Das Büchlein wurde nach Gehalt 
und Form als meiſterhaft empfunden, als neuzeitlich und gleicherweiſe 
als überlieferungstreu. Es bietet im Grunde ein geſchichtliches, an⸗ 
gewandtes Bild vom chriſtlichen Innen⸗ und Gemeinfchaftsleben nach 
dem Pfingſtwunder: ein Stück Kirchengeſchichte, das dem benediktini- 
ſchen Mönchtum als Urbild voranleuchtet. Das Mönchtum ſoll und 
will „apoſtoliſches Leben“ — in einem älteren Sinn des Wortes ge⸗ 
nommen — weiterleben. Das chriſtliche Mönchsleben iſt im Grunde 
und weſentlich kein anderes als jenes der Urchriſten. „Wenn es bei 
der beftändig anwachſenden Menge der Getauften nicht immer mit 
gleichem warmen Eifer in Übung verblieb, fand es doch Rückhalt 
und Zuflucht in einem engeren Kreiſe auserwählter Seelen, die heiß 
darnach verlangten, dem von den Rpoſteln gelehrten und betätigten 
Ur⸗ und Muſterbilde treu zu bleiben“ (8. 78). Ebenſo entſchieden wie 


ganz altmonaſtiſch lautet das Schlußwort eines wiſſenſchaftlichen Ent⸗ 


deckungsberichtes Morins über eine Schrift des hl. Wilhelm Firmatus 
(rum 1095): „Die (von ihm verfochtene) Beſchauung galt von Anfang 
her als der erhabenſte Zweck des Mönchslebens. Und ſie wird, ſo 
vermindert die Zahl derer fein mag, die das faſſen, auch bis ans Ende 
deſſen eigentliches auszeichnendes Hochziel wie deſſen vollkommenſte 


Rechtfertigung bleiben“ (Revue Bénéd. XXXI., 1914 — 1919, 5. 249). 


Das tönt wie ein Nachhall des im Geifte der Väter aufgefaßten 
kiommunionliedes der Feſtmeſſe des 15. Auguft, an dem Frater Ger- 
main 1882 Chormönch von Maredſous wurde: „Maria hat ſich den 
beſten Teil erkoren, der ihr in Ewigkeit nicht genommen wird.“ 

Zwifhen den Forderungen und Zielen des geiftig entwickelten 
religiöfen Lebens und denen der ernſten Forſchung ſpinnen ſich gern 
Derbindungsfäden. Beides drängt zu losſchälender Sammlung und 
innerer Bewegung. In feinem böwener Hochſchulvortrag vom 6. 
Februar 1900 ſagt Dom Germain Morin: „Gemeinhin iſt es weder 
Reichtum noch Ehre, noch irgend etwas von all dem, was der Natur 
am meiſten ſchmeichelt, was die Wiſſenſchaft ihren Getreuen heutigen⸗ 
tags zuſichert. Gelehrte Arbeit iſt im Grunde ſogar die beſte Schule 
der Beſcheidenheit, der Armut, der Geduld, und für hochgerichtete 
Seelen vor allem eines der ſicherſten Mittel, die Liebe zu läutern. 
nichts macht tatſächlich ſo einſam wie die ſtrenge Arbeit und die 
Gewohnheit, mit dem Geiſte in Gebieten zu leben, die von der Menge 
wenig beſucht werden. Solange Sie auf der Ebene bleiben, finden 
Sie unſchwer immer jemanden, mit dem Sie reden und mitfühlenden 
Austauſch pflegen können. Aber ſteiget, und ſteiget noch höher: und 
ihr werdet bald fühlen, wie das Herz unter dem ſchmerzenden und 
unabwendbaren Eindruck der Dereinfamung ſich zuſammenſchnürt“ 
(Cöwener Revue d'Histoire eccles. I, 5. 83). 

Aus diefen Worten weht der Opferduft felbfteigenen Opferns: das 
Opfer aber war fruchtbar. f f 


224 


Neue Meßbücher für das katholiſche Volk. 


Don P. Amandus G’sell (Beuron). 


In einer Beſprechung des „Missel quotidien“ von Gafpar Lefebore 
O. S. B ſteht die Bemerkung, daß für den Stand des religiöfen Lebens 
der Erfolg eines ſolchen Buches nicht weniger lehrreich und ſprechend 
ſei, als eine Statiftik über die Fahl der Kommunionen!. In der 
Tat offenbart das Verlangen nach Meßbüchern und meßerklärungen 
ein geſteigertes religiöfes beben und Bedürfniſſe, die aus der Tiefe 
der Seele ſtammen. Es iſt daher mehr als bibliographiſch intereſſant, 
wenn wir einen Blick werfen auf einige der wichtigſten neuerſchienenen 
Miffalien zum Gebrauch der Gläubigen. Vollſtändigkeit ift nicht er⸗ 
ſtrebt und wäre auch ſchwer zu erreichen bei der Fülle der Gebetbuch⸗ 
literatur. Da zudem keine Bibliographie aufgeſtellt werden ſoll, ſo 
möge eine Auswahl genügen. Schon dieſe wird zeigen, wie reich 
die Saat aufgegangen iſt, die Dom Suéranger vor mehr als fünfzig 
ahren ausgeftreut hat. Es iſt geziemend, daß wir am Beginn unſerer 
berſicht dieſes Mannes dankbar gedenken, der durch feine „Ainnee 
liturgique“ viele eingeführt hat in den Geift der Liturgie und manche 
angeregt hat, in ähnlicher Weiſe die Schätze des Miſſale dem Volk 
zu vermitteln. 

Beginnen wir mit Belgien, wo ſchon über ein Jahrzehnt von 
Seiten der dortigen Benediktiner, namentlich der Abtei des Mont 
Cèſar zu Löwen eifrig für die Belebung des liturgiſchen Gebetes 
gearbeitet wird. Einen gewiſſen Abſchluß und gleichſam eine Fuſammen⸗ 
faſſung der reichen Literatur, die im Dienſte der Bewegung ſteht, 
bildet das „Missel pour tous“, das 1919 in der Löwener Abtei er⸗ 
ſchienen iſt. Es enthält alle 8onn⸗ und Feiertage mit Erklärungen 
vor jedem Text, der immer lateiniſch und franzöſiſch gegeben iſt. 
Ein Anhang der gewöhnlichen Meßgeſänge mit Choralnoten ermög⸗ 
licht den Gläubigen das Mitſingen des Ordinarium Miſſae. 

neben Löwen bildet in jüngfter Zeit die Abtei St. André⸗ lez⸗ 
Bruges einen weiteren Mittelpunkt des liturgiſchen Npoſtolates, 
hauptſächlich unter der Leitung des hochwürdigen Dom Saſpar be⸗ 
febvre, der ſchon während des Krieges in Lille mit Hilfe des dortigen 
Biſchofes Charoſt für die liturgiſche Bewegung eifrig tätig war. Dom 
Gefebure hat nun 1921 ein „Missel quotidien“? veröffentlicht, das 
in mehrfacher Hinficht bemerkenswert iſt. Junächſt ſtrebt es Doll: 
ftändigkeit an. Das ganze römiſche Miſſale ift lateiniſch und fran⸗ 
zöſiſch enthalten, ſo daß die Gläubigen an jedem Tag des Jahres die 
meſſe mit dem Prieſter beten können. Außerdem find dem „Missel“ 
beigegeben: die Sonntags= und Feſttagsveſpern (mit Noten), Gebete 
zur Spendung der Sakramente, die Grundregeln des chriſtlichen Lebens 
von Kardinal Mercier und zahlreiche Einführungen und Erklärungen. 


Revue des Jeunes 11 (1921), 8. 496. Es iſt beachtenswert, daß eine Zeit⸗ 
ſchrift, die in der franzöſiſchen Jugendbewegung führend iſt, diefem Meßbud einen 
Einleitungsartikel gewidmet hat. Abbaye de St. André, Pophem - lez · Bruges. 


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225 


neu und eigenartig ift die Verwendung von Bildern zur Verdeut⸗ 
lichung des Wortes. Manche graphiſche Darſtellungen, 3. B. über 
Rirchenjahr, liturgiſche Gewänder ufw. prägen ſich auch einem kiinde 
für immer ein und erleichtern weſentlich das Verſtändnis. Dabei iſt 
trotz der Dolkstümlichkeit überall das Bemühen ſichtbar, auf objek⸗ 
tiver, wiſſenſchaftlicher, geſchichtlicher Grundlage zu bleiben. Dadurch 
erhält das Buch ein Gepräge, das es dem modernen Menſchen lieb 
und wert macht. Dieſe Gediegenheit und innere Wahrhaftigkeit wird 
dem „Missel quotidien“ namentlich unter den gebildeten Katholiken 
Frankreichs und Belgiens viele Freunde verſchaffen. Und wie es ſcheint, 
wird es ſchon an Schulen, von Studenten und Seminariſten, ſelbſt 
von Prieſtern viel benutzt. 

Ebenfalls aus wahrem liturgiſchen Geift und gründlichen liturgiſchen 
Studien herausgewachſen ift das „Messale Festivo“! des Abtes 
Emmanuel Caronti von 8. Giovanni di Parma, das für Italien eine 
ähnliche Bedeutung erlangen dürfte, wie das Meßbuch von Schott für 
Deutſchland. Die Gefangstezte find lateiniſch und italieniſch, die Le= 
ſungen nur italieniſch abgedruckt, und zwar ſind alle Sonntage und 
die Hauptfeſttage berückſichtigt. Die Erklärungen führen trotz der 
ſchlichten kindlichen Sprache tief ein in das Derftändnis der Meſſen. 
Der Derfalfer hat das Glück, feinem Buche ein Begleitſchreiben des 
Patriarchen von Venedig Pietro Ga Fontaine vorandrucken zu können. 
Wir wollen es uns nicht verfagen, dieſen Brief, der fo viel Srundfäß- 
liches über Liturgie enthält, hier ganz wiederzugeben. Ein Wort aus 
ſolchem Munde wiegt ſchwer und gilt über Italien hinaus, auch für uns. 

Denedig, den 27. Februar 1921. 

„Ihr werdet in Freuden Waller ſchöpfen an den Quellen des 
Erlöfers“. Dieſe Waller des heiles find alle geſammelt worden in 
der hl. Liturgie. Wer an dieſe herantritt, wird von dem Waller 
trinken, das in ihm nach göttlicher Derheißung zur ſprudelnden Quelle 
wird des ewigen Lebens. In der Tat, in der Liturgie der kirche, 
die allein das Waller „klar wie Kriſtall“ bewahren kann, findet ſich 
die echte, einfache, ſchlichte Frömmigkeit, die nicht in Dunſt und reli⸗ 
giöſer Schwärmerei aufgeht, auch nichts zu tun hat mit den Sehn⸗ 
ſũchten nach „Erlebniſſen“ beim klang der Harmonien, beim Anblick 
der Spitzbogen und bunten Fenſter, des muſtiſchen halbdunkels und 
der antiken Gewänder, beim Duft des Weihrauchs. Nein: Die litur⸗ 
giſche Frömmigkeit ſucht nur Gottes Ehre im Glanz des kiultus und 
im Geiſt der Anbetung, fo ſehr, daß die Seele ausrufen kann: „Ich 
ſtröme über von Seligkeit, inmitten all meiner Trübſal.“ 

Beute früh in der Meſſe haben wir das Wort des hl. Paulus 
gelefen: „Seid Nachahmer Gottes als geliebte Söhne“. Wer hat je⸗ 
mals Gott geſehen, daß er ihn nachahmen könnte? „Philippus, wer 
mich fieht, fieht den Vater“, fo ſprach geſus zum Rpoſtel. Wenn 
wir alſo geſus betrachten und nachahmen, ahmen wir Gott nach; 
wir ſtellen in uns ſeine Vollkommenheit dar, entſprechend unſerem 
geringen Maße. Die ganze Liturgie nun tönt wieder von ee 

! Berruti, Sismondi & Cie., Turin. 

Benedlktiniſche Monatſchrift IV (1922), 5-6. 15 


226 


dem Wort des Lebens, fie ſtellt Chriftus dar, und im Laufe ihres 
wunderbaren Feſtkreiſes läßt fie uns Ihn hören, Ihn mit unferen 
Augen ſehen, Ihn betrachten und mit unferen Händen berühren. 
Und fie führt Ihn ein in unſere Herzen, das wahre Brot des Lebens, 
die Nahrung der wahren Frömmigkeit. Und dennoch ift fo vielen 
der Geift der Liturgie fremd geworden. „Sie haben Augen und ſehen 
nicht“. Anderen iſt er weniger teuer und liebenswert geworden, ſo 
daß man wohl mit dem Propheten geremias klagen könnte: „Eine 
doppelte Sünde hat mein Volk getan: mich, die Quelle lebendigen 
Waſſers haben fie verlaffen, und ſich Ziſternen gegraben, Zifternen, 
die riſſig find und kein Waſſer halten können”. Geben fie ſich denn 
überhaupt noch Mühe, im Advent, in der Faſtenzeit, zu Oſtern und 
Pfingſten mit der Kirche zu denken und zu fühlen? Man hört ſo⸗ 
gar manche Prediger, die in der Faſtenzeit über alles Mögliche pre⸗ 
digen, nur nicht über den Geift der Quadragefima. Dantes Beatrice 
könnte von ihnen ſagen: „Mir hat er ſich entzogen und anderen 
hingegeben“. Auch hört man beiſpielsweiſe nicht felten, die Faſten⸗ 
zeit habe keine Zugkraft mehr, wirkſamer ſeien Joſephs⸗ und Mai⸗ 
andachten, die dreizehn Tage zu Ehren des hl. Antonius uſw. Dieſe 
Andachten ſind gut und dürfen nicht vernachläſſigt werden. Die Kirche 
kann ſie geſtatten, billigen, fördern. Aber der Geiſt ihrer Frömmig⸗ 
keit iſt in dem erhabenen liturgiſchen Kreislauf beſchloſſen, in der 
ganzen Giturgie. In ihr ift die göttliche Snade aufbewahrt, durch 
fie wird die Gnade wie durch Kanäle in die Seele der Gläubigen geleitet. 
Und ich kann mir nicht denken, daß die Gläubigen größere Fort⸗ 
ſchritte machen im inneren beben, wenn ſie den Geiſt der Kirche ver⸗ 
nachläſſigen oder geringſchätzen und ihrem eigenen Geiſte folgen, der 
ſich oft in lärmenden Feſtlichkeiten mit profanem Charakter äußert, 
die den Sonntag verdrängen. Oft auch ergeht ſich dieſer Subjek⸗ 
tivismus in Andachten und krankhaften Andächteleien, die ein Bild 
mit bampen ſchmücken und das Allerheiligſte vernachläſſigen, die ein 
möglichft kleines Kruzifix aufhängen, um Platz zu gewinnen für protzige 
Statuen und geſchmackloſe Bilder. Liegt nicht darin eine Art von 
praktiſchem Proteſtantismus, der das ſubjektive Fühlen dem objek⸗ 
tiven kirchlichen Denken vorzieht? 

Es leuchtet von ſelbſt ein, daß alle, die im Gehorſam gegen die 
Vorſchriften und beitſätze der Kirche und unter ihrer Aufiht ſich 
bemühen, die Gläubigen an die wahren Quellen der Frömmigkeit zu 
führen und ihnen eine vertiefte, liebevolle Kenntnis der Liturgie ver⸗ 
mitteln, ein verdienſtliches Werk vollbringen, das den Kindern der 
Kirche geiſtige Schätze, der Mutter aber große Freude verfchafft. 
Einen ſolchen Nutzen zu ſtiften, iſt Ihr Miſſale berufen mit feiner 
guten Überſetzung und feinen reichen, klaren, gut abgewogenen Er- 
klärungen. Wer es benützt, wird der Meſſe mit Freude und Frucht 
beiwohnen. Er wird inne werden, daß er nicht ein mehr oder weniger 
gelangweilter Zuſchauer einer Yeremonie ift, die er nicht verfteht, 
ſondern ein lebendiges lied in der Familie, die zum Saſtmahl des 
Dammes eingeladen iſt, ein Glied des muſtiſchen Leibes geſu, der hl. 


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Gemeinde, die ein herz und eine Seele iſt in der Darbringung des 
euchariſtiſchen Opfers. Und die Seelen werden die Gefänge Sions 
fingen längs der Waſſerbäche des Heiles, wie es fo ſchön der Abt 
Schuſter in feinem koſtbaren Werk „Liber Sacramentorum“ ge⸗ 
ſchrieben hat: „Ihr werdet mit Freude ſchöpfen an den Quellen des 
Erlöfers“. Ich wünſche Ihnen Glück und ſoweit ich kann, danke 
ich Ihnen aus ganzem Herzen. Beten Sie für mich, daß ich mich 
niemals trenne von dieſen hl. Quellen. 
In Chriſto. Pietro Kardinal Ca Fontaine. 
Dem Patriarchen von Venedig ſchließt ſich der Kardinal Maffi von 
Piſa an, der in dem Vorwort unter anderem Folgendes ausführt: 
„Wer immer von priefterlicher Hirtenliebe erfüllt und im Bewußtſein 
der Verantwortung für die unſterblichen Seelen die Gläubigen in 
unferen Kirchen der hl. Meſſe beiwohnen ſieht, der muß mit Trauer 
erfüllt werden. Wie viele gibt es, die nur das Schellen abwarten, 


um dann mechaniſch an die Bruſt zu klopfen und ſich zu verneigen, 


und das „Ite Missa est“ können fie kaum erwarten. Die Frömmeren 
beten und ohne die Meßgebete felbft zu ſprechen, bleiben fie doch 
im Geiſt vereint mit dem Prieſter. Andere haben ein Buch in der 
Hand und folgen genau den einzelnen Teilen der Meſſe. Das find 
gewiß gottinnige Seelen; ſie trinken an den Quellen, die vom Altare 
fließen. Aber dennoch haben ſie die hl. Meſſe noch nicht ganz inner⸗ 
lich erfaßt. Beim Evangelium z. B. leſen ſie von der Ehrfurcht, mit 
der fie die heilandsworte aufnehmen follen, aber fie leſen nicht den 
Abſchnitt aus dem Evangelium, den ihnen die Kirche gerade heute 
zur Betrachtung vorlegt. Das iſt der Wunſch der Kirche, daß die 
Gläubigen den Yeremonien der meſſe mit noch tieferem Derftändnis 
und größerer Innigkeit folgen. .. Dieſes Buch nun foll uns helfen 
die Gebete der hl. Kirche zu verſtehen. Iſt es notwendig, den Der- 
faſſer zu loben? Notwendig ift es nur, daß die Gläubigen das Buch 
benützen, um fo im Verlauf des Kirchenjahres in das geheimnisvolle 
Geben der Kirche eingeweiht zu werden.“ Es wird wohl niemand 
dieſen Rirchenfürften Mangel an Liebe zum Volke und an Verſtändnis 
für die Seelſorge vorwerfen. Aber dennoch verfolgt noch mancher 
mit Mißtrauen diefe Verſuche, dem Volke das liturgiſche Gebet der 
Kirche in die hand zu geben und befürchtet ein Sinken der Frömmig⸗ 
Reit, wenn einmal die Gläubigen in der Meſſe, ftatt den Roſenkranz 
zu beten, dem Gebete des Prieſters folgen. Vielleicht dürften ſolche 
Bedenken eher zerſtreut werden durch ein Schreiben, das der hoch⸗ 
ſelige Papft Benedikt XV. an Eduard Marietti, den Herausgeber eines 
neuen lateiniſch⸗italieniſchen Miſſale, gerichtet hat. Der Brief iſt in 
den Acta Apostolicae Sedis 23 (1921) Hr. 14 S. 530 veröffentlicht 
worden. Der Papſt dankt für dieſe Ausgabe und fährt dann fort: 
„Wir freuen uns, daß Sie dasſelbe Ziel ſich geſetzt haben, das uns 
vor allem am Herzen liegt, daß nämlich das chriſtliche Volk mit 
immer größerem und fruchtbarerem Eifer dem Gottesdienſt beiwohne, 
in dem der liebenswürdigſte Erlöſer des Menſchengeſchlechtes immer 
wieder in geheimnisvoller Weiſe ſein Blut für uns vergießt. Denn 


15* 


223 


je mehr die Gläubigen teilnehmen am hochheiligen Opfer, umſo mehr 

werden fie die Güter, die zum ewigen heile führen, erlangen. Nun 
gibt es zwei Gründe, warum die Frömmigkeit des Volkes nicht in 
dem Maße, wie es ſein könnte, durch den Beſuch der Meſſe wächſt, 
nämlich die Unkenntnis der lateiniſchen Sprache und der Liturgie. 
Beiden Mißſtänden fuchen Sie ö urch Ihr Buch zu begegnen. Sie haben 
das mit gutem Geſchick für das italieniſche Volk getan, das an ſolchen 
Hilfsmitteln beſonders arm iſt. So kann alſo jeder, der überhaupt 
etwas unterrichtet iſt und leſen kann, mit Hilfe dieſes Buches bei der 
meſſe jede handlung des Prieſters verfolgen und aus der aufmerk⸗ 
ſamen Betrachtung ſo großer Geheimniſſe geiſtige Freude und reiche 
Snadenfrüchte erlangen“. Möge dieſer Herzenswunfch des verſtorbenen 
hl. Vaters immer mehr in Erfüllung gehen und denen, die an der 

religiöſen hebung des Volkes arbeiten, einen Weg weiſen. 

Italien ift nicht das einzige romaniſche Land, in dem eine litur⸗ 
giſche Bewegung eingeſetzt hat. Auch in Spanien wird nach dieſer 
Richtung eifrig gearbeitet, und zwar bildet die Abtei Montſerrat 
einen Mittelpunkt des liturgiſchen Rpoſtolates. Einem Mönch dieſer 
Abtei, P. Alfonso Gubianas, verdankt das ſpaniſche Volk ein neues 
_Miffale mit Überfegungen und Erklärungen, das 1917 ſchon in zweiter 
Auflage erſchienen ift!. Dieſes „Misal de los Fieles“ iſt nur für Sonn: 
und Feſttage berechnet und enthält außer der Meſſe die Terz und 
Defper und als Anhang ein Ordinarium Miſſae in gregorianiſcher 
Notation, ein Zeichen, daß man mit einer Beteiligung des Volkes an 
den Meßgeſängen rechnet. Ergänzend zu dieſem Miſſale tritt ein 
anderes desſelben Verfaſſers für die Faſten⸗ und Oſterzeit. Die Texte 
find immer zweisprachig und werden nicht durch die Erklärungen 
unterbrochen, die in Form einer zuſammenfaſſenden Einleitung vor 
jeder Meſſe ſtehen. 

england erhielt vor kurzem ein neues lateiniſch⸗engliſches Miffale? 
mit Erklärungen, das in Tours gedruckt und von dem bekannten 
franzöſiſchen Abt Cabrol mit einer längeren Einleitung verſehen wurde. 

Doch werden von dieſen fremoͤſprachigen Miſſalien zur Zeit ſehr 
wenige nach Deutſchland kommen, obwohl bei anderen Geldverhält⸗ 
niſſen ſicher das eine oder andere bei deutſchen gebildeten Katholiken 
Eingang fände. Eine Notwendigkeit, ausländiſche Miſſalien einzu⸗ 
führen, beſteht jedoch nicht. Hat doch das deutſche Volk ſeit 1884 
fein Meßbuch von Schott, das 1921 in zweiundzwanzigſter Auflage 
erſchienen iſt und die Erfahrung von ſiebenunddreißig Jahren ſich 
zu eigen gemacht hat. Neben Schott iſt aber in neueſter Zeit eine 
ganze Reihe anderer getreten. 1919 erſchien in zweiter Auflage 
Dickerſcheids „Neues Meßbuch“ für Sonn⸗ und Feiertage mit latei⸗ 
niſchem Text für den Ordo missae. Einleitungen zu den Feſtzeiten 
und kurze Erklärungen innerhalb der Meßformulare zu den einzelnen 
Texten erleichtern dem Volk das Verſtändnis. 

Eine Miffale-Ausgabe mit nur wenigen Erklärungen hat Chriftian 
Kunz, Priefter der Diözeſe Regensburg, nach dem neuen römifchen 

E. Subicana, Barcelona. Danpoulle, Gondon. J. Pfeiffer, Münden. 


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2 7 


229 


miſſale beſorgt in feinem „Meßbuch der katholiſchen Kirche“ !. Der 
Untertitel „lateiniſch und deutſch“ bedarf einer Erklärung, inſofern 
nur gewiſſe Teile, hauptſächlich die Geſangstexte, zweiſprachig abgedruckt 
find, dagegen die beſungen nur deutſch geboten werden. 

Reichhaltig ift das „Meß⸗ und Defperbud) der katholiſchen Kirche“? 
von Ludwig Soengen 8. J. Es enthält die meſſe und Defper für 
Sonn- und Feſttage, außerdem die hauptſächlichſten Citaneien und 
andere Gebete. Die meiſten Texte find lateiniſch und deutſch geboten. 
Die Erklärungen unterbrechen den Text nicht, ſondern leiten die Meſſe 
ein. Die Einteilung des Meßbuches ſchließt ſich nicht an das römiſche 
miſſale an. Nach jedem Feſtkreis folgen die in die entſprechende 
Zeit fallenden heiligenfeſte. Ob der praktifche Vorteil, der offenbar 
dabei erſtrebt wird, wirklich fo groß iſt, ſcheint zweifelhaft. Ruch 
wäre es zu empfehlen, eher von zwei als von drei Feſtkreiſen zu 
reden. (Vergl. ktramp S. J., Meßliturgie und Gottesreich, Einleitung). 

P. Soengen hat in ſeinen Erklärungen einen warmen, volkstüm⸗ 
lichen Ton getroffen, ohne jedoch die Tiefe preiszugeben. Dank dieſem 
miſſale kann recht vielen „das Kirchenjahr mit feinen Zeiten und 
Feſten in Wahrheit eine Stufenleiter zu echt chriſtlicher Cebensan⸗ 
ſchauung, übernatürlicher Vollkommenheit und aufrichtiger Gottes- 
liebe werden“. (Rus dem Vorwort). Es iſt zu beachten und zu be⸗ 
grüßen, daß ein Mitglied eines Ordens, dem es wahrhaftig nicht an 
Kenntnis der Dolksfeele und deren Bedürfniſſe fehlt, gerade durch 
ein Meßbuch die Seelen fördern will und von einem Meßbuch die 
Vertiefung des chriſtlichen Lebens erwartet. 

Wollen wir uns nicht mit einer Aufzählung von Titeln und Inhalts⸗ 
angaben begnügen, ſo heißt es die auf dem Rundgang gemachten 
Beobachtungen ordnen und deuten. Dem aufmerkſamen und nach⸗ 
denkenden Beobachter werden ſich von ſelbſt einige Erkenntniſſe auf⸗ 
drängen. Einmal die Tatſache, daß in allen Ländern die ſogenannte 
liturgiſche Bewegung zu ganz praktiſchen und greifbaren Ergebniſſen 
führt, zur herausgabe von Büchern, die den Gläubigen die lebendige 
Teilnahme am Meßopfer ermöglichen. Darin offenbart ſich der geſunde 
Sinn der ganzen Bewegung. Wir können auch den Fortſchritt der 
methode verfolgen. Immer mehr ſucht man ſubjektive und willkürliche 
Deutungen zu erſetzen durch klare, objektive, aus ernſtem Studium der 
Siturgie hervorgegangene Erklärungen. Um die liturgiſchen Texte nicht 
zu unterbrechen, werden vielfach die Erklärungen zuſammengefaßt und 
an den Anfang geſtellt. Damit iſt man dem Grundſatz gerecht geworden, 
daß alle Erklärungen nur Hilfsmittel find, die den Beter anleiten ſollen, 
wie er es ſelbſt machen muß und kann, um ſich in die Citurgie zu vertiefen. 

Beſonders nachhaltig aber wirkt nach der allgemeinen Überſchau 
der Eindruck, daß es ſich bei dieſen Beſtrebungen nicht um eine Mode 
und Liebhaberei eines beſtimmten Landes oder Ordens, ſondern um 
eine wahrhaft katholiſche, von der hierarchie getragene und geförderte 
Sache handelt, um die Ausführung des Programmes: „Omnia instau⸗ 
rare in Christo“. 

Fr. Puſtet, Regensburg, 1920. Butzon & Bercker, Hievelaer, 1920. 


230 


Bücherſchau 


Richſtätter, k., 8. J., Die Herz ⸗geſu⸗ 
Verehrung des deutſchen Mittelalters. 
1 Bd. Predigt und Muſtik 8° (XVI u. 
204 8.) 2. Bö. Gebete, Dichtungen, Bild- 
werke und Nadwirken (XIV u. 285 8.) 
Paderborn, Bonifazius-Druckerei. 

Viel Mißbrauch treibt man mit dem 
Worte von der „ausgefüllten Gücke“. Hier 
iſt es am Platz. Dom Baume unferes 
Vaterlandes ſinkt im herbſtſturm unſerer 
Tage ein altes Ruhmesblatt nach dem 
andern. Da ſprießt mitten im Blätterfall 
ein neues, unvergängliches hervor. Der 
Forſcherfleiß des gelehrten Fefuitenpaters 
hat es uns geſchenkt. Wohl würdigte 
man ſchon lange Deutſchlands Verdienſt 
um die Herz ⸗geſu⸗Berehrung. Helfta, das 
Ronftanzer Infelklofter, die Kartaufe zu 
Köln waren anerkannt als ihre Wiegen⸗ 
Stätte. Aber niemand ahnte, wie wunder 
bar das Herz des Gottmenſchen im alten 
deutſchen Reiche war. „Rönig und Mittel- 
punkt aller herzen“. Mit fieghafter Klar⸗ 
heit belegt dies nun Richſtätter aus den 
Quellen, geſchriebenen wie monumentalen. 
Ueue Brunnen hat er uns gegraben, mit 
Röſtlichen Waſſern. Jeder der ſchöpfen 
will, findet Anregung für Geift und herz: 
der Prediger, der Mlyftiker, der Kunft« 
forſcher, der Freund der bieder und Gebete 
unferer Altvordern. Vor allen der Pre⸗ 
diger! Viel wird auf den Kanzeln vom Er⸗ 
löſerhergen geſprochen. Aber nicht immer 
hört man etwas Originelles, das die Volks⸗ 
ſeele trifft. Weſtliche Einflüffe mögen mit⸗ 
unter daran ſchuld ſein, die unſerem Emp⸗ 
finden nun einmal fremd find. P. Rich⸗ 
ſtätter bietet urdeutfche, kernige und doch 
wieder liebesinnige Tete, wie fie unfer 
Volk liebt. Ein ſolcher kleiner Tezt gäbe 
oft den ſchönſten beitgedanken für eine 
ganze Predigt ab. Dieſes Werk weiſt den 
Weg zur guten deutſchen Form, an der 
es noch mitunter fehlt. Wer es lieſt wird 
warm, wer es lieſt gibt das alte Borur⸗ 
teil vom „franzöfifhen Herz ⸗Jeſu⸗ Kult“ 
auf. Würdig reiht ſich P. Richſtätter der 
langen Reihe deutſcher Herz · Jeſu ⸗Hpoſtel 
an. Nicht nur dem Geſchichtsforſcher bietet 


er Wertvolles, auch in Betrachtung und 
beſung beſchenkt er uns reich. 
P. Hikolaus von Lutterotti (S rüſſau). 


Gotteslob. Nach alten Pſalmengebeten im 
Anſchluß an das Brevier des Priefters be» 


„arbeitet von P. Gabriel Shmidt O. F. m. 


16° (528 8. mit Titelbild) Kevelaer 1921, 
Butzon & Bercker. Geb. M. 22.50 u. höher. 

Während man vielen gebildeten Gaien 
einfach das Brevier in die Hand geben 
kann, um ihnen einen innigen Anſchluß 
an die Giturgie der Kirche zu ermöglichen, 
iſt man vielfach in Verlegenheit, wenn es 
ſich darum handelt, dem Volk Anteil zu 
gewähren an den großen Schätzen des 
Breviers, das dem Laien faſt unbekannt 
iſt. Mit Überfegungen wäre der Not nicht 
ohne weiteres abgeholfen, da doch zum 
Derftänönis des Offiziums manches erfor- 
dert ift, was auch die beſte Uberſetzung nicht 
bieten kann. Sehr nützlich und zeitgemäß 
erſcheint uns daher der Verſuch des P. 
Gabriel Schmidt, der in feinem „Sottes⸗ 
lob“ ein Paienbrevier geſchaffen hat, dem 
man eine weite Verbreitung im Volke und 
in Ordenshäufern wünſchen möchte. Nach 
klaren und gefunden Grundſätzen ſind 
leichtverſtãndliche Pſalmen ausgewählt und 
mit Gebeten, die dem ſeligen Thomafius 
entnommen find, nebſt kurzen Schrift- 
leſungen zu Horen zuſammengeſtellt. Um 
das Büchlein billiger zu machen, dürfte es 
ſich empfehlen, im Anhang die Pfalmtöne, 
die kaum viel benützt werden, wegzulaffen. 
Es ſei auch beſonders auf das ſchöne Dor- 
wort hingewieſen, das von einem warmen 
Verſtändnis des Derfalfers für das litur⸗ 
giſchee Beten zeugt. 

PB. Amandus Gsell (Beuron). 


Braun, $., 8. 9. Liturgik. [Sammlung 
Die Auskunft, Heft 121 8 (87 8.) Heidelberg 
1921, Willy Ehrig. 

B. Braun hat ein Uachſchlagewerk ge⸗ 
ſchaffen, das in jede Ratholiſche Familie 
gehört, in der man bemüht ift, mit der 
kirche zu leben und zu beten. Alle Aus- 
drücke, die irgendwie in der Liturgie vor⸗ 


„ 


kommen, namentlich die Namen der litur⸗ 
giſchen Gewänder und Geräte, ſind in 
dieſem Büchlein alphabetiſch geordnet und 
mit kurzen, aber gründlichen Erklarun⸗ 
gen verſehen. Man merkt, daß hier ein 
Fachmann aus dem Vollen ſchöpft. Wir 
möchten das Büchlein beſonders denen 
empfehlen, die nicht in der Lage find, eine 
ſuſtematiſche Giturgik zu ſtudieren, und 
doch begierig ſind, Klarheit zu haben über 
alles, was beim Gottesdienft geſchieht und 
zum Gottesdienft gehört. 
P. Amandus 6’sell (Beuron). 


Brors, F., 8. J. Gloria in excelsis Deo! 
oder „Wie lebe ich mit der Kirche?“ Geicht- 
verftändliche Erklärung der ganzen Pitur⸗ 
gie für Welt⸗ und Ordensleute. 12° (360 8.) 
Bevelaer 1921, Joſ. Bercker, M. 15.— Geb. 
I. 20.— und III. 25.— 

Ein ungemein reichhaltiges Büchlein, 
eigentlich eine kurzgefaßte vollſtändige 
Giturgik. Brors hat es verſtanden, aus 
Thalhofer, Stapper, ihr, Kramp, und 
den verſchiedenen Büchlein der „Ecclesia 
orans“ die großen Gedanken herauszuhe- 
ben und ſolchen reifen zu vermitteln, 
für die die erwähnten Bücher nicht verfaßt 
wurden. Man möchte wünſchen, Brors 
hãtte noch volkstümlicher geſchrieben und 
manche Zitate, die für das Volk doch nicht 
immer leicht verſtändlich ſind, mit eigenen 
Worten wiedergegeben. Aber auch ſo wie 
es jetzt ift, ſollte man das Büchlein mög⸗ 
lichſt zu verbreiten ſuchen. Schon der 
Umftand, daß für Taufe, Firmung, Ehe 
und die anderen Sakramente Texte und 
Erklärungen: geboten find, dürfte manchen 
anregen, das Büchlein, das bequem in der 
Taſche getragen werden kann, ſich anzu⸗ 
ſchaffen. Nun find aber außer den Sakra⸗ 
menten noch die Meſſe, das Kirchenjahr, 
die Sakramentalien, kurz die geſamte Gi- 
turgie behandelt. Wertvoll ſind auch die 
grundſätzlichen Bemerkungen über Vitur⸗ 
gie, die allenthalben eingeſtreut ſind. In 
Schulen und Klöftern wird Brors’ Büch⸗ 
lein gewiß als erwünſchte Gabe dankbar 
begrüßt werden. P. Amandus Gsell. 


Anizan, Felig, Ders Gui. Elevations au 
Sacrè-Coeur. (40— 44 Tſö.) 8° (432 8.) 
Baris, Gethielleug. Frs 3.50 


231 


Dieſes Buch will die Menſchenherzen 
zum göttlichen Herzen führen. Dies wird 
nicht durch Ermahnungen und Aufforde= 
rungen erreicht, ſondern durch die Dar⸗ 
ſtellung des göttlichen Herzens, feiner 
Natur und feiner Ligenſchaften. Trotz 
dieſes theologiſchen Charakters iſt das 
Buch lebendig und feurig geſchrieben, ſo⸗ 
daß die Seele wie von ſelbſt „Ihm“, dem 
göttlichen Herzen zugeführt wird. Wenn 
dieſes Buch hier beſprochen nnd empfohlen 
wird, ſo geſchieht es nicht deshalb, als 
wäre in Deutſchland ein Mangel an guten 
Büchern über das Herz geſu. Aber dieſes 
Buch von Anizan verdient deshalb unfere 
Beachtung, weil der Derfaffer an der Spitze 
einer Bewegung ſteht, die der Herz ⸗Jeſu⸗ 
Derehrung einen wahrhaft katholifchen, 
internationalen Charakter geben möchte. 
Im Dienfte diefer Bewegung ſteht die 1920 
gegründete und in Paris erſcheinende 
Monatſchrift , Regnabit“, die neben wiſſen⸗ 
ſchaftlichen Artikeln über den herz ⸗Jeſu; 
Kult, von denen manche für die Giturgie- 
geſchichte wichtig ſind, auch Berichte und 
bibliographiſche Notizen aus allen Län- 
dern und Erdteilen bringt, um in dieſer 
Weiſe beizutragen zur Vereinigung der 
Katholiken der ganzen Welt. 

P. Amandus G’sell (Beuron). 


Klug, Dr. J., Ringende und Reife. 
bebensbilder vollendeter Menſchen. 8° 
(475 8.) Paderborn 1921, Ferd. Schöningh. 
Geb. M. 30.— 
— Einkehr. Ein Jahrbuch der Seele. 
1. Jahrg. 8° (VIII u. 304 8.) Paderborn 
1921, Ferd. Schöningh. Geb. M. 15.— 
1. Es iſt eine neue Art, Heiligenleben zu 
ſchreiben. Sie will die Heiligen weniger 
in ihren Wundern als vielmehr in ihrem 
Werden zeigen. Klug will ſagen: „Sieh, 
dieſer Franziskus von Aſſiſt war einmal 
ein lebensfroher junger menſch! Dieſer 
Antonius von Padua, ein heißblütiger 
Jüngling! Elifabeth, ein ſinniges junges 
Mädchen, eine glückliche Braut und Frau! 
Heinrich Sufo war ein gemüts weicher Cha⸗ 
rakter, der überaus ſchwer an ſich ſelber 
litt. Innigo da Poyola war Offizier! 
Thomas More war Jurift, der eine glän= 
zende Laufbahn durchmaß! Johannes 
Diannay war ein Bauernfohn, ein Spät⸗ 


232 


berufener, der zu Beginn feiner Studien- 


einen ziemlich troftlofen Eindruck auf [eine 
Lehrer und Vorgeſetzten machte! Sie alle 
waren Uenſchen wie du, hatten mit un⸗ 
geheuren Schwierigkeiten zu Rämpfen 
— aber fie haben ſich oͤurchgerungen, find 
aus Ringenden zu Reifen geworden.“ 
Mit der Einfühlungskraft des Dichters 
hat Klug dieſe Geftalten gezeichnet, am 
ergreifenöften wohl die des Pfarrers von 
Ars. Aber die Frage bleibt wohl beſtehen, 
ob die Geſchichte ſolcher Menfhen Auszüge 
verträgt oder ob man ſie nicht bis ins 
letzte hinein kennen muß, um vollen 
Gewinn zu haben? Klug ſucht fie zu löſen, 
indem er am Schluß des Bandes auf die 
Quellen und die eingehendere Literatur 
verweiſt. . 

2. „Ein Ruf ift diefes Buch — ein Gottes- 
ruf zur Einkehr!“ Er fällt oft wie Feuer 
in die Seele und entzündet; er Öringt oft 
unbegreiflich ſanft ein wie die Liebe und 
dann wieder rüttelt er alle guten Kräfte 
auf und zwingt das Wort auf die Lippen: 
„Jetzt will ich mich bäumen, jetzt fang ich 
an!“ Klug verſteht es, die Sprache des 
modernen Menfchen zu ſprechen und des⸗ 
halb wird er ſo willig aufgenommen und 
verſtanden. Er darf nicht bloß ſagen: hier 
iſt ein Buch, das einer der dringlichſten 
Jukunftsaufgaben dienen möchte, es 
dient diefer Aufgabe, nämlich der Wieder- 
einführung einer tiefen, echten und aus 
den reichen Schätzen des Schöpfungs⸗ wie 
des Kirchenjahres lebenden Frömmigkeit 
in die deutſche Familie. 

B. Virgil Reòlich (Seckau). 


Wibbelt, A., ein heimatbuch. 10—12 
Tſö. 8° (272 8.) Geipzig 1921, Dier- 
Quellen«-Derlag. Geb. M. 16.— 

— ein Spruchbuch. Gereimtes und Un⸗ 
gereimtes. 2. verm. Aufl. 8° (137 8.) 
ebd. 1921. Kart. M. 12.— 

Baldus, A., Auguftin Wibbelt. Sein 
beben und fein Werk. 8° (140 8.) Ebd. 
1921. Kart. M. 17.— 

1. erdenheimat, — Vaterland, — Rinder 
heimat, — Gottesheimat: durch dieſe vier⸗ 
fache Heimat führt Wibbelt mit ſicher 
aufwärtslenkender Hand. Es iſt immer 
jene packende Einfachheit, die mehr ans 
Berz greift als aller Schmuck der Rhe- 


. A — 
„ 
* 


torik. Und es iſt wieder ein Buch, das 
uns heimiſch macht in dem, was unſerer 
Jeit fremd werden will: in der Freude 
am Schönften in der Welt, am höchſten 
und Seligſten in der Gottesheimat. Die 
Feinheit des Dichters und die Tiefe des 
Theologen haben hier ein Ganzes geſchaffen. 

2. „Ein Buch, das du nicht wiederholt 
leſen magſt, brauchſt du nicht zu kaufen.“ 
Dieſes Spruchbuch von Wibbelt wird man 
immer wieder gerne zur hand nehmen, 
denn es ift Rein Geiftreihtun, ſondern 
wahrer Geiftreihtum eines abgeklärten 
bebens. Und man darf dabei wohl an 
die beſten derartigen Sammlungen denken, 
wenn man einen rechten Maßſtab für 
ſeinen Wert finden will. Daß unter 
tauſend Aphorismen nicht alle ſo gelungen 
fein können wie die über Natur und 
Kunſt, humor und Witz, kann den nicht 
überraſchen, der weiß, wie ſolche Bücher 
entſtehen. 

3. Was hier vom Geben, von den Dialekt- 
ſchriften, der uri und den Büchern der 
Freude Wibbelts geſagt ift, will einfache 
Leute mit dem „Apoftel der Freude“ be⸗ 
kannt machen. Wäre es nicht beſſer ge⸗ 
weſen, Wibbelt noch mehr reden zu laſſen, 
als es geſchieht, und ſo eine lebendige 
Anſchauung feiner Art und Sprache zu 
geben, anſtatt immer von ihm in höchſten 
Gobestönen zu reden? „Stumme Bewunde⸗ 
rung iſt das höchſte Lob,“ ſagt Wibbelt. 
Dann wäre auch ſeine feine und doch ſo 
kernige Art, eine Wahrheit zu ſagen ohne 
ſtets Moral zu predigen, klarer heraus» 
gekommen. 

P. Virgil Redlich (Seckau). 


Bühler, Johannes, kloſterleben im 
deutſchen Mittelalter nach zeitgenöſ⸗ 
ſiſchen Aufzeichnungen. Mit 16 Bildtafeln. 
Leipzig 1921, Infel-Derlag. II. 35. — 

es war ein glücklicher Gedanke des 
Inſel⸗Uerlags in feine Sammlung: „Me- 
moiren und Chroniken“ auch das mittel⸗ 
alterliche deutſche Mönchtum zu Worte 
kommen zu laſſen. 

„Stolze, weite Bauten auf Berges- 
höhen und in ftillen, einſamen Forſten; 
ſpitzgieblige häuſer in engen Städten; 
abgezehrte, düftere, felbftquälerifhe Se⸗ 
ſtalten; behäbige, lebensfrohe Genießer; 


1 a, 


feudale herren; Grübler und Denker; 
Acerbauer und Schulmeifter; fromme, 
jubelnde Hymnen; beglückendes Welt⸗ 
vergeffen und ſeligſtes Gottverfenken — 
dies und hundert anderes fteht vor dem 
Auge des modernen Menſchen und klingt 
an fein Ohr, wenn er von mittelalter- 
lichem Klofterleben hört. Aber ſoviel 
die Schule davon erzählt, ſoviel in ge⸗ 
lehrten und nicht gelehrten Büchern dar⸗ 
über zu leſen iſt, der beſte Schilderer und 
Zeichner dieſes bunten und reichen Lebens 
iſt doch der mittelalterliche Schriftſteller 
und Chroniſt. Deshalb lege ich hier zeit⸗ 
genöſſiſche Aufzeichnungen mittelalter⸗ 
licher Mönche und Honnen vor.“ 80 


führt Johannes Bühler fein „Kloſterleben 


im deutſchen Mittelalter“ ein. Ein Haupt- 
zug im Bilde mittelalterlicher Kultur ſoll 
gezeichnet werden. Nicht der Gelehrte ſoll 
dies tun. Die Alten ſelbſt ſollen von 
ihrem Leben und Wirken reden und ſo 
das Bild vor unferm Auge erſtehen laſſen. 
Für das engliſche Mönchsleben des 
Mittelalters befigen wir ein ähnliches Werk 
in Kardinal Gasquets: English mo- 
naſtic Gife. Doch der Unterſchied zwiſchen 
Bühler und Gasquet iſt weſentlich. Bühler 
läßt die Quellen ſelbſt reden, Gasquet 
verarbeitet das vorgefundene Material 
zu einer eigenen Darſtellung. Bühler“s 
Buch iſt wohl das lebensfriſchere. — 
Beinahe die Hälfte des Bandes füllen 
Mitteilungen aus dem Benediktiner ⸗ Orden. 
Und naturgemäß. er iſt der ältefte Mönchs · 
orden und mit ihm hat ſich das Wort 
„Mönch“ für Jahrhunderte identifiziert. 
Bühler zeigt nun an der Hand ausgiebiger 
Quellendarftellungen, was dieſe Benedik⸗ 
tiner-Mönde waren, wie fie lebten, 
dachten und arbeiteten. Die Jahrhunderte 
ziehen an unſerm Geifte vorbei. St. Bene; 
dikt und feine Regel; Galliſche Chroniken; 
St. Bonifatius, der große Illönch⸗Biſchof; 
das Mönchskapitular vom Jahre 817; 
Abt Wilhelm von Hirfau und fein Werk; 
Manan, der Schottenabt von St. Jakob 
zu Regensburg; die Kloſterreform des 
15. Jahrhunderts — um nur eine kleine 
Ausleſe aus dem Gebotenen zu halten — 
wird unſerer Vergleichung und Erwägung 
dargeboten. Heben dem ſchwarzen Mönch, 


5 fehlt der weiße nicht; der Ziſterzienſer 


233 


löſt den Benediktiner ab. Es erſcheint 
der Auguſtiner und Prämonftratenfer, der 
Franziskaner und Dominikaner. Jeder 
eine Welt für ſich. Und doch Kinder der 
einen, ſelben, großen deutſchen Dergangen- 
heit. Markward von Fulda, Cäſarius 
von Heiſterbach, Gertrud von Hackeborn, 
Norbert von Magdeburg, Liutgart von 
Wittichen, Johannes Tauler und heinrich 
Seufe, deutſche Mönche, deutſche Nonnen. 
Diele kennen kaum ihre UHamen; hier 
können wir Einblicke tun in ihr Geben. 
Sie kommen uns nahe, wir lernen ſie 
kennen. Die Regeln und Konſtitutionen, 
Satzungen und Akten von Provinzial» 
Kapiteln geben den Rahmen zu den ein⸗ 
zelnen Bildern ab. Den hintergrund 
bilden Chroniken und Briefe, Predigten 
und Legenden. So webt und wirkt fi 
das Bild zuſammen, das Bild vom: 
„Kloſterleben im deutſchen Mittelalter“. 
Auch die Schatten fehlen nicht. Irren 
und Fehlen auch im Heiligtum. Wer wollte 
erſtaunen? Doch trenne man reinlich die 
Perſon von der Sache. Und man wird 
das richtige Urteil finden. — 
P. Albert Schmitt (Weingarten). 


v. Jezſchwitz, Gertrud, Warum katho- 
liſch? Begründung meines Übertritts, 
8° (XII u. 86 8.) Freiburg 1922, Herder. 
M. 30.— 

Verſchieden wie die Menſchenſeelen ſelbſt 
ſind die Wege, auf denen Gott ſie führt. 
Dieſe Erfahrung beſtätigt ſich in beſon⸗ 
derer Weiſe im beben derer, die ſich 
ſuchend und ringend zur Mutterkirche 
zurückgefunden haben. Wenn wir die 
zahlreichen, in unſerer Zeit ſich auffallend 
mehrenden Konvertitenbilder über ſchauen, 
wie verſchieden nach dem erſten Anlaß 
und dann nach Beweggründen, Kämpfen 
und Entſchlüſſen ift die Geſchichte jeder 
einzelnen Konverſton. — Die vorliegende 
Schrift gehört zu den bemerkenswerten. 

Die Derfafferin ſtammt aus ſtreng lu⸗ 
theriſchen Kreiſen und hat ein ungewöhn⸗ 
lich tätiges, reich religiöfes Geben hinter 
ſich, immer beſtrebt, ſich zu vertiefen und 
auf andere, beſonders die weibliche Jugend 
in chriſtlich⸗erziehlicher Weiſe einzuwirken. 
Der Ratholiſchen Kirche ſtand ſie ſchroff 
ablehnend gegenüber, da dieſe ihr nur 


234 


aus dem bekannten Jerrbild entgegen⸗ 
getreten war. Das iſt leicht begreiflich, 
wenn man die methodiſche Herabfegung und 
Derhegung der Kirche in manchen Kreiſen 
kennt. Ich erinnere mich aus meiner 
Schulzeit, wie die in überwiegender Menge 


proteſtantiſchen Kameraden, mit denen 


wir paar Katholiken bisher freundſchaftlich 
verkehrt hatten, mit einem Male, als der 
Konfirmationsunterricht eingeſetzt hatte, 
uns voll Hohn und Haß begegneten. — 
Aber Frl. v. 3. iſt eine wahre Gottſucherin. 
Sie war nicht blind für die Mängel ihrer 
Kirche und bemerkte mit Schmerz, wie 
nicht nur die Gebildeten, ſondern auch das 
Volk ſich immer mehr dem chriſtlichen 
Glauben und Geben entfremdeten und ſah 
ſehr wohl, daß die Päſſigkeit und Un⸗ 
einigkeit der Geiſtlichen eine haupturſache 
ſei. Wie die im Anhang gebotenen Artikel 
für die „Evangeliſch⸗Gutheriſche Rirchen⸗ 
zeitung“ beweiſen, ſuchte fie darauf hin⸗ 
zuwirken, daß von maßgebender Stelle 
ſeelſorgliche beitung, zunächſt für die weib- 
liche Jugend, dann aber auch öffnung der 
Kirchen an Wochentagen, Pflege der Sa⸗ 
kramente u. a. angeregt werde. Den Miß⸗ 
erfolg dieſes NUotſchreis ſah fie bei der dog⸗ 
matiſchen Jerfahrenheit und dem Mangel 
an Eifer und Derftändnis wohl voraus, 
denn ſchon hatte ſie ſich näher mit ein⸗ 
zelnen Ratholiſchen Büchern bekannt ge⸗ 
macht und ſo den Schleier etwas gelüftet, 
den man in einer Wolke von Vorurteilen 
um Ratholiſche Lehre und Geben gezogen. 
Don inneren Kämpfen oder einzelnen 
Stadien ihrer Annährung an die Kirche 
erfahren wir weniger. Das Büchlein hat 
mehr einen apologetiſchen Zweck und 
ſucht ihre einſtigen Glaubensgenoffen in 
die dieſen unbekannten oder verkannten 
Wahrheiten einzuführen. Es behandelt den 
Geift und das Weſen der Katholiſchen 
Kirche, das Meßopfer, das ſakramentale 
und Gebetsleben, die Mlyftik und Ökumeni- 
tät derſelben. Mit beſonderer Wärme 
ſtellt die Derfafferin die hl. Meſſe und 
das Altarſakrament in den Vordergrund, 
das fie tief erfaßt und erlebt hat. Miß⸗ 
verſtändlich könnte ein Satz (8. 60) wirken, 
als ob den tätigen Orden das kontem⸗ 
plative Geben und eine ernftere Aszeſe 
fehle. Wo das der Fall wäre, müßte 


man auf Mangel an Erziehung ſchließen. 
Den caritativ tätigen Genoſſenſchaften 
darf das beſchauliche Leben nicht fehlen 
und fehlt es auch in der Tat nicht: man 
erlebt gerade dort herrliche Beiſpiele. — 
Das Büchlein zeugt von ernſtem vielſei⸗ 
tigem Studium und reiht ſich, wie ſchon 
bemerkt, an hervorragender Stelle in die 
Honverſionsſchriften ein. Man darf es 
warm empfehlen. 
P. Sebaſtian von Oer (Beuron). 


Kögel, Raphael, 0. 8. B., Die Palim- 
pſeſtphotographie. 8° (X u. 64 8. mit 
42 Abb. auf 8 Tafeln) Halle 1920, Wil- 
helm knapp. II. 18.60 

Bor allem durch Mauriner wie Ma- 
billon (T 1707), Montfaucon (+ 1741), 
Touftain (T 1754) und Taſſin (T 1777) 
haben gelehrte Bemühungen um Form und 
Seſchichte der alten Schrift eine beſondere 
Betonung, fruchtbare und muftergültige 
Pflege und ſo wohl bleibende Einſtellung 
in die wiſſenſchaftlichen Benediktinerziele 
erfahren. Ju den ſchwierigſten aber auch 
lohnendſten Aufgaben der wiſſenſchaft⸗ 
lichen Altſchriftkunde — der Paläogra⸗ 
phie — zählt gewiß das anforderungs⸗ 
reiche Studium jener Handͤſchriften, die 
unter der ſichtbaren oberen und neueren 
Schrift eine mehr oder minder getilgte untere 
und ältere bergen, d. h. der Balimpfefte. 
Diele von ihnen find ſehr alt und von 
einzigartigem Wert. Faſt immer noch 
haben größere und ſelbſt ganz kleine 
Palimpſeſtfunde und ⸗ausgaben erheb⸗ 
liche und mitunter entſcheidende Förde⸗ 
rungen der alten Schrift» und Tertforſchung 
gebracht. 

Wie der Altſchriftkunde überhaupt (vgl. 
3. B. B. Gabriel Meier: „Die Fortſchritte 
der Paläographie mit Hilfe der Photo⸗ 
graphie“ im Zentralblatt für Bibliotheks- 
weſen, XVI, 1900), hat ſich die hoch⸗ 
entwickelte Kunſt der Photographie in 
dankenswerteſter Weiſe den ausgeſchabten 
Schreibdenkmälern zugewandt. Geradezu 
bahnbrechend griff hier in jüngſter Zeit 
ein Mitbruder der Mauriner ein: der 
weitbekannte Derfaffer des vorliegenden 
kleinen und mit Ausnahme des mehr 
geſchichtlich gerichteten Dorworts und 8. 
1-2 durchaus techniſch gehaltenen Buches. 


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2 EN 


Es iſt neben dem verftorbenen Breslauer 
Phuſiker E. Pringshaim ſinnvoll dem 
„bochverdienten Förderer der Palimpſeſt⸗ 
Runde“ Otto Gradenwitz von Heidelberg 
mitgewidmet. Wie die Literarifche Bei; 
lage der Kölnifchen Volkszeitung bereits 
am 12. September 1912 (Ur. 37, 8. 284) 
berichten konnte, ift der mit erfolgreichem 
Erfinderblik und Probierfleiß begabte 
gelehrte Derfalfer aus der braſilianiſchen 
Benediktiner ⸗Rongregation auch grund⸗ 
legend und eng verknüpft mit der Ent⸗ 
ſtehung und Entwicklung der Beuroner 
Palimpſeſtzelle. 
P. Anſelm Manſer (Beuron). 


Herwig, Franz, Der Fahresfeſtkreis. 
Geiftige Spiele. 1. Das Aöͤventſpiel. 2. Das 


‚kleine Weihnachtsſpiel. 3. Das Paſſions⸗ 


u. Ofterfpiel. 8° (56, 42 u. 64 8.) München 
1921, Patmosverlag. 

es gehört entweder eine große Unbe⸗ 
fangenheit und Einfalt oder große Klug⸗ 
heit und ein ſicherer Geſchmack dazu, das 
göttliche Drama der Menfchwerdung, des 
bebens, des beidens und der Auferftehung 
Chriſti, das die Evangeliften uns fo ein⸗ 
fach und wahr aufgezeichnet haben, zu 
einem Bühnenſpiel zu verwerten und da⸗ 
raus ein Kunftwerk zu geſtalten, das 
den guten alten (es gibt auch minder⸗ 
wertige) Muſterienſpielen würdig an die 
Seite geſtellt werden kann. 

Bei Franz Herwig trifft dies zu: Er 
geht Klug vor und hat einen ſicheren 
Seſchmack. Er zieht die heilige Geſchichte 
nicht herunter, ſondern weiß fie fo zu 
feinem Zwecke zu benützen, daß feine 
Bühnenſpiele ergreifend und erbaulich 
wirken. Beſonders das Adventſpiel, wohl 
das originellſte, muß, wenn es gut auf⸗ 
geführt wird, erſchütternd wirken. Das 
wäre etwas für die religiöfe, werktätige 
und ſtudierende Jugend. 

Bei der großen Schwierigkeit im Paſ⸗ 
ſions⸗ und Oſterſpiel die „Stimme des 


herrn“ (ſehr klug läßt Herwig Chriſtus 


nicht perſönlich auftreten) würdig wieder⸗ 


zugeben, möchte ich empfehlen dieſe Worte 


zu ſingen, und zwar nach der Melodie 
des „Cantus Paſſionis“ der neuen „Editio 
vaticana!. 

P. Willibrord Derkade (Beuron). 


235 


Guby, Dr. Rudolf. Die niederbay: 
riſchen Donauklöfter. Niederaltaich mit 
ſeiner ehem. Propſtei Rinchnach, Oſter⸗ 
hofen, Retten. [Süddeutſche Kunſtbücher, 
Band 1 n. 2]. 8° (40 8. mit 12 Bilö- 
tafeln). Wien. Ed. Hölzel & Co. M. 12.— 

nicht ohne Geſchick hat der Verlag 
Hölzel, Wien, an die Spitze der neuen 
Sammlung Süddeutſcher Kunſtbücher dies 
Heft von Dr. Guby über die niederbauri⸗ 
ſchen Donauklöſter geſtellt. Niederaltaich, 
einft der Mittelpunkt der Kolonifation für 
den Bauriſchen Wald, ſeine Propſtei Rinch⸗ 
nach, das Prämonſtratenſerſtift Oſterhofen, 
die Abtei Metten: ſie vereint bilden ein 
machtvolles Jeugnis für die Stärke und 
den Einfluß des monaſtiſchen Gedankens 
im Südoſten unſerer deutſchen Heimat. 
In kurzen Umriſſen gibt Gubu die wich⸗ 
tigſten Anhaltspunkte über die geſchicht⸗ 
liche Entwicklung eines jeden dieſer Häufer. 
Eine gewaltige Summe religiöfer, künft- 
leriſcher und kultureller Werte ift in dieſen 
Ausführungen beſchloſſen. Man ſtaunt 
ob der Schaffenskraft und Schaffensfreude 
der Alten, die ſolche Werke erſtellen 
konnten. Dem geſchriebenen Wort gibt 
Subu 12 Bildtafeln bei, die das Gefagte 
wirkſam erläutern. Es macht Freude 
dieſe alten Stätten mönchiſchen Lebens 
und Strebens in ſo anſprechender Form 
dargeboten zu erhalten. So kann man 
nur wünſchen, daß dieſe neue Sammel: 
reihe der „Süddeutſchen Kunſtbücher“ im 
ſelben Sinne wie die vorliegenden An⸗ 
fangsnummern ſich weiter entwickeln 
möge; ganz im Sinne des Programmes, 
das Dr. Suby zum Scluffe feiner Aus⸗ 
führungen uns vorlegt: „Die Reihe der 
Süddeutfhen Kunſtbücher . foll Rein 
Handbuch der Aunfidenkmäler erfegen, 
ſoll nicht große kunſtwiſſenſchaftliche Pro; 
bleme löſen . . , fie ſoll für die bisher fo 
wenig beachtete Runft unſerer großen 
deutſchen Heimat Derftändnis und Liebe 
werben, fie ſoll dem Wanderer durch die 
Heimat ein Führer, dem Heimgekehrten 
eine Erinnerung, allen aber, die fie ſehen 
wollen, ein durch Wort und Bild ſprechen⸗ 
des Zeugnis fein von der zu allen Zeiten 
unzerſtörbaren Kraft deutſchen Geiftes 
und bodenſtändiger deutſchen Art.“ 

B. Albert Schmitt (Weingarten). 


236 


Schmidt, Wilhelm 5.0.D. Der Deut: 
[hen Seele Not und Heil. Eine Zeit- 
betrachtung. 8° (VII u. 296 8.) Pader⸗ 
born 1920, Ferd. Schöningh. 

Dies Buch von P. Wilh. Schmidt nennt 
fi) ſelber „eine Jeitbetrachtung“. Es iſt 
von ihm hier die Rede nicht weil, ſondern 
obwohl es gelegentlich zu politiſchen Tages⸗ 
ereigniſſen Stellung nimmt. 

P. Schmidt iſt nach Ausweis feines Buches 
Romantiker; er will mit Flaskamp, die ge⸗ 
ſchichtlich mögliche, organiſch vermittelte Er» 
neuerung des alten chriſtlich⸗germaniſchen 
Kulturideals“ (S. 177). Der humnus auf 
„Dreizehnlinden“ liegt in derſelben Rich⸗ 
tung; hier verrät ſich zugleich der Sohn 
der „roten Erde“. Die lebenswahre, rüh⸗ 
rende Schilderung des verträumten Deutſch⸗ 
öſterreichers, des „Sinnierers“, mit feinem 
aus umgebender Natur, katholiſchem Be⸗ 
kenntnis und langwährender Geſchichte 
erwachſenen Verſtändnis für das „Leben“ 
(im guten wie im ſchlechten Sinne) weiſt 
auf ſchon langen Aufenthalt in öſterreichi⸗ 
ſchen banden hin. Daneben ſpürt man, 
wenngleich ſeltener, die verdiente Achtung 
vor „Preußentugend“ und ſogar den 
Glauben an ein, zwar unerlöftes, „Para- 
dies von tiefinnigem Gefühl“ beim „Neu⸗ 
deutſch⸗NHorddeutſchen“ trotz deſſen „Härte 
und Kälte“, wofür als Unterlage „die 
überftrömende Giebesinnigkeit einer Mech- 
tildis von Magdeburg und einer Gertrud 
von Balpede, die ſchwärmeriſche Gottes- 
verſunkenheit eines Angelus Silefius, die 
zartinnigen bieder eines Paul Gerhardt“ 
dienen (8. 150 f.) Schön, daß hier über dem 
Ideal des einen Typus „Deutſcher Menfch“ 
die Vorzüge des anderen nicht überſehen 
werden! Wäre es nicht überhaupt an⸗ 
gezeigt, gegenüber der heute ſo beliebten 
möglihft ſcharfen Herausftellung der 
Gegenfäte, des Trennenden und Unter⸗ 
ſcheidenden in Stämmen, Dölkern, Be⸗ 
kenntniſſen, Ständen, Individualitäten etc. 
oder beſſer darüber hinaus mehr das 
ergänzende und Allgemeinwertvolle zu 
betonen und lebensvoll in ſich und anderen 
zur Geltung zu bringen? Man ſchüfe ſo 
eine Zeelenverwandtſchaft und den Boden 
gemeinſamer Juſammenarbeit zu pofitivem 
Aufbau. Eine Sehnſucht nach Seele und 
nach Einheit geht doch durch uns alle! 


Dieſer Sehnſucht will das Buch für 
ſeinen Teil entgegenkommen. Es ſucht im 
„Abſtieg der Beſiegten“ (Rap. 3) die inne⸗ 
ren Wurzeln unſeres Zuſammenbruchs 
bloßzulegen, mahnt zur „Einkehr und 
Sammlung“ (Kap. 5) und gibt „Ausblicke 
zum Aufftieg“ (Rap. 7): „Der Mangel an 
Giebe in der neudeutſchen Kultur“, der 


‚tieffte Grund unſeres Elends, muß und 


kann durch „Opferhingabe in der Gegen- 
wart“ ausgeglichen werden. Man möchte 
es faſt reſigniert ſagen und ſagt es doch 
mit chriſtlichem Gebensmut: von der Höhe 
kann es wohl einen Sturz, von der Tiefe 
für den Wagemutigen nur einen Aufftieg 
geben. So wird uns auch hier ein „Aus- 
blick“ geboten — hier macht das Buch 
eigentlich „die Stimmen anderer vernehm⸗ 
bar“ (S. 167) — „zur ſozialen Freiheit, 
auf kulturelle Erlöfung, zur religiöfen 
Einheit, auf die nationale Erneuerung, auf 
die Weltaufgaben“. Ein Kapitel „Der Auf: 
ſtieg der Sieger“ (Rap. 4) ſuchte bereits zu er · 
mitteln, was wir etwa auch von den Angel⸗ 
ſachſen diesſeits und jenfeits des Meeres 
wie den Franzoſen lernen könnten. Gernen 
natürlich, nicht kopieren (vgl. S. 165 f). 
Helfen kann hier nur „die Giebe als Sie⸗ 
gerin über den Haß”; „Liebe und Opfer“ 
find aber unzertrennbar. Deshalb ein 
inhaltreiches Kapitel (Rap. 6) über „Das 
Opfer der Liebe“, das heilige Meßopfer. 
„Ans Werk!“ ruft uns das Schlußkapitel 
zu, nachdem wir eben aus der Kirche ge⸗ 
treten ſind, das „Hochamt des heiligen 
Geiftes“ mitgemacht und erläutert bekom⸗ 
men haben (Kap. 8). Überhaupt wird der 
Strom der Erneuerung aus dem heiligtume 
erwartet, von der Kirche in ihrer inneren 
Bereitſtellung, erſtlich und vor allem von 
ihrem Opferaltare her. Man hört hier 
herrliche Worte über unfere Giturgie und 
ihre ſeelenbildende Kraft. 

„du den Klagen und Anklagen, die das 
Buch ſtellenweiſe erhebt, ſei bemerkt, daß 
der Derfaffer ſich ſelbſt zu den Angeklagten 
zählt“ (Vorwort) und überhaupt die (dem 
Ganzen übrigens zu gute Rommende) mehr 
tagbuchartige Entſtehungsweiſe nicht über- 
ſehen. Es iſt ein Buch von reichen An⸗ 
regungen; man kann es nur in vielen 
Händen wünſchen. 

P. Sturmius Aegel (Beuron). 


237 


Aus dem Orden des hl. Benediktus 


Regierungswechſel in Scheuern. 


I. 


m 22. Februar dieſes Jahres wurde der Senior der baueriſchen Ordensprälaten, 

Abt Rupert III. von Scheyern, in die ewige heimat abgerufen im 
öreiundſiebzigſten Jahre feines Lebens, im neunundvierzigſten feines Prieſtertums, 
im achtundvierzigſten der heiligen Profeß, im ſechsundzwanzigſten ſeiner gottgeſegneten 
Regierung, geprüft durch lange, mit größter Geduld ertragene Leiden, geſtärkt durch 
den Empfang der heiligen Sterbefakramente und getröftet durch den Rpoſtoliſchen 
Segen Seiner Heiligkeit des Papftes Pius XI. Iweiund zwanzig Jahre war er als 
Gehrer und Erzieher, als Präfekt und Direktor am erzbiſchöflichen Rnabenſeminar 
ſeines &lofters unermüdet und ſegensreich tätig geweſen, als ihn am 2. Juni 1896 
das einſtimmige Vertrauen der Mitbrüder zum Nachfolger feines väterlichen Freundes, 
des unvergeßlichen Abtes Rupert II. Mußl, erkor. Abt Rupert Megenleitners Re» 
gierung iſt ausgezeichnet durch mehr als einen Markſtein in der Geſchichte feines 
altehrwürdigen Kloſters; hier ſei nur an die Gründung der Tochterabteien Ettal und 
Plankſtetten, ſowie des Münchener Studienhauſes erinnert. Der heilige Stuhl ehrte 
die Derdienfte des tatkräftigen Mannes durch Verleihung der Cappa magna ſowie 
durch ein ebenſo anerkennendes wie herzliches Glückwunfchbreve Benedikts XV. aus 
Anlaß des filbernen Kegierungsjubiläums!. Faſt dieſelben Prälaten und geiſtlichen 
Würdenträger, welche dem Jubilar am 26. Juli 1921 im feſtlich geſchmückten Gottes- 
hauſe U. b. Frau und zum heiligen Kreuze affiftiert hatten, geleiteten ſieben Monate 
ſpäter auf dem gleichen Wege die ſterblichen Überreſte des Verewigten zur letzten 
Ruheſtätte. „Sic transit gloria mundi“ — etiam in monasterio „So geht dahin die 
Herrlichkeit der Welt“ — auch im Klofter! Abt-Präfes Plazidus Glogger von Augs⸗ 
burg nahm Ausfegnung und Überführung vor, Rardinal-Erzbilhof Michael von 
Faulhaber hielt das Pontifikalrequiem. P. Stefan Kainz feierte in einer aus tiefſtem 
Herzen kommenden und tief zu Herzen gehenden Gedädhtnistede den heimgegangenen 
Vater als getreuen Anhänger Chrifti, Mariens und Petri, wie man einſt auch dem 
ſeligen Petrus safe nachgerühmt hat: „Aöhaesit Christo, aöhaesit Mariae, ad- 
haesit Petro“. — „Er hing Chriftus an, er hing Maria an, er hing Petrus an.“ 
Die fünf Abſolutionen wurden gehalten von den Hochwürdigſten Abten von Plarık- 
ſtetten, Ettal und Augsburg, vom Hochwürdigſten herrn Biſchof von Lichſtätt, Dr.‘ 
Geo von Mergel, und von Seiner Eminenz dem Herrn Kardinal und Erzbiſchof von 
München. Die Beerdigung hielt Biſchof Geo. Außer den bereits erwähnten Kirchen⸗ 
fürſten waren noch infuliert anweſend die Hochwürdigſten Erzäbte von St. Ottilien 
und Beuron ſowie die Äbte von Metten, Schäftlarn, München und Ottobeuren. 
Hunderte von geiſtlichen und weltlichen Trauergäſten und eine Menge Volkes füllten 
alle Räume des Gotteshaufes. Beileiöskundgebungen liefen ein von Seiner König⸗ 
lichen Hoheit dem Kronprinzen Ruprecht und anderen Mitgliedern des Baueriſchen 
Rönigshauſes, von Seiner Exzellenz, dem päpſtlichen Nuntius Pacelli, vom Baueriſchen 
Episkopat und ungezählten Freunden und Bekannten des Derftorbenen und des 
ſtloſters aus allen Lebensftänden. Möchte ſich erfüllen, was an der Spitze der 
Trauerandenken zu leſen war: „Der herr gebe ihm einen Platz bei den Fürften 
feines Volkes!“ Pf. 112, 8. N 


1 Pgl. Bened. Monatſchr. III (1921) 414 f. 


238 
II. 8 

Am 3. März, einem herz⸗Jeſu⸗Freitag, verſammelten ſich in Scheyern neunzehn 
Wähler unter dem Vorſttze des hochwürdigſten Abt⸗Präſes der bayriſchen Kongre- 
gation, Abt Plazidus Slogger von St. Stephan zu Augsburg, um Rupert IIL einen 
Uachfolger zu geben. Die Wahl fiel auf Dr. phil. et theol. B. Simon Ganders- 
dorfer, bisher Profeſſor der altteſtamentlichen Ezegefe und der orientaliſchen Sprachen 
am Kollegium Anſelmianum in Rom. Der neue Abt ift geboren am 2. Oktober 
1880 in Neutenkam, Pfarrei Geiſenhauſen, abfolvierte in Freifing das Gumnaſium, 
trat zu Scheyern in den Orden ein und legte am 28. Oktober 1900 die Gelübde ab. 


mit ausgezeichnetem 
erfolge oblag er den 
höheren Studien in 
Eihftätt u. München, 
wo er auch den philo⸗ 
logiſchen Staatskon⸗ 
kurs machte und zu⸗ 
gleich „mit höchſtem 
obe“, summa cum 
laude, zum Dr. phil. 
promovierte. Am 14. 
Dezember 1903 wurde 
er zum Prieſter ge⸗ 
weiht. Als Profeſſor 
des Gymnafiums in 
Ettal wie als KRon⸗ 


rektor und Inftituts- 
direktor daſelbſt aufs 
erfolgreichſte tätig, 
förderte er in den 
wenigen ihm noch ver- 
bliebenen Mußeſtun⸗ 
den feine altexegeti⸗ 
ſchen u. orientaliſchen 
Studien und promo- 
vierte zu Freiburg im 
Breisgau als Dr. theol. 
Vor feiner im Jahre 
1920 erfolgten Beru; 
fung auf den Gehr- 
ſtuhl von 8. Anſelmo 
wirkte er 1917 1920 


als erzbiſchöflicher Studienlehrer und Subprior in Scheyern. Don Rom zur Abt⸗ 
wahl heimgekehrt, brachte er den befonderen Segen Pius XI für diefes folgen⸗ 
ſchwere Rechtsgeſchäft mit, der ſich nunmehr an ihm ſelber wirkſam erweiſen möge. 

Schon die erſten Tage nach der Wahl brachten einen neuen ſchweren Trauer- 
fall. Am 7. März verlor das Stift eines feiner tüchtigſten Mitglieder, P. Joannes 
Maria Pfättiſch, den Mitbegründer und erſten Oberftudiendirektor des Symnafiums 
in Ettal!. Gleich vorbilölih als Ordensmann wie als Schulmann, erreichte der all» 


zufrüh Heimgegangene ein Alter von nur 44 Jahren. Der neugewählte Abt konnte 


feinem langjährigen getreuen Mitarbeiter nur mehr den erften Seelengottesdienſt 
halten. R. I. P. 


Nach der Inſtallation des Erwählten durch Abtpräſes Plazidus am 20. März, 


erfolgte am nächſten Tage, dem hochfeſte St. Benedikts, die feierliche Abtweihe durch 
Seine Eminenz, Kardinal von Faulhaber unter Aſſiſtenz von acht infulierten Prä- 
laten; Abtpräfes Plazidus ſchilderte als Feſtprediger in bereöten Worten Würde und 
Bürde des abteilichen hirtenamtes. Das Wappen des neuen Abtes zeigt in der 
Mitte auf rotem Grund golden den Stern von Bethlehem als Symbol der chriſtlichen 
Offenbarung; die Geſetzestafeln (in blauem Feld) erinnern an die Offenbarung des 
Alten Bundes, das altaſſuriſche Sotteszeichen (in grünem Feld) an die Uroffenbarung. 
Der Wahlſpruch ſtammt aus II. Kor. 5, 14.: „ayaıın c Xptoroü ouveyxer*, Chrifti Giebe 
hält zuſammen. — Omen accipimus; es fei uns gute Dorbedeutung! 


P. Gaurentius Hanfer (Scheyern). 


1 Don P. 9. m. Pfättifh brachte die Bened. Monatfchrift 1920, 60 ff.: „Aann die Dauer der Gehr- 
tätigkeit Jeſu beſtimmt werden * 1921, 320 ff.: „Die älteſten Evangelien” und jüngſt erft 1922, 67 ff. 
die Beſprechung von: „Schlögl, Die Schriften des Neuen Bundes“. Wir hatten uns von dem gelehrten 
und ſtets hilfbereiten Mitbruder noch manchen wertvollen Beitrag erhofft und trauern herzlich am Grabe 
des fo früh Derblichenen. Die Schrlftl. 


0 
\ 


— — 


239 


Don alten und neuen Abten. 


W über hundert regierende und ein Diertelhundert Titularäbte in einem Orden 
leben, gibt es natürlich ſtets Wechſel durch Tod und Neuwahl. Nicht immer 
wird er uns rechtzeitig bekannt, und nicht jedesmal Rönnen wir ihn erwähnen. 
50 erhielt u. a. St. Benedikt, Oregon, am 17. November 1921 einen neuen Abt im 
bisherigen P. Subprior Bernard Murphy an Stelle des reſignierten Abtes Plazi⸗ 
dus Fürſt. In Atchiſon wurde am 27. Dezember P. Martin Deth zum Abt(-Koad⸗ 
jutor) für Abt Innozenz Wolf geweiht, und am 29. Dez. wurde in Collegeville für 
den verſtorbenen Abt Petrus Engel (+ 27. Nov.) P. Prior Alcuin Deutſch zum 
Abte erwählt. Wer ſich unter einem Abte und Prälaten nur eine unnahbare Per- 
ſönlichkeit vorſtellen kann, wird vielleicht den ſchlichtherzlichen Nachruf gern hören, 
den ein Pfarrkind von Collegeville Abt Petrus im „St. Joſephsblatt“, St. Benedikt⸗ 
Oregon, v. 16. Dez. 1921 widmete, und den wir deshalb mit leichter Kürzung hierherſetzen: 

„Tief traurig ſtehen wir am friſchen Grabe, des großen Freundes und größten 
Wohltäters von Collegeville, des hochwſt. herrn Abtes Peter Engel. Schon ſeit Ende 
September kränkelnd, ließ feine Snaden es ſich nicht nehmen, die Stelle unſeres 
herrn Pfarrers zu vertreten und nahm uns noch am erſten Sonntag im November 
mit dem Winterüberzieher bekleidet unſere letzte Beichte ab. Don feinen wohl⸗ 
meinenden Beratern gewarnt, ſich doch zu ſchonen, hielt er noch unſeren Rindern 
Chriftenlehre und opferte freiwillig, wie ein guter hirte für feine Schäflein, Gefund- 


heit und Geben, Nun iſt er uns vorausgegangen, und wir hoffen auf ein ewiges 


Wiederfehen. Wir tröſten uns mit dem Gedanken, daß Abt Petrus viel zu gut, 
zu gut war für die neue Zeit, und daß der Herr ihn zu ſich rief um ihm den 
wohlverdienten Lohn zu geben und ihm feine ſchwere Paſt abzunehmen. Der 
Schreiber kannte den nun teuern Derftorbenen feit über dreiundoͤreißig Jahren als 
den ſtillen, einfachen, geduldigen, und ganz beſonders demütigen Benediktiner⸗Mönch 
und Prieſter. hier gilt beſonders das Wort des Heilandes: Selig find die Sanft⸗ 
mütigen. Damals, als der hochſelige Abt Bernhard als Leiche zur Abteikirchen⸗ 
türe (ungefähr ſiebenund zwanzig Jahre iſt es her) herausgetragen wurde, ſah der 
Schreiber reichliche Tränen über des damaligen P. Subpriors Peter Wangen rollen, 
und dachte in einer gewiſſen Dorahnung: Haft alle Urſache, guter Pater Subprior, 


zu weinen; denn auf Dich werden deine Amtsbrüder jetzt das ſchwere, goldene Kreuz 


eines Herrn Ubtes legen. Fünfundzwanzig Jahre ſpäter, hatte der nun Hochſelige 
das ſeltene Glück, das ſilberne Abtjubiläum zu feiern. Und nachdem die höflich⸗ 
keitsfeſte für hohe, auswärtige Gäſte vorüber waren, ſcharte er uns von College⸗ 
ville zuſammen und gab gleich einem guten Hausvater uns, feinen kleinen und 
großen Kindern, ein Feſt mit reich beſetzter Tafel und freute ſich mit uns im 
Familienkreiſe. Derjenige, welcher auserſehen war, eine kleine Dankrede zu halten, 
ſchloß an den nun hochſeligen gerichtet: „Siehe Herr, ich habe Keines von denen, 
die Du mir anvertraut haft, verloren; fie find Alle gerettet worden.“ Möge es nun 
in Erfüllung gehen! Einmal war der hohe Derftorbene, obwohl Abt, fieben Jahre 
lang unfer Herr Pfarrer. Und in der Zwiſchenzeit verrichtete er immer Kooperators= 
dienſte, hörte täglich Beichte und betete mit den Wenigen, welche die Werktagsmeſſe 
beſuchten, laut den gemeinſchaftlichen Roſenkranz. Sonntags hörte er wenn mög⸗ 
lich alle Beichten. Hun ift unfer Troft begraben; aber wir ſehen mit FJutrauen 
den neuen Derhältniffen entgegen. Obwohl Amerikaner von Geburt, ſprach er deutſch, 
betete deutſch, handelte deutſch, wenn es fein konnte, und gebrauchte die Landes= 
ſprache nur, wenn es ſein mußte. Er war nicht der Mann, welcher das geknickte 
Rohr in den Sumpf trat, fondern es immer wieder aufrichtete und zu neuem beben 
entfaltete. Wir (die Gemeinde von Collegeville) werden erft in der Zukunft er⸗ 
fahren, was wir an dem hohen Derftorbenen verloren haben.“ 


„ * & 


E 


240 


Siturgifhe Wochen in Benediktinerklöſtern. 


m friedlichen Mai 1914 gab in der Münchener „Allgemeinen Rundſchau“ Alexander 

Schnütgen (8. 340) einen Bericht über „Die erſte liturgiſche Woche in Maria⸗ 
baach“. Krieg und Revolution haben die Wiederholung ſolcher Tage hintanhalten, 
die Sehnſucht danach nur mehren können. Schon 1920 gab Hermann Platz am gleichen 
Orte (8. 294 f.) feine „Caacher Rartagseindrücke” wieder unter dem vielſagenden Titel: 
„Bon Wegen, die wir gehen müſſen“. 1921 fanden an verſchiedenen Orten „Litur⸗ 
giſche Wochen“ ſtatt, wie meiſtens veranftaltet vom „Verband der Vereine katholifder 
Akademiker zur Pflege der katholiſchen Weltanſchauung.“ In den diesjährigen 
Rartagen wurden in Beuron und Maria-Laad ſolche „Wochen“ gehalten. In 
Ettal ſoll an Pfingften eine weitere folgen. Unabhängig davon bot diesmal auch 
Sinſiedeln eine „Citurgiſche Woche“, die erſte in der Schweiz. Zweck ſolcher „Wochen“ 
ift die Durchdringung des ganzen Menfhen mit dem Lebensodem der betenden 
Rirche durch möglichſt innige mehrtägige Teilnahme an liturgiſchen Dollfeiern unter 
Anleitung liturgiſch lebender und geſchulter Menſchen. 

In Maria ⸗Saach ſprachen in zwei Kurſen der hochwürdigſte Herr Abt und 
je vier Patres: in der Paſſionswoche (5.— 9. April) vor zweiunddreißig Damen und 
herren über: Einleitung in die Liturgie der Faſtenzeit, Einzelſeele und Gemeinſchaft 
in der hl. Meffe, die Gefungen aus dem Propheten Jeremias in der Faſtenzeit, die 
liturgiſche Ausfpradye des Seelenlebens Chrifti in der Paſſionswoche, die Sprache der 
kirche im liturgiſchen Gefang, Paſſionswoche und Paffionsbericht, hiſtoriſche Ein 
führung in die Liturgie des Palmſonntags, Palmſonntag und Oftern. — In der 
Karwoche (12.— 15. April) vor achtzig Teilnehmern (nur Herren) über: den chriſt⸗ 
lichen Gemeinfchaftsgedanken in der Liturgie des Sründonnerstags, die Muſik in 
der Liturgie der Karwoche, die Auffaſſung und ſumboliſche Wiedergabe des Leidens 
Chrifti in der Liturgie der Kartage, die Klagen des Jeremias als Lied der mit 
Chriftus leidenden Kirche, den Triumph des Lichtes und der Freude in der Liturgie 
des Rarſamstags (und Schlußvortrag). 

In Beuron ſuchten fünf Patres vom 12.—15. April etwa ſiebzig bis achtzig 
Herren in das Derftändnis der liturgiſchen Feiern einzuführen durch Vorträge über: 
die Ausdrucksart der Reſponſorien der Trauermetten, unſer Mitopfern in der hl. 
Meffe, den Wortgottesdienft der alten Kirche, den höhepunkt der Karfreitagsliturgie 
und feine muſikaliſche Einkleidung, Sanctum Pascha Domini, das Laienapoftolat 
der Liturgie (und Schlußanſprache). 

In Einfiedeln leitete vom 12.—16. April P. Rektor Romuald Banz für etwa 
150 Teilnehmer eine liturgiſche Woche. „Der direkte Zweck der liturgiſchen Woche 
wurde“, nach dem Luzerner Vaterland (n. 94 vom 19. April), „in harmoniſchen 
Einklang gebracht mit demjenigen ‚geiftliher Ubungen“, wie ja der Wunſch nach 
ſtärkerem Betonen des religiöfen Gehalts bei den „Wochen“ immer wieder laut wird. 
P. R. Banz ſprach über: Weſen und Bedeutung der Liturgie — das Leben der Chriſten 
eine Liturgie, Palmſonntagsliturgie — Chriſtus unſer König, Einführung in die 
Trauermetten auf Gründonnerstag — die Sünde als Verrat, Liturgie des Grün- 
donnerstags (Predigt), Aufbau und Zeremonien der hl. Meffe — die hl. Meſſe als 
Opfer des chriſtlichen Volkes, Einführung in die Karfreitagstrauermetten — das 
Gericht über die Sünde, Karfreitagsliturgie (Predigt), das Opfer am Kreuze, die 
erhabenfte Erfüllung des Hauptgebotes der Liebe zu Gott und dem Nächſten, Ein- 
führung in die Trauermetten des Karfamstags — der Gehorfam Chrifti, Rarfams- 
tagsliturgie, Bedeutung des Oſterfeſtes als Erneuerung der Taufgnade, Introitus 
der Oſtermeſſe — Bedeutung der Leiden, Schlußvortrag (Predigt in der Stiftskirche). 


Herausgegeben von der Erzabtei Beuron (Hohenzollern), 
für die Schriftleitung verantwortlich: P. Daniel Feuling (Beuron), 
gedruckt und verlegt vom Kunſtverlag Beuron. 


BennnanssneeKCennnSBBSEREURZBELRREEUGHESRORESBEHSGAUBURGEREAERVERURSEUERBBUSERASERERERBRERURAEERAREEBERREUERUUGSSDSESEHRSERURSGERBRESBAGHEREUSNSAURKSBEAGAR 


Eingelaufene Schriften. 
(Die einreihung eines Buches in diefe Gifte bedeutet noch 
Reine Empfehlung — Beſprechung erfolgt nach Tunlichkeit. 
Rückſendung findet in keinem Falle ſtatt.) 


r ο e eee GBR5RSURBSSBAUBUUABDB PLITITILIKTTILLITLITITELTLLL, 


8. Ambrosi Mediolanensis Episcopi. 

De obitu satyri fratris laudatio fune- 
bris. Edidit, annotavit, praefatus est 
Dr. P. B. ce gr. 8 (58 8.) Bonn 
1921, 2, 9. J., 5 7.50 

Die Dergegenwärti- 
gung RL Eingel. u. übertr. von 
5. Hartmann 8. 9. eig Mir 
1922, ee ee 

Bernard von Clairvaux, d. hl., 
die Gottesliebe. Übertr. von K. an 

mann. [Religiöfe Geifter 8. Böchen.] 

30 (75 8.) Mainz 1921, m. Grünewald- 
‚verlag. Geb. III. 15.— 

Bishop, E., Ce Enie du Rit Romain. 
Ed. francaise annotée par H. Wilmart 
O. 8. B. 12° (104 5 Paris 1922, bi- 
brairie de L'art catholique (6 Place 
ehe Fr. 3.— 

Boe „ Loyola u. die deutſche 

uſtik. gr. 8° (44 5.) Geipzig 1921, 
Teubner. .3.— 

Breu, Henriette, Wenn es in der Seele 
dunkelt. Ein Buch für die Mühſeligen 
u. Beladenen. 8° (VIII u. 226 8.) Frbg. 
1922, Herder M. 31.—; geb. M. 42.— 

Brors, Fr. X., „Der Mann nach 

erzen Gottes. Gebetbuch f. d. 
Rath. Männerwelt. 16° (610 8.) Keve⸗ 
laer. Butzon & Bercker. Geb. III. 24.— 


Cobausg, O., 8. J., ole des 20. Jahr. 


— hunderts. KRelͤgiös- Wiſſenſchaftl. Vor- 
träge. 4. Aufl. gr. 80 (198 8.) Köln 1921, 

Bachem. M. 30.—; geb. M. 40.— 

Commer, Clara, Mutter Maria Maz⸗ 
zarello. 8° 84 8. mit Bild) Münden 
1921, zen er Salef. (Auerfelöftr. 6). 

Daufend „ 6., Das ältefte 8a. 
kramentard. Münfterkirge ler eſſen 
Giturg. Texte u. Studien 1. Bd.) gr. 8⁵ 
XII u. 107 8.) Dalheim, en alien 

t. Gudwig 1920, M. 30.— 

Deutſches Honnenleben. Das Geben der 
Schweſtern zu Töß und der Nonne von 
Engeltal Büchlein v. d. Gnade Überlaft. 
Eingel. und übertr. v. Marg. Wein⸗ 
handl. [Katholikon 2. Bo-j gr. 8 
(330 8.) München 1921, Recht. | 

Dimmler, E., Das Evangelium nach 
gohannes. Ülberf., eingel. und erklärt. 
3. verb. Aufl. 12° (286 8.) M. Gladbach 
1922, Volksvereinsverlag. Geb. IM. 20. 

er ied, h., O. DI. Cap., Das Rlofter 

er beit. Seiftl Gefungen für Tertio- 


ren u. innerliche Seelen. 3. u. 4. Böchen: 
Seelenringen u. Bollkommenbheit; Erden 
glück u. himmelsfreude. kl. 12° (128 
u. 127 5.) Münden 1921, Pfeiffer. 
Süllekes, F., 8. C. J., Geben der hl. 
Monika. kl. 8 (128 8. mit Bild) Reve- 
11 a Butzon & Bercker. Geb. 


Haggeney, A., 8. J., Recollectio. Mo- 
natliche Beifteserneuerung für Priefter 
u. Ordensleute. 16° (64 8.) Kevelaer 
1922, Butzon & Bercker. Geb. II. 10.— 

gammer, „ G. F. M., Rönig und 
Bettler. ein Franziskusbuch für den 
Feſtſaal. 8° (156 8.) Wiesbaden 1921, 
. Seb. M. 30.— 

Heinen Bürgerliche Gemeinſchaft 

und belkstum. [Feierabende. Plaude⸗ 

| ein mit jungen Staatsbürgern. 2. Bd.] 

gr. 8° (231 8.) m. Gladbach 1922, 
Dolksvereins-Derlag. IM. 30.— 

Herderskonverfations-Gerikon. 3.Aufl. 
weiter Ergänzungsband. 4° (XII u. 
928 8.) Frbg., Herder. Geb. M. 175.— 
u. II. 250.— 

Be 6., Peter Shwabentans Schaffen 

Träumen. Dikar u. Preßhuſar. Kl. 
si 0568) R Rosbg., Babbel. M. 20.—; 
ge 

Heuffi, &., Das Nilusproblem. Rand» 
gloffen zu Fr. Degenharts neuen Bei⸗ 
trägen zur Uilusforſchung. gr. 8° (32 8.) 
Veipzig 1921, Hinrichs. III. 6.— 
ck, kt., Die geiſtliche Trodenheit. 
Ratſchläge für Seelen, die das Gebet 
lieben. 32° (35 2) Revelaer 1922, 
Butzon & Bercker. II. 2.50. 

Hoffmann, 5., Eine deutfche Paſſion. 
2. verb. Aufl. 12° (40 8.) Rothenfels 
am an Deutſches Quickbornhaus. 


Budal, Die ſerbiſch ⸗ orthodoxe 
Hationalhirche. [Beiträge zur Er« 
ee der . Kirchen 1. Bö.] 

r. 8 Mo 28 8.) Graz 1922, 

0.— 

„0. 2 M., Der Tertiar 
des bl. ang ziskus. liormalbuch f. d. 
1 ben 3. Ordens. 8. u. 9. Aufl. 
16° (320 8.) Kevelaer 1922, Butzon 
& Bercker. Geb. III. 20.— 

£inor, J., Pauliniſche Sentenzen. 12° 
al 8.) bimburg 1922, Gebr. Steffen. 


e 


ELLLLILLILIIILLLE 
8 


Gauz, J., C. 8. 8p., Der hl. Boni: 
fazius. Apoſtel 15 Deutſchen. 8° (XII 
u. 308 S. mit 11 Bildern) Freiburg 1922, 
Herder. II. 53 —; geb. III. 63.— 

Geben u. Wirken des ſel. 9. B. Dianney, 
Pfarrers von Ars. Überſ. u. hrsg. von 
A. Sleumer. 3. Aufl. 8 (168 5.) Pim⸗ 
burg 1922, Steffen. M. 10.—; geb. 
M. 13.— u. M. 15.— 

Diederbuch für gugendvereine. 9. Aufl. 
201 - 225. Tfd. 16° (64 5.) M. Glad- 
bach 1922, Dolksvereinsverlag. M. 2.— 

Mausbach, $., Der Geift Dantes und 
unfere ku AUraU gaben: gr. 8° (20 5.) 
Köln 1922, Bachem. III. 6.— 

Mayer, 8., Die Helferin des ktinder⸗ 
freundes. Ein Büchlein für Mütter und 
zur Gaienhilfe bei der religiöſen Unter⸗ 
weiſung der Kinder. gr. 8° (32 8. mit 
Bild) Rgsbg. 1921, Habbel. 

ert, E., Der „Kommunismus“ Jeſu 
und er Rirdhenväter. [Apologetifche 
Vorträge 6. Bd.] gr. 8° (2045 ) m. Slad⸗ 
bach 1922, Volks vereins verlag. M. 20 — 

Mercier, flard., Stille Stunden des 
Priefters. Überf. v. H. Sleumer. 2. Aufl. 
80 (204 8.) Limburg 1922, Steffen. 
M. 16.—; geb. M. 19.— u. M. 24.— 

— Priefterwürde u. Prieſteramt. Überſ. 
von H. Sleumer. 2. Aufl. 8° (1525.) Ebd. 
1922. M. 12.— ; geb. M. 15.— u. 17.— 

Monatliche Beiftesfammlung. Don 
einem Franziskaner. 3. verb. Aufl. 
32° (325.) Geutesdorf am Rhein 1922, 
gohannes=Derlag. II. 1.20 

Uoeldechen, E., Don der Giebe Gottes. 
Ueue Heiligenbilder. Kl. 4° (48. 8.) 
Mainz 1921, m. Grünewald Verlag. 
M. 24.—; geb. I. 27.— 

Patzak, B., Die geſuitenkirche zu Glo⸗ 
gau und die ſtirche zu Seitſch. Zwei 
ſchleſiſche Barokbaudenkmäler. [Bei⸗ 
träge zur ſchleſ. Kunſtgeſchichte 1. Heft]. 
gr. 8° (35 8. illuſtr.) Glogau 1922, Hell⸗ 
nr M. 7.50 

Peſch, T., 8. J., Der Chrift im Welt⸗ 
leben u. ſeine Unvollkommenheiten. 
30.— 34. Aufl. Rl. 12(290 8.) Köln 1922, 
Bachem. Geb. III. 35.— 

Plum, Maria, Theorie der Mädchen⸗ 
erziehung bei den hervorragenden deut⸗ 
[hen Pädagogen des 19. Ihrts. gr. 8° 
(114 5.) Köln 1921, Bachem. III. 15.— 

Prill, 9., Citurgik. eine Einführung in 
das Derftändnis des kirchlichen Gottes- 
dienſtes. gr. 8° (238 8.) Bonn 1921, 
Hanſtein. M. 26.— 

Die Pſalmen lateiniſch und deutſch. Für 
gebildete Beter bearbeitet von Simon 
Gandersdorfer O. S. B. 8° (416 8.) 
Rgsbg. 1922, Puſtet & Röfel. M. 40.—; 
geb. M. 70.— 


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BSSSEEEEREBREREBEREEEREEDERSERERBSEREREERERESEREERRESENSERENESEHERSERRREBRRHEEBEHENRGHEREBANEE * 
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Rainer, J. B., O. F. 985 Der hl. Fr 
Solan. Patron der Franziskane 
miſſionen. Hrsg. v. Th. Kogler 0.3 Ai 
80 (352 8.) Wiesbaden 1921, Rau 
Geb. M. 35.— 

Rieſch, Helene, Maria Ward. Die 8 Sti 
terin der Engliſchen Fräulein. 8° (70 
mit Bild) Innsbruck, Tyrolia. 

Rings, M., O. P., Freunde des Erlöfe 
80 (85 8. mit Titelbild) Dülmen 1 2 
Gaumann. M. 12.30; geb. II. 22.50 

v. Sales, der hl. Franz, Dhilotpen oder 
Anleitung zur Frömmigkeit. Heu hrs 2 
von Pf. Fehring er. 16 (XII u. 5128. m t 
Titelbild) Rosbg. 1921, Bol et 35 et. 
M. 10.—; geb. UI. M. 38.— 

Sappl, 6., Wir Katholiken und di 
internationale Jugendbewegung. [Im at | 
Rath. Jugendbibl. 1. Heft] RL 89 (45 8. 
Graz 1922, Baulus-Derlag. III. 5 > 

— Das Weltſprachenproblem und die 
10 0 oHIDE kirche. RI. 8° (24 8.) Ebd. 


Schöne Seelen, Heiligenlegende für 
Rinder. Don einer Pehrerin. 2. Ruft. 
kl. 12 (118 S. mit Titelbild) Münfter 


1921, Regensber C. B. B., gebe der | 


Segmüller F. 
Johanna Maria Bonomo C. 


82128.) Graz 1922, Styria. m. 40. 
Seufe. Ausgewählt u. hrsg. von Dr. D. 
Oehl. 5) W. Muſtiker 1. Bö.] RL. 80% 
(204 5.) Kempten, Röfel & Puſtet. 
Sierp, W., 8. J., Die Braut des herrn. 
Die gottgeweihte Jungfrau in der Wa lt 
oder im Ordenshauſe. 7. Aufl. 1606308) 
ſtevelaer 1922, Butzon & Bercker. Geb. 
M. 24.— und höher. 
Strewe, A., Die Piturgie als Handeln 
und Schauen. Grundfäte und Beifpiele 
8° (111 5.) Leipzig, Strauch. M. 18.— 
Trafolt, E., Mönche und Uonnen. Ge 
genden. gr. 8 (64 8.) Geipzig 1922, Vier⸗ 
Quellen-Derlag. M.22.—; geb. III. 38.— 
Vogt, J., Marienminne. Gefungent 2 
Betrachtungen für Marienkinder. 3. 
5. Tſd. Kl. 8 (80 8. mit Titelbild) Rotten 
burg 1922, Bader. III. 10.— : geb. II. 18.— 
v. Waltendorf, J., In Chrifto r 
borgen. Leben und Sterben im date 
melitenorden. 2. Band: Aus einem ftille 
Gottesgarten. 80(1835.) Kevelaer 192 2 
Butzon & Berker. Geb. II. 30.— 
Waſſerzieher, C., Woher. Ableitendes 
Wörterbuch derdeutfeien Spradie 5 ark 
verm. u. verb. Aufl. 80 (245 8.) Berlin 
1922, Dümmler. Geb. M. 28.— 
Weber, P., Der Geift des hl. Be . 
Darftellung der Wege zur Giebe Gottes. 
12° (150 8.) Kevelaer 1922, Bugon & 
Berker. Geb. II. 21.— 
(Fortſetzung flehe zweite Seite des Umſchle 


m 2 
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Benediktinifche 
Monatſchrift 


Inhalt: 
P. Rupert Jud: Erinnerungen an Daniel Bonifatius Dr. von 
Haneberg O. 8. B. (8. 241). P. Athanaſius Miller: Die 
Weisheit der Ewigen Weisheit (S. 252). P. Daniel Feuling: 
Weſen und Aufgabe der Aſzeſe (8. 260). B. Matthäus 
Rothenhäusler: Der hl. Baſilius d. Gr. und die klöſterliche 
Profeß (S. 280). P. Alois mager: Muſtiſche und magiſche 
Seelenvorgänge (8. 290). P. Amandus. G/sell: Holländiſche 
und deutſche liturgiſche Bewegung (S. 299). 
Kleine Beiträge und Hinweiſe: 

B. Hugo Bévenot: Urfprung der Pauliniſchen Religion (8. 305). 
B. Daniel Feuling: Eine Werkwoche auf Burg Rothenfels (8. 306). 
B. * Manfer: Huazinth Holland über Haneberg als Gehrer der 
hl. Schrift (8. 307). 

Bücherſchau: 

Beſprechungen von P. quſtinus Albrecht, P. Daniel Feuling, 

P. Athanaſtus Miller, P. Gaurentius Rupp, P. Albert Schmitt, 
Prof. Dr. 5. Schrohe, P. Willibrord Derkade. - 

Aus dem Orden des hl. Benediktus: 

Die Wiederbelebung der Benediktinerabtei Weingarten (8. 31 6). 


5 Unſere Bilder: 
P. Gabriel Wüger: „Mönch“ und „Laienbruder” (mit Text). 


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1922 Ye Nr. 7-8 
Dierter Jahrgang s Juli— guguſt 


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Berausgegeben vom der; | Druck und Derlag: 
Erzabtei Beuron (Hohenz.) 4 Kunſtverlag Beuron. 


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An unfere Gefer! 


Die in den letzten Monaten neuerdings eingetretene bedeutende Steigerung a let 
Herftellungskoften zwingt uns zu unſerem Bedauern den Bezugspreis für die 


„Benediktiniſche Monatſchrift“ 


von M. 20. — (bezw. 32. —) auf M. 40. — für den Jahrgang zu erhöhen. Die Giefer: ung : 
der Zeitſchrift erfolgt jedoch von nun an porto- und ſpeſenfrei, und zwar auf 8 em 1% 
Poſtzeitungswege, da bei der neuangekündigten Porto⸗Erhöhung der Derfand ı 2 
Kreuzband nicht mehr in Frage kommen kann. Für den laufenden gahrgang 
ſtellen wir es aber unſeren Abonnenten frei, die für fie in Betracht komme nde ö 
Erhöhung von I. 8.— an unſeren Verlag nachzuzahlen. — Die Abonnenten aus 
Öfterreih, Guzemburg, Polen und Freiſtaat Danzig erhalten die Feitſchrift ar s- 2 
nahmsweiſe weiter unter Kreuzband zugeſandt zum Betrag von M. 40. — Für 7 
Finnland, Jugoſlavien, Rumänien, Tſchecho⸗Slovakei und Ungarn beträgt der £ Abe on⸗ 5 
nentenpreis (einſchließlich der jetzt geltenden Poſtſätze) M. 60.— Für das üb rige 2 
Ausland gilt folgender Jahrespreis (einſchließlich Porto): 7 
Amerika 1 Doll. | england 4 80h. | Italien 10 Gire. 
Belgien 6 Fr. Frankreich 6 Fr. Schweiz 4 Fr. 
Dänemark 4 Kr. Holland 2 Eld. | Spanien 4 Pes. 


Für Seminare, Erziehungsanſtalten u. Vereine, die mindeſtens 5 Stück unmittelbar + 
beziehen, wird ein Vorzugspreis gewährt. Preis des Doppelheftes im Einzelverkauf 2 
M. 7.—. Beſtellungen nehmen alle Poſtanſtalten, Buchhandlungen und der | 
unterzeichnete Verlag entgegen. 


Die unmittelbaren Bezieher bitten wir um baldige Einzahlung des f 
gahresbetrages auf unfer Poſtſcheckkonto Hr. 7034 beim Poſtſcheckamt 
Karlsruhe, Baden. Verlag der Beuroner Aunftfchule, Beuron (Hohenz.). 


Alle Geldſendungen ſende man an die untenſtehende Adreſſe (uch 3. 
einfahhin an die Abtei oder die kloſterverwaltung) und füge ihnen die ; 
Bezeichnung „für die Benediktiniſche Monatſchrift“ gütigft bei. H 


Bei etwaigem Ausbleiben der Hefte oder bei unrichtiger Gieferung reklamiere 3 
man ſtets zunächſt bei dem in Frage kommenden Poſtamt. Eine ſolche Reklamation 
geſchieht am beſten ſchriftlich und koſtet keinerlei Porto oder Spefen. Die Poſt iſt 5 
verpflichtet, etwa nicht eingegangene Hefte koſtenfrei nachzuliefern. Erſt wenn eine 
ſolche bei der Poſt angebrachte Reklamation zu gar keinem Erfolge führen ſollte, 
wende man ſich an den Verlag. Änderung der Anfchrift bitten wir dringend dem u 
Poſtamt ftets zeitig bekannt zu geben. Tlicht zu umgehende Abbeftellungen müſſen 
vor dem 1. Dezember erfolgen. 2 


Jahrgang 1919, 1920 und 1921 ſind, ſolange der Vorrat reicht, zu den obigen 
Preiſen noch erhältlich. 


Runftverlag Beuron Gehen geen = 


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Soeben erſchienen: 8 


Die Dermählung Mariens. 


Wandbild aus dem „Marienleben“ der Beuroner 12 5 
Vierfarbendruck mit Bold. Größe 40x50 cm. M. 12.— 


„„es „„en ee e e e e e e eee eee ' 


Wie Raffael in feinem Spofalizio, wählt der Künſtler den Augenblick höchſter Weihe, 
da eben die hl. Jungfrau mit der züchtigſten Gebärde von dem faſt ehrfürchtig ⸗ſcheuen = 
Bräutigam den Ring der Treue entgegennimmt. Der Verzicht auf alles ummöfige 3 

Beiwerk lenkt die ganze Aufmerkfamkeit mit Macht auf die Heiligkeit der Handlung ; 2 
ſelber und macht das Bild dadurch zu einem ausgesprochenen Trauungsandenken. = 


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P. Gabriel Wüger 


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| 241 
Erinnerungen 


Daniel Bonifatius Dr. von Haneberg 0.5.B. 


Abt von St. Bonifaz in München, Biſchof von Speyer. 
(17. Juni! 1816 — 31. Mai 1876.) 
Don P. Rupert Jud (München, St. Bonifaz). 


m 12. September 1839 ſtand an einem unter freiem himmel auf⸗ 

geſchlagenen Altar in dem weltabgelegenen Dörflein Lenzfried 
bei Kempten im bauriſchen Allgäu ein junger Doktor der Theologie, 
der ſchon als Gumnaſiaſt orientaliſche Dialekte fo fertig ſprach wie 
den ſchwäbiſchen ſeiner heimat, als Primiziant vor einer gewaltigen 
Dolksmenge, und fein Feſtprediger, Stadtkaplan Bernhard Fuchs von 
Kaufbeuren (+ 6. Mai 1852 als Univerſitätsprofeſſor für Moral⸗ 
theologie in München), rief ihm die Worte zu, die feinen Freunden 
wie eine Prophezeiung klangen: „Auf eine Geftalt aus dem Reich der 
Derklärten möchte ich Ihre Erinnerung hinlenken: es iſt der Schatten 
Ihres Lehrers Möhler... Möge der Geiſt des Dahingeſchiedenen 
auf Ihr Haupt übergehen; mögen Sie eintreten in feine Fußſtapfen 
und kräftig die von ihm angebahnte ſegensreiche Richtung in Wiſſen⸗ 
(haft und Leben erfüllen.“ Dieſer Wunſch ift wahrhaftig in Erfüllung 
gegangen. Schon am 4. Dezember des gleichen Jahres wurde Hane= 
berg als Privatdozent an der Univerfität München zugelaſſen, deren 
herrliche Zierde er wurde und durch mehr als drei Jahrzehnte blieb, 
ſeit 1852 als Benediktiner des 1850 neugegründeten Rlofters St. Bonifaz, 
bis er am 25. Auguft 1872, alſo heuer von fünfzig Jahren, 
in der berühmten Baſilika ſeines Kloſters, die er ſelbſt einmal am 
Sarge König Ludwig I. verglichen hat mit der über den Gräbern der 
Dormannenkönige aufgerichteten Baſilika von Monreale, durch feinen 
Ordensmitbruder Erzbiſchof Gregorius von Scherr, den früheren Abt 
von Metten, die Biſchofsweihe erhielt und wenige Tage darauf feinen 
feierlichen Einzug als Oberhirte hielt in den ehrwürdigen Kaiſerdom 
von Speyer, der ſchon nach vier Jahren feine Grabeskirche geworden 
iſt. Die Vorſehung hat ihn auserwählt, ein Biſchof zu werden, den 
die Speyrer kirche mit eben fo viel Recht den Ehrwürdigen nennen 
kann wie die angelſächſiſche ihren. Beda, die Regensburger ihren Witt⸗ 
mann, den die Dolks=- und Zeitgenoſſen und fein König den zweiten 


Bei Prantl Sitzungsberichte der philoſ.⸗hiſt. und philol. Klaffe der R. b. Ak. d. 
W. 1877 8. 45 und in Buchbergers Handlezikon I 1847 ſteht irrtümlich der 16. Juni 
als Geburtstag. 


Benediktinifhe Monaiſchriſt IV (1922), 7—8. 5 16 


242 


Sailer hießen. Es bedarf keiner Rechtfertigung, wenn in einer Bene» 
diktinerzeitſchrift Worte der Erinnerung zu dieſem goldenen Biſchofs⸗ 
jubiläum erſcheinen, welche nicht wiederholen, ſondern ergänzen wollen, 
was Hanebergs Freund, Landsmann und kiollege, Dr. Peter Schegg 
(+ 9. Juli 1885 als Univerſitätsprofeſſor in München) in feinem ſchönen 
gemütstiefen Lebensbild (vorgedruckt auch dem erſten Band des 1878 
von Schegg beſorgten Johannesevangeliums von haneberg), geſchrieben, 
an manchen Stellen freilich auch nur angedeutet hat, was eine ſpätere 
Zeit ruhiger ſagen kann. Baneberg iſt einer der bedeutendſten und 
wohl der einflußreichſte Benediktiner des 19. Jahrhunderts, und meines 
Erachtens ſoll und darf gerade die jetzige Generation unſeres Ordens. 
das Bild des Mannes nicht aus dem Auge verlieren, der als Gelehrter 
und akademiſcher Lehrer von Weltruf, als Mufter und Meiſter benedik- 
tiniſcher Regularität mit all ihrer Demut, Friedensliebe und Arbeits⸗ 
freudigkeit, als innerlich unabhängiger, freimũtiger Seelſorger und Biſchof 
Wege gegangen iſt und gewieſen hat, die auch unſerer Zeit und ihr 
erſt recht vieles zu ſagen haben. Mit vollem Recht enthält die vor⸗ 
letzte 1910 in Rom erſchienene Ausgabe der „8. Patriarchae Bene⸗ 
dicti familiae confoederatae“ Hhanebergs Bild neben dem des Rar- 
dinals Pitra aus der Solesmenſer und des Erzbiſchofs Ullathorne 
aus der Engliſchen Kongregation. 

Wenn ich in dieſen Zeilen mir erlaube Ergänzungen zu bieten zu 
dem, was bis jetzt von Prantl, Schegg, Jocham und Weinhart über 
Haneberg veröffentlicht worden iſt, ſo leite ich das Recht hiezu ab 
erſtens aus der Tatſache, daß ich in München aufwuchs und ſtudierte 
als Abt haneberg noch in aller Mund lebte, andrerſeits mir die glück⸗ 
liche Möglichkeit geboten war, im Rlofter noch viele Jahre mit den 
Männern zuſammenzuleben, die haneberg zum Abt gewählt hatten oder 
unter ihm eingetreten waren. Auch hanebergs ehrwürdiger Jugendfreund, 
Benedikt Weinhart (T als Puzealprofeſſor in Freiſing 3. März 1901), 
hat vieles gewußt und nicht geſchrieben, was wert ift der Dergangen= 
heit entriſſen zu werden. Hanebergs Leben liefert zugleich manch. 
wichtigen Beitrag zur bauriſchen und deutſchen Kirchengeſchichte. 

Es war für König Ludwig I. von Bayern eine große Freude, als. 
ſich Profeſſor Dr. Daniel haneberg, ſeit 1848 Mitglied der k. b. Aka= 
demie der Wiſſenſchaften, entſchloß, in das am 24. November 1850 
eröffnete Stift St. Bonifaz einzutreten; er gehörte mit dem am 9. Mai 
1860 bereits verſtorbenen, in jugendlichem Übereifer den erſten Abt 
Paulus Birker nicht immer günftig beeinfluſſenden P. Odilo von Hof: 
naaß und mit P. Benedikt Zenetti, feinem Nachfolger in der abtei⸗ 


243 


lichen Würde und Bürde (vgl. Jahrg. 1921 diefer Zeitfehrift 8. 215 ff.) 
zu den erſten Novizen des kiloſters. Was der Eintritt eines ſolchen 
Mannes in das neugegründete Kloſter der bayrifhen Haupt⸗ und 
Reſidenzſtadt bedeutete, läßt fi) unſchwer begreifen. König Ludwig I. 
war bereits (1848) vom Thron herabgeſtiegen, bevor Kloſter und kirche 
vollendet waren; die durch die Thronentfagung beeinflußten Verhält- 
niſſe des königlichen Bauherrn, der die Baſilika genau nach dem 
muſter von 8. Paolo fuori le mura herſtellen wollte, hinderten ihn, alle 
geplanten Einzelnheiten zur Ausführung zu bringen und das wirt⸗ 
ſchaftlich ſchwache Klofter hinreichend zu dotieren. Da Haneberg, 
wenn auch nach ſchweren Kämpfen zwiſchen der Staatsregierung und 
dem akademiſchen Senat einerſeits und dem Abte Paulus Birker 
andrerſeits, auch als Benediktiner Profeſſor blieb, ſo war wenigſtens 
eine ſichere Einnahmsquelle für die ſchweren Jahre des Anfangs 
erſchloſſen; ungleich bedeutſamer war freilich der moraliſche Nutzen, 
den er als Perſönlichkeit feinem Klofter und feinem Orden ſchuf: 
man kann ohne Übertreibung fagen, daß Jahrzehnte lang faſt niemand 
von St. Bonifaz ſprach ohne Abt haneberg zu nennen, und jetzt noch 
nach einem halben Jahrhundert trifft man immer wieder feine ſegens⸗ 
reichen Spuren. Vor wenigen Jahren beſuchte mich ein nicht auf dem 
Boden des poſitiven Chriſtentums ſtehender Profeſſor einer großen 
deutſchen Univerfität; es war ein kalter Spätherbſttag und ich wollte 
den greifen Gelehrten veranlaſſen, ſich zu bedecken, bekam aber die 
Antwort: in dieſen Gängen, auf denen Abt haneberg gewandelt, gehe 
ich nicht mit bedecktem Haupt. | 

Schon nach drei Jahren hatte die Vorſehung den gelehrten und 
frommen P. Bonifatius zur Regierung feines jungen Kloſters aus⸗ 
erſehen. Abt Paulus Birker (* 19. November 1814, + als refignierter 
Abt in St. Bonifaz 29. November 1888), ein Mann von einwandfreier 
guter Abſicht und eiſernem Willen, der übrigens in ſpäteren Jahren 
ein Vorbild abgeklärter Güte und Milde wurde, hatte das Beſtreben, 
dem kfiloſterleben von St. Bonifaz eine ausſchließlich aſzetiſche und 
kontemplative Richtung zu geben, was ebenſo ſehr den Aufgaben 
des kiloſters wie der Geſchichte des Benediktinerordens widerſprach. 
Schon das Noviziat auf der allen Stürmen ausgeſetzten höhe des 
hl. Berges Andechs, in den damals noch höchſt unwohnlichen Räumen 
des herabgekommenen Gebäudes, war auf außerordentliche Streng⸗ 
heiten eingeſtellt, unter welchen der an eine gewiſſe Selbſtändigkeit 
gewöhnte Hhaneberg beſonders zu leiden hatte; er klagte nie, aber 
es läßt ſich z. B. manches in einem Brief zwiſchen den Zeilen leſen, 

16* 


244 


den er vom Noviziat aus an einen Primizianten feiner Heimat fchrieb: 
(25. Juli 1851): „Wie würde ich mich freuen an Ihrer Primizfeier 
teilnehmen zu können. Aber ich bin nun einmal Novize und muß 
als folcher Klauſur halten. Mein Herr Abt geftattet hierin keine 
Ausnahme. Wir dürfen nur unter gemeinſamer Leitung hie und da 
über die Gartenmauer hinaus... Nehmen Sie ſich in Acht vor ihrem 
ſchwäbiſchen Gemüt. Das iſt weich wie Wachs, die Eindrücke des 
Himmels finden dort keinen Widerſtand; aber auch anderes wird 
ſich ſchnell geltend machen wollen. Doch Beſcheidenheit, Studium und 
fefte Orönung flechten den rechten Zaun um dieſes weiche Erdreich“. 
Auch in St. Bonifaz herrſchte eine überaus ſtrenge bebensweiſe. Um 
drei Uhr früh betete man Matutin und Laudes in der ſog. zweiten 
Sakriſtei (auf der Evangelienfeite des Hhochaltars) auf einfachen langen 
Kͤnieſchemeln ohne Bank und hölzernen Sitzen ohne Lehne, dann hielt 
man gemeinfame Betrachtung im gleichen Raum; Frühſtück gab es 
keines und das Tagewerk dauerte bis halb 9 Uhr abends. Gerade 
in dieſe Zeit fällt die große Choleraepidemie in München, welche an 
die Patres Tag und Nacht die größten Anforderungen ſtellte, aber 
Rein einziges Opfer im ganzen ktonvent forderte. Nicht etwa lagen 
über dieſes ſtrenge beben, ſondern Meinungsverſchiedenheiten über 
die dem Willen des Stifters entſprechende Übernahme des Cudwigs⸗ 
gumnaſiums und des nach ſeinem Gründer benannten Erziehungs⸗ 
inſtitutes Hollandeum, jetzt Albertinum, veranlaßten den Abt Paulus 
Birker, ſein Amt niederzulegen und mit ſeinem Berater P. Odilo von 
Hofnaaß in die Schweiz zu ziehen, wo er ſpäter Abt von Diſentis 
wurde. Am 4. Oktober 1854 fand die Neuwahl ſtatt unter dem Dor⸗ 
fi, des Erzbiſchofes, ſpäteren Kardinals, Grafen Reiſach, da die bau⸗ 
riſchen Benediktinerklöſter erſt 1858 nach der Wiedererrichtung der 
1684 gegründeten bayrifchen Benediktinerkongregation die Egemption 
erhielten; ſechs von zehn Stimmen fielen auf Haneberg, der nach langer 
Bedenkzeit ſchweren herzens annahm. Ein Vorfall vor der Wahl, 
der von keinem Biographen berichtet wird, verdient feſtgehalten zu 
werden. Aus manchen Gründen, über deren einen fpäter noch zu 
reden fein wird, war der Erzbiſchof mit der geplanten Wahl Bane- 
bergs nicht einverftanden und ging am Vortag von einem Rapitular 
zum anderen, um in dieſem Sinne einzuwirken, was ihm bei drei 
Wählern gelang. | 

Es hat dem neuen Abt an ſchweren Stunden, an bitteren Täuſchungen 
und Enttäuſchungen nicht gefehlt, und vor allem wollten die Wunden 
in feiner treuen Seele nie heilen, welche durch Austritt und Abfall 


245 


entſtanden; andrerſeits konnte er ſich aber auch am inneren und 
äußeren Erſtarken feines hauſes erfreuen. Schon gleich im erſten 


Jahre ſeiner Regierung kamen zwölf Novizen, darunter der bekannte 


Kirchenhiſtoriker Dr. Bonifatius Gams, ſpäter als P. Pius der Derfalfer 
der heute noch unentbehrlichen „Series episcoporum“ und der ktirchen⸗ 
geſchichte von Spanien, welcher in feinem unverwüſtlichen ſchwäbiſchen 
humor zu fagen pflegte, drei Dinge hätten ihn nach München gezogen, 
die vielen Bücher, das beſſere Straßenpflaſter und der Abt Haneberg. 
P. Petrus Hamp, der freilich ſpäter andere Wege ging und außerhalb 
des Ordens ſtarb, feinem Kloſter aber ſtets eine treue pietätvolle Ge⸗ 
ſinnung bewahrte, war der verdienſtvolle Bibliothekar und ein Orien⸗ 
taliſt von ſolchem Wiſſen, daß Abt Haneberg erklärte, er beneide ihn 
um feine Kenntnis des Arabiſchenl. Wie im vorigen Jahrgang dieſer 
Zeitſchrift bereits ausgeführt war, wirkten am Symnafium eine Reihe 
vorzüglicher, heute noch unvergeſſener Lehrer und Erzieher; in der Seel⸗ 
ſorge arbeiteten neben ihrem ſeeleneifrigen Abte Patres, deren opfer⸗ 
wilſiger und kluger Tätigkeit ſchöne Erfolge beſchieden waren. Nicht 
unerwähnt ſollen bleiben die Bemühungen des P. goſef Maria Endrös 
um den Rirchengefang der Schulkinder, der zu einer in der ganzen 
Stadt anerkannten höhe gebracht wurde und dem kein geringerer als 


Richard Wagner Motive zu ſeinem Parſeval entnahm. P. Raumund 


Sronen hatte als Feldgeiſtlicher beim Stab des erften bauriſchen Armee⸗ 
korps den großen Krieg mitgemacht und war bis zu feinem Tod 
(24. Januar 1899) der im Leben und Sterben geſuchte Seelſorger feiner 
ktriegskameraden. Unter Hhanebergs Regierung fallen auch die erften 
Ordensjahre des feinem Herzen befonders nahe ſtehenden P. Odilo 
Rottmanner, dem er das Noviziat und die Bibliothek anvertraute und 
deſſen beſonderes Intereſſe er auf Auguftinus zu lenken wußte, nicht 
vergeblich wie die Folgezeit bewies. Ein junger Privatdozent der medi⸗ 
ziniſchen Fakultät, Dr. Karl Reinhard, war einer der letzten Novizen, 
die Abt Haneberg einkleidete, der ſpätere heiligmäßige P. Clemens 
(+ 4. Februar 1883). Bei feiner Habilitation an der Univerfität München 


hatte der Dekan der mediziniſchen Fakultät, ausgehend von Reinhards 


Heimat Tegernſee, ganz beſonders warme Worte gefunden für die 
wiſſenſchaftliche Bedeutung der Tegernfeer Mönche. Über all dieſen 
ſchönen Leiftungen auf den traditionellen Arbeitsgebieten des Bene⸗ 
diktinerordens ſtand der Abt mit feiner ganz außerordentlichen Diel- 


Die Stiftsbibliothen von St. Bonifaz enthält denn auch die von Abt Hhaneberg 
in Fulda gekaufte 1776 in Kairo erworbene Rehmſche Sammlung arabiſcher Rodices 
(coder Rehm). 


246 


feitigkeit und Geiftungsfähigkeit, alle fördernd, alle überragend, aber 
zugleich voll der kindlichſten Demut und unermüdlichſten Hilfsbereit⸗ 
ſchaft. Es gehörte gar nicht zu den Ausnahmen, daß der gelehrte 
Abt vom Schreibtiſch weg, an dem er eben die ſchwierigſten Probleme 
bearbeitete und in den verſchiedenſten Sprachen, ſogar der chineſt⸗ 
ſchen ſtudierte, zur Kirche ging und in die Stadt hinaus, um ſeinen 
mit Arbeit überlaſteten Mönchen auf der Kanzel, im Beichtſtuhl, am 
Krankenbett auszuhelfen. Einen gewaltigen Eindruck machten ſtets 


feine Gedächtnisreden am Grab berühmter Zeitgenoſſen. Dem alten 


Görres, dem feinſinnigen Philologen Caſaulg, Hönig Cudwig I. und 
zahlloſen anderen Männern, denen er meiſtens auch im Sterben bei⸗ 
geſtanden, galten ſeine Worte. Mit der königlichen Familie war er 
als Seelſorger aufs engſte verbunden und fein Name wird im Haufe 
Wittelsbach heute noch nach mehr als fünfzig Jahren in dankbarfter 
Verehrung genannt; er war zu gut für dieſe Welt, rief die Königin 
mutter Marie von Bauern ſchmerzerfüllt aus, als ſie die Kunde von 
feinem Binfcheiden erhielt. Weit über Bayerns Grenzen hinaus war 
der demũtige, ſeeleneifrige Ordensmann, der gelehrte Orientaliſt, bekannt 
und gefeiert; in München felber kannte ihn jedes Kind, und gar oft 
klagte er lächelnd, daß er auf dem ganzen Weg von der Univerfität 
sum Rlofter keinen Augenblick den hut auf den Kopf gebracht habe. 
Es iſt bezeichnend, daß der Philoſoph Karl von Prantl, ein erklärter 
Freigeiſt, in dem Nachruf, den er als Sekretär der philof. philol. hiſt. 
Rlaffe der k. b. Akademie der Wiſſenſchaften 1877 dem Gelehrten und 
Forſcher Haneberg hielt, es ſich nicht verſagen konnte, mitten in der 
Würdigung der großen wiſſenſchaftlichen Derdienfte zu betonen, Hane⸗ 
berg ſei infolge ſeiner vortrefflichen Charaktereigenſchaften der be⸗ 
liebteſte Seelforger und Beichtvater geweſen, feine Seelenreinheit, feine 
milde und Beſcheidenheit, fein muſtergiltiger Pebenswandel hätten 
ihn zum Liebling der Bevölkerung gemacht. Ich konnte nie erfahren, 
ob folgender Dorgang den ſonſt fo ſarkaſtiſchen Prantl beeinflußt 
hat, einen ſolch warmen Ton für feine akademiſche Gedächtnisrede 
zu wählen: Ende der ſechziger Jahre hatte Wilhelm von Miller, der 
fpätere bekannte Profeſſor der Chemie, ein Sohn des berühmten 
Erzgießers Ferdinand von Miller, die Abſicht geäußert, Dorlefungen 
bei Prantl zu hören; der ſehr religiöfe Dater hatte Bedenken und 
ſchickte den jungen Studenten zu Abt Haneberg ſich Rats zu erholen, 
der ihm denn auch in der Form erteilt wurde, er ſei ſo gut erzogen, 
daß ihm Profeſſor Prantls negative Anſchauungen nicht ſchaden, deſſen 
ſonſtiges reiches Wiſſen aber nützen könne. 


\ 


247 


Die Paz benedictina war in Abt Haneberg verkörpert, fie war 
nicht eine Folge von Weichheit und Schwäche, ſondern die Wirkung 
feiner unbegrenzten chriſtlichen Liebe. Und daß dieſer Liebe der männ⸗ 
liche Ernft und die aſzetiſche Feſtigkeit nicht fehlte, zeigte feine Grund⸗ 
ſatztreue als Ordensmann; pünktlich, genau in allen klöfterlichen Ob⸗ 
ſervanzen war er auch in dieſer Beziehung Mufter und Meiſter feines 
Hauſes. Der berühmte und gefeierte Mann hielt fo ſtreng auf die 
klöſterliche klauſur, daß er außer bei offiziellen Gelegenheiten niemals 
Einladungen zu Tiſch annahm; er duldete nicht einmal, daß bei der 
in München ſeit Jahrhunderten üblichen Hoftafel am Fronleichnams⸗ 
tag, zu der die geiſtlichen Teilnehmer der Prozeſſion geladen waren 
und zu der ein Hofwürdenträger als Vertreter des Königs erſchien, 
der Pfarrvikar von St. Bonifaz ſich beteiligte. Die Mahnungen der 
Freunde, Urlaub zu nehmen, pflegte er mit den Worten zurückzuweifen: 
Der Obere gehört ins haus, ich habe Andechs; da bin ich unter 
meinen Mitbrüdern. Während ſeiner ganzen achtzehnjährigen Regie⸗ 
rungszeit dispenſterte Abt haneberg zweimal vom Stillſchweigen bei 
Tiſch an Werktagen, einmal als ein orientaliſcher Patriarch nur einen 
Tag im Elofter als Gaft weilte und das zweitemal da er den Dichter 
hermann Lingg feinem Konvent vorſtellen wollte. Don jeder Reife, 
und mochte ihn diefelbe auch nur nach Andechs führen, machte er 
beim Konventtifch Mitteilung, damit noch jedermann Gelegenheit hatte, 
wichtige Dinge rechtzeitig mit dem Abt zu beſprechen. Nicht felten 
ging er, ein rüftiger Fußgänger, nach dem Abendchor von München 
fort, wanderte in der Nacht nach Andechs und erſchien dort im Früh⸗ 
chor. man glaubte es den Patres aus jener Zeit gern, wenn ſie 


noch nach Jahren gerührt von der demütigen culpa specialis erzählten, 


der ſich in St. Bonifaz alter und bleibender Gewohnheit gemäß jeden 
ktarfreitag vor den kleinen horen der Abt unterzieht und mit der 
es Abt Haneberg ebenſo ernſt nahm wie ſein Vorgänger und ſeine 
ſämtlichen Nachfolger. Es iſt begreiflich, daß einmal bei einer ſolchen 
Gelegenheit der Subprior, den gerade die Entgegennahme dieſer culpa 


traf, von der kindlichen Demut des weltberühmten heiligmäßigen . 


Abtes tief ergriffen ſeine und ſeiner Mitbrüder Gedanken und Emp⸗ 
findungen ſofort in die Worte kleidete: „Oremus ut tali duce ad 
vitam perveniamus aeternam.” Abt Baneberg hing mit jeder Faſer 
feines Herzens an feinem Orden und an feinem Kloſter, und diejenigen, 
welche ihm am nächſten ſtanden, waren der feſten Überzeugung, daß 
das Heimweh nach St. Bonifaz eine weſentliche Urſache war feines 


kaſchen Rräfteverfalles in dem neuen biſchöflichen Wirkungskreis. 


248 


Auf einer Firmungsreiſe im gahre 1874 beſuchte der Biſchof den Diſt⸗ 
bodenberg, den einſt das Kloſter der hl. Hildegard und eine herrliche 
Abtei gekrönt hatte, und ſchrieb mit Bleiſtift auf ein Blättchen Papier 
die zu feiner Beurteilung bezeichnenden Derfe: 


Bier betrachtend hör“ ich leiſe 
Aus verſunk' nem Brüderhor 
Wohlgewohnte Pſalmenweiſe 
Klingen fromm zu Gott empor. 
Beil’ger Diſibodus, flehe, 
Daß erneut dein Stift erſtehe. Frater Bonifatius. 


Eine bange Sorge zog ſich freilich unaufhörlich durch die ganze 
Regierungszeit des Abtes Haneberg: die Furcht und die Gefahr, ihn 
zu verlieren. „Noch ſehen wir“, ſchreibt Profeſſor Sepp, der bekannte 
Sörresſchüler, in feinem intereſſanten Werk Ludwig Auguftus, König 
von Bayern, und das Zeitalter der Wiedergeburt der Künſte, „den 
greifen Monarchen (nämlich Cudwig I.) im Korridor von St. Bonifaz 
auf⸗ und niedergehen, um mit der Anſpruchsloſigkeit eines Privat- 
mannes, als gebühre ihm kein befonderer Vorzug, das Ende eines 
fremden Beſuches beim hochwürdigſten Abt abzuwarten und darnach 
eintretend dieſem wiederholt zu danken, daß er den Birtenftab von 
Trier als Übergang zum Stuhle von Höln, wie vordem auch die Mitra 
des hl. Ulrich in Augsburg, mit der Demut eines Bernardus abgelehnt, 
ja ſelbſt den Ruf an die vatikaniſche Bibliothek ausgeſchlagen hatte, 
wo ihm gleich dem zu früh verewigten Windiſchmann der Kardinals ⸗ 
hut in Rusfiht ſtand; er wollte ſich feinem Stifte erhalten; jeder 
Monarch zählt die Männer in ſeinem Reiche, deren Ruf weit über 
die Grenzen dringt und das Anſehen des Staates erhöht, aber nicht 
jeder hat einen Abt Bonifaz Hhaneberg aufzuweiſen.“ Der berühmte 
Pandektiſt Alois von Brinz ſprach Taufenden aus dem herzen als 
er bei einem Studiengenoſſenfeſt in ktempten ſchon 1857 ſagen konnte: 
„Es iſt mir und gewiß allen unmöglich, einen Mann aus unſerer 
mitte ohne bebewohl ſcheiden zu laſſen; ich brauche nicht ſagen, was 
für einen; aber Sie werden ſämtlich einſtimmen, wenn ich den Ein 
zigen nenne. Dieſem Manne, der einſt wie der homeriſche Apollo 
vom Olump auf die Erde, ſo von hinter der Tanne (Name von hane⸗ 
bergs Daterhaus) über benzfried nach Kempten herabftieg, unſerem 
Haneberg ein dreifach donnernd hoch“. Der Sturm der Begeiſterung, 
der da losbrach, ließ den guten Abt, wie er dann daheim erzählte, 
für den Beſtand der Feſthalle fürchten. 


249 


Eine erſchütternde Tragik fiel in dieſes geſegnete Leben, über welche 
jetzt nach einem halben gahrhundert wohl ohne Bedenken geſprochen 
werden kann. Der Abt und Biſchof haneberg war ein Mann, deſſen 
ganzes Seelenleben eingeſtellt war auf die Hingabe des eigenen 
Willens an den Willen Gottes, und aus dieſer Grundſtimmung ergab 
ſich feine Ehrfurcht vor jeder rechtmäßigen Autorität, deren Träger 
er freilich gegebenen Falles von der dee zu trennen verſtand; es 
war ihm zeitlebens heiliger Ernft mit feiner Treue gegen Kirche und 
Staat. Und gerade ihn traf von den höchſten Trägern beider Autori= 
täten tiefes GCeid. In den Zeiten vor dem vatikaniſchen Konzil und 
auf demfelben waren bekanntlich auch von Seite ernſter Katholiken 
ſchwere Bedenken vorhanden gegen die Dogmatifierung der Lehre von 
der päpſtlichen Unfehlbarkeit; auf dem Konzil war eine anſehnliche 
minorität dieſer Anſicht, einige, weil fie die in Frage ſtehende Lehre 
in Schrift und Tradition nicht hinlänglich begründet erachteten, andere, 
weil fie von der neuen Lehre fürchteten, fie werde zu neuen Störungen 
des kirchlichen Lebens führen. Am 15. Juli 1870, alſo zwei Tage 
nach der entſcheidenden Sitzung, ſandte die Minorität eine Deputation 
von ſechs Bifchöfen zum Papſt, bei welcher Gelegenheit der Biſchof 
von Mainz, Freiherr von Retteler, vergeblich einen Fußfall machte. 
Abt haneberg war ſeit Jahren aus den beiden angeführten Gründen 
gegen die Dogmatiſierung geweſen, und dieſer fein Standpunkt hatte 
ihn natürlich des öfteren vor dem Konzil mit ſeinem ehemaligen 
behrer und ſpäteren Kollegen Döllinger zuſammengeführt, ſo beſonders 
auf der vielbeſprochenen von Döllinger und Haneberg einberufenen 
Belehrtenverfammlung im Rapitelfaal der Abtei St. Bonifaz (jetzigem 
Bibliothekarbeitsſaal), wozu übrigens auch angeſehene Vertreter der 


neuſcholaſtik erſchienen waren. Daß er nach der Entſcheidung des 


ktonzils fi beugte und feinen ganzen Einfluß aufbot, erfchütterte 
Seelen in der Treue zur Kirche zu erhalten, war für jeden ſelbſt⸗ 
verſtändlich, der den Abt in ſeinem innerſten Weſen kannte. Manche 
einflußreiche kirchliche Perſönlichkeiten aber und auch Papſt Pius IX. 
hatten ſchon lange vor 1870 Mißtrauen gegen Abt Haneberg geſchöpft; 
es läßt ſich nirgends erkennen, ob die von ihm in ſeiner Geſchichte der 
bibliſchen Offenbarung vertretene Anſchauung von der inspiratio sub⸗ 
sequens zu dieſem Mißtrauen beigetragen hat. Als nach dem Tode 
des Biſchofs von Gttl (1865) in Eichftätt der König den dringenden 
Wunſch hatte, den Abt von St. Bonifaz auf den Stuhl des hl. Willi⸗ 
bald zu erheben, und gerade der Erzabt von St. Dinzenz in Nord⸗ 
amerika, Bonifaz Wimmer, ein Benediktiner von Metten, von Rom 


252 | 
Die Weisheit der Ewigen Weisheit. 


Bon P. Athanafius Miller (Beuron). 


ott fürchten und feine Gebote halten, das ift der ganze 

menſch. In diefen Satz hatte einft koheleth oder der Prediger 
feine Gebenserfahrung zuſammengefaßt. In dieſer Wahrheit fand 
er noch die ſicherſte Stütze gegenüber all den Widerſprüchen und 
Schwierigkeiten des Lebens. Er hatte alles erprobt und nichts un⸗ 
verſucht gelaſſen, um das beben möglichſt ſchön und angenehm zu 
geſtalten und die Widerſprüche des Lebens, das ja ſonſt nicht wert 
iſt, gelebt zu werden, zu überwinden. Alle Verſuche hatten verfagt, 
nur einer nicht. „Fürchte Gott und halte feine Gebote, das iſt der 
ganze Menſch“ (Pred. 12, 13). Aber herr über das beiden wurde er 
auch fo nicht, und eine gewiſſe dumpfe Ergebung in die Mißgeſchicke 
und Widerſprüche dieſes Lebens, eine gewiſſe trübe Alltagsfliimmung 
vermochte auch dieſe Grunderkenntnis vom Zweck des menſchlichen 
Daſeins nicht aus ſeiner Seele zu verſcheuchen. Das Zeugnis eines 
guten Gewilfens, und der Glaube an einen gerechten Gott, der das 
Gute belohnt und das Böſe beſtraft, wird immerhin dem Menſchen 
eine Stütze bieten; aber einen wirklich ſicheren Halt und ein ſeeliſches 
Überwinden des beidens wird dieſe Erkenntnis nur dann auf die 
Dauer vermitteln können, wenn ſich damit auch die Erfahrung ver⸗ 
bindet, daß jedes Unrecht entweder hier auf Erden ſchon ſeine ent⸗ 
ſprechende Sühne findet, und jede gute Tat ihre unfehlbare Belohnung, 
oder aber die unerſchütterliche Glaubensgewißheit, daß dieſe Der- 
geltung, wenn ſie hier auf Erden nicht ſtattfindet, dann wenigſtens 
im Genfeits unfehlbar eintritt. | | 

Allein die Erfahrung widerſprach ſcheinbar fo oft den Erwartungen 
der gequälten Herzen, und die entſprechende Gewißheit über eine volle 
Vergeltung im genſeits bot der damalige Stand der Offenbarung 
noch nicht, wie wir das letztemal gefehen!. Der Glaube an die 
Gerechtigkeit Gottes, beſonders ſoweit fie die Leitung der Geſchicke 
der Einzelnen und die volle Vergeltung ſeines ſittlichen Verhaltens 
betrifft, war damals noch einer Sonne vergleichbar, die hinter Gewölk 
verſteckt, zwar eine gewiſſe Helle und Freundlichkeit ins Leben brachte, 
aber noch nicht voll und klar vom Himmel herniederftrahlte. 

Das volle Gicht dieſer für den inneren Frieden und das ſittliche 
Verhalten der Menſchen fo lebenswichtigen Wahrheiten ſtrahlt uns 
aber in entzückender Fülle im Buche der Weisheit entgegen. Hier 

gl. diefen Jahrgang heft 3-4 8. 113 ff.: Die Weisheit des Predigers. 


7 * 


2 


Nas 


253 


tut ſich in der Tat der himmel auf, in den ſeit den Tagen des Para⸗ 
dieſes die Sterblichen vergebens einen Blick zu werfen verſuchten. 
Bier wird uns eine ſolche Fülle von Auffchlüffen über das letzte Ziel 
und Ende des Menſchen zuteil, über die ſchließliche volle Dergeltung 
von Gut und Bös und über das wunderbare Walten einer unendlich 
weiſen und gerechten Dorfehung, daß man bereits im Neuen Teſta⸗ 
ment zu ſtehen wähnt. Gewiß finden ſich auch ſonſt im Alten Teſta⸗ 
ment noch vor der Zeit der Abfaſſung des Buches der Weisheit über 
die Vergeltung von Gut und Bös Stellen genug, ſowohl im Geſetze 
wie in den Pſalmen und bei den Propheten, die mehr enthalten als 
eine bloß irdiſche Abfindung der Gerechten für ihren gottesfürchtigen 
Wandel, für ihre Leiden und mühſale auf dieſer Welt. Wir hören 
nicht ſelten von einem Glück und einer Belohnung, wie ſie in Wirklich⸗ 
Reit ſchließlich doch nur in einer anderen Welt möglich ſind. Aber 
all dieſe Stellen ſind zeitlich und inhaltlich ſo bildhaft und allgemein 
gehalten, daß erſt die ſpätere Dolloffenbarung den wirklichen Sinn 
und Gehalt erſchließen mußte. So blieben denn dieſe Gedanken in 
vielen Fällen, beſonders zu Zeiten des Kampfes und der Not, in Prũ⸗ 
fung und Derfuchung, ohne nachhaltige Wirkung. Den beſten Beweis 
hiefür liefern uns Job und Roheleth. 

Don ernften Schriftforſchern iſt ſchon wiederholt die Behauptung 
aufgeſtellt worden, das Buch Koheleth habe das Buch der Weisheit 


in irgend einer Form geradezu herausgefordert. Welche literariſche 


und geſchichtliche Zuſammenhänge beide Bücher in Wirklichkeit auf⸗ 
weiſen, iſt hier nicht zu unterſuchen. Sicher aber iſt, daß das Buch 
der Weisheit geradezu wie die Löſung all der Rätſel erſcheint, die 
im Buche Koheleth ungelöft bleiben, und wie die Antwort des Himmels 
klingt auf alle dort aufgeworfenen Fragen. Das Buch koheleth be⸗ 
durfte keiner korrektur durch den Verfaſſer des Buches der Weisheit, 
wie verſchiedene Exegeten immer wieder behaupten. Es iſt vielmehr 
in ſich fo vollkommen lebenswahr und berechtigt, daß man keinen 
Buchſtaben hinwegzunehmen oder hinzuzufügen braucht. Aber der 
Ergänzung und Dervollkommnung feines Inhaltes bedurfte es. Sie 
konnte ihm nur durch die Offenbarung werden, und dieſe erfolgte 
im Buche der Weisheit. | 
Wie bei Job und Koheleth, Jo ſpielt auch im Buche der Weisheit 
das Dergeltungsproblem eine weſentliche Rolle. Nur treibt der Der- 
faſſer des Buches der Weisheit das Problem geradezu auf die Spitze, 
um dann allerdings eine ganz verblüffende Löfung zu geben. Dem 
Dulder Job erſchien das beiden der Gerechten trotz allem unerträglich; 


250 


in feine baueriſche heimat reifte, gab ihm Pius IX. den Auftrag: 
„Sagen Sie dem Abt von St. Bonifaz, fo lange ich Papſt bin, wird 
er nie Biſchof.“ Selbſtverſtändlich lehnte daraufhin Hhaneberg Eichftätt 
ab, der König erhob ihn in den Adelsſtand des Königreichs. Ungefähr 
um die gleiche Zeit hatte Pius IX. den P. hugo Strähuber (+ 2. Januar 
1912) von St. Bonifaz, der von einer nordafrikaniſchen Miſſion zurück- 
kehrte, in Audienz empfangen und ihm gleich nach der Dorftellung 
lebhaft zugerufen: „Lei dunque & del convento che ha una birreria! 
e l'abbate del qual & un amico di Döllinger.” Als dann 1871 der 
Biſchofſtuhl von Speyer freigeworden war, drang Miniſter von Luß 
in Abt Haneberg, dieſes Bistum anzunehmen und erklärte, im Fall 
der Ablehnung bleibe es erledigt. Daraufhin ließ der Papſt dem Abt 
den Befehl zukommen, Speyer anzunehmen. Profeſſor Schegg hat 
in feinen Erinnerungen an Baneberg für jene Zeiten die ſchönen 
Worte gefunden: „Die Stürme hörten mit der Vertagung des Konzils 
auf, fie brachte aber nicht auch zugleich den Frieden in die Herzen; 
der Meeresſturm legt ſich, die Meereswellen kommen nur nach und 
nach zur Ruhe. Jeſus ſpeiſte zweimal Tauſende mit wenigen Broten 
und erweckte drei Tote wieder zum Geben; aber er gebot nur einmal 
dem Sturm, ſo daß augenblickliche Meeresſtille eintrat. Im geiſtigen 
beben iſt dieſe Wundererſcheinung wohl ebenſo ſelten. Erfreute ſich 
ihrer Haneberg nicht, ſo teilte er dieſes Los mit Hunderttauſenden, 
die gleich ihm am unzerreißbaren Anker des Glaubens feſthielten, 
daß Chriftus fo wenig ohne die Kirche als die Kirche ohne Chriſtus 
gedacht werden könne.“ 

Hanebergs biſchöfliche Regierung fiel in kulturpolitiſch ſchwere und 
traurige Zeiten. Die ebenſo ungerechten wie unverſtändigen Kultur: 
kampfgeſetze Preußens waren auch an der bauriſchen Geſetzgebung 
nicht ſpurlos vorüber gegangen, und ſelbſt ein Mann von der felſen⸗ 
feſten Königstreue hanebergs hatte ſchwer darunter zu leiden. Zwei 
Dorkommniffe vor allem ſchlugen dem feinfühligen Herzen des Biſchofs 
Wunden, die nie mehr ganz vernarbten. Er hatte ſich veranlaßt 
geſehen, gegen eine ungiltige She vorzugehen und nach dem in der 
Diözeſe herkömmlichen Formular die Exkommunikation verkünden zu 
laſſen. Die Art und Weiſe lag ihm perſönlich nicht; aber er wollte an 
der bisherigen Form umſo weniger ändern als es auch damals ſchon 
nicht an jener Gattung von Menſchen fehlte — ſelbſt fein Domkapitel 
war nicht ganz frei davon —, welche man heutzutage „integrale“ 
Katholiken nennt. Die Folge der biſchöflichen Amtshandlung war eine 

Semeint ift die Bierbrauerei in Andechs. 


251 


klage wegen öffentlicher Beleidigung; der Streit wurde durch alle 
Inſtanzen geführt und endete mit der Derurteilung des Biſchofs zu einer 
großen Gelöftrafe. Noch mehr ging dem friedliebenden Mann ein anderes 
Ereignis zu herzen. Aus Anlaß eines Jubiläums der Wallfahrtskirche 
in Oggersheim hatte der Guardian des dortigen Kloſters den Biſchof 
Ketteler von Mainz zur Feſtpredigt eingeladen, was gegen das be⸗ 
ſtehende Geſetz verftieß; Biſchof haneberg erfuhr erſt am Tage ſelber von 
der Einladung und von der durch kietteler telegraphiſch erbetenen Er⸗ 
laubnis, welche jedoch ohne Rückäußerung der zuſtändigen Stelle blieb. 
Um das zahlreich verſammelte Volk nicht zu erbittern, geſtattete haneberg 
die Preöigt; die darauf einſetzenden Angriffe der Preſſe waren geradezu 
maßlos. Die Derftimmung des Königs aber war fo groß, daß fie nicht 
mehr wich und ſich manchmal verletzend offenbarte; ſogar auf die 
Nachricht vom Tod des Biſchofs, den ſowohl der Regierungspräſident 
der Pfalz wie P. Odilo Rottmanner, welcher am Sterbebette weilte, 
dem König angezeigt hatte, gab dieſer keine Antwort! Dies obscuri 
nennt Haneberg in ſeinem Tagebuch derartige ſchwere Erinnerungen, 
und kurz vor ſeiner letzten Krankheit hörte ein Freund die ſchmerzliche 
kilage: „Gott ift mein Zeuge, wie innig und heilig meine Liebe zum 
könig iſt.“ Der demütige milde Mann, der nie eine Hampfesnatur 
war und mitten in der Erregung der fiebziger Jahre ſtatt einer 
Stellungnahme zu den Streitfragen der Zeit eine ſubtile akademiſche 
Abhandlung über muslimiſches Kriegsrecht verfaßte, hatte Mut und 
Überzeugungstreue genug zum Bekenner⸗Biſchof. Alle dieſe Stürme 
und das Sehnen nach der klöſterlichen heimat untergruben langſam 
aber ſicher die Lebenskraft des von Natur aus ſonſt fo widerſtands⸗ 
fähigen, auch körperlich außergewöhnlich großen Mannes; eine 
Lungenentzündung von wenigen Tagen genügte, das Zerftörungswerk 
zu vollenden. Die letzten Anordnungen wurden getroffen; dann hörte 
der Gelehrte auf und der Biſchof. Ohne Zeremoniell, ohne Poſe und 
ohne Pomp pflegte die ſcheidende Seele Fwiegeſpräch mit ihrem Herrgott, 
bis ſie vor deſſen Richterſtuhl erſchien. haneberg mochte wohl den wich⸗ 
tigften Augenblick des Lebens fo ähnlich erfaſſen wie der ihm geiſtes⸗ 
verwandte Kardinal Newman, welcher auf feinem Sterbelager zu feinem 
Freund, dem Oratorianer Neville ſprach: „J can meet my end alone“. 

Wir Benediktiner wollen und dürfen auf den herrlichen Mann ſtolz 
fein und in unferen fo ganz veränderten Zeiten fein Bild der nach⸗ 
wachſenden Generation überliefern. „Dere magnus est, qui magnam 
habet caritatem; vere magnus est, qui in se parvus est et pro ni⸗ 
hilo omne culmen honoris ducit“ (Im. Chr. 1, 3). 


254 


für koheleth war es eine Tatſache, die ihn zur Verzweiflung bringen 
konnte (2, 17). Dem Derfaſſer des Buches der Weisheit erſcheint 
das beiden des Gerechten als der Triumph der Gerechtigkeit und 
Daterliebe Gottes. 

Der Verfaſſer des Buches der Weisheit lebte in Ägypten, wahr⸗ 
ſcheinlich in Alexandrien. Diele feiner Glaubensbrüder hatten ſchwer 
zu leiden, nicht nur unter dem Druck der heidniſchen Beherrſcher des 
bandes, ſondern auch von eigenen abtrünnigen Glaubensgenoſſen. 
Die Religionslofigkeit hatte ſich damals wieder einmal — die Welt⸗ 
geſchichte bleibt ſich ewig gleich — förmlich gegen die Religiofität 
der Guten und Getreuen unter den Juden verſchworen und erklärt: 
„Laßt uns vergewaltigen den armen Gerechten und (dabei) der Witwe 
nicht ſchonen noch des grauen Haares des hochbetagten Alters. Unſere 
Kraft ſei norm des Rechts, denn das Schwache erweiſt ſich als wert: 
los. Verfolgen wir alſo den Gerechten, denn er iſt uns läſtig“ (Weish. 
2, 10 ff.). Und fie begnügen ſich nicht mit Drohungen und Anſchuldi⸗ 
gungen, fie ſchreiten zur Tat. „Laßt uns ſehen, ob feine Worte wahr 
ſind; laſſen wir es auf eine Probe ankommen, wie es mit ihm enden 
wird! Denn wenn der Gerechte ein Sohn Gottes iſt (wie er behaupteh, 
fo wird Gott ſich feiner annehmen und ihn aus der Hand [einer Feinde 
erretten. Mit Beſchimpfung und Mißhandlung wollen wir es bei ihm 
verſuchen. Zum ſchmählichen Tod wollen wir ihn verurteilen, denn 
nach feinen Worten wird ihm ja Schutz zuteil werden“ (Weish. 2, 17 f.). 
Aber dieſer Schutz wird dem Gerechten nicht zuteil, d. h. nicht im Sinne, 
wie die Gottloſen zunächſt das Wort verſtehen oder entſtellen. Der 
Gerechte geht wirklich zu Grunde, ohne daß Gott vom Himmel ſtiege 
und ihm zu hilfe eilte, oder ſein Ende, wie der Gerechte behauptete, 
ruhmvoll wäre. Was hat er jetzt alſo von feiner ganzen Gerechtigkeit! 
Soll er nicht mit dem Pfalmiften klagen: „So hab ich denn umſonſt 
mein herz gerecht erhalten, in Unſchuld meine hände ſtets gewaſchen“ 
(Pf. 72, 13)? 

Hier verfagen in der Tat völlig die alten Anſchauungen von ber⸗ 
geltung von Gut und Bös. hier endet das Schickſal eines Gerechten 
mit dem völligen Untergang. Jede hoffnung iſt geſchwunden, daß 
es ihm hier auf Erden, wie es einſt Job erlebte, wieder gut gehen 
und er für alle beiden und Entbehrungen reichlich belohnt werden 
wird. Hier ſcheint doch Aoheleth Recht zu behalten, wenn er fagt: 
„Beides habe ich geſehen in den Tagen meiner Nichtigkeit: Es gibt 
Gerechte, die trotz ihrer Gerechtigkeit umkommen, und es gibt Un 
gerechte, die trotz ihrer Schlechtigkeit lange leben“ (Pred. 7, 15). 


255 


Ja, viele diefer in den Augen der Menfchen fo Unglücklichen können 
nicht einmal den Troft mit in die Ewigkeit nehmen, daß fie eine 
Nachkommenſchaft hinterlaſſen, des Ifraeliten größter Stolz, die dann 
wenigftens ihren Namen weiterführt und vielleicht den Segen ererbt, 
auf den fie ſelber hier auf Erden vergebens gewartet haben. 50 ſcheint 
alfo das Los dieſer Armen und Krmſten nach den althergebrachten 
Anſchauungen geradezu verzweifelt. Wie raſch mochte da unter Um⸗ 
ſtänden eine leichtlebige, griechiſche Philoſophie fo manchen ſchwachen 
und ſchwankenden Ifraeliten auf ihrer Seite haben. Denn ihr Evan= 
gelium klang anſcheinend ſovielmal wahrer und verlockender als die 
gläubigen Anſchauungen JIfraels. „Kurz und traurig iſt unſer Leben 
und es gibt kein Heilmittel wider den Tod, noch hat man gehört, 
daß jemand aus der Unterwelt zurückgekehrt wäre. Von ungefähr 
ſind wir entſtanden und nachher werden wir ſein als ob wir nie 
geweſen ... Unſer Geben eilt vorüber wie eine Wolke und löſt ſich 
auf wie Nebel .. Darum laßt uns genießen die gegenwärtigen Güter 
und die Schöpfung gebrauchen, folang wir noch jung find... Überall 
wollen wir die Zeichen unſerer Guft hinterlaſſen. Das ſei unſer Anteil 
und das unſer Cos“ (Weish. 2, 1 ff.). Was konnte kioheleth mit 
feiner ehre von Dergeltung und Scheol einer ſolchen Weltanſchauung 
entgegenhalten? Gewiß, ſeinen feſten Glauben an einen gerechten 
Bott und Richter und an ein Fortleben der Seele nach dem Tode, 
aber das war auch alles. 

Nun vernehme man aber die Cöfung der Rätſel im Buche der Weis⸗ 
heit. Statt der klagen und Derwünfchungen eines Job über fein 
Schickſal, ftatt der trübfeligen Ergebung und der dumpfen Beurteilung 
der Wechſelfälle dieſes Lebens im Buche Koheleth, eröffnen ſich uns im 
Buche der Weisheit Himmelsweiten und Lichtblicke, die unſer höchſtes 
Staunen herausfordern und unfere tiefſte Dankbarkeit für die Größe 
und Herrlichkeit der dem Menſchen ſich offenbarenden göttlichen Ge⸗ 
rechtigkeit und Weisheit. Wer diefe Worte der ewigen Weisheit in 
ihrer ganzen lichtvollen Erhabenheit und troſtreichen Wahrheit auf 
fi) wirken läßt, für den haben alle Mißgeſchicke und Widerſprüche 
dieſes Lebens, für den haben beiden, Verfolgung und ſelbſt der Tod 
den bitteren Stachel verloren. 

Haben die Gottlofen gemeint, dem Frommen ein hartes und ehr⸗ 
loſes Ende für immer bereiten zu können, ſo täuſchen ſie ſich: „Ihre 
Bosheit macht fie blind und fie erkennen Gottes Geheimniſſe nicht“ 
(Weish. 2, 21 f.). „Denn die Seelen der Gerechten find in Gottes Hand 
und keine Qual kann ihnen etwas anhaben. In den Augen der Toren 


256 


ſchienen fie zwar zu ſterben, und ihr Ende galt für unglücklich — fie 
aber find in Frieden. hatten fie auch in den Augen der Menſchen 
Pein zu erdulden, ſo war doch ihre Hoffnung der Unſterblichkeit voll. 
Kurz wurden fie geprüft, nun empfangen fie ein herrliches Glück. 
Wie Funken im Röhricht leuchten ſie auf am Tage der Vergeltung. 
Sie werden Völker richten und über Nationen herrſchen, und der Herr 
wird ihr König fein auf ewig“ (Weish. 3, 1 ff.). Ihren Peinigern 
aber werden an jenem Tage die Gerechten mit großer Juverſicht 
gegenüberſtehen, denn über jene kommt ein ſchreckliches Gericht. Wenn 
fie nämlich plötzlich erkennen, daß es doch ein Jenfeits gibt und 
eine vollgerechte Dergeltung von Gut und Bös, wenn fie dann die 
Gerechten in ihrer Herrlichkeit und in ihrem Blücke ſchauen, dann 
werden fie in tiefſter Seele aufſeufzen und reuevoll zueinander ſprechen: 
„Die ſind es, die wir einſt verachteten und mit Spott überhäuften, 
wir Toren. Wir hielten ihr Geben für Unſinn und ihr Ende für ehrlos. 
Siehe, nun find fie unter die Söhne Gottes gezählt und ihr Anteil 
iſt bei den Heiligen. Wir aber ſind abgeirrt vom Wege der Wahrheit 
und das Licht der Gerechtigkeit hat uns nicht geleuchtet“ (Weish. 5, 1 ff.). 

So iſt denn im Lichte dieſer Offenbarung das beben des Gerechten 
bei allem Leid voll icht und Sonne und voll Hoffnung der Un⸗ 
fterblichkeit (Weish. 3, 4). Er erwartet im Unglück und in der Der- 
folgung gar kein Wunder von Gott, ſondern freut ſich der Liebe feines 
Schöpfers und, wenn es Jo Gottes Wille ift, der Heimkehr zum Vater. 
Auch ein früher Tod ſchreckt ihn nicht mehr. „Denn der Gerechte 
genießt der ſeligen Ruhe, wenn er auch früh ſtirbt. Und ein ehren⸗ 
volles Alter bildet für ihn nicht ein langes beben, noch wird dieſes 
gemeſſen nach der Zahl der Jahre, vielmehr erſetzt die Weisheit (d. h. 
die innere Gerechtigkeit und Heiligkeit) dem Menſchen das graue haar 
und ein unbeflecktes beben das greiſe Alter“ (Weish. 4, 7 ff.). Und 
es iſt nur lauter Daterliebe Gottes, wenn er den Gerechten manchmal 
frühzeitig von dieſer Erde abberuft. Dagegen hat der Gottloſe nichts 
von einem langen Erdendafein, „denn fein Leichnam ſinkt ſchließlich 
ehrlos dahin, und er wird zum Hohne unter den Toten für immer. 
bautlos, kopfüber ſtürzt er hinab in den Abgrund, in Qual auf ewig“ 
(Weish. 4, 19 ff.). 

Wie ganz anders klingen dieſe Worte, als die Klage KRoheleths: 
„Alle haben dasfelbe Los: der Gerechte und der Frevler, der Reine 
und der Unreine, der Opfernde wie der, welcher nicht opfert, der Gute 
wie der Sünder“ (Pred. 9, 2). Koheleth verſteht dieſe Worte allerdings 
zunächſt in dem Sinne, daß alle gleichmäßig wegſterben, ohne oft im 


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257 


beben den Lohn ihrer Werke geerntet zu haben. Aber wird das 
Seſchick für den Einzelnen im genſeits ſich ändern? Darüber weißt 
Robeleth nichts zu ſagen, „denn wer weiß, ob der Odem des Menſchen 
(nach dem Tode) aufſteigt zur höhe und der Odem des Diehes hinab⸗ 
fährt nach unten zur Erde“ (Pred. 3, 21). „Darum hat nur Hoffnung, 
wer den Lebenden zugeſellt ift, denn ein lebender Hund iſt beſſer als 
ein toter Löwe“ (Bred. 9, 4). Klingen dieſen düſteren Anſchauungen 
und quälenden Zweifeln Koheleths gegenüber die Worte des Buches 
der Weisheit nicht wie ein jubelndes, ewig frohes Nuferſtehungslied? 

Auch daß der Gerechte ohne Nachkommenſchaft dahinſterben muß, 
kümmert ihn im Lichte dieſer Offenbarung nicht mehr. Im Gegenteil: 
„Selig die Unfruchtbare, die unbefleckt iſt und nicht gekannt hat ein 
ſündiges Lager, fie wird herrliche Frucht haben bei der Endvergeltung 
der Seelen. Und felig der Eunuch, der keine böſen Werke vollbracht, 
denn es wird ihm der Treue auserleſener Gnadenlohn zuteil werden“ 
(Weish. 3, 13 ff.). mag dagegen auch die reiche Nachkommenſchaft 
der Gottloſen eine Zeitlang üppig in die Zweige ſchießen, fie werden 
eines Tages vom Sturm entwurzelt werden und am Tage des Gerichtes 
für die Schlechtigkeit ihrer Eltern Zeugnis ablegen (Weish. 4, 3 ff.). 

„Gott fürchten und ſeine Gebote halten, das iſt der ganze Menſch“. 
Was da Koheleth am Schluſſe feines Buches, man möchte fagen mehr 
gefühlsmäßig, als oberſten Srundfaß für des Menſchen Glück hingeſtellt 
hat, ohne freilich die endgültige Derwirklichung und Auswirkung dieſer 
Wahrheit auch nur zu ahnen, das entfaltet der Derfalfer des Buches der 
Weisheit mit vollſter Klarheit und Beſtimmtheit und mit ergreifender 
Erhabenheit und Tiefe. 

Der Urheber dieſer Offenbarung und zugleich der innere Grund 
dieſer Dergeltung ift die ewige Weisheit, die der Verfaſſer in theo⸗ 
logiſch überaus tiefer Weiſe beſchreibt. Sie, der „Abglanz des ewigen 
Lichtes”, der „makelloſe Spiegel des Wirkens Gottes“ und das „Abbild 
feiner Güte”, offenbart ſich den Menſchen, die fie lieben und aufrichtig 
ſuchen und führt ſie ſelbſt, als „Beiſitzerin im ewigen Rate Gottes“, 
in die verborgenſten und tiefſten Geheimniffe ein. Sie ift es, die auch 
in die heiligen Seelen eingeht und ſie zu Freunden und Kindern Gottes 
macht und bewirkt, daß ihnen nichts mehr ſchaden kann (Weish. 7, 26ff.). 
Wenn ſich die übernatürliche Auffaffung eines Menſchen hauptſächlich 
in der Einſchätzung und Bewertung der Dinge und Vorkommniſſe 
dieſer Welt und in der Aufnahme und Beurteilung des Leidens zeigt, 
dann haben wir im Buche der Weisheit die vollendetſte Slaubenshöhe. 
Hier tritt uns ein völlig übernatürlicher Slaubensſtandpunkt entgegen, 

Benediktiniſche Monatſchrift IV (1922), 7—8. 17 


258 


der bisher dem Alten Teftament in dieſer Reinheit und Klarheit und 
Folgerichtigkeit unbekannt war. Für den Gerechten gibt es gar nichts 
mehr, was ihm in Wirklichkeit ſchaden könnte. Für ihn gibt es keinen 
Tod mehr, kein Gift der Pflanzen und keinen tötlichen Biß wilder 
Tiere. Für den Gerechten, in dem die ewige Weisheit wohnt, ſind 
„alle Befchöpfe heilbringend, und ein Stoff des Verderbens iſt nicht 
mehr in ihnen“. Für ihn gibt es auf Erden auch keine Herrſchaft 
der Unterwelt mehr, denn die Weisheit und Serechtigkeit, die in ihm 
wohnt, iſt unſterblich (Weish. 1, 14 ff.) 1. Im zweiten Teil feines Buches 
liefert der Derfaffer im Grunde genommen nur den geſchichtlich⸗theo⸗ 
logiſchen Beweis, daß „denen, die Gott lieben, alles zum Beſten ge⸗ 
reiht“. Die Weisheit, die in ihnen wohnt, leitet und führt fie und 
lenkt alle Gefchicke nur zu ihrem Beſten, auch die Strafe und Heim⸗ 
ſuchung, die ihnen widerfährt. 

So wird denn die Welt, die Koheleth im Grunde fo düfter und trau⸗ 
rig vorkam, im Lichte der ewigen Weisheit auf einmal voll Sonnen⸗ 
ſchein und ungetrübter Freude. Da gibt es keinen Platz mehr für 
irgend welche Art von Peſſimismus. Da gibt es in der Welt kein 
ewiges Einerlei, keinen blinden Jufall mehr, denn die ewige „Weis⸗ 
heit erſtreckt ſich kraftvoll von einem Ende der Welt zum anderen 
und durchwaltet das All aufs beſte“ (Weish. 8, 1). Alles, was auf 
Erden geſchieht, iſt wunderbare Vorſehung, göttliches Aunftwerk, 
zielſichere Ordnung. 

Aber nicht nur die Rätſel und Widerſprüche des Lebens hellen ſich 
auf im Lichte der ewigen Weisheit, nicht nur in Leiden und Wider⸗ 
wärtigkeiten iſt fie eine füße Tröſterin, die den Blick unverwandt 
nach oben lenkt und die leidende Seele erfüllt mit ſeliger Unſterb⸗ 
lichkeits hoffnung, fie verſchönert das beben überhaupt und bietet aus 
reinſter Quelle dar, was Koheleth vergebens von der von ihm fo viel 
geprieſenen und ſchließlich doch ſtets verſagenden irdiſchen Weisheit 
erwartete. „Alles hab ich mit Weisheit verſucht, ſagt er, aber ſie blieb 
ferne von mir“ (Pred. 7, 23). Don der ewigen Weisheit dagegen 
bekennt der Derfaffer des Buches der Weisheit: „Daß fie Einſicht 
verleiht und Geſchick in praktiſchen Dingen, ſodaß ich den Bau des 
Weltalls verftand und die Wirkſamkeit der Elemente; Anfang und 

! Diefe und andere Texte im Buche der Weisheit zeigen, daß der Verfaſſer bei 
feinen Derheißungen nicht nur ſozuſagen die „Blutzeugen ihres Glaubens und ihrer 
religiöſen Seſmnung“ im Auge hat, wenn er auch deren Schickſal den Umſtänden 
entſprechend beſonders behandelt, ſondern alle Gerechten überhaupt, welche die Leiden 


und Widerwärtigkeiten des Lebens, welcher Art fie auch fein mögen, im richtigen 
Seiſte aufnehmen und tragen. 


259 


Ende der Zeiten, den Wechſel der Sonnenwenden, den Wandel der 
Jeiten, den kreislauf der Jahre und die Stellungen der Geftirne; die 
Natur der Tiere, die Macht der Geifter und die Gedanken der Menſchen; 
die Derfchiedenheit der Pflanzen und die Kraft der Wurzeln. Das 
Verborgene wie das Sichtbare erkannte ich; denn die Meiſterin des 
Alls, die Weisheit, hatte es mich gelehrt“ (Weish. 7, 15 ff.). Die 
ewige Weisheit gewährte ihm endlich auch das, was ktoheleth gleich⸗ 
falls trotz des heißeſten Derlangens vergeblich erſtrebte: die Ruhe 
und Sättigung des Herzens, ſoweit das hier in dieſem ſterblichen 
beben zu erreichen iſt. „kehrt“ ich (von meinen Gefchäften) in mein 
Heim zurück, fo konnte ich mich bei ihr ausruhen. Denn der Um⸗ 
gang mit ihr hat nichts Bitteres, und ihre Geſellſchaft keinen Deröruß, 
ſondern nur Freude und Wonne“ (Weish. 8, 16). 

So hat die ewige Weisheit ſelbſt im Buche der Weisheit den Menſchen 
Aufſchluß gegeben über die drückendſten und quälendften Rätfel aller 
Jeiten. Sie hat ihren Blick nach oben gelenkt, nach den ſeligen 
Gefilden des genſeits, wo eine jedes Maß der Erkenntnis und jedes 
Ahnen des menſchlichen Herzens überſteigende göttliche Gerechtigkeit 
und Weisheit waltet und einem jeden vergilt nach ſeinen Werken. 
Sie hat ihnen ihren Urſprung und ihr göttliches Weſen geoffenbart, 
ihr geheimnisvolles Wirken und Walten im All und ihr ſeliges Ruhen 
und Wohnen in den Seelen der Gerechten. Sie hat aber auch in 
den beiden und Verfolgungen der Gerechten ihren eigenen Lebens» 
wandel vorausbeſchrieben. Denn als ſie in eigener Perſon vom 
himmel ſtieg und Knechtsgeſtalt annahm, erging es ihr genau ſo, 
wie den Frommen und Gerechten im Buche der Weisheit. Aber ſie 
hat über das beiden geſiegt und im beiden geſiegt, und ſo werden 
auch alle, die an ſie glauben, die ihr in ihrem herzen eine reine 
Wohnung verſchaffen und nach ihrer Weiſung leben, das beiden be⸗ 
ſiegen und im beiden ſiegen. Dieſe traute Befolgfchaft der ewigen 
Weisheit haben die Heiligen und vor allem die heiligen Märtyrer zu 
ſchätzen und zu pflegen gewußt. Darum wendet die Kirche mit Vor⸗ 
liebe gerade die Texte des Buches der Weisheit auf ſie und beſonders 
auf die Blutzeugen Chriſti in der Oſterzeit an. Wie den Heiland in 
feinem verklärten Oſterleib als Sieger über Tod und Geid das ewige 
Alleluja umtönt, wie es ihm muriadenfach entgegenhallt bei feiner 
Auffahrt in den himmel, fo wird es auch feine Heiligen in alle Ewig- 
keit umwogen, als Zeichen des Sieges über Tod und Leid in Bott: 
das iſt die Weisheit der ewigen Weisheit. 

| * * * 
17° 


260 


Weſen und Aufgabe der Aſzeſe. 


Don P. Daniel Feuling (Beuron). 


as Wort Aſzeſe hat für verſchiedene Menſchen einen ſeltſam ver⸗ 
ſchiedenen klang. Diele hören es mit Ropffchütteln, Unbehagen, 
ja Schrecken, vielleicht unter Gefühlen des Mitleides für jene, die ſich 
der Aſzeſe hingeben. Denn Aſzeſe iſt ihnen ein unheimliches Gefpenft, 
gar eine dämoniſche Macht, die am beben des Menſchen zehrt, fie 
ſehen in ihr nichts als Unterdrückung der Araft und des Lebens, Der- 
zicht auf Freude und Glück. Anderen indes hat das Wort Aſgzeſe 
einen hohen und freudigen Klang; fie denken dabei an große und 
herrliche Ziele, an beglückende Aufgaben und Hoffnungen, die Afzefe 
iſt ihnen wie ein ernſtfreundlicher Engel des Lichtes, der voranführen 
will auf heiliger Bahn zur Läuterung und Stärkung der höchſten und 
edelſten Kräfte, hin zu vollem Menſchen⸗ und Chriftentum bis hinein 
in reinſte Sottähnlichkeit und ewig währende Seligkeit. 

Wir, die wir als katholiſche Chriſten mit unſerer Kirche denken 
und fühlen, können nicht im Zweifel darüber ſein, auf welcher Seite 
wir im Urteil über die Aſzeſe ſtehen wollen. In ihrer Lehre und 
ihrem beben hat die Kirche die Aſzeſe und das afzetifche eben von 
jeher gefördert, ja, wenn auch in verſchiedenem Ausmaße, von ihren 
Rindern gefordert. Dennoch aber, geſtehen wir es, herrſchen auch 
unter uns mancherlei Unklarheiten und Befühlsunficherheiten in An⸗ 
ſehung der Aſzeſe; ſei es, daß da und dort die Aſzeſe als etwas im 
letzten Grunde Fremdartiges empfunden, ſei es, daß Weſen und Ruf. 
gabe der Aſzeſe nicht recht erfaßt werden. Eben der Beſinnung auf 
Weſen und Aufgabe der Aſzeſe möchte dieſer Auffat dienen. 


Fragen wir zuerſt: Was heißt Afzefe? Das griechiſche Wort sro. 
lateiniſch als ascesis umgeſchrieben, leitet ſich von dem Jeitwort 3,x4w 
her, deſſen Sinn ſich umſchreiben läßt mit: Fleiß und Sorgfalt auf 
etwas verwenden, kunſtgerecht bearbeiten, ſich üben, planmäßig pfle⸗ 
gen. "Acsmaıc, Aſzeſe, bedeutet daher „Übung“, das Beſtreben, ſich eine 
Fertigkeit oder Gewohnheit anzueignen, inſonderheit auch die Pflege 
körperlicher Kraft und Gewandtheit bei den Athleten. Don den Vätern 
der alten Hirche wurde das Wort angewandt auf die Bemühungen 
und den Kampf der chriſtlichen Seele gegen die inneren und äußeren 
Mächte, die der Tugend und Vollkommenheit feindlich ſind. Wer 
ſich in Welt, Einöde oder Kloſter in beſonderer Weiſe der Übung des 
geiſtlichen bebens widmete, wurde von früh an Aſzet, &. genannt. 


ZEN RN 


NN 


261 


Später bezeichnete man die Lehre von den Hilfsmitteln des geiftlichen 
Debens und vom geiſtlichen Leben überhaupt als Aſzetik, Bücher, die 
vom beben der Tugend und Frömmigkeit handeln, als aſzetiſche Bücher. 

Das Wort Aſzeſe ſelbſt wird bald in einem engeren, bald in einem 
weiteren Sinne gebraucht. Nicht ſelten meint man damit ausſchließlich 
äußere und innere Entſagung und Abtötung im Dienſte des geiſtlichen 
bebens. Anderemale wieder dehnt man den Begriff wohl auf alles 
und jedes aus, was zum geiſtlich⸗ übernatürlichen Leben gehört. Es 
empfiehlt ſich jedoch, unter Aſzeſe all das und nur das zu verſtehen, 
was Übung zum übernatürlichen Geben, Vorbereitung, hilfe, Schulung 
dafür iſt, das was den Menſchen bereit und geeignet macht, daß das 
Geben der Gnade in ihm wohnen und ſich auswirken könne. 

Im Sinne dieſer Abgrenzung des Begriffes der Aſzeſe betonen wir 
ſofort die Unterſcheidung und Scheidung von Aſzeſe und geiſtlichem 
beben. Aſzeſe und geiſtliches Leben ſtehen zwar in naher innerer 
Beziehung, aber ſie ſind nicht dasſelbe und dürfen nicht in eins geſetzt 
oder miteinander verwechſelt werden. Sonſt entſtehen leicht Unklarheit 
und Verwirrung, Mißgriff und Mißbildung. 

Das geiſtlich⸗ übernatürliche Leben des Chriften iſt die Gnaden⸗ 
gemeinſchaft mit Bott. Durch Gottes erbarmende Liebe wird die Seele 
des Menſchen hinaufgehoben und hineingezogen in das beben, die 
Wahrheit, die Liebe und Seligkeit Gottes ſelbſt. Vollkommen wird 
dieſe Teilnahme an Gottes eigenem Leben erſt in der ſeligen An⸗ 
ſchauung Gottes des Einen und Dreieinen in der Ewigkeit. Aber ein 
Anfang dieſer Teilnahme und ihrer Seligkeit iſt uns auch in dieſem 
Geben ſchon gegeben. Und der innerſte Kern und Sinn unſeres katho⸗ 
liſchen Lebens iſt eben der, ſolche anfangende, vorwegnehmende Gottes⸗ 
gemeinſchaft zu fein. Die Bottesgemeinfhaft in Wahrheit und Liebe 


iſt unſere Dollkommenbeit und unſer Glück. Die Gnaden⸗ und bebens⸗ 


gemeinſchaft mit Bott iſt uns gegeben um ihrer ſelbſt willen, nicht 
eines anderen Gutes wegen, das dadurch erlangt werden ſoll. Sie 
hat ihren Sinn und Wert in ſich und bleibt nur noch untergeordnet 
unter Bott ſelbſt und die göttliche Ehre. Im vollkommenften Sinne, 
in dem etwas Geſchöpflich⸗Gewordenes Selbſtzweck genannt werden 
kann, iſt das geiſtlich⸗ übernatürliche Leben des Chriften ein Selbſt⸗ 
zweck: es iſt ein Letztes und höchſtes in der geſchaffenen Ordnung. 

Ganz anders die Aſzeſe. Sie iſt nicht Selbſtzweck und darf es nicht 
ſein. Sie trägt ihren Sinn und Wert nicht in ſich ſelbſt, ſondern hat 
ihn ausſchließlich im Hinblick auf das geiſtlich⸗ übernatürliche Leben, 
dem ſie zu dienen beſtimmt. Sie iſt ganz und weſentlich Übung zum 


262 


geiſtlich⸗ übernatürlichen beben. Sie wird ihres Sinnes und Wertes 
entkleidet, ſobald ſie um ihrer ſelbſt willen gleich einer ſelbſtändigen 
Bauptfache betrieben wird. Ihr alleiniges Daſeinsrecht iſt, Übung zu 
fein, den Menſchen zu üben, zu ſtärken, fähig und fertig zu machen 
für das chriſtliche beben, für deſſen Größe und volle Entfaltung. 

niemand vielleicht hat treffender Sinn und Ziel aller Aſzeſe aus⸗ 
geſprochen als der hl. Benedikt in der Vorrede zu ſeiner Mönchsregel. 
Nachdem er vom Wohnen in Gottes Gezelt, von der Lebensgemeinſchaft 
mit Gott geſprochen, ſagt er (Butlers Ausgabe, Prol. Zeile 104) mit 
vielſagenden Worten: Ergo præparanda sunt corda et corpora nostra 
sanctæ præceptorum obœdientiæ militanda: „Alfo mũſſen wir Herz 
und Leib bereiten zum Kriegsdienſte des heiligen Gehorſams gegen 
die Gebote‘. Es wäre gut, wenn man dies Wort als Leitgedanken 
über alle Aſzeſe und Aſzetik ſchriebe. In fein Licht wollen wir die 
ganze Erwägung dieſes ANufſatzes ftellen. 


Warum gibt es überhaupt etwas derartiges wie Aſzeſe als Übung 
und Bereitung zum geiſtlichen beben? Iſt Aſzeſe überhaupt notwendig? 

Zweifellos iſt ſie notwendig. Und zwar aus einem doppelten Grunde. 

Junächſt weil die kräfte des Menſchen entwickelt und bereit gemacht 
werden müſſen für die leichte und ſichere Betätigung des übernatür⸗ 
lichen Lebens. All unſer beben ſteht unter einem Grundgeſetz, das 
lautet: Entwicklung, Entfaltung, Wachstum. Wohl ſind uns die Kräfte 
des Leibes und der Seele von Natur aus mitgegeben, aber fie mũſſen 
ſich erſt entwickeln, müſſen gebildet werden für den Gebrauch, dem 
ſie beſtimmt ſind. Dazu braucht es vielfache, oft lange Übung. 
nur durch Übung, durch planmäßige Erwerbung von Fertigkeiten 
werden die naturgegebenen Kräfte zu brauchbaren Werkzeugen für 
die Zwecke unſeres Lebens und für das Leben ſelbſt. Da nun unſer 
übernatürliches Leben gelebt werden muß nicht außerhalb unſerer 
naturgegebenen kräfte, ſondern innerhalb ihrer und durch fie, wenn⸗ 
gleich in Kraft der Gnade; und da die übernatürliche Gnade ihrem 
eigentlichen Weſen nach keineswegs dafür gegeben iſt, unſere Kräfte 
zu ihrem naturentſprechenden Gebrauch zu entfalten, ſondern die ſchon 
natürlich entfalteten zu befähigen für das übernatürliche Leben und 
feine Tätigkeiten: fo ſetzt dieſes übernatürliche Snadenleben unſere 
Kräfte als ſchon gebrauchsfähig entwickelt voraus. Zudem gibt die 
Gnade unferen naturgegebenen Kräften zwar die Fähigkeit zu den 
übernatürlichen Akten, aber fie gibt nicht ohne weiteres die Geichtig- 
keit der Akte: dieſe muß für gewöhnlich durch Übung und Entfaltung 


1 
fi 


263 


der von der Gnade zum Übernatürlichen erhobenen Seelenkräfte 
gewonnen werden. Freilich kann dieſe Entfaltung unſerer kräfte 
zum Teil wenigſtens erfolgen durch die Betätigung der übernatür⸗ 
lichen Akte ſelbſt — der Erkenntnisakte des Glaubenslebens, der Akte 
der Liebe und anderen Tugenden im religiös⸗ſittlichen Leben und 
Wirken. Aber es iſt dabei genau ſo wie im gewöhnlichen natürlichen 
beben: ſoll man über die unvollkommenſten Anfänge und Derfuche 
hinauskommen zu einiger Vollkommenheit des übernatürlichen Lebens 
und ſeiner Akte, ſo braucht es auch hier planmäßige Übung, durch die 
allein die Kräfte geſchmeidig und ſtark werden zu leichtem, ſicherem Werk. 

Der andere Grund, weshalb Afzefe als Übung und Bereitung zum 
geiſtlich⸗ übernatürlichen Geben notwendig iſt, liegt in der unleugbaren 
Unordnung unferer ſeeliſchen und leiblichen Kräfte. So wie wir dieſe 
Unordnung in uns tragen, iſt ſie durch die Erbſünde bedingt. Es 
iſt eine ſchmerzliche, aber nicht zu beſeitigende Tatſache, daß unſere 
mannigfaltigen ſeeliſchen und leiblichen Kräfte keineswegs in un⸗ 
geftörter harmonie den letzten und höchſten Zielen der Natur und 
Übernatur dienen. Vielmehr gehen die Triebe und Strebungen unferer 
Natur oft wirr und wild durcheinander und auseinander, auf böſe 
diele wie auf gute, und oft auf böſe mehr als auf gute. Neben 
dem tiefen Sehnen des Geiftes nach Bott und feinem Beſitze herrſcht 
in unſerem Weſen ein oft noch mächtigeres Schwergewicht, das hinab⸗ 


drückt zu niedrigen Dingen, an die es uns heften möchte, als wären 


fie unfer wahres Gut und unſer wahrer Bott. „Wir werden in die 
Bottfremde hineingeboren. Don Geburt an find wir in die Abkehr 
von Gott und in die Hinkehr zum Geſchöpflichen, Stofflichen hinein⸗ 
geftellt”!'. Dieſe Abkehr von Gott, dieſe Unordnung unſerer Seele 
wirkt auch noch, wenn ſchon vermindert, fort, nachdem wir durch 
die Gnade ſchon des höheren, übernatürlichen Gebens teilhaftig geworden 
find. Soll daher das Beiftige, Übernatürliche in unſerer Seele zu 
ſeinem vollen Rechte kommen, ſo braucht es, über die bloße Ent⸗ 
faltung der naturgegebenen kräfte weit hinaus, eine planmäßige 
Regelung des Kräfteſpiels in unſerem Innerem, eine beſondere Stärkung 
und Pflege hier, ein kluges Eindämmen oder Zurückſchneiden dort, 
eine Selbſterziehung zur Herrſchaft über all die Bewegungen und Re- 
gungen in beib und Seele: nur ſo werden wir geſichert werden gegen 
den Bang und Drang zum Böfen und gegen deſſen erwartete und 
unerwartete Giften, nur fo werden wir imftande fein, mit klarem, 
feſtem Willen den Lebensftrom zum rechten Ziel zu lenken. Dieſe 
P. Alois Mager, in dieſer Jeitſchrift III (1921) 9. 


264 


planmäßige Regelung des Kräfteſpiels in unſerem Innern ift Afzefe. 
Sie iſt in dieſem irdiſch⸗menſchlichen Daſein unentbehrlich, wenn das 
übernatürliche Geben bewahrt und entfaltet werden ſoll, fie iſt erſt recht 
unentbehrlich, wenn dieſes Leben zu feiner Vollkommenheit geführt 
und in ihr ſichergeſtellt werden ſoll. Ohne Aſzeſe gibt es kein Ge⸗ 
deihen des geiſtlich⸗ übernatürlichen Lebens. 


Sucht man die Gebiete zu beſtimmen, auf denen es Aſzeſe im Sinne 
von Übung zum geiſtlichen Leben braucht, fo weiſt das angeführte 
Wort des hl. Benedikt auch dazu den Weg. Præparanda sunt corda 
et corpora nostra: Herz und Leib müſſen bereitet werden. Zieht 
man die umfaſſende Bedeutung in Betracht, die cor-Herz bei den Alten 
beſaß, fo weitet ſich der Blick beim Dernehmen dieſes Wortes un⸗ 
gemein. Denn das Herz war in der Denk⸗ und Sprechweiſe der Alten 
nicht nur wie bei uns Sitz und Sinnbild der Gefühle, Semütsbewe- 
gungen und Triebe, es war auch Sitz und Sinnbild des Geiſtes und 
Sinnes, des Derftandes, der Einſicht, kurz, es beſagte im Grund ge— 
nommen alles, was uns das Wort Seele ausdrückt. Der Überblick 
über die rund zwanzig Stellen, an denen in der Regula monachorum 
das Wort vorkommt, ergibt, daß ſein Gebrauch bei Benedikt noch die 
gleiche Weite und Fülle beſitzt, wie ſie ſich bei den altlateiniſchen 
Schriftſtellern findet. Ho daß wir alſo mit vollem Rechte überſetzen 
würden: Seele und Leib müſſen bereitet werden. 

Vom Standpunkte des ſo erfaßten Regelwortes aus kommen für die 
Aſzeſe alſo zwei Gebiete in Betracht: Seele und Leib. Beiden, der Seelen- 
und der Körperafzefe, müſſen wir unfere Rufmerkſamkeit ſchenken. 


Bei der Seelenaſzeſe iſt auf mancherlei zu achten: auf Derftand 
und Dorftellung, Willen und Streben, Gefühl und Stimmung. 

Vielleicht hat man ſich vielfach zu ſehr entwöhnt, bei Begriff und 
Gebrauch der Aſzeſe an Geiſt und höhere Sinne, an Gedanken und 
Dorftellungen zu denken. Und doch ſind über die Bedeutung der 
Gedanken und Dorftellungen für das geiſtliche beben und über die 
Notwendigkeit der Bereitung von Geiſt und Sinn für ebendies beben 
kaum viele Worte zu verlieren. Daß die förderlichen, wegweiſenden 
Gedanken und Dorftellungen zur rechten Zeit bereit ſtehen, unnütze 
und irreführende Gedanken und Dorftellungen aber von der Seele 
ferngehalten werden — darauf kommt ja außerordentlich viel an. Es 
braucht Aneignung von Wiſſen und Derftändnis, von Dorftellungen 
und Bildern, es braucht Erziehung zu Aufmerkſamkeit und Geiſtes⸗ 


. Zr zu 


265 


ſammlung, es braucht Sicherheit und Gewandtheit im religiöfen und 
ſittlichen Urteil, es braucht Klugheit und Einſicht in die Bedingungen 
und Juſammenhänge des geiſtlichen Lebens, es braucht Bedankenzucht 
und Zucht der Dorftellungen: all das und fo vieles andere gehört 
zur Bereitung des Geiſtes für das geiſtliche Leben. Jeder, der mit 
ſtrebſamen Seelen zu tun gehabt hat, weiß, wie viele gut gemeinten 
Anſtrengungen nutzlos oder doch wenig erfolgreich bleiben, weil dieſe 
Pflege des Geiſtes und Sinnes, dieſe Bereitung der Erkenntnis und 
Dorftellung für das geiſtliche Leben fehlt oder zu lange gefehlt hat. 
Beiſpielshalber in der Gedankenbeherrſchung und Vorſtellungszucht 
find wir heutige Menſchen und Chriften faſt alle arge Stümper. 
Jehnmal leichter find wir ſtrenge gegen uns im Verzicht auf Genüffe 
oder im freiwilligen Suchen von körperlichen Abtötungen, als in der 
Zucht und Überwachung unſerer Gedanken und Dorftellungen im hin⸗ 
blick auf unſere geiſtlich⸗ übernatürliche Aufgabe. Wir erſchrecken 
geradezu, wenn wir etwas leſen oder hören von der unerbittlichen 
Zucht, mit der die Heiligen ihren Gedanken- und Dorftellungsablauf 
zu regeln beſtrebt und geübt waren. Aber großenteils gerade weil 
uns fo fehr die Zucht der Gedanken und Dorftellungen abgeht, iſt 
unſere Sammlung und Andacht im geiſtlichen Geben fo klein, deshalb 
unſer Gebet oft fo armſelig, deshalb unſer Fortſchritt zur vollen hin⸗ 
gabe an Gott fo gering. Bewiß ſei unvergeſſen, daß die Gnade im 
Aufftieg des geiſtlichen Lebens zu feinen höheren Stufen auf wunder⸗ 
bar vollkommene Weiſen die Bemühungen des Menſchen zu ergänzen 
ja manchmal zu erſetzen pflegt; aber doch in der Regel nur dann, 
wenn der Menſch zunächſt mit Eifer und Nachhalt ſelbſt fein Mög⸗ 
liches und Beſtes getan hat, um feinen Geiſt, fein Denken und Dor- 
ſtellen für das übernatürliche beben zu bereiten. Dieſe Bemerkung 
hat auch bei allen hier noch folgenden Teilaufgaben der Aſzeſe ihre 
volle Geltung. 

Übung des Willens und Regelung der Triebe und Leidenfchaften 
find weitere derartige Teilaufgaben der inneren, ſeeliſchen Aſzeſe. Es 
handelt ſich hier — wie überall in der Aſzeſe — um die Erzeugung von 
Gewohnheiten. Der Wille muß die beherrſchende Macht im Inneren 
werden, Gott und ſich ſelbſt getreu unter Ausſchluß aller Laune und 
Wetterwendigkeit, fähig zum klaren, unentwegten Erſtreben des letzten 
dieles. Dem Willen aber müſſen die Leidenfchaften und Triebe ſich 
fügſam unterordnen, dienend, ſchweigend, nötigenfalls ſelbſt brechend 
und erſterbend, wie das höhere Geſetz des geiſtlichen Lebens es je 
und je verlangt. 


266 


Freiwilliger Selbſtgehorſam, das iſt unbedingtes Befolgen der jeweils 
gefaßten Entſchlüſſe und Dorfäte, auch im Kleinen und Kleinſten, und 
freiwilliger Sehorſam gegen andere, denen man ſich aus Liebe zum 


Guten und zur inneren Freiheit im Hinblick auf Bott und das Beil 


unterwirft: das find zwei von den großen Mitteln der Aſzeſe, den 
Willen zu ſtärken und zu feiner Herrſchaft zu führen. Sein uner⸗ 
meßliches Übungsfeld hat dieſer doppelte Gehorſam auf den Gebieten 
der Gedanken und Dorftellungen, der Triebe und Leidenfchaften, des 
Rörpers und feiner Betätigungen, in Arbeit und Erholung, im Um⸗ 
gang mit Bott und den mMenſchen, im Ertragen von Übeln aller Art, 
kurz in allem und jedem, was das Leben bringt und fordert. 


Die herrſchaft über die Triebe und beidenſchaften ſucht eine ver 


ſtändige Aſzeſe in erſter binie und fo weit möglich durch weiſe Aus 
nüßung der Trieb⸗ und beidenſchaftskräfte im Dienſte des geiſtlichen 
Lebens. Man gebe den Trieben und beidenſchaften ein würdiges 
Ziel, eine wohlgeordnete Möglichkeit der Betätigung und Entfaltung 
zum Guten und Hohen, man laſſe fie in ſolcher Betätigung und Ent⸗ 
faltung ſich auswirken und ausleben: dann werden ſie willig ihre 
Dienfte leiſten und wenig nach anderer, falſcher Richtung drängen; 
dann wird auch noch die Kraft⸗ und Lebensfülle der Triebe und 
beidenſchaften, die nicht unmittelbar in Dienſt genommen werden 
können, ſich anderem, höherem Streben leihen und es ſtärken und 
fruchtbar machen. In der Tat kann ja nicht jedem Trieb und jeder 
beidenſchaft die eigene Betätigung und Auswirkung gewährt werden. 
Es gibt Triebe und Leidenfchaften, die, wie Neid, Scheelſucht, Rad 
gier, überhaupt keinen guten Gebrauch haben, und ſolche, die einen 
guten Gebrauch nur unter beſtimmten Vorausſetzungen haben, wie 
der geſchlechtliche Trieb allein in der Ehe. Trieb- und Veidenſchaſts⸗ 
regungen, die in ſich oder unter den gegebenen Umſtänden keinen 
guten Gebrauch haben, müſſen überwunden werden, und zu folder 
Überwindung zu erziehen und zu üben, iſt daher eine der wichtigſten 
Aufgaben der Aſzeſe. Es muß die Fähigkeit und Leichtigkeit erworben 
werden, jeglicher unangebrachten, unerlaubten Regung ſofort Schwei⸗ 
gen zu gebieten oder doch ihr die verlangte Erfüllung ſchlechthin zu 
verſagen. Aber hier beachte man wohl, was zum Schaden der Seelen 
leider oft genug unbeachtet bleibt: Überwindung der unangebrachten, 
unerlaubten Triebe und beidenſchaftsregungen durch bloße, vielleicht 
rein von der Angſt vor Sünde oder Strafe gebotene Unterdrückung 
und Derfagung iſt nur halbe, ja Diertelsüberwindung. Bloß verdrängte 
Triebe und Leidenſchaften pflegen ſich langſam aber ſicher unter der 


* X r SEE Ze Zu 


267 


Schwelle des Bewußtſeins zu ſammeln und zu ſtauen, um nach und 
nach der Seele ſchwer zu ſchaffen zu machen durch viel Unruhe, nutz⸗ 


loſe Spannung, mißſtimmung, manchmal auch durch gewitterhafte, 


kaum mehr beherrſchbare Entladungen heftigſter Art. Soll die Seele 
davon bewahrt bleiben, ſo muß Hand in Hand mit der willentlichen 


Unterdrückung die wiſſentliche innere Überwindung der Trieb- und 


beidenſchaftsregungen gehen, die Überwindung durch ruhige, klare 
Einſicht in die Sinn⸗ und Zweckloſigkeit dieſer Regungen, damit das 
Entbehren und Sichverſagen zu einer ſchlichten Selbſtverſtändlichkeit, 
einem furchtloſen, freudigen Tun wird. Beiſpielshalber: bloß ver⸗ 
ſchluckter, unterdrückter, verdrängter Zorn oder Neid ſchadet auf die 
Dauer, es braucht die innere Erledigung und Nuflöſung durch Derftehen 
und Erfühlen ihrer lUnvernunft und Sinnloſigkeit — und durch die 
friſche, frohe Wendung der Seele zu den Geſinnungen und Gefühlen 
der Güte, des Wohlwollens, des Gönnens ufw. 

Die letzte Bemerkung lenkt den Blick auf den Bezirk der Gefühle und 
Stimmungen. Freude und Trauer, Blückempfinden und Unzufriedenheit, 
Gönnen und Mißgönnen, die Stimmung freundlichen Wohlwollens oder 
unfreundlicher Teilnahmsloſigkeit ja Gegnerfchaft, das Gefühl der Kraft 
oder der Ohnmacht, des Mutes oder der Beklemmung, Rufgelegtheit 
oder Unaufgelegtheit zu Arbeit, Gebet, Dienſtfertigkeit, Opfer, ruhige 
oder aufgeregte Stimmung, gefühlsmäßige Ergebung in unvermeidliche 
Übel oder Neigung zu lilagen und Murren, Ehrfurcht und Ehrfurchts⸗ 
loſigkeit —: dies alles und ſo vieles andere aus dem Bereiche des 
Gefühls und der Stimmung ſpielt eine große Rolle im menſchlichen 
beben überhaupt und im religiöfen Leben und Vollkommenheitsſtreben 
im beſonderen. Ein glückliches, freudiges, freundliches Gemüt, ein Ge⸗ 
müt, aufgelegt zu allem Guten, ruhig, entſagungsbereit und ehrfurchts⸗ 
voll: das iſt eine ganz koſtbare Ausftattung für das geiſtliche Geben, 
verglichen mit einem Gemüte entgegengeſetzter Artung. Darüber hat 
niemand einen Zweifel. Aber nur zu viele Zweifel ſcheinen wir darüber 
zu haben, daß man ſich von dieſer koſtbaren Ausftattung ſehr viel 
durch zielbewußtes Wollen und Üben erwerben kann, wenn man nur 
will. Und doch iſt es gewiß, daß man es kann, wenn man es will. 
Freilich muß man, um dies zu erreichen, durch entſchiedenes Wollen 
aufhören, ſich in unförderlichen, abſeits führenden Stimmungen und 
Befühlen gehen und treiben zu laſſen, und muß der Strom der Dor- 
ſtellungen und Gedanken immer und immer wieder zielbewußt auf 
jene pofitiven Gefühle und Stimmungen und das ihnen gemäße Der- 
halten und Tun hingetrieben werden, damit allgemach das Gefühl, 


268 


das dann nicht dauernd verſagen kann, in gleicher Richtung gehe. 
Auch läßt ſich innerhalb gewiſſer, immerhin reichlich weiter Grenzen 
das Gefühl rein willensmäßig aus⸗ oder umſchalten, lenken und leiten, 
ſchwächen oder fteigern, wie es für ein geordnetes Beiltes- und Willens⸗ 
leben günftig if. Wer immer wieder in ſich den Willen und die Vor⸗ 
ſtellung freudiger, mutiger, dankbarer Stimmung und Befühlsweife 
erneuert, die wachgerufenen und wachgewordenen Gefühle freundlich 
hegt und pflegt, fie in Wollen und Tun ſich auswirken läßt, der wird 
in gar nicht fo langer Zeit befähigt fein, durch bloßen An⸗ und Auf» 
ruf, bei drohender Gefahr der Gegengefühle etwa, oder weil beſtimmte 
Gefühle jetzt gerade nützlich oder notwendig find, ſich freudig, mutig, 
dankbar geſtimmt zu machen, und aus dieſer Stimmung heraus ſein 
Werk zu tun oder fein Leid zu tragen. Wichtig ift dabei nur, daß 
dieſe Übungen auf die Grundlage der Wahrhaftigkeit geſtellt feien 
durch die Derknüpfung mit den Gründen und Beweggründen der Freude, 
des Mutes, des Dankes ufw., an welchen Gründen und Beweggründen 
in den Wahrheiten des Glaubens und in der Liebe zum Guten kein 
mangel iſt. Es reicht natürlich nicht aus, in einer guten Stimmung 
gelegentlich einmal an die Freude, den Mut und ihre Gründe zu denken 
oder darüber ein ſchönes Buch zu leſen. Darauf kommt es an, daß 
man vorſätzlich und grund ſätzlich die Gründe und Vorſtellungen ſolcher 
Gefühle und die Gefühle ſelbſt wachruft und gegenwärtig hält — fie 
wachruft und gegenwärtig hält gerade auch dann, wenn der ſchlaffe 
und ſchlappe Menſch, der Murrer und Unaufgelegte, der Erbitterte 
und Erboſte es nicht möchte. Wenn nur wir katholiſche Chriſten auf 
unſer religiös⸗ſittliches beben den feinen Rat anwenden wollten, den 
Uve gens Kruſe in feinem Büchlein „Der Kruſe⸗Tag“ ohne befondere 
Rückſicht auf religiöfe Beweggründe und Ziele gibt: nämlich ſich jeden 
Morgen beim Aufftehen zu fragen und zu ſagen, auf was man ſich 
an dieſem Tage beſonders freuen wolle, und ſich dann auch wirklich 
darauf zu freuen, den Gegenſtand der Freude mit bewußter Freude 
aufzunehmen und am Abend den Ertrag an Freude dankbaren Ge⸗ 
mütes ſich nochmals zum Bewußtſein zu bringen: wie viel Anlaß zu 
religiös-fittlider Freude und zu dankbar frommem hinnehmen auch 
der kleinen Gaben und Wohltaten Sottes, der Menſchen, der Natur 
würde ſich uns bieten, wie viel echte Freudeſtimmung, wie viel ſtär⸗ 
kendes, erhebendes Gefühl käme dadurch in unfer Leben, und zwar 
vor allem in unſer religiöfes beben. — Ganz gewiß kommt gerade 
für unſer heutiges Geſchlecht viel darauf an; daß wir uns auf die 
Buchenbach in Baden, Felſenverlag. 


— 774 2 =; 


269 


dem geiſtlichen Leben förderlichen pofitiven Gefühle und Stimmungen 
bewußterweiſe einſtellen, daß wir in ihrer Pflege eine dringliche 
Aufgabe der Aſzeſe gerade heutigentags erblicken. Denn es ift wohl 
nicht gewagt zu ſagen: mochten andere Zeiten und Gefchlechter an 
Freude, Mut und ähnlichem Gefühl vielleicht zu viel beſeſſen haben, 
fo daß darin vor allem Eindämmung und Mäßigung vonnöten war: 
bei uns herrſcht nur zu oft eben darin ein empfindlicher Mangel, dem 
es entſchieden abzuhelfen gilt. 

man verſtehe uns dabei recht. Gewiß, es iſt wichtig, daß wir 
auch in Anſehung der poſitiven, fördernden Gefühle wie Freude, Mut 
uſw. uns klar darüber ſind, wie wenig es letzten Endes auf dieſe 
Gefühle und Stimmungen an ſich ankommt, wie unbeirrt wir unferes 
Weges zu Gott gehen müffen, auch wenn alles helfende Gefühl ver- 
ſagt, und wenn ſelbſt Stürme der negativen, hemmenden und nieder⸗ 
drückenden Gefühle über uns hereinbrechen. Es iſt wichtig, zu ver⸗ 
ſtehen, daß ſolche Trockenheiten und Stürme von großer Bedeutung 
find für das Reifen des inneren Menſchen, für die bosſchälung von 
bloß irdiſchen, vergänglichen Dingen und Beweggründen, für die Stäh⸗ 
lung des Willens, für die Geltendmachung des reinen übernatürlichen 
Glaubens und feiner geiſtigen Güter. Eine Pflege der helfenden poſi⸗ 
tiven Gefühle würde uns für das Ganze des geiſtlichen Lebens und 
ſeine Witterungen und Wandlungen keineswegs hinreichend ausſtatten, 
wenn nicht die Erziehung und Selbfterziehung zu möglichſter Unab⸗ 
hängigkeit von den Stimmungen und Gefühlen Hand in Hand damit 
ginge. Aber trotzdem bleiben wir dabei: es kann unſerem geiſtlichen 
beben nur zu Segen und Förderung gereichen, wenn wir mehr, als 
es gewöhnlich geſchieht, einen Nachdruck legen auf die Bildung und 
Erziehung unſeres Gemütes im Sinne einer möglichſt reichen und 
lebensvollen Entfaltung all der Affekte, Stimmungen und Gefühle, 
die die Richtung auf Gott nehmen können und die geeignet find, uns 
einen freudigen, wohlgemuten Bottesdienft zu erleichtern. Nicht nur 
von der Bereitung des Geiſtes, von der Bildung der Willenskraft 
und Geſinnung und von der Beherrſchung und Regelung der beiden⸗ 
ſchaften, auch von der Pflege des Gefühls und der Stimmung gilt 
das Wort des hl. Benedikt: Unſere Herzen müſſen bereitet werden: 
Præparanda sunt corda nostra! 


Aber auch das Körperliche an uns muß bereitet werden: Pra&- 
paranda sunt corpora nostra. Damit kommen wir zum anderen 
Arbeitsfeld der Aſzeſe, zur Körperaſzeſe. Bei der bloßen Nennung 


270 


des Wortes regt ſich wohl das Unbehagen von manch einem. Aber 
vielleicht geht ihm wie von ſelbſt ein Derftändnis auch für die Körper- 
aſzeſe auf, wenn er das Ja heraushört, das in dieſem præparanda 
sunt corpora nostra des Mönchsvaters klingt: den Leib nicht zer⸗ 
ſchlagen, nicht unterdrücken, nicht tot machen, ſondern ihn bereiten 
für den heiligen Dienſt. Das iſt es, was aus Benedikts Mönchs⸗ 
regel ſpricht, das iſt es auch, was alle geordnete Rörperaſzeſe von 
jeher gewollt und erſtrebt hat, wenn auch freilich manchmal in Dingen 
der Zucht und der Jüchtigung des Leibes mehr getan worden iſt, als 
im einzelnen Fall zuträglich, ja zuläſſig geweſen ſein mag. 
Allerdings wird es eine negative, verſagende Körperafzefe immer 
geben müffen: Strenge, ja vielleicht härte gegen den Leib, eine unter 
Umſtänden herbe und unerbittliche Zucht. Die kirche fordert von 
allen, die nicht durch zu geringes Kräftemaß oder andere Gründe 
entſchuldigt find, zeitweiſe körperliche Aſzeſe in Form von Faſten und 
Abſtinenz. Man hat das Gefühl, daß der Sinn dafür ſtark im 
Schwinden iſt — zum Nachteil des geiſtlichen Lebens und Strebens im 
allgemeinen. Die Heiligen und ſolche, die ihnen nachahmten, wußten 
zu dieſem Pflichtgemäßen manch andere Werke der körperlichen Zudt 
zu fügen: Strengheiten in kleidung und Lager, williges und frei⸗ 
williges Ertragen von hitze und Kälte, Verzicht auf körperliche An⸗ 
nehmlichkeiten, Benützung von Bußwerkzeugen wie Geißel und Buß- 
gürtel. Sobald wir ernſtlich überlegen, wie dienlich dies alles, ſofern 
nur innerhalb der rechten Grenzen benützt, der Zucht des Willens, der 
Regelung und Beherrſchung der Leidenfchaften und auch noch der 
Geſundheit des Körpers! ift, wie ſehr die entſchiedene, aller Weich⸗ 
lichkeit bare Behandlung des Körpers beiträgt zur vollendeten Herr⸗ 
ſchaft des Geiſtes und Willens über den niedrigeren Teil der menſch⸗ 
lichen Natur: fo werden wir zur negativen Körperaſzeſe ein anderes 
Verhältnis gewinnen, als wenn wir nur den Eindrücken unſerer 
erſchreckten Nerven gedankenlos, willenlos nachgeben. Das haben 
noch alle empfunden, die nach größerer Vollkommenheit tatkräftig 
ſtrebten, welch große Hilfe ihnen gerade durch eine vernünftige Strenge 
gegen den Leib ward, welche kraft ihrer Seele, ihrem Wollen, ihrem 
Rämpfen daraus zufloß, wie unentbehrlich vielleicht zu beſonderen 
Zeiten und unter beſonderen Umſtänden felbft ſchärfere Mittel waren, 
in jenen letzten und entſcheidenden kämpfen etwa zwiſchen Geift und 
Natur, von denen wir Rückftändige im geiſtlichen Leben fo gut wie 


Man vergleiche etwa das ausgezeichnete Buch: Tissot, La vie int&rieure simp- 
lifite et ramenee à son fondement'! (Paris 1910) 227 und 443. 


An ee 


72 


271 


keine Ahnung haben. Wenn wir bei der Erwägung ſolcher Dinge, 
3. B. im Leben der heiligen, dorthin kommen, wo wir nicht mehr 
alles verſtehen, dann wollen wir — vielleicht nach Abzug deſſen, was 
etwa auf zeitweiligen Übereifer jener großen Menſchen zu ſetzen iſt, 
und was ſie ſelbſt ſpäter rügten — uns in aller Beſcheidenheit ſagen, 
daß wir wahrhaftig nicht berufen find, dort endgültige Urteile zu 
fällen, wo uns am Ende alle und jede zum Urteile nötige Erfahrung 
abgeht. Diejenigen aber, die es zu irgendwelchem Ungewohntem in 
dieſer hinſicht treibt, feien mit Nachdruck auf die Regel hingewieſen, 
die Benedikt im kiapitel von der Faſtenzeit für die freigewählten 
Abtötungen in aller Entſchiedenheit gibt, und die ſich bei allen Lehrern 
des geiſtlichen Lebens wiederfindet: daß alles Außerordentliche dieſer 
Art nur im Einverftändnis mit dem geiſtlichen Führer und Vater ge⸗ 
ſchehen dürfe, andernfalls es nicht als Tugend und Derdienft, ſondern 
als Anmaßung und eitle Ehrſucht zu gelten habe (Regula, Nusgabe 
Butler, 50, 21 — 25). 

Aber es gibt neben der negativen auch eine pofitive Bereitung des 
beibes für das geiſtliche Leben, es gibt eine poſitive £örperafzefe. 
Ihre Bedeutung iſt nicht geringer, fie iſt ohne Zweifel ungleich größer 
als die der negativen Rörperaſzeſe oder „Abtötung“. Als erſte Auf: 
gabe fällt es ihr zu, daß fie um des übernatürlichen Lebens und 
Vollkommenheitsſtrebens willen den körper mit feinen Gliedern und 
Kräften, feinen Bewegungen und [einem Verhalten, feinen Bedürf⸗ 
niſſen und Trieben durch zielbewußte Ausbildung möglichſt vollkommen 
unter die Herrſchaft und beitung des Beiftes bringt, ihn zum gefügigen 
Werkzeuge des Willens macht. de mehr dies erreicht wird, je mehr 
der Wille dem Körper je nach Nutzen und Notwendigkeit Ruhe und 
Bewegung, Arbeit und Anſtrengung, Schmerz und Entbehren zumuten 
und auferlegen darf, umſo freier wird der ganze Menſch für ſeine 
höheren Jwecke, umſo mutiger in feinem Streben, umſo beſſer iſt fein 
Erfolg im geiſtlichen Leben geſichert. Ein unbotmäßiger, unbeherrſchter 
Rörper hingegen wird das feinere innere Leben in bedenklicher Weiſe 
ſtören und hemmen. | 

Als zweite Aufgabe fällt der pofitiven Körperaſzeſe zu die mittel⸗ 
bare Beeinfluſſung des Affekt⸗ und Willenslebens im Dienſte des über⸗ 
natürlichen Strebens. Als Mittel dafür kommen in Betracht die Pflege 
der Körperhaltung und Ausdrucksbewegungen, ſowie die Entwicklung 
Rörperlicher Gefühlsdiſpoſttionen. 

Daß der Körper weit mehr iſt als bloß das Haus und vielleicht 
gar das Gefängnis der Seele, auch mehr als nur ein Werkzeug äußeren 


272 


Wirkens auf die umgebende KRörperwelt, leuchtet auch ohne ſchwierige 
philoſophiſche Unterſuchungen ein. Weil die Seele die Weſensform, 
das innere weſensbeſtimmende und weſensgeſtaltende Prinzip in der 
menſchlichen Natur ift, deshalb iſt der Leib — als durch fie beſtimmt 
und geftaltet — Ausdruck und Ausdrucksmittel der Seele, ihrer Artung 
und ihres Lebens; deshalb prägt ſich auch die innere Haltung und 
Betätigung der Seele mit wundervoller Geſetzmäßigkeit in der äußeren 
Haltung und Betätigung des Leibes aus; deshalb wird die äußere 
haltung und Betätigung des Leibes naturgemäß zu Halt und Stütze 
der inneren haltung und Betätigung der Seele; und deshalb wirkt 
auch die äußere Haltung und Betätigung des Leibes naturgemäß 
zurück auf die innere haltung und Betätigung der Seele. Infolge⸗ 
deſſen verlangt die innere haltung und Betätigung der Seele nach 
Ausdruck in körperlicher haltung, Gebärde, Bewegung, Handlung; 
und umgekehrt, körperliche haltung, Gebärde, Bewegung, Handlung, 
fofern fie die naturgegebenen Ausdrucksformen beſtimmter ſeeliſcher 
Haltung oder Betätigung ſind, drängen die Seele zu eben dieſer Haltung 
und Betätigung und machen es ihr um vieles leichter, dabei innerlich 
zu verharren. Hußeres und Inneres gehören alſo beim Menſchen 
enge zuſammen. Nun gilt dies Grundgeſetz leiblich⸗ſeeliſchen Lebens 
auch für das religiöfe Geben, es gilt auch noch für das übernatür⸗ 
liche Leben, das zu feinen geiſtigen Akten die ſinnlich⸗Rörperliche 
Ausdrucksweiſe heiſcht, obwohl es feinem letzten Weſen nach in der 
geiſtigen Seele wohnt. Darin liegt es begründet, daß auch für das 
religiös⸗- übernatürliche beben und feine Betätigung die äußere Haltung, 
Gebärde, Bewegung, Handlung wertvoll, nützlich, ja notwendig ſind: 
ſowohl als Ausdruk und Auswirkung der inneren Haltung und Be- 
tätigung, wie auch rückwirkend zu deren Stütze und Fördernis. Wie 
ſehr das religiöfe und übernatürliche Geben der Menſchheit tatſächlich 
von dieſem Geſetze beherrſcht und durchdrungen iſt, dafür zeugt die 
bedeutende Rolle, die von Anfang an Haltung, Gebärde, Bewegung, 
Handlung als Ausdruck und Hilfsmittel des Gebetes und Kultlebens 
geſpielt haben. 

Was folgt daraus für die Aſzeſe? Wir können folgenden Satz auf⸗ 
ſtellen: Durch forgfältige Pflege der entſprechenden körperlichen Nus⸗ 
drucksformen und Nusödrucksbewegungen läßt ſich das religiös⸗über⸗ 
natürliche Innenleben der Seele in hochwillmommener Weiſe fördern 
und feſtigen. ge mehr der Körper dazu gebildet und geübt iſt, die 
Ausdrucksformen und Ausdrucksbewegungen für die religiöfen Akte 
und Gefühle in möglichft angemeſſener Weiſe zu vollziehen, um ſo 


1 I 


273 


leichter und ſicherer wird die Seele in dem alſo gebildeten und bereiteten 
Körper ihr geiſtliches beben entfalten und feiner froh werden. 

nehmen wir als Beifpiel die Geſinnung und das Gefühl der Ehr- 
furcht, wie fie zum Grundgefüge des echten religiöfen Verhaltens 
gegen Gott gehört. Es gibt eine beſtimmte Art der körperlichen 
Haltung, Bebärde, Bewegung, Handlung, die Ausdruck gerade dieſer 
Ehrfurcht if. Ausfchluß aller Nachläſſigkeit, Maß und Würde in 
haltung und Bewegung, Ausdruck des Auges uſw. gehören dazu. 
Wer ſich an die Erſcheinung eines wahrhaft frommen Beters erinnert, 
oder wer je die anbetenden Engelsgeſtalten in der St. Mauruskapelle 
bei Beuron betrachtet hat, an denen alles Ausdruck der Ehrfurcht 
iſt, weiß, was ich ſagen will. Und wer ſich auf den Eindruck beſinnt, 
den ſolcher Anblick auf fein Gemüt machte, gibt ſich leicht Rechen⸗ 
ſchaft darüber, wie außerordentlich fördernd, vertiefend, ſtärkend die 
eigene ehrfürchtige haltung auf das Innere wirken muß. Dem ent- 
ſpricht durchaus die Erfahrung, die alle religiöfen Menſchen gemacht 
hahen und die wir alle immer wieder machen können, wenn wir 
nut wollen. Daraus ergibt ſich: je mehr wir unſeren Körper erziehen 
und bereit machen für die Nusdruckshaltung der Ehrfurcht, und je 
mehr wir dazu geübt find, dieſe haltung mit dem Gedanken an Gott 
und feine Derehrung zu verbinden, um fo leichter und ſicherer wird 
auch die Seele die entſprechende Einftellung und Betätigung finden. 
Weshalb der, welcher ſich bewußterweiſe in dieſem Sinne übt und 
bereit macht — natürlich ſich zugleich auch in den inneren Gefinnungen, 
Akten, Gefühlen der Ehrfurcht bereit machend und übend —, in ſeinem 
teligiöfen Leben eine ganz weſentliche Förderung und Erleichterung 
zu erhoffen durchaus berechtigt iſt. 

In dieſem ZJuſammenhang möchten wir es bedauern, daß wir an 
religiöfen Ausdrucksmitteln im Vergleich zu früheren Zeiten nicht 
wenig verarmt find. In der Liturgie der Kirche, in der haltung des 
Prieſters am Altare, in den Zeremonien der hl. Meſſe, ferner in 
manchen Gebräuchen der verſchiedenen religiöfen Orden lebt vieles 
fort, was weiteren Rreifen verloren gegangen iſt. Ob es nicht mög⸗ 
lich werden ſollte, durch Belehrung, Bildung und Erziehung für den 
Ausdruck der religiöfen Geſinnungen, Akte und Gefühle allmählich 
wieder reichere Hilfsmittel dieſer Art zu gewinnen? Auf jeden Fall 
iſt es möglich und ift es nötig, daß durch ſorgſame Pflege des noch 
vorhandenen das echte religiöfe Leben der Gläubigen geſichert und 
vertieft werde. Wird nur der Juſammenhang mit der Pflege religiöfer 
Erkenntnis und Geſinnung gewahrt, fo kann in dieſer hinſicht gar 

Benediktiniſche Monatſchriſt IV (1922), 7—8. 18 


274 


nicht zu viel geſchehen. Auf würdige, ehrfürdtige Ausführung aller 
gottesdienftlichen handlungen, beſonders auch des gemeinſamen Gebetes, 
wird vor allem zu achten fein. Wir möchten der hoffnung Ausdruck 
verleihen, daß das Apoftolat der Liturgie, das in immer weitere 
Kreiſe dringt, nach dieſer Seite hin wertvolle Früchte zeitigen wird. 

Nächſt der Pflege von Ausdruckshaltung und Ausdrucksbewegung 
iſt für die Bereitung des Leibes zum geiſtlichen beben auch das von 
Belang, was wir oben als Entwicklung köperlicher Gefühlsdispo⸗ 
fitionen bezeichnet haben. Den Stimmungen und Gefühlen entſprechen 
nicht nur körperliche Ausdrucksmittel, fie haben auch körperliche 
Grundlagen, find gebunden an gewiſſe Rörperdifpofitionen und ⸗Zu⸗ 
ftände, deren Schwächung oder Jerſtörung die Gefühle ſelbſt ſchwächt 
oder zerſtört, deren Förderung hingegen die Gefühle und Stimmungen 
fördert und ſtärkt. Beſtimmte Gefühle ſtehen in engem Zuſammen⸗ 
hang mit beſtimmten körperſpannungen, beſtimmter Art der Atmung, 
der Herztätigkeit, der Straffung oder Löfung dieſer oder jener Muskeln 
und Organe. Ein Beifpiel fei die Freude oder der Mut. Beiden ent⸗ 
ſpricht ein ganz eigener Geſichtsausdruck, eine beſondere Weite oder 
Kraft des Atmens, ein beſchleunigtes oder gefeſtigtes Pulſen des 
Herzens, eine aufrechte, elaſtiſche Körperhaltung. Der Menſch, deffen 
Muskel= und Nervenſuſtem dieſe beſondere Derhaltungsweife des Rör- 
pers begünſtigt, hat es weſentlich leichter mit der Freude und dem 
mute als der andere, deſſen Antlitz, Lunge, Herz ſchlaff und deſſen 
Haltung gebückt und ſchwächlich iſt. Aber jene günſtigen Dispoſitionen 
oder Bereitſchaften des Körpers laſſen ſich beim einigermaßen gefunden 
menſchen willkürlich entwickeln durch Übung zu kraft, Spannung, 
Ausdauer der verſchiedenen Organe und Muskeln. In dem auf 
ſolche Weiſe freude⸗ und mutbereit gemachten Körper wird die Seele 
mit ihrer Bemühung um die Affekte und Gefühle der Freude und des 
Mutes (wie auch um deren Ausdruck und Betonung in haltung und 
Bewegung) ungleich erfolgreicher als in einem weniger bereiteten 
ktörper fein. Nun bedenke man aber immer wieder, was gerade die 
Freude, der Mut, die Zuverficht für das religiöfe Geben und heiligkeits⸗ 
ſtreben bedeuten. Ein Hopfhänger, ein gedrückter Menſch wird hier 
nie etwas Rechtes erreichen. Dem freudigen, mutigen Menſchen ſteht 
auch die übernatürliche Welt viel offener als dem Traurigen und Be⸗ 
klemmten: das erfährt man allenthalben, das wird im Leben der 
Heiligen tauſendfach kund, das haben die Lehrer des geiſtlichen Lebens 
immer wieder kraftvoll ausgeſprochen. Wenn es aber ſo iſt, warum 
ſoll man nicht bewußt, zielbewußt, planmäßig auch die körperlichen 


1. 


141 14 i 


4 2 2 
tv 


wg 2 


275 


Dispofitionen zu Freude, Mut, Zuverficht und fo vielen anderen Affek⸗ 
ten und Gefühlen pflegen, fie pflegen nicht nur für irdifhe Aufgaben 
und Zwecke, ſondern auch und vor allem im Dienſte der höchſten 
aller Aufgaben, der übernatürlichen Heiligkeit in Gottesgemeinſchaft 
und Gottſeligkeit! 

Eine ſolche planmäßige Pflege der körperlichen Gefühlsgrundlagen, 
die ſich auf Grund unſerer allgemeinen Betrachtungen als durchaus 
förderlich erweiſt, dürfte zur zwingenden Notwendigkeit werden für 
die Behandlung fo mancher Erſcheinungen des religiös⸗ſittlichen be⸗ 
bens, mit denen wir heute mehr als genug belaſtet ſind. Namentlich 
gibt es heute fo viele Menſchen, die ihres religiöſen Lebens, ihres 
Glaubens und Vollkommenheitsſtrebens kaum je recht froh werden. 
Aber wenn man näher zuzuſehen Gelegenheit hat, ſo findet man, daß 
meiſt weniger Derftandesfchwierigkeiten oder ein Derfagen des Willens 
vorliegen, als vielmehr ein Derfagen der natürlichen Kräfte und 
Bereitſchaften, in die das übernatürliche beben eingegoſſen iſt und 
aus denen heraus es — durch die Gnade — betätigt werden muß, 
ein Derfagen ganz beſonders auch der körperlichen Dorausfegungen 
für alle jene poſitiven Affekte und Gefühle der Freude, des Mutes, 
der Zuverſicht ufw., aus deren leichtem, ebenmäßigem Zuſammenſpiel 
das Empfinden eines friſchen, beglückenden Erlebens großenteils her⸗ 
vorgeht. Wer hier einige Erfahrung beſitzt, wird beſtätigen, daß ſich 
dem negativ gerichteten Gefühls⸗ und Stimmungsleben ſolcher Seelen 
kaum erfolgreich beikommen läßt, wenn man nicht auch durch plan⸗ 
mäßige körperliche Übungen die körperlichen Grundlagen und Bereit- 
ſchaften für die poſitiven, förderlichen Stimmungen und Gefühle zu 
ſchaffen ſucht. Der Anleitung zu ſolcher körperlichen Übung im Dienſte 
des geiſtlichen Lebens entbehren wir noch ſehr. Große Dienſte kann 
aber dem in ſolcher Not Stehenden wie feinem feelforglichen Berater 
das Suſtem der ſeeliſchen und körperlichen Übungen leiſten, das Uve 
gens ktruſe in feinem Buche „Ich will! — Ich kann! Eine Schule 
des Willens und der Perſönlichkeit“ aus alten und neuen Erfahrungen 
mit außergewöhnlicher GLebensweisheit zuſammengeſtellt hat!. Es 
kommt dabei nur darauf an, die rein menſchlich⸗ natürliche Einftellung 
Arufes in das Religiös-Ilbernatürliche fortzuführen und in Richtung 
auf die dem Religiöfen beſonders förderlichen Affekte und Gefühle 
zu ergänzen. Erwünſcht bleibt durchaus eine gründliche, auch 
theologiſch geklärte Bearbeitung dieſer Fragen und Zuſammenhänge 
auf Grund von reicher Erfahrung und ſorgfältigem Verſuch, unter 

Vergl. die Beſprechung dieſes Buches in der Bücherſchau des gegenwärtigen Heftes. 

18*. 


276 


Verwertung aller Fingerzeige, die ſich etwa auch dafür bei heiligen 
finden laſſen, vielleicht auch unter kluger Jurateziehung leib⸗ſeeliſcher 
bebensweisheit des alten Oftens, wie es kiruſe für feine Zwecke ſchon 
teilweife getan hat. Man verwundere ſich über ſolchen Dorfchlag 
nicht. Das Gebiet der Afzefe liegt nun einmal (von der Zielſtrebigkeit 
abgeſehen) großenteils nicht im eigentlich Übernatürlichen, ſondern in 
den natürlichen Bedingungen des übernatürlichen Lebens: praeparanda 
sunt corda et corpora nostra. Hier ſei nur noch geſagt, daß in 
unſeren Tagen vielfacher Derkümmerung oder Mißbildung des Leibes 
und feiner Tätigkeiten, wodurch viele wertvolle Affekte, Gefühle und 
Stimmungen mitverkümmert oder mitmißbildet find, die Aufmerk- 
famkeit und Sorge ſich des übernatürlichen Lebens wegen mehr als 
früher dem Körperlichen zuwenden muß, und daß durch die beſonderen 
Umſtände die pofitive Körperafzefe eine beſondere Bedeutung erhält, 
während in Zeiten naturhafterer Körper⸗ und Seelenkraft mehr die 
negative Rörperafzefe zu betonen fein mochte. Übrigens: Grundlage 
und Hauptſtück der Bereitung des Körpers für das geiſtliche Geben 
iſt die vernünftige Sorge für eine gute Geſundheit; welche Sorge, im 
aſzetiſchen Sinne, alſo im Dienſte des geiſtlichen Lebens erfaßt und ge⸗ 
übt, von ſelbſt zum beſten Regulativ der negativen Körperafzefe wird. 


Nach dieſem Überblick über die zwei großen Gebiete der Aſgseſe, 
die Seelen⸗ und Rörperafzefe, drängt ſich uns noch ein Sachverhalt 
auf, der nicht überſehen werden ſollte. Manches Derfagen, mancher 
Mißerfolg im geiſtlichen Leben dürfte feinen Grund darin haben, 
daß man zu ausfchließlich das unmittelbar religiös ⸗ſittliche Denken, 
Streben und Tun des Menſchen zu erfaſſen und die darauf ſich be⸗ 
ziehenden Aufgaben der Bildung, Zucht und Übung zu unvermittelt 
zu löſen ſucht. Man fordert z. B. Gedanken⸗ und Dorftellungszudt 
für Gebet und Betrachtung, ift aber nicht zielbewußt genug, zur Berr: 
ſchaft über den Sedanken⸗ und Dorftellungsablauf überhaupt anzu⸗ 
leiten. Man verlangt entſchiedenes Wollen, wo immer die religiös» 
ſittliche Pflicht ruft oder Derfuchungen drängen, aber man achtet 
weniger darauf, daß es gälte, in das geſamte Willensleben klarheit 
und Entſchiedenheit zu bringen und der Launenhaftigkeit jegliche 
Gewalt über die Seele zu entreißen. Wiederum iſt man ſich wohl 
bewußt, wie viel auf die Pflege der religiöfen Gefühle und Stim⸗ 
mungen ankommt, namentlich folange Frömmigkeit und Heiligkeit 
noch nicht ſehr tief in der geläuterten Seele eingewurzelt find, aber 
man möchte die religiöfe Freude, den Dank gegen Gott uſw. pflegen 


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277 
ohne ſich viel zu kümmern um die Pflege der pofitiven Affekte über- 


haupt und um deren körperliche Grundlagen auch im außerreligiöſen 
Bereich. Es würde, glauben wir, viel gewonnen, wenn wir das 


præparanda sunt corda et corpora nostra weit über die Grenzen 


des Religiös-Sittlichen hinaus ins Dorreligiöfe und Dorfittliche hinein 


befolgten. Anders ausgedrückt: wir ſollten klarer erfaſſen und folgerich⸗ 


tiger berückſichtigen die Einheit unſeres leiblich⸗ſeeliſchen bebens und 


die mannigfachen Wechſelwirkungen von Leib und Seele, Geift und 
Gemüt, Wille, Gefühl und Stimmung und follten die Aufgaben des 
geiſtlichen Lebens möglichſt aus dem Ganzen unſeres menſchlichen 


Weſens heraus zu bewältigen, ſollten namentlich größere Schwierig⸗ 


keiten von der Geſamtheit unſerer Kräfte her zu löſen verſuchen. 


Kommen wir nun, dem Schluſſe nahend, zu einer Frage die manchem 
beſer vielleicht ſchon auf der Zunge lag. Steuern nicht unſere Dar⸗ 
legungen hin auf planmäßiges, ſtufenweiſes, alſo ſuſtematiſches Üben, 
auf ein Suſtem der Aſzeſe und des aſzetiſchen Lebens? Und droht 
damit nicht die unentbehrliche innere Freiheit des Seiſtes und des 
geiſtlichen Lebens verloren zu gehen, droht nicht menſchliche Willkür 
und Syftematik an die Stelle der Antriebe des hl. Geiftes zu treten, 
der weht und wirkt, wo und wie er will? Soll nicht die Seele 
nach innerem Antrieb und Bedürfnis und im Anſchluß an das Rirchen⸗ 
jahr mit feinen wechſelnden Zeiten ſich zu Gott und zum Ewigen 
erheben? Soll ſie nicht jeweils die Akte und Übungen wählen, die 
ihren augenblicklichen Notwendigkeiten gemäß ſind, wie etwa die 
Pflanze jene Stoffe aufſaugt und ſich einbaut, deren ſie für ihre 
bebensentfaltung gerade bedarf? Und enthält nicht das religiöſe 
beben ſelbſt ſchon reichlich genug das, was zur Bereitung von Seele 
und Leib im Sinne echter Aſzeſe notwendig iſt? 

Gerade unſere ſcharfe Scheidung zwiſchen dem geiſtlichen, über⸗ 
natürlichen Leben ſelbſt und der Bereitung von Seele und Leib dafür 
läßt uns alles Wahre und Berechtigte, auf das die geſtellten Fragen 
deuten, völlig anerkennen und doch einſtehen für die Notwendigkeit 
und Nützlichkeit einer geordneten, planmäßigen Bereitung von Seele 
und Leib für das geiſtliche Leben. | 

Bewiß, das geiftliche beben muß feine Freiheit haben, es foll nicht 
eingeſchnürt werden in eine enge Suſtematik, dank welcher die Seele 
in beſtändiger Gefahr wäre, die koſtbarſten Gelegenheiten innerer 
Erhebung zu Gott, der hingebung an das letzte Gut und der Freude 
in ihm zu verpaſſen, bloß weil für den jeweiligen Augenblick etwas 


278 


ganz anderes vorgeſchrieben iſt. Es ſoll im übernatürlichen Leben 
jener Geift der Freiheit herrſchen, von dem Erzabt Maurus Wolter in 
der Einleitung zum „Bertrudenbuch”! die ſchönen Worte ſchrieb: Unter 
dem Geiſte der Freiheit „ift jene Freiheit des Herzens zu verſtehen, 
die einerſeits von allem völlig gelöſt, was nicht Gott iſt, andererſeits 
ungehemmt von kleinlichem Zwang und ängſtlicher Methodik, in faſt 
ungeſtümem Drange der Gottesliebe den Flug der heiligen nimmt, 
‚frohlockend wie ein Rieſe die Bahn durchlaufend“ (P. 18, 6), voll 
Begeiſterung, voll heiligen Eifers, voll opferfreudiger beidensbegier.“ 

Solch entſchiedene Anerkennung und Betonung der inneren Freiheit 
des geiſtlichen bebens aber ſchließt nicht aus die ebenſo entſchiedene 
Anerkennung und Betonung der Aſzeſe und ihrer ſuſtematiſch⸗ metho⸗ 
diſchen Kleinarbeit. Dieſe aſzetiſche Kleinarbeit iſt im Ganzen des 
geiſtlichen Strebens ein verhältnismäßig kleiner Teil, eben der Teil, 
der ausſchließlich der Vorbereitung, Erleichterung und Sicherung des 
übernatürlichen Lebens dient. Dieſer eigentlich aſzetiſche Teil des 
geiſtlichen Strebens kann um ſo beſcheidener fein, da zutrifft, was 
eines der angeführten Bedenken andeutet: weithin leiſten die Ubungen 
des geiſtlichen Lebens ſelbſt ſchon ein weſentliches Stück der Bereitung 
von Herz und Leib, ſofern dieſe Übungen nur im rechten Geift, mit 
innerer Sammlung und äußerer Würde vollzogen werden, wie ihr 
Inhalt und Ziel es verlangt. Wie viel Zucht des Leibes, wie viel 
Pflege echten und reinen Gefühls, wie viel Schulung des Willens und 
Gedankenzucht liegt nicht in der beharrlichen Übung des frommen 
Gebetes und der Betrachtung, in der würdigen und ehrfurchtsvollen 
Feier der heiligen Geheimniſſe uſw. Infofern ift ein befchränktes 
Jneinsfallen von Aſzeſe und geiſtlichem beben zuzugeben: auch durch 
das geiſtliche beben ſelbſt werden Seele und Leib bereitet und ge⸗ 
wandelt zu brauchbaren Werkzeugen für die übernatürlichen Geſin⸗ 
nungen und Akte, für die Gefühle und Stimmungen des religiöfen 
Gebens. Allein dieſe aſzetiſche Funktion des geiſtlichen Gebens reicht 
für die Höherentwicklung dieſes Lebens für gewöhnlich nicht aus, 
ähnlich wie die bloße Ausübung einer Kunſt nicht ausreicht, um das 
krünſtleriſche können zu Höchftleiftungen zu ſteigern. In beiden Fällen 
braucht es eigentliche, ſuſtematiſch-methodiſche Übung. Dieſe Not⸗ 
wendigkeit ſoll uns auch beim geiſtlichen beben nicht ſchrecken — um 
ſo weniger ſoll ſie uns ſchrecken, da, wie geſagt, für gewöhnlich gar 
kein fo großer Aufwand beſonderer Aſzeſe neben dem geiſtlichen 


1 3. Aufl. (1887) 8. VIII; in der neuen Teilausgabe „Die e der heiligen 
Gertrud d. Gr.“, Saarlouis, Hanfen (1917) 8. 4. 


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279 


Oeben ſelbſt erfordert wird, und da außerdem die aſzetiſchen Übungen 


je nach Bedürfniſſen und Umftänden wechſeln, ja zeitweiſe ganz zurück⸗ 
treten dürfen. In dieſer letzten Hinſicht zeigen manche Seelen einen 
glücklichen Inftinkt: fie geben ſich beſtimmten Übungen hin für eine 
Zeit und laſſen dann wieder dem inneren Geben und Streben einen 
freieren Lauf, bis neues Bedürfnis zu erneuter eigentlicher Übung 
treibt. Darin folgen fie im Grunde genommen der Lebensweisheit 
der Kirche, die auch im Laufe des Kirchenjahres ſtrengere und mildere 
Zeiten rhuthmiſch wechſeln läßt. Und wenn man auch aus manchen 
Sründen in Anlehnung an ein Wort des hl. Benedikt (flap. 49) ſagen 
möchte, daß eine fortdauernde Faſtenzucht und Afzefe das ganze Leben 
des Chriſten durchherrſchen ſollte, ſo wird man doch mit dem heiligen 
das Augeltändnis machen, daß wenige dieſe Kraft und Tugend haben, 
und daß wir daher zufrieden ſein müſſen, wenn nur immer wieder, 
etwa in den kirchlichen Bußzeiten, zu ſtrafferer Übung zurückgekehrt 
wird, um fo der Seele und dem Leibe neue Rraft, neue Widerſtands⸗ 
fähigkeit, neuen Schwung und neue Freude zu vermitteln. Sind aber 
manche fähig und angetrieben, dauernd mehr zu tun im Sinne der 
Übung zum geiſtlichen eben, fo wollen wir das verſtehen und wür⸗ 
digen als einen beſonderen Beruf und eine beſondere Gnade, nötig 
etwa zur Erreichung beſonderer Stufen und Formen des übernatür⸗ 
lichen Lebens, wie fie nicht allen beſtimmt find. 


Groß und ſtrahlend ſteht im Lichte des Glaubens vor uns das über⸗ 
natürliche Leben mit feinem beglückenden Ziel, der ſelig vollendeten 
Sottesgemeinſchaft. Don dieſem übernatürlichen Leben und Debens⸗ 
ziel her gewinnt all unſer irdiſches Streben und Tun ſeinen tiefſten 
Wert und feine heiligſte Weihe. Don eben daher hat auch die chriſt⸗ 
liche Afzefe ihren eigentümlichen Sinn und ihr unterſcheidendes Weſen. 
Alles was fie an Mitteln zur Bereitung von Seele und Leib wählt 
und benützt, mag anderswo für andere, irdiſch⸗menſchliche Zwecke 
empfohlen und verwendet, ja nach Art eines Sportes geübt werden. 
Chriſtlich iſt unſere Aſzeſe durch die Einordnung in das von Glauben 
und Gnade getragene übernatürliche eben und durch die Auswahl 
und Bewertung der Mittel nach Maßgabe der übernatürlichen Wahr: 
heit. It uns die übernatürliche Wahrheit und das übernatürliche 
Geben teuer und wert, fo werden wir auch die chriſtliche Aſzeſe, ihr 
Weſen und ihre Rufgabe verſtehen und ſchätzen. Und dann wird ſie 
uns Helferin werden im heiligſten Streben und zu höchſter Vollendung. 


& K 8 


280 | ” 


Der hl. Bafılius der Große 
und die Rlöfterlihe Profeß. 


Don PB. Matthäus Rothenhäusler (St. Jofeph bei Coesfeld). 


inige Jahrzehnte nach dem Tode des hl. Pachomius ( um 346) 

beſchäftigt fi) in einem Kloſter in den Bergen von Pontus Baſilius 
von Cäfarea (um 330 - 379) mit Fragen der klöſterlichen Profeß. 
Wir haben in einem früheren Nufſatz dieſen Akt der „Entſagung“ in 
einem Rlofter des hl. Pachomius zu ſchildern geſucht und gehen nun der 
Entwicklung nach, die jener Akt in der Geſetzgebung des hl. Baſilius 
erhalten. Baſilius bekennt ſich ſelbſt als Schüler des äguptiſchen 
mönchtums; das griechiſche verdankt dem großen Biſchof von Cäfarea 
nachhaltige Antriebe. 

In feinen „kürzeren Regeln“! läßt Baſilius ſich die Frage ſtellen: 
„Welches Derfprechen müſſen die einander abverlangen, die zuſammen 
das gottgeweihte Leben führen wollen?“ Er gibt die Antwort: „Jenes 
(Derfprechen), das vom Herrn einem jeden, der fi ihm anſchließen 
wollte, vorgelegt wurde mit den Worten: ‚wenn jemand mir folgen 
will, verleugne er ſich ſelbſt und nehme ſein Kreuz und folge mir 
(Matth. 16, 24). Welche Bedeutung aber jedes dieſer Worte hat, iſt in 
der Frage geſagt, die davon handelt.“ Gemeint ift mit diefer Frage 
die achte der „breiteren Regeln“?. Sie trägt die Überfchrift: „Von der 
Entſagung“ und lautet: „Ob man zuerſt allem entſagen und ſo die 
gottgemäße bebensweiſe beginnen müſſe?“ Die Antwort ift: „Da unfer 
Herr geſus Chriſtus nach ausführlicher und durch viele Gründe be⸗ 
kräftigter Darlegung zu allen ſpricht: Wenn jemand zu mir kommt, 
verleugne er ſich ſelbſt und nehme fein Kreuz und folge mir‘ (Matth. 
16, 24), und wiederum: ‚So alſo kann keiner von euch, der nicht all 
dem Seinigen entſagt, mein Jünger fein‘ (Cuk. 14, 33), erachten wir, 
daß die Weiſung ſich auf mehreres erſtrecke, wovon die Trennung 
notwendig iſt. Vor allem entſagen wir ja dem Teufel und den Leiden: 
ſchaften des Fleiſches, die wir den Heimlichkeiten der Schande (2 for. 4, 2) 
abgeſagt haben; ſodann den leiblichen Derwandtfchaften und den 
Freundſchaften der Menſchen und der Lebensart der Welt, die der 
Genauigkeit des Evangeliums des heils widerſtreitets. Und was 
notwendiger iſt als dies: ſich ſelbſt entſagt der, der ablegt den alten 


Op xar’ zrrtounv 2. Migne Pg 31, 1081 ff. "Opor xard niarog ebd. 988 ff. 
’ Dgl. hier und zum folgenden das Apophthegma Macarii Fegypt. 1 1 Pg 34, 233 A/B: 
EXEIV.. . . droraydv Ties xc xvedhna dpyfis xal e xal drorayıv v Uνν xal riov 
xatd odpxa auyyevov dpa xal aroraynv ; NRG xal Kdt corg Eproig adroü. 


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A R XA N. 


281 


menſchen mit ſeinen Werken, der dem Verderben unterworfen iſt nach 
den Gelüften des Truges (Ephef. 4, 22). Er entfagt aber auch allen 
Neigungen der Welt, die dem Streben des frommen Lebens hinderlich 
ſein können. 

„Für ſeine wahren Eltern wird ein ſolcher jene erachten, die ihn in 
Chriftus geſus durch das Evangelium gezeugt haben, als Brüder jene, 
die denfelben Geift der Kindſchaft empfangen; auf alle Beſitztümer aber 
wird er ſehen wie auf fremdes But, was fie in Wirklichkeit auch find. 
Doch mit einem Worte: wem um Chriſti willen die ganze Welt ge⸗ 
kreuzigt ift, und er der Welt (Gal. 6, 14), wie kann er noch Teilhaber 
fein an den Sorgen der Welt? Da unfer herr geſus Chriſtus auf 
das äußerſte den haß der Seele und die Verleugnung ſeiner ſelbſt 
ſteigert durch die Worte: ‚wenn jemand mir folgen will, verleugne er 
ſich ſelbſt und nehme fein kreuz auf ſich' und da er dann hinzufügt: 
„Und er folge mir‘. Und wieder: ‚Wenn jemand zu mir kommt und 
nicht haßt feinen Dater und feine Mutter und feine Gattin und feine 
Rinder und feine Brüder und feine Schweltern, aber dazu auch noch 
feine Seele, kann er nicht mein Schüler fein‘ (Cuk. 14, 26). 

„Daher beſteht nun die vollkommene Entſagung darin, die Frei⸗ 
heit von Anhänglichkeit an das beben ſelbſt zu erreichen! 
und das Urteil des Todes bei ſich zu tragen, ſo daß man nicht 
auf fi vertraut (2 kior. 1,9). Sie beginnt aber mit der Entledigung 
von den äußeren Dingen, als da find Beſitztümer, eitle Ehre, Umgang 
mit der Welt, Anhänglichkeit an unnütze Dinge, wie es uns auch die 
heiligen Jünger des Herrn? gezeigt haben, Jakobus und Johannes, 
die ihren Dater Zebedäus verließen und auch ſogar ihr Boot, den 
ganzen Unterhalt ihres Lebens; Matthäus ſodann, der unmittelbar 
von der Zollbank fi erhob und dem Herrn nachfolgte, womit er 
nicht bloß den Gewinn der Jollbank zurückließ, ſondern auch der 
Gefahren nicht achtete, die ihm und den Seinen von den Behörden 
drohten, weil er die Rechenſchaft über die Zollftätte unerledigt ließ. 
Dem Paulus aber war die ganze Welt gekreuzigt, und er der Welt. 

„50 kann, wer von ſtarkem Verlangen, Chriftus zu folgen, ergriffen 
iſt, ſich zu nichts mehr von dieſem Geben kehren, nicht zur Liebe von 
Eltern oder Angehörigen, wenn ſie entgegen iſt den Geboten des Herrn 

1 Anfpielung auf die „apoſtoliſche Gebensart“ des Mönchs. Dgl. Reitzenſtein, 
Athanaſtus über das Geben des Antonius, Heidelberg 1914, 8. 54— 58; derfelbe 
historia monach. und historia Gaus., Göttingen 1916, 8. 52, 114. Benediktinifche 
Monatſchrift III (1921), 8. 89f. | 

2 Dgl. denfelben Gedanken Basil. de Spir. 8. 15, 35 Pg 32, 128 ff. aus der Taufe 


abgeleitet: Cyrill. catech. must. 2, 6. 


282 


(denn dann griffe auch das Wort des herrn Platz: ‚wenn jemand zu 
mir kommt und nicht haßt feinen Vater und was folgt), noch an die 
Menſchenfurcht, fo daß er ihretwegen mit etwas Mützlichem feige 
zurückhält, wie es ja auch die Heiligen hielten, indem fie ſprachen: 
‚man muß Gott mehr gehorchen als den Menſchen“; nicht an den 
Spott der Außenftehenden ob guter Taten, fo daß man durch ihre 
Verachtung überwunden würde. Wenn aber jemand genauer und 
beftimmter die Spannkraft, die mit dem Verlangen der Nachfolge des 
Herrn verbunden iſt, kennen lernen will, fo gedenke er des Apoſtels, 
wie er das, was ihn betraf, zu unſerer Belehrung erzählte und ſagte. 
‚wenn jemand glaubt, auf das Fleiſch Zuverficht haben zu können, 
ich mehr: die Beſchneidung am achten Tage, die Abkunft aus Ifrael, 
aus dem Stamme Benjamin, Hebräer aus Hebräern, betreffend das 
Befe ein Phariſäer, nach dem Eifer ein Verfolger der Kirche, nach 
der Gerechtigkeit, wie fie auf dem Geſetze beruht, untadelig; aber was 
mir Gewinn war, das halte ich wegen Chriftus für Derluft. Ich er: 
achte nun alfo, daß mir alles Derluft ſei wegen des Überragens der 
Erkenntnis Chriſti unſeres herrn, um deſſentwillen ich alles eingebüßt 
habe und für Kehrricht achte, damit ich Chriſtum gewinne‘ (Phil. 3, 
4—8). Denn wenn er dem ärgſten Ruswurfe ... ſogar die von Bott 
für eine beſtimmte Zeit gegebenen Vorteile des Geſetzes verglich, weil fie 
Binderniffe waren der Erkenntnis Chriſti und der Gerechtigkeit 
in ihm, und der Gleichgeſtaltung mit feinem Tode (Phil. 3, 9f., 
was ſoll man dann fagen von den Urteilen von menſchen? Und 
wozu bedarf es unſerer Auseinanderfegungen und der Beiſpiele det 
heiligen, um die Darlegung glaubhaft zu machen? Man kann ja die 
Worte des herrn ſelbſt vorlegen und durch ſie die furchtſame Seele 
überführen, indem er unzweifelhaft und unwiderſprechlich bezeugt: ‚fo 
alſo kann keiner von euch mein Jünger fein, der nicht all dem Sei- 
nigen entfagt‘, und indem er anderswo nach den Worten, willſt du 
vollkommen fein‘ zuerſt fagt: ‚gehe hin, verkaufe das Deinige und 
gib es den Armen‘! und dann ‚komm und folge mir‘ hinzufügt. Und 
das Gleichnis vom Kaufmann zielt, wie jedem Wohlgeſinnten feſtſteht, 
eben dahin. ‚Ähnlich if‘, heißt es nämlich, ‚das Himmelreich einem 
Raufmanne, der ſchöne Perlen fucht; als er eine koſtbare Perle fand, 
ging er hin, verkaufte alles, was er hatte, und kaufte fie‘ (Matth. 1,40). 
Denn es iſt klar, daß die koſtbare Perle als Bild des himmliſchen 
Reiches angewendet worden iſt, das uns unmöglich zuteil werden kann, 
wie das Wort des herrn zeigt, wenn wir nicht alles uns Zugehörige 
1 Zufammenhang von „entſagung“ und „Vollkommenheit“. 


3 74 


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283 


zugleich, Reichtum, Ruhm, Abkunft! und was ſonſt noch unter das 
zählt, was von vielen am eifrigſten geſucht wird, zu deſſen Eintauſch 
fahren laſſen. 

„Daß es ſodann aber auch unmöglich iſt, wenn der Geiſt auf ver⸗ 
ſchiedene Sorgen zerteilt? iſt (1 Kor. 7, 33), das Tingeftrebte zu be⸗ 
werkſtelligen, hat der Herr erklärt, indem er ſagte: ‚niemand kann 
zwei Herren dienen‘ und wiederum: ‚ihr könnt nicht Gott dienen? und 
dem mammon (Matth. 6, 24). Einen Schatz alſo, den himmliſchen, 
müffen wir erwählen, damit wir bei ihm unſer herz haben. ‚Denn 
wo‘, fagt er,, dein Schatz iſt, da wird auch dein Herz fein‘ (Matth. 6, 21). 
Wenn wir uns alſo irgend ein irdiſches Beſitztum und eine vergäng⸗ 
liche habe vorbehalten, muß, weil der Geift darin wie in Schlamm 
verſank, die Seele des Schauens Gottes! bar und für das Verlangen 
nach den himmliſchen Schönheiten und nach den uns in den Ver⸗ 
heißungen hinterlegten Gütern? unempfindlich ſein, deren Beſitz uns 


unmöglich werden kann, wenn kein ungeteiltes und ſtärkeres Verlangen 


uns zur Bewerbung um ſie antreibt und die Mühen“ um ſie erleichtert. 

„Es ift alfo die Entſagung, wie die Darlegung gezeigt hat, Uöſung 
von den Banden dieſes ſtofflichen“ und zeitlichen bebens und 
Freiheit von den menſchlichen Derhältniffen, und fie macht tauglicher 
zum Beginn des Weges zu Gotts. Sie iſt eine unbehinderte Gelegen⸗ 
heit zu Erwerb und Gebrauch der kioſtbarkeiten ‚über viel koſtbares 
Sold und Edelgeſtein (Bf. 118, 127). Und um es mit einem Worte 
zu fagen, Überführung des menſchlichen Herzens zur Vebensweiſe im 


1 PDgl. zu dieſer Dreiheit: Die Güterternare, ‚forma, genus, virtus‘; ‚forma, divitie, 
virtus‘ und Verwandtes in antiker, altchriſtlicher und mittelalterlicher Literatur von 
C. Weyman. Feſtgabe A. Knöpfler, Freiburg 1917, 5. 384 — 402. 

? Das Mönchtum ſoll das „ungeteilte Geben“ fein, das der Apoſtel ſchildert. 

Das Mönchtum „Dienſt Gottes“. 

Die Afzefe ſoll die Kontemplation vorbereiten. Ugl. Bened. Monatſchr. II (1921), 
S. 91f. 

s Die „Hoffnung der künftigen Güter“ unterſcheidet ſchon nach Klemens v. Alex. 
den chriſtlichen „Snoſtiker“ vom heiönifchen Philoſophen. Strom. VII 11, 63. 2, Stählin 
III 45, 24. Das Motiv z. B. Dita 8. Bachomii, Acta Sanctorum Boll. Maii t. III 
(Antwerpen 1680) pag. 31* A/B, 42“ C, 49“ A. ’ErıotoAn Auu¾eüg ib. 63* F. Die 
überweltliche Gefinnung im Streben des Mönches, deren Grundlage das Evangelium 
ift, gehört zu den pfuchologiſchen Wurzeln der Anſchauungen vom „himmliſchen“, 
„engelhaften“ Geben und der Berührungen mit gnoftifhen Gedankenkreiſen. 

® zövor, Bezeichnung für die aſzetiſche Gebensweife. 

'Das Mönchsleben Aus, vom Materiellen losgeſchält; vgl. Basil. serm. ascet. 
Pg 31,881 B/ C. Zu dieſen und ähnlichen Ausdrücken bei Bafılius vgl. A. Dirking, 
8. Basilii M. de divitiis et paupertate sententic (Diſſert.) Münfter 1911. 

Das Mönchtum „Weg zu Gott“ vgl. Reitzenſtein, hist. mon. (Göttingen 1916) 
50, 7; 67, 5. Derſelbe, Des Athanaſtus Werk über Antonius (Heidelberg 1914) 
36, 2. Reg. 8. Benedicti prol. und ſonſt mehrfach. 


284 


Himmel!, fo daß man ſagen kann, ‚unfer Wandel (unſer Bürgertum) 
iſt im Himmel?. Und was das Größte ift, Anfang der Derähnlichung 
mit Chriftus?, der um unſeretwillen arm wurde, da er reich war 
(2 kor. 8, 9). Wenn wir dieſe nicht durchführen, iſt es unmöglich, 
daß wir Anteil nehmen am Wandel nach dem Evangelium Chrifti‘. 
Denn wann kann die Zerknirſchung des Herzens oder die Demut des 
Sinnes oder die Entfernung des Jornes und der Trauer und der Sorgen 
und mit einem Worte der verderblichen beidenſchaften der Seele? in 
Reichtum und weltlichen Sorgen, Anhänglichkeit und vertrautem Um—⸗ 
gang mit anderen erreicht werden? Durchaus aber, wenn auch nicht 
des Notwendigen wegen ſich zu ſorgen geſtattet iſt, als der Nahrung 
und der Kleidung wegen, welcher Grund wird dieſem erlauben, wie 
von Dornen feſtgehalten zu werden von den ſchlechten Sorgen des 
Reichtums, die das Fruchttragen des vom Bebauer unſer Seelen ein= 
gefenkten Samens verhindern? Da unſer Herr ſagt: ‚die aber in die 
Dornen geſät werden, das bedeutet die, die von den Sorgen und den 
Reichtümern und den Vergnügungen des Lebens erſtickt wurden und 
keine Frucht bringen“ (Cuk. 8, 14). 

Zu bemerken iſt zunächſt, daß Baſilius dieſe „Entſagung“, deren all⸗ 
gemeinen Inhalt er hier fo erſchöpfend zergliedert, in aller Form als 
verpflichtende Juſage, als homologie dem, der in das Klofter ſoll auf- 
genommen werden, abverlangt wiſſen will. Wir haben hier alſo beſtimmt 
und unzweideutig eine neben der Einkleidung ſtehende „Profeß“ vor uns. 

Stellen wir ihren Charakter alsbald aus den „Regeln“ feſt. Die 
14. der „ausführlichen Regeln“ gibt uns weitere Anhaltspunkte. Schon 
die Überſchrift kennzeichnet die Homologie als Derfprechen an Gott, 
als die ökoroyia mpös Yeöv der früheren Mönche: „Don denen, die 
ſich Gott verſprochen haben (Exvrods v den xadonoXoynoapevwv), und 
nachher es wagen, dies Derfprechen (nv ono) zunichte zu machen“. 

Mönchtum iſt „himmlifches“ oder „engliſches“ Geben, (Bios obpavıos oder Ayyedıxdcı. 
gleicht dem Geben der Überwelt durch Entfagung. | 

? Es bedarf kaum des hinweiſes, daß die Entfagung nach Baſtlius die Gottes liebe 
zum Jiele hat. Reg. fus. 1,2; 5, 2. Dieſe Auffaffung beſtimmt die Anorönung der 
„ausführlichen Regeln“; 1 und 2 Liebe Gottes, 3 Liebe des Nächſten, 4— 6 die erften 
Mittel: Sottesfurcht, Wandel in Gottes Gegenwart, Einſamkeit, 7 bis Schluß: Die 
Rlöfterliche Gebensweife als Mittel (Eintritt 8 — 15; Enthaltfamkeit 16— 23; Derfalfung 
und Einzelheiten 24 — 55). 

® ouuusppwaors Xprotod, was Mönchsleben iſt. Jur imitatio Christi im Mönchs⸗ 
leben vgl. aus zahlloſen Stellen 3. B. Pl.⸗Clemens de virginit. I 6, 1 Funk; 7, 1. 
Afrahat hom. (337 — 345 verfaßt) 7. Bert T. u. U. III 102. Basilius de renunt. 
saec. 10 Pg 31, 643 B. 


gl. „unter der Führung des Evangeliums“ Reg. 8. Benedicti, prol. 
gl. Caffian. coll. IX 12” und Inst. cœnob. IV 35 (Gehre von der conversio morum). 


La en 4 


285 


In der „Antwort“ heißt es: „Jeden ſolchen, der in die Brüderſchaft 
aufgenommen wurde und nachher die Homologie bricht, muß man 
anſehen als einen, der gegen Gott geſündigt hat, vor dem und auf 
den hin (2p’ od Kl eig 6v = dem) er das Derfprechen der Verträge 
abgelegt hat.“ Das Verſprechen und die Verträge richten ſich alſo an 
Bott; nicht die Brüderſchaft ift die Gegenſeite. Weiter heißt es in der 
Antwort: „Denn wer ſich Bott zum Opfer gebracht hat und dann zu 
einem anderen Geben abweicht, iſt ein Tempelräuber geworden, da 
er ſich ſelbſt geſtohlen und das Opfer, das Gottes ift, geraubt hat“. 

Schalten wir nunmehr das Zeugnis aus dem „kanoniſchen Briefe“ 
an Amphilochius ein (Brief 199). Es iſt die oft angeführte Stelle: 
„Homologien von Männern aber lernten wir nicht kennen; es ſei 
denn, daß ſolche ſich in die klaſſe der Mönche eingereiht haben. 
Dieſe ſcheinen ſtillſchweigend zur Cheloſigkeit ſich verpflichtet zu 
haben. Ich bin aber durchaus der Meinung, daß es zuträglich ſei, 
wenn auch bei ihnen vorangeht, daß fie befragt? werden und ihnen 
die ausdrückliche homologie abgenommen wird“ (c. 19). Im vorher⸗ 
gehenden Kanon behandelt Baſilius die Frage, welcher kirchlichen 
Strafe jene gottgeweihten Jungfrauen anheimfallen follen, die ihre 
„Homologie der Jungfräulichkeit“ gebrochen haben. 

Baſilius iſt alfo zu der perſönlichen Nuffaſſung gelangt, daß auch 
die Bewerber um das Mönchtum vor ihrer Aufnahme nicht bloß wie 
bisher ſtillſchweigend, ſondern beſſer ausdrücklich; eine Homologie, 
zum mindeſten der „Eheloſigkeit“, ablegen ſollen. Die „Regeln“ 
(br. 2. u. f. 8.) zeigen uns, daß er für feine Klöfter noch weiter ge- 
gangen iſt: er hat auch eine Homologie (xoòg Yesv vor Gott) der in 
der „Entſagung“ ihrem Begriffe! nach enthaltenen Pflichten vor der 
Aufnahme ins Kloſter verlangt, wenn nicht nach feiner Nuffaſſung 
in der snodoyix rapteviac, AV (Gelübde der Jungfräulichkeit, 
Ehelofigkeit) eben jene „Entſagung“ mit ihren einzelnen Inhalten 
eingeſchloſſen, alſo im Gelübde der gungfräulichkeit und ee 
mitverſtanden ift°. 

I Bafılius betont gern den Opfergedanken in der Selbſthingabe des Mönds durch 
die Profeß; vgl. unten 8. 287; Pg 31, 872 D; 873 A. 

? Zur Befragung ſ. „Beiträge zur Geſchichte des alten Möndtums und des Bene⸗ 
diktinerordens“ 5. 3 I, Münfter i. W. 1912, 8. 3 und 0. Gradenwitz, Einführung 
in die Papuruskunde. Geipzig 1900, 8. 137 f. 

Über die ſpätere Bedeutung der professio tacita ſ. R. Molitor, Religiosi iuris 
capita selecta, Regensburg 1909, 8. 147 — 161. 

8. Bened. Monatſchrift IV (1922), 8. 21; III (1921), 8. 89f. 


5 xapdevia wird in der aſzetiſchen Giteratur, beſonders des Mönchtums, oft neben 
dem eigentlichen, engeren Sinne in einem allgemeineren genommen und bedeutet 


236 


Baſilius betrachtete diefe homologie als lebenslänglich bindend vor 
Gott, vor der kirche und vor dem eigenen Gewiſſen. Ihre Verletzung 
ift Frevel am Heiligtum und ſoll kirchlicher Strafe und Buße unter: 
worfen werden. Denn Baſilius will mit ſeiner Beſtimmung, daß an 
die Stelle eines ſtillſchweigenden Gelöbniſſes das ausdrückliche trete, 
eben die Möglichkeit eines Einſchreitens der Kirche gegen Wortbrüchige 
ſichern, um eine Sühne herbeizuführen. Es lag alfo in feiner Dor- 
ſchrift eine ausdrückliche Verpflichtung zur lebenslänglichen Beſtändig⸗ 
keit eines Mönchs in feinem Berufsleben vor’. Die Beftändigkeit 
im Rlofter kommt in Derbindung mit der Profeß in Reg. fus. 36 in 
folgender Wendung vor: „denen, die da ſich einmal das gemeinfame 
ZJuſammenleben verfprochen haben, ift es nicht erlaubt, ohne weiteres 
ſich zu entfernen“. Danach gab der neu Nufzunehmende auch ein 
Derfprehen an feine künftigen Mitbrüder ab, mit ihnen ein gemein⸗ 
ſames Leben zu führen. Baſilius legt dann das Bindende dieſes Der- 
ſprechens näher dahin feſt, daß nur ein Grund die Trennung von der 
Brüderfchaft zuläſſig mache, zudem nur nach einem genau beftimmten 
Verfahren: ſicherer, nicht bloß angenommener Schaden der eigenen 
Seele infolge unverbeſſerlicher Übelftände im kiloſter. In welcher Form 
das Derfprechen dieſer Beſtändigkeit gegeben wurde, entzieht ſich unferer 
kenntnis; ebenſo bleibt unbeſtimmt, ob es am Weſen der übrigen 
Homologie, die nach Baſilius ein Derfprechen vor Gott und Gott gegen⸗ 
über iſt, teilnahm, oder ob es nur ein einfaches Derfprechen unter 
menſchen, der Brüderſchaft gegenüber, war. 

Ein weiterer Text in den „ausführlichen Regeln“ (15. Frage) macht 
uns in etwa mit der äußeren Handlung der baſiljaniſchen Profeß 
bekannt. Es kommt hier das Alter bei der Profeß zur Sprache. 
Bafılius äußert ſich zunächſt über die Annahme von Rindern, die in 
dann das afzetifdye, gottgeweihte beben ſelbſt; Baſtlius M. serm. ascetic. Pg 31, 
872 B: änas 5 Blog x 7 Con nal , N mapteveuerv de., Wandel, Geben und 
Sitte: alles muß jungfräuli fein. Im einzelnen ausgeführt ib. 874; moral. 77, 
ib. 857 C und 80, ib. 860 f. Pf.-Clemens de virginitate I 3 Funk-Diekamp,, 
Patres apostolici II 8. 5, 5; Gregor von Hyffa xepl zapdevias 18 III Pg 46, 393 A f., 


ſ. F. Diekamp, Die Gotteslehre des hl. Gregor von Nuſſa, I Münfter 1896, 8. 49 —52. 
Den philoſophiſchen und patriſtiſchen Sprachgebrauch von rape vl (u. Ayvela, !yxpdreıa. 


swaposuvn) verfolgt F. Bickel, Diatribe in Senecc Philos. fragm. I Geipzig 1913, 


8. 204 — 210; einiges bei Reitzenſtein 5. mon. und 8. laus. 8. 103, 1 (die doppelte 
dei, zarı ο.· und zara buxnv = = dre, bei Porphyrius de abstin. II 45, wo 
auch der Opfergedanke der d yvsla) und 8. 257 (Uachtrag: Cicero de leg. II 24; Philo. 
Quest. in Genes. IV 99 p. 323 A; Caffian Inst. VI 4) 

ı 5. den Juſammenhang der ep. canon. l. c. drornnöncag ͤ Nusführl. Regeln 14. 

? Gegenſatz: rpüs AAdov Plov. 

I zoug ya N AN nattnnodoyrozpivoue AAANAoıs IV EN TO ar Leunv Aötapdpwms 
va rf ob, oké te. 


— Anne Tr ̃²˙·¹ĩ1˙üu³ꝛ¹r¼ʃ̃¾%⁵ͤ!ßtt. ˙1ĩ Mn 2 ˙²¹.ꝛmꝛ ⅛˙1 . ˙ RLT Ä 


S ZN Zu 


287 


das Rlofter aufgenommen werden follen, und über deren Erziehung 
und Bildung: hat dieſe ihr Ziel erreicht, „ſo muß man die Homologie 
der Jungfräulichkeit zulaſſen, da ſie nunmehr zuverläſſig genug iſt 
und aus eigenem Entſchluß und Urteil hervorgeht nach erreichtem 
vollem Gebrauche der Vernunft. Danach werden dann auch Ehren 
und Strafen den Fehlenden oder den richtig Handelnden von dem 
gerechten Richter zuteil werden, je nach dem Werte der Werke. Zu 
Jeugen aber der Willenserklärung (von) ziehen wir die Dorfteher 
der Kirche bei, auf daß durch fie die Keuſchheit des Leibes wie ein 
Opfer Gott geweiht werde und ebenſo der Vorgang ſeine Bekräftigung 
erhalte durch das Zeugnis .., denn fo wird das berechtigte Tun der 
Brüder zu Schmähungen keinen Anlaß bieten, und denen, die ſich 
Gott verſprechen und dann wagen, das Verſprechen zurückzunehmen, 
wird kein Vorwand übrig bleiben, ohne Scheu fo zu handeln. Wer 
aber das Leben des Jungfräulichkeit nicht auf ſich nehmen will, da 
er nicht vermag ‚auf das zu ſinnen, was des Herrn iſt (1 Kor. 7, 32), 
ſoll vor den gleichen Zeugen entlaffen werden. Hat nun einer nach 
vieler Unterſuchung und Prüfung, zu der man ihm viele Tage hin⸗ 
durch gebührender Weiſe Gelegenheit geben muß, damit es nicht den 
Anſchein gewinne, als geſchehe von unferer Seite etwas wie ein Raub, 
das Gelübde abgelegt, fo muß man ihn fo aufnehmen und den Brü- 
dern beizählen, daß er in Zukunft an Wohnung und Nahrung mit 
den Dollkommenen Anteil hat.“ 

Ohne Zweifel gilt die hier beſchriebene Profeß zunächſt für ſolche, 
die als kinder in das Kloſter kamen: fie legen ebenfalls eine aus⸗ 
drückliche Homologie (der Jungfräulichkeit, oder, wahrſcheinlicher, unter 
dieſem Namen eine ſolche der „Entſagung“, des gefamten Mönchs⸗ 
lebens) ab; dieſer Akt findet vor den kirchlichen Oberen als Zeugen 
ſtatt, vielleicht nehmen dieſe auch durch irgend ein Gebet oder eine 
Handlung am Vollzug der Profeß teil (um „die Weihe der Opfergabe“ 
zu vollziehen). Die Zuziehung von Zeugen verordnet Baſilius aber 
auch bei der Aufnahme von Derehelichten zum „Leben der ce 
(vis &v & vs Lone)". 

Faſſen wir zuſammen, was uns die Zeugniſſe über die klöſterliche 
Profeß bei Baſilius berichten, ſo ergibt ſich folgendes: Baſilius ver⸗ 
langte eine ausdrückliche Profeß in Form der Homologie von allen, 
die in Brüderſchaften ſeiner Satzungen aufgenommen werden ſollen. 
Sie bezog ſich nach Reg. br. 2. u. f. 8. auf die „Entſagung“ im Sinne 
der mitgeteilten Inhalte; nach ep. 199, can. 19. umſchloß fie in Frage 

1 Ausf. Regeln 12. Pg 31, 949 A. 


238 


und Antwort die „Ehelofigkeit”, bei ſolchen, die als Kinder in das 
Rlofter kamen, die „Jungfräulichkeit“. Bei dieſen letzten zum min- 
deſten fand die Profeß vor den kirchlichen Oberen als Zeugen ſtatt, 
vor Zeugen auch die Profeß der Derehelichten!. 

Verzichten müſſen wir leider nach dem Stande der Quellen auf die 
Beantwortung der Frage, in welcher äußeren Formel etwa jene Der 
pflichtung auf die „Entſagung“ vor ſich ging. Frage und Antwort 
verlangt Baſilius von Mönchen bei dem Gelübde der „Ehelofigkeit”. 
War dieſes Gelübde, ſowie das der „Jungfräulichkeit“ nicht völlig 
dasſelbe, was Reg. br. 2. u. f. 8. als Gelöbnis der „Entſagung“ ge 
fordert wird, ſo muß irgendwie eine Form auch für dieſen Teil der 
Geſamtprofeß beſtanden haben. Moriſon hält es für ſehr wahrſchein⸗ 
lich, daß eben die Stelle des Evangeliums (Matth. 16, 24) ?, auf der 
die „Entſagung“ des chriſtlichen Mönchtums ſich aufgebaut hat, als 
Formula gebraucht wurde, die dem Bewerber in Frageform (als eine 
Frage oder in Teilfragen aufgelöft?) vorgelegt wurde, damit er feierlich 
feine Juſtimmung dazu kundgebes. Doch das läßt ſich nicht mehr 
feſtſtellen. 

Die baſilianiſche Seſamtprofeß beſtand alſo entweder aus einem 
einzigen Teil, der bald „Homologie der Entſagung“, bald „Homologie 
der Jungfräulichkeit“ oder „Ehelofigkeit” heißt; oder fie umfaßte zwei 
Hauptteile, wenn dieſe beiden Homdlogien voneinander verſchieden 
waren, was kaum anzunehmen iſt, wenn man die Inhalte des Ent⸗ 
ſagungsgelöbniſſes nach Reg. f. 8. ernſthaft in Betracht zieht, und wenn 
die Denkweiſe des hl. Baſilius über die pode vlc, das beben der Jung: 
fräulichkeit, hier mitſprechen darf. Eine geradezu frappante Ähnlid- 
keit, richtiger Gleichheit mit der Profeß des hl. Baſilius, wie wir fie 
nun kennen gelernt haben, zeigt die Profeßformel, die Johannes v. 
Antiochien um den Finfang des zwölften Jahrhunderts bietet: „Ich 

Von „vielen Zeugen“ bei der Profeß iſt auch die Rede Basil. ep. I ad mon. 
laps. Pg 32, 364 C. 

2 8. oben 8. 280. * E. F. Morifon, St. Basil and his Rule, Oxford 1912, 8. 91; 
offenbar nach J. M. Beſſe, Ges Moines d' Orient, Paris 1900, 8. 138. 


Bei Reitzenſtein, 5. mon. und 5. laus. 8. 258 (aus Cotelier, Eccl. grœc. mon. 
1165): daroraocop.ar yoveücıv, Ade Nꝙ OS, auyyevelars, pldoıs, auvädeoı, xv, brrapkenn, 
rij xev7j te xal parala Höovf re xa Öden, Rt drapvoöpnar ob h Taüca, AAN” Ert 
Ka Tv Epovroü duynv xard mv EvroAnv Tod xuplov, xal dronevo nacav t 03 
hovnpoug BIO xat puidrrw Zunuröv &v dyvela xal cap Neu xal dxınnoauvn ta mv 
Baoıkelav Tüv obpav@v xal napanivw Ti novasınpla xal ch daxhası She Eaydıns pon 
avarvoris. K. hat den Zufammenhang mit Bafilius nicht bemerkt, der unvergleichlich 
enger iſt als der mit Rufin, auf den R. verweiſt. Auch Baſilius knüpfte an die 
Taufformel an wie Johannes von A. in der Einleitung zu feiner Profeßformel (ſ. S. 280: 
„vor allem entfagen wir ja .. .); es ſeien noch zu raſcherer Vergleichung die baſi⸗ 


N 


289 


: entfage eltern, Brüdern, Verwandten, Freunden, Bekannten, Beſitztum, 


Vermögen, der leeren und eitlen Guft und Ehre, und ich verleugne 
nicht nur dies, ſondern auch meine eigene Seele nach dem Gebot des 
herrn und will jede Beſchwerde des Mönchslebens aushalten und 
mich in Keufchheit und Jungfräulichkeit und Beſitzloſigkeit bewahren 
wegen des Bimmelreihs und will im Kloſter verharren und in der 


: Iſdeſe bis zu meinem letzten Htemzuge.“ Der älteſten pachomianiſchen 
Übung gegenüber bedeutet die Profeß des hl. Baſilius einen Fort⸗ 


SE 3.7] 


a 


ſchritt von der ſtillſchweigenden zur ausdrücklichen, mündlichen Profeß 
(in Frageform) und eine weitere Ausgeftaltung durch Beiziehung der 


i kirchlichen Behörde zur ZJeugenſchaft und „zur Weihe der Opfergabe“ 


bei der Profeß von ſolchen, die als Kinder im Kloſter erzogen wurden, 
ſowie durch Einführung von Zeugen auch bei Profitenten, die aus 
dem Eheftand in das kiloſter eintraten. Ob Bafılius das Derfprechen 
der Beſtändigkeit im kloſter neu eingeführt hat, oder ob er es in 


Reg. f. 36 ſchon vorausſetzt und nur deſſen Ausführung regelt, läßt 


ſich nicht feſtſtellen. 


Die „Prüfung“, die wir bei Pachomius in Übung ſahen, ſchreibt 
auch Baſilius vor: Reg. f. 10; 11 (Sklaven); 12 (Verheiratete, über 
die Juſtimmung des anderen Ehegatten). Über die Einkleidung ſpricht 
ſich Baſilius nicht weiter aus, bringt aber die kleidung des Mönchs 
in Beziehung zur Profeß Reg. f. 22, 3; ſie „bezeugte das Gelübde des 
gottgefälligen Lebens“. 
lianiſchen Termini hier zuſammengeſtellt: önoAoyla Arorayfic, Vovetg, & dN o., olxe ot, 
ouyyevalaı suparızal, erarplaı avdpurwv, auvidera Blou, xrrjorg , p, öS parale, 
uloog tig ve, Sab dpvnoıs (Reg. f. 8); das Berſprechen der dyvel« (Reg. f. 12), 
der xapdevia (Reg. f. 15), des Derharrens im Kloſter (Reg. f. 36); das Motiv vom 


himmelreich [. 8. 283. 
? Dgl. über fie noch . Clarke, St. Basil the Great. A stuöy in monasticism. 


Cambridge 1913, 8. 107 ff. 


969% eee eee %%%%%%%%%%%%%%%%%%%%%%%%%%%%%%%%%%%%%%%%%%%ꝗ%%%%ꝗ%%%%%%%%%% % %%% %% % % % % % e %%%%%%%%%%%½%%%%%%%% %%% %%% %%% %%% %%% %%% 
%%% eee eee eee eee eee eee eee eee ee eee eee 


Ein Wort des hl. Auguftinus (+ 28. Aug. 430) 
von der heiligen Liebe. 


„Wie hocherhaben ift fie doch! Sie iſt der Lebensodem feiner Bil⸗ 
dung, die Kraft des Prophetenwortes, das Heil der Sakramente, die 
Feſtigung der Wiſſenſchaft, des Glaubens Frucht, der Reichtum der 
Armen, das Leben der Sterbenden.“ 

(Aus der 350. Predigt des hl. Auguftinus, 3. Abſchnitt: nach der Ausgabe der 
Mauriner; bei Migne, Patrol. Cat., 39. Bö., Paris 1861, Sp. 1535. Dieſe herrliche 


kurze Unſprache, betitelt „Dom bob der Giebe“, iſt uns überliefert von Abt Eugippius, 
dem Gefährten des hl. Donauapoſtels Severin und Feitgenoſſen des hl. Benedikt.) 


Benediktinifhe Monatfchrift IV (1922), 7—8. 19 


290 


Muſtiſche und magiſche Seelenvorgänge. 


Don P. Alois Mager (Beuron). 


s rächt ſich bereits, daß das Gebiet der Muſtik zu ausſchließlich 

der Theorie und Spekulation überlaffen blieb. Und dabei wagte 
ſich die Spekulation nur zögernd, unſicher, ja furchtſam in das wenig 
gekannte Land vor. Wir müſſen endlich die Entſchloſſenheit beſttzen, 
das Muſtiſche vor allem als einen ſeeliſchen Dorgang zu betrachten. 
Als ſolcher kann er zwar in feiner Derurfachung auf außerſeeliſche, 
übernatürliche Mächte zurückgeführt werden, in ſeiner Auswirkung 
aber überfchreitet er nicht den Rahmen der ſeeliſchen Geſetzmäßigkel. 
Nur von dieſer Seite her gibt es eine Möglichkeit, in das tatſächliche 
Weſen des Muſtiſchen wiſſenſchaftlich vorzudringen, unbeſchadet des 


übernatürlichen Anteiles, deſſen Beſtimmung Sache der Theologie bleibt. 


Solange wir darüber nicht zu einer Derftändigung kommen, werden 
wir hilflos den immer dringlicher werdenden Fragen gegenüberſtehen, 
die unſere okkultiſtiſch, theoſophiſch und zum großen Teil auch muſtiſch 
ſo tiefbewegte Zeit aufwirft. 

Die große Frage, die faſt alle anderen probleme heute in ſich ſchließt, 
lautet: Sibt es außer der Welt, die wir mit unſeren Sinnen und 
unſerem urteilenden und ſuſtematiſierenden Derftand unmittelbar er 
faſſen, noch eine höhere andersgeartete Welt? Gibt es Geiſtweſen: 
Bott, vom Leib geſchiedene Menſchenſeelen uſw.? Gibt es keinen an⸗ 
deren Weg, von Dafein und Weſensart Gottes und der Seele Kenntnis 
zu erlangen, als den über ſinnlich wahnehmbare Wirkungen? Holl der 
fireis des Erfahrbaren nur das ſinnlich Wahrnehmbare umſchließen? 
Soll ein Sichſelbſtbewußtwerden des Geiftes und ein unmittelbares 
Bewußtſein um Wirkungen höherer Weſen in der Menſchenſeele unter 
allen Umſtänden ausgeſchloſſen ſein? 

Okkultismus, Spiritismus, moderne Philoſophie geben vor, ein Weg 
zu fein, auf dem wir in unmittelbare Berührung mit einer Geiftwelt 
kämen. Und die Muſtik aller Jahrhunderte, was wollte fie anders 
fein, als das unmittelbare Bewußtwerden der Wirkungen, die Bott 
natürlich und übernatürlich in der Seele hervorbringt. Daß es eine 
Muſtik in dieſem Sinn gibt, beſtätigt uns die Kirche und die kirchliche 
Überlieferung aller Zeiten. Es gibt ein Erfahren Gottes im Innerften, 
Beiftigften der Seele, das weder ein begriffliches, aus den Sinnes* 
gegebenheiten ſchöpfendes Erkennen noch die Gottſchau der Seligen 
(visio beata) iſt. Darüber laſſen die Aufzeichnungen der Muftiker 
über ihr Erleben keinen Zweifel. Was aber die Erforſchung des 


EF ˙ A S 


291 


feelifhen Dorganges in der Muſtik ungemein erfchwert, ift der Um⸗ 
ſtand, daß vielfach Erſcheinungen damit verbunden find, die vom 
Pathologiſchen, Okkultiſtiſchen, modern Theoſophiſchen kaum zu unter⸗ 
ſcheiden find. Dieſe Tatſache war oft genug Anlaß, alles Muſtiſche 
mit mißtrauiſchen Augen zu betrachten. Es begegnete derfelben Gering⸗ 
ſchätzung, wie fie nicht mit Unrecht allem Magiſchen, Okkultiſtiſchen 
zuteil wurde. Muſtiker wurden vielfach in dieſelbe Reihe mit Pſucho⸗ 
pathen und mediumiſtiſch veranlagten Perſonen geſtellt. Die neuere, 


vom Experiment beſtimmte Pfychologie, die Pſuchoanaluſe, die Pſucho⸗ 
pathologie, deckten Urſachen und Juſammenhänge ſeeliſcher Erſchei⸗ 
nungen auf, die für immer in ein undurchdringliches Dunkel gehüllt 
zu fein ſchienen. Ermutigt durch die unbeſtreitbaren Erfolge, welche 


jenen jungen Wiſſenſchaften beſchieden waren, gewöhnte man ſich 
daran, überhaupt jede Art feelifcher Erſcheinung auf pfychologifche 


Faktoren als ihren Erklärungsgrund zurückzuführen. Auch das höchſte 
religiöfe, muſtiſche Erleben ſollte aus rein pfychifhen und phuſio⸗ 
logiſchen Elementen reſtlos begriffen werden können. Die ameri⸗ 
kaniſche Religionspſuchologie, die auf dieſer Grundlage aufbaut, gilt 
in weiteſten £reifen als eine Art Evangelium, das uns die Grund- 
typen vorführt, auf die wir alle ſeeliſchen Erſcheinungen des Religiöfen 
zurückbeziehen müſſen. „Die religiöſe Erfahrung in ihrer Mannig⸗ 
faltigkeit“ von William games (überſetzt von Wobbermin, Leipzig 


i 1907) wird in ihrem Grundriß als eine Norm betrachtet, von der 
kein Religionspſuchologe abweichen darf. 


Auch den okkultiſtiſchen und ſpiritiſtiſchen Erſcheinungen gegenüber 
nimmt heute nach Überwindung altererbter Abneigung die wiſſen⸗ 
ſchaftliche Forſchung eine andere Stellung ein. Sie werden zum Gegen⸗ 
ſtand experimenteller Unterſuchung gemacht. So beginnen auch hier die 
Schleier ein wenig ſich zu lüften. Alle bisherigen Ergebniſſe laſſen mit 


5 großer Sicherheit darauf ſchließen, daß im allgemeinen alle „magiſchen“ 


Erſcheinungen ihre Urſache nicht in einer überſinnlichen Welt, ſondern 
in der natur des Menſchen ſelber haben. Ludwig Staudenmaier, 
dem wir die erſten wiſſenſchaftlichen Derfuche auf dem Gebiet der 
Magie verdanken, ſchreibt: „Die nähere Überlegung zeigte mir dann 
auch zur Evidenz, daß es ſich bei mir, im allgemeinen wenigſtens, 
unmöglich um Geiſter handeln könne. ... Ihre (der Geiſter) ganze 
Gefinnung gegen mich iſt häufig fo vollſtändig von meiner jeweiligen 
mir fühlbaren Nervenſtimmung abhängig, daß offenbar der größte 
Teil der Urſachen der magiſchen Phänomene ohne weiteres in mir 
ſelber liegen mußte“ !. Und er findet die Urſachen in der phuſio⸗ 

Die Magie als experimentelle NUaturwiſſenſchaft. Zweite Aufl. Geipzig 1922, 8. 29. 

19° 


292 


logiſchen Grundlage des feelifchen Lebens, in den Tlervenzentren. An 
der Spitze ſteht ein oberſtes Tlervenzentrum. Seine pſuchiſche Tätig: 
keit kommt dem Menfchen unmittelbar zum Bewußtſein. Es bedingt 
das Selbſtbewußtſein oder „Oberbewußtſein“. Daneben gibt es noch 
eine Reihe anderer Nervenzentren. Ihrer Tätigkeit wird der Menſch 


nicht unmittelbar gewahr. Dieſe zuſammen bilden das Gebiet des 


Unbewußten oder Unterbewußten. 

Durch krankhafte Deranlagung oder Veränderung oder durch ſuſte⸗ 
matiſche Schulung können einzelne von dieſen Nervenzentren ſo ver 
ſelbſtändigt werden, daß ſie gleichſam als neue Perſönlichkeiten den 
„Oberbewußtſein“ gegenübertreten. Dieſe Perſonifikationen ſpielen 
die verſchiedenartigſten, aber immer einheitliche Rollen. Auch das 
Göttliche und Erhabene in uns kann zur Perſonifikation werden, die 
für Tugend und hohe Ziele begeiſtert (8. 37). Stellen ſich Halluzina⸗ 
tionen in den Dienft der Perſonifikationen, fo benehmen ſich dieſe wie 
Einzelweſen mit ausgeprägtem Eigenleben. Staudenmaier nimmt den 


Ausdruck Halluzination (hallucinari⸗ träumen, gedankenlos handeln) 


nicht bloß im bisherigen Sinn der Pfychiatrie für unfreiwillige Sinnes⸗ 
empfindungen, zu denen der äußere Reiz fehlt. Für ihn ſteht feſ, 
daß Halluzinationen freiwillig und willkürlich durch Übung hervor: 
gerufen werden können. Normal kommen Sinnesempfindungen de 
durch zuſtande, daß ein phuſiſcher Reiz das Sinnesorgan erregt. Die 
Erregung pflanzt ſich auf den Nervenbahnen bis zu einem hirnnewen⸗ 
zentrum fort, wo die ſeeliſche Empfindung ausgelöft wird. Halluzina⸗ 
tionen entſtehen auf dem umgekehrten Weg; das Birnnervenzentrum 
wird künſtlich erregt. Dieſe Erregung teilt ſich durch Nervenleitung 
dem Sinnesorgan mit. Die Erregung des Sinnesorganes kann [0 


ß ˙ . ßßß̃Rꝗ9“ . ̃ĩ ur. Aus 


fein, daß fie auf das phuſiſche Medium, z. B. den Äther, die Guft, über 


geht. So werden objektiv Farben und Töne erzeugt. Die Halluzino- 
tionen werden im Raum vergegenſtändlicht. | 

Mit einer gewiſſen Selbftverſtändlichkeit drängt ſich die Dermutung 
auf, als wären mit der Erklärung der Perfonifikationen und hallu⸗ 
zinationen alle Elemente gegeben, um die muſtiſchen Seelenvorgänge 
im beben unferer heiligen wiſſenſchaftlich zu beſtimmen. Es herrſcht 
in den Kreiſen der Gebildeten eine ausgefprochene Neigung, himmliſche 
Befichte, göttliche Anſprachen, von denen die Muſtiker aller Zeiten 
erzählen, in denſelben Rahmen ſeeliſcher Urſachen und Wirkungen 
einzufpannen, wie die Erſcheinungen der Magie. L. Staudenmaier 
warnt nicht bloß Theoſophen, ſondern auch muſtiſch veranlagte Per: 
ſönlichkeiten, den inneren Erfahrungen, Eingebungen und Stimmen 


11 Gi 12 


298 


allzu großes Vertrauen zu ſchenken, weil es ſich dabei meiſtens um 


= fubjektive Äußerungen ihres Unterbewußtſeins handle (8. 145 Anm.). 


Die Möglichkeit muß ohne weiteres zugegeben werden, daß viele 


: Seelenvorgänge, die man anfangs für muſtiſch hielt, aus bloß pfy- 
cghiſchen Urſachen entſprangen. Die ſeeliſchen Erſcheinungen der echten, 


kirchlichen Myftik wurden immer als von Gott verurſacht angeſehen. 


Und doch ſetzt die berühmte kanoniſationsbulle Benedikts XIV. vor⸗ 


aus, daß ſelbſt Heilige Offenbarungen haben können, die nicht von 


Bott ſtammen, ſondern aus ihrem eigenen Urteilsvermögen und Gemüt 
geſchöpft ſind. Wir laſſen dieſe Frage zunächſt offen. 

Wir fragen uns vielmehr: Sind die Anſprachen, Geſichte, wie fie 
bei den Muſtikern fo häufig wiederkehren, nichts anderes, als Gehörs⸗ 


-: und Geſichtshalluzinationen? Gilt ſchlechthin der Satz: „Je tiefer 


man von göttlichen, erhabenen, religiöfen Gefühlen ergriffen iſt, deſto 
deutlicher nimmt man göttliche, erhabene, himmliſche Beftalten wahr ..“? 
„ (Staudenmaier 8. 143). Es ift nicht ausgefchloffen, daß Seelenvor⸗ 


gänge auch im beben der Heiligen nicht muſtiſcher, ſondern magiſcher 
natur waren, ganz zu ſchweigen von vermeintlichen Heiligen und 
Scheinmuſtikern. 

Die hl. Therefia war fi wohl bewußt, wie leicht Täufchungen in 


muſtiſche Seelenvorgänge ſich einſchleichen können. Sie unterſcheidet 
dem Urſprung nach drei Arten von Anſprachen und Geſichten: 1. 


die von Gott ſtammenden 2. die vom böfen Geift bewirkten 3. die 
aus unferer eigenen ſeeliſchen und organiſchen Derfaffung entſprungenen. 
Die dritte Art gehört ohne Zweifel in dieſelbe Reihe wie die magiſchen 
Halluzinationen. Die Heilige gibt Merkmale an, die erkennen laſſen, 
woher die Erſcheinungen im Einzelfall ſtammen (Geben, Rap. 25 ff). 
Sie offenbart dabei eine Feinheit der Beobachtung, die für eine 


pſuchologiſch einwandfreie Juverläſſigkeit bürgt. Wir haben nicht die 


Abſicht, hier den göttlichen Urſprung der muſtiſchen Erſcheinungen nach⸗ 
zuweiſen. Darüber geben die Schriften der hl. Thereſia und die heilig⸗ 
ſprechungsbulle Benedikts XIV. erſchöpfend Nufſchluß. Uns kommt 
es nur darauf an, muſtiſche und magiſche Erſcheinungen als ſeeliſche 
Vorgänge einander gegenüber zu ſtellen, um die Unterſchiede zu be⸗ 
ſtimmen, die beide von einander trennen. Nur eine Bemerkung müſſen 
wir einſchieben, die gewiſſen Mißverſtändniſſen vorbeugen ſoll. Es 
kann auch muſtiſche Erſcheinungen geben, die nach ihrer rein pſu⸗ 
chiſchen Zuſammenſetzung auf derſelben Stufe mit magiſchen Phäno⸗ 
menen ſtehen. Ihrem Urſprung nach aber unterſchieden ſich beide 
weſentlich. Anſprachen, die mit leiblichen Ohren gehört, Geſichte, die 


294 


mit leiblichen Augen geſchaut werden, können von Bott verurfadt 
ſein. Sie gelten dann mit Recht als muſtiſch. Magiſch wären ſie 
nur, wenn fie durch bloße natürliche Erregung der Hirnnervenzentten 
hervorgerufen würden. Trotz der Gleichartigkeit im ſeeliſchen Aufbau 
unterſcheidet ſich auch dieſe kategorie muſtiſcher Erſcheinungen deut⸗ 
lich von den magiſchen. Die magiſchen Dorgänge werden vom Sub: 
jekt als von ihm abhängig empfunden. Es iſt ſich ſeines Zuſtandes 
als eines anormalen bewußt. Phuſiologiſche Ermüdung und Erſchöpfung 
find die unausbleiblichen Folgen von Halluzinationen. Das geiſtige 
Niveau wird herabgedrückt. Der Inhalt der Halluzinationen iſt ſttt⸗ 
lich, kulturell, religiös ſinn⸗ und wertlos, wenn nicht geradezu ſchädlich. 
Die muſtiſchen Dorgänge werden vom Subjekt deutlich als von ihm 
ganz unabhängig erkannt. Das innere Verhalten verrät nichts Anor- 
males. Das ſeeliſche Niveau erfährt eine ungemeine Erhöhung. Alles 
tritt in den Dienſt des großen Zweckes, den die Offenbarungsreligion 
verwirklicht, der erhabenen Ziele, denen das Reich Gottes zuftrebt. 

Die hl. Thereſta ſpricht noch von einer weiteren Stufe von An 
ſprachen und Geſichten, die rein pſuchiſch in vielen Punkten ſich mit 
magiſchen Halluzinationen berühren können. Es find die fogenannten 
„imaginären“ Anſprachen und Geſichte. Die Art und Weiſe, indes 
wie fie Therefia in ihren Schriften ſchildert, überzeugt uns, daß fie 
auch rein pſuchologiſch weit über den Rahmen des Halluzinatoriſchen 
hinausreichen. Während der Halluzinant in einem Erregungszuftand 
ſich befindet, der bald in einen Erſchöpfungszuſtand, oft ſogar in einen 
FJuſtand gänzlicher Demoraliſation übergeht, wirken die „imaginären 
Anſprachen und Geſichte körperlich beruhigend, erfriſchend, das geiſtige 
Tätigfein bis zum höchſten ſteigernd, ſittlich und religiös ungemein 
fördernd. Beim Halluzinanten finkt das geiſtige Bewußtfeinsniveau, 
im Muſtiker ſteigt es. Es iſt eine entgegengeſetzte Zielrichtung, in 
der ſich beide bewegen. 

Die Muſtik aller Zeiten berichtet von ſeeliſchen Vorgängen, die in 
ihrem pſuchiſchen Aufbau gar nichts mehr gemeinſam haben mit den 
magiſchen Erſcheinungen. Wiederum befchreibt fie die hl. Therefia mit 
ihrer einzigartigen inneren Beobachtungsgabe ſo klar und beſtimmt, 
daß wir an ihrer Wirklichkeit und Echtheit mit Grund nicht zweifeln 
können. Eine Pſuchologie allerdings, die von Anfang an vorausſetzt, 
daß es ſeeliſche Dorgänge, die nicht an phuſtologiſche gebunden find, 
überhaupt nicht gibt, wird dieſe Art muſtiſcher Erſcheinungen von 
vornherein ablehnen. Und ſelbſt wenn fie die Tatſache zugibt, wird 
fie nicht eher ruhen, als bis auch für fie phuſtologiſche und pſucho⸗ 


295 


phuſiſche Gegenftücke gefunden find. Ich erinnere nur an die naiv 
anmutende Erklärung des „Gefühles der Gegenwart Gottes“, als deckte 
es ſich mit Organempfindungen, die das ſogenannte „Anweſenheits⸗ 
erlebnis bedingen. Man könnte einwenden, die Abhängigkeit des 
Seeliſchen vom beiblichen ſei ſo fein geſponnen, daß ſie einer unge⸗ 
ſchulten Beobachtung ſich völlig entzöge. Die hl. Thereſia aber ſpricht 
fi) fo beſtimmt über dieſe höchſte Stufe muſtiſcher Vorgänge, über 
die ſogenannten „intellektuellen“ Anſprachen und Geſichte aus und 
unterſcheidet fie fo ſcharf von den „imaginären“, daß wir nicht be⸗ 
rechtigt ſind, aus wiſſenſchaftlicher enen willkürliche 
Umdeutungen vorzunehmen. 

Bei den „imaginären“ Anſprachen und Gefichten wird nach der 
Heiligen nichts mit leiblichen Ohren oder leiblichen Augen wahr: 
genommen. Die Wahrnehmung geſchieht geiſtig, obwohl der Gegen⸗ 
ſtand ſinnlich if. An den intellektuellen Anſprachen und Geſichten 
iſt kein ſinnlich wahrnehmbarer Gegenſtand beteiligt. Es finden nicht 
nur keine Erregungen der Sinnesorgane oder des Organismus ſtatt, 
das KRörperlich⸗Sinnliche iſt vielmehr in voller Ruhe und ſogut wie 
ausgeſchaltet. Es ſtellt ſich Reine Ermüdung und Erſchöpfung der 
nerven ein. Vielmehr erholt und erfriſcht ſich der körperliche Orga⸗ 
nismus. Dieſe Tatſache beweiſt mit unbedingter Sicherheit, daß jene 
Art muſtiſcher Vorgänge nicht im Bereich der inneren Sinne noch in 
dem des ſchlußfolgernden Denkens, ſondern in einer rein geiſtigen 
Sphäre ſich abſpielt. Die Tätigkeit der äußeren und der inneren 
Sinne folgt einer Geſetzmäßigkeit, welche die moderne Pſuchologie zum 
Weber⸗Fechnerſchen Geſetz formulierte. Sie läßt ſich in einer loga⸗ 
rithmiſchen kurve darſtellen, d. h. fo ſtark ein Reiz auch wirken mag, 
die Empfindung ſteigt nur bis zu einem gewiſſen Punkte, läßt nach 
oder das Organ wird zerftört. Gilt dieſes Geſetz auch nicht von der 
Derftandestätigkeit an ſich, fo wird fie doch mittelbar davon in Mit⸗ 
leidenſchaft gezogen. Die Derftandestätigkeit iſt weſensmäßig an die 
Gegebenheiten der inneren Sinne gebunden. Die inneren Sinne aber 
unterliegen dem Geſetz der logarithmiſchen Kurve. Darin liegt der 
Grund, warum das Denken ermüdet und zur Zerſtörung vom Hirn⸗ 
nervenzentren führen kann. Daher kommt es auch, daß die Phantaſie 
und daher auch der Derftand ſich nicht lange mit einem und demſelben 
Gegenftand beſchäftigen kann. Es würde bald in die pathologiſche 
Erſcheinung der fixen Idee uſw. ausarten. 

nach ausdrücklicher und wiederholter Derficherung der hl. Therefia 
können intellektuell⸗ muſtiſche Seelenvorgänge lange Zeit, ja Jahre 


296 


hindurch andauern, ohne daß anormale Erſcheinungen ſich zeigten. 
Reine Ermüdung oder krankhafte Erregung, kein Nachlaſſen der gei⸗ 
ſtigen Tätigkeit, ſondern erholende Ruhe, fortwährendes Steigen des 
geiſtigen und ethiſchen Niveaus ſind die Folgen der „intellektuellen“ 
Anfprachen und Seſichte. Die hl. Thereſia geht ſogar fo weit, zu be 
haupten, daß weder in den Seelenkräften noch in den Sinnen irgend 
eine Bewegung ſtattgefunden hätte. Wer den Geiſt und die Sprache 
der heiligen Spanierin kennt, weiß, daß dieſe Abweſenheit jeglicher 
Bewegung nicht quietiſtiſch zu verſtehen iſt. Im Gegenteil: Die Seele 
wirkt ſich hier in einer Gebenstätigkeit aus, die an Feinheit und Stärke 
unvergleichbar hoch über die gewöhnliche Seelentätigkeit hinausragt. 


Was fie ſagen will, iſt nur, daß die Seele hier weder durch die 8inne 


noch durch ſchlußfolgerndes Denken tätig ift. Sie iſt alſo nur — das 
ift logiſch der einzig mögliche Schluß — als reiner Geift tätig. Wie 
wir anderswo ſchon wiederholt ausführten, erkennen wir das Weſen 
des Muſtiſchen überhaupt in der Tätigkeit der Seele als reinen Geifts. 


Damit wäre eine ſcharfe Scheidelinie zwiſchen muͤſtiſchen und me 


giſchen Seelenvorgängen gezogen. Die muſtiſchen Erſcheinungen ſetzen 
eine geiſtige Seele voraus, deren Selbſtändigkeit und Geiſtigkeit zwar 
nicht dem Sein, wohl aber der Tätigkeit nach hienieden ſchon unab⸗ 
hängig vom Leib ſich äußern kann. Die magiſchen Erſcheinungen 
beſchränken ſich darauf, daß die Tätigkeit der Seele eine bloße Funktion 
phuſiologiſcher und pſuchophuſiſcher Dorgänge iſt. Soviel auch Okkultis⸗ 
mus, Spiritismus, moderne Theoſophie und Anthropoſophie von Geil 
und überſinnlicher Welt reden, was fie Geiſt nennen, iſt nicht geiftig, 
und was fie überfinnlich nennen, iſt nicht mehr als innerſinnlich. Der 
Begriff des Geiftigen ift der Prüfſtein für die Behauptungen und An- 
ſprũche aller Magie und Theoſophie. Tatſächlich vermögen fie an keiner 
Stelle die Grenzen des Innerſinnlichen zu überfchreiten. Alle Beſtte⸗ 
bungen der neuen Religionspfychologie, auch die muſtiſchen Seelen: 
vorgänge durch phuſtologiſche Gegenſtücke zu erklären, gehen letzten 
Endes aus dem materialiſtiſchen Seelenbegriff hervor, der bewußt 
oder unbewußt, ſtillſchweigend oder ausdrücklich der experimentell 
gerichteten Pſuchologie zugrundeliegt. 

Wir verfügen über Beobachtungen und Tatſachen, die denen der 
experimentellen Pfychologie an Zuverläffigkeit und Auswertbarkeit in 
nichts nachſtehen. Es find eben die muſtiſchen Seelenvorgänge. Sie 
führen uns zu dem wiſſenſchaftlich ſicheren Schluß, daß die mit dem 
beib verbundene Seele wirklicher Geift iſt und als ſolcher ſchon wäh⸗ 
rend der Leibverbundenheit ſich betätigen kann. 


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Was iſt nun von den „körperlichen“ und „imaginären“ muſtiſchen 
Erſcheinungen zu halten? Denn auf fie ſcheint der Begriff des Muſti⸗ 
ſchen, wie wir ihn vorlegten, nicht anwendbar zu ſein. In ihrer 
pſuchiſchen Zuſammenſetzung weiſen ſie dieſelben Elemente auf wie 
die magiſchen Erſcheinungen. Der Rahmen iſt derſelbe, aber die Fülle, 
die in ihn eingeht, ift bei den „körperlichen“ und „imaginären“ Er⸗ 
ſcheinungen eine weſentlich andere. Woher dieſe Tatſache? C. Stauden⸗ 
maier ſtellt als Grundgeſetz der Experimentalmagie das „Geſetz der 
Umkehrbarkeit des Verlaufes der Nervenerregungen“ auf (S. 43). Ein 
Birnnervenzentrum wird künſtlich erregt. Die Erregung geht auf 
das Sinnesorgan und von da auf das phuſiſche Medium über. So 
können, wie wir ſehen, objektiv Töne und Farben erzeugt werden 
auf dem Weg der Halluzination. Wir haben keinen Grund, das 
magiſche Grundgeſetz anzuzweifeln. Ebenſowenig haben wir Grund, 
zu leugnen, daß es auch bei myftifchen Erſcheinungen in kraft treten 
kann. Ein großer Unterſchied bliebe trotz alledem noch zwiſchen 
muſtiſchen und magiſchen Seelenvorgängen beſtehen. Wir halten an 
dem Grundſatz feſt, daß alles echt muſtiſche feinen Urſprung im rein 
Geiftigen der Seele hat. Da aber die Seele als reiner Beilt und 
als Belebungsgrund des Leibes nur ein Weſen iſt, warum ſoll die 
rein geiſtige Bewegung nicht in das begriffliche Denken überſtrömen, 
von da hirnnervenzentren erregen und dann den Verlauf der ma⸗ 
giſchen Vorgänge nehmen können? Rein geiſtige Wahrnehmungen 
würden in Erleuchtungen, begriffliche Erkenntniſſe, in „imaginäre“ 
und körperliche Anſprachen und Geſichte ausſtrahlen. 8o bliebe der 
muſtiſche Charakter der „imaginären“ und körperlichen muſtiſchen 
Erſcheinungen durchaus gewahrt. Nur dürfte es nicht immer leicht 
fein, hier die muſtiſchen und magiſchen Seelenvorgänge auseinander⸗ 
zuhalten. Die Offenbarung hat uns zur unbedingten Gewißheit 
gemacht, was die Wiſſenſchaft nur mühſam und ſelten einwandfrei 
zu erſchließen vermochte, daß es nämlich eine überſinnliche ſelb⸗ 
ſtändige Geiftwelt gibt und die Menſchenſeele als reiner Geift fort⸗ 
beſtehen kann. In der heiligmachenden Gnade nimmt die Seele 
wirklichen Anteil am göttlich⸗geiſtigen, dreiperſönlichen beben Gottes. 
Sie nimmt daran Anteil nur inſofern fie Geift iſt. Ein nichtgeiſtiges 
Weſen wäre dieſer Anteilnahme unfähig. 

Wenn dieſe Tatſachen feſtſtehen, dann liegen die myftifchen Er⸗ 
ſcheinungen und Vorgänge ohne weiteres im Bereich auch der pſucho⸗ 
logiſchen Möglichkeit. Die Scheu, dieſe Tatſache rundweg anzuerkennen, 
iſt heute ein kaum mehr begreifliches Vorurteil. 


298 Ä 1 


Bier taucht eine Frage auf, die noch Antwort heiſcht. Gibt es nur 
eine Offenbarungsmyftik? Soll das, was man allgemein als natür⸗ 
liche Muſtik bezeichnet, ſchlechthin in das Gebiet der Magie verwieſen 
werden? Nein. Die Seele ift ſchon von Natur aus Geiſt und nicht 
erſt durch die Offenbarung dazu erhoben worden. Warum ſollte es 
an ſich ausgeſchloſſen ſein, daß die Seele auch natürlich zu rein gei⸗ 
ſtiger Tätigkeit gelangte? Das wäre natürliche Muſtik. Auch fie 
wäre zu ſcheiden von jeder Magie. Die Anteilnahme am dreifaltig⸗ 
göttlichen beben bedingt eine Dergeiftigung der Seele, die fie von 
Natur aus nie erreichen könnte. Darum iſt die Offenbarungsmuſtik 
die Muſtik par excellence. Pſuchologiſch alſo wachſen Natur- und 
Offenbarungsmuſtik aus derſelben Wurzel hervor, in ihren Nus⸗ 
wirkungen und außerſeeliſchen Urſachen unterſcheiden ſie ſich wie 
Natur und Übernatur. Don der Magie find beide pſuchologiſch durch 
eine Kluft getrennt. 

Der ſtreng wiſſenſchaftliche Beweis für die Geiſtigkeit der Seele 
war von jeher ein dunkler Punkt in der Philoſophie. Nachdem die 
Philoſophie ihr Anſehen eingebüßt und die der Reihe nach ent⸗ 
ſtandenen Einzelwiſſenſchaften ſich in ihr Erbe geteilt hatten, wurde 
die Unmöglichkeit eines Beweiſes der Geiſtigkeit der Seele zum 
Dogma. Für einen anderen Beweis wird unſere Jeit kaum zugäng⸗ 
lich fein, als für einen, der aufbaut auf tatſachenwiſſenſchaftlichet 
Grundlage und den Dorausfegungen der heutigen Pſuchologie. Die 
moderne Pſuchologie aber kennt nur ſeeliſche Tatſachen, die beobacht⸗ 
bar und feſtſtellbar ſind, und Schlußfolgerungen, die ſich unmittelbar 
daraus ergeben. 

Die muſtiſchen Vorgänge find ſeeliſche Erſcheinungen, die mit der⸗ 
ſelben Juverläſſſigkeit beobachtet und ausgewertet werden können, 
wie die der experimentellen Pſuchologie. Sie ſetzen eine ſelbſtändige 
geiſtige Seele voraus. Die Tragweite, die dieſer Tatfache zukommt, 
wird vielfach nach gar nicht geahnt, geſchweige denn begriffen. So 
materialiſtiſch iſt heute noch die pſuchologiſche Einſtellung, daß man 
alle ſeeliſchen Dorgänge in den pſuchophuſiſchen oder magiſchen Rahmen 
einſpannen will. 

Tatſachenwiſſenſchaftlich unterſcheiden ſich Muſtik und Magie wie 
Geiſtiges und Sinnliches. Ein pſuchologiſches Studium des muſtiſchen 
Lebens hat eine gewaltige Gegenwartsaufgabe zu erfüllen: die 
Wiedereroberung der ſelbſtändigen geiſtigen Seele. 


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299 


Hollandifche und deutfche liturgiſche Bewegung. 
Won P. Amandus &’sell (Beuron). 


E⸗ iſt erfreulich, daß die Erfolge der liturgiſchen Bewegung anderer 
bänder auch in Deutſchland gebucht werden, um die Erfahrungen 
und Arbeitsweiſen des Auslandes ſich zu Nutze zu machen. Während 
nun der Liturgiker ſchon längſt gewohnt war, die franzöſiſche und 
belgiſche Literatur zu befragen, find in neuefter Zeit unſere Blicke 
wiederholt nach Holland gelenkt worden, das uns überraſchend viel 
zu ſagen und zu raten hat. 

Schon vor gahresfriſt hat P. Aunibert Mohlberg aus Maria⸗ -Caad) 
in einem vielleicht weniger beachteten Nufſatz der Benediktinifchen 
Monatſchrift (III S. 315 ff.) auf Holland hingewieſen und eine Überſicht 
über die neuere holländiſche liturgiewiſſenſchaftliche Literatur gegeben, 
wobei auch die Arbeiten der Societas 8. Willibrordi gewürdigt wurden. 
Ergänzend zu dieſem Auffag Mohlbergs tritt nun ein Artikel P. Brauns 
S. J. über „Die liturgiſche Bewegung in Holland“. (Stimmen der Zeit 
103, 1922, 8. Heft S. 125 - 135). P. Braun faßt mehr als P. Mohlberg 
die praktiſche Seite ins Auge und zeigt die erfolgreichen Bemühungen 
des holländifchen Klerus, die Liturgie dem Volke näher zu bringen. 
B. begnügt ſich nicht mit einer trockenen Statiftik. Mit Recht verſucht 
er, aus der Betrachtung holländiſcher Derhältniffe nützliche ehren für 
uns zu ziehen. „Man hat oft geſagt: Germania docet. Aber gibt es 
nicht auch Dinge, in denen wir Deutſche von anderen lernen können 
und follten? Bier haben wir jedenfalls ein Beiſpiel“ (S. 132). 

Eine Haupturſache der großen Erfolge der liturgiſchen Bewegung 
in Holland erblickt B. in dem Umſtand, daß vor allem der Welt⸗ 
Rlerus Träger der Bewegung wurde. Wir geſtatten uns, die treff⸗ 
lichen Ausführungen hierüber wiederzugeben. „Eine liturgiſche Be⸗ 
wegung, die von Ordensleuten ausgeht und getragen wird, iſt und 
bleibt, fo ſegensreich fie auch wirkt und fo wertvoll und wichtig fie 
iſt, unzulänglich, ſolange der Weltklerus nicht an ihr teilnimmt, ſich 
nicht zu ihrem vornehmſten Träger macht. Ordens leute können meiſt 
nur gelegentlich in liturgiſchen Dingen mit ihren Belehrungen und 
Anregungen an die Gläubigen herantreten, der Weltklerus findet da⸗ 
gegen zu aller Zeit und das ganze Jahr hindurch in Predigt und 
chriſtlichem Unterricht reichen Anlaß, allen, groß und klein, den Schatz 
der Liturgie zu erſchließen und ſie zum verſtändnisvollen mitleben 
mit diefer anzuleiten“ (5. 126). Ferner: „Auf alle Fälle ſollte auch 
bei uns nach dem Vorbild der holländiſchen liturgiſchen Dereinigungen 
das nächſte und vorzüglichfte Beſtreben der liturgiſchen Bewegung 
dahin gehen, den Weltklerus im weiteſten Umfang für ihre ſchönen 
Ziele zu gewinnen und zu dem Ende ihn mit lebhaftem Intereſſe 
für dieſe zu erfüllen, mehr noch, ihn entſprechend ſeinem Beruf und 
ſeiner Stellung zum vornehmſten Träger der auf die Pflege des litur⸗ 
giſchen Lebens gerichteten Tätigkeit zu machen. Liturgifche Wochen, 
Konferenzen und Vorträge find gewiß ſehr nützlich, ja geradezu un⸗ 
entbehrlich. Aber ſo wichtig ſie auch ſind, ſie ſind ihrer Natur nach nur 


300 


etwas Dorübergehendes, weil nur etwas Gelegentliches. Auch wenn 
fie ſich zu oratoriſchen Glanzleiſtungen erheben, darf man ihre Wir⸗ 
kung nicht überſchätzen. Sie find mehr wie ein glänzendes Feuer— 
werk, das Begeiſterung auszulöfen vermag, aber nur für kurze Zeit 
aufblitzt, nicht dauernd die Nacht erhellt. Viel beffer und wirkſamer 
iſt ein ruhig, aber nachhaltig brennendes Lichtlein. Es verhält ſich 
mit ihnen nicht anders wie mit den Miſſionen und Exerzitien. Sollen 
ſie dauernden Erfolg haben, ſo müſſen ſie aufgenommen und weiter⸗ 
geführt werden in der Predigt und dem katechetiſchen Unterricht, kurz 
in der ſtill, aber beharrlich ſich vollziehenden Tätigkeit der ordentlichen 
Seelſorge, müſſen fie ihre Kraft erhalten durch ein Verhalten des 
Klerus, das ihn bei feinen Unterweiſungen wie bei feinen liturgiſchen 
Amtsverrichtungen ganz erfüllt und tief durchdrungen zeigt von dem 
Bewußtſein der Sröße und Erhabenheit eben dieſer heiligen Hand⸗ 
lungen“ (S. 132). 

Es iſt ſchade, daß P. Braun an dem liturgiſchen Kurſus nicht teil⸗ 
genommen hat, der vom 5. bis 9. September 1921 in der Abtei Maria⸗ 
Gaach abgehalten wurde!. Er wäre freudig überraſcht geweſen, die⸗ 
ſelben Gedanken, vielleicht ſtellenweiſe faft wörtlich, aus dem Munde 
des herrn Abtes Adefons herwegen und des P. Albert hammenſtede 
zu vernehmen. Galt doch übrigens dieſer kurſus überhaupt vorzüglich 
der Derwirklihung der nun auch von P. Braun gemachten Dorfchläge. 

Ferner lenkt P. Braun unſere Aufmerkſamkeit auf die geſunde 
Arbeitsweiſe der Holländer, die vor allem durch kleine, billige litur⸗ 
giſche Flugſchriften und handbüchlein dem Volk eine kräftige Nahrung 
bieten. Auch in dieſem Punkte ſollten wir noch mehr lernen. Es 
„müßte nach dem Vorbild der holländiſchen Vereinigungen darauf 
Bedacht genommen werden, durch kleine liturgiſche Schriftchen, die 
wegen ihres geringen Preiſes auch von Minderbemittelten unſchwer 
gekauft werden können, ja ſich durch Umfang und Preis geradezu 
zur Maſſenverbreitung eignen, die Gläubigen in den Sinn und die 
Bedeutung der gottesdienſtlichen Derridtungen wie in die Feier des 
Kirchenjahres einzuführen und ihnen namentlich die bei den liturgiſchen 
Handlungen zur Verwendung kommenden Gebete in guter, leichtver: 
ſtändlicher Überſetzung zugänglich zu machen“ (8. 133). Mit Freuden 
örucken wir ſolche Worte in unſerer Monatſchrift ab, um fie noch 
weiter zu tragen. Wir möchten nur hinzufügen, daß p. Braun ſelbſt 
ſchon beigeſteuert hat, dieſes Ideal durch feine „Citurgik“ zu verwirk⸗ 
lichen, die in dieſer Zeitfchrift befprochen wurde (IV, 1922, 8. 230). 
Dieſe Liturgik, ein kleines liturgiſches Lexikon, würde ſich durch Um⸗ 
fang und Preis zur Maſſenverbreitung eignen. Seither hat P. Braun 
noch ein umfangreicheres „Liturgifches Bandlezikon” herausgegeben,? 
das zwar nicht als Dolksbudy gedacht iſt, aber doch in dieſem Ju⸗ 
ſammenhang auch angezeigt werden darf, da es berufen iſt, ein wert⸗ 
volles Hilfsmittel der liturgiſchen Bewegung zu werden, freilich mehr 
in der hand der Führer und Leiter. Die geſamte lateiniſche Liturgie 


l 18 dieſe Zeitfchrift III, 1921, 8. 499 501; Kölner Paſtoralbl. 56, 1922, 8. 16 — 28° 
8e (344 8.) Regensburg 1922, Köſel & Puſtet. M. 35.—; geb. m. 57.— 


801 


und zum größten Teile auch die griechiſche und öſtliche iſt in dieſem 
Lezikon verarbeitet, ſo daß wir jetzt ein Buch beſitzen, das wir bei 
liturgiſchen Fragen ftändig zu Rate ziehen können. Wir hatten bis⸗ 
her kein derartiges kurzgefaßes Nachſchlagewerk, und auch aus dem 
Ausland iſt mir ein ähnliches nicht bekannt, fo daß tatſächlich Brauns 
„Oiturgiſches Handlezikon“ einem Bedürfnis abgeholfen hat. Die ein⸗ 
zelnen Artikel find möglichſt knapp gefaßt, bieten aber alles Weſentliche 
und find, wie der £enner immer wieder merkt, aus ſelbſtändigem 
Quellenſtudium gefloſſen. Freilich mußte der Derfalfer bei den einzelnen 
Artikeln auf Quellen- und Literaturangaben verzichten, hat aber dafür 
am Schluß ein ausführliches Bücherverzeichnis beigefügt. Da ein 
ſolches Verzeichnis naturgemäß nur eine Auswahl darſtellen kann, 
wird es nie alle Wünfche befriedigen. Immerhin ſeien hier einige 
Vorſchläge für eine Neuauflage gemacht. Neben den ausländifchen 
Einführungsſchriften von Cabrol O. 8. B. und Huf 8. J. wäre noch zu 
nennen P. Kunibert Mohlberg O. 8. B., „Ziele und Aufgaben der 


2 liturgiegeſchichtlichen Forſchung“ (Heft 1 der liturgiegeſchichtlichen For⸗ 


ſchungen), und auf das inzwiſchen erſchienene „Jahrbuch für Liturgie⸗ 
wiſſenſchaft“, herausgegeben von P. Odo Cafel in Maria- aach, zu 
verweiſen. Die „Questions liturgiques“ erſcheinen nicht in Frankreich, 
ſondern in der Benediktinerabtei des Mont Céſar in Löwen (Belgien). 
In Frankreich erſcheint „Ca Die et les Arts liturgiques“. Unter der 
Rubrik „Euchariſtie und Meſſe“ dürfte auch Batiffol (nicht Battifol, 
wie S. 342 ſteht) „Cecons sur la messe“ (Paris 1920) angeführt 
werden. Statt Boudot (S. 339) iſt Baudot zu ſchreiben. Mit Kramp 
(S. 340) „Meßliturgie und Gottesreich“ wäre zu erwähnen O. Cafel, 
„Das Gedächtnis des herrn in der altchriſtlichen Liturgie“, erſchienen 
als 2. Bändchen der von Abt Herwegen von Maria⸗baach heraus⸗ 
gegebenen Sammlung „Ecclesia orans“, in der ja auch KRramps 
Büchlein erſchienen find. Unter „Liturgifcher Seſang“ wäre noch 
nennenswert geweſen B. Dominikus Johner, „Neue Schule des gre⸗ 
gorianiſchen Choralgeſanges“ (5. Aufl. 1921). Wir hätten dieſe Vor⸗ 
ſchläge nicht gemacht, wenn wir nicht überzeugt wären, daß Brauns 
Handlexikon berufen ift, in jede theologiſche Bücherei eingeftellt und 
oft befragt zu werden. 

Ferner beginnt auch P. Brauns Wunſch nach Volksbüchlein, die den 
Gläubigen „die bei den liturgiſchen Handlungen zur Verwendung 
kommenden Gebete in guter, leichtverſtändlicher Überſetzung zugänglich 
machen“, ſich zu erfüllen. Schon find nämlich bei Herder in Freiburg 
im Erſcheinen begriffen „Citurgiſche Dolksbüchlein herausgegeben von 
der Abtei Maria⸗Paach“, kl. 125, von denen feit Mai d. 9. folgende vor⸗ 
liegen: I. Die heilige Taufe. (IV u. 16 8.) Kart. M. 5.— II. Das heilige 
Sakrament der Ehe. (IV. u. 40 5.) fart. M. 8.— III. Verſehbüchlein. 
Die liturgiſchen Gebete am lirankenbett. (IV u. 24 8.) kart. M. 7.— 
IV. Das Begräbnis eines Erwachſenen. (IV u. 34 8.) Kart. M. 8.— 
Die Gebete ſind nur deutſch gegeben, und zwar in einer Überſetzung, 
die auch dem einfachſten Manne verſtändlich iſt. Dabei iſt die Sprache 
von einer kernigen Kraft, wie ſie nur einem künſtleriſch und liturgiſch 


302 


empfindenden Überſetzer möglich iſt. Die Erklärungen vermeiden alle 
Weitläufigkeit, ſind aber in ihrer kurzen, ſchlichten und klaren Form 
gefättigt von Gedanken, die, aus dem Leben der Liturgie geboren, 
dem Volke „ein von Derftänönis getragenes Mitleben mit der Liturgie“ 
(S. 135) vermitteln. Das Taufbüchlein z. B. hebt meiſterhaft den Auf: 
bau der ganzen Taufhandlung heraus und erläutert ungeſucht und 
wahr den Sinn der einzelnen Zeremonien, ſo daß wohl jedem, der in 
dem Büchlein die Taufe mitverfolgt und mitbetet, eine „innere frucht⸗ 
bare Anteilnahme an dem liturgiſchen Leben der Kirche“ (8. 135) 
möglich iſt. Das dritte und vierte Bändchen ſind wahre Troſtbüch⸗ 
lein, die in traurigen Stunden, wenn trankheit und Tod das haus 
heimſuchen, den Schmerzgebeugten die Mutterworte der Kirche ganz 
nah an die Seele bringen. „Wenn du an der Totenlade eines deiner 
Lieben ſtehſt und klagſt, fo ſteht die Mutter, deine Kirche, neben dit 
und — betet. Ihre Gebete find ſtark und erhaben, das macht ihr 
Glaube und ihre Hoffnung. Und fie find warm vom Herzblut ihrer 
Liebe. Bete mit ihr! An ihrer Bruſt wirft du Stärke und Troft gewinnen“ 
(Einleitung zum vierten Bändchen). Das Büchlein über die Ehe berück⸗ 


ſichtigt die verſchiedenen Gebräuche der deutſchen Bistümer, wodurch 


allerdings im einzelnen Fall die Benützung etwas erſchwert wird, 
dafür aber die Verbreitung des Büchleins durch ganz Deutſchland 
ermöglicht iſt. Beſonders ſchön iſt die Brautmeſſe überſetzt, wobei 
durch geſchickte Gliederung der Texte das Derftändnis erleichtert wird. 
Die Ausftattung ift gut und geſchmackvoll. Allerdings wird man ſich 
fragen können, ob das griechiſche Chriſtusmonogramm auf dem Um⸗ 
ſchlag gerade volkstümlich iſt. Dorgefehen find noch eine Reihe weiterer 
Büchlein: Mutter und Kind, Haus, Hof und Feld, liturgiſches Familien⸗ 
büchlein uſw. Übrigens foll nicht verſchwiegen fein, daß dieſe Büch⸗ 
lein bewußt eine Nachahmung des holländiſchen Unternehmens find. 
Es iſt nicht zum erſtenmal, daß die Abtei Maria⸗baach in dieſer 
Weiſe zur Vermittlerin wird zwiſchen dem Ausland und dem deutſchen 
Volk. Schon vor zehn Jahren ließen ſich Laacher Mönche durch die 
belgiſchen Dorbilder anregen, billige Büchlein herauszugeben, die für 
die großen Feſte des Jahres Meſſe und Offizium lateiniſch und deutſch 
nebſt Erläuterungen weiten Kreiſen zugänglich machten. Leider find 
jetzt dieſe Bändchen größtenteils vergriffen, aber jedenfalls haben fie 
ganz im Sinne der Ausführungen P. Brauns ihren Dienſt getan. 
Dieſe Heftchen ſeien hier nur erwähnt, weil ſie zeigen, daß die litur- 
giſche Bewegung, wie fie vor zehn Jahren von Maria-Paach aus- 
ging, gleich zu Beginn die Erziehung der Gläubigen zum Mitbeten 
mit der kirche anſtrebte. Man wird ja einwenden können, daß das 
alles bisher nur ſchwache Anfänge waren. Aber immerhin ſind es 
Anfänge, die in der guten Richtung liegen. Und wenn noch keine 
Maſſenwirkung erzielt ift, fo iſt doch ſchon mancher Segen geftiftet 
worden. Und dieſer Segen wird ſich mehren, wenn von verſchiedenen 
Punkten aus einträchtig in derſelben Richtung gearbeitet wird, etwa 
in der Weiſe, wie P. Braun und verſchiedene feiner Ordensbrüder 
bereits tätig ſind. Wir hatten ja ſchon mehrfach Gelegenheit, Arbeiten 


303 


von P. Kramp, Brors und Soengen in dieſer Zeitſchrift zu beſprechen, 
und freuen uns, hier wieder eine Schrift P. Soengens anzeigen zu 
können!, die dem liturgiſchen Apoftolat dienen wird, weil fie ſicher 
beitragen wird, den Gottesdienſt würdiger und ſchöner zu geſtalten. 
Diele Priefter möchten gern ihre ktirche ſchön einrichten und den 
Bottesdienft heben, aber fie haben keinen Freund und Berater, der 
ihnen nun wirklich angibt, wie man die Forderungen der liturgiſchen 
Kunſt auch in kleinen und beſcheidenen Derhältniffen erfüllen kann. 
P. Soengen verſpricht ein ſolcher Freund zu werden, der ſich nicht 
ſcheut, bis ins kleinſte praktifhe Winke zu geben. P. Soengen be⸗ 
handelt in dieſer Weiſe in einzelnen Abſchnitten die Stätte des Gottes⸗ 
dienftes und ihre Ausſtattung, die Feier des Gottesdienſtes, die Fefte, 
Sakramentenſpendung uſw. Jahlreiche Abbildungen verdeutlichen den 
Test. man kann ja in manchen Punkten anderer Anſicht fein und 
einem anderen Geſchmack huldigen, aber jedenfalls wird ein Priefter, 
der Soengens Buch fleißig zu Rate zieht, ein würdiges Gotteshaus 
und einen muſtergültigen Gottesdienft haben. Man vermißt ein Sach⸗ 
regiſter, dagegen würde man gern auf manche erbauliche Zitate ver⸗ 
zichten, die das Buch unnötig belaften und tatſächlich überflüffig find. 
Für grundſätzliche Erörterungen über Gotteshaus und Gottes dienſt 
gibt es eigene Schriften. Das Wertvolle im Buch Soengens aber 
liegt in der praktiſchen Überleitung zum Leben. 

Eine Schwierigkeit, dem Volke die Citurgie näher zu bringen, liegt 
oft in der Vorliebe des Volkes für Andachten, die vom ktirchenjahr 
wenig berührt ſind. Daß auch hier ein Wandel möglich iſt, ohne 
daß irgendwelche Gefühle verletzt werden, zeigt ein Schriftchen des 
ſchweitzer Religionslehrers Dr. Franz Alfred Herzog in Baldegg: 
„beſungen für den Monat Mai“ (Freiburg i. Schw. 1922, Ranifius- 
druckerei). Herzog verſucht jeweils die Maiandacht mit dem Tages: 
feſt zu verknüpfen, indem er die Andacht beginnen läßt mit einer 
beſung über den Tages heiligen und daran eine Betrachtung knüpft 
über Maria als Königin der Apoftel, der Märtyrer uſw., je nach 
der Art des Tagesheiligen. Auf dieſe Weiſe wird Gewordenes und 
Beſtehendes geſchont, aber zugleich gehoben und hineingeſtellt in den 
großen Rahmen des kirchlichen Gebetes. Es wäre wünfchenswert, 
wenn dieſe beſungen am Vorabend oder am Morgen des betreffenden 
Tages gehalten werden könnten, damit auch meſſe und klommunion 
davon befruchtet würden. | 

50 erfreulich diefe Neuerſcheinungen find, fo bleibt doch ihre Wirkung 
verhältnismäßig beſchränkt, ſolange wir keine liturgiſchen Dereini- 
gungen nach Art der holländiſchen beſitzen. Was P. Braun über dieſe 
holländiſchen Organiſationen ſagt (S. 127 f.), iſt ſehr lehrreich und 
wertvoll. Mögen dieſe Seiten aufmerkſame Lefer finden, die im ſtande 
And, die den deutſchen Verhältniſſen entſprechenden Folgerungen zu 
ziehen. Aber auch auf dieſem Gebiete iſt in Deutſchland nicht mehr 
alles wüſt und leer. Beſitzt Holland als Ergänzung der praktiſchen 


Sotteshaus und Sottesdienſt. Praktiſche Winke. 8° (226 8. mit 29 Ab- 
bildungen). Freiburg 1922, Herder. II. 43. —; geb. II. 45.— 


304 


Vereinigung zur Förderung der wiſſenſchaftlichen Forſchung die Societas 
5. Willibrordi, auf die P. Braun hinweiſt, fo haben wir in Deutſch⸗ 
land ſeit 1920 einen Verein zur Pflege der Viturgiewiſſenſchaft (Sitz 
Abtei Maria⸗Caach). Wir dürfen hoffen, daß aus dieſer Wurzel die 
Vereinigungen organiſch erwachſen werden, die die Ergebniſſe der 
Wiſſenſchaft dem Geben zuführen. Erfüllt ſich dieſe hoffnung, dann 
wird auch, deſſen find wir gewiß, die Gefahr des Subjektivismus 
gebannt werden, vor der P. Braun am Schluß ſeines Artikels nach⸗ 
drücklich warnt. P. Braun zitiert zur Bekräftigung ſeiner Warnung 
ein Wort Eiſenhofers. Aber es ſcheint, daß P. Braun den Zuſammen⸗ 
hang überfehen hat, in dem Eifenhofer feine Äußerung über den 
Subjektivismus in der Liturgie niedergeſchrieben hat. Siſenhofer hat 
nämlich dieſe Bemerkung gelegentlich eine Beſprechung von Herwegen, 
Alte Quellen neuer kraft (Theologifche Revue 20, 1921, 351), gemacht 
und fie gerichtet gegen Erklärungen liturgiſcher Worte und hand⸗ 
lungen, die ihm ſubjektiv erſcheinen und die Sachlichkeit geſchichtlicher 

Betrachtungsweiſe vermiſſen laſſen. Es handelt ſich alſo hier um einen 
ganz anderen Subjektivismus als den von Braun bekämpften. In 
dem einen Fall haben wir Subjektivismus in der Auslegung, in dem 
anderen Subjektivismus im Fiel. Beides kann, braucht aber nicht 
in derſelben Perſon vereinigt zu fein. B. Kramp z. B. iſt weit ent⸗ 
fernt von einem Subjektivismus des Zieles, das beweiſen feine Schrij⸗ 
ten über das Opfer und fein Auffa über „Liturgifche Beſtrebungen 
der Gegenwart“, namentlich auch fein vorzüglicher Artikel „Opfer: 
mahl und Rommunionandadt?”? Aber trotzdem konnte ihm der Dor- 
wurf des Subjektivismus in der Auslegung nicht ganz erſpart werden“. 
Es iſt alſo der Klarheit wegen nötig, die beiden „Subjektivismen“ 
auseinanderzuhalten, obwohl beide zu bekämpfen ſind. P. Braun 
hat der liturgiſchen Bewegung den Dienſt erwieſen, wieder einmal 
nachdrücklich vor der Gefahr des Subjektivismus des Zieles gewarnt 
und als das wahre Ziel deutlich gezeigt zu haben die „innere frucht⸗ 
reiche Anteilnahme an dem liturgiſchen beben der Kirche” und „ein vom 
Derftändnis desſelben getragenes Mitleben mit demſelben“ (S. 135). 
Für den, der dieſe Zielbeſtimmung annimmt, iſt klar, was P. Braun 
am Anfange feines Nufſatzes von der liturgiſchen Bewegung ſagt: 
„Es wäre ein folgenfchwerer Irrtum, in ihr das Allheilmittel für 
unfere tiefkranke Zeit zu ſehen.“ Daran hat wohl kein Einſichtiger 
je gedacht. Denn es iſt leicht zu ſehen, daß die liturgiſche Bewegung 
nicht als ein neues Mittel an die Stelle der altbewährten ſeelſorg⸗ 
lichen Hilfsmittel wie Exerzitien, Miffionen ufw. treten kann, fondern 
die Seelſorge vorausſetzt, ſelbſt aber unmittelbar zur verſtändnisvollen 
Anteilnahme an einem Wefensftück des übernatürlichen Lebens, dem 
von Chriftus ſelbſt begründeten liturgiſchen Gebets⸗ und Opferleben 
der Kirche, führen will. 


Stimmen der Jeit 99 (1920) 315333. E66. 102 (1921) 202 — 216. s Diefe 
Jeitſchrift 3, 1921, 327. 


„ e 8 


305 


Kleine Beiträge und Hinweiſe 


Urfprung der Pauliniſchen Religion‘. 


it Freude und etwas Überraſchung lieſt man in dem angezeigten Buche eine 

originelle und zum größten Teil meiſterhaft gearbeitete Widerlegung der 
modernen kritiſchen Schulen. Was Wiener und König für den Pentateuch leiſten, das 
fängt jetzt hier J. Gresham Machen für das Neue Teſtament an, indem er die einheit⸗ 
lichen Tendenzen, den weſentlichen Juſammenhang der Evangelien und der pauliniſchen 
Briefe klar hervorhebt und gegen die modernſten Anfechter — hauptſächlich gegen 
Bouffet, Goify, Wernle und Keitzenſtein — friſch und ſachverſtändig verteidigt. 

Das Buch faßt eine Reihe von Dorlefungen zuſammen, die Profeſſor J. Sresham 
Machen vom proteſtantiſchen Seminar Princeton, neuerdings in Virginia, U. St., hielt. 

Woher hat Paulus feine Heilslehre? Der Stand der Frage ift in einer langen Ein- 
leitung dargeſtellt. Dann unterſucht der Derfalfer genau den Gebenslauf des Apoftels 
und die Einflüffe, die bis zum Anfang feiner großen Miſſionen auf ihn eingewirkt 
haben können. Bouſſet und andere wollen feſtſtellen, daß St. Paul vor Chriſti Tod 
nie in Jeruſalem gelebt habe und nie Schüler von Gamaliel geweſen — einfach um durch 
die Entfernung im Raum die Hähe in der Zeit abzuſchwächen, die tatſächlich zwiſchen 
geſus und Paulus beſteht. Vor wie nach feiner Bekehrung iſt der Apoftel gegen das 
heidentum feindſelig geweſen, und nach feiner ganzen Erziehunghat er immer die 
Juden als feine Stammesgenoſſen geehrt und geliebt. So iſt von vornherein höchſt 
unwahrſcheinlich, daß Paulus von den Heiden irgend eine Gehrehätte annehmen wollen. 

Es folgt eine eingehende Vergleichung der behre Chriſti und jener von Paulus — 
betreffs Vaterſchaft Gottes, Gnade, moraliſchen Lebens uſw. — und überall ſtimmen 
beide zuſammen. Für Paulus iſt Jefus der Sohn Gottes, der den Apoftel geliebt 
hat und für den er geſtorben iſt, und daraus ergibt ſich zwiſchen Paulus und geſus 
eine Beziehung der Diebe, die grundlegend iſt; aber indem fie fo unmittelbar und 
rein geiftig ift, läßt fie ſich nicht durch ein paar philoſophiſche Sätze darlegen. Nach 
Wernle ſoll Paulus das alles aus dem Judentum heraus entwickelt haben; aber 
dazu reichen die meffianifhen Hoffnungen der Zeit nicht hin. 

Oder kommen Gehren des Heidentums über die Erlöfung in Betracht? Das ift 
heute die große Frage, und ihrer Unterſuchung iſt der letzte und beſte Teil des Buches 
gewidmet. Don vornherein ift es faft moraliſch unmöglich, daß die chriſtliche ehre 
ſo ſchnell — ungefähr zwiſchen den Jahren 36 und 46 — und ſo weſentlich umgeſtaltet 
worden wäre. Die angeblichen Parallelen mit den heioͤniſchen Muſterien, wie heit⸗ 
müller, Reinach, Bouſſet fie herausarbeiteten, und die dann von Ooiſu (Ges mustères 
paiens et le mustère chrétien, 1919) weiter ausgeführt wurden, halten ſorgfältiger 
Prüfung nicht ſtand. Magie kommt überhaupt nicht in Pauli Religion in Betracht. 
Sein Begriff der Erlöſung iſt davon weſentlich verſchieden; die einzige Stelle 1 Kor. 
15, 1—8, ſchafft ſchon einen ſchroffen Segenſatz zwiſchen dem auferſtandenen Fefus 
und den heidnifchen Heilsgöttern. Die ganze Haltung des Apoftels den heiden gegen⸗ 
über iſt eine unverſöhnliche. Bei den Heiden fand beſtändig ein weitere Miſchung 
von Riten ſtatt. Paulus aber (wie die Juden überhaupt) wollte von keinem Kompro- 
miß hören und bewahrte feine Gehre rein und abgeſondert. „Es gibt doch gar kein 
anderes“ (Evangelium) ſagt er den Galatern (1,7). Deshalb war feine Aufgabe eine 
viel ſchwerere als die Ausbreitung der Kulte von Mithra und Ofiris, und deshalb 
war auch fein Erfolg etwas unvergleichlich Größeres. Und wenn ohne feine Miffion 
die Welt der Ifis oder dem Mithra ſich angeſchloſſen hätte, dann iſt Paulus ſicher 
einer der größten Wohltäter der Menfchheit geweſen. Doch, fährt der Derfaffer fort, 
dieſer glänzende Erfolg und der ganze Aufbau der pauliniſchen Lehre läßt ſich nur 

1 machen, 9. Sresham, The Origin of Paul's Religion. 80 (329 S.) London 1921, Hodder 
& Stoughton. Sh. 15.— 

Benediktiniſche Monatſchrift IV (1922), 7—8. 20 


306 


dann verftehen, wenn man feinen Urfprung im Geben und Tod und in der Gehre 
des Heilandes anerkannt. Im letzten Kapitel, „Die herrſchaft Jeſu“, werden die 
glänzenden Arbeiten von Bouffet über Köptos Xprordg dargelegt und geprüft. Köpıog 
nimmt Bouffet als Bezeichnung göttlicher Würde bei den Heiden, und von ihnen 
wäre das Wort in das Chriftentum übergegangen. Unſer Derfaffer hat ſchon früher 
ſolch einen Einfluß ausgeſchloſſen, nimmt aber doch gern die Behaupung Bouffets 
an, daß die heiden ohne weiteres Köpios als Gott verftanden und deshalb als Kate» 
chumenen und Chriſten Jeſus den Herrn als Gott anerkannten. Bouſſet und J. 6. 
Machen gehen wohl hier beide zu weit, da Köpios im erften Jahrhundert nicht [o 
beſtimmt die Gottheit bezeichnete; vielmehr (3. B. Philo. legatio ad Caium 88 44 — 46, 
— zitiert in der Revue des Sciences Philos. et Theol., Januar 1922, 8. 64) bedeutet 
es rein menſchliche Souveränität. Das aramäiſche Wort mara entſpricht dem Köprws;, 
und Hachen zeigt ſehr gut wie einheimiſch und früh das Wort von Chriſtus gebraucht 
worden ift (fo in 1 Kor. 16, 12: maranatha). Daraus folgt wohl der Glaube an 
geſus als Meſſias (re regni), nicht aber ausdrücklich als Gott. 

endlich iſt der Widerſpruch der hupotheſen von Wernle und Bouſſet dargeſtellt, 
die einen Ausweg für das Entſtehen des „Paulinismus“ finden wollen. Mit Moder⸗ 
nismus aber kommt man nicht durch. „Die Schwierigkeit wird nur dann ver- 
ſchwinden, wenn Jeſus wirklich als das anerkannt wird, was Paulus vorausſetzt, 
und als was ihn alle vier Evangelien darſtellen: als der ewige Sohn Gottes, der 
für der Menſchen Heil auf die Erde gekommen iſt, der wieder auf dem Throne 
feiner Herrlichkeit ſitzt und in den Seelen feiner Jünger durch feinen Geift bewirkt, 
was nur Gott bewirken kann.“ 

Durch das ganze Buch zieht ſich ein gleich geſunder wie beſonnener Geift. Nuch 
freut ſich der Derfaffer, daß Petri Anweſenheit in Rom immer weitere Anerkennung 
findet. Deshalb kann man es ihm auch leichter vergeben, daß er den Ausdruck 
ex opere operato bei der Taufe nicht im Ratholiſchen Sinn verfteht. 

Faſt in jeder hinſicht iſt alſo das Buch wertvoll und recht zeitgemäß, um die 
wirkliche Gehre des Urchriſtentums inmitten der vielen Konftruktionen der moderni⸗ 
ſtiſchen und materialiſtiſchen Ezegefe wieder ans Picht zu bringen; und zwar auf 
ihrem eigenen Boden. B. Hugo Bévenot (Weingarten). 


Eine Werkwoche auf Burg Rothenfels. 


N: Älterenbund im Quickborn hielt in der heurigen Oſterwoche zum erftenmal 
eine „Werkwoche“ auf Burg Rothenfels am main. Der Gedanke der Woche 
war dieſer: ernſte geiſtige Arbeit ſollte als ein Anliegen der Gemeinſchaft erfaßt und 
geübt und zugleich mitten hineingeſtellt werden in einen größeren bebenszuſammen⸗ 
hang; als Fiel wurde erſtrebt: nicht bloße Bereicherung des Wiſſens, ſondern Bildung 
des ganzen Menfchen. Dem ſollten zunächſt gründliche, zuſammenhängende Be— 
ſprechungen in verſchiedenen Kreiſen unter Leitung je eines beſonderen Führers 
dienen. Der Kreiſe waren vier geplant. Ihre Gegenftände ſollten fein: 1. Glauben 
und Wiſſen, Gewißheit und Zweifel; 2. Dogma und Geben; 3. Grundfragen des 
Semeinſchaftslebens; 4. die Kunſt: ihr Weſen, ihre Beziehungen zum Geben, zur 
Religion, zum Volk. Aber die Woche ſollte nicht in bloßer geiſtiger Arbeit aufgehen. 
Wie ſich die fünf Tage äußerlich geſtalten ſollten, beſchrieb Romano Guardini in 
einem Rundſchreiben — veröffentlicht im dritten Heft des zweiten Jahrgangs der 
„Schildgenoſſen“, der Zeitfchrift des Ulterenbundes im Quickborn, und abgedruckt 
im zweiten Ratholiſchen Sonderheft der „Tat“ — wie folgt: „Morgens feiern wir 
gemeinſamen Gottesdienſt. Das Frühſtück, wie alle Mahlzeiten, ift ebenfalls gemein: 
ſam; dann arbeitet jeder Kreis für ſich den Morgen durch. Uach dem Mittageſſen 
Ruhezeit. Darauf körperliche Arbeit bis 6 Uhr: Aufräumen, Reinigen, Gartenarbeit 
u. oͤgl. Nach dem Abendeſſen find alle beiſammen, fingen, hören Mufik, Dichtungen, 
ſpielen. Dazu bringe jeder mit, was er Schönes weiß: Lieder, Reigen, Mufikwerke, 


307 


Dichtungen .. lach dem Abenögebet ift ſtrenges Schweigen bis zum Frühſtück des 
folgenden Tages”. 

So wie die Woche geplant war, wurde fie auch im weſentlichen verwirklicht. 
Die vier Kreife wurden gebildet. Sie zählten durchſchnittlich 20 — 25 Teilnehmer 
unterſchiedlicher Art und Herkunft: Lehrer und Pehrerinnen, Studenten und Studen- 
tinnen verſchiedener Fakultäten, Berufstätige und Haustöchter, wie fie eben in Groß- 
quickborn und Hochland vereinigt find. Den zweiten, dritten und vierten Kreis 
leiteten Dr. Guardini, Dr. Abele und Dr. Herke, die beiden letzteren baien; zur 
Führung des erften, apologetiſchen Kreiſes war der Unterzeichnete eingeladen worden. 
Eigenart und Bedürfnis der Teilnehmer drängten über die akademiſche oder ſchul⸗ 
mäßige Behandlungsweiſe ſtark hinaus. Man wollte keine eigentlichen Vorträge, 
ſondern vor allem gemeinſame Bearbeitung der vorgelegten Fragen. Wohl war es 
Sache der beiter, die Fragen in georönetem Zuſammenhang darzubieten, die Auf⸗ 
merkfamkeit auf das Weſentliche daran zu lenken, die Geſichtspunkte für die Löfung 
zu geben; aber dann verlangten die Teilnehmer felbft weiterzufragen, zu ſuchen und 
zu finden; und jeder trug aus dem Gebiete ſeines Wiſſens, ſeiner Erfahrung, ſeiner 
erlebniſſe bei, was er für geeignet hielt. Bei der Derfchiedenheit der Teilnehmer 
nach Beruf und Bildung gab es einen reichen Klang; es brauchte am Anfang wohl 
auch ein gegenſeitiges Abſtimmen des Leiters auf die Teilnehmer und der Teilnehmer 
unter ſich; aber als man ſich gefunden, entſtand ein überaus reger Austaufch, der 
wohlgeorönet blieb und gar manchmal in die Tiefen ſchwieriger Fragen hinabführte. 
Es ward ein wirkliches Fuſammendenken, eine innere Gemeinſchaft geiſtiger Arbeit. 
Stellte es ſich heraus, daß die Frage des Einzelnen zu ſehr abſeits des gemeinſamen 
Suchens und Wünſchens war, fo wurde die Behandlung und Klärung gern in pri⸗ 
vater Beſprechung mit dem Leiter an den Nachmittagen weitergeführt. Dieſe be- 
ſonderen Beſprechungen belebten und förderten wiederum den gemeinſamen Aus= 
tauſch, in dem mehr und mehr Seele zu Seele ſprach. Dieſe ganze gemeinſame und 
befondere Geiſtesarbeit aber ward empfunden als Teil eines größeren bebensganzen, 
wie es ſich in dem Gefamtrahmen der Woche verwirklichte: die Beſprechungen fügten 
ſich organiſch ein in ein gemeinſames Geben, das durchdrungen war von religiöfem 
Geift und gegenfeitiger Teilnahme in Ernft und Freude. 

Ob nicht der Leitgedanke dieſer ganzen Woche auch anderswo verwirklicht werden 
könnte — der Gedanke tiefergehender Gruppenarbeit innerhalb eines religiös und 
geſellig, ja brüderlich geſtalteten gemeinſchaftlichen Lebens? Dieſe Frage geht weite 
reife an; deshalb haben wir dieſe Seite geſchrieben. Freilich wird die Schwierigkeit 
ſein, nicht nur die Gruppen zuſammenſtimmender Menſchen jeweils zu ſammeln, 
ſondern ihnen auch eine gemeinſame, ſtilvolle Gebensweife zu geben, in der Geift 
und Gemüt, Seele und Geib, Ernft und Freude, Natur und Übernatur fo zufammen- 
wirken, wie es bei der erſten Werkwoche auf Burg Rothenfels erſtrebt werden 
konnte. Denn dort war ein großer, eigenartiger Uebensrahmen ſchon gegeben, in 
den ſich die gemeinſame Arbeit einordnen ließ. P. Daniel Feuling (Beuron). 


Huazinth Holland über Haneberg als Lehrer der HI. Schrift. 


m vorigen Jahre 1921 find im Münchener Derlage Parcus & Co. durch Dr. A. Dreyer 

die „Gebenserinnerungen eines neunzigjährigen Altmündeners 
(Profeffor Dr. h. holland)“ mit gewinnender Einleitung und ſchönen Abbildungen 
vornehm ausgeſtattet er ſchienen (151 Seiten in Großoktav) !. 

Das Buch iſt u. a. durch eine ſeltene Fülle bezeichnender Mitteilungen und Huße⸗ 
rungen über zahlreiche namhafte Männer des machtvoll erblühten ITar-Athens bedeut⸗ 
ſam für die Geiſtesgeſchichte Münchens und weiterhin des deutſchen Südens überhaupt. 

1 Der Schreiber dieſer Zeilen verdankt die Bekanntſchaft mit dieſen lebensfriſchen Blättern wie fo 


manches andere dem weitgenannten Erneuerer und mehrer von Dom Pierre Sabatier’s Jtala: dem 
hochw. Herrn Pfr. 9oſ. Denk aus München. 


20* 


308 


Huazinth Holland (geb. 16. Aug. 1827, geſt. 6. Jan. 1918), deſſen einzigartige 
geſchichtliche Bilderſammlung von über 40000 Hummern an die Kloſterſchule der 
neubegründeten Abtei Ettal gekommen iſt, widmete ſich vom Sommer 1848 ab durch 
vier Semefter dem Studium der Theologie an der heimatftädtifhen Hochſchule. Dort 
wirkte an der theologiſchen Fakultät neben anderen angeſehenen Gelehrten, wie z. B. 
dem Möhlerſchüler Franz Xaver Reithmaur (+ 1872), ſeit ſeinem vier undzwanzigſten 
bebensjahr der junge Prieſter Daniel Haneberg, ein Sohn des alten allgäuiſchen 
Benediktinerlandes von Kempten. Er lehrte morgenländiſche ſemitiſche Sprachen, 
die ihm zum Teil [don als Symnafiaft von Kempten vertraut und geläufig waren, 
ſowie altteſtamentliche Schrifterklärung und bibliſche Einleitungswiſſenſchaft. Wem 
kein Geringerer als Clemens Brentano den nachmaligen großen Benediktiner als 
„barmherzigſten Freund“ und in einem Brief an den Bruder Chriſtian vom Aller: 
heiligenfeſt 1840 als „frömmſten, genialften und gelehrteſten jungen Prieſter Dr. Hane- 
berg“ bezeichnet (bei P. Schegg, Erinnerungen an... Haneberg, München 1877, 
8. 51 u. 53), fo bekennt der feinfinnige 5. Holland in feinen Erinnerungen (S. 42) 
ſeinerſeits über feinen Lehrer Haneberg: „Seine geiſtvolle Interpretation der Klage⸗ 
lieder des Jeremias zog mich mächtig an. Er machte uns den politiſchen Hinter⸗ 
grund klar, aus dem fie erwuchſen. Ein Semeſter lang las er über die großen 
Propheten. Er rückte fie und ihre Schulen, die eigentlich Akademien waren, gleich⸗ 
ſam in die Gegenwart und zeigte, wie ſich in ihnen das Geben ihrer Zeit [piegelt. Die 
Pſalmen Davids mit ſeinen Erläuterungen zu hören: das war ein einzigartiger Genuß.” 

Was Hanebergs lebendiges Wort vermittelte, vermag in feiner Art auch immer 
noch ſein gedrucktes Wort dauernd zu zeitigen. Es iſt allerdings verhältnis mäßig 
karg an die öffentlichkeit getreten: das ſpätere äbtliche und bischöfliche Amt rückten 
andere vielgeſtaltige und aufreibende Arbeiten in den Vordergrund. 

Die wiſſenſchaftliche Eigenart hanebergs, die den jugendlichen Holland fo anſprach, 
feſſelte und hob, leuchtet und wirkt wohl am meiſten nach in feines Gehrers „Seſchichte 
der biblifhen Offenbarung als Einleitung ins Alte und Neue Teftament” 
(4. und letzte Auflage, Regensburg 1876, XIV und 882 Seiten.) 

Das Buch ift aus der Gehrtätigkeit und den hohen Gehrzielen hanebergs heraus⸗ 
gewachſen. Es bedeutet eine lebensvolle Einführung in Gefung und Studium der 
HL. Schrift auch für weitere Gebildetenkreife zum voraus entſprechend Weiſungen, wie 
fie z. B. von Geo XIII. erfloſſen. Der gemeſſene Magnus Jocham urteilte über das 
geiſt⸗ und lichtvolle Werk: „Es iſt dasſelbe wahrhaft epochemachend auf dem Gebiete 
der katholiſchen Literatur ... Hanebergs Geſchichte der Offenbarung ift im eigentlichen 
Sinne eine Vorſchule der Theologie und als ſolche für einen jeden, der auf dem 
kürzeſten und ſicherſten Wege eine Einſicht in das Ganze der gnadenvollen Offenbarung 
des Ewigen gewinnen will, unerläßlich notwendig“ (Daniel Bonifacius v. Haneberg; 
im Umriſſe gezeichnet von Dr. Magnus Jocham; Würzburg 1874, 8. 67). 

Im Vorwort erklärt Haneberg: „Die Einleitung in die HL Schrift iſt von mir nicht 
aus Neuerungsſucht in eine Geſchichte der bibliſchen Offenbarung verwandelt worden, 
ſondern weil die frühere Weiſe ungenügend ſchien. Wenn ich jemanden, der mit 
dem Altertume nicht vertraut ift, eine zweckmäßige Einleitung zur Gefung der Reden 
des Demoſthenes geben will,... muß (ich) ihm die Zeitverhältniffe klar machen. 
woraus fie hervorgingen.. So muß auch die bibliſche Einleitung die Zeiten und 
Umſtände möglichſt vor uns wieder aufleben laſſen, in und unter welchen die Bibel 
entſtanden iſt ...“ Und am Schluß des Dorworts: „Wir dürfen... nicht verſäumen, 
an der HI. Schrift die äußerlichen Beziehungen, welche von Zeit und Raum bedingt 
find, fo gewiſſenhaft als nur immer möglich zu erforſchen; allein dieſe Beziehungen 
find doch am Ende nur der Geib des allgemein Bedeutſamen, was darin lebt...” 

Solche geordnete Verbindung von Geſchichte und Gedanke mochte H. Holland mit 
ungezählten Andern magnetiſch zu Hanebergs Schriftſtunden hinziehen. 

P. Anfelm Manfer (Beuron). 


309 


Bücherfchau 


Das alte Teftament überſ., eingeleitet 
und erklärt von Emil Dimmler. 1. Das 
Buch Job. 12° (169 8.) M. Glaöbad) 1921, 
Dolksvereinsverlag. M. 7.20. 2. Sprüche 
Salomos (155 8.) M. 7.20. 3. Das Hohe 
bied Salomos (61 8.) M. 7.20. 4. Sprüche 
defu Sirachs (203 8.) M. 10.— 

Bei dieſen poetiſchen Teilen der Schrift 
hätte es ſich vielleicht gelohnt, den Text 
ſtichiſch zu ordnen. Auch hätte gerade 
hier in den Einleitungen manchmal auch 
auf die inneren, religionsgeſchichtlichen 
Anhaltspunkte in Bezug auf die Ab⸗ 
faſſung der betreffenden Bücher hinge⸗ 
wieſen werden können. So haben wir 
allerdings für die Beſtimmung der Ab⸗ 
faſſungszeit des Buches Job keine ge⸗ 
ſchichtlichen Unterlagen (8. 11), aber hin⸗ 
reichend religionsgeſchichtliche, um minde⸗ 
ſtens foviel ſagen zu können, daß das 
Buch in der uns vorliegenden Geſtalt nicht 
in der Salomoniſchen Zeit entſtanden fein 
konnte. 

Das Hohe Gied nennt der Verfaſſer ein 
„durchbrochenes Gleichnis“, bei dem wir 
„genötigt find, von vornherein den durch 
das Bild veranſchaulichten Gedanken vor 
Augen zu haben“ (8. 15). Ich habe bei 
meiner derzeitigen Erklärung des hohen 
biedes an der Beuroner theologiſchen Schule 
dieſe Notwendigkeit noch keineswegs emp⸗ 
funden. Auch beweiſen die trefflichen 
Arbeiten eines J. Hontheim 8. J. (Das 
Hohelied, Freiburg Herder 1908) und D. 
Japletal O0. B. (Das Hohelied, Freiburg 
Schweiz 1907) und andere, daß die ent⸗ 
gegengeſetzte Methode in der Exegeſterung 
des hohen Liedes ebenſo möglich und 
berechtigt iſt. Nur fie wird auch der dich · 
teriſchen Schönheit des ſchönſten aller 
bieder voll gerecht werden können. Doch 
mag die vom Derfaffer eingeſchlagene 
Methode für feine Peſerkreiſe vollſtändig 
genügen. 

Im übrigen gilt auch von dieſen Bänd⸗ 
chen praktiſch, was Referent bereits in 
dieſem Jahrgang 8. 69 hierüber geſagt hat. 

Auch fie ſeien allen beſtens empfohlen. 

P. Athanaſius Miller (Beuron). 


Das Ueue Teſtament unferes Herrn geſus 
Chriftus. Überſetzt von Dr. B. Weinhart. 
Mit Einführungen und Anmerkungen ver · 
ſehen von Dr. Simon Weber. Evangelien 
und Apoſtelgeſchichte. Muſtrierte 
Familienausgabe mit vierzig Bildern nach 
F. Overbeck u. zwei Kärtchen. gr. 85 (380 8.) 
Herder Freiburg 1922. Geb. M. 80.— 
Das iſt eine wirklich ſchöne, vornehme 
Familienausgabe. Man ſieht, hier hat 
ein Künſtler Anregungen zur ganzen An» 
lage und Ausftattung gegeben. Die Re⸗ 
produktion der Overbeckſchen Bilder iſt 
vorzüglich. Über den Wert der Wein⸗ 
hartſchen Überſetzung braucht man kein 
Wort zu verlieren. Kommt fie auch an 
klarheit und Durchſichtigkeit der neuen 
Überſetzung von K. Röſch nicht gleich, To 
hat ſie wiederum ihre eigenen Vorzüge 
und ihren alten, bleibenden Wert. Ich 
könnte mir kein ſchöneres, neuzeitliches 
Seſchenk auf den chriſtlichen Familientiſch 
denken, als dieſe neue, reich illuſtrierte 
Ausgabe des Tleuen Teſtamentes. 
P. Athanaſtus Miller (Beuron). 


Der Babylonifhe Talmud. Überſetzt 
und kurz erklärt von Dr. Nivard Schlögl 
O. Cist. 1. Gieferung 96 8. 8° Wien 1921, 
Burgverlag. M. 10.—. 

Ein neues, großes Werk, das hier der 
bekannte Wiener Profeſſor in Angriff ge⸗ 
nommen hat. Man kann nur den auf⸗ 
richtigen Wunſch hegen, daß Zeit und 
Umſtände es dem fleißigen Arbeiter ge- 
ſtatten, ſein Werk auch glücklich zu Ende 
zu führen. Wie es ſcheint, laſſen aber 
ſchon die folgenden Lieferungen etwas 
auf ſich warten. Die Überſetzung iſt nach 
fachmänniſchem Urteil ſchön und gut, 
wenn auch ſehr frei. Als ſehr kühn iſt 
es dagegen zu bezeichnen, daß Schlögl es 
wagt, von der hergebrachten Jitations⸗ 
weiſe des babuloniſchen Talmud abzu⸗ 
weichen und eine eigene, neue Einteilung 
nach ſelbſt beſtimmten Sinnabſchnitten 
mit laufenden Uummern zu geben. Ob 
hier nicht wieder einmal die praktifche 
Wirklichkeit zu Ungunſten des Unter⸗ 


310 


nehmens das letzte Wort reden wird? 
Die einführenden Fragen zum Verſtändnis 
des Ganzen will Schlögl am Schluß des 
erſten Bandes bringen. Inſofern Rann 
der „Laie“ in der talmudiſchen Weis⸗ 
heit vorerft mit der Ausgabe nicht viel 
anfangen. 
P. Athanaſtus Miller (Beuron). 


Schmid, K., heiliges Land. Moderne 
Gedanken über das Gotteshaus. 8% (280 8.) 
Mergentheim 1919, Ohlinger. M. 10.80. 

Das Buch iſt reichhaltiger als fein Titel 
ahnen läßt, ſowohl was die Gegenftände 
angeht, die zur Sprache kommen, als auch 
in Bezug auf die Behandlung dieſer Gegen; 
ſtaände. So findet ſich z. B. ein ausführ⸗ 
licher Abſchnitt über die Schönheit der 
einzelnen Teile der heiligen Schrift, den 
wir in dieſer Rusführlichkeit wohl kaum 
in einem Buch über das Gotteshaus ſuchen 
würden. Aber man muß es dem Verfaſſer 
laſſen, daß er es verftanden hat, Gegen⸗ 
ſtände zur Sprache zu bringen, die un⸗ 
mittelbar mit dem Gotteshaufe nichts zn 
tun haben. Freilich könnte man bei der 
bektüre manchmal vergeffen, daß man ein 
Buch über das Gotteshaus in der hand 
hat. Was die Art der Behandlung angeht, 
To bekundet der Derfaffer eine ftaunens- 
werte Kenntnis der modernen und mo⸗ 
dernſten biteratur. Man kann ihm Dank 
haben, daß man ſo einen Einblick in dieſe 
Literatur bekommt, ohne ſich ſelbſt durch 
all den Wuſt hindurcharbeiten zu müſſen. 
Freilich würde man da erft recht vieles 
in einem Buch über das Gotteshaus nicht 
ſuchen, manches auch gerne miſſen. Kant, 
der auch zur Sprache kommt, iſt, nebenbei 
bemerkt, viel zu hoch eingeſchätzt. Das 
Buch iſt ein gutes, intereſſantes und an⸗ 
regendes Buch, das beſonders der gebildete 
Gaie gerne leſen wird. Der Prieſter findet 
reichen Stoff zu Vorträgen. 

P. quſtinus Albrecht (Grüffau). 


Bruhn, Pic. Wilhelm, Der Dernunft- 
charakter der Religion. beipzig 1921, 
Felix Meiner. kl. 8° (283 8.) M. 30.—; 
geb. M. 40.— 

Dieſes Buch eines philoſophiſch ebenſo 
begabten als gebildeten proteſtantiſchen 
Theologen iſt ſehr beachtenswert. In 


religiõſer und religionsphiloſophiſcher Hin- 
ſicht läßt es erkennen, wie entfchieden 
ſich in proteſtantiſch⸗theologiſchen Kreiſen 
die Einfiht meldet, daß Religion und 
religiöfes Geben ſich nie und nimmer auf 
bloßes Gefühl und rein ſubjektives Er⸗ 
leben gründen können und daß die bos⸗ 
löſung der Religion und des Glaubens 
von aller Dernunfterkenntnis nicht die 
Religion gegenüber der Vernunft ſichert, 
fondern zur endgültigen Auflöfung der 
Religion führen muß. Im Sinne dieſer 
Einſicht hat Bruhn der Schrift als Motto 
das Wort Immanuel Kants vorangeſetzt: 
„Eine Religion, die der Dernunft unbe 
denklich den Krieg ankündigt, wird es 
auf die Dauer gegen ſie nicht aushalten“. 
In philoſophiſch ⸗ erkenntnistheoretiſcher 
Hinſicht iſt das Buch mit feiner ſcharf⸗ 
ſrnnigen Kritik der hauptrichtungen neue 
rer Philoſophie geradezu getragen von der 
Erkenntnis, daß jede Philoſophie, die mit 
dem bloßen Subjekt und feiner Innerlich 
keit beginnt, dazu verurteilt iſt, ewig in 
der Subjektivität ſtecken zu bleiben. lit 
großem Geſchick weiß Bruhn bei den ver 
ſchiedenſten philoſophiſchen Syftemen, die 
vom Subjekt ausgehen, den Punkt aufzu- 
weifen, an dem metaphuſiſch⸗ objektive 
Annahmen oder Poftulate, die im Wider⸗ 
ſpruch mit den Grundannahmen jener Sy: 
fteme ſtehen, unvermerkt hereinſchlüpfen. 
Aber Bruhn ſelbſt iſt doch zu ſtark noch 
im Banne des Rantiſchen Kritizis mus, als 
daß er zu einer befriedigenden Göſung des 
Realitäts- und Objektivitätsproblems ge⸗ 
langen könnte. Er weiſt zwar nach, daß 
unſere äußere und innere Erfahrung nur 
verſtändlich wird, wenn das Gegebenſein 
objektiver, vom Subjekt nicht bedingter und 
geſetzter Wirklichkeit zugeſtanden wird: 
der Beweis hiefür wird aus der Tat⸗ 
ſache der ſubjektunabhängigen Wirkungs- 
zuſammenhänge in der äußeren Erfah⸗ 
rungswelt, beſonders gut aber aus der 
Tatſache des konſtanten Ich geführt; und 
er ſucht von hier aus, vom Sich · Selbſt⸗ 
Haben des Subjektes her den objektiven 
Wert des Gotthabens im religiöfen Grund- 
erlebnis verſtãndlich und annehmbar zu 
machen. Aber dieſes Gotthaben im reli⸗ 
giöſen „Erlebnis“ iſt doch ſeinem letzten 
Weſen nach nicht losgelöſt von der Der- 


nunft, ſondern auch als Erlebnis ſchon 
vernunftbeöingt und in feinem objektiven 
Woahrbeits- und Wirklichkeitswert nur 
durch die Dernunft und ihre Denkformen 
erfaßbar und erweisbar. Damit verſchiebt 
ſich die Frageſtellung gleich weiter zurück: 
auch der objektive Wert, der Seinscharakter 
des im religiöfen Geben erfaßten Göttlichen 
iſt nur dann geſichert, wenn unſer geiſtiges 
Erkennen uranfänglich in feinen Grund- 
akten ſeinserfaſſend ift; denn nur unter 
dieſer Bedingung kann einem befonderen 
Bewußtfeinsinhalt, wie es das Göttliche 
im religiõſen Akte ift, berechtigterweiſe der 
Seinscharakter zugewieſen werden. Um 
die Erfaffung der Urtatſache unſeres gei⸗ 
ſtigen Erkennens: daß das Seiende das 
Urgegebene in dieſem Erkennen iſt, wird 
ſich Bruhns Bemühen vor allem drehen 
müſſen, wenn er zu einer wirklich be⸗ 
friedigenden und duͤrchſichtigen böſung des 
allgemein⸗philoſophiſchen und des beſon⸗ 
deren religiöfen Problems kommen will. 
Und ich glaube, daß er auf gutem Wege 
dazu ift. beitend wird für ihn die Grund- 
tatſache fein müſſen, daß ein Denken, das 
nicht feinem letzten Weſen nach eben Seins · 
erfaſſung iſt, überhaupt kein Erkennen iſt 
und zu keinem Erkennen führen kann. 
Feder ernſt gemeinte Erkenntnis verſuch 
ſchließt deshalb, allen gegenteiligen Doraus- 
ſetzungen zum Trotz, ſchon die Überzeugung 
ein, daß wir das objektiv⸗ reale Sein nicht 
etwa an irgend einer Stelle erſt zu ſuchen 
brauchen, ſondern es in den Grundakten, 
zunächſt in den Einſichten des Jdentitäts- 
und Widerſpruchsprinzips, ein für allemal 
befigen. P. Daniel Feuling (Beuron). 


Uottarp, germann. Die Bistumser- 
richtung in Deutſchland im achten 
gahrhundert [Kirchenrechtliche Abhand- 
lungen, hrsg. von Ulrich Stutz, 96. Heft.] 
8 (VI und 259 8.) Stuttgart 1920, Fer- 
dinand Enke. M. 42.50. 

Das karolingiſche Zeitalter iſt ein reich 
bebautes Wiſſensgebiet. Ein Gutteil ſeiner 
Probleme iſt von manchem Forſcher ſchon 
eingehend behandelt worden. Einen wei⸗ 
teren Beitrag bietet vorliegende Studie. 
Derfaffer bietet an hand eingehender 
Unterſuchungen eine gute Zufammen- 
ſtellung der entſtehungsgeſchichte der Bis · 


31 


tümer Utrecht, Salzburg, Freiſing, Regens⸗ 
burg, Paſſau, Heuburg, Eichſtätt, Würz⸗ 
burg, Erfurt, Buraburg. Der Wert ſeiner 
Arbeit liegt in ihren rechtlichen Unter⸗ 
ſuchungen. „Der Akt der Errichtung eines 
Bistums hat... zwei Seiten, eine öffent⸗ 
lich⸗ rechtliche und eine privatrechtliche 
(S. i.) Dieſe beiden Seiten werden nun 
des näheren herausgearbeitet. Die wiſſen⸗ 
ſchaftlichen Ergebniffe, die erzielt werden, 
bilden eine willkommene Ergänzung zu 
den Ausführungen, die uns hauck in 
feiner Rirchengeſchichte geboten hat. 

Nuch für das Studium benediktinifcher 
Ordensgeſchichte bietet Hottarps Unter⸗ 
ſuchung manchen Beitrag. Gut erfaßt iſt 
3. B. die Stellung einzelner Benediktiner⸗ 
klöſter an einigen der neuen Biſchofſttze. 
Huch die Betonung des angelſächſiſchen 
Vorbildes ift in dieſer hinſicht wichtig. 
Der Einfluß der angelſächſiſchen Mönchs⸗ 
biſchöfe iſt unverkennbar. Auch bei der 
ſtets wiederholten Verwendung des St. 
Salvatorpatroziniums iſt derſelbe Einfluß 
wahrnehmbar. Es würde ſich ſicherlich 
lohnen, dieſen angelſächſiſchen Einflüſſen 
und Beeinfluſſungen in der frühmittel⸗ 
alterlichen deutſchen Kirchen⸗ und Ordens⸗ 
geſchichte noch weitere, eingehendere Studien 
zu widmen. Vorliegende Arbeit wäre ein 
willkommener Beitrag dazu. 

P. Albert Schmttt (Weingarten). 


Deundörfer, Daniel, Studien zur älte- 
ſten Geſchichte des Alofters Vorſch. 
[Arbeiten zur deutſchen Rechts⸗ und Ver⸗ 
faſſungsgeſchichte. 3. Heft.] 8° (VIII und 
112 8.) Berlin 1922, Weid mannſche Bud)» 
handlung. M. 12.—. 

Vorliegende Studie iſt das nachgelaſſene 
Werk eines jungen Gelehrten, der in den 
Somme-fkämpfen des September 1916 fein 
beben fürs Daterland ließ. Sein Derluft 
ift zu bedauern: denn von feiner regen 
Schaffensluſt verbunden mit wiſſenſchaft⸗ 
licher Genauigkeit wäre ſicher manches zu 
erwarten geweſen. Beweis iſt vorliegende 
Arbeit. 

In zwei Teilen baut Ueundörfer feine 
„Studien zur älteſten Geſchichte des Kloſters 
borſch“ auf. Junächſt zeichnet er die 
äußere Entwicklungsgeſchichte des Kloſters 
von feiner Gründung bis zum Tode fion⸗ 


312 


raös I. (764-918). Im zweiten Teile 
gibt der Derfalfer eine gute Darftellung 
von der Entftehung und Organiſation des 
borſcher Grundbeſitzes. Einige Exkurſe 
über borſcher Chrono logie; die Bedeutung 
der Worte „huba“ und “mansus” in 
borſcher Privaturkunden diefer Zeit; und 
ſchließlich über Gorfcher Urbare vertiefen 
einige der Punkte, die in den Ausfüh⸗ 
rungen ſelbſt nicht ſo herausgearbeitet 
werden Konnten. 

Neundörfers Darftellung der äußeren 
Seſchichte des Kloſter Lorfh vom Fahre 
764-918 ſtimmt im weſentlichen mit den 
Ausführungen überein, die hauck im 
zweiten Band feiner K. 6. D’s. uns ge⸗ 
boten hat. Gegenüber haucks Unter⸗ 
ſuchungen, die mehrmals durch Ausfüh⸗ 
rungen und Nuslaſſungen über andere 
Punkte unterbrochen werden, hat Neun⸗ 
dörfer freilich den Vorteil einer größeren 
Geſchloſſenheit in feiner Darſtellung. So 
kann er auf kurzem Raum in ſcharfen, 
klaren Zügen den Werdegang L's vor 
Augen führen. Eine Ausftellung fei je⸗ 
doch hier vermerkt. Ich vermiſſe gerade 
bei der eigentlichen Sründungsgeſchichte 
die Benutzung u. Erwähnung einer Studie 
von 5. Reumont: Der hl. Chrodegang von 
Metz (Feſtſchrift der Görres ⸗Geſellſchaft für 
Georg BHertling, 1913, S. 212 ff), die das 
Bild diefes Mitbegründers von borſch und 
der Vorgänge, die dabei ſich abſpielten, 
um einige Striche hätte ſchärfer zeichnen 
helfen. 

Gut hat der Derfaffer im zweiten Teile 
die Urſache herausgearbeitet, der es Porſch 
zu verdanken hatte, daß ihm innerhalb 
weniger gahre nach ſeiner Gründung ſo 
zahlreiche Schenkungen zufloſſen, wie 
keinem andern Kloſter der gleichen Periode. 
(5. 44 ff). Man hat verſucht die reichen 
Dergabungen an das L’er Kloſter im 
Weſentlichen auf rein irdiſche Motive 
zurückzuführen. Dies war zu ſehr aus 
der Gedankenwelt des zwanzigſten Jahr⸗ 

hunderts gedacht, aber nicht aus der des 
achten und neunten (5. 53). Man über⸗ 
ſah die ideellen Gründe: die Sorge für 
das eigene Seelenheil, das Verlangen nach 
der Gebetshülfe der Mönche, die tiefe Der» 
ehrung für die Kloſterheiligen. Gerade 
dieſer letzte Punkt verdient in dieſem 


Zuſammenhang wohl beachtet zu werden. 
„Daß borſch aus einem kleinen Klöſter⸗ 
chen eine mächtige Abtei wurde, verdankt 
es im weſentlichen dem Beſttze der Be 
liquien des hl. Hazarius. Es ift groß ge 
worden durch jene religiöfe Bewegung, die 
der Prolog der ber Salica zu den Haupt 
tugenden des Frankenvolkes rechnet, 
durch die Verehrung der Reliquien, vor 
allem der römiſchen Märturer“ (8. 59). 
Dieſe Feſtſtellung verdient Beachtung 
gegenüber den Ausführungen anderer 
Forſcher, unter ihnen auch Hauck, die 


dieſen ideellen Beweggründen nicht immer 


vollkommen gerecht werden. 

Schließlich ſei noch vermerkt, daß auch 
der Lokalhiftoriker willkommene Beiträge 
in dieſer Studie finden wird. Der Ger 
Srundbefig war über ganz Südmell- 
deutſchland verteilt. Ja ſelbſt am ieder · 
rhein bei Nymwegen und Umgegend hatte 
es einſt Gerechtſame. Für den Freund 
der heimatgeſchichte dieſer Gegenden wird 
hier manch Wertvolles geboten. 

P. Albert Schmitt (Weingarten). 


Henkelmann, Prof. Karl, und Anthes, 
Prof. Dr. E., Das Rlofter Gorſch. Bens · 
heim 1922, Fr. Kaulbach. IM. 15.— 
Die Torhalle des Kloſters Vorſch an der 
Bergſtraße war ſeither den meiſten nur 
aus der Kunſtgeſchichte bekannt. Wenige 
beſuchten von Bensheim oder Worms ans 
dieſe Aulturftätte, um das älteſte Bau⸗ 
werk Deutſchlands an Ort und Stelle zu 
beſchauen. Mit der geringeren Möglich 
keit zu ausgedehnten Reifen wird wohl 
in Jukunft auch dieſem Denkmal der 
Heimat größere Beachtung geſchenkt. In 
dieſer Dorausfegung iſt das obengenannte 
Buch entftanden. Prof. Henkelmann, der 
ſich durd) ſeine Geſchichte Bensheims (1920 
in demſelben Verlage) als tüchtigen Gokal- 
forſcher erwieſen hat, behandelt im erſten 
Teile die Schickfale der Benediktinerabtei 
(763 1232) u. Prämonſtratenſerpropſtei 
(1248 1556); dann folgen Uachrichten 
über den ſäkulariſterten Beſitz. Unter 
Anlehnung an Falk, Geſchichte des ehe 
maligen Kloſters Vorſch a. d. Bergſtr. 
Mainz 1866, und unter Benützung neuerer 
ergebniſſe wird Jo die äußere Geſchichte 


Lorichs geſchildert. In dem zweiten Teil 
des Büchleins würdigt der 1922 ver⸗ 
ſtorbene heſſiſche Denkmalpfleger Prof. 
Dr. Anthes die Torhalle und die Reſte 
der nach 1090 entſtandenen Kloſterkirche. 
Die planmäßigen Grabungen in dem Be- 
reiche der Abtei ſind dabei gewiſſenhaft 
verwertet und werden durch eine Gefamt- 
anſicht und zehn Textabbildungen wirk⸗ 
ſam unterſtützt. 80 bietet das Büchlein, 
das 107 Seiten klein Oktav umfaßt und 
auch drei Siegel- und eine Wappenab- 
bildung enthält, wiſſenswerten Hufſchluß. 
Dennoch befriedigt das Werkchen nicht 
vollftändig. Über das innere Geben und 
die Tätigkeit der Ordensleute wird gar 
nichts geſagt. Und doch bildet das geiſtige 
und religiöfe Geben einer ſolchen Gemein- 
ſchaft den höchſten Gegenſtand wiſſenſchaft⸗ 
licher Forſchung. Gewiß läßt ſich im vor⸗ 
liegenden Falle zur Entſchuldigung an⸗ 
führen: Die Quellen für Unterſuchungen 
dieſer Art fließen ſehr dünn. Aber ver⸗ 
trocknet find fie keineswegs. Hus den Gor= 
ſcher Geſchichtsquellen (vergleiche Watten⸗ 
bach) und aus der Bibliotheca laures⸗ 
hamensis (von Falk, Beihefte 3. Jentral⸗ 
blatt für Bibliotheksweſen XXVI Leipzig 
1902) ift doch mancherlei zu gewinnen. 
Überhaupt wäre es für den Benediktiner⸗ 
orden eine ebenſo ehrenvolle wie wiffen- 
ſchaftlich dankbare Aufgabe, in einem 
Werke die Ergebniffe örtlicher Forſchungen 
über die deutſchen Benediktinerklöſter 
zuſammenzufaſſen, zu vertiefen und nach 
einheitlichen Gefihtspunkten darzuſtellen. 
Rirden-, Kultur⸗ und Kunftgefchichte 
zögen daraus den reichſten Gewinn. Was 
Pater Duhr in der Geſchichte der Jeſuiten 
in den Ländern deutſcher Junge zum Teil 
bereits vollbracht hat, was Pater Strunk 
Ord. Praed. zu Vechta für die deutſchen 
Dominikaner zur Zeit vorbereitet und was 
Pater Dr. Martini Ord. Carm. in Bam- 
berg ſoeben für die deutſchen Karmeliten 
durchführt, das follten die Söhne des hl. 
Benediktus für Deutſchland nicht unver⸗ 
ſucht laſſen. Die lokale Geſchichtsforſchung, 
ſoweit fie von wirklich wiſſenſchaftlichem 
Geifte getragen iſt, wird es ſicher als ihre 
vornehmſte Aufgabe anſehen, ein ſolches 
Unternehmen tatkräftig zu unterſtützen. 
Prof. Dr. H. Schrohe (Mainz). 


313 


ktruſe, Uve dens, Ich will! Id kann! 
Eine Schule des Willens und der Perſön⸗ 
lichkeit. 5. Auflage. 8° (154 8.) Buchen- 
bach, Felſenverlag. M. 80.— 
— bebenskunſt. Ein Wegweiſer für die 
neue Feit. 8 (1178.) ebd. 1922. M. 20.— 
Wer mit einiger Kenntnis der Aufgaben 
und Schwierigkeiten echter Willensbildung 
das erſte dieſer zwei Bücher zur hand 
nimmt, wird ſchon bei flüchtigem Einblick 
überraſcht fein angeſichts des vielen Treff- 
lichen, das hier geboten wird. Denn es 
iſt hier neben machem Ueuen ein gut Teil 
des Beſten zuſammengetragen von dem, 
was jahrhundertelange Erprobungen und 
erfahrungen der verſchiedenſten Menſchen, 
und nicht zuletzt der Meiſter chriſtlicher 
bebens weisheit und Afzefe, als brauchbare 
Mittel der Willensbildung erwieſen haben. 
Indes es iſt in dieſem kleinen Werke das 
Brauchbarſte zur Willensbildung nicht nur 
irgendwie zuſammengetragen und in oͤurch⸗ 
aus eigenartiger, urwüchſiger Form dem 
Gefer vorgelegt; vor allem find die aus⸗ 
gewählten Hilfsmittel der Willensſchulung 
auf eine wahrhaft meiſterliche Art zu einem 
ſuſtematiſchen behr⸗ und Ubungsgang ver⸗ 
bunden, wie ein ſolcher auch nur annähernd 
ſo geſchickt und packend bei uns vielleicht 
noch nie erſonnen worden iſt. Wer immer 
ſich in dieſe Willensſchule begibt und nicht 
bloß mit etwas Neugier und halber Auf: 
merkſamkeit von diefem und jenem Rennt⸗ 
nis nimmt, ſondern ſich mit einiger Folge⸗ 
richtigkeit dem Führer anvertraut, mit 
einiger Folgſamkeit die Ubungen ausführt 
und die behren überdenkt und ſich einprägt, 
der wird unzweifelhaft von den erſten Ta⸗ 
gen und Wochen an in mehr als einer 
Richtung wohltätigen Einfluß auf ſein 
Wollen und Handeln erfahren. In ſtei⸗ 
gendem Maße gewinnt der ausübende 
Schüler ſichere Klarheit des Wollens und 
ein frohes Bewußtſein des Könnens, er⸗ 
wirbt er ſich Gewohnheiten des Verhaltens, 
der Arbeit, des Fühlens, Denkens und 
Tuns, die ihm in der ganzen Breite des 
inneren und äußeren Gebens von greif⸗ 
barem Nutzen find. Auch wer mit guter 
Willensbildung in dieſe Schulung kommt, 
wird in deren Verlauf dankbar aner⸗ 
kennen, daß er weitergebildet und ge⸗ 
fördert ward. 


314 


Worin liegt das Geheimnis, mit dem 
diefe Schule den Schüler feſſelt und zum 
Erfolge führt? Darin, daß fie den ganzen 
Menſchen zu erfaſſen weiß, indem fie ſich 
an alle ſeine Kräfte wendet — an den 
Derftand mit packender, überzeugender 
behre vom Willen und der Willensſchulung, 
an den Willen mit ſtets wechſelnden, lok⸗ 
kenden Aufgaben, an das Gefühl, die 
beidenſchaften und Triebe, um ſie ſoweit 
nur möglich zu gefügigen Helfern des 
Willens zu machen, ganz beſonders auch, 
was deutlich unterſtrichen ſei, an den 
Körper und [eine Glieder, um in ihnen 
die Spannkraft zu mehren und die orga⸗ 
niſchen Grundlagen friſchen Wollens und 
Tuns zu ſchaffen. Dazu kommt die lang⸗ 
ſame, durch und durch zielbewußte Stei⸗ 
gerung der Übungen, Aufgaben und Geh- 
ren: es hebt mit Wenigem und Geichtem 
an, das ſchon zur lieben, weil wohltuenden 
Gewohnheit wird, ehe Weiteres, Schwereres 
hinzukommt; ſchwierige Aufgaben und 
Übungen werden von weit her langſam 
vorbereitet, und zwar jeweils durch Übun⸗ 
gen, die in Körper, Gefühl, Wille und Er⸗ 
kenntnis Ronzentriſch auf das gleiche Ziel 
hinſtreben. Die Spannung wird wach⸗ 
gehalten durch das Neue, das auf jeder 
neuen Stufe hinzukommt, ſowie durch ein 
tief begründetes rhuthmiſches An⸗ und 
Abſchwellen der geſtellten Forderungen, 
indem die Mitte jeder Woche mehr belaſtet 
wird als Anfang und Ende und indem 
nach je zwei bis vier Ubungswochen eine 
übungsfreie Woche eingeſchoben wird, nach 
der man mit neuem Eifer und Verlangen 
an die neue Arbeit geht. Will man ein 
Bild von dem Übungsgange im Ganzen 
haben, ſo achte man auf die Hauptziele 
der ſechs Wochengruppen, auf die ſich die 
ſtebzehn Stufen verteilen: Willens klarheit; 
quellende Kraft und Gebensziel; die Be⸗ 
meifterung der Affekte; Gedankenzudt; 
Verſuchungen und Oeidenſchaften; Ver⸗ 
hütung der Uervoſttät. Der Kundige errät, 
daß der vorgelegte Arbeitsftoff und das 
für einigermaßen vollkommene Bemeiſte⸗ 
rung erforderliche Maß an Arbeitsleiftung 
im Laufe der Übungen beträchtlich an⸗ 
wachſen. Jedenfalls wird es den aller⸗ 
meiſten kaum mõglich fein, im Paufe von 
etwa fünf Monaten alles Empfohlene und 


Geforderte gleichmäßig zu verarbeiten und 
zu bewältigen. Doch wird jedem die 
Richtung gewieſen, und kann jeder in 
dieſer Richtung eine erſte Strecke Wegs 
zurücklegen, um [päter die Übungen aufs 
neue zu beginnen und nun auch das er 
folgreich zu erſtreben, was beim erſten Be- 
mühen nicht ſo ganz gelingen wollte. 

Die „Willensſchule“ Kruſes bleibt nicht 
an der Oberfläche. Sie fordert klare be 
ſtimmte Jielſetzung nicht nur im Einzel 
nen, ſondern auch im Ganzen des Gebens, 
drängt dazu, alles beſondere Streben und 
Tun einzuordnen in eine große, umfaſſende, 
dem innerſten Verlangen entſprechende 
bebensaufgabe, die man ſich nach reiflicher 
Überlegung wählt. Hier empfindet man 
eine vom Derfalfer offenbar beabſichtigte 
Güde: die „Willensſchule“ ſagt zwar, daß 
man eine große Gebensaufgabe brauche 
und wie man ſich dafür bereiten müſſe, 
aber ſie führt nicht bis zu den letzten philo⸗ 
ſophiſchen, ſittlichen, religiöfen Wahre 
heiten, in deren Gicht die Entſcheidung 
für das Jiel getroffen, in deren Kraft 
das beben bewältigt werden muß. In⸗ 
ſofern bleibt die „Willensſchule“ im Tech⸗ 
niſchen und Formalen ſtehen. Und daran 
wird gar mancher Schüler letzten Endes 
ſcheitern, denn manchem fehlen eben die 
unentbehrlichen religiöfen und ethiſchen 
Überzeugungen, von denen aus ſich ein 
würdiges Gebensziel und eine des IIlen⸗ 
[hen Verlangen und Wollen ausfüllende 
Aufgabe einzig gewinnen und durch⸗ 
führen laſſen. 

In dem anderen angezeigten Buche, der 
„gebenskunft“, führt Kruſe allerdings 
zur Frage des letzten Pebensſinns hin. 
Er bietet zunächſt in zehn Abſchnitten die 
behren der „Willensſchule“, teilweiſe in 
ähnlicher oder gleicher Darſtellung, jedoch 
allerlei Ueues beifügend. Er verweiſt 
auch auf die meiſten Übungen der „ Willens- 
Thule“, doch ohne fie als Ubungsgang zu 
bieten. Im elften und abſchließenden 
Kapitel handelt er dann von der „Lebens- 
tiefe“, und hier ſucht er dem geſamten 
Geben und Streben einen religiöfen In⸗ 
halt und Sinn zu geben, ſucht er das 
menſchliche Wollen und Tun an ein letztes 
Jiel, an Gott zu knüpfen. Gerade hier 
aber verfagt feine führung. Der Gott, 


den er zu finden vermeint, ift ein wer⸗ 
dender Gott, ein Gott, der des Menſchen 
Hilfe braucht, damit er ſelbſt zu feinem 
vollen Sein und Wefen komme. Es ift der 
Bott das Bantheismus, damit aber ein Gott 
voll Widerſpruch, ein unmöglicher Gott, 
der uns nichts hilft für das Derftändnis der 
Wirklichkeit und den Sinn des Lebens. Die 
Lebenskunſt und Willensſchule bedürfen 
anderer Grundlagen, anderer Zielfegung, 
als ſie hier geboten werden. 

Doch wie gefagt, die „Willens ſchule“ 
it davon und von manchen anderen Uns 
erfreulichen der „ebenskunſt“ nicht beein⸗ 
flußt, und auch fonft enthält fie kaum 
etwas, das abgelehnt werden müßte, ab⸗ 
geſehen etwa von dem Verſuch, die Lüge 
für gewiſſe Fälle zu rechtfertigen, wie es 
andeutungsweiſe 8. 139 f. geſchieht, oder 
von der unzulänglichen Bewertung der 
Reue und noch einigem mehr. 

Dieſe Vorbehalte gemacht, können wir 
die beiden Bücher, vorab „Ich will! Ich 
Rann!“ allen denen empfehlen, die ihr 
Wollen Klären, ſtraffen, feſtigen und ihre 
Perſönlichkeit zu froher, friſcher Tatkraft 
ſtärken wollen. Als Hilfsmittel einer weit 
und groß gefaßten Aſzeſe können die 
Übungen Kruſes in das übernatürliche 
Streben eingebaut und deſſen Zwecken 
gemäß ergänzt werden: fie werden helfen, 
ſo manche hinderniſſe des übernatürlichen 
bebens zu brechen, deren man ſonſt Raum 
herr wird, weil man fie nicht in allen 
ihren Wurzeln angreift. Sanz beſonders 
möchten wir die „Willensſchule“ den 
behrern und Führern im geiſtlichen beben 
empfehlen, Beichtvätern, Spiritualen, No⸗ 
vizenmeiftern und Novizenmeiſterinnen. 
Sie ſollten das Buch nicht nur leſen und 
ſtudieren, ſondern am eigenen beib und 
an eigener Seele gründlich erproben, um 
dann für ihre heilige Aufgabe das zu 
verwerten, was ſich ihnen durch Erkenntnis 
und lebendige Erfahrung als hilfreich 
erweiſt. Es wäre großer Gewinn, wenn 
die Aufmerkfamkeit weiterer Kreiſe hin⸗ 
gelenkt würde auf Dinge, die zwar für 
die Bereitung von Seele und Leib zum 
geiſtlichen Geben überaus wichtig und wert⸗ 

voll find, aber zu wenig beachtet und 
ausgenützt werden. 
P. Daniel Feuling (Beuron.) 


815 


Beinen, N., Die Bergpredigt geſuchriſti. 
Was ſie dem Manne des 20. Jahrhunderts 
zu ſagen hat. Kl. 8 (217 8.) M. Glaòbach 
1921, Dolksvereins-Derlag. III. 10.— 

Das Büchlein iſt für Männer beſtimmt, 
für Männer des 20. Jahrhunderts, insbe⸗ 
ſondere berückſichtigt es die Männer des 
Arbeiterftandes. Mit jeder dieſer Einſchrän⸗ 
kungen nennen wir einen neuen Vorzug. 
Auch hier gilt: In der Beſchränkung zeigt 
ſich der Meifter. Die Männer, welche der 
Derfaffer im Auge hat, kennt er durch und 
durch. Er ift gut Freund mit ihnen. Des⸗ 
halb darf er es wagen, ſie zum Heiland zu⸗ 
führen. „Was würdeſt du denken, Freund, 
wenn eines Tages Chriſtus, der herr, in ganz 
ſtiller, ſchlichter Anſpruchsloſigkeit unter 
uns erſchiene? .. Und er führte uns aus 
der enge der Fabrik und der Stadt hinaus 
in die freie Natur, ſetzte ſich in unſer Mitte, 
wir aber nähmen Platz um ihn herum, und 
er hübe jetzt an, uns eine Predigt zu hal⸗ 
ten.“ Und nun perlen fie von ſeinen Gip- 
pen, die goldenen Worte von den acht Selig⸗ 
keiten, vom neuen Geſetz, vom neuen Ge- 
bet (Bater unfer), die ganze Bergpredigt 
(Matth. 5 — 7). Der Derfaſſer bringt fie 
ſeinen Männern ſo nahe, daß ſeine Worte 
fie in der Seele packen müffen. Keiner wird 
Tagen: Das haben wir ſchon oft gehört, das 
wiſſen wir längſt. Nein, fie lauſchen als 
hörten ſie eine neue frohe Botſchaft. 80 
muß man geſu Worte hineintragen in die 
Männerwelt, und ſie werden zünden. 

P. Gaurentius Rupp (Weingarten). 


Apel, Chr., echte Wanderer. Gedanken 
über die kath. Wanderbewegung. 12 (75 8.) 
Düſſeldorf 1922, Jugendführungsverlag. 

Hier ſpricht ein gebildeter handwerker zu 
ſeinen Brüdern, den Wanderern, und führt 
fie in dieſe herz und Körper erquickende Er⸗ 
holung ein. Er will aber nicht bloß geſchulte 
Wanderer erziehen, ſondern vor allem echte 
Chriſten bilden, aus denen der Geiſt der Welt 
verſchwunden iſt, und die ſich nicht mehr be⸗ 
geiftern können für die „Freuden“ des Ri- 
nos, der Trinkgelage und des Rauchens, die 
ſich vielmehr freuen an den ſtets abwech⸗ 
ſelnden Bildern auf ihrer „Fahrt“, denen ein 
Trunk Waſſer das befte Gabfal iſt und der 
friſche Morgennebel über Tabakrauch geht. 

P. Willibrord Derkade (Beuron). 


316 


Aus dem Orden des hl. Benediktus 


Die Wiederbelebung der Benediktinerabtei Weingarten. 


Is ein päpſtlicher Erlaß vom 14. Juni 1920 die herrliche Benebiktinerkirche und 

das Kloſter auf dem Ulrichsberge bei Heresheim der urſprünglichen Beſtimmung 
zurückgab, ahnte noch niemand, daß die Wiedererweckung einer anderen altehr⸗ 
würdigen Stätte benediktiniſcher Kultur in ſchwäbiſchen Landen nahe bevor ſtehe. Was 
in den letzten Tagen des genannten Jahres angeregt wurde, gelangte vor wenigen 
Wochen zum Abſchluß: Das Heiligtum auf dem Martinsberge zu Weingarten ift wieder 
Benediktinerkloſter; in Württembergs größtem katholiſchen Gotteshaufe erſchallen von 
neuem die uralten Weiſen des gregorianifchen Chorals, und ſchwarze Mönchsgeſtalten 
ſieht man wieder durch die weiten hallen der mächtigen Abtei ſchreiten. 

es war ein Feſttag von ſeltener Größe und Tiefe, diefer 14. Rai 1922. Biſchof 
und Bauersmann, Arbeiter und Adelige teilten in gleicher Weiſe die Herzensfreude 
der wiederkehrenden Hüter des ſchwäbiſchen Nationalheiligtums. Ob diefe nicht ſinnend 
vergangener Tage gedachten, ob fie nicht den Dätern und ehemaligen Inſaßen des 
neuerſtandenen Kloſters Augenblicke pietätvoller Erinnerung ſchenkten? Bor hundert⸗ 

zwanzig Jahren hat ein kalter, irdiſch gerichteter Zeitgeift ihr blühendes Wirken 
grauſam nnd ohne Berftändnis für eine gegen acht Jahrhunderte umfaſſende Kultur- 
miffion zerſtört. Schon vor der Mitte des elften Jahrhunderts waren nämlich die 
Söhne des hl. Benedikt, vom baueriſchen Altomünſter kommend, eingezogen in die 
Stiftung der Welfen. Gaut Überlieferung wurde nach wenigen Jahrzehnten die heute 
noch hochverehrte Reliquie des koſtbaren Blutes Chriſti, das Kleinod von Weingarten, 
durch ein Glied des welfiſchen hauſes dem Kloſter geſchenkt. mehr und mehr flieg 
Anſehen und Macht der Abtei, die zumal ſeit dem Ausgange des Mittelalters eine 
führende und zugleich ehrenvolle Rolle ſpielte. Vor allem erlangten die großen Äbte 
Herwig Klarer (T 1567) und Georg Wegelin ( 1627) hohe Bedeutung für Wein- 
garten und den oberſchwäbiſchen Klöſterverband. Im fiebzehnten und achtzehnten 
Jahrhundert herrſchte großer Eifer für Kunſt und Wiſſenſchaft. Zeuge davon ift der 
grandiofe Neubau des Kloſters und der Kirche mit ihrer bedeutenden Orgel und den 
fünf ſchönen Deckengemälden. Zeuge ift ferner der mitten in den Wirren des dreißig⸗ 
jährigen Krieges geſchehene großzügige Ankauf des Hauptteiles der Ronftanzer Kapitels ⸗ 
bibliothek und überhaupt das liebevolle Intereſſe, das man der Kloſterbibliothek und 
Kloſtergeſchichte entgegenbrachte. Uur die Namen der emfigen Hiftoriker Bucelin 
und Heß ſowie des ausgezeichneten Bibliothekars J. B. Bommer ſeien vorübergehend 
genannt. Über all das wird in dieſen Heften wohl noch eingehend berichtet. 

Der vierzigſte Abt, Anſelm Kittler, mußte ſich mit einem Konvente von vierund- 
vierzig Patres, zu denen noch vier Laienbrüder kamen, im Jahre 1802 ff. blutenden 
Herzens die Säkularifation und allmähliche Auflöfung des Kloſters gefallen laſſen. 
Das Baus Naſſau⸗Oranien (ſeit 1806 Württemberg) wurde „Rechtsnachfolger“ des 
Reichsprälaten von Weingarten mit den dazu gehörigen Gebieten. Der größte Teil 
des wertvollen Handͤſchriften⸗ und Bücherbeſtandes ſamt dem Kloſterarchive wanderte 
nach Stuttgart, auch zahlreiche Kultgegenſtände von Runftwert führte man weg. Die 
Kirche blieb dem Gottesdienſt der katholiſchen Pfarrgemeinde erhalten. Der weite 
Blofterbau dagegen fand im Laufe der Jahre verſchiedene Derwendung: Seit 1868 lag 
darin ein Regiment Infanterie, und Weingarten ſollte immer mehr ein militäriſches 
Gepräge erhalten. Eine Rückkehr der Söhne St. Benedikts ſchien ausgeſchloſſen. 

Der menſch denkt und Gott lenkt. Ein halbes Jahrhundert hatte die ungewohnte 
Beſtimmung des alten Kloſters gedauert, als der ungünſtige Ausgang des Welt⸗ 
krieges die „Raferne” von Weingarten neben vielen anderen im Reiche veröden ließ. 


317 


Was follte nun werden mit dem mächtigen Bau? Die ſchon bald erfolgende Tlieder- 
laſſung der Franziskaner ſah ganz von ihm ab. Eine Verlegung des biſchöflichen 
Sitzes von Rottenburg hierher ſtieß auf Schwierigkeiten. Da wies der Diözeſanbiſchof 
ſelber die Stadtverwaltung an, Benediktiner um die Rückkehr in die alte Abtei zu 
erſuchen. Eine ſchwere, bedeutfame Entſcheidung war in Beuron zu treffen, als im 
ganuar 1921 Stadtpfarrer K. Pfaff und Staoͤtſchultheiß W. Braun daſelbſt nach vor⸗ 
heriger brieflicher Anfrage perſönlich in diefem Sinne vorftellig wurden. Hatte doch 
die Erzabtei an der kaum konſtitutierten Neugründung von Ueresheim noch Mutter: 
pflichten zu erfüllen. Andererſeits aber bot ſich vielleicht nie wieder die Gelegenheit 
zur Wiederbelebung einer ſo großartigen altbenediktiniſchen Stiftung. 

In vielen Handſchriften der Stuttgarter Bibliothek lieſt man den alten Eigentums⸗ 
vermerk: „Iste liber est ss. Martini et Oswaldi in Dinea Domini — Dieſes Buch 
gehört dem Kloſter der heiligen Martin und Oswald zu Weingarten.“ Beide Schutz⸗ 
heiligen ſollten bei der Wiederherſtellung Weingartens in ſinniger Weiſe zur Geltung 
kommen: Martin, der in Schwaben und Franken einft vielverehrte heilige Bifchof, 
dur die Gründertätigkeit der ihm geweihten Erzabtei im Donautale; Oswald, der 
heilige König aus angelſächſiſchem Stamme durch die Uberfiedelung einer deutſchen 
Kloſtergemeinde aus England in die Welfenabtei. Schon in den Tagen des Kultur⸗ 
kampfes (1876) war zu Erdington bei Birmingham eine Filiale von Beuron gegründet 
worden. 80 langſam entfaltete ſich aber die deutſche Siedelung drüben über dem 
Kanal, daß erſt 1899 die Einfegung eines Abtes erfolgen konnte. Die tatkräftigen 
Bemühungen des hochſeligen Beuroner Erzabtes Ildefons Schober, der Patres und 
Iovizen hinüberſchickte, verſprachen gerade in den Jahren kurz vor dem Weltkrieg 
eine günſtige Weiterentwicklung. Anders hernach. Die Ausweiſung des größten 
Teiles der Patres und Brüder durch die engliſche Regierung Ende 1918 — Gegen- 
vorſtellungen der anhänglichen Bevölkerung führten zu keinem Erfolge — hatte 
Rataftrophale Bedeutung für Erdington. Das opfervolle, hingebende Walten und 
Wirken des Abtes Ansgar höckelmann mit den Seinen gute zwei Jahrzehnte hin⸗ 
durch, ſo ergebnislos es irdiſch betrachtet erſcheinen mag, ſollte vom Himmel in un⸗ 
erwartet reicher Weiſe belohnt werden. An ihn richtete Erzabt Raphael die Anfrage, 
ob er nicht in Weingarten feiner klöſterlichen Familie, deren größter Teil ſeit der 
Vertreibung in der Abtei St. Joſef in Weſtfalen ein gaſtlich⸗brüderliches Aſul genoß, 
ein neues Heim ſchaffen wolle. Eine freudige, dankbare Juſage war die Antwort. 
Das Verſprechen tatkräftiger Mithilfe feitens der Beuroner Erzabtei hob den Mut 
der Mönche von Erdington. Neben der wohlwollenden Förderung durch Se Exzellenz 
Biſchof von Keppler und der praktifchen Unterſtützung durch führende Perſönlichkeiten 
in der Candeshauptftadt haben vor allem Erzabt Raphael Walzer von Beuron und 
Stadtſchultheiß Wilhelm Braun von Weingarten zuverſichtlich und unverdroſſen die 
zu Zeiten ſchwierigen Unterhandlungen mit Berlin und Stuttgart betrieben und dieſes 
Frühjahr zu einem befriedigenden Abſchluß gebracht. Mit dem Ankauf eines größeren 
Gehöftes in halbſtündiger Entfernung iſt die wirtſchaftliche Grundlage für den Beſtand 
des Alofters gegeben. Die Franziskaner verlegten nach angemeſſener Entſchädigung 
ihre Niederlaſſung nach Saulgau und Wangen. Im März traf faſt gleichzeitig die 
kunde von der Deräußerung Erdingtons an engliſche Redemptoriſten und die Einzugs⸗ 
bewilligung für Weingarten ein. Seit Monaten war man unter rühriger Mithilfe 
der Bevölkerung daran, das übel zugerichtete Kloſter notdürftig inſtand zu ſetzen. 
Nun lag der Eröffnung nichts mehr im Wege. 

„Mit tauſend Freuden“ ging der Rottenburger Biſchof, ſeit Jahrzehnten Beurons 
warmer Gönner und Freund, auf die Bitte ein, in eigener Perſon die neuen Mönche 
in Weingarten feierlich einzuführen. Es lag ihm daran, ein ſo denkwürdiges 
Ereignis in würdiger Weiſe zu begehen. Der 14. Mai 1922 ſollte ein Freudentag 
für ganz Oberſchwaben ſein, er ſollte hoffnungen für die Diözeſe wecken. Erzabt 
Raphael von Beuron hatte zahlreiche Einladungen an Geiftlihe und Laien ergehen 


318 


laſſen. Zu Tauſenden ftrömte das gute Schwabenvolk von allen Seiten und Sauen 


herbei, achtzig Geiftliche der näheren und ferneren Umgebung und zahlreiche Herren’ 


aus dem katholiſchen Adel wollten die Freude des Biſchofs und der Söhne des 
hl. Benedikt teilen. Aborönungen aus den kirchlichen und zivilen Kollegien von 
Weingarten und Umgebung, eine gute Anzahl befreundeter Landtagsabgeoröneter 
und Mitglieder einer hohen Regierung, dazu einige Patres und vor allem Prälaten 
verſchiedener Klöfter fanden ſich aufmerkſam ein. 

Im aller Morgenfrühe kündeten ſchon Böllerſchüſſe und die „Tagwache“ der Stadt⸗ 
kapelle die Bedeutung des feſtlichen Sonntags an. mittags zwei Uhr ſollte aus 
Rückſicht auf die vormittags unabkömmliche Geiftlihkeit die Feier beginnen. Es 
bildeten ſich zwei Prozeſſtonen. Abt Ansgar inmitten feiner durch ein Dutzend Beuroner 
Patres ſamt etlichen Brüdern verftärkten Kloſtergemeinde führte von unten hinan⸗ 
ſteigend die eine; die andere um den Diözeſanbiſchof, den ein ſtattlicher Stab von 
geiſtlichen und weltlichen Würdenträgern geleitete, ſchritt ihr voll freudiger Erwartung 
entgegen. Am Treffpunkte gaben ſich Biſchof und Abt den Friedenskuß. Anknüpfend 
an die Auferftehungsfreude der Oſterzeit gab Erzabt Raphael in einer kurzen Ber 
grüßungsanſprache an den Biſchof dem innigſten Dank und Herzensjubel lebhaften 
Ausdruck. „Singet dem Herrn ein neues Died, denn Wunderbares hat er getan; im 
Angeſichte der Völker offenbarte er feine Gerechtigkeit“, dieſe Eingangsworte der 
Sonntagsmeſſe ſeien der Grundton der heutigen Feſtesfreude. In dieſem Sinne be⸗ 
ginne und ſinge künftig der Mönchschor oben auf dem Berge das Lob des herrn. 
In glänzendem Jug bewegten ſich nun die beiden Prozeſſionen vereint durch die im 
Feierſchmucke prangenden Straßen der Stadt, an der Tauſende von Zuſchauern Spalier 
bildeten. Unter heiligen Gobgefängen zogen die Mönche den Martinsberg hinan, von 
derſelben Feierſtimmung erfüllt, in der einſt das Volk Ifrael hinaufwallte zur heiligen 
Stadt. „Groß ift der Herr und jeglichen Preifes würdig, in unſeres Gottes Stadt, auf 
feinem heiligen Berge. Unter dem Jubel des ganzen Landes wird der Sottesberg, 
die Stadt des großen Königs begründet“ (Bf. 47). Die Reihe infulierter Prälaten 
ſchloß ſich an, Abt Auguſtin Borer vom St. Gallus ſtifte zu Bregenz neben Abt goſef 
M.Einfieöler von Ottobeuren, die drei Ottilianerprälaten Plazidus Vogel von Iünſter⸗ 
ſchwarzach, Cœleſtin Maier von Schweikelberg und Erzabt Norbert Weber von 8t. 
Ottilien, hinter dieſen der neue Abt und Dater von Weingarten, Ansgar Höckelmann, 
eine ſtattliche Erſcheinung hoch in den Fünfzigerjahren, von Erzabt Raphael Walzer 
aus Beuron und Abt Bernhard Durft aus Ueresheim geleitet. Unter einem Baldachin 
folgte der Diözeſanbiſchof in Pontifikalornat mit der Ehrenaſſiſtenz des Stadtpfarrers 
Pfaff und zweier Franziskaner. Feſtliches Glockengeläute und braufende Orgelklänge 
ertönten, als man die weiten Hallen des monumentalen heiligtums betrat. Am 
Heiligblutaltar ſprach der Biſchof ein Segensgebet über den 41. Abt von Weingarten 
und führte ihn dann zu feinem Throne im Presbyterium. Der Abt ergriff feierlich 
davon Beſitz und nahm die Huldigung der Mönche entgegen. Uun beftieg der Ober⸗ 
hirt die Kanzel, um durch ſein bewährtes biſchöfliches Wort die hohe Bedeutung des 
Tages zu kennzeichnen. 

„Mit freudigem Jubel hat heute die Stadt Weingarten den Biſchof aufgenommen, 
denn fie weiß, daß der heutige Tag ein Wendepunkt iſt in ihrer Seſchichte. Das 
in Scharen herbeigeeilte Dolk hält den Atem an, weil es fühlt, daß hier etwas 
Großes vor ſich geht. Es iſt fo. In dieſer heiligen Oſterzeit ſollen wir ein Oſter⸗ 
wunder erleben, ein wahres Auferftehungswunder. Ein Toter, der ſchon hundert 
Jahre im Grabe liegt, ſoll heute zu neuem Geben erweckt werden. 

Bor hundert Jahren ſank hier nach ſechshundertjährigem Beſtand ein benedik» 
tiniſches Rlofterleben ins Grab, hingerichtet durch das Kichtſchwert der Säkulariſation. 
dem fo viele Klöſter zum Opfer fielen. Auch dieſes Grab wurde argwöhniſch über: 
wacht wie Chrifti Grab, überwacht von einer Staatsweisheit, die entſchloſſen war, 
auf jede Weiſe ein Wiederaufleben eines Männerkloſters nicht bloß an dieſer Stätte, 


7 
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— — — 


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319 


ſondern im ganzen Gand unmöglich zu machen. Ja das hieſige Kloſter wurde nicht 
nur von einigen Soldaten bewacht, ſondern von ganzen Regimentern, die Jahr⸗ 
zehnte hindurch alle Klofterräume beſetzt hielten, ſo daß wirklich niemand mehr 
daran denken konnte, daß jemals wieder dieſe Bauten ihrem urſprünglichen Zweck 
zurückgegeben werden könnten. 

Und doch können wir heute Auferftehung feiern! Dieſe Staatsweisheit von da⸗ 
mals iſt zur Torheit geworden, über die man nur noch lächelt. Die Regimenter 
hat ein Geheimbefehl der Dorfehung abberufen für immer. Es ift gegangen wie 
es beim Propheten heißt: Sie alle verweht der Wind, und ein Hauch führt fie weg; 


wer aber auf mich vertraut, der wird ererben das Land und in Beſitz nehmen 


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meinen heiligen Berg (If. 57, 13). 

80 iſt es gekommen. heute führen wir die Söhne des hl. Benedikt wieder ein 
in dieſe Kirche und dieſe Kloſterräume, die ihr Orden gebaut hat, und fie übernehmen 
wieder ihren Dienſt auf dieſem heiligen Berg, und dieſe gewaltigen Mauern er⸗ 
wachen wie aus tiefem Todesſchlaf und geben Wiederhall dem Chorgeſang der Mönche, 


und die Hofanna ſingt, wie fie ſeit hundert Jahren nicht mehr gefungen; fie ſingt 


1 Ten ER 


Fr 23. 


mit ihrer ſüßen Donnerſtimme: Gottes Wunder! Gottes Wunder! Gott ſei Dank! 
Gott ſei Dank! 

Ja, Gottes Wunder! Wer kann Tote erwecken, außer Gott? Gottes Wille und 
Gottes Macht hat alles fo gefügt und geordnet. Die Gedanken und Pläne der 
menſchen über die Zukunft dieſes Kloſters gingen bis in die letzten Zeiten weit 


auseinander. Man dachte an alle möglichen weltlichen und karitativen Zwecke. 


* 2 * 


Das brave katholiſche Volk der Stadt und des Oberlandes hätte gern hierher den 
Sitz des Biſchofs, der Kirchenregierung, des Prieſterſeminars verlegt geſehen. Die 


Frage hat uns lange ernſtlich beſchäftigt. Das Herz des Biſchofs war geteilt. Der 
eine Teil der Diözeſe rief: komm zu uns! Der andere: Bleibe bei uns! Aber je 
mehr wir alles erwogen und den Willen Gottes zu ergründen ſuchten, umſomehr 


wurde es uns klar: Diefe Bauten riefen nicht nach uns. „Res clamat ad öominum“, 


| das Eigentum ruft nach feinem rechtmäßigen herrn. Dieſe Bauten verlangten wieder 
nach ihren Benediktinern. Tliht etwas ganz anderes ſollte hier ins Leben gerufen, 


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ſondern das, was früher da war und im Grab ſchlummerte, ſollte zu neuem Geben 
auferweckt werden. 

Sobald dieſer Plan Geſtalt annahm, fand er überall und vor allem in hieſiger 
Stadt Derftändnis, entgegenkommen und Unterſtützung. entgegenſtehende Schwierig 
keiten und Hinderniſſe waren mit einemmal leicht zu überwinden. Am 25. Februar 
1802 war das alte Klofter aufgehoben worden und am 25. Februar 1822 wurde die 


Erlaubnis zur Wiedereröffnung erteilt. Und fie eilten herbei, die Söhne des hl. 
Benedikt, aus dem fernen england und aus dem nahen Beuron, eilten herbei, nach 


einem Wort des Propheten, ſo wie die Tauben zurückfliegen nach ihrem Schlag 
J. 60, 8). Und nun werden ſie wieder aufbauen die Trümmer der Vorzeit und 
05 A wieder aufrichten und erneuern die verwüſtete Stätte, die verödet dalag 
. 60, 40). | 
Aber fie werden nicht bloß für ſich und für ihr Kloſter forgen. Sie wilfen wohl, 
daß Bott dieſes Oſterwunder nicht allein für ſie gewirkt hat, ſondern für das 
Gemeinwohl, daß er ihnen inmitten dieſes Volkes ihren Wohnſitz angewieſen hat, 
amit fie ihm in ſchwerer Zeit Troft und Rat und hilfe bringen. Darum werden 
dieſe Mönche es als eine heilige Pflicht anſehen, dieſer Stadt, dem Oberland und 
der ganzen Diözeſe ihre Dienfte zu weihen, in der Seelforge mitzuarbeiten, im 
Beichtſtuhl, auf der Kanzel, in der Schule, am Krankenbett, in den Vereinen. Das 
weiß das Volk, deswegen hat es Sie, meine hochwürdigen Herren, fo freudig, fo 
hoffnungsfroh, ſo dankbar hier begrüßt. Es wird Sie, wie es beim Propheten heißt, 
Priefter des Herrn nennen und Diener Gottes. Sie werden bald überall bekannt 
ſein, und alle, die Sie ſehen, werden anerkennen, daß Sie der Same ſind, den 


320 


geſegnet hat der herr (IT. 61, 6—9), und durch den er dem Volk und dem band 
Segen fendet. So begrüßt Sie das Volk, fo begrüßt Sie der Klerus, ſo begrüßt Sie der 
Biſchof. Wir alle bieten Ihnen von Herzen den Willmomm im Namen des Herrn. Amen.“ 

Die erſte feierliche Pontifikalveſper des Abtes von Weingarten in ſeinem neuen 
Gotteshaufe wurde unmittelbar darauf in freuöigem Danke geſungen. Unter den 
erhebenden Klängen des „Sroßer Bott“ bewegte ſich dann der Zug hinüber zu einer 
kurzen Einweihungsfeier ins Alofter. In der einfach vornehmen Hauskapelle richtete 
Abt Ansgar warme Dankesworte an den Biſchof und die beim Wiedererſtehen Wein 
gartens Beteiligten. 

„Die erhabene Feier, die wir ſoeben erlebten, hat in meiner Seele und wohl auch 
in der Ihrigen die tiefſtem Empfindungen hervorgerufen. Es wäre wohl das beſte, 
dieſe Empfindungen und Gefühle weiterſchwingen zu laſſen; die Volltöne der Hofarma, 
die ſüßen Harmonien der Orgel, die ergreifenden Worte Eurer Exzellenz ſanft aus 
klingen zu laſſen in unferer Seele und die Bottesfreude in unſeren Herzen nicht zu 
ſtören. Doch ich fürchte, ich würde meiner Pflicht nicht genügen, wollte ich ſchweigm. 
Ein kurzes, tiefempfundenes Wort des Dankes. Eure Exzellenz haben uns nit 
väterlicher Liebe wilkommen geheißen und unſere Aufgaben begründet. Ich kam 
verſichern, daß diefe Worte in unſeren Herzen ewig klingen und uns immer erinnem 
werden an die Pflicht der Dankbarkeit. Möge das Gotteslob in dieſem erhabenen 
Heiligtum nie verſtummen.“ Weiterhin dankte der neue Abt aufs herzlichſte dem 
Erzabte von Beuron für die kluge, zielbewußte Führung der Verhandlungen und 
die tatkräftige Mithilfe bei der Befiedelung des Martinsberges, den Vertretern der 
hohen Landesregierung ſowie dem Stadtoberhaupt und Rate von Weingarten für 
die wohlwollende, energiſche Mitwirkung zum Gelingen des herrlichen Werkes, end⸗ 
lich dem Adel und den Prälaten, den Söhnen des hl. Franziskus und dem Klerus 
für die Teilnahme an dem erhebenden Feſte. — Die „Laudes Hincmari“, eine uralte 
liturgiſche Ovatiousform, auch für dieſen Fall wieder abgefaßt von dem feinſinnigen 
Beuroner Gatiniften, bildeten in einer familiären Abenöfeier den [tim mungsvollen 
Abſchluß des in der Geſchichte Weingartens für immer denkwürdigen Tages. 

Die Wege Gottes find anbetungswürdig und wunderbar. Mit tiefer Wehmut 
mögen die alten Mönche der großen ſchwäbiſchen Abteien ihre liebgewonnene Heimat 
vor über 100 Jahren verlaſſen haben. Ohne die tröſtliche hoffnung auf den dag 
der Huferftehung des klöſterlichen heims iſt einer um den anderen ins Grab ge: 
ſunken, der letzte Rapitular von Weingarten im Jahre 1856. Die Stunde der Er: 
löſung follte lange auf ſich warten laſſen; aber fie kam. Tleresheim iſt erſtanden, 
Weingarten iſt zu neuem beben erwacht. Wie Beuron ſind ſie getragen von dem 
Stolz und der Liebe des guten katholiſchen Schwabenvolkes, dem fie dafür dutch 
Gebet und Arbeit die Segnungen des himmels vermitteln. Möge es ihnen allen 
vergönnt fein, bis zum Ende der Zeiten im Geifte des heiligen Daters Benediktus 
zu wirken und Mittelpunkte religiöſer Erneuerung zu werden! J. U. 


— —ẽ—.ä— — 


= — ——5 —— 


Unfere Bilder. P. Gabriel Wüger liebte es, gut geformte Köpfe nach der Natur 
zu zeichnen, um fie dann ſpäter auf ihre Derhältniffe zu unterſuchen und nachzu⸗ 
meſſen, in wiefern fie mit feiner Ranon⸗ oder Jdealfigur übereinſtimmten. — Der lönchs⸗ 
kopf ſtellt den Mitbegründer der Beuroner Kongregation dar, Erzabt Plazidus 
Wolter (+ 1908), als er noch Hovizenmeifter in Beuron war. Der Laienbruder 
ift Bruder Alezius Keller (T 1914), der als Küchenbruder viele Jahre lang m 
verfchiedenen Klöſtern treue Dienſte leiftete. 


— — 
— — 


herausgegeben von der Erzabtei Beuron (Hohenzollern), 
für die Schriftleitung verantwortlich: P. Daniel Feuling (Beuron), 
gedruckt und verlegt vom Runftverlag Beuron. 


= 
QUEUSSGNSSELESSSHSHESSHEESEEEEAENSEESHRUSRESSRSLSUSSEHRESEESNHSNGRENNUARURNASSSSSERARGALRGERR 


Eingelaufene Schriften. 
(Die einreihung eines Buches in diefe Lifte bedeutet noch 


keine Empfehlung — Beſprechung erfolgt nach Tunlichkeit. 
Rückſendung findet in keinem Falle ſtatt.) 


— 
— 


Allgeier, A., Bibel und Schule. Eine v. Krane, Anna, Das Mithras⸗Schiff. 


Einleitung ins Alte Teſtament für Reli- 
gionslehrer in 6 Vorleſungen. 8 (XII u. 
122 8., 12 Bilder). Frbg., Herder. NM. 40.— 

Aufenanger, W., Die organiſterte Cari« 
tashilfe in einer Induftriepfarrei. gr. 80 
(398.) N i.B.1922, urn 

Bartmann, B., Dbehrbuch der Dogmatik. 
A. u. S. Aufl. 2 Bände. gr. 80 (XII u. 464 8. 
u. K u. 544 8.) Frbg. 1920 und 1921, 
Herder. III. 85.— und IL 120.—; geb. 
M. 115.— und M. 155.— 

Baumann, Walburga, 0. 8. B., Die ſel. 
Irmengard von Chiemſee. Kl. 8160 8. 
mit 25 Bilder und 1 Fakſimile). Mün⸗ 
chen 1922, er Geb. M. 65.— 

Baumſtark, H., Geſchichte der ſyriſchen 
Literatur mit Ausſchluß der chriſtlich⸗ 
palãſtinenſiſchen Texte. 4 (XVI u. 3788.) 
Bonn 1922, Marcus u. Webers Verlag. 

Chineſiſch⸗Deutſche Jahres ⸗ und Tages 
zeiten. Lieder u. Gefänge. Verdeuſcht 
von Richard Wilhelm. Mit 16 Uach⸗ 
bildungen chineſtſcher Holzſchnitte. 8 
(131 8.) Jena 1922, Diederichs. 

Die Erziehungskunft der Mutter. Ein 
Leitfaden der Erziehungslehre. 4. Aufl. 
51-60 Tſö. Rl. 80 (142 8.) M. Glaòbach, 
Dolksvereins=-Derlag. Geb. M. 19.— 

Donders, N., Heimkehr. Stille Gedanken. 
(71.—80. Tſö.) 12° (XVI und 452 8.) 
M. Glabbach 1922, Volks vereins - Verlag. 
m. 37.50. | 

Feſtliche Stunden. Programme, Vortrags- 
gedichte und Ratſchläge für Dereins- und 
Gemeinde-Fefte. ¶Dolkskunſt - Bücherei, 
11. Heft.] 8 (148 8.) m. Glaòbach 1922, 
Dolksvereins-Derlag. M.36.— _ 

Gionger, Abt], BottgeweihtimLbaien- 
kleid. Winke für gottliebende Seelen. 
80 (36 8.) Mliffionsverlag Schweiklberg 
(Boft Vilshofen a. D.) 1922. 

Guardini, K., Der kreuzweg unferes 
Serrn und Beilandes. 11.— 20. Tſd. 
12⁰ es 8.) Mainz 1921, ML-Grünewald- 
Verlag. Geb. M. 12.— 

— Quickborn. Tatſachen und Grundſätze. 
2. Aufl. 8 (36 8.) Rothenfels a. III. 1922, 
Verlag Deutſches Quickbornhaus. 


Joos, J., Der Berufsgedanke und die 
induſtrielle Cohnarbeiterſchaft [Die 


katholifhe Arbeiterbewegung 5. heft] 
gr. 80 (29 8.) In. Glaòbach 1922, Volks⸗ 
vereins-Derlag. M. 12.— 


Roman ausò em 5. Ihrt. 8 (229 8.) Köln 
1922, Bachem. M. 62.—; geb. M. 75.— 

v. Loyola, hl. Ignatius, Geiftlicdhe 
Übungen. Uach dem ſpaniſchen Urtext 
über ſetzt, eingel. und mit Anmerkungen 
verfehen von N. Feder 8. 9. Kl. 12° 
(XI u. 1878.) Regensburg 1922, Manz. 
M. 18.—; geb. M. 27.— 

Mayer, 9., Alban Stolz. gr. 8° (VIII 
und 620 8. mit 10 Bildern und einer 
Schriftprobe). Freiburg 1921, herder. 
M. 100.—; geb. M. 130.— 

Dewman, Bardinal, Der Maimonat. 
Gebete und Betrachtungen im Anſchluß 
an die lauretaniſche Litanei für alle 
Tage des Monats. 3.— 10. Tſö. 12° 
80 8.) Mainz 1921, M.-Brünewald- 
Verlag. Seb. M. 15.— : 

—karfreitagsbetrachtungen. lberfett 
von Maria Anoepfler. 120 (94 5.) Ebd. 
1922. Geb. I. 17.50. 

Pohle, J., Die Sternenwelten und ihre 

ewohner. Augleichals erfte&inführung 
in die moderne Aftronomie. 7. verb. Aufl. 
Mit einer Karte, 6 Tafeln u. 60 Abbild. 
im Tegt. gr. 8° (453 8.) Röln 1922, 
Bachem. II. 125.—; geb. M. 150.— 

Raufden-Wittig, Srundriß der Pa⸗ 
trologie mit beſonderer Berückſichtigung 
des Lehrgehaltes der Däterfchriften. 80 
(330 8.) Frbg. 1921, Herder. M. 40—; 
geb. M. 63.— 

Ringholz, O., 0. 8. B. Ueues über die 
Wallfahrt zu U. C. F. von Einfiedeln 
und Altes aus einem Rechnungsbuche 
der Abtei Einfiedeln. 8 (38 8.) ein- 
ſtedeln 1922, Verlag des „Einfieöler 
Anzeiger. 

Schippers, A., O. 8. B., Maria Laad). 
Benediktiniſches Kloſterleben alter und 
neuer Jeit. RI. 4 (90 8. reich illuſtr.) 
Düſſeldorf 1922, Schwann. M. 60.— 

Schoepfer, Rem., Emmanuel Gott mit 
uns. Ein Mahn- und Troftwort in 
.diefen Tagen der Not. 12° (149 8.) 
Innsbruck 1922, Tyrolia. 

Straub, A., De Analyfi Fidei. gr. 8° 
IN n. 424 8.) Innsbruck 1922, Rauch. 

. 90.— 

Swoboda Flemmich, Textil Paramen · 
te. 80 (110 8. mit 58 Dollbildern und 21 
Text · Nluſtrationen). Wien 1920, Flem- 
miſchs Söhne. (Webgaſſe 43). 


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Traſolt, S. Die ſchöne arme Magd. 

Dolks-Balladen. 40 (68 8.) Leipzig 

1922, Vier Quellen-Derlag. M. 32.—; 
geb. In. 54.— a 

Unglaublich und doch wahr. hiſtori⸗ 
[her Roman von Gady 6. Fuller ſton. 
Überſ. von O. von Geonrod. 15.—19. 
Aufl. 8° (447 8.) Köln 1921, Bachem. 
I. 75.—; geb. II. 95. 

. Unfere Kulturarbeit von Dr 0. Müller 
Unfere Arbeit in Wirtſchaft u. Staat 
von W. Elfes. [Die kath. Arbeiter- 
bewegung, 3. Heft] gr. 8° (44 5.) II. 
Gladbach 1922, Volksvereinsverlag. 
II. 3.75. 

Weitzel, W., Führer durch die Rath. 
Kirchenmuſik der Gegenwart. [Hirt 
und Herde 10. Heft] 8° ° x u. 118 8.) 
Frbg. 1922, Herder. M. 40.— 

Wieſen, ., O. 8. C. Ueugzeitliche 
Caritashilfe. Studien u. Anregungen 
zum Husbau des Baierapoftolates. 
80 (120 8.) Freiburg i. B. 1922, Cari- 
tasverlag. I. 18.— 


Wilpert, ER Die altchriſtl. kunſt Roms 
u. des . 8° (34 8.) Innsbruck 
1921, Rauch 


10.— 
— Wahre 10 falſche Auslegung der 


Des heiligen Papſtes 
Gregorius des Großen 


Deu! 
Giturgilde 
Volksbüchlein 


Herausgegeben von der 
Abtei Maria Paach 


Die eaufe M. 5.— 
I ß 2 M. 8.— 
III. Verſehbüchlein m. 7.— 
IV. Das Begräbnis M. 8.— 


du den Derlagspreifen kommen die geltenden 
Teuerungszuſchläge. 
Preisänderung vorbehalten.) 
Bebildete Areife wie unſer ſchlichtes kathollſches 
Volk verlangen danach, mit den Texten der Litur- 
gie, mit ihrer Übertragung ins Deutſche und 
einer einfachen Erklärung vertraut zu werden; 
fie find beftrebt den Kultus ihrer heiligen Kirche 
mitzuerleben. 


Das längſt erwartete Gaienritual. 
Heröder-Derlag, Freiburg i. B. 


Desserts beer ee eee ener 


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Windthorſt, Margareta, 


v. Winterfelde⸗ Warnow e. 


de Wit, 


Wittig, J., Des hl. Bafilius §. Er. 
Beiftlihe been a Stu: 
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Stand Reine um geleiftet werden kann, 
erhohen ſich um 
Juſchläge. 


nennen eee eee eee EBA A ZARA AAA sen 1 


Paſtoral-Regel. 


dum 13. Zentenarium des hl. Gregor herausgegeben von feinen Mönchen. 
8° (XIV u. 485 8.) Geb. 


in 


64 5 Sarkophagfkulg 
(54 8.) Ebd. 1922. Mm enn 


Gärtner kommt. gr. 8 (114 8 Sm 
Gladbach 1922, Dolksvereins-Derl 
Geb. M. 42.— 

3.—5. Huf. 8° (223 Be En 192 
Bachem. II. 50.—; geb. IL 75.— 
6., 0.8. B. Zielegang. 6. 
dicht. Kl. 4 (204 8.) Geuven 195 8 22, 
Drucery „de Dlaamsdje Boekenha 


Abhandlungen, de 8b gr. 8° (90 8 
Breslau 1922, Aderholz. UT. 30. 

errgottswiffen von Wegrain und 

traße. Geſchichten von Weber 
Fimmerleute u. Dorfjungen. 8° (VIII 
246 8.) Frbg. 1922, Herder. II. 32.—; 
geb. III. 48.— 


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Die Preife, für deren augenblicklichen 
ie im Buchhandel übl 


Don Dr. Benediß 
Sauter O. S. B., bt 
von Emaus in Prag. 


Ganzleinen I. 20.—. 


Theoſophie 
und Chriſtentum 
von Alois Mager O. S. B. 


M. 28.— 


Was iſt die moderne Theofophie? Was win ner 
Was leiftet ie? Was vermag fie? Huf die 
Fragen gibt die Schrift ebenfo fachliche wie grund. 
ſätzliche Antworten. Sie will den bse a 
Suchern unter den Gegenwartsmenſchen die 
öffnen. Sie ſollen erkennen, daß cheoſophle u 0 r 
Anthropofophie eine große Täuſchung If, aus < 3 
unfähig, die tiefften Sehnfüchte unferer Felt z 1 
erfüllen. Nur ein aus feinen myſtiſchen Tiefen ich 
erneuerndes Chriftentum vermag die Welt Ir in. 8 
lich zu erneuern. 2 


Ferdinand Dümmlers Verlag, 
Berlin SW 68 
Poſtſcheck 145). 


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Benediktiniſche 
Monatſchrift 


Inhalt: 
VP. Athanaſius Miller: Der Ewigen Weisheit Dermählung 
mit der Seele des Gerechten (8. 321). P. Daniel Feuling: 
Die Aſzeſe der Benediktinerregel (8. 328). P. Timotheus 
Kranich: Die Heldenfeele (8. 342). P. Odo Caſel: Bene⸗ 
diktiniſches Leben an der Weſer in alter und neuer Zeit 
(8. 348). P. Baſilius hermann: In der alten Klofter- 
bibliothek von Neresheim (8. 358). 


kleine Beiträge und Binweife: 

P. Anfelm Manfer: Die Feſtſchrift für Albert Ehrhard (8. 380). 
P. Daniel Feuling: Dom Germain Morin und Dom Ursmer Berliꝭre 
zur ſiterariſchen Eigenart der Benediktinerregel (8. 383). P. Amandus 

&’sell: Der Seelforgsklerus und die Pflege der Liturgie (8. 386). 


Bücherſchau: 
Beſprechungen von P. Benedikt Baur, P. Fibelis Böfer, 
z B. Sturmius Regel, P. Sebaftian von Oer. 

Aus dem Orden des hl. Benediktus: 
Zweite Tagung chriſtlicher Künftler in Maria Gaad) 
Don der feligen Irmengard von Chiemſee. 
Unſere Bilder: 


kirche von Gippolösberg a. d. Weſer, Choranſicht u. Blick auf die Empore 
eo: Erläuterung im Text. 


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1922 FERN nr. 9-10 
Dierter Jahrgang September— Oktober 


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gerausgegeben von der Druck und Verlag: 
+ Erzabtei Beuron (Hohenz.) Kunſtverlag Beuron. 


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Die „Benediktiniſche monatſchri 5 


ens zur Pflege religiöfen und geiſtigen ebene 1 


erſcheint vorläufig in Doppelheften in einem Umfang von 6480 Seit „ Jede⸗ 

heft enthält mehrere Kunftbeilagen. Der Jahrgang 1922 Roftet: Deutſchland (Poft 
zeitungsweg) M. 40.—. Die Abonnenten aus Öfterreih und Freiſtaat Danz g er 
halten die Feitſchrift ausnahmsweiſe weiter unter Kreuzband zugeſandt zum B Betrag 
von M. 40.—. Für Finnland, Jugoſlavien, Gugemburg und Polen, Rum inien 
Tſchecho⸗Slovakei und Ungarn beträgt der Abonnentenpreis (einſchließlich der 
geltenden Poſtſätze) M. 70.—. Für das übrige Ausland gilt folgender Jahr ere 8 
(einſchließlich Porto): 


Amerika 1 Doll. | England 45h. | Italien 10 Pire. 
Belgien 6 Fr. Frankreich 6 Fr. | Schweiz 4 Fr. 
Dänemark 4 Kr. Holland 2 Gld. | Spanien 4 Des. 


Beziehen, wird ein Vorzugspreis gewährt. Preis des Doppelheftes im U kauf f 
M. 7.—. Beftellungen nehmen alle Poſtanſtalten, Buchhandlungen und de ‘ 
unterzeichnete Verlag entgegen. 


Die unmittelbaren Bezieher bitten wir um baldige Einzahlung des 
gahresbetrages auf unfer Poſtſcheckkonto Ur. 7034 beim Poſtſcheckan mt 
Rarlsruhe, Baden. Verlag der Beuroner Kunſtſchule, Beuron Hohenz) . | 


Alle Geldſendungen ſende man an die untenftehende Adreſſe (nic cht | 
einfachhin an die Abtei oder die Kloſterverwaltung) und füge ihnen a FR 
Bezeichnung „für die Benediktiniſche Monatſchrift“ gütigſt 


Bei etwaigem Ausbleiben der Hefte oder bei unrichtiger Gieferung reklamii 5 F 
man ſtets zunächſt bei dem in Frage kommenden Poſtamt. Eine ſolche Reklamation N 
geſchieht am beſten schriftlich und koſtet keinerlei Porto oder Speſen. Die Poſt ift 0 
verpflichtet, etwa nicht eingegangene Hefte koſtenfrei nachzuliefern. Erſt wenn eine 
ſolche bei der Poſt angebrachte Reklamation zu gar keinem Erfolge führen doll fe, 
wende man ſich an den Verlag. Änderung der Anfchrift bitten wir dringend d 
Poſtamt ſtets zeitig bekannt zu geben. Uicht zu umgehende Abbeſtellungen miſſe Jr 
vor dem 1. Dezember erfolgen 

Jahrgang 1919, 1920 1 1921 find, ſolange der Vorrat reicht, zu den obige n 
Preiſen noch erhältlich. f 


ftunſtverlag Beuron (Hohenzollern). 


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Die zweite Auflage (3.—15. Tauf.) des Buches 


Die Unruhe zu Bott 


Erinnerungen eines Malermönches 


von Willibrord Derkade O. 8. B. 


wird bald vergriffen ſein. Die nächſte Auflage wird das dreifache 1 
teurer werden müſſen. Man beſtelle deshalb noch rechtzeitig beim 


Runftverlag Beuron. 


getziger Preis: kartoniert II. 36.—; gebunden in Halbleinen M. 60.— 


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321 


Der Ewigen Weisheit Dermählung 


mit der Seele des Gerechten. 
Don P. Athanaſius Miller (Beuron). 


Der Wort iſt meinen Füßen eine Leuchte, ein bicht auf 
4/ meinem Pfad (Pf. 118, 105). So erhaben, fo licht⸗ und troſt⸗ 
voll auch der Glaube ſein mag, es gibt noch etwas höheres im Be⸗ 
reich der Offenbarung und Gnade — und das iſt die biebe. Und fo 
hoch die Liebe über dem Glauben ſteht, fo hoch ſteht auch das Leben, 
die Dereinigung mit Gott in der vollkommenen Liebe über dem bloßen 
beben nach dem Glauben. Wie uns nun das Buch der Weisheit die 
höhen der vollkommenſten Glaubensauffaſſung im Bereich der alt⸗ 
teſtamentlichen Offenbarung zeigt und uns mit einer Überfülle von 
bicht von oben gerade über die brennendſten Fragen des Lebens über⸗ 
gießt!, fo haben wir im Alten Teſtament auch ein Buch, das uns in 
das vollendete Leben in der Liebe einführt, es ift das hohe Lied 
Salomos. Inſofern bildet das Hohe Lied Salomos den höhepunkt 
in der altteſtamentlichen Offenbarung. Denn das Leben in der voll⸗ 
kommenen Liebe und Vereinigung mit Gott ſtellt das höchſte religiöfe 
Erleben dar und die höchſte übernatürliche Vollendung, die der Menſch 
je erreichen kann. Das Leben in der Liebe ift ja auch der Endzweck 
des Lebens aus dem Glauben und ſomit der Offenbarung überhaupt. 
Infofern lehrt uns der hl. Paulus mit der ihm eigenen Folgerichtigkeit: 
„Wenn ich allen Glauben hätte, ſodaß ich Berge verſetzen könnte, Datte 
aber die Liebe nicht, ich wäre nichts“ (1 Kor. 13, 2). 

Das Geben in der Liebe hat nun, um beftehen zu können, nicht 
notwendig die äußere Offenbarung oder beſſer gefagt, den ins Ein= 
zelne gehenden, allgemeinen Offenbarungsglauben zur Dorausfegung, 
wenngleich es in der Regel nach den gewöhnlichen Geſetzen der über⸗ 
natürlichen Snadenorönung auf ihm aufbauen wird. Es kann viel⸗ 
mehr jenem vorauseilen oder kraft einer beſonderen Gnade ſchon 
aus einer bloßen erhabenen Botteserkenntnis allein hervorgehen. Es 
gibt Menſchen, die theoretiſch wenig von einem entfalteten Offen⸗ 
barungsglauben wiſſen und doch ausnahmsweiſe auf einer hohen 
Stufe der Giebe ſtehen können. Infofern konnte das hohe Lied zu 
jeder Zeit der altteſtamentlichen Offenbarung entſtanden fein, wenn⸗ 
gleich Sprache und einkleidende Idee es in ungefähr die gleiche Offen⸗ 
barungsperiode wie KHoheleth und Weisheit verweiſen. 

gl. dieſen Jahrgang heft 7-8, 8. 252 ff. „Die Weisheit der Ewigen Weisheit.“ 
Benedlktinifche Monatſchrift IV (1922), 9-10. 2] 


322 


Dielleicht über kein anderes Buch des Alten Teftamentes ift fo viel 
gefchrieben worden, wie über das Hohe Lied. Es iſt in der Geſchichte 
der neueren Exegeſe beinahe das klaſſiſche Buch für die Scheidung der 
Geifter geworden. Bier treffen ſich nüchterne, kühle Beurteilung und 
kühnſtes Phantaſieren, erhabene Nuffaſſung und niedrige Geſinnung. 
Auf kein anderes Buch der heiligen Schrift könnte man beſſer das 
Wort des Pfalmiften anwenden: „Dem heiligen bift du heilig .., 
dem Derderbten aber bift auch du verderblich“ (Pf. 17, 26 f.). Uns 
Ratholiken weiſt die Heiligkeit der Schrift auf Grund ihres göttlichen 
Urfprungs und das unfehlbare Lehramt der Kirche in der Auffaffung 
und Erklärung des hohen Liedes geebnete Pfade, die wir beherzt 
befchreiten können. Ließe ſich fein Inhalt an und für ſich genommen 
unbeanſtandet und genügend auch von der reinen, idealen natürlichen 
Liebe erklären, fo weiſt uns doch die Kirche höher und bekundet 
damit auch die höhere Abſicht des göttlichen Verfaſſers. 

Das hohe Lied ſtellt in einer Reihe kunſtvoll zuſammengefaßter Lieder 
eine Brautgeſchichte dar, aber eine Brautgeſchichte höchſter, geiſtigſter 
Art. Es iſt eine bildliche Darftellung der Beziehung zwiſchen Gott 
und der Menſchheit, oder noch beſſer, zwiſchen dem Meſſias und ſeiner 
Gemeinde auf Erden. In dieſem Sinn ift das hohe Lied Offenbarungs⸗ 
geſchichte von Anfang bis zu Ende, eine Befchichte der Kirche Chriſti 
auf Erden von ihren Anfängen im Paradies bis zu ihrer Vollendung 
am Ende der Zeiten. Im Mittelpunkt der ganzen Darſtellung ſteht tat⸗ 
ſächlich der Meſſias, Chriſtus. Die großen meſſtaniſchen Weisſagungen 
der Propheten ſind es vorwiegend, die den Untergrund der Darſtellung 
bilden. Ihrer Sprache iſt auch die Allegorie, das Bild entnommen, in 
das der Derfaffer feinen Stoff gekleidet hat: das Bild der Ehe oder 
der bräutlichen Liebe. Zum erſtenmal finden wir die Beziehungen 
gahwes zu ſeinem Volke unter dem Bilde der Ehe ausgedrückt beim 
Propheten Oſeas (vgl. beſ. 2, 4— 19). Seitdem iſt es bei allen an⸗ 
deren Propheten das Bild ſchlechthin geworden, unter dem ſie das 
Verhältnis gahwes, bezw. des Mleffias zu feinem Volke darſtellen. 
Auch die Sprache des Neuen Teſtamentes, in der Chriftus unverhüllt 
als der Gemahl der kirche erſcheint (Eph. 5, 23 ff.) und er ſelbſt dieſes 
Verhältnis in feinen Gleichniſſen unter dem Bilde einer großen Hochzeit 
darſtellt (Matth. 22, 2 ff.; vgl. auch Joh. 3, 29; Apoc. 19, 7), iſt der 
Redeweiſe der Propheten entlehnt und weitergebildet. Es kann ſich 
daher niemand über die Wahl des Bildes verwundern, ſolange er die 
Abfaſſung des Hohen Liedes nicht in die vorprophetiſche Zeit verlegen 
und der religionsgeſchichtlichen Entwickelung des Bildes und ſeiner 


323 


Idee vorauseilen will. Das Bild ift fodann vom heiligen Geift felbft 
gewählt und in fi) und in feiner Deutung von erhabener Würde. Es 
braucht Reine Apologie, obwohl es nicht ſchwer wäre, fie zu führen. 

Stellt nun das Hohe Lied ein Gleichnis, eine Allegorie auf die Be⸗ 


ziehungen des Meſſtas zu feiner Kirche dar, fo ergibt ſich aus feinem 
- Inhalte klar, daß unter dieſer kirche nur jene gemeint fein kann, 
die der hl. Paulus nachmals als eine Braut „ohne Makel und Runzel“ 
bezeichnet hat, „heilig und untadelig“ (Eph. 5, 27). Anders würde 


die Auslegung des Hohen Liedes geſchichtlich unvermeidlichen Wider⸗ 
ſprüchen und Schwierigkeiten begegnen. Dieſe Kirche „ohne Makel 
und Fehl“ beſteht aber im Sinne des Hohen Liedes ſelbſt wieder nicht 


ſo ſehr in ihrem von Gott eingeſetzten, inneren und äußeren Organis⸗ 


mus, ſondern in erſter Linie in den ihr ganz angehörigen, d. h. mit 


- Chriftus dem Haupte als ihrem Bräutigam ganz verbundenen Seelen. 


Darum ift die Deutung des hohen Liedes auf das innige Liebes- 


. verhältnis Chrifti zur einzelnen Seele ebenſo richtig und berechtigt. 


Es iſt aber natürlich auch in dieſer zweiten Deutung, die wir im 
Folgenden vornehmlich ins Auge faſſen, wiederum nicht dieſe oder 
jene Seele ſchlechthin gemeint, ſondern nur die „gottvolle“ oder beſſer 
„vollchriſtliche“ Seele. 

hier bietet uns nun das Buch der Weisheit, das wir das letztemal 
betrachtet haben, einen religionsgeſchichtlich ſehr beachtenswerten Fort⸗ 
ſchritt in der Deutung der dee und Allegorie des hohen Liedes. In 
den prophetiſchen Texten, die, wie oben bemerkt, zuerſt das Verhältnis 
Gottes zu feiner Gemeinde unter dem Bilde einer Ehe darſtellen, er⸗ 
ſcheint dem Wortlaute nach zunächſt überall nur „Jahwe“, alfo Gott 
ſchlechthin als Bräutigam. Nur der Inhalt der Texte weiſt mitunter 
indirekt auf den Meſſias, bezw. die meſſianiſche Zeit. Im Buche der 
Weisheit aber, in dem das gleiche Bild im gleichen Sinn und Ju⸗ 
ſammenhang wiederkehrt, beſteht dieſes bräutliche Verhältnis zwiſchen 
Salomon, d. h. der Seele und der Ewigen Weisheit unmittelbar. Nun 
wird aber gerade im Buche der Weisheit, beſonders im Kapitel 7 und 8, 
dieſe Ewige Weisheit als die „perſönliche“ göttliche Weisheit geſchildert, 
d. h. als die zweite göttliche Perſon, Chriftus. Daß im Buche der Weis⸗ 
heit dieſe perſönliche, göttliche Weisheit als Braut auftritt, iſt rein 
ſprachlich und literariſch zu erklären und ändert an der Sache nichts. 
Schon Weisheit 6, 13 ff. hat der Derfafler dargetan, daß die Ewige 
Weisheit wie eine Jungfrau von himmliſcher Schönheit und Wohlgeſtalt 
durch die Menſchheit geht, ſodaß fie jeder, der fie kennen gelernt, lieb⸗ 
gewinnen muß. Im 7. Kapitel ſagt er von ihr, daß ſie in die heiligen 

21* 


324 


Seelen eingeht und in ihnen Wohnung nimmt (D. 27) und daß Bott 
nur jene liebt, in denen fie wohnt (D. 28). Im 8. Kapitel wird dam 
die Dermählung zur Tatſache. „Sie (die Weisheit) liebte ich“, ſagt Salo⸗ 
mon, „und erſehnte ich von Jugend an und begehrte fie als meine 
Braut heimzuführen“ (8,2). „Ich beſchloß daher, fie als meine Lebens 
gefährtin heimzuführen, denn ich wußte, daß ſie eine glückbringende 
Ratgeberin fei, ein Troft in Sorgen und Kümmerniſſen ... und daß 
der Umgang mit ihr nichts Bitteres habe, ſondern nur Freude und 
Wonne“ (Weish. 8, 9. 16). Wir ſehen alſo im Buch der Weisheit die 
Idee des Hohen Liedes, d. h. die innige Snaden verbindung der Seele 
mit Bott, dargeſtellt unter dem Bilde einer Ehe oder eines bräutlichen 
Derhältniffes, direkt mit der perſönlichen, göttlichen Weisheit, d. h. mit 
der zweiten, göttlichen Perſon verknüpft. Nur iſt die literariſche Dar. 
ſtellung im hohen Lied eine andere, inhaltlich wahrere und tiefer, 
infofern die Seele als Braut und der Meſſias, Chriſtus, als Bräufi- 
gam auftritt. 

Die Darſtellung dieſes bräutlichen Derhältniffes zwiſchen Chriſtus 
und der Seele iſt nun im hohen Lied mit wunderbarer Tiefe, Schön 
heit und Folgerichtigkeit in der Entwickelung durchgeführt. Die Ab: 
teilung in ſechs Geſänge hat ſich exegetiſch vorzüglich bewährt und 
ſtellt tatſächlich den ganzen Werdegang der geiſtigen Vermählung 
zwiſchen Braut und Bräutigam dar: von der Berufung im erſten 
Gefang (1, 2— 2, 7) bis zur Dermählung im dritten (3, 6— 5, 1) und 
Vollendung im ſechſten Gefang (8, 5—8, 14). Im zweiten Gefang 
(2, 3-3, 5) erfährt die erfte Liebe der Braut infolge des häufigen, 
gegenfeitigen Verkehrs ihre Stärkung und Feſtigung, bis fie im dritten 
reif wird für die geiſtige Dermählung ſelbſt. Nach dieſer erfolgt im 
vierten Gefang (5, 2—6, 10) die Prüfung ihrer Treue und Liebe, auf 
die dann im fünften Gefang (6, 11 —8, 4) das Stadium einer gewiſſen 
ſeligen Ruhe, vor allem aber die Zeit freudiger, ſieghafter Berufs 
tätigkeit im Dienſte und in der Verherrlichung ihres Bräutigams folgt. 
Daran ſchließt ſich das Verlangen nach Vollendung und endgiltiger 
Vereinigung mit dem Bräutigam, die dann im ſechſten Geſang auch 
tatſächlich erfolgt. So ſchreitet das Hohe Lied fort von der Berufung 
zur übernatürlichen Gnadenverbindung mit Chriſtus, von der erſten 
Liebe bis zu den Stufen höchſter, muſtiſcher Vereinigung und Be 
gnadigung!. 

Wer ſich kurz über den Inhalt und Aufbau des Hohen Liedes orientieren 


will, ſei auf E. Dimmler verwiefen: „Das Hohe Lied“. Ugl. die Beſprechung in diefem 
Jahrgang, Heft 78 8. 309. 


325 


Das Hohe Lied bietet ganz herrliche und hochwichtige Beiträge 
: zum Derftändnis dieſer höchſten, geiſtigen Vermählung und Offen⸗ 
barung Gottes im menſchen. Junächſt betont das hohe Lied zwei 
wichtige Grundwahrheiten: einmal das große Sehnen Gottes nach 
: diefer innigen Verbindung mit der Menſchheit bezw. der Seele (vgl. 
25, 8 ff.; 5, 2; 7, 11 u. a.); dann aber auch das große Sehnen der 
Menfchheit bezw. der Seele nach Gott (1, 2 ff.; 3, 1 ff. u. a.). Cebteres 
iſt nun freilich ſchon eine Wirkung des erſteren; der Bräutigam war 
- es, der die Braut zuerſt aufſuchte und fie durch feinen Liebreiz an 
ſich zog. Gleichwohl erfolgt die weitere Anziehung, die Anbahnung 
der eigentlichen Dermählung zunächſt nicht unmittelbar, ſondern durch 
W Vermittlung, durch die berufenen Hirten der Kirche (1, 8). Dann 
aber wächſt die Liebe mächtig, gepflanzt auf heiligen Nährboden und 
gefördert durch den ſteten Umgang mit dem Geliebten. Das Derhält- 
nis beider bleibt immer ein hoch ideales, unendlich reines und zartes, 
wenn auch überaus inniges (2, 6; 4, 9; 4, 10; 5, 1 f. u. a.). 

Wie im Buch der Weisheit das vollendete Geben im Glauben zum 
Ausdruck kommt, fo im hohen Lied das vollendete Geben in der 
biebe; und wie im Buche der Weisheit nur die eine Richtung der 
übernatürlichen Glaubensauffaſſung vorherrſcht, fo im hohen Lied die 
eine Richtung zu Gott, nicht in trockenem, verſtandesmäßigen Glauben, 
fondern in der vollkommenen Liebe, im Beſitz. Der Glaube geht hier 
ſchon in eine Art Schauen, in eine Art unmittelbarer Wahrnehmung 
über, die unſere alten deutſchen Muſtiker fo ſchön mit dem Ausdruck 
„Bott ſchmecken“ zu bezeichnen pflegten. Die theozentriſche oder 
chriſtozentriſche Richtung iſt hier zur vollen Tatſache geworden. Die 
Braut denkt nicht mehr an ſich, ſondern Tag und Nacht nur an ihn, 
den Geliebten (1, 7; 3, 1 ff.; 5, 2). In ihm findet fie ihre Freude und 
Wonne, ihre Seligkeit auf Erden (1,4; 2, 7; 2, 16 f. u. a.). In ihm 
beruht ihre ganze Schönheit. Ift fie auch von Natur „ſchwärzlich“, 
vielfach entftellt!, und hat fie nur einfache Korallenſchnüre als Schmuck 
(1,10), er wird fie ganz ſchön machen und mit goldenen Gehängen 
zieren (1, 11). Sie ſchaut auch nicht auf Vorbilder — ſolche kennt 
die vollkommene Liebe eigentlich nicht mehr — ſondern nur auf ihn, 
dejfen Führung und Leitung fie ſich ganz überläßt (6, 3). Ift er ihr 
nahe, dann iſt fie felig (2, 77 3, S u. a.); iſt er ihr ſcheinbar fern, 
dann ſucht ſie ihn, bis ſie ihn findet; aber allein daheim bei ihrem 
Elend, in ihrer Einfamkeit bleibt fie nicht (3,1; 5, 6 ff.). Und wie 


„Schwarz bin ich, aber ſchön ... d. h. entſtellt von Sünden, eidenſchaften, 
Fehlern, Unvollkommenheiten oder auch bloß Leiden. 


326 


kühn baut fie nicht auf die Güte und den Reichtum ihres Bräu⸗ 
tigams; von ihm erhofft fie alles, vor allem die gänzliche Erlöfung 
und Befreiung von dieſer Welt. Ihr Bräutigam iſt unendlich reich; 
er kann ihr alles erſetzen und zahlt jeden Preis für ſie (8, 12). Ja, 
auf die Diebe zu ihm ift fie ſtolz; die ſoll ihr keiner abſprechen; 
darin ſoll fie niemand übertreffen. Zweimal wird fie ſehr energiſch, 
da man fie feiner Liebe für unwürdig oder gar unfähig halten will 
(1, 5 ff.; u. beſ. 8, 8 bezw. 8, 10 u. 12). 

Dieſe Liebe der Braut zu ihrem Bräutigam bedeutet aber keineswegs 
ein huldigen perſönlicher Genußſucht. Es ift vielmehr ein Dienen und 
huldigen dem höchſten Geliebten, ein Dienen am „Wagen Pharaos“ (1,9), 
ein Dienen, ja ein kämpfen und Streiten und Siegen mit ihm und 
für ihn, wie dies ganz beſonders in dem oft völlig mißverſtandenen 
Kriegs- oder Schwerttanz im 7. Kapitel zum Ausdruck kommt. Es iſt 
ein Geben voll innerer und äußerer Fruchtbarkeit und Tätigkeit. Eine 
ſolche Seele ſcheut auch die Welt nicht, wenn ſie dort ihren Geliebten 
findet. Sie bewegt ſich auf den Straßen und Plätzen der Stadt (3, 2f.; 
5,7f.); fie unterzieht ſich dem öffentlichen Berufsleben, fie fügt ſich 
Gewohnheiten, die nach außen faſt als Weltlichkeit erſcheinen möchten 
(J, 1ff.). Aber dabei erleidet fie innerlich nicht den geringſten Schaden 
und büßt auch nicht ein Fünkchen von ihrer Liebe zum Bräutigam 
ein. Das Wandeln im Nußgärtchen und in den Weinbergen am rie⸗ 
ſelnden Bach entlang (6, 11), das ſüße Duften und Blühen der Reben 
(J, 12 ff.), das Singen der Vögel und Girren der Turtel, alles wird 
ihr zur Liebe und vermehrt ihre Liebe zum Bräutigam. Das Feuer, 
das ihr alles Irdifche umprägt, läutert und jede Schlacke ausſcheidet, 
ift die Ciebe. Nicht fie, dieſe Liebe, läßt ſich verdrängen, denn ſie iſt 
ftärker als Tod und Unterwelt (8, 6), nicht fie, die Liebe, vermag aus⸗ 
gelöfcht zu werden, auch nicht durch gewaltige Ströme (8,7), ſondern 
fie ſelbſt, die Liebe, überwindet alles, die Welt und das Leid und 
fogar das Herz Gottes, ihres Bräutigams (4, 9; 6, 5). Freilich weilt 
ſie gern mit ihm allein daheim (3, 4) oder in den abgeſchiedenen, 
zerklüfteten Bergen (2, 19). Aber wenn er ſie ruft und lockt hinaus 
ins Leben, dann folgt fie ihm unverzüglich (5, 5 ff.). 

Wenn wir nun die drei Bücher: Koheleth, Weisheit und Hohes Lied 
miteinander vergleichen, ſo ergibt ſich eine inhaltlich einzigartige Tri⸗ 
logie. Aoheleth oder der Prediger repräfentiert den Menſchen ohne 
die Offenbarung oder doch nur im Beſitze einer ganz ungenügenden 
und unbefriedigenden Offenbarung. Ihm iſt daher die Welt voller Rätſel 
und Widerſprüche, und das Leben ſelbſt, beſonders bei ſeinen trüben 


IM 


327 


Jenſeitsanſchauungen, das größte Rätfel. Und während ſich [ein Der- 
Rand an der Oöſung all diefer Rätſel zermürbt, ſucht und taftet das 
Herz nach einem Punkt, wo es ruhen könnte und leidet oft bittere 
Qual. Ya, er kommt ſchließlich ſoweit, daß er das Leben haßt (2, 17). 
nur ganz am Schluß weiſt er wie von weitem den Weg, der unter 
gewiſſen Bedingungen zum Ziele führt: „Gott fürchten und ſeine Ge⸗ 
bote halten“ (12, 13). 

Im Buche der Weisheit dagegen ſehen wir den Menſchen im Beſttz 
der Offenbarung, vor allem im Beſitze jener Offenbarung, die des 
menſchen letztes Ziel und Ende betrifft und die vollgiltige Auswirkung 
der göttlichen Gerechtigkeit, Weisheit, Güte und Vorſehung; die bren⸗ 
nendſten und wichtigſten Fragen des Lebens find hier gelöft. 

Im hohen Lied endlich haben wir den Menſchen nicht nur im 
Beſitze der göttlichen Offenbarung vor uns, ſondern im Vollbeſitz der 
Wahrheit, d. h. der ewigen Weisheit felbft in der Liebe. 

Die Wirkungen auf das praktiſche beben ergeben ſich damit von 
ſelbſt. Das Buch kioheleth iſt voll von Rätſeln und Zweifeln und 


daher angefüllt mit philoſophiſchen Erörterungen und Betrachtungen. 


Das Buch der Weisheit löſt dieſe Rätſel im einzelnen oder wenigſtens 
im Prinzip, im Glauben, und lenkt den Blick des forſchenden Geiſtes 
nach oben. Im hohen Lied dagegen ſpricht und handelt nur die Liebe 
mit der ihr eigenen Logik, die dem Theoretiker oft fo unlogiſch und 
unverſtändlich vorkommt. Probleme kennt die Liebe nicht mehr, denn 
alle Probleme hören praktiſch auf, ſobald die Seele ihrer inneren 
Verbindung mit Gott ſich bewußt wird und ganz in ihm lebt. 
Wollten wir die drei genannten Bücher noch mit dem Vergeltungs⸗ 
problem in Beziehung bringen, ſpeziell mit dem Problem des Leidens, 
fo ergeben ſich wieder die lehrreichſten Ausblicke. Der Menſch ohne 
Offenbarung oder ohne genũgende Offenbarung ſteht in beſtimmtem 
Falle dem beiden mehr oder weniger machtlos gegenüber; ihn kann 
es zur Verzweiflung bringen; er muß es fliehen und verabſcheuen. 
Der Menfd im Beſitz der Offenbarung kann es überwinden im Glau⸗ 
ben; er wird es liebend aus der Hand Gottes hinnehmen und in 
Geduld und Ergebung tragen; er kann und wird dabei glücklich ſein. 
Auf der geiſtigen höhe der Liebe aber ſpielt das Leiden als Leiden, 
d. h. als Übel überhaupt keine Rolle mehr. Die Liebe kennt das beiden 
nur als Mittel zum Ziel, um noch mehr in der Liebe zu wachſen 
und kennt nur das „Leiden der Liebe”, das aber nur wiederum durch 
biebe geheilt werden kann. So erfüllt ſich das Nuguſtiniſche Wort: 
„Unruhig und ungeſättigt bleibt unſer Herz, bis es in Dir ruht“. 


328 


Die Aſzeſe der Benediktinerregel. 


Don P. Daniel Feuling (Beuron). 


urch unſere Zeit geht ein Zug nach altchriſtlicher Einfachheit im 
ſittlichen und religiöfen Leben. Zeugnis dafür ift der wachſende 
Sinn für die ſchlichte Schönheit und Größe der kirchlichen Liturgie 
ſowie die zunehmende Vorliebe für das ehrwürdige Schrifttum des 
chriſtlichen Altertums. Im ſichtbaren Juſammenhang mit dieſer Be⸗ 
wegung ſteht es, wenn heutigentages wieder mehr als ſeit langer 
Zeit weitere kreiſe nach der Regel des hl. Benedikt greifen, um in 
ihr Rat und Belehrung für ihr inneres Leben zu ſuchen. Nach Ur⸗ 
ſprung und Inhalt iſt ja die Mönchsregel ein ebenſo unvergängliches 
wie ſchlichtes Denkmal aus der altkirchlichen Zeit und ihrem inneren 
Weſen nach in beſonderer Weiſe auf das liturgiſche Leben abgeſtimmt. 
Wir möchten einige Fingerzeige für das Derftändnis der geiſtlichen 
behren der Regel geben, indem wir einige Beobachtungen über ihre 
aſzetiſchen Forderungen und Ratfchläge mitteilen. 
Um möglichſt klar ſehen zu lernen, wollen wir gleich im Sinne 
eines vorausgegangenen Nufſatzes! unterſcheiden zwiſchen dem eigent⸗ 
lich übernatürlichen geiſtlichen beben und all dem, was der Bereitung 


zu dieſem Leben dienen ſoll. Dieſe Scheidung entſpricht Benedikts 


eigenem Wort, das dem übernatürlichen Leben als einem „Wohnen 
in Gottes Gezelt“ die Aufgabe der Bereitung von Seele und Leib 
für den Gehorſam gegen Gottes Gebot deutlich gegenüberftellt (Prol.). 
Die Leib und Seele bereitende Arbeit haben wir im Auge, wo immer 
wir im Folgenden dasz Wort Aſzeſe gebrauchen, nicht die Lehre vom 
geiſtlichen Leben ſelbſt, und es iſt uns hier nur daran gelegen, zu 
zeigen, mit welchen Mitteln der Mönchsvater den inneren und äußeren 
menſchen für das vollkommene geiſtliche Leben in Gottesgemeinſchaft 
und Liebe bereit machen will. 

Es ſteht unſerem Heiligen feſt, daß beide, Seele und Leib, für die 
übernatürliche Lebensaufgabe erſt noch bereitet werden müſſen. Auf 
beide, auf Seele und Leib, bezieht ſich daher Benedikts aſzetiſche Cehre 
und Vorſchrift. 

Diele denken, wenn fie von Aſzeſe leſen und hören, zunächſt nur 
an den körper, an allerlei Strengheiten, ja ſelbſt an ein maßloſes 
Wüten gegen den Leib. Davon findet ſich in Benedikts Regel nichts. 
Gewiß, der heilige Ordensſtifter hat den Nutzen und die Notwendig⸗ 
Reit Körperlicher Zucht und Aſzeſe gut gekannt. Er mahnt aus⸗ 

1 Wefen und Aufgabe der Aſzeſe, oben 7.— 8. heft S. 260 ff. 


329 


drücklich im 4. Kapitel von den Werkzeugen der guten Werke: „Den 
beib züchtigen“. Aber er legt feinen Jüngern in dieſer hinſicht nicht 
ſehr viel mehr auf, als zu jener Zeit bei eifrigen Chriften in der Welt 
allgemein üblich war und auch heute noch dem ernſt Strebenden 


: möglich if. Er empfiehlt nicht jene äußerſte Beſchränkung des Schlafes, 
— wie viele ältere Mönche und Einfiedler fie pflegten, ſondern billigt 


den Seinen eine wohlbemeſſene Nachtruhe zu, damit ſie ausgeruht 
und gekräftigt aufſtehen (ftap. 8). Das Aufftehen freilich ſetzt er ſehr 
früh am Morgen, etwa zwiſchen zwei und drei Uhr, an, zu einer Zeit 
alſo, wo die nächtliche Stille noch zu weiterem Schlafe lockt, und für 
die Faſtenzeit wũnſcht er ausdrücklich, daß die Mönche freiwillig etwas 
vom zugeſtandenen Schlafe abbrechen (fap. 49), wie er überhaupt 
fordert, daß fie die Schläfrigkeit entſchieden überwinden (Kap. 4). 
fihnlich was die Nahrung angeht. Er fordert nichts von jener Strenge 
und Enthaltſamkeit, in der viele Aſzeten die Nahrung nach Art und 
maß auf das Ärmlichfte beſchränkten; er will vielmehr, daß feinen 
Mönchen täglich bei Tiſch zwei gekochte Speiſen und wenn möglich 
auch noch Obſt oder friſches Gemüſe vorgeſetzt werden (kap. 39), und 
obwohl er es ſelbſt für die italieniſchen Verhältniſſe, für die er ſchreibt, 
für beſſer hielte, wenn die Mönche keinen Wein tränken, geſtattet 
er ihnen doch davon ein beſcheidenes Maß und begnügt ſich mit der 
Empfehlung des völligen Derzichtes (Rap. 40). Dafür verordnet er 
freilich von Pfingſten an je zwei Faſttage für die Woche, an denen, 
wie an allen Faſttagen, zu ſpäterer Stunde die einzige Mahlzeit des 
Tages gehalten werden ſoll, und von Mitte September an ſchreibt er 
tägliches Faſten vor, das in der vierzigtägigen Faſtenzeit vor Oſtern 
durch weitere Späterlegung der Eſſenszeit noch verſchärft wird; und 
abermals wünſcht er für die kirchliche Faſtenzeit freiwillige Opfer 
wie an Schlaf und Trank, fo auch im Genuß von Nahrung. Auch 
unterſagt er jeden Genuß von Speiſe und Trank außerhalb der ge⸗ 
meinſamen Mahlzeiten. Im übrigen kennt Benedikt für ſeine Mönche 
kaum noch andere körperliche Strengheiten, wenn man abſieht von 
der Einfachheit der kleidung und des Lagers unter Ausfchluß aller 
Weichlichkeit, ſowie von der körperlichen Züchtigung, deren Gebrauch 
als Beſſerungsmittel er in jener rauhen Zeit nicht entbehren konnte, 
wo es ſich um ſolche handelte, die für geiſtige Zurechtweiſung und 
Strafe unzugänglich blieben. Über dieſe im Ganzen ſo milde Ent⸗ 
ſagungs forderung hinaus bleibt dann als ein Hauptmittel der körper: 
lichen Zucht die tägliche ernſte Handarbeit, die immerhin im Verein 
mit Frühaufſtehen und Faſten ein geſteigertes Maß von Überwindung 


330 


fordern mochte. Sodann kam im Rahmen des klöfterlichen Gebens | 
noch etwas hinzu: die ehrfurchtsvolle Zucht und Beherrſchung des 
Körpers beim göttlichen Dienſt, in den Stunden des mit Tag und 
Nacht verwobenen Chorgebetes. Bier wurde der Körper ausgiebig in 
das religiöfe beben hineingezogen und in eigenartiger Weiſe geläutert 
und bereitet zu immer vollkommenerer Dienftbarkeit für die Aufgaben 
des geiſtlich⸗ übernatürlichen Lebens. Die Summe der körperlichen 
Aſzeſe der Mönchsregel iſt alſo die: daß der Leib in Zucht gehalten 
und beherrſcht werde in mäßiger Entſagung, fo jedoch, daß die Kräfte 
für Gottes dienſt und Arbeit friſch erhalten und darin ausgenützt wer⸗ 
den. Schon in der körperlichen Aſzeſe Benedikts tritt neben dem 
unentbehrlichen Negativen das Pofitive ſtark hervor. 

Aber auf dem Körperlichen liegt bei Benedikt in aſzetiſcher hinſicht 
keineswegs der Nachdruck. Der iſt vielmehr ganz und gar der fer ⸗ 
liſchen Aſzeſe gegeben, der Bereitung der Seele, des Geiſtes, des 
Willens, des Gemütes für das übernatürliche Geben. Die ganze Körper: 
aſzeſe erſcheint ſchließlich nur als ein Hilfsmittel, um gewiſſe Doraus 
ſetzungen für eine erfolgreiche Bereitung der Seele zu gewinnen. 

Die Seelenaſzeſe ift bei Benedikt weit gefaßt. Alles, was umer 
Begriff und Dorftellung von cor⸗ Herz, Seele, fällt, wird von ihm gebũß⸗ 
rend berückſichtigt: Erkenntnis und Dorftellung, Wollen und Wünſchen, 
Trieb, Gefühl, Affekt und Stimmung. 

Auf die Pflege der Erkenntnis geiſtlicher Dinge legt Benedikt 
großes Gewicht. Dem Abte des Klofters weiſt er als eine vorzügliche 
Pflicht die Aufgabe zu, die Mönche auf jede Weiſe und mit Berück⸗ 
ſichtigung der größeren oder geringeren Faſſungskraft der einzelnen 
im göttlichen Geſetz zu unterweiſen, und er fordert daher vom Abt, 
daß er nicht nur den Jüngern ein gutes Beiſpiel gebe, ſondern auch 
durch feine Gehrweisheit imſtande ſei, ihnen jederzeit Altes und Neues 
zu bieten. Neben der Lehre des Abtes erhält in Benedikts Satzung. 
die heilige beſung einen auffällig breiten Raum. Außer der immer 
hin ſchon ziemlich ausgiebigen und reichhaltigen Schrift- und bäter⸗ 
leſung bei den Metten, vor der komplet und während der Mahlzeiten 
find den Mönchen täglich zwei bis vier Stunden für ernfte Lefung 
zugeſtanden, und Benedikt fieht ſtreng darauf, daß dieſe Zeit auch 
gut benützt wird. Der Bezirk der Gefung ift fo weit abgeſteckt, 
als es bei aſzetiſcher Zielfegung überhaupt erwartet werden kann: 
neben der Heiligen Schrift Alten und Neuen Teſtamentes iſt das ganze 
chriſtkatholiſche Schrifttum geftattet und empfohlen. Nur bei der 
gemeinſamen Gefung zu abendlicher Stunde vor der Komplet ſoll, der 


331 


ſchwächeren Semũtsart mancher Brũder wegen, eine gewiſſe Auswahl 
auch in der Schriftleſung getroffen werden. Für die beſung gibt die 


Regel die ſehr beachtenswerte Weiſung, daß die Bücher von vorn an 


ganz geleſen werden ſollen: es ſoll alſo auch das, was nicht unmittel⸗ 


- bar religiössfittlichen Inhalt hat, nicht überſchlagen werden — darin 
offenbart ſich ein unbefangener Beift ohne Ängftlihkeit. Der gefunden 


ungehemmten Entfaltung des religiöfen Gedankenlebens war damit 


eine breite Brundlage gegeben, und die mannigfaltigſten Bedürfniſſe 


der religiöfen Seele konnten hier befriedigt werden. 
Aber Benedikt verlangt nicht nur, daß der Beift feiner Schüler durch 


Belehrung und Deſung mit geiſtlichen Erkenntniſſen und Dorftellungen 


erfüllt werde, er fordert auch, daß der Mönch die entſcheidenden reli⸗ 


: giõſen Grundgedanken, wie Gottes Heiligkeit, Gerechtigkeit, Allgegen⸗ 
wart, beſtändig gegenwärtig halte und ſo ſeinen Geiſt wirklich bereit 


mache für ein wahrhaft religiöfes Urteilen und Tun. Der beftändige 
Wandel in Gottes Gegenwart, der namentlich in dem großen aſze⸗ 
tiſchen Hauptkapitel „Don der Demut“ als grundlegende Forderung 
aufgeſtellt iſt, ſetzt ganz eigentlich aſzetiſche Innenarbeit faſt notwendig 
voraus. Nur wer ſich fort und fort bemüht, die heilſamen religiöfen 
Gedanken und Vorſtellungen ſtets bereit zu haben, wird ſeinen Geiſt 
erfolgreich für das geiſtliche Geben bereiten und fo die erſte aſzetiſche 
Aufgabe erfüllen. 

Zu dieſer Aufgabe, die wir bisher nach ihrer pofitiven Seite beſtimmt 
haben, gehört freilich auch etwas Negatives: die Abwehr und Über⸗ 
windung all der Gedanken und Dorftellungen, die dem geiſtlichen Leben 
feindlich oder hinderlich find. Für dieſe negative Gedankenzucht hat 
das Geſetz des klöſterlichen Schweigens und die Tugend der Schweigſam⸗ 
keit, wovon namentlich das 6. Kapitel der Regel handelt, eine große 
Bedeutung. Aber auch direkter Kampf gegen eindringende ſchädliche 
Gedanken und Dorftellungen iſt unentbehrlich. Nur will Benedikt in 
echt aſzetiſcher Oebens weisheit, daß man felbft diefen kampf nicht fo 
ſehr negativ als vielmehr poſitiv führe. Schon im Prolog der Regel 
mahnt er, der zum kiloſter Berufene müſſe den Böſen, „wenn er ihm 
etwas einflüftere, mit feiner Derfuchung von den Augen feines Herzens 
wegſtoßen und zunichte machen“ und „ deſſen Einflüfterungen gleich beim 
Entſtehen ergreifen und an Chriſtus zerſchellen“. Im gleichen Sinne 
enthält das 4. Kapitel „Don den Werkzeugen der guten Werke“ die 
Lehre: „Böfe Gedanken, ſobald fie ſich zeigen, an Chriſtus zerſchmettern 
und dem geiſtlichen Dater offenbaren“. Nie bleibt eben Benedikts Aſzeſe 
beim rein Uegativen, bei bloßer Flucht oder Unterdrückung ſtehen. 


332 


Erfülltfein von reinen und heiligen Gedanken unter Nusſchluß m: 
nũtzer und ſchädlicher Dorftellungen: das iſt das Ziel der aſzetiſchen 
Bereitung des Beiftes für das geiſtliche beben. Dazu muß dann aber 
die Zucht und Bildung des Strebevermögens, des Wollens, der Affe 
und Triebe, der Gefühle und Stimmungen treten, denn auch dieſe 
alle find der Bereitung für das Vollkommenheitsleben ſehr bedürftig. 
So wendet ſich denn Benedikts Sorgfalt auch dieſen Gebieten, und 
zwar dieſen mit Vorzug, zu. 

Im geſamten Willensleben find die den Willen beſtimmenden und 
bewegenden „Beweggründe“ von ausſchlaggebender Bedeutung. die 
hier an hand der Regel näher zu betrachten, liegt außerhalb unſerer 
Abſicht. Doch fei zur ktennzeichnung der Lehre Benedikts auf die 
Hauptbeweggründe, die er feinen Jüngern vorſtellt, wenigſtens hin 
gewieſen. Zu Berufstreue und heiligem Wandel ſoll den Mönch be⸗ 
ſtimmen einmal die Furcht vor der Hölle, dann aber befonders - 
Benedikt iſt auch hier vornehmlich auf das Poſttive bedacht — die 
heilige Empfindung für die Größe des beſchworenen Berufs, das 
Gefühl der Verantwortung gegen Bott, die Freude an der Tugend, 
das ſtarke Derlangen nach dem ewigen beben, die alles überragende 
Liebe zu Bott und zu Chriſtus. Als Ziel gilt hierin dem Mönchs⸗ 
vater jener Stand des inneren Lebens, in dem alle Furcht ſchwindet 
und jegliches Tun nur noch hervorgeht aus geiſtlicher Freude und 
ſtarker Liebe zu Gott. 

Unter dem Einfluß dieſer hohen Beweggründe erwartet der heilige 
ein kraftvolles, freudig entſchiedenes Wollen und Tun. Schlaffes, 
unentſchiedenes, halbes Weſen iſt ihm ein Greuel. Er will ganze, 
ungeteilte hingabe an das letzte Ziel und entſchloſſenen Gebrauch der 
Mittel, die dazu führen. Frifcher, froher Eifer ſoll das Leben der 
Mönche auszeichnen, Eifer im Innern wie nach außen. Es iſt bezeid 
nend, daß unter den fieben letzten Kapiteln, die Benedikt höchſt wahr 
ſcheinlich im reifften Alter der früher ſchon abgeſchloſſenen Regel bei⸗ 
gefügt hat, das vorletzte geradezu „Dom guten Eifer, den die Mönche 
haben müſſen“ handelti. Dieſer gute Eifer, den die Mönche „mit 
glühend ſter Liebe üben ſollen“, und der fi) in Ehrerbietung für einan⸗ 
der, in größter Geduld des gegenſeitigen Ertragens, in weiteifernder 
Dienſtbereitſchaft, in Selbſtloſigkeit, in hingebender keuſcher Liebe, 
in Gottes furcht und Liebe zum Abte, in alles überragender Chriſtus⸗ 
liebe betätigen ſoll, iſt dem Ordensvater die ſicherſte heilung von 


Siehe den Text dieſes kurzen, herrlichen Kapitels in der Benediktiniſchen Monat⸗ 
ſchrift II (1921) 8. 246. 


ar ee * Le | 


333 


Vaſtern und Fehlern und der kürzeſte Weg zu Gott und zum ewigen 
Leben. Dieſes beſondere Kapitel vom guten Eifer ſpricht aber nur 


nochmals aus, was ſchon die ganze Regel laut verkündigt hat. Wir 
müßten weit über fünfzig Stellen der Regel anführen, wollten wir 
ein einigermaßen vollſtändiges Bild davon geben, wie Benedikt immer 
wieder in allen Dingen und von allen frohen Eifer, Bereitwilligkeit, 
unverzügliches Wollen und Tun, freudigen Dienſt verlangt und er⸗ 
wartet. Klarheit und Straffheit des Wollens, dieſe Grundlagen aller 
echten Willensbildung, können nicht entſchiedener und bewußter ge⸗ 
fordert werden, als es in Benedikts Regel geſchieht. 

Mittel zu dieſer Willensklarheit und ⸗ſtraffheit ift für den Mönch 
vor allem der Gehorſam: Gehorſam gegen die geſchriebene und ge⸗ 
lebte Regel, Gehorſam gegen den Abt, Gehorſam auch noch gegen 
die Mitbrüder. Der Gehorſam, wie Benedikt ihn verſteht und will, 
iſt weit mehr als das bloße Mittel, eine 8emeinſchaft zu ermöglichen. 
Er ift vor allem in religiöfem Betracht Hingabe an Gott und Nach⸗ 
ahmung Chriſti, in aſzetiſchem Betracht aber, wenn in Benedikts 
Geift geübt, ein unvergleichliches Mittel der Willenserziehung und 
ſittlichen Stählung. Darum verlangt der eifrige Mönch geradezu dar⸗ 
nach, daß der Abt ihm vorſtehe und ihn leite (Kap. 5), und darum 
verordnet der Heilige im 71. Kapitel, daß die Mönche das „koſtbare 
Gut des Gehorſams“ nicht nur dem Abte, ſondern auch einander dar⸗ 
bringen ſollen, „überzeugt, daß fie auf dieſem Pfade des Gehorſams 
zu Gott gelangen“. Der Gehorfam, den Benedikt meint und im 
5. ktapitel näher beſchreibt, ift ein Gehorfam um Gottes willen und 
darum „ohne Verzug, nicht eilfertig, nicht lahm, nicht lau, nicht mit 
Murren oder offener Widerrede“, denn „mit willigem herzen ſollen 
die Jünger den Behorfam leiſten, weil Gott einen freudigen Geber 
liebt“. Es ift kein Zweifel: wer in dieſe Schule des Gehorſams geht 
und feine Aufgabe auch nur mit einiger Folgerichtigkeit und Hin⸗ 
gebung zu erfüllen ſucht, wer Tag für Tag aufs Wort dem Befehl 
des Obern, aufs Zeichen der gemeinſamen Ordnung folgt, muß nach 
und nach zu jener inneren Freiheit des Wollens, zu jener ſicheren 
Entſchiedenheit der Tat gelangen, in der er jeder Forderung des Alugen= 
blickes, auch der unerwarteten, gewachſen iſt und vor keiner Über⸗ 
windung lockender Wünſche und beidenſchaften mehr zurückſchreckt, 
wo immer das heil oder die Vollkommenheit fie verlangt. Es trifft 
dies um ſo mehr zu, als dieſer durch und durch jaſagende, und keineswegs 
nur den eigenen Willen verneinende Gehorfam das eigentätige, frei⸗ 
willige, kraftvolle Streben der Seele mit nichten ausſchaltet oder er⸗ 


334 


droſſelt, ſondern es geradezu als feine naturgemäße Ergänzung ruft, 
ja vorausſetzt. Durch ein wohlüberlegtes, völlig freiwilliges Gelübde 
iſt ja die Übung dieſes Gehorſams in ihrer ganzen Breite auf die 
Stufe der Freiheit und Freiwilligkeit erhoben, und darüber hinaus 
wünſcht Benedikt, wie das 49. Kapitel von der Faſtenzeit zeigt, daß die 
Mönche auch aus eigenem inneren Antrieb und Verlangen, wenngleich 
unter dem Segen des Gehorſams, ungebotenes Gutes erwählen und tun, 

Neben dem religiöfen Behorfam ſteht in Benedikts Aſzeſe als Mittel 
der Willensbereitung das Gebot der Selbſtbeherrſchung, der hei⸗ 
ligen Zucht des ganzen menſchen. Abermals müßten wir reichlich 
fünfzig Stellen anführen, wollten wir erſchöpfend zeigen, wie ſehr 
dieſe Forderung der Selbſtbeherrſchung und heiligen Zucht die ganze 
Regel erfüllt und die Eigenart ihrer Aſzeſe mitbeſtimmt. Nur darauf 
möchten wir ausdrücklich hinweiſen, daß das ganze, umfangreiche 
7. Hapitel, das von jeher als die Summe der geiſtlichen Lehre und 
Aſzeſe Benedikts betrachtet wurde, durch ſämtliche zwölf Stufen der 
Demut hindurch in den verſchiedenſten Formen und auf den verſchie⸗ 
denſten Gebieten Selbſtbeherrſchung und Zucht predigt, nicht nur der 
Gedanken, auch des Willens, der Wünſche, der Gefühle, der Zunge, 
der Stimme, des ktörpers, kurz des ganzen Menſchen, anhebend mi 
der Zucht des inneren Menſchen und feiner Bewegungen und Stre⸗ 
bungen, fi vollendend in der Durchherrſchung auch des Hußeren in 
Reden, Lachen, Blick und Haltung. Benedikt felbft hat vor Aufzählung 
der zwölf Stufen bezeichnenderweiſe ganz ausdrücklich die Stufen der 
Demut mit Stufen der Zucht (disciplina) gleichgeſetzt. In dieſer Selbſt⸗ 
beherrſchung und Zucht wurzeln wichtige Eigenfchaften des Mönches, 
wie Benedikt ihn wünſcht: der gemeſſene Ernſt, die Maßhaltung, die 
Rückſicht auf andere, die Ehrfurcht und Freundlichkeit im Derkeht, 
die Freiheit von Laune, Anmaßung, Ungeftüm, die wohltuende Ruhe 
des Gemütes, die Überwindung aller Unzufriedenheit und allen Mur 
rens. Auf alle dieſe Punkte, zumal auf den letztgenannten, kommt 
Benedikt in den verſchiedenſten Zufammenhängen immer wieder zu 
ſprechen. Er weiß zu gut, daß das geiſtliche beben nur dann ge 
deihen kann, wenn der Mönch ſich ſelbſt und all ſeine kräfte und 
Glieder völlig in der Gewalt hat. 

Als wichtiges Übungsfeld des Sehorſams und der Zucht gilt dem 
Seſetzgeber des Mönchtums die Arbeit, die körperliche wie die geiſtige. 
Sie ift ein unentbehrliches Mittel des aſzetiſchen Lebens, weil „der 
Müßiggang ein Feind der Seele iſt“ (Kap. 48). Benedikt geht in der 
Forderung ernſter Beſchäftigung ſo weit, daß er ſelbſt für den Sonntag 


335 


körperliche Arbeit anordnet für den, der etwa „fo nachläſſig und 
träge wäre, daß ihm die Luft oder Fähigkeit fehlte, die geiſtlichen 
Übungen zu halten oder zu leſen“ (ebd.). Weit entfernt freilich ift 
der Heilige von jener Auffaſſung, die in der Arbeit und möglichſt 
großen Arbeitsleiſtung einen Selbſtzweck ſieht: ihm bleibt die Urbeit 
und ihr irdiſcher Nutzen ſtets und unbedingt untergeordnet unter den 
aſzetiſchen Zweck der Arbeit und das höhere Wohl der Seele. Des⸗ 
halb find ihm Überlaſtung mit Arbeit und Übereifer bei der Arbeit 
verpönt, und fordert er mehrfach nachdrücklich, daß Art und Maß 
der Arbeit ſtets im Verhältnis zur körperlichen und ſittlichen Kraft 


des Einzelnen ſtehen. Benedikt hat ein tiefes Derftändnis für die 


aſzetiſche Bedeutung angemeſſener Arbeit gehabt. 

mit der Bereitung des Willens für die übernatürliche Aufgabe iſt 
die Bereitung des Triebhaften, der Affekte, Gefühle und Stim⸗ 
mungen eng und unlösbar verbunden. Die Art und Weiſe, auf die 
der hl. Benedikt dies weitere Gebiet der Aſzeſe behandelt, ſteht im 
Einklang mit den Grundſätzen, die wir im vorausgehenden ſchon 
kennen gelernt haben. Auch hier ift das Negative, die Einſchränkung 
und Überwindung nicht vergeſſen, und doch vor allem das Poſttive, 
die zuchtvolle Entfaltung und Nutzbarmachung betont. 

Trieb, Begierde, Geidenfhaft und Affekt, Gefühl und Stimmung 
werden oft zur Verſuchung: dann mülfen fie, wenigſtens ſoweit fie 
Verſuchung find, bekämpft und überwunden werden. Darum warnt 
Benedikt vor der „eu der Begierden“, wie fie jenen entarteten Mön⸗ 
chen, den Sarabaiten, gewiſſermaßen bebensregel war; darum mahnt 
er: die Gelũſte nicht ſuchen, Zorn nicht zur Tat kommen laſſen, Rachſucht 
nicht andauern laſſen, kein Falſch im Herzen hegen, niemanden haſſen, 
Eiferfucht nicht hegen, von Neid ſich nicht beherrſchen laſſen (ktap. 4), 
nicht nach eigenem Gutdünken leben und nicht feinen Neigungen und 
baunen folgen (Rap. 5), vor den Sünden des Fleiſches und aller böfen 
Begierde ſich hüten, die eigenen Wünſche nicht gern erfüllen (ap. 7). 
In aller trüben Stimmung und ungeordneten Traurigkeit ſieht und 
bekämpft der heilige ein hemmnis, ja eine Gefahr der Seele, der er 
durch ernſte Mahnung (vgl. Kap. 34; 48; 54), beſonders aber auch 
durch möglichſte Behebung der Urſachen von Unzufriedenheit und 
Traurigkeit (vgl. Rap. 27; 35; 36 u. a.) entgegenarbeitet. 

Aber, wie gefagt, Benedikt begnügt ſich nicht damit, das Ungeord⸗ 
nete in Trieb, Begierde, beidenſchaft uſw. entſchieden zu bekämpfen. 
Er ſucht auch zur Pflege der wohlgeordneten, förderlichen Kräfte im 
Trieb- und Zefühlsbereich der Seele anzuleiten. Darauf liegt dei ihm 


336 


bewußt oder unbewußt der Nachdruck, nicht auf dem Gebot von Rampf 
und Unterdrückung. Wenn Benedikt beiſpielshalber fort und fort zu 
friſchem frohem Eifer mahnt und anſpornt, ſo erzieht er damit zu⸗ 
gleich das Gefühl der Friſche, Kraft, Entſchiedenheit und Freude und 
ſchafft damit günftige Dorausfegungen für das geſamte geiftliche Geben 
und Streben, das bei gedrückter Stimmung und freudloſem Sinn nur 
ſchwer, wenn überhaupt, gedeiht. Als verheißungsvolles Ziel der 
mühſal klöſterlichen Lebens ſtellt das Ende des Prologs jene glau⸗ 
bensvolle, krafterfüllte Seelenverfaſſung hin, in der man „erweiterten 
Herzens in unſagbarer Liebesluft den Weg der Gebote Gottes durch⸗ 
eilt“ — man fühlt förmlich das drängende Pulſen des freudergriffenen 
Herzens aus dieſen Worten heraus! Bezeichnenderweiſe kommen ähn⸗ 
liche Klänge gerade wieder am Schluß des aſzetiſchen Hauptkapitels 
über die Demut: wer dieſe Stufen der Demut und Zucht erklommen 
habe, der gelange alsbald zu jener vollkommenen Liebe Gottes, durch 
die die Furcht ein Ende nimmt und auch das bisher Mühſelige nun 
mühelos, gleichſam aus natürlicher Neigung und aus guter Sewohn⸗ 
heit, geſchieht, nicht aus Furcht vor der hölle, ſondern aus Liebe zu 
Chriftus und aus Freude und Luft an der Tugend. Welcher Oicht⸗ 
ſchimmer der Freude liegt über dem Bilde des vollkommenen Mönchs⸗ 
lebens, das Benedikts Feder mit kurzen klaren Strichen in dem ſchon 
angeführten Kapitel vom guten Eifer malt. Lärmende Aus gelaſſen⸗ 
heit allerdings will der Mönchsvater nicht: mehr als einmal ſpricht 
er ſich gegen dieſe aus. Aber Freude, fröhliche Semütshaltung iſt 
ganz nach feinem Sinn. Dabei iſt es kennzeichnend, daß Benedikt 
die Freude mit Dorliebe gerade dann betont und erwartet, wenn es 
ſich um Dinge handelt, die dem natürlichen Menſchen ſchwer, ja un⸗ 
erträglich ſcheinen. So ruft ausgeſprochenerweiſe die vierte Stufe der 
Demut, auf der der Mönch den Gehorſam übt auch noch bei harten 
und widrigen Dorkommniffen und ſelbſt wenn man ihm Unbill an⸗ 
tut, zu bewußter und gewollter Freude auf; inmitten aller Wider⸗ 
wärtigkeit ſollen die Jünger, „felfenfeft auf die göttliche Vergeltung 
hoffend, in Freude ſprechen: In all dem obſiegen wir um deſſent⸗ 
willen, der uns geliebt hat“. Vielleicht noch eigentümlicher iſt es, 
daß Benedikt nirgends in drängenderer Weiſe zur Freude mahnt als 
in dem Kapitel von der Faſtenzeit, wo er Abſtellung aller Fehler, 
Gebet unter Tränen, eifrige beſung, Jerknirſchung des Herzens, Ent⸗ 
haltſamkeit in Speiſe und Trank, Abbruch an Schlaf, an Reden, an 
Ausgelaſſenheit verlangt und außerdem erwartet, daß feine Mönche 
aus eigenem Antrieb und Willen zu dem von der Regel geforderten 


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noch etwas an Strenge und guten Werken hinzutun — um es „in 


der Freude des Heiligen Geiftes Bott aufzuopfern“ und um „in der 


Freude geiſtlichen Derlangens das heilige Oſterfeſt zu erwarten“ (49). 


1. 1 77 


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Es ift eine freudbetonte Aſzeſe, die Benedikt lehrt. 

Da nimmt es nicht wunder, daß Benedikt auch die Hoffnung 
befonders gepflegt wiſſen will; denn Hoffnung macht froh, und viel 
von der beften Freude iſt Freude in hoffnung. Daher wird der heilige 
nicht müde, namentlich an entſcheidenden Punkten auf die Hoffnung 


-: hinzuweifen. In den verfchiedenften Zuſammenhängen kehrt die Erinne- 
: rung an das ewige Leben mit feiner alles aufwiegenden Dergeltung 


wieder. Namentlich am Schluffe des langen und inhaltsreichen 4. Ra: 
pitels „Don den Werkzeugen der guten Werke“ hat der Hinweis auf 
den himmliſchen Lohn einen eigenartig innigen Klang: haben wir 


die Werkzeuge der geiſtlichen Kunſt „Tag und Nacht unabläſſig zur 
hand und geben wir fie am Tage des Gerichtes wieder zurück, dann 


wird uns als Entgelt jener ohn vom Herrn zuteil, den er ſelbſt ver⸗ 
heißen hat: Was kein Auge geſehen, kein Ohr gehört, hat Gott denen 


bereitet, die ihn lieben“. Aber nicht nur auf die Verheißung des ewi⸗ 


T 


gen Lebens weiſt Benedikt feine Jünger hin. Er kennt die menſchliche 
Seele gut genug, um zu willen, wie nötig ihr auch näherliegende 
hoffnungen ſind. Da iſt es lehrreich zu ſehen, wie er vor allem an 
drei der bevorzugteſten Stellen der Regel: am Schluſſe des Prologs, am 
Schluſſe des Kapitels von der Demut und im letzten Satze der Regel 
überhaupt, auf den Lohn des Erfolges im geiſtlichen beben ſchon hier 
auf Erden verweiſt mit Worten, die wie geſättigt mit ſeiner eigenen 


Troſterfahrung find und eben deshalb ſtarke Hhoffnungsfreude wecken. 


* 3 


Beſonderes Gewicht ſodann legt Benedikt auf das Gefühl der Ehr⸗ 


| furcht, die gewiß auch vor allem Sache der Geſinnung ift, bei der 
aber wie bei Freude und hoffnung das Gefühl eine nicht geringe 
Kolle ſpielt. Namentlich wo es ſich um Gott und Gottesdienſtliches 


handelt, wird die Ehrfurcht immer wieder betont: wenn das „Ehre 
ſei dem Vater“ geſprochen wird, ſollen die Brüder „in Ehrerbietung 
und Ehrfurcht vor der heiligen Dreifaltigkeit ſich erheben“, wenn das 
Evangelium geleſen wird, ſollen „alle in Ehrfurcht ſtehen“ (Rap. 9; 11). 
Ehrfurcht verlangt das 19. Kapitel bei jeglichem Gottesdienſt im Chore, 
höchſte Ehrfurcht mit tiefſter Demut und reinſter Andacht verlangt das 
20. Rapitel bei allem übrigen Gebet. „Mit Ehrfurcht und Gemeſſen⸗ 
heit“ ſollen Gefang und beſung beim Gottesdienſt verrichtet werden 
(Kap. 47), mit „heiliger Ehrfurcht“ follen die Brüder auch draußen, 
wenn ſie der Entfernung wegen von der Arbeit nicht zum Chore 
Benediktinifhye Monatſchrift IV (1922), 9— 10. 22 


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kommen können, bei ihrer Pſalmodie die knie beugen (kap. 50), im 


Kloſter aber follen alle, ſobald das Chorgebet zu Ende ift, in tiefftem | 


Schweigen voll Ehrfurcht gegen Gott das Gotteshaus verlaſſen (Rap. 52. 
Aber auch über den Gottesdienſt hinaus ſoll Ehrfurcht ein behen⸗ 
ſchendes Gefühl im Mönche fein. Was die Brüder vom Obern zu 
erbitten haben, ſollen fie „in aller Demut und ehrfurchtsvoller Unter 
würfigkeit verlangen“ (Rap. 6), der Prior wird ſtreng gemahnt, ‚in 
Ehrfurcht“ das zu tun, was der Abt ihm aufgetragen (Kap. 65), „ehr⸗ 


furcht vor dem Prieſtertum“ ſoll die Rangordnung nach der Zeit des 


Eintritts durchbrechen (tap. 60), aus „Ehrfurcht vor der väterliche 


Würde“ follen die Jüngeren den Älteren in Anrede und Derhaltn | 


Achtung erweifen (flap. 63), ganz allgemein follen die Mönche einan⸗ 


der „mit Ehrerbietung“ zuvorkommen (ap. 63; 72), Ehrerbietung 


und demütige Ehrfurcht follen auch den Bäften gegenüber walten, 
die wie Chriftus aufzunehmen und mit „aller Demut“ und „aller 
Freundlichkeit“ zu bewirten find. Man fieht, Benedikt will die Pflege 


der Ehrfurcht im weiteſten Sinn und auf breitefter Grundlage. Das 
ift nicht zu verwundern in einer Regel, die die Demut zu einer Grun 
tugend macht und zugleich das anbetende Gotteslob zu einer ſo vor 
züglichen Angelegenheit der klöſterlichen Gemeinde erhebt. Es erſche “ 


nen hier lediglich die Befinnung, das Gefühl und der Ausdruck der 
religiöfen Ehrfurcht in ihrer kaum zu überſchätzenden Bedeutung für 
Frömmigkeit und Heiligkeit entſprechend gewürdigt. 


Anderes beiſeite laſſend, wollen wir nur noch einige Beobachtungen 


über die Affekte der Liebe, der hingebung, des Vertrauens gegen 
Gott und die Menfchen hier anfügen. Es ſpricht fo viel warmes 
Empfinden und Fühlen aus Benedikts Regel, die doch zunächſt eine 
rechtliche Satzung und eine kurzgefaßte Belehrung fein will. Die per 
ſönlich herzlich hebt gleich der Prolog an mit der Bitte, der „Sohn“ 
möge die Lehre und Mahnung des „liebenden Vaters“ willig hin: 
nehmen und ſie im Werke vollbringen. Das 2. Kapitel will, daß 
der Abt „die zarteſte Liebe des Daters zeige“, und ſpricht auch fonf 
davon, wie er die Mönche lieben ſoll. Ahnlich das 64. Kapitel „von 
der Wahl des Abtes“: Er ſoll barmherzig fein und ſtets die Barm 
herzigkeit über das Recht ſtellen, ſoll zwar „die Fehler haſſen, die 
Brüder aber lieben“, ſoll die Fehler „mit Liebe“ ausrotten und darauf 
bedacht ſein, daß man ihn mehr liebe als fürchte. Nicht nur eines 
der Werkzeuge des geiſtlichen Lebens weiſt auf die Liebe und ihre 


Übung hin. In welch warmem Ton wird immer wieder von der liebe 


zu Chriſtus, wie gütig von der Pflege der Aranken und der Sorge 


339 


für die Breife gefprochen (Rap. 36; 37), wie herzlich dem Bruder an 
der Pforte anempfohlen, ſobald jemand anklopfe oder ein Armer 
rufe, ſolle er „Zott ſei Dank!“ antworten oder „Segne mich!“ und 
: mit aller Freundlichkeit, wie fie der Bottesfurcht eigen iſt, feinen 
Beſcheid eilends geben im warmen Eifer der Liebe (Kap. 66), welche 
: Innigkeit liegt über dem Kapitel vom guten Eifer und ſpricht geradezu 
aus jedem feiner ſchlichten Worte! Hier und in fo vielem anderen 
iſt keine Scheu vor Hergensempfindungen und Gefühlen, geſchweige 
denn eine Luft, fie zu ertöten, ſondern ein zuverſichtlicher Wille, ſie 
zu entfalten für das Streben nach dem höchſten Ziel: aller warme 
fördernde Affekt, alles Reine auch an Trieb, Gefühl und Stimmung 
ſoll leben und wachſen, wenn es ſich nur leiten und einordnen läßt 
in den großen Zuſammenhang des übernatürlichen Lebens! 

-  Naddem wir bisher einige kennzeichnende Einzelzüge der Aſzeſe 
Benedikts herausgeſtellt haben, ſei noch auf einen allgemeinen Grund- 
ſatz und Grundzug dieſer Aſzeſe, der körperlichen wie der ſeeliſchen, 
- befonders hingewieſen: auf das Befe der Maßhaltung. Die Maß⸗ 
haltung hat ſchon Papſt Gregor der Große als unterſcheidendes und 
. auszeichnendes Merkmal der Regel Benedikts empfunden, und es iſt 
viel davon geſchrieben worden. Wir möchten diefe Maßhaltung hier 
lediglich von einem beſonderen Geſichtspunkt aus beleuchten. Durch 
die ganze Regel geht eine faft ängftliche Sorge dafür, daß dem guten 
eifer, dem freudigen Ja in Wollen, Fühlen und Tun die naturgemäßen 
. Bedingungen gewahrt bleiben. Deshalb ja kein übereifriges Beſſern⸗ 
wollen, kein ſtürmiſches Dorgehen, Reine Unruhe vonfeiten des Abtes; 
ja kein Übermaß an Arbeit für die Geſamtheit oder die Einzelnen, 
keine die Seele ermüdende und bedrückende Belaftung; unter allen 
AUmſtänden ſoll den Schwächeren und den mit größeren, drängenden 
Arbeiten Beauftragten die nötige Hilfe gewährt werden, mag es ſich 
um den Zellerar, den Pförtner, den Küchen⸗ oder Tiſchdiener oder um 
n ſonſt jemand handeln. Weniges iſt bei eingehender Beſchäftigung mit 
der Regel fo eindrucksvoll, wie die fort und fort wiederholte Mah⸗ 
nung, hilfen oder Zulagen an Speiſe und Trank zu gewähren oder 
ſonſt milde und rückſichtsvoll zu fein, damit die Brüder „mit Gleich- 
mut“ (Kap. 31), „ohne Traurigkeit“ (Rap. 35), „ohne Murren und 
große Mühe“ (Kap. 35; vgl. 38; 39 u. a.) ihre Arbeit tun, ohne Un⸗ 
ruhe und Verwirrung ſeien und im Frieden bleiben (vgl. Kap. 34; 
61; 63). Die Rükfiht auf die Schwächen der Mönche wird immer 
wieder eingeſchärft. Auch über das hinaus, was die Regel in der 
hinſicht ſchon im einzelnen beſtimmt, ſoll der Abt die Vollmacht haben, 

22* 


340 


mehr zu geben (Rap. 39; 40), und zwar foll er dabei einzig hin 
ſchauen auf das Bedürfnis der Schwachen, nicht auf den Neid Übe- 
wollender (Rap. 55). öfter kehren Mahnungen und Regeln wiede, 
gleich dieſer: „Der Abt ſoll alles ſo mäßigen und ordnen, daß die 
Seelen gerettet werden und die Brüder ihre Obliegenheiten ohne ge 
rechtes Murren verrichten“ (Kap. 41), „alles ſoll bei der Arbeit mit 
Maß geſchehen wegen der Kleinmütigen“ (Rap. 48), „Kranken oder 
ſchwächlichen Brüdern werde eine ſolche Arbeit oder Beſchäftigung 
gegeben, daß fie nicht untätig ſeien, aber auch nicht durch Über 
bürdung niedergedrückt werden und das Rlofter verlaſſen. Auf ihr 
Schwäche muß der Abt Rückſicht nehmen“ (ebd.). Alle berechtigten 
Bedürfniſſe follen befriedigt, alles Nötige gegeben werden, damit jo 
keiner einen Vorwand habe oder verſucht ſei, ſich in regelwidrige 
Weiſe irgend etwas eigenmächtig anzueignen (Kap. 55). Muß de 
Abt zurechtweiſen, „ſo handle er klug und gehe nie zu weit, damit 
das Gefäß nicht zerbreche, wenn er es allzu ſauber vom Rofte reinigen 
will“ (Rap. 64). „Er ordne alles mit Maß, auf daß es fo gehalten 
werde, wie die Starken es wünſchen, daß aber auch die Schwachen 
nicht davor zurückfchrecken“ (ebd.). Was wir oben ſchon bezüglich 
der Arbeit geſagt haben, trifft im Ganzen zu: Benedikts Regel offen 
bart ein feines Empfinden dafür, daß das ſeeliſch⸗geiſtliche Gedeihen, 
das friſche Streben, die Freude, der Erfolg in hohem Maße bedingt 


find durch die Angemeſſenheit der geftellten Anſprüche an die körper | 


liche und ſittliche Kraft, und daß man die Seelen aufs bedenkliäft 


ſchädigt, ja gefährdet, wenn man zu viel verlangt. Wie weit freilich 


Benedikt bei alledem von einer engen, bloß natürlichen Auffaffung 


entfernt bleibt, zeigt der entſchiedene Ton, in dem er bei etwaigen 


beſonderen Belaſtungen oder Entbehrungen dem inneren und äußern 
Murren wehrt; das zeigt vor allem das vielen Gefern rätſelhaft 
68. kapitel „Wenn einem Bruder Unmögliches aufgetragen wird“, en 
Rapitel, das zur höchſten übernatürlichen Erhebung, zu völliger hin 


a a ed 


gabe an Bott und feine Macht ruft, dabei aber wiederum das Nafür 


liche fo überraſchend mit berückfichtigt, daß diefer kurze Abſchnitt von 
drei mäßig langen Sätzen füglich zum Größten und Abgeklärteſten ge 
rechnet werden darf, was chriſtliche Cebensweisheit je zu ſagen wußte. 

Aber nicht nur die Schwächen, vielmehr die ganze Anlage und Art 


eines jeden will Benedikt berückſichtigt wiſſen. Das gibt feiner l= 
zeſe und Führung ein ausgeſprochen perſönliches Gepräge. Unter 


ſchiedsloſe Gleichheit des Rates, der Anwendung von Mitteln, der 


Behandlung iſt ihm fremd. Dafür hat er einen zu lebendigen sim 


* 
* 


341 


für das Eigene und Einzige jeder Seele im beſonderen. Durch beide 


: Bapitel über den Abt klingt als ein Leitgedanke die Forderung: 


7 vv. 


ed 


„Nach eines jeden Eigenart und Derftändnis foll der Abt ſich allen 
angleichen und anpaſſen“ (kap. 2). Dieſe ftarke Betonung der Eigen⸗ 
art des Einzelnen ift aber gerade deshalb doppelt bemerkenswert, 


: weil Benedikt bewußterweiſe nicht für Einfiedler, ſondern für eine 
: Rloftergemeinde ſchreibt und die Semeinſchaft des klöfterlichen 


1 


2 


bebens grundlegend und formgebend für ſeine Anordnungen ſein läßt. 
Die Gemeinſchaft des Lebens in Gebet, Liebe, Arbeit, Mahlzeit, in 


Sitten und Gebräuchen, in gegenfeitiger Hilfe und Rückfichtnahme 


2 . 


Ne 


- ift bis ins tieffte hinein mitbeſtimmend auch in der Afzefe der Regel. 


Das gemeinſchaftliche Geben mit feiner mannigfaltigen Bewegung, der 


. vielfachen Eigenart feiner Träger, den immer wechſelnden Anſprüchen 
der Einen gegenüber den Anderen, mit all den fördernden Antrieben 
und den kraftweckenden Widerſtänden bietet alle nur denkbaren Ge⸗ 


um an. 0. 


1 


legenheiten und Notwendigkeiten äußerer und innerer Zucht, bietet 


dauernden Anlaß, die ſittlichen Kräfte und Tugenden zu üben und 
zu entfalten, und wird ſo dem Fortſchrittbegierigen wie von ſelbſt zu 


‚ einer Übungsſchule für das geiſtliche beben und zu einer wirkſamen 
Bereitung von Seele und Leib für den göttlichen Dienſt. Wirklich 


erſcheint auch das gemeinſame Leben im kloſter als ein Hauptgebiet 


und ein hauptmittel der benediktiniſchen Aſzeſe. Das Meiſte, was 
Benedikts Afzefe in ihrer Eigenart näher beſtimmt, iſt ſeelenbereitend 
Rund gemeinſchaftsbildend zugleich. Das gilt von der gemeinſamen 


rt r Kr . 


Belehrung und Leſung, es gilt vom Gehorfam gegen den Abt und 
die Mitbrüder, es gilt vom guten Eifer, der Ehrfurcht, der Beherr⸗ 


ſchung der Affekte, es gilt von der gemeinſamen Arbeit und dem 


f gemeinſamen Mahl; es gilt auch ganz beſonders vom gemeinſamen 
Chorgebet, das im benediktiniſchen Leben nicht nur ein Weſensſtück 
des göttlichen Dienſtes und geiſtlichen Lebens, ſondern zugleich ein 
| ſtarkes Hilfsmittel der Zucht und Bildung des ganzen Menſchen für 
ſeine religiös-fittlihe Aufgabe iſt. Faſt unmerklich vielleicht, aber 


nachhaltig und tief iſt der Einfluß des Singens und Betens im Chore 


auf jeden, der dieſem „Botteswerk“ fein Geben lang täglich mit äußerer 
Sammlung und Zucht und mit innerer Andacht und Liebe obliegt. 

Der ſchlichte Sinn des benediktiniſchen Lebens ift: das große Doppel⸗ 
gebot der Gottes- und Nächftenliebe verwirklichen zu wollen in der 
Form eines durch und durch religiös geftalteten Lebens des Gebetes 
und der Arbeit in brüderlicher Gemeinfhaft und unter der Führung 
des Abtes. Für unfere aſzetiſche Betrachtung liegt das Eigenartige 


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und zugleich Vorbildliche des von Benedikt geregelten Lebens darin, 
daß neben dieſem beben ſelbſt und feinen täglichen Aufgaben im 
Srunde genommen gar kein großer Aufwand beſonderer Afzefe, 
beſonderer Übungen notwendig wird. Bloß aſzetiſche Bedeutung hat 
im Rahmen dieſes Lebens eigentlich nur das verhältnismäßig geringe 
Maß körperlicher Strengheit und Entſagung. Alles Übrige hat über 
feine aſzetiſche Bedeutung hinaus einen unmittelbaren ſittlichen oder 
religiöſen Sinn und Wert: indem es zum übernatürlichen Leben be 
reitet und fähig macht, ſchafft es ſchon etwas vom Inhalt oder Nus⸗ 
druck dieſes Lebens ſelbſt oder dient der Bemeinfchaft, in der und 
durch die dieſes Geben zu verwirklichen iſt. 50 gelingt es, die Gebens- 
kräfte und Lebenstätigkeiten möglichſt ungeteilt und unmittelbar dem 
übernatürlichen beben ſelbſt zuzuführen, ohne doch die dringlichen 
Aufgaben der aſzetiſchen Bereitung von Seele und Leib zu vergeſſen. 

Sollen wir zuſammenfaſſen, was uns an Benedikts Aſzeſe beſon⸗ 
ders wertvoll erſcheint, ſo ſind vor allem drei Dinge zu nennen: 

Erſtens, der Nachdruck dieſer Aſzeſe liegt ganz im Seeliſchen, ohne 
daß deshalb das Körperliche vergeſſen wäre. 

Zweitens, ſowohl in der ſeeliſchen als in der körperlichen Aſzeſe 
tritt das Pofitive gegenüber dem Negativen ſtark hervor. 

Drittens, die Bereitung von Seele und Leib wird großenteils er 
ſtrebt durch Tätigkeiten und Bemühungen, die ſelbſt ſchon zum über⸗ 
natürlichen und ſittlichen beben gehören, ſo daß nur mehr wenig 
ausſchließliche Aſzeſe erforderlich iſt. 

In dieſer dreifachen Hinſicht möchte die Aſzeſe der Benediktinerregel 
der neuen Zeit manches zu raten, manches zu helfen haben. 


Die heldenſeele. 


Don P. Timotheus Kranich (Beuron). 


s gibt Worte, die wirken mit ſuggeſtiver Gewalt. Sie reißen gleich⸗ 
ſam mit einem Laut den Vorhang von einem Bild. Ein ſolches 
Wort heißt: held! Es ift etwas Rieſenhaftes, Sigantiſches um den 
Heldengedanken. Der Held kennt nur ein Geſetz: den Willen zum Siegl 
Und nur eine Weisheit: Sei ſtärker als der Feind. Der äußere oder 
der innere Feind! Es gibt eben auch ein Heldentum der Stille, von 
dem nicht die Weltgeſchichte ſpricht, wohl aber das Buch des Gebensl 
beben heißt kämpfen! 
beben heißt wirken! 
beben heißt lieben! 


122 


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Im Wappen Seelanös ſteht der Wahlſpruch: „Luctor et emergo“, 


ich ringe, aber ich bleibe oben. Im heißen, harten Ringen hat der 


zähe Holländer mit faſt übermenfchlicher Anſtrengung dem Meere den 


Beſtand feines Lebens abgetrotzt. „Militia est vita hominis super 
terram“, das beben des Menſchen auf Erden iſt ein ktriegsdienſt, fagt 
der fromme Job. Leben heißt Kämpfen! Es iſt ein kampf nach 
drei Fronten! Gegen eine dämoniſche Unterwelt, eine verführerifche 
Außenwelt, eine verräteriſche Innenwelt. Ein krieg auf Geben und Tod! 

Im alten griechiſchen Feftort Olympia fanden ſeit dem Jahre 850 
vor Chriſtus im Juni in Zwiſchenräumen von vier Jahren große 
Feſtſpiele ſtatt. Unter dem Schutze eines allgemeinen Gottesfriedens 
frömten Taufende und Abertauſende von jungen Männern zum fried⸗ 
lichen Wettkampfe herbei, ſelbſt in Zeiten ſchwerer auswärtiger kriege. 


Dem Sieger fiel als Ehrenpreis nur ein ſchlichter Corbeerzweig zu. 
: In feiner Heimat aber wurde ihm ein Denkmal geſetzt und fein Ruhm 
hoch in Ehren gehalten. Gegen Ende des vierten chriſtlichen Jahr⸗ 
i hunderts hörten die Spiele ganz auf. Aber in unſerer Zeit nach 


1600 Jahren hat man fie 1906 zum erſten Male wieder in Athen 


. erneuert. Da waren aus allen Teilen der Welt Männer und güng⸗ 


linge zuſammengeſtrömt, um in edlem ritterlichem Wettkampfe um 
die Palme des Sieges, um die Weltmeiſterſchaft in den einzelnen 
Rünften und Wettſpielen zu ringen. Es war die erfte Internationale 
des Sportes. 

Und noch immer ringen die Dölker um die Weltmeiſterſchaft. Aber 
auch ein jeder hat zu ringen und zu kämpfen in der Weltarena um 
die ewige Siegespalme. Wenn einſt die römiſchen Gladiatoren in die 
Arena traten, wo fie kämpfen mußten auf beben und Tod, dann 
blickten fie zuerſt zum Thron des Raifers. Sie betrachteten es als das 
größte Glück ihres Lebens, vor den Augen ihres herrſchers fechten 
und fallen zu dürfen. Sie begrüßten ihn mit dem ernſten Geſang: 
„Macte imperator! Morituri te salutant“, heil dir, Kaiſer! Die da 
ſterben wollen, grüßen dich! So blickten auch die Chriften, wenn 
fie ihren Todesgang antraten, zum Himmel empor und jauchzten: 
Heil dir, Chriſtus, die da für dich ſterben wollen, um ewig mit dir 
zu leben, grüßen dich! 

Und wir? Auch wir ſtehen auf einem kampfplatz, wo es ſich handelt 
um beben und Tod. Aud wir kämpfen unter den Augen unſeres 
Rönigs. Chriſtus iſt unſer Feldherr. Seien wir Helden! Napoleon I. 
brauchte einſt hundert Mannen zu einer heldentat. Da trat er vor 
ſeine Garde und ſagte: Die mit halten werden, treten einen Schritt 


344 


vor. Niemand wollte zurückbleiben. Laffen wir uns nicht beſchämen 
von dieſen ktriegern! Handelt männlich und ſeid ſtark! | 
Die ſchönſte Sage des Mittelalters iſt die vom heiligen Gral. Sie 
ſagt unter anderem: Wer von den Rittern der Tafelrunde wenigſtens 
einmal in der Woche den heiligen Gral, den Wunderkelch, anſchaute, 
der erhielt die kraft zum Siege. Und dieſe Siegeskraft ging aus von 
der heiligen hoſtie, die am Rarfreitag eine Taube vom himmel brachte 
und niederlegte in den heiligen Gral. Das ift auch für uns ein Wink, 
wo noch immer die Lebenskraft, die Heldenkraft zum Siege zu finden 
iſt — im Tabernakel, in der heiligen kommunion! Und wir brauchen 
dieſe kraft heute mehr wie je. Der achtzigjährige Feldherr Radetzki 
ſagte einmal: „Ich habe Tauſende von Männern kennen gelernt, 
welche in den Schlachten, mitten im Augelregen gefochten wie Löwen. 
Aber nicht viele habe ich in meinem langen Leben kennen gelernt, 
welche mutig ihren Glauben bekannten!“ Darum: Den heiland ins 
Herz! Chrifti Blut gibt Heldenmut! Nietzſche verkündet den Willen 
zur macht; wir Chriften preifen den Willen zum kampf und zum 
Sieg unter der Fahne Chriſti. Wir haben als Deviſe die drei großen 
Worte, die am Hoſpiz des großen St. Bernhard ſtehen: „Fortiter, fide⸗ 
liter, feliciter!“ Tapfer, treu und glücklich! ga, um den Sieg wollen 
wir kämpfen! Sieg da draußen und Sieg daheim! Sieg aller guten 
Beifter, Sieg auf der ganzen Lebenslinie: das iſt Heldentum! 
beben heißt kämpfen! Aber leben heißt duch wirken! Es lebe die 
Tat! Über allem in der Welt ſteht das Tun. Werden geſchieht durch 
die Tat. 8o ſiegten im Altertum die Römer über die Griechen: die 
Tat über das Schauen! „Die Zeit heiſcht handeln, nicht trauern”, 
fagte der ehemalige Kronprinz Ruprecht als ihm der Tod feines Erft- 
geborenen gemeldet wurde. Handeln und nicht trauern! Das ſoll 
unfere Gebenslofung fein. getzt gilt es, feine Pflicht und Schuldigkeit 
zu tun, jeder an ſeinem Platz. Als der Student Artur Schopenhauer 
nach ſeinem erſten Göttinger Studienjahr zu ſeiner Mutter nach Wei⸗ 
mar zurückkehrte, kam er mit dem Vorſatz, das Studium der Medizin 
mit dem Studium der Philoſophie zu vertauſchen. Die beſorgte Mutter 
bat den mit ihr befreundeten Dichter Wieland, er möge mit ihrem Sohne 
ſprechen. Doch der alte Dichter wurde von dem jungen Philoſophen 
überzeugt, es ſei das würdigſte Studium, über das beben nachzudenken. 
Iſt das wirklich genug? Nein, das Leben ift dazu da, daß es wirk- 
lich gelebt wird. Es lebe das beben! Das Heldentum der Pflicht! 
Da ſtand am 24. Ruguft des Jahres 79 nach Chriftus ein römiſcher 
Soldat in Pompeji auf Poſten. Es kam der furchtbare Ausbruch des 


& N a BR 


* e re a * * F 


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Defuns. Er hätte ſich retten können, wie viele Bewohner. Aber er 
blieb, er harrte aus auf ſeinem Poſten. Lava und Aſchenregen um⸗ 
hüllten feine Geſtalt und Waffe. Er verbrannte in dem glühenden 
Gavaftrom. Aber es blieb an dieſer Stelle der leere Raum, den 
feine Geſtalt ausgefüllt hatte. Als man nach achtzehnhundert Jahren 
bei den Ausgrabungen der verſchütteten Stadt an diefen Flecken kam, 
goß man die leere Höhle mit Gips aus, und ſiehe da, jene hatte die 
Geftalt des bewaffneten kiriegers, der auf feinem Poſten verbrannt 
war. Ihn band die Pflicht. Niemand kennt ſeinen Namen; aber im 
Diufeum von Neapel ſteht fein Bild als ſtiller Mahner für uns Kinder 
des zwanzigſten Jahrhunderts. 

Der heilige Paulus hat dieſes heldentum der Tat gezeichnet im Bild 

des Wettläufers. Unverwandt ſchaut das Auge auf fein Ziel und 
ſpannen ſich alle Muskeln. Es gilt die Sieges krone. 
And nicht nur das Leben, das ſich vor den Augen der menſchen 
abſpielt, ſoll tatenreich ſein, nein auch das innere beben auf dem 
Schlachtfeld des Herzens. Das find die helden des Alltags. Deren 
Taten ſtehen in keinem heldenbuch verzeichnet, aber Gott, der ins 
Verborgene fieht, hat fie gebucht im Buch des Lebens. Große Taten, 
wie fie fonft die Welt um des Ruhmes willen vollbringt, tragen ſchon 
ihren Lohn in ſich. Aber das bißchen Weihrauch verfliegt. Nur was 
für Gott getan und geduldet worden, das trägt den Stempel der 
Ewigkeit 

Wir haben kräfte in uns, gewaltige Kräfte; doch fie liegen zum 
Teil brach. 

Die Chineſen kannten das Schießpulver ſchon viele Jahrhunderte 
vor den Europäern; aber fie kamen nicht auf den Gedanken, die in 
ihm ſchlummernde Kraft auszunützen. Sie warfen kein Geſchoß da⸗ 
mit und ſprengten keine Steine, ſondern verpufften es in allerlei 
nutzloſem Feuerwerk. Raketen ſtiegen in die höhe, die in ſich ſelbſt 
zerplatzen. So iſt es mit dem Chriftentum mancher Menſchen: lauter 
Außerlichkeit ohne rechte Tat. 

Schon die Rinder ſollten angehalten werden zum Chriſtentum der 
Tat. Das dient ihnen dann ſpäter zum Glaubensſchutz. Die Kinder 
im Ranton Wallis wurden beauftragt, ein jedes ſollte an einer be⸗ 
ſtimmten Stelle, wo bawinengefahr war, ein Bäumchen pflanzen. 
Das gab nachher den mächtigen Bannwald, der einer ganzen Land- 
ſchaft zum Schutz dient. So zieht fi) das Volk ein ſtarkes Geſchlecht 
heran, feſtgegründet im Glauben, wie deutſche Eichen, ein helden⸗ 
geſchlecht. „Caboremus!“ Paßt uns arbeiten. Das war das letzte Wort 


e ii 
* 


346 


des ſterbenden Raifers Severus. Als ſich die Soldaten um ihn dräng⸗ 
ten, gab er dieſe Parole. In dem Wort „Labor“ Arbeit, diefem großen 
Wahlſpruche des römiſchen Volkes, lag das Geheimnis der Eroberung 
der Welt. Es ſoll auch unſere boſung fein. Es lebe die Tat! 

beben heißt kämpfen, beben heißt wirken; aber vor allem: leben 
heißt lieben. Als einſt zu Courrieres in Frankreich Hunderte und 
Aberhunderte von armen Bergleuten in den Kohlengruben verfchüttet 
wurden, da machten ſich brave deutſche Männer auf, um ihren kame⸗ 
raden zu Hilfe zu eilen, um zu retten, was zu retten war. Und auch 
im eigenen Volke hatte im Auguft 1914 die Liebe alle Klüfte über- 
brückt. Siebzig Millionen fühlten ih wie ein Volk von Brüdern. 
Die Not hat uns alle zuſammengeſchmiedet zu einem ſtarken Bunde. 
Sie hatte alles Trennende hin weggenommen, alle Schlacken geſchmolzen. 
Wir ſtanden Schulter an Schulter, Hand in Hand, Herz an Herz, ein 
einig Dolk von Brüdern! Deutſchland war einig geworden, eins bis 
ins tiefſte herz. Unter Deutſchlands Sonne lebte kein geſunder und 
ehrenhafter Menſch, der nicht bereit war, für feines Volkes Recht 
zu leiden und zu ſterben .. Das ſei auch unſer heiliges Gelöbnis 
für die Zukunft. Die Einigkeit iſt unſere beſte Schutzwehr, fie iſt 
der Born aller nationalen Macht und Größe. 

Unſer lieber herr und Heiland hat in feinem hohenprieſterlichen 
Scheidegebet fünfmal gefleht um die Einheit der Seinen. Es war [ein 
letzter herzenswunſch. Und die erſten Chriſten haben dieſes Teſtament 
geſu wohl verftanden und befolgt: „Seht, wie fie einander lieben!“ 
rufen die heiden bei ihrem Anblick. Staunend ſtand die Welt ſtill 
bei dieſem nie erlebten Wunder. 

Da liegt im Harz die bekannte hermannshöhle, eine beſondere 
Sehenswürdigkeit; in ihr ſind die Tropfſteinſäulen, kleine und große 
ſtehen da in Reih und Glied. Wenn man mit dem Hammer an ſie 
ſchlägt, klingen ſie bald hoch, bald niedrig, aber ſchließlich doch immer 
nur in derſelben Klangfarbe. klingende Säulen, ja, das ſollen die 
menſchenherzen werden. Schlägt man mit dem Hammer gegen ſie, 
dann ſollen ſie erklingen in dem reinen Ton der Treue. 

Bei dieſem Gichtwunder der Liebe muß ich denken an einen klaſſiſchen 
Vorfall. Als Haydn, der große Tonkünftler, bei der erſten Aufführung 
ſeiner „Schöpfung“ an die Stelle kam: „Und Gott ſprach: Es werde 
bicht!“, worauf der Chor mit verhaltenem Atem und in pochender 
Erwartung des Überwältigenden fortfährt: „Und — es — ward!“ — 
und wo dann beim Worte „icht“ alle Stimmen der Menſchen und 
Inſtrumente in einem plötzlich einſetzenden Fortiſſimo das hehre Wunder 


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des hervorbrechenden Lichtes aus der Finfternis bejubeln, da foll 
der große Meiſter den Taktftock niedergelegt und ausgerufen haben: 
„O Gott, wie groß biſt du!“ Und doch ift das erſte Aufleuchten des 
bichtes am Weltenmorgen nur ein ſchwaches Bild des höchſten Wun⸗ 
ders, wenn eine Welt in Liebe aufleuchtet mitten im lodernden Feuer⸗ 
brande des Haſſes. „Wer in der Liebe bleibt, der bleibt in Gott und 
Gott in ihm“ (Joh. 4, 16), ſagt der biebesjünger. Und im Alten Bunde 
ſchon hat Ifaias geſprochen: „Brich dem hungrigen dein Brot, führe 
Arme und Berberglofe in dein haus, und wenn du einen Nackten 
ſiehſt, bekleide ihn ... dann wird gleich dem Morgen dein Licht 
hervorbrechen ... dann wirft du rufen, und der Herr wird dich er⸗ 
hören, du wirft flehen, und er wird antworten: ‚Ecce adsum“, ſiehe 
hier bin ih”... (If. 58, 7 — 11). 

ga Gott ift ewige Liebe, ewiges Erbarmen. Und je mehr du Barm⸗ 
herzigkeit übſt, umſo näher kommſt du Gott. Er neigt ſich zu dir 
herab in Dertrauen und ſagt: Siehe, da bin ich, dein Gebet iſt erhört. 
Und weiter ſagt der Prophet: „Wenn du dem hungrigen dein Mitleid 
erſchließeſt und die Seele des Bekümmerten mit Troſt erfüllſt, wird 
in der Finſternis dein Licht erglänzen und dein Dunkel wird zum 
hellen Mittag werden“. In der barmherzigen biebe wird dann dein 
ganzes beben ſonnenhell. Licht wird kommen in das Dunkel Deiner 
eigenen Prũfungen; ſonnenhell und ſonnenwarm wird dann werden 
dein Blick, dein Wort, dein Werk! Und endlich ſagt der Prophet: 
„Und der herr wird dir Ruhe geben immerdar und mit bichtglanz 
Deine Seele erfüllen“ (If. 58, 7— 11). Ja, Ruhe, Friede im Leben 
und Friede im Sterben! Und dann werden alle guten Werke deines 
bebens kommen wie Schutzengel mit von Liebe leuchtendem Auge und 
ſich ſtellen an dein Sterbebett und dir verkünden die Ruhe am Herzen 
Gottes und den bichtglanz von feinem Daterauge in Ewigkeit. 

Drei Worte ſtehen am Grabe des Dichters Johann Gottfried Herder: 
Gicht, Liebe, Geben! In diefen Worten liegt auch unſere Loſung: Sieg⸗ 
reich wie die Sonne, tatenreich wie das pulfierende Leben und liebreich 
ſoll unfere Seele ſein! Wie einſt in alter Zeit zu Oſtern der Diakon 
aus den Katakomben ſtieg und hineinſang in die Straßen Roms am 
Auferſtehungsmorgen: „Ite missa est! Alleluja, Alleluja“! und die 
Släubigen jubelnd Antwort gaben: „Deo gratias! Alleluja, Allelujal” — 
fo wird auch die beidensmeſſe unſeres deutſchen Volkes und die bebens⸗ 
meſſe eines jeden von uns, Gott gebe es, ſchließen mit einem herz⸗ 
lichen Deo gratias! 


K K 


348 


Benediktiniſches beben an der Weſer 


in alter und neuer Zeit. 
Gedanken zum elfhundertjährigen Jubiläum von Corveu, 822 — 1922. 
Bon P. 080 Caſel (Maria-Gaad)). 


enn man im April vom Rheine an die Ufer der Weſer fährt, 
kann es einem begegnen, daß man ein ganz von Grün durch- 

leuchtetes und von Blüten durchöuftetes Land hinter ih läßt und ein 
noch in Winterftarre halb befangenes antrifft. Doch man ahnt ſchon die 
in der Natur unterirdiſch kreiſenden kräfte, und wenn dann die Sonne 
ſiegt und die verborgenen kräfte ſich ans Licht wagen, dann erblüht 
das Weſerland zu einer Schönheit, die zwar an die großartigeren Pinien 
der Rheinlandſchaft nicht heranreicht, aber in ihrer ſanften Lieblich⸗ 
keit, den gedämpften und doch vollen Farben und beſonders in ihrer 
ſtillen Unberührtheit Aug’ und Sinn gleichermaßen erquickt. 

hnlich war es einft im Lenze des deutſchen Volkes. Am Rheine 

trug er zuerſt Blüten. In ſeinen Waſſern ſpiegelten ſich Städte, Dome, 
Kllöſter und Schlöſſer, in denen eine reiche Kultur erwuchs, während 
an der Weſer noch die halbwilden Sachſen ihren Göttern rohe Opfer 
brachten und nur der ktriegsdienſt als des Freien würdig erſchien. 

Wie kam das? Zwei Sonnen, eine aus dem Reiche der Natur, 
die andere aus der Übernatur, leuchteten, zuerſt getrennt, dann ver- 
eint, früh über dem rheiniſchen Lande; aber in die Urwälder der Weſer 
drangen ihre Strahlen noch nicht. Es waren die römiſche Kultur und 
das Chriſtentum. | 

Die Römer, nicht zufrieden, den Rhein als Grenze zu haben, ver: 
ſuchten, getreu der Mahnung ihres großen Dichters Vergil: „Du als 
Römer gedenke deiner Aufgabe, die Völker zu regieren“ (Hneis VI, 
851), ihre Adler über die Rheingrenze vorzutragen. Sie kamen bis 
zur Weſer, bis zur Elbe. Aber fie konnten gegenüber dem germani⸗ 
ſchen Ungeſtüm das Errungene nicht behaupten. Der Freiheitsdrang 
der Deutſchen fand vorübergehend ein haupt in Armin dem Cherusker, 
deſſen Stamm damals die Weſerufer bewohnte. Nicht weit von der 
Weſer, im Teutoburger Walde, ſchlug er die römiſchen Legionen. 
kilug Und vorſichtig begnügte ſich Auguftus ſeitdem mit der Rhein- 
grenze. Arminius war nach dem anerkennenden Worte des Römers 
Tacitus „ohne Zweifel der Befreier Deutſchlands“. Seine Tat war 
von weltgeſchichtlicher Bedeutung, nicht nur für die politiſche, noch 
mehr für die Geiſtesgeſchichte. 


349 


Doch auch die Germanen traten allmählich unter den zwingenden 
Einfluß römifcher, antiker Kultur, d. h. jener Kultur, die der Hellenismus 
geſchaffen hatte und die, von römiſcher Organiſationskraft geordnet 
und getragen, von römiſchen Waffen und römiſcher Derwaltung im 
ganzen Weſten verbreitet wurde. Aber die Germanen gaben im 
allgemeinen nie fo wie die Kelten und Jberer ihre Eigenart dahin. 
Sie blieben Germanen und durchdrangen die höhere Kultur, die ſie 
übernahmen, mit ihrem Weſen. Beſonders die Franken und ihr größter 
Mann, Earl der Große, zeigen eine prachtvolle Miſchung römiſchen 
Geiftes und germaniſcher Art. Dazu trat als drittes Element das 
Chriſtentum. Es milderte und vergeiſtigte die herbe ktraft des Römer⸗ 
tums, aber es gab auch, zumal in ſeiner römiſchen Form, dem leicht 
ins Grenzenlofe ſchweifenden, unruhvollen, ungezügelten Geiſte der 
Germanen Beſtimmtheit, Klarheit, Geſetzlichkeit. So erſtand jene köſt⸗ 
liche früh mittelalterliche Kultur, wie wir fie wohl am beſten in den 
Bauwerken jener Frühzeit bewundern können. Der romaniſche Stil, 
jetzt von manchen mit größerem Rechte der „deutſche Stil“ genannt, 
iſt Weiterentwicklung und edelſte Frucht dieſer Derbindung. Er zeigt 
deutlich, daß die chriſtliche antike Kultur den nordiſchen Völkern nicht 
aufgezwungen wurde, ſondern in ihr inneres Leben einging. 

Während aber am Rheine und im Süden Deutſchlands eine chriſtlich⸗ 
germaniſche Kultur erblühte, hielten ſich die Sachſen, in mancher 
Hinſicht der deutſcheſte aller Stämme, finſter und trotzig zurück und 
(hätten ihre Unabhängigkeit höher als alle Güter der Kultur und 
der Religion. Der von der Antike und ihrem ſtrengen Geiſte der 
Ordnung ganz durchdrungene Franke Karl mußte ihren Stolz zuerſt 
mit Waffengewalt beugen. Was das Schwert begonnen, ſollte dann 
das Evangelium vollenden. Aber der Sachſe wollte innerlich gewonnen 
fein. Gegen eine äußerliche Chriftianifierung erhob er fi) immer wieder. 

Da griffen Harl und feine Nachfolger zu anderen Mitteln. Sie 
gründeten im Sachſenlande Benediktinerklöſter. Aus dem fränkiſchen 
Corbeia, Corbie an der Somme, kamen die Mönche, Franken und 
dort erzogene Sachſen, und legten, nach kurzem, vergeblichem Verſuch 
in Hethi im Solling, im Herbfte 822 am Weſerufer nahe bei der 
„Villa Ugerri“ (Höxter) den Grundſtein zu dem ſächſiſchen Corbeia: 
Corvey. Der Derfalfer der Translatio 5. Diti!, ein kurz nach 836 


! Rritifche Ausgabe von Fr. Sentrup in den „Abhandlungen über Corveyer Geſchichts⸗ 
ſchreibung“ von Dr. J. Backhaus, Dr. D. F. Sentrup und Dr. 6. Bartels hrsg. von 
Dr. F. Philippi, Münfter i. W. 1906. 8. 49 ff. Den hinweis auf dieſe wie auf viele 
andere ſachliche Angaben dieſes kleinen Auffages verdanke ich der großen Güte des 
hochwürdigen herrn Studienrat A. hengsbach in der Brede bei Brakel (Ar. Högter); 


350 
ſchreibender fränkiſcher Mönch von Corvey, berichtet darüber im 
4. Rapitel: „Sie kamen alfo im achthundertzweiundzwanzigſten Jahre 
der Menſchwerdung des Herrn, am 6. Auguft, im neunten Jahre der 
Herrſchaft des allergnädigſten Ludwig, zum erwähnten Orte. Sie be⸗ 
trachteten ihn eingehend, umgingen ihn von allen Seiten, warfen ſich 
dann zum Gebete nieder und ſangen die zu dieſer Feier gehörigen 
Pſalmen. Und nachdem ſie Bittgebet, Pſalmen und Oration vollendet 
hatten, zogen fie die Pinien, ſchlugen Pfähle ein und begannen zu⸗ 
nächſt den Tempel, dann die Wohnungen der Brüder abzumeſſen. 
Dann beſtimmten fie, wer zunächſt dort einige häuſer errichten ſollte, 
und kehrten zu ihrem Wohnſitze zurück. Juerſt baten fie aber noch 
den Biſchof, er möge kommen, den Ort ſegnen, das Banner des hei⸗ 
ligen Kreuzes an der für den Altar beſtimmten Stelle aufrichten und 
anorönen, daß der Platz Corbeia genannt würde. Dies geſchah denn 
auch am 25. Auguſt, und am ſelben Tage begannen die Anweſenden 
die Gebäude zu errichten. Es waren aber nur wenige bis zum 
26. September. Am 25. September nämlich brachen fie von ihrem 
bisherigen Wohnſitze mit all ihrem Hausrat auf, Alte und Junge, 
und am folgenden Tage kamen ſie zu dem beſtimmten Orte und 
feierten das Meßopfer, mit aller Dankſagung Gott lobend und prei⸗ 
ſend“. So trugen denn die Mönche unter Führung des heiligen Abtes 
Adalhard aus blühendem Kulturlande in die wilden Urwälder und 
Einöden den Reichtum höchſter Bildung, an der Antike geſchulte Kunſt 
und Wiſſenſchaft und vor allem ein von germaniſchem Gemüte ge⸗ 
tragenes, vom Geiſte Roms geordnetes Chriſtentum. Sie legten es 
nicht darauf an, in kurzer Jeit Maſſen zu bekehren; fie beteten und 
arbeiteten ſtille für ſich. Solchem Wirken erſchloß ſich der harte 
Sinn der Sachſen. Der eigenwillige, herbe, verſchloſſene, grübleriſche 
Geilt des Norddeutſchen ging eine fruchtbare Verbindung mit dem 
objektiven, gemeinſchaftsformendem, klarlinigen Geiſte des antiken und 
chriſtlichen Rom ein. 

Große, auf das Objektive und Gemeinſame gerichtete Zeiten und 
Geiftesftrömungen offenbaren ihr Innerſtes am deutlichſten in der 
Architektur. Dieſe erhabene Kunſt zeigt am klarſten die ewigen, gött⸗ 
lichen Geſetze des Maßes und der Jahl; und der nicht auf das Zu: 
fällige und rein Menſchliche, ſondern auf das Ewige und Göttliche 
gerichtete Beift drückt ſich daher am liebſten in ihrer übermenſchlichen, 
gewaltigen Sprache aus. Nicht dumpfe Beſchränkung und Mangel 


ferner bin ich herrn P. Pankratius Rathſcheck O. F. m. (Baderborn) und Pro- 
feſſor aß mann (Arnsberg) zu vielem Danke verpflichtet. 


351 


an Perfönlichkeitsbildung' fpridt aus den zunächſt fo unperſönlich 
wirkenden Bauwerken der alten Zeit, vielmehr freieſte Genialität. 
„Was uns zu firengen Forderungen, zu entſchiedenen Befegen am 
meiften berechtigt“, fagte Goethe in Wilhelm Meiſters Wanderjahren, 
„it, daß gerade das Genie, das angeborene Talent fie am erſten be⸗ 
greift, ihnen den willigſten Gehorſam leiſtet. Nur das Hhalbvermögen 
wüuͤnſchte gern, feine beſchränkte Beſonderheit an die Stelle des un⸗ 
unbedingten Ganzen zu ſetzen“. 

So hat die alte benediktiniſche Kultur des Weſerlandes ihren ſchön⸗ 
ſten Ausdruck, der noch heute lebendig zu uns ſpricht, in Kirchen und 
Klöftern gefunden. Die erften Bauten, weil aus Holz errichtet, find 
freilich längſt dahin; aber die romaniſchen Bauarten des elften und 
zwölften Jahrhunderts reden die alte Sprache weiter. In Corvey 
ift leider nur der Weſtbau, der mit feinen charakteriftifchen Teilen, 
der Weſtempore und der dazu gehörigen Turmanlage, ins neunte 
bis zehnte Jahrhundert zurückgeht und als Ganzes ſpäteſtens aus 
dem Anfang des elften Jahrhunderts ſtammt, erhalten. Die untere 
Partie iſt fünf⸗, die Empore dreiſchiffig; die Türme find durch einen 
- Zwifchenbau verbunden. Auch dieſe Reſte, zuſammen mit der faſt 
gleichalterigen Kilianskirche in hörter, künden noch in ihrer ſchlichten, 
gediegenen Feſtigkeit zugleich von ſächſiſcher Geradheit und Innerlich⸗ 
Reit, wie von antik⸗ rõömiſchem Gefühl für das Maßvolle und in ſich 
Beruhigte. Leider iſt der öſtliche hauptteil der Kirche im dreißig⸗ 
jährigen kriege verbrannt. Wir können ihn uns einigermaßen nach 
den ktirchen von Bursfelde und Lippolösberg wiederherſtellen. 

Die ganze Herrlichkeit benediktiniſcher Weſerkunſt ſpricht aus der 
Kirche von Bursfelde, die in einem ganz abgeſchloſſenen, waldum⸗ 
gebenen Weſertale überaus friedlich liegt. Don außen iſt fie ſchlicht 
und ſchmucklos wie eine römifche Baſilika; nur der weſtliche Teil mit 
dem Portal tritt ſtark und hoch heraus und geht nach oben in zwei, 
durch einen Mittelbau verbundene, achteckige Türme über, die bei 
aller kraft einer gewiſſen vornehmen Eleganz nicht entraten. Die 
ganze Schönheit aber entfaltet ſich im Inneren, dort, wo die Liturgie 
gefeiert wird und dem ſteinernen Bau die Seele einhaucht. Schlanke 
Säulen, in dem für die ſächſiſche Kunſt bezeichnenden, rhuthmiſchen 
Stützenwechſel“, je an dritter Stelle von einem Pfeiler unterbrochen, 
tragen die Mauern des Vangſchiffs; Hauptſchiff und Seitengänge find 
mit flacher Holztäfelung gedeckt. Im Chore ziehen ſich hinter dem 
ehemaligen Chorgeſtühl Arkaden von kleinen Pfeilern und Säulen 

1 Dgl. W. Peßler, Tliederfähfifhe Volkskunde, Hannover 1922, 8. 103. 


352 


hin, hinter denen die Seitenſchiffe ſich bis zur höhe der Hauptapfide 
erſtrecken und mit kleinen Apfiden abſchließen. Im Schiffe finden 
ſich zahlreiche Reſte gotiſcher Malereien; fie können aber dem Baue 
nichts von ſeiner harmoniſchen Abgeſchloſſenheit nehmen. Die Männer, 
die ihn errichteten, trugen noch ganz das benediktiniſche Ideal in ihrer 
Bruſt. Die im gleichen Jahre wie Bursfelde, 1093, gegründete Kirche 
zu Maria⸗Paach im Rheinlande zeigt demgegenüber befonders in dem 
hochſtrebenden bangſchiff und in ihrem gewaltigen Turmbau ſchon einen 
leiſen Fortſchritt zu dem Geiſte hin, aus dem die Gotik ſpäter hervorging! 
ergreifend iſt auch die Äußerung des benediktiniſchen Geiſtes in 
der Frauenabtei Gippoldsberg, etwa drei Stunden unterhalb von 
Bursfelde ebenfalls am rechten Weſerufer gelegen. Frũhzeitig wid⸗ 
meten ſich Frauen im Weſtfalenlande der Pflege klöſterlichen Lebens. 
Seit 819 beſtand in herfort ein Benediktinerinnenkloſter. Nach Cor: 
vey erſtanden wieder mehrere Frauenklöſter, fo (Neuen⸗) Heerſe 868, 
Rämnade bei Bodenwerder 959 — 9685. Dann folgt, kurz vor der 
Jahrtaufendwende, 998, ein Mönchskloſter, Helmarshaufen an der 
Diemel, nahe bei deren Einfluß in die Weſer. Dort blühte befonders 
die Aunft der Maler und Golo ſchmiede, von der noch heute die Kodizes 
des Mönches hermann, ferner nach Anſicht des Prof. Fuchs zwei Trag⸗ 
altäre von überaus feiner Arbeit in Paderborn, der eine in der Franzis⸗ 
Ranerkirche, der andere im Domſchatz, und das Büchlein des Theophilus 
Rogker „Diversarum artium scheoͤula“ (um 1100) Zeugnis ablegen. 
Don den kühnen Baugedanken der Abte kündet die gewaltige Ruine 
der Arukenburg oberhalb von Hhelmarshauſen, wo von der nach dem 
Dorbilde der Grabeskirche von geruſalem erbauten Kapelle ein noch in 
der Zerſtörung imponierender Mauerhalbkreis mit Anſätzen der Kuppel 
in die büfte ragt’. Im Jahre 1088 nun wurde Lippolösberg ge⸗ 
gründet (vgl. die Abbildungen). Don außen iſt es ebenſo ſchlicht wie 
Bursfelde; von den Türmen iſt nur der eine ausgebaut und ſpäter 
mit einer welſchen haube gedeckt. Doch zeigt, während in Bursfelde 
nur ein Portal mit etwas erhöhter Überdachung die Pinie des Seiten⸗ 
ſchiffes unterbricht, hier ein mächtiges Querſchiff, das bis zur Höhe 
des Hauptſchiffes aufſteigt und über das Seitenſchiff hinaus vorſtößt, 


1 Über Bursfelde vergl. auch B. Fidelis Böſer O. 8. B. in den St. Benedikts ſtimmen 


1008, 184-100. 


Über Helmarshauſen vgl. P. Fidelis Böſer O. 8. B. in den St. Benedikts ſtimmen 
1908, 217 — 220. — Biſchof Meinwerk von Paderborn ſandte Dino, den zweiten 
Abt von Helmarshaufen, nach Ferufalem, um die Srabeskirche zu ſtudieren. Hach 
deſſen Vorſchlägen wurde dann in Paderborn die Busdorfkirche gebaut, und auf 
dies Studium geht jedenfalls auch der Plan der Arukenburgkapelle zurück. 


353 


den Fortſchritt des Baugedankens gegenüber jener Hirche. Tritt man 
ein, ſo erkennt man den Grund; die Kirche iſt nicht mehr flachgedeckt, 
ſondern gewölbt. Deshalb ſind auch die Säulen verſchwunden; nur 
die mittleren Pfeiler der goche behalten eine Erinnerung daran da⸗ 
durch, daß fie mit Halbfäulen am Eck verziert ſind. Nach Weſten 
ruht auf einem kruptenartigen Pfeiler⸗ und Säulenwald, der ſtark an 
die untere Partie des Corveyer Turmbaus erinnert, die von einer 
wundervoll einfachen Brüſtung abgeſchloſſene Empore, die als Nonnen⸗ 
chor diente. Hinter dem Chorgeftühle ſieht man wieder die Arkaden, 
und dahinter die Seitengänge mit den kleinen Apfiden. Beſonders 
dies erinnert an Bursfelde, wie ja der ganze Bau eine prachtvolle 
Weiterentwicklung des Bursfelder Schemas iſt. Die Malereien ſind 
neu, aber dem Stile der Kirche gut angepaßt. Der ganze Innenbau 
atmet, wenn er ſich auch durd das Gewölbe von der in Bursfelde 
ſo ſehr betonten Horizontale entfernt, eine köſtliche harmonie und 
ſchwingt wie eine ganz in ſich gefättigte und beruhigte Muſik. Das 
frühmittelalterliche, benediktinifche Chriſtentum, wie es ſich in ſtillen, 
vornehmen Frauenſeelen ſpiegelte und auswirkte, hat hier ſeine Huße⸗ 
rung in der Architektur gefunden, ähnlich wie beinahe um dieſelbe 
Jeit das Relief des Abdinghofer Mönches an den Externſteinen! eine 
ganz hinreißende Derbindung antiker Hoheit und liturgiſcher Hieratik 
mit tiefem deutſchen Gefühlsleben zeigt. 

Noch andere Frauenklöfter zeigen die einfache Kraft des romaniſchen 
Stiles trotz der gotiſchen und barocken Zutaten, fo das Coenobium 
8. Petri der Benediktinerinnen zu Gehrden, 1134 in Iburg bei Dri⸗ 
burg gegründet, 1139 nach Gehrden übertragen; die Kirche iſt 1140 
erbaut. Auch in Willebadeſſen ließen ſich 1149 unter dem Patronat 
der hl. Maria und des hl. Ditus Benediktinerinnen nieder. Einfach⸗ 
edle romaniſche Formen zeigt auch der weſtliche Teil der 1128 von 
dem Grafen Widekind III. von Schwalenberg geſtifteten Benediktiner⸗ 
kirche in Marie nmünſter. 

Ein neuer Stil als Ausdruck eines veränderten Kunſtwillens offenbart 
fih in den Kloſterbauten der folgenden Zeit. Die Zifterzienfer, die am 
Anfang des zwölften Jahrhunderts, ſicher vor 1129, Amelungsborn 
bei Holzminden gründeten?, bauten zuerſt noch im romaniſchen Stile. 
Aber an den romaniſchen Weſtteil ſchließt ſich ein hochragender go⸗ 
tiſcher Chorbau (vollendet 1363). Betrachten wir dieſen Bau wie auch 


gl. P. Cornelius Aniel O. 8. B. in den St. Benediktsftimmen 1917, 192 — 199. 
2 Pgl. Hilbeck, Kloſter Amelungsborn bei Stadtoldendorf. Vortrag. Stadtoldendorf 
bei Steinberg, o. J. — Der Einzug der Mönche fand am 20. November 1135 ſtatt. 


Benediktiniſche Monatſchrift IV (1922), 9— 10. 23 


354 


etwa die Dorfkirche von Gottsbũren im Reinhardswalde (nach 1131), 
fo fühlen wir das Wehen eines neuen Geiftes. In den romanifchen 
Benediktinerbauten zeigte ſich uns eine willige Unterwerfung deutſcher 
Semütstiefe unter die aus der Antike überlieferten Gefeze der Har⸗ 
monie, aus dieſer Derbindung gingen Werke reifſter, edelſter Kultur 
hervor, würdig der Kirche, die das Volkstum achtet, aber über allen 
Völkern den katholiſchen Dom der Einheit wölbt, aus dem das Göttliche 
rein zum Menſchen ſpricht, ohne vom rein Dölkiſchen, Menſchlichen 
verdunkelt zu werden. Soweit hatte nach kuzer Erziehung die jetzt 
ſchon zu einem Ewigkeitswert gewordene Antike und die auf ihr 
aufbauende römiſch⸗Rkatholiſche kirche die Sachſen geführt. In den 
gotiſchen Bauten der ſpäteren Zeit aber glaubt man ein neues Hervor⸗ 
brechen des rein germaniſchen, nicht von der Antike gezügelten Gebens» 
gefühles zu fpüren. Die im Mittelalter führenden germaniſchen Dölker 
glaubten ſich allmählich mündig; die Bürger der Städte, nicht mehr 
fo eng wie der Mdel mit dem Klerus und deſſen antik⸗chriſtlicher 
Bildung verbunden, drängten nach eigengeprägtem Ausdruck ihres 
Inneren. Gewiß hat dieſe Zeit herrliche Werke chriſtlichen Seiſtes 
hervorgebracht. Aber ſelbſt in ihren höchſten Erzeugniſſen, wie in 
Wolfram von Eſchenbachs Parzival, in Dantes Göttlicher komödie, 
in den großen gotiſchen Domen, miſchen ſich mehr oder weniger 
deutlich mit dem erhabenſten chriſtlichen Tieffinn und evangeliſcher 
biebeskraft weltliche, irdiſche, rein kulturelle und politiſche Tendenzen, 
wie fie das frühe Chriftentum, das ganz in feinem Jdeal „Chriſtus 
und die Kirche” und in der daraus hervorgehenden Liturgie lebte, 
nicht gekannt hatte. Die alte nordiſche Sehnſucht und Unruhe, der 
Drang nach der Einfamkeit, dem vorwitzigen Grübeln, dem unfteten 
Schweifen durch Länder und Gedankenreiche, anderfeits die Freude des 
Germanen an äußerlichem, repräſentativem Prunke überfiel wieder den 
Sachſen, der am Anfang ſo fromm und gläubig Erfüllung alles Sehnens 
in Chriftus gefunden und fein Glück in den Bauten wie Bursfelde und 
Cippolösberg und in der Plaſtik der Externſteine ausgedrückt hatte. 

Schließlich ſiegte der germaniſche Freiheitsdrang mit feinem Indi⸗ 
vidualismus, feiner alle äußere Form verachtenden Innerlichkeit, feiner 
Unruhe und Feindſchaft gegen objektive Bindung in der Reformation. 
Auch hier ſcheint die Weſer wieder entſcheidend geweſen zu ſein im 
ktampfe zwiſchen Rom und Germanentum. öſtlich der Weſer blieb 
kaum mehr Ratholiſches beben zurück. Weſtlich behauptete politiſche 
Macht den katholiſchen Glauben. Viele der herrlichen Stätten frũh⸗ 
benediktiniſchen Lebens fielen der Reformation anheim. Belmars- 


kl ei 


355 


* haufen ging 1526 ſchimpflich zu ihr über. Auch Bursfelde, noch um 


1430 ein herd monaſtiſcher Erneuerung und Haupt einer großen kon⸗ 


1424 1 17 


gregation, wurde nach 1580 nicht ohne die Schuld feiner Abte und 
Mönche lutheriſch. Durch feine einft fo herrliche Kirche läuft jetzt mitten⸗ 
durch ein Sang und trennt das Schiff von dem für den proteſtan⸗ 


tiſchen Gottesdienft zugerüſteten Chor. Lippolösberg dient ebenfalls 


dem lutheriſchen Bekenntnis!. Corvey, das ſich der Bursfelder Union 


9 


— 21 


- angefchloffen hatte, blieb treu. Aber der alte herrliche Geiſt der Raro⸗ 


linger⸗ und Ottonenzeit kehrte nicht wieder. Über eine ſchlichte Mittel⸗ 


: mäßigkeit kamen die Mönche nicht mehr hinaus. Trotzdem ſollte die 


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Bedeutung der Klöſter auch für dieſe Zeit nicht unterſchätzt werden. 
Sie wirkten immer noch ſegensreich für Religion und kultur, und 
es war kein in jeder Binficht verdientes Unheil, das in der Säku⸗ 
lariſation über fie hereinbrach?. Achtunggebietend iſt immer noch die 
geiſtige Kraft, die aus der Bautätigkeit ſpricht. Die Derwandtfchaft 


des benediktiniſchen Beiftes, der zu der Gotik nie in ein inneres Ver⸗ 


hältnis treten konnte, mit der Antike zeigt ſich darin, daß nun der 
Barock, freilich in vielem nur ein Zerrbild antiker Größe, aber doch 
von ihr in mancher hinſicht inſpiriert, der Bauſtil der Benediktiner 


wurde. Der in feiner Art hochverdiente Vertreter des fürſtlichen Ab⸗ 


ſolutismus, Chriſtoph Bernhard von Galen, Biſchof von Münſter, der 
1661 - 1678, obwohl nicht Benediktiner, Fürftabt von Corveu unter 


dem Titel eines Nö miniſtrators war“, ſtellte den Hauptteil der Corveyer 
ktirche in einem ſich gewaltig aufblähenden, aber innerlich hohlen 
und geſchmackloſen Barock wieder her. Imponierender und ſtilvoller 


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ift der Neubau der Kloſtergebäude aus dem achtzehnten Jahrhundert 
Sie wirken zwar ſtark weltlich und mehr ſchloßartig denn Klöſterlich. 
Aber fie beſitzen eine ſtarke Monumentalität und einfache Größe. 
Geſchmackvoller als in der Corveyer Kirche, aber auch ſehr weltfreudig 
und farbenbunt, iſt der Barock im Chor der kirche zu Marienmünſter“. 
Aber auch dies gute Streben wurde von dem kloſterſturm nach 


der franzöſiſchen Revolution vernichtet. 


Sollte nun das einſt ſo reiche benediktiniſche Geben für immer ab⸗ 


geftorben fein an den doch jedes Jahr neuergrünenden Weferufern? 
Sollte benediktiniſche Art dem fo kernigen Volke der Sachſen nichts 


mehr zu ſagen haben? 

1 Amelungsborn fiel 1568 ab. Del. W. Richter, Preußen und die Paderborner 
Klöfter und Stifter 1802 — 1806. Paderborn 1905. Dgl. 5. Bernkamp, das Fürſten⸗ 
tum Corvey unter dem Höminiftrator Chriſtoph Bernhard von Galen, Biſchof von 
Münfter. 1661 — 1678. Münſterer Diff., Hildesheim 1913. Über die 173638 er- 
richtete Orgel vgl. P. Fiöelis Böſer O. 8. B. im Cäcilienvereinsorgan 1913, 225 — 229. 


23° 


356 


Wie alles Echte und wahrhaft Große aus kleinen, ſtillen Anfängen 
hervorgeht, fo wie der mächtige Baum aus dem Senfkörnchen, ſo iſt 
auch an der Weſer in aller Stille neues benediktiniſches Geben erblüht. 
Und wie einft neben den mächtigen, geiftesftarken Mönchsklöſtern ein 
lieblicher Kranz von Frauenabteien die Weſerufer ſchmückte, fo geht 
auch jetzt wieder benediktiniſcher Gebetsſegen von einem Frauenklofter 
aus, das auf weit nach Oſten vorgeſchobenem Poſten gewiſſermaßen 
katholifhe Wache hält. Wo das Gebiet von Paderborn am meiſten 
öſtlich vorſtößt und teils an heſſen⸗Caſſel teils an hannover grenzt, 
da liegt Herſtelle, vielleicht uralter ſächſiſcher Siedelungs- und Opfer⸗ 
platz, wovon noch ein mächtigſter ſteinerner Altar an der Weſerwand 
zeugt!. Hier hielt karl der Große im Winter 797/98 Pfalz; von hier 
ordnete er die Chriftianifierung der Sachſen. Don der Zeit an ſtand 
hier eine chriſtliche Kirche, auf die auch der Einfluß der Mönche von 
Helmarshauſen ſich erſtreckte, während vom Norden her die Corveyer 
Benediktiner bis hierher ihre kulturelle Tätigkeit entfalteten. Dom 
ſiebgehnten bis neunzehnten Jahrhundert wirkten hier die aus Hörter 
vertriebenenen Franziskaner. Erſt am Ende des neunzehnten gahr⸗ 
hunderts, 1898, ließen ſich an der verlaſſenen Stätte Töchter des 
heiligen Benedikt nieder. In langer, mühevoller Arbeit geſtalteten 
fie fie zu einem Heiligtum wahrhaft klöſterlichen, benediktiniſchen 
bebens um. Wie ſehr echt benediktiniſcher Geift fie erfüllt und das 
altchriſtlich⸗ monaſtiſche Ideal ihnen voranleuchtet, das ſieht man an 
ihrem Eifer für die Giturgie, an der natürlichfriſchen, vergeiſtigten, 
von inniger Andacht durchwärmten Objektivität, mit der fie den gre⸗ 
gorianiſchen Gefang vortragen, an ihrem Sinn für das Einfache und 
Befunde in Gottesdienſt und Paramentik, an ihrer Verbindung be⸗ 
ſchaulicher Jurückgezogenheit mit liebevoller Teilnahme an den An- 
liegen der Kirche und der Seelen. Der Beift von Lippolösberg in 
feiner milden Klarheit und ſchlichten Uornehmheit ſcheint hier wieder 
Geftalt anzunehmen und neue Wirklichkeit zu werden. Die Töchter 
der Sachſen, die zuſammen mit ſolchen anderer deutſchen Stämme 
hier Gott dienen, wollen zeigen, daß echte deutſche Art ſich immer 
noch einträchtig mit katholiſchem Chriſtentum und klaſſiſcher Form 
paaren Rann. Möge ihr Wirken friedlich behütet und geſegnet ſein 
zum Wohle des noroͤdeutſchen Volkes. Wenn es auch nicht mehr wie 
in alter Zeit gilt, Urwälder auszurotten und ganze Stämme in das 
Taufwaſſer zu tauchen — auch jetzt heißt es, ſeeliſches Geftrüpp und 
Gewirre zu lichten und den Einzelfeelen den Weg zur Gemeinſchaft 

1 Dal. P. Fidelis Böſer O. 8. B. in den St. Benediktsſtimmen 1908, 220 — 222 ; 257 — 262. 


857 


mit und in Chriftus zu weifen. Das ftille Sein und Beten der Töchter 


St. Benedikts wird wieder wie einft Gottes Segen auf das Land herab⸗ 
flehen. Benediktiniſcher Geift wird ſich fruchtbar für unfere Heit erweiſen. 

Von zwei Seiten kommen da Einwendungen. Don Oſten hört man 
Stimmen, die wie einſt die Cherusker vom Deutſchtum allein das heil 
erwarten. Der germaniſche Freiheitsdrang, individualiſtiſch auch in der 
Frömmigkeit, will nichts von Dogma und kirche wiſſen. Er will ohne 
äußere Norm, allein aus feinem Gewilfen heraus, das Rechte finden. 
Viel edler, aber ſtolzer Eifer geht da ziellos verloren. Dom Welten 
aber tönt die Mahnung: Latinität iſt Ordnung. Es iſt richtig: Frank⸗ 
reich war im Mittelalter zuſammen mit den anderen romaniſchen Na⸗ 


tionen Erbin und Hüterin der antiken Kultur; und das Nachwirken 


. 


* K \a N ne 2 Ar 


ſolch hoher Aufgabe macht immer noch einen Reiz franzöſiſcher Bildung 
aus. Aber längſt wird dieſe Kultur nach mancher hinſicht als bloße 


Formkultur empfunden, die insbeſondere deutſchen Sinn fremdartig 
berührt. Will der Deutſche mit ſeinem Ernſte, mit ſeiner ſeeliſchen 
kraft und feiner Innerlichkeit die ihm notwendige Ergänzung ſuchen, 
ſo findet er ſie am beſten wieder im chriſtlichen Rom, in der katho⸗ 
liſchen Kirche. In ihrem Dogma, ihrer Derfaffung, vor allem aber in 
ihrer feinften Hußerung, der Liturgie, liegt die Klarheit, Beſtimmtheit 
und Geſetzlichkeit geborgen, deren ſein Weſen bedarf. Der fromme 
Sinn der weſtfäliſchen Bauern, die in ihren prächtig bemalten ſäch⸗ 
ſiſchen häuſern fo ſchlicht und bieder Bott und dem Daterlande dienen, 
zeigt, daß katholiſcher Glaube und Deutſchtum keine Gegenſätze find; 
und die Melodien, die in der Kirche von Herftelle aus dem Munde 
gottgeweihter Jungfrauen erklingen, beweiſen, daß auch klaſſiſche 
Schönheit ſich zu dieſem Bunde katholiſcher Wahrheit und deutſcher 
Bemütstiefe geſellen kann. 


000000 0 PAHLDEAEOURERDERE DHOE DETOPNEOCHOOODAMDEDOEHMOOELOHEHGEUOUOTOREHOOREHRMDOEDEBEHERRDAUTLUREOEEHEOOUHOLOOROGEROOEHEUEOEONUUEHEOCUPOHTEDROCORDEVPHASOOEOHDEUPORAOBOHHAODRTUNRAUPPROUAERHP EP AUATADE 
Ks ha dh ud u he una ann eee eee ee ee%e eee be eO eee TT TEICHE TTS TETITUDT uU %.. “ 


m: inniger Derehrung, Liebe und Bingebung umfaßt der Katholik 
die kirche; dem Gedanken, ſich ihr zu widerfeßen, ihr zu wider⸗ 
ſtreben, widerfeßt ſich eben fein ganzes Inneres, widerſtrebt fein tiefftes 
Weſen, und eine Trennung herbeizuführen, die Einheit zu löſen, iſt ihm 
ein Uerbrechen, vor deſſen Größe feine Bruſt erzittert und feine Seele 
erbebt. Die dee der Gemeinſchaft dagegen befriedigt erftens [eine 


Gefühle und feine Einbildungskraft, wie zweitens feine Vernunft in 


gleicher Weiſe; und die ganz lebendige Aufnahme dieſer Jdee in feinen 
Willen ſcheint ihm drittens mit der höchſten religiös⸗ſittlichen Aufgabe 


des Menſchen in Eins zufämmenzufallen. 
Aus 8 37 im ſchönſten apitel von Möhlers Symbolik 6. Aufl. (1843) S. 336. 


358 
In der alten Klofterbibliothek von Neresheim. 


Don P. Baſtlius Hermann (Ueresheim). 


A* einem Orte, wo gahrhunderte lang fromme und emſige Mönche 
im Dienſte der höchſten Menſchheitsgüter an der Arbeit waren, 
erwachen gerne fill beſchauliche Gedanken, die die rauſchende Be: 
wegung des Gegenwartlebens nicht erwecken konnte. Sinnend fragt 
man nach den alten Mönchen, ihren Zielen, ihren Wegen, ihren Weg 
genoſſen, ihren Freunden, ihren Feinden, ihrem Wohl und Wehe, ihrem 
Aufftieg, ihrem Niedergang. Man entwirft ſich aus noch vorhandenen 
Elementen ein Bild von ihnen, rekonſtruiert ſich die Welt, in der fie 
lebten und fieht fie dann mit größerer Deutlichkeit, mit Fleiſch und 
Blut vor dem Geiſtesauge wieder auferſtehen. Sie erzählen ihre 
Geſchichte, und die ihrer Zeit, und wir dürfen ihnen ſagen, daß nah 
langem Winter und unfruchtbarer Öde dieſes Cotteshauſes das eis 
gebrochen iſt, die Brünnlein wieder fließen und Buſch und Feld mit 
Frühlingsduft ein dem herrn genehmes neues gahr ankündigen. Wer 
den Erzählern lauſcht und ihre tieffinnige Sprache verſteht, hat keine 
Zeit verloren. Nicht fo leicht iſt es, ihre Gedanken zu wiederholen 
und unmöglich, fie alle wiederzugeben. Doch mag es immerhin von 
Nutzen fein, einige davon herauszuheben, andere gewiſſermaßen zum 
Bilde zu geſtalten und darauf noch viele andere mehr anzudeuten, 
als auszuführen. Man ſteht auf hoher Warte über einem üppigen 
bandſchaftsbilde und indem man Einzelheiten fieht und zeigt, gewinnt 
man eine flüchtige Kenntnis auch vom Ganzen. Das der Sinn der 
folgenden Ausführungen. 


. 


I. 


Als vor hundertzweiundzwanzig Jahren die Franzoſen die abge 
legene Bärötsfelölandfchaft heimſuchten, betrat manch ſtolzer Offizier 
die ſtillen hallen unſeres weltentlegenen Kloſters. Im Fremdenbuche, 
das auf der Bibliothek noch aufliegt, leſen wir ihre Namen. Im 
Siegerſtolze wählten fie den Revolutions kalender zur Datierung. Am 
6. Messidor 1800 trug ein General Moreau, Bruder des bekannten 
heerführers, feinen Namen ein. Unter dem 28. Thermidor (16. Aug.) 
des nämlichen Jahres finden wir die Schriftzüge des Brigadechefs 
Gauchantier. Gegen das herkommen, im Fremdenbuche den bloßen 
Namen, Stand und herkunft aufzuzeichnen, konnte dieſer offenbar 
ſehr wohlgeſinnte Mann es ſich nicht verſagen, feine Eindrücke Ju 
verewigen. Er ſchrieb: Reconcilie avec tous les Moines de L’univers, 


„ 


359 


en voyant la Bibliotheque de cette Maison — Derföhnt mit allen 
Mönchen auf der weiten Welt, wie ich die Bibliothek dieſes Haufes ſah. 

In der Tat, der hellichte, weite Raum mit feinen 10000 Bänden, 
mit feinen wohlerhaltenen prächtigen Stukkaturen, der geſchmack⸗ 
vollen Anordnung der Büchergeſtelle, dem heiteren, lichten Farbenton, 
der über alles ausgebreitet war, ſuchte ſeinesgleichen. Ein großes und 
vier kleine Deckengemälde, allerdings keine Meiſterwerke und etwas 
dunkel gehalten, kennzeichneten die Bibliothek als benediktinifche. 
Zwölf große Fenſter ließen das Sonnenlicht von drei Seiten her in 
den Saal hereinfluten und gewährten eine köſtliche Nusſicht in die 
umgebende Natur. An hellen Tagen überſieht der Blick die ganze 
kette der Allgäuer und der bauriſchen Alpen mit dem höchſten deut⸗ 
ſchen Berg, der ſchneebedeckten Jugſpitze. Aber noch tiefer und viel⸗ 
ſagender find die Ausblicke und Einblicke, welche die Gegenwart von 
ſo vielen alten Büchern gewährt. Da ſind ſie alle gebannt, die ſonſt 
ſo beweglichen und unſtäten Menſchengeiſter, und treten nach jahr⸗ 
hundertlangem ſtillem Warten gar ſo gern mit neuen Freunden in 
Verbindung. Gedanken, die im Innern ſchlummern, rütteln fie aus dem 
Schlaf und reden durch fie mit uns Kindern des zwanzigſten Jahr: 
hunderts. Lauchantier hat ihre Sprache verſtanden. Sechzehn Jahre 
früher ſtand P. Nepomuk Bauntinger, Bibliothekar von St. Gallen, 
am gleichen Platz. Auf feiner Klofterreife durch Süddeutſchland Ram 
er im Auguft 1784 auch nach Neresheim. Er beſuchte natürlich vor 
allem die Bibliothek und berichtet: „Ich beſchreibe jetzt die Neres⸗ 
heimer Merkwürdigkeiten nach der Ordnung wie ich fie geſehen habe. 
Zum erſten alſo die Bibliothek. Sie hat zwei bis drei Vorzimmer, 
welche meiſt mit Dubletten oder alten Druckdenkmalen beſetzt ſind. 
Dann folgt der ziemlich große Bibliothekſaal ſelbſt, worin es in jedem 
Fache nützliche und prächtige Werke gibt. Die Anzahl der Bücher 
iſt ziemlich groß, und die hiſtoriſchen Schriftſteller, beſonders über 
Schwaben, möchten da wohl nebft den Theologen und Canoniften die 
Hauptrolle ſpielen. Don den zwei letzten lilaſſen mangeln faſt gar 
Reine neuen Bücher. Auch philoſophiſche, beſonders pſuchologiſche und 
moralphiloſophiſche Bücher ſind hier ſehr willmommen, und neuere 
werden, was die kleineren betrifft, von den herren ſelbſt in Menge 
angeſchafft. Don Manuskripten ſah ich gar keines, weil mein Auf- 
wärter keine Schlüſſel dazu hatte, allein ich weiß es überhaupt, daß 
fie weder zahlreich noch beſonders merkwürdig ſind“!. 


Meier, P. G., Süddeutfche Klöfter vor hundert Fahren. Reiſetagebuch des P. Uepomuk 
Hauntinger 0. 8. B. Dereins-Schriften der Görresgeſellſchaft XI, 2; Köln 1889, 85 f. 


RE 


360 


Die ſachlichen Angaben Hauntingers könnte man noch heutigen 
Tages wiederholen. Koftbare Stücke, wie wichtige Handſchriften und 
ſeltene Miniaturen, beſitzt die Bibliothek nicht. Wiederholte Brand 
Rataftrophen und die kiriegsgewitter, die in allen Jahrhunderten über 
das Kloſter hinzogen, ſorgten dafür, daß überhaupt wenige Dinge 
alt wurden. Sodann zählte Neresheim zu den kleineren Abteien und 
mag als ſolche nie eine bedeutende Schule beſeſſen haben. Was jedoch 
zur Ausbildung eines Mönches gehörte, was der Einfiht auch in 
ſpezielle Wiſſensgebiete dienen mochte, was vor allem der Pflege der 
Frömmigkeit mittelbar oder unmittelbar förderlich war, das bot in 
reicher Auswahl die Kloſterbibliothek ſchon bald nach Erfindung der 
Buchdruckerkunſt. 

II. 

Es iſt noch möglich, ſich an hand der erhaltenen Kataloge ein 
ziemlich klares Bild zu machen über Umfang und Wachstum des 
neresheimer Buchweſens. Abgeſehen von einem achtbändigen Rate: 
loge in folio imperiali — von P. Joſ. Soyer im Jahre 1760 geſchrie⸗ 
ben und jetzt im fürſtlich Tazifchen Archiv zu Regensburg befindlich — 
liegen auf der Bibliothek drei Kataloge auf, die gewiſſermaßen eine 
Verkörperung der vorausgehenden Entwicklung darſtellen und die 
jeweilige Epoche lebendig vergegenwärtigen. Alle drei ſind Buch⸗ 
kataloge und ſchon im Hußeren ebenſo von einander verſchieden wie 
die Stadien der ſchnell ſich ausbreitenden Buchdrucker kunſt. 

Der erſte katalog trägt auf feinem Titel die Jahrzahl 1538. 
Alles in allem enthält er ſechsundneunzig Seiten im merkwürdigen 
Formate von 11* 33 cm. Er trägt die Spuren ſeines ehrwürdigen 
Alters am meiſten in feinem doppelten Gewand von zerſchliſſenet 
grober Leinwand, im vergilbten und rauhen Papier und den Schrift: 
zügen des Derfalfers. Dieſer war augenſcheinlich ein gelehriger Schuler 
der damals erlöſchenden Schreiberſchulen. Aus der Titelfaſſung erkennt 
man die Ordnung, welche damals wiſſenſchaftlich und teilweiſe wohl 
auch örtlich den Büchern angewieſen wurde. Der Titel des Kataloges 
iſt rot geſchrieben und lautet: Registrum presens doctorum nomina 
secundum Alphabeti seriem præcipue Ecclesiasticorum, philoso- 
phorum, oratorum, poetarum et historiographorum: necnon quo 
loco ordine et titulo quivis liber in bibliotheca locatur breviter 
ostendens: er verſpricht alſo ein alphabetiſches Verzeichnis ſämtlicher 
vorhandener Schriftſteller mit Angabe des Standortes der Bücher in 
der Bibliothek zu geben. — Unter dem Titel ſteht die Jahrzahl 1538 
mit einem nach unten weiſenden Schnörkel, unter dem die rätſelhafte 


361 


Bemerkung folgt: Bimnetum vulgo ein frawen zumer. Soll das ein 


: mnemotechniſcher Behelf fein? Noch unverſtändlicher erfcheint der in 


ſchwarzer Schrift ih anſchließende Tauſendfüßler Terapontigonoplata- 
gidorus, nomen militis apud Plautum. Für Neuanſchaffungen iſt im 
Ratalog kaum Platz gelaſſen. Ebenſo ſtößt uns die Fahrläffigkeit, 
mit der gegen die alphabetiſche Aufeinanderfolge der Oroͤnungs⸗ 
worte — Autoren und Sachen find ineinandergemiſcht — geſündigt 
wird. Bei der geringen Jahl von ſechshundertdreiundvierzig Bänden 
war allerdings ein ſolcher Fehler nicht ſo verhängnisvoll wie bei einer 
Rieſenbibliothek unferer Zeit. Es brauchte überhaupt keine ſonderliche 
Mühe, um auch ohne kiatalog Ein- und Überblick über die geſamten 
Bücherſchätze zu gewinnen. Trotzdem dürfen dieſe, ſofern ſie nur im 
Rahmen der Zeit betrachtet werden, als namhaft gelten. Zeitgenoffen 
wie Schriftſteller des Altertums und Mittelalters finden ſich in ſchöner 
ANusleſe beiſammen, bisweilen ſogar wie es ſcheint mit einem gewiſſen 
Zugeſtändͤniſſe an den empöreriſchen Zeitgeiſt. So war Philippus 
Melanchthon mit elf Werken vertreten. Alle feine Zeitgenoffen, gJo⸗ 
hannes Eck, Cochläus, Reuchlin, Freund und Feind hielten hier mit 
einander friedliche Nachbarſchaft. Auch die Apologie des Biſchofs und 
Martyrers John Fiſcher ſowie das Buch Heinrichs VIII. gegen Luther 
fanden den Weg nach Neresheim. Alle aber überragt Erasmus von 
Rotterdam, der Fürſt der humaniſten, mit fünfzig Bänden. Daß der 
ganze Cicero und der ganze Ariſtoteles nicht fehlte, iſt unter dieſen 
Umſtänden faſt ſelbſtverſtändlich. Auch der ganze Auguftinus, und 
wie es ſcheint, der ganze Hieronymus, überhaupt die großen Kirchen⸗ 
väter waren vorhanden. Aus den Mittelalterlichen ſeien ſtatt aller 
Beda, Bernhard, Dionus der Karthäuſer genannt. 

Die Bibliothek war vermutlich der Benützung nicht völlig frei gegeben. 
Das widerriet ſchon der Wert der Bücher, die noch ſelten und ziemlich 
teuer waren. Für den alltäglichen Bedarf ward darum allen zugänglich, 
„in publico“, eine eigene Handbibliothek geſchaffen, die laut Katalog 
dreißig Bände zählte. Hier eine Titelauslefe: Lexicon biblicum Andree 
placi Moguntinensis (4), Pura in ſechs Bänden (5 - 10), Vocabularius 
Ambrosii Calempini (11) nebſt manchen anderen Docabularien, Regula 
Sancti Benedicti Abbatis cum expositione vulgari (25) Vocabularius 
prædicantium, vocabularius poëticus, vocabularius variorum termi- 
norum ex poëtis et historiographis congestus. Item de laniis und 
phitonicis mulieribus, vulgo unholden und hagelsiederin (29). 

man ſieht, das Schrifttum war damals noch durchaus lateiniſch. 
ga, deutſche Bücher wurden derart als Ausnahmen betrachtet, daß 


362 


der Derfaffer des ftataloges es für notwendig erachtete, dem Regi⸗ 
ſtrum noch ein eigenes ſechsſeitiges Verzeichnis der „Teutſchen biecher“ 
beizufügen. Man lebte eben noch im Zeitalter des humanismus. 

Aber noch auffallender als der Vatinismus iſt die von der unſeren 
abweichende Art der Rechtſchreibung, gewiß wiederum nicht etwa bloß 
eine Eigenheit des Kloſters, ſondern der Zeit überhaupt. Schon im 
Vorausgehenden find in anderem Zuſammenhang Belege dafür geboten 
worden. Aber geradezu erſtaunt iſt man, daß der Katalogſchreiber 
die Werke eines Gregorius Naſanſenus (I) regiſtriert. Die „Omeliarii” 
ſchreiben „Omelie“ und der Kirchenvater Hieronymus wird die neun 
Bände ſeiner Werke vergeblich ſuchen, wenn er ſie nicht unter dem 
Stichwort Iheronimus pbr finden will. Trotz alledem wäre es klein⸗ 
lich, an ſolchen Außerlichkeiten den Bildungsſtand zu meſſen. Der 
Ratalog von 1538 läßt dieſe Wahrheit ſelbſt klar erkennen und wirft 
namentlich auf den Stand des klöſterlichen Bildungsweſens in Neres⸗ 
heim ein günſtiges Gicht. Unter dem Namen Johannis vinsternau 
Abbatis dignissimi in Nöreßhain find neun Werke angeführt. An 
erſter Stelle iſt genannt Oratio habita in capitulo provinciali in 
werdea. Wer dieſe Rede, die er vor den verſammelten Abten der 
Bursfelder Kongregation in Donauwörth im Jahre 1521 gehalten 
hat, auch nur flüchtig lieſt, ſchaut bewundernd auf zu dieſem ſeltenen 
Manne, deſſen Derdienfte für die Erhaltung des Glaubens auf dem 
Härdtsfelde und für die Erhaltung des klöſterlichen Geiftes und der 
klöſterlichen Zucht in den damaligen deutſchen Benediktinerklöſtern 
hoch einzuſchätzen find. Da ift beinahe jeder Satz eine Sentenz, das 
Ganze aber ein Monument wie aus Erz und Marmor, das den Mann 
in jedem doll als tüchtigen Gelehrten, als gewiſſenhaften Mönch, 
als liebreichen Dater, als ſtarken Regenten erkennen läßt. Unter ihm 
bereitete ſich eine erfreuliche Blüte des Heresheimer Gotteshauſes 
vor, ſo daß er von den Urkunden mit dem Titel eines zweiten Be⸗ 
gründers geehrt wurde. Und doch iſt gerade ſeine Schreibweiſe des 
bateiniſchen eine ganz ſonderbare. 


III. 


Der zweite Katalog trägt auf der Außenfeite des Einbandes die 
gahrzahl 1602, im Innern die gahrzahl 1595. Es iſt ein mit pein⸗ 
licher Sorgfalt geſchriebener und unverwüſtlich gebundener Quartkodez, 
der ſchon im Äußeren den gewaltigen Aufftieg der Bibliothek zum 
Bewußtſein bringt. Einmal iſt unter den tüchtigen Amtsnach folgern 
Dinfternaus der Beſtand an Büchern ſtark gewachſen, und dann iſt 


* 2 6 — 


f 363 


für Neuerwerbungen ſoviel unbeſchriebener Raum übrig gelaſſen, daß 
der kioder für etwa zwölftauſend Bände ausreichte, eine Zahl, die in 
der Tat — infolge der Aufhebung — niemals überfchritten worden iſt. 
War zur Zeit des erften EKataloges ein Zimmerchen mit vier unbe⸗ 
deutenden Geltellen als Bücherraum hinreichend geweſen, um die ſechs⸗ 
hundertdreiundvierzig Bände unterzubringen, fo war jetzt eine eigent⸗ 
liche geräumige Bibliothek entſtanden, die für die Entwickelung des 
Bücherweſens und der Bildung im kiloſter neue Möglichkeiten ſchuf. 
Zwar kam bald darauf der dreißigjährige krieg und hemmte für 
längere Jeit das geiſtige Leben in feiner Entfaltung. Aber eigentlich 
unfruchtbar kann kein einziges Dezennium genannt werden. Die 
meiſten Bücheranſchaffungen waren dem 18. Jahrhundert vorbehalten. 
Doch während die Fahl wuchs, verringerte ſich die Büte. Eine jedem 
geſchichtlich Denkenden ſehr angenehme Gewohnheit des kiloſters Neres⸗ 
heim hat dafür geſorgt, daß man für viele Bücher die Zeit der An⸗ 
ſchaffung oder die Art und den Preis der Erwerbung genau feſtſtellen 
kann. Die Exlibris⸗Jeichen waren nämlich je nach den Abten ver⸗ 
ſchieden, und unter dem letzten Abte Michael Dobler iſt mit Tinte 
vielfach das Jahr eingetragen, in dem ein Buch Ratalogifiert wurde. 
Früher liebte man koſtbare Preſſungen der Ledereinbände, die aus⸗ 
ſehen wie fein geſchnittenes Elfenbein. Solche Arbeiten gehören wohl 
neben den ſchönen Stichen zum vornehmſten Schmucke der alten Bücher 
und find um fo beachtenswerter, als fie nicht aufs Seratewohl dem 
Buchhändler überlaffen, ſondern in Motiven, Texten und Jahreszahlen 
bisweilen eigens für das Kloſter gemacht waren und ſomit Geſchichte 
erzählen. Manche Bücher tragen das Zeichen des früheren Beſitzers 
und liefern den Beweis, daß Bücherfreunde, unter ihnen beſonders 
Geiftliche, ihre Schätze dem kiloſter hinterließen. Auch andere Klöfter, 
wie zum Beifpiel die Dominikaner von Augsburg, find mit ihren 
Exlibris vertreten. Vielleicht tauſchten ſie mit Neresheim Bücher aus. 
Vereinzelt begegnet man Widmungen wie zu den Feſtgelegenheiten 
einer Wahl oder Weihe. Eines ift der erfte Studienpreis eines Ab⸗ 
folventen, der ſich unterſchreibt: »Nicolaus Osterlehner absolutus 
Rhetor 1701.< Auf dem erften Blatte ift dieſem wackeren Preisträger 
das Diſtichon gewidmet: lngenio nulli, nulli virtute Secundus / Præ- 
miferos merito primus honore præis — feinem nachſtehend an Geiſt 
und keinem an Tugend / Gehſt du als erſter zu Recht Preisgekrönten 
voraus. Einen großen kauf muß P. Aurelius gemacht haben, als er 
im gahre 1760 nach Salzburg kam und dort eine Reihe philoſo⸗ 
phiſcher, theologiſcher und naturwiſſenſchaftlicher Werke billig zu haben 


364 


waren. Ein Buch erhielt er als Seſchenk von dem als Schriftſteller 
noch heute nicht vergeſſenen P. Dital Möſl O. 8. B. von Sankt Peter. 
Hier darf erwähnt werden, daß auch ſchon vor alters Bildnisgeſchenke 
an gute Freunde übermacht wurden. In einem kleinen Buche verlor 
ſich das farbenſchöne Bild der ſchmerzhaften Mutter Gottes, welches 
wahrſcheinlich die eigene Handfchrift des Abtes und Schriftſtellers 
Karl Stengel auf der Rückſeite trägt. Es iſt ein kleines Pergament⸗ 
blatt, auf dem man die Widmung an Abt Bernhard von St. Ulrich 
und Afra zum Geburtstag 1642 mit dem Derfe lieſt: En fraternus 
amor tibi sit pro munere Serti / In manibus non est ulla corona 
meis — Nimm ein brüderlich Lieben an Stelle von Blumengewinden 
Iſt doch ein Kranz mir nicht heute als Gabe zur Hand. 

Als gegen Ende des 18. Jahrhunderts die Beziehungen der Abtei 
neresheim mit dem Hofe in Stuttgart lebendig wurden, wurden auch 
dort viele Bücher gekauft, manch eines beſonders von P. Benedikt 
Werkmeiſter, leider üblen Angedenkens. 

Der gewöhnliche Weg der Erwerbung blieb indes der Einkauf beim 
Buchhändler. Alte Rechnungen liegen heute noch vor. Es wäre auch 
kaum möglich, mit Zufallserwerbungen eine Bücherei fo geſchmack⸗ 
voll auszubauen, wie es die Neresheimer iſt. 


IV 


Für dogmatiſche und biblifche Werke wurde das Geld nicht ge— 
ſpart. Auch Moral, Homiletik, Giturgie find gut vertreten. Für den 
Ausbau der kirchen⸗ und profanrechtlichen Abteilung ſorgte ſchon die 
ganze Stellung des Kloſters, beſonders als Reichsabtei. Daß aber 
auch Patriſtik, Welt» und ktirchengeſchichte, endlich das verzweigte 
Gebiet der Naturwiſſenſchaft mit kraft und Zielbewußtfein gepflegt 
wurden, verdient betont zu werden, wenn man an die Einſeitigkeit 
und Unfruchtbarkeit klöſterlichen Wiſſenſchaftsbetriebes in anderen 
Ländern in damaliger Zeit denkt. 8o kommt es, daß die Ileresheimer 
Bibliothek als ein Widerſpiel des gleichzeitigen Geifteslebens anzu: 
ſprechen iſt und vieles bietet, was man zunächſt nicht vermutet. 

Wer ſuchte hier Literatur über türkiſche Geſchichte und Kultur? 
Und doch iſt dieſer Wiſſenszweig mit offenkundiger Vorliebe gepflegt 
worden. Da kommt einem die vergangene Herrlichkeit der Osmanen 
eindrucksvoll zu Bewußtſein. Aber auch die Kloſtergeſchichte gewinnt 
beben. Abt Simpert unternahm im Jahre 1699 als Praelatus do- 
mesticus mit dem kaiſerlichen Seſandten Wolfgang von Oettingen⸗ 
Wallerſtein eine Reiſe zur ottomaniſchen Pforte und kehrte von dort 


365 


am 12. März 1700 zurück. In türkifchem Reiſekleib wurde er bei 
der Rückkunft von den Mönchen feierlich empfangen. Sein auf der 
Reife geführtes „Diarium“ iſt im Druck erſchienen (Augsburg 1701) 
und mag dazu beigetragen haben, daß ſpäter, beſonders gegen 
Ende, das Tagebuchführen in Neresheim ſehr in Übung war. Mög⸗ 
lich, daß auch die Vorliebe für alte und ausländifhe Münzen auf 
dieſen Abt zurückgeht. Noch jetzt iſt eine ziemlich Anzahl von Sips⸗ 
abdrücken von Münzen in den Schaukäſten zu ſehen. 

neben derlei Einzelgebieten zeigen ſich aber vor allem die großen 
Pinien, in denen ſich Geiftesentwickelung und Dölkerleben ſeit Beginn 
der Neuzeit bewegt haben. Auf faſt allen Seiten ein ſtürmiſches 
Dorandrängen. Ein neues Forſchungsgebiet um das andere tat ſich 
auf, und mehr als je erwachte gelehrte und ungelehrte Abenteurerluſt. 
Die Natur, die man früher fürchtfam und abergläubiſch gemieden 
hatte, lernte man als eine freundliche und reiche Schöpfung voll 
wunderſamer Schönheit und verborgener Kräfte kennen. Unenträtſel⸗ 
bar ſcheinende Geheimniſſe wurden wie ſpielend enträtſelt und dadurch 
eine Umwälzung des geſamten Denkens hervorgerufen, die in vielen 
Seiſtern den Offenbarungsglauben vollftändig erfchütterte und die Philo⸗ 
ſophie verführte, völlig neue Suſteme auszuſinnen. Seefahrer und 
£irieger zogen zu neuen Eroberungen aus und während kreuz und 
Standarte von fremden Kontinenten im Namen Sottes und der euro⸗ 
päifchen Aönige Beſitz ergriffen, drang die Aſtronomie mit Berech⸗ 
nungen und Telefkopen in ferne Sternenwelten ein. Das kraft⸗ und 
Selbſtbewußtſein, welches durch den Ruf derartiger Errungenſchaften 
in der ſtolzen Menſchenbruſt geweckt wurde, teilte ſich den Künſten 
und ſtaatlichen Unternehmungen mit und erzeugte große Perſönlich⸗ 
keiten, riefenhafte Menſchenwerke und gewaltige kriege. Die kriege 
nach Oſten, die Eroberungen im Welten verliehen der Fama, die im 
Gehen wächſt, eine Größe und einen Reiz, hinter dem die Tatſachen 
oft verſchwanden. Auch Benediktiner dienten hier dem Zeitgeifte mit 
augenſcheinlicher hingebung. Da iſt die Reiſebeſchreibung eines Rmerika⸗ 
miffionärs, des „Benediktinerabtes Buelius Catalonus, welcher anno 
1493 mit Almirante Christophoro Columbo in Indiam Americam ge⸗ 
ſchiffet. Dedicirt dem hochehrwürdigen ... und Hochgelehrten Herrn 
Casparo, Abbten des Würdigen Gotteshauß Seitenſtetten, meinem 
gnädigen und hochgebietenden herrn“. Das Buch enthält achtzehn 
Tafeln mit kurzem Text. Nummer 2 ſtellt den Atlantiſchen Ozean 
vor, dort wo er Spanien, Afrika und die ftanariſchen Inſeln befpült. 
Don Infeln und Schiffen umgeben ſchwimmt da ein rieſiger Walfiſch, 


366 


deffen Größe durch einen großen Segler, auf den Schwanz des 
Seeungeheuers geftellt, hinreichend zum Bewußtſein gebracht wird. 
Auf dem Rücken wird um einen Altar von Prieſtern und Volk feier⸗ 
licher Sonntags gottesdienſt abgehalten. Der Text erklärt: Sankt Bran⸗ 
danus, ein ſchottiſcher Abt, ſang vor tauſend gahren auf den Inſeln 
der Seligen (Ranarien) mit den Schiffsleuten das Oſteramt und reichte 
ihnen die heilige Kommunion. Die Inſel, „darinnen viel Taufend 
heiliger Mönch fromm und gottſelig lebten“, hat darum den Namen 
Brandan erhalten. Nachdem fo der Glaube des Lefers mit Wort und 
Bild aus zeitlicher Ferne geftärkt ift, wird er leichter zeitgenöffifche 
Erzählungen dieſer Art für bare münze nehmen und ift vorbe⸗ 
reitet, Text und Bild Nummer 11 gläubig zu würdigen. Hier wird 
geſchildert, wie ein junger Wal von einem Hönig aufgezogen und 
gezähmt wurde, ſo daß er täglich aus ſeinen händen fraß. Das 
Wundertier war „alfo leutſelig und zämb“, daß der König ſamt et⸗ 
lichen hofherren auf deſſen Rücken im Meere herum ſpazieren fuhr. 
Um Bilder und Berichte über kannibaliſche Sitten und ſchauerliche 
Abenteuer war eine blutgierige Phantaſie nicht verlegen. Miſſionäre 
und Reiſende boten dafür die nötige Anregung. 

Dielgelefen waren die Kalender, die ſolch volkstümlichen Glauben 
und Wiſſen ohne viel kritik übernahmen und verbreiteten. Das dick⸗ 
leibige Kalendarium perpetuum iſt neben den zahlreichen lateiniſchen 
Wörterbüchern des Ambrofius Calepinus und einigen aſzetiſchen oder 
liturgiſchen Schriften eines der abgegriffenſten Bücher, die ſich in der 
neresheimer Bücherei vorfinden. 


V. 


Die großen Begebniſſe auf dem Boden der Religion, der Staaten⸗ 
geſchichte, der Herausbildung gottentfremdeter moderner Geiſtesart 
laſſen ſich geräuſchlos in dieſem ſtillen Bücherſaal mit wünſchens werter 
Vollſtändigkeit nacherleben. Die Kluft zwiſchen den getrennten Gei⸗ 
ſtern? man ſieht fie hier wachſen. Zugleich ſchaut man mit gefpannter 
Aufmerkfamkeit auf die guten Menſchen, die wie Engel vom himmel 
an der Arbeit find, dem Verderben zu ſteuern. Wie eine Elite jugend⸗ 
licher Streiter ſieht man die Söhne des heiligen von Loyola in den 
Kampf eintreten. mit der Rüſtung der Gegner bekleidet, mit den 
gleichen Waffen der Wiſſenſchaft und Gelehrſamkeit wie fie bewehrt, 
erobern ſie ſo ziemlich alle Gebiete des alten, und was vor allem 
in die Augen ſpringt, des neuen Wiſſens. Sie treten an die Stelle 
der müden Deteranen und legen ſelbſt in greiſenhafte Inſtitutionen 


367 


frifhe kteime der Verjüngung. Die geſuiten übernahmen ſogar die 
Führung auf dem Felde des aſzetiſchen Schrifttums, das mit einem 
gewiſſen Vorrecht den alten Orden anzugehören ſchien. Die Geſchichts⸗ 
ſchreibung bereicherten ſie mit achtunggebietenden Folianten, und ſelbſt 


in Mathematik und Aſtronomie haben fie ruhmvolle Meiſter. Kein 


Wunder, wenn das kirchliche Geben von den Jefuiten fein Gepräge 
bekam und die Zeitgeſchichte bis zu einem gewiſſen Grade Jefuiten- 
geſchichte wurde. Die Aufklärung des achtzehnten Jahrhunderts hatte 
an den geſuiten entſchiedene Gegner, und da die Welt kein Erbarmen 
kennt, ruhte fie nicht, bis der Gegner vom Schauplatze abtrat. Schließ⸗ 
lich gab ſich die weltliche und die geiſtliche höchſte Macht dazu her, 
den Orden des heiligen Jgnatius zu unterdrücken, das letzte Glied in 
einer langen £ette unverdienter beiden. Die Benediktiner von Neres⸗ 
heim verfolgten mit offenkundiger Teilnahme das beklagenswerte 
Trauerfpiel und ſammelten viele einfchlägige Deröffentlichungen. Man 
fieht daraus: Jahre und Jahrzehnte lang waren die geſuiten das 
Tagesgeſpräch, und ihr Name weckte Furcht und Haß. Unter „geſu⸗ 
iten“ war aber eigentlich die kirche überhaupt gemeint, namentlich 
auch alle ihre Orden. Das hat die Folgezeit erwieſen, und man wird 
fagen können, daß wenige Ereigniſſe der Säkulariſation fo vielen Dor= 
ſchub leiſteten, wie die Aufhebung des geſuitenordens im Jahre 1773 
durch Papſt Clemens XIV. 

Da man es liebte, anonum zu ſchreiben, brauchte man den ſchrift⸗ 
ſtelleriſchen Anſtand nicht allzuſehr zu wahren. Auch eine franzöſiſche 
Dame wollte gehört werden und gab eine Schrift über die geſuiten⸗ 
frage heraus (1762, überſetzt von einem Fräulein ***., ohne Verlag). 
Sie beginnt ihre Vorrede: „Ich bin ein Weibsbild, eine Franzöſin, 
eine Weltweiſe und lebe in dieſem Weltalter. Hiemit wird mir nie⸗ 
mand abſprechen wollen ein vielfältiges Recht, wenig zu überlegen, 
nichts zu glauben, allem zu widerſprechen, und auch alles zu ver⸗ 
werfen nach meinem Belieben. Dieſe Vorteile kann mir zwar nie⸗ 
mand benehmen, doch will ich mich derſelben ganz mäßig bedienen 
nichts will ich behaupten, als was ich ſelbſt glaube, und nichts 
glauben, als was unwiderſprechlich iſt.“ Man ſieht, die Verfolgten 
galten als geächtet und vogelfrei. Das zeigt noch deutlicher der erſte 
Abſchnitt der eigentlichen Abhandlung: „In ganz Frankreich, ja faſt 
in ganz Europa ſtehen alle Augen auf die geſuiten, ihren jetzigen und 
künftigen Zuftand offen. Die Bosheit der einen wendet ſich auf ihr 
Verhalten, die Staatsklugheit der anderen auf ihre Lehre, vieler Miß⸗ 
gunft auf ihren Ruhm, noch mehrerer freundſchaftliche Lieb auf ihr 


368 


Unglück. Niemand ift mehr unparteiiſch: bei allen ift entweder Hod: 
ſchätzung und Lieb oder Haß und Verbitterung. In allen Gericht 
ſtuben, in allen öffentlichen oder geheimen Derfammlungen, aller Orten 
höret man faſt nichts anderes nennen, von nichts reden als von diefer 
Gefellfhaft, von ihren Satzungen, von ihrer Verwaltung, von den 
Übergriff ihrer Obern, von ihrer Lehre, von ihren Büchern. Es if 
wohl Wunder, daß uns Weiber noch nicht angekommen, eines ge⸗ 
ſuiten Namen zu entlehnen ... Zu anderen für die Jeſuiten ftilleren 
Jeiten haben bald unſere Winterſträucher, bald unſere Röck geſuiten⸗ 
namen getragen.“ — Der Schluß der Broſchüre bringt das ſalomoniſche 
Urteil der Derfalferin: „Alles Rommt nur auf einen Tauſch an. Die 
portugieſiſchen Jeſuiten gelten als ſtrafmäßig, weil fie ihre Satzungen 
nicht gehalten, die franzöſiſchen hingegen beſtrafen wir, weil ſie die⸗ 
ſelben halten. Man braucht alſo nur die geſuiten aus Frankreich 
nach Portugal und die geſuiten aus Portugal nach Frankreich zu 
ſchicken. Dann haben beide Länder geſuiten nach ihrem herzen und 
allen Schwierigkeiten iſt abgeholfen.“ 


VI. 


Solcher Bilder aus dem 18. Jahrhundert ließen ſich viele bieten. 
Im abgeklärten Lichte unparteiiſchen Urteils ift eines gleich betrübend 
wie das andere. Betrübend ift aber auch, daß durch die Zerſetzungs⸗ 
arbeit der „Philoſophen“ und Aufklärer dem alten Orden des hl. Bene 
dikt ein unerhörter innerer Schaden zugefügt wurde, mindeſtens fo 
ſchlimm für ihn wie die äußere Aufhebung des Jefuitenordens für 
die Jeſuiten. Zwar wurden jetzt vielfach an die Stellen der vertrie 
benen geſuiten Benediktiner berufen. Aber das lockerte den Familien⸗ 
geift und brachte einzelne mit Derhältnilfen in Verbindung, für die 
ſie nicht erzogen waren. Die Disziplin ging zurück und ließ den 
Strom des Zeitgeiſtes da und dort in hellen Fluten das Heiligtum 
erfüllen, bis es für den großen Hauptſtoß unterwühlt und mürbe war 
und die Regenten ernteten, was die Freigeiſter geſät hatten. Aud 
Neresheim, das zur Zeit GCuthers mit feinem Abte treu zur Kirche ſtand, 
entging diesmal nicht dem Untergang. Daß die Abtei bis zu einen 
gewiſſen Grade vom Zeitgeiſt angeſteckt war, das zeigt der Ruf eines 
P. Benedikt Werkmeiſter, den P. Bauntinger im Jahre 1783 die tüch⸗ 
tigſte kraft feines Abtes nannte; das ſagen uns ferner die Tage 
bücher einiger Mönche; das ſagt endlich die Auswahl der weltlichen 
bektüre, die mindeſtens von einzelnen getrieben wurde, nicht zu reden 
von der unkirchlichen Broſchürenliteratur, die in den härteſten und 


» ii. 


369 


weichſten Tonarten, je nach dem Geſchmacke der Schreiber und dem 
Charakter des erhofften beſerkreiſes die Grundfeſten von Kirche und 
Ordensſtand angriff und in beſtändigem Sturmlauf den Zölibat der 


Weltgeiſtlichen und die Gelübde der Gottgeweihten bekämpfte. Bier 


eine Titelauslefe: Was iſt die Kirche und was kann der Landesfürft 
in der Kirche? — Briefe über den Zölibat. — Das Ende des Zölibates 
am Ende des 18. Jahrhunderts. — Reflexionen über den Antrag, den 
Zölibat aufzuheben. Über zwanzig Titel anonymer Schriften dieſer 
Art finden ſich im Kataloge beifammen. mit Witz und Nonie ge⸗ 
tränkt waren die Schriften gegen die Gelübde. Wenn dann noch mit 
prickelnden Skandalgeſchichten aufgewartet oder natürliches Sichaus⸗ 
leben mit roſigen Farben geſchildert wurde, mußte da nicht oft etwas 
hängen bleiben, beſonders wenn der Gefer nicht auf der höhe feines 
Berufes ſtand, wenn, was häufig vorkam, die Schrift für den Gimpel- 
fang berechnet oder — ein Hohn — dem Papſt oder einzelnen Kardi⸗ 


nälen gewidmet wurde? Auch rührſelige Gefchichten von angeblich 


oder wirklich unglücklichen Ordensleuten wurden zum beſten gegeben, 
um deſto klarer den Weg zum Glück zu weiſen. Der Gefer mag 
ahnen, was etwa die „Briefe aus dem Noviziate“, „Briefe über das 
Mönchsweſen“ „die Frage, ob der Mönchsſtand gottgefällig und der 
Welt nützlich ſei“ bezweckten und allmählich wohl auch da und dort 
erreichten. Der künftige Geſchichtsſchreiber der Abtei Neresheim wird 
ſorgfältig unterſuchen müſſen, welchen Geift Strömung und Gegen- 
ſtrömung auf dem Ulrichsberg ſchließlich zur herrſchaft brachten, und ob 
das kiloſter den Untergang durch die Aufhebung im Jahre 1802 vielleicht 
durch einen vorangehenden Abfall von der höhe des monaſtiſchen 
Ideals mitverſchuldet hat. Die letzten Abte waren jedenfalls würdige 
Männer, die auf ÖOrönung bedacht waren und die Anſchaffung ernſter 
Bücher nicht vernachläſſigten. Gerade der letzte Abt, Michael Dobler, 
war ein Dermehrer der Bibliothek. Auffällig iſt allerdings, daß Werke 
aſzetiſchen Inhaltes durch feine Exlibris⸗ZJeichen nur ausnahmsweiſe 
gekennzeichnet ſind. Er wird ihrer alſo auch wenige angeſchafft haben. 
Man vergeſſe aber nicht, daß mit dem Untergang des geſuitenordens 
die aſzetiſche Literatur den denkbar ſchwerſten Schlag erlitten hatte. 
VII 


Das bisher Geſagte läßt den Zeitgeift des 18. Jahrhunderts, ſoweit 
man ihn in der Heresheimer Bibliothek ſtudieren kann, als einen 
ſchlimmen Tyrannen erkennen. Auch den äſthetiſchen Geſchmack, be⸗ 
ſonders den verderbten, hat man Tyrann geheißen. Doch iſt er in 
ſich weniger gefährlich. Um ſo leidenſchaftsloſer läßt ſich in einer 


Benediktiniſche Monatſchrift IV (1922), 9— 10. 24 


370 


jahrhunderte⸗alten Bücherei ſeine ganze Wandelbarkeit erkennen. Die 
neuere Aunft bis herab zu den nüchternen Formen des Empire hat 
im Buch ihre Spuren hinterlaſſen. Schon fein Äußeres weiſt ein 
bunte Mannigfaltigkeit der Farben, Formate und Faconen auf um 
zeigt, daß es auf dem Gebiete des Buchſchmuckes jederzeit neben 
prächtigen Erfindungen auch abenteuerliche Einfälle gegeben hat. Ein 
Buch will eben ſchön gekleidet fein, und auf Schönheit hat der nen 
zeitliche menſch Gewicht gelegt. Der Glanz des äußeren Lebens, der 
von Derfailles allmählich auf Europa überging, kennzeichnete ſich in 
Buche durch den prachtvollen Einband, der neu dem ſchönſten ge 
ſchnittenen Elfenbeine glich, durch prächtige Titelſtiche und ſonſtigen 
Innenſchmuck, bei dem Stecher und Setzer das Beſte zu leiſten be 
müht waren. Mitunter können aber dieſe bockmittel über das Un 
bedeutende des Inhaltes nicht hinwegtäuſchen. 

Ein Geograph will ein Geographiebuch ſchreiben. So proſaiſch 
nun heutigen Tages ein Leitfaden der Geographie ſich ausnimmt, ſe 
bombaſtiſch erſcheint uns ein Otium Ulysseum. Eine wahrhaflige 
Phantafieweide liegt im Titel Mundus furiosus und in der wenig 
ſchmeichelhaften Buchaufſchrift „Römiſcher Beelzebub“. Selbſt die immer 
würdig auftretende Afzefe ſucht durch „fürſtliche Luftgärten und Weck 
uhren“ Lefer zu gewinnen, eine aſzetiſche Fackel, fax ascetica, ſoll die 
Seele neu entzünden, eine heilige Jagd, venatio sacra, das Gottſuchen 
erleichtern, eine Bühne des Schmerzes und der Liebe, Theatrum do- 
loris et amoris, ſoll zur Beſchauung der Liebe und des Leidens Chriſt 
einladen. Solcherlei „Bühnen“ wurden zu Dutzenden gebaut: Thea 
trum asceticum, politicum, ceremoniale, Europæum und ſchließſic 
orbis terrarum. Die ganze Zeit war eben theatraliſch, beſonders die 
des Rokoko, und ſelbſt die Wiſſenſchaft mußte darunter leiden. 

Mit Recht hat ein großer Mann, der mit feinem Maß Altes und 
Neues zu würdigen verſtand, in einer Epistola paraenetica die 
Obern der italieniſchen kilöſter auf die Fehler des Betriebes der Wiſſen⸗ 
ſchaft aufmerkſam gemacht. Es ift der 1750 verſtorbene Bibliothekar 
der Ambrofiana in Mailand, C. A. Muratori. Ihm fiel es auf, daß 
trotz aller Vorzüge der hergebrachten Studienfächer und deren literar⸗ 
[her Fruchtbarkeit in früheren Epochen ein ſchreiendes Miß verhältnis 
beftand zwiſchen der Zahl von Lehrern und Studierenden und den 
literariſchen Können. Er erinnerte im Hinblick auf die nachſcholaft 
ſchen Quaestiones und Quaestiunculae an das Wort Auguſtins: Befler 
über vieles im Zweifel bleiben, als über Unſicheres ſtreiten, Melius 
est dubitare de multis, quam litigare de incertis. Er wies nad), 


371 


2 daß die unnötig auf kleinliche Spitzfindigkeiten verwendete Zeit viel 


- 

n 
— 
* 
2 
- 


7 
zu 


nũtzlicher für die Ausbreitung realen und hiſtoriſchen Wiſſens ver- 
wendet würde, empfahl das Studium der Naturphiloſophie und Ex⸗ 
perimentalphyfik, Bibelwiſſenſchaft und kKirchengeſchichte und bean⸗ 
tragte eine ehrenvolle Behandlung des Faches der Beredſamkeit, weil 
der Stil das gefällige und würdige Gewand der Wahrheit ſei. Ein- 


: gehendes Studium der kiloſterſchulen des ſiebzehnten und achtzehnten 


1 


12 


Jahrhunderts wird feſtſtellen müffen, welche Mängel dem Studienplan 


der ſüddeutſchen Klöfter anhafteten. Die Abtei Neresheim ſcheint ſich 


jedenfalls ganz im Sinne Muratoris entwickelt zu haben, und wenn 
die Epistola paraenetica des Mailänder Gelehrten auch vielleicht 
nicht ſofort bekannt oder beherzigt wurde, fo iſt doch ſicher, daß die 
von ihm genannten Difziplinen frühe zielbewußt ausgebaut wurden, 


— 


X 


und um das Jahr 1765 ein Exemplar der Epistola von den Neres⸗ 
heimer Theologen gelefen wurde. Überhaupt weifen alle Anzeichen 


darauf hin, daß das Schulwefen und damit die wiſſenſchaftliche Bildung 


. in den Benediktinerklöftern Süddeutſchlands faſt bis zuletzt in wahrer 
Blüte ſtand. Eine Umſchau in der benediktiniſchen Literatur zeigt, daß 


x. *. nr, * 


ſich unſere Ahnen auf allen Gebieten mit Erfolg verſucht und mitunter 
Großes geleiftet haben. Faſt jede große Abtei hatte einen gelehrten 


Namen von Ruf aufzuweiſen. Neben der hochragenden Geſtalt eines 


m. Serbert von St. Blafien! mit feiner Selehrtenſchule erblicken wir einen 


Bernhard Bez von Melk, Magnoald Ziegelbauer von Zwiefalten, Bucelin 


. x 


2 


von Weingarten und andere. Die Wiſſenſchaft wurde mit Ernſt be⸗ 
trieben, leiſtete aber wie geſagt ſchon auch ihren Tribut an den flachen 
Zeitgeiſt. Selbſt der nimmermüde Abt Carolus Stengel von Anhauſen, 
Derfaffer von nahezu achtzig Schriften, kann von dieſem Vorwurf nicht 
freigeſprochen werden. Sein Proteus gratulatorius beſteht aus Hexa⸗ 


metern, die nichts anderes ſind, als die Permutationen folgender Worte: 
Sint tibi tot menses, Præsul, quot nomina mundo. Wenn der beſer 


die Geduld hatte, ſich die elfhundertfünfundſechzig Bilder dieſes Kaleidos⸗ 
kopes anzuſehen, kam er wohl mit der Stimmung eines Erlöften zum 
letzten Ders: Mundo tot, quot nomina, sint, Præsul, tibi menses. 
Wozu dieſe Derfhwendung? fragt man ſich und denkt an jenen Philo⸗ 


ſophen auf dem £aiferthrone, der feine koſtbare Zeit mit der Fabri⸗ 


kation geiſtloſer Palindrome vertrödelte. 
VIII. | 
Es wäre Unrecht, aus dem Dorhandenfein ſolcher Bücher den Schluß 
zu ziehen, daß die Neresheimer Mönche oder ihre zeitgenöſſiſchen 
gl. Benediktinifhe Monatſchrift III (1921) 8. 43 — 62. 
24° 


372 


Mitbrüder feiht geweſen feien. Neben der langen Reihe herrliche 
Folianten und Quartbände erſcheinen ſolche Sächelchen wie Findlinge 
oder Ablenkungen für heitere Erholungsſtunden, und da mögen ſe 
in Ermangelung von Beſſerem immerhin Dienſte geleiftet haben. Rt: 
geſehen von der Auswahl an monumentalen Werken aus allen Wiflens- 
gebieten, die hier auch nicht annähernd aufgezählt werden können, 
iſt die geiſtige Richtung der Altneresheimer Bücherfreunde aus der 
Anſchaffung ausgezeichneter Nachſchlagewerke und Zeitſchriften zu 
erkennen. Da iſt die Nouvelle Bibliothèque des auteurs ecclesia 
stiques in neunzehn Bänden, Jöchers Gelehrtenlezikon, beſtehend aus 
ſechs ſchweren Quartbänden, die ganze Bibliothek des Fabrizius, das 
lateiniſche Lezikon von Ducange. Nuch die bis zum Jahre 174 
reichende Pariſer Sammlung Des hommes illustres von Tliceron 
gehört hierher. Die Fühlung mit dem zeitgenöſſiſchen Geiſtesleben 
wurde durch mehr als dreißig verſchiedene Zeitfchriften erhalten, und 
von dieſen wieder entfiel eine ſchöne Anzahl auf das Gebiet eigent⸗ 
licher Wiſſenſchaft. Schon ſeit 1682 kamen regelmäßig die Acta 
eruditorum aus Leipzig ins haus und das bis 1757. Aus Regens 
burg bezog die Bibliothek ſeit 1740 die „Wöchentlichen Nachrichten 
von gelehrten Sachen“; ſpäter aus Mainz den „Mainzer Anzeiger 
über den gleichen Gegenftand. Nuch die Schweiz durfte nicht fehlen 
und brachte von 1735 aus Zürich in der Tempe Helvetica Abhan- 
lungen und Mitteilungen theologiſchen, philoſophiſchen, hiſtoriſchen 
und kritiſchen Inhaltes. Die Geſchichte war noch eigens vertreten 
durch den „Chronologen“. Der Bibliothekar, der über Neuerſche⸗ 
nungen zunächſt Beſcheid wiſſen mußte, hatte fein fünfbändiges „Hand 
buch für Bibliotheken und Bücherfreunde“ (Halle 1788) zur hand und 
blieb durch das „hiſtoriſch⸗literariſch⸗biographiſche Magazin“ aus Fürich 
auf dem laufenden. Das „Römiſche Kirchenjournal“ (Augsburg 1785 
und das „Neue theologiſche Journal” (Nürnberg 1796) haben ihre 
Erklärung im Titel. Nicht die beſte Note verdient „Deutſchlands 18. 
Jahrhundert“. Noch weniger einige franzöſiſche Organe, wie der Mer- 
cur de France (nach 1760) und die Cinq annees literaires (1748-32). 
Berlin 1756. Ruch die unkatholiſche „Allgemeine deutſche Bibliothek 
von Fr. Nicolai wurde gehalten. Bibliographiſch⸗kritiſchen Inhaltes 
war das jugement des Savants, ſeit 1725 aus Amſterdam bezogen. 
Dazu geſellten ſich halb gelehrte halb ſchöngeiſtige Zeitfchriften, ſo 
„Das Tleuefte aus der anmutigen Gelehrſamkeit“ (Oeipzig nad) 1756), 
„Das deutſche Mufeum“ (1776), die „Allgemeine Giteraturzeitung“ (1788) 
und die „Befammelten Früchte der Bemühungen der zu Oettingen im 


373 


Ries vereinigten Geſellſchaft der ſchönen Wiſſenſchaften“ (ſeit 1758). 


Nusſchließlich der Poeſie diente der „Deutſche Merkur“ (1773), und 


zu guterletzt war auch für eine Kinderzeitung geforgt, die ſeit 1783 
aus Nürnberg bezogen wurde. Man ſieht, das Geiſtesleben bekam 
ſeit der Mitte des achtzehnten Jahrhunderts beſonders durch die Der- 


breitung von Zeitfchriften eine bis dorthin nicht gekannte Allgemeinheit 
und trug die neuen Erzeugniſſe, geiſtliche und weltliche, auch in entlegene 
Kilöſter. Schon im Jahre 1704 war ein „Staats- und Jeitungslexikon“ 
notwendig, das Hübner in Leipzig herausgab und von den Neresheimern 
fehr eifrig benutzt wurde. Da die Zeit überhaupt für Lexika eine eigene 
Geidenfchaft hatte, fo durfte ein „Betrugslexikon“ nicht fehlen. Don 
einem gewiegten Rechts⸗ und Menſchenkenner verfaßt, iſt es ein meiſter⸗ 


, licher Beichtſpiegel über das ſiebente und achte Gebot und erforſcht 


die ſchwachen Seiten aller erdenklichen Menſchenklaſſen. 
Daß die Bibliothek ſich ſo entwickeln konnte, war nur möglich, 


wenn das Kloſter gebildete und hochgebildete Männer hatte, die für 


— 


alles Große und Schöne begeiſtert waren, wenn fie gleich nicht alle 


die eigentliche Wiſſenſchaft pflegen konnten. Für die Pflege der 


Naturwiſſenſchaft herrſchte allgemeines Intereſſe. 

Die Neresheimer Blitzableiter gehören zu den erften in Deutſchland. 
Wer Neresheim in früheren Jahren befuchte, fand auf der Bibliothek 
auch eine Menge zum Teile bekannter zum Teile rätſelhafter kleinen 
Inſtrumente und Maſchinen, die in ihrer Auswahl an ein Muſeum 
und an ein phuſikaliſches Laboratorium erinnerten. Da Neresheim 
eine Zeitlang nach der Aufhebung Sitz des Cuzeum Carolinum war, 
wurde die Sammlung mitunter als Naturalienkabinett des Lyzeums 
aufgefaßt. Sie iſt es wohl auch geweſen, beſaß aber ihre Einrichtungs⸗ 
flücke im großen ganzen ſchon von den Rlofterzeiten her. Daß die 
Sammlung ſchon früher da war, bezeugt P. hauntinger. Beſonders ſtark 
war das Ariegswefen in ihr vertreten. „Dieſes kriegsgezeuge iſt einem 
Öberingenieur der Reichsſtadt Ulm abgekauft worden. Es enthält vor⸗ 
nehmlich alle Gattungen von Hhaubitzen, Doppelhacken, Kanonen, Mörſern, 
Bombenkeſſeln mit aller Jugehörde; dann alle Arten von Feldgeräten, 
Feldmühlen, Schmieden, Fourage⸗ und Plunderwagen, Zelte u. ſ. f. im 
kleinen. Weiter alle Feſtungswerke der Stadt Ulm in Karten, auch aus⸗ 
geſchnitten in Holz; dann einige ausländiſche Seltenheiten, wie Muſcheln, 
eine Sammlung Salzburger und Hertfelder Marmor, phuſikaliſche, mathe⸗ 
matiſche, elektriſche, optiſche, geometriſche und hudrauliche Inftrumente, 
auch einige Stücke vom Tierreiche in Weingeiſt aufbehalten“!. 

RKeiſetagebuch a. a. O. 8. 86. 


374 


Die angewandte Wiſſenſchaft kam dem Alofter Neresheim m 


den Betrieben zuſtatten und half befonders die Candwirtfaft auf % 


einen höheren Stand heben. Eine ganze Anzahl von Zeitſchriften 
machte mit den Ergebniſſen der Forſchung bekannt. Wertvolle Werke 
unterrichteten über die beften Methoden der Land wirtſchaft oder die 
Beſchaffenheit neuerfundener Maſchinen. Auf dem Wege ſolcher Stu⸗ 
dien gelang es, dem rauhen Lande beſſere Erträgniſſe abzuzwingen. 
P. Hauntinger berichtet darüber in feinem Tagebuch: „Dieſe Strecke 
Landes wird nicht umſonſt Hertfeld genannt. Es iſt in der Tat ein 
harter Ort, ein Ort, von welchem es ſcheinen möchte, daß der Fluch 
der ſtiefmütterlichen Natur beſonders darauf hafte, und dieſe Strecke 
ſcheint auf etliche Stunden hin nur ein einziger Felſen zu ſein. Dem 
jetzigen Prälaten (Benedikt Maria Angehrn, 1720 geboren im Sankt⸗ 
galliſchen, von 1755 - 1787 Abt von Neresheim) war es vorbehalten, 
dieſe rohen Steinklippen in ergiebige Felder umzugeſtalten“ !. 


IX. 

Noch wichtiger erſcheint in dieſem Juſammenhange die Frage, welche 
geiſtigen Früchte auf dem Boden einer ſo hervorragenden Bibliothek 
gewachſen und gereift find. Denn für gewöhnlich wird ſich eine 
kommunität neben der geiſtlichen und weltlichen Bildung, die ihr die 
Bücherſchätze vermitteln, auch durch literariſches Schaffen über die 
Verwertung ſolchen Kapitales auszuweiſen haben. Auf den erften 
Blick ſcheint nun die Abtei Neresheim etwas hinter den gerechten 
Erwartungen zurückgeblieben zu fein. Sie hat keinen Gerbert, keinen 
Siegelbauer und keinen Bucelin und außer dem erwähnten Abte 
Joh. Dinfternau vor dem achtzehnten Jahrhundert Reinen namhaften 
Schriftſteller. Noch mehr: Mabillon, der auf ſeiner berühmten deutſchen 
kiloſterreiſe bis nach St. Peter in Salzburg vordrang und Weingarten 
zweimal heimſuchte, fand den Weg nach Neresheim nicht, ja er er⸗ 
wähnt Neresheim mit keinem Wort. Ferner übergeht der Auguſtiner⸗ 
chorherr Petrus Obladen, der doch im benachbarten Ulm an der 
Wengenkirche geſchrieben hat, Neresheim bei der Aufzählung der 
zu feiner Zeit durch Wiſſenſchaft hervorragenden Abteien, während 
Ochſenhauſen, St. Peter und Salem genannt werden. Endlich ſuchen 
wir im lter Alemannicum, Italicum et Gallicum des Abtes Gerbert 
(St. Blafien 1765) wiederum vergebens den Namen Neresheim. Dar⸗ 
aus geht zur Genüge hervor, daß dieſe Abtei in der ganzen neueren 
Kloſtergeſchichte keinen Ehrenplatz einnahm. 

1 Ebd. 8. 90. 


j 


‘ 


375 


Indeſſen erſehen wir aus der Lifte der Schriftſteller, die Neresheim 
beſonders gegen Ende ſeines Beſtandes hervorgebracht hat!, daß mit 
dem inneren Ausbau der Bücherei auch der wiſſenſchaftliche Bildungs⸗ 
ſtand bedeutend wuchs und eine fo ſchöne Zahl von Autoren erftand, 
als nach dem Derhältniffe der Bücher nur immer wünfchenswert war. 
Schon in der erſten hälfte des achtzehnten gahrhunderts ſtieg P. Alphons 
Kirchbauer zum Sekretär und Kanzler des Fürſtbiſchofs Joſ. Benedikt 
von Chur auf und verwaltete ſpäter die gleichen Ämter in feinem 
Profeßkloſter. Die Kenntnis des Rechtes war Kloftertradition und 
hatte tüchtige Vertreter, fo den P. Ulrich huhndorf, der ſich auch auf 
dem Gebiet der Philoſophie und Naturwiſſenſchaft auszeichnete und 
acht Schriften hinterließ. Er war Doktor beider Rechte, Mitglied der 
Societas literaria Germano-Benedictina und apoſtoliſcher Notar. 
Ebenfalls Mitglied der genannten Gelehrtengeſellſchaft und Verfaſſer 
eines vierbändigen Menologium Benedictinum in Folio, ſowie an⸗ 
derer geſchichtlicher und eines mathematiſchen Werkes war P. Magnus 
Steer (+ 1774). Legipontius nennt ihn solidiori disciplina clarus. 
Als Schulmann und Schulſchriftſteller betätigte ſich der zeitweilige 
Bibliothekar und Profeſſor am Lyzeum in Freiſing, P. Plazidus Calli⸗ 
gari. Für Dolksunterricht und Dolksfeelforge erwarb ſich der überaus 
tüchtige P. Karl Nack (+ 1828) große Derdienfte. Es gab kaum eine 
Aufgabe inner⸗ oder außerhalb des kloſters, die dieſer regeltreue, 
unermüdlich tätige Mann nicht mit Willigkeit und Geſchick über⸗ 
nommen und durchgeführt hätte. fünfundzwanzig Schriften, darunter 
viele Erbauungsbücher, tragen feinen Namen. P. Paul Gaffer gab 
zwei Predigten, P. Petrus Sonntag einige Schulreden u. a. in Druck. 
bindner führt im ganzen 21 Namen von Schriftſtellern auf. Rechnet 
man dazu noch die Tätigkeit vieler Patres als Profeſſoren am Sum⸗ 
nafium und an der Univerfität in Salzburg, am Lyzeum in Freiſing 
und ſpäter am Neresheimer GCyzeum Rarolinum ufw., jo wird man 
fagen müffen, daß die Neresheimer Benediktiner ihren anderen Mit⸗ 
brüdern nicht unwürdig zur Seite ſtehen. 

Aber geſetzt auch, das kloſter hätte in den Augen der gelehrten 
Welt nichts zu bieten gehabt, geſetzt es hätte wie die ſeltenen 
Wunderblumen der Sage in geiſtlicher und geiſtiger Schönheit ſeinen 
Blütenkelch nur dem Himmel erſchloſſen, ſo ſtünde doch ein Denkmal, 
das der Weite des Geiftes und der herzensfrohen Frömmigkeit der 
neresheimer Mönche ein glänzendes Zeugnis ausſtellt. Es iſt die viel⸗ 


f. Lindner, Studien und Mitteilungen aus dem Benediktiner ⸗ und Ciſterzienſer · 
orden VI, 2 (1885), 8. 12 ff. 


376 


gerühmte Rirche, in der Architektur und Malerei ihr Höchltes geleiftet 
haben, und wenn die Meiſter auch keine Neresheimer Mönche waren, 
fo war es doch der hier großgewordene Beilt, der das Werk mit inſpi⸗ 
rierte, überwachte und mit zäher Ausdauer durch Jahrzehnte hindurch 
im Geiſte der erften Unternehmer einheitlich vollendete und ausſchmüchkte. 

Außerdem iſt es überwältigend zu ſehen, daß Leute aus allen Be 
rufen, Gegenden, Befinnungen, Stellungen zum Alofter aufblicten. 
Das wäre unmöglich, wenn nicht die geiftige Kraft und Anziehung der 
Abtei nach nah und fern ihre Wirkung ausgeübt hätte. Was das zu 
Beginn dieſer Arbeit erwähnte Fremdenbuch, das auf der Bibliothek 
und für die Bibliothek auflag, in dieſer Hinſicht dem geſchichtlich 
Denkenden zu ſagen hat, liegt in den Angaben, die wir als Abſchluß 
unſerer Arbeit daraus noch zu machen haben. 

X 


Das Fremdenbuch gibt Namen und Stand jener Gäſte an, die 
feit 1788 die Bibliothek der Reichsabtei Neresheim durch ihren Befud 
beehrt haben: Nomina ac Dignitates illorum Hospitum, qui ab 
anno 1788. Imp. Mstrii Neresheimensis Bibliothecam Sua præ- 
sentia honorarunt. Die FJeit von 1788 bis 1802 war eine kurze 
Spanne. Dazu iſt das Klofter Neresheim vom Verkehr ziemlich ab⸗ 
gelegen. Trotzdem muß man billig ſtaunen, daß bei der Mangel⸗ 
haftigkeit der damaligen Verkehrsmittel eine fo große Zahl von Der: 
ehrern und Freunden der Abtei und des Ordens hier zugekehrt find. 
Mögen immerhin einige aus Schauluſt oder ſonſtigen Rüͤckſichten ge 
kommen fein, die Großzahl folgte der Anziehungskraft, die Tieres: 
heim als religiöfer Mittelpunkt der Land ſchaft und als Herd geiſtlicher 
und geiſtiger Bildung ausübte. Der Münſterturm, groß und feierlich 
ins weite Land hinausſchauend, verhieß den Dorüberziehenden Freude 
und Friede. Es gibt kaum einen Stand, der unter den Befudern 
nicht vertreten wäre. Geiftliche und Theologen, Generäle und Sol: 
daten aller Rangſtufen, liaufleute, Pharmazeuten, Portrait: und 
Biftorienmaler, Herzoglich⸗Württembergiſche Räte, kiaſtner, Organiſten, 
Sekretäre, Regierungsräte, Univerſttätsprofeſſoren, Hof⸗ und Legations: 
räte, Aupferftecher, Stuttgarter Hofprediger, Superintendenten, Biblio: 
thekare, Hrzte, Präzeptoren, Elaviermeifter,. Direktoren, Studenten, 
Hüttenſchreiber, Chorregenten uſw. löſten einander in bunter Reihen⸗ 
folge ab oder kamen an einem Tage zu dreien, vieren oder fünfen 
zu Beſuch. Außer den beſſeren Ständen der Nachbarſtädte Heiden: 
heim und Nördlingen waren es beſonders die Profeſſoren, bisweilen 
auch einzelne Alumnen der Univerfität Dillingen. Unter ihnen ver 


377 


dienen der Freund J. m. Sailers, Profeſſor Weber (29. Sept. 1789), und 
Chriſtoph Schmid (2. Sept. 1789) befondere Erwähnung. Chriftoph 
Schmid zeichnete als alumnus pontificius und beſaß eine Handſchrift 
ſo zierlich und gewinnend wie ſeine unvergänglichen Erzählungen. 

Der hohe Adel war nicht weniger gut Freund. Ihre Königliche 
Hoheit Friderike von Preußen, Herzog Friedrich von Sachſen⸗Hildburg⸗ 
hauſen, der Fürſt von Fürſtenberg und vor allem die Mitglieder des 
benachbarten Fürſtenhauſes Oettingen⸗Wallerſtein waren hier hohe 
Säfte. Vielleicht am häufigſten find die Eintragungen der Namen 
fürſtlicher Perſonen von Thurn und Taxis und deren Dienſtleuten. 
Aus dem Range der Grafen ſeien genannt die Namen derer von 
Adelmann, Beroldingen, Choifeul, Fugger⸗Glött, Künigl, Montmorenci, 
neipperg, Neiſach, Stauffenberg. Don Freiherren und ſonſtigen Edlen 
ſind mindeſtens fünfzig verſchiedene Familien vertreten, gewiß ein 
Beweis, mit welcher hochachtung das Gotteshaus von den Vornehmen 
behandelt worden iſt. Zur Auswahl einige Namen: Schenk von Ba= 
gern, Sudow, Imhoff, Sullburg, Auer, Weſtheim, Schiller, Falkenſtein, 
büttwitz, Raßler, Platen, Sternheim, Miller, Eroltzheim, Dolle, Horn⸗ 
ſtein, Dietterich, Wocher, Reiſchach, Streit, Reitzenſtein, Tröltſch, Schauen⸗ 
fee, Schweller, Mylius, Trützl, Srimmenſtein, Lerchenfeld. Doch fällt 
die Freundfchaft der klöſter und Orden aus nah und fern noch viel 
ſchwerer ins Gewicht als die beſten Empfehlungen von ſeiten der 
Bebildeten, Fürſten und Edlen. Da man annehmen muß, daß zumindeſt 
bei den Ordensmitbrüdern mit dem Beſuch zugleich eine entſprechende 
Saſtfreundſchaft verbunden war, bekommt man über dieſe in Neres⸗ 
heim geübte Art chriſtlicher Nächſtenliebe die beſte Dorftellung. Wie 
viele Brüder aus dem Orden des heiligen Franziskus, Obſervanten 
und kionventualen, Dominikaner, Zifterzienfer, Deutſchordensbrüder, 
Auguſtiner⸗Eremiten und ⸗Chorherren verehrten hier gemeinſam den 
hl. Benedikt. nicht zu reden von den Mitbrüdern aus den Abteien 
von nah und fern. Beſondere Lieblinge waren die ktapuziner. Man 
traut den Augen nicht, ſoviele Klöfter vertreten zu ſehen, deren Namen 
zum Teil ſchon unter den Ordensleuten ſelbſt in Dergeffenheit geraten 
find! Da find die Karmeliter aus Dinkelsbühl, Eremiten von Dau⸗ 
ingen, regulierte Chorherren von Schlehdorf, Dominikaner von Med⸗ 
lingen, Eichftätt, Kirchheim, Colmar und Mergentheim, Franziskaner 
von Smünd und Maihingen, Kapuziner von Ellwangen. Weitere Na⸗ 
men: Sankt Gallen, Diſentis, Ettal, Salzburg (Sankt Peter), Rhein⸗ 
au, Zwiefalten, Weingarten, Ochſenhauſen, Schöntal, Mallersdorf, 
Donauwörth (Heilig⸗ Kreuz), kaysheim, Sankt Mang in Füßen, Elchin⸗ 


378 


gen, Ursperg, Tennenbach, Kempten, Augsburg, Fultenbach, Tegernfee, 
Ottobeuren, Thierhaupten, Wettenhauſen, Isny, Jabern, Rehdorf, 
Marchienne, Luzeuil, Stapfenheim, Wiblingen, Einfiedeln, Neuburg. 
Die große Mehrzahl der angeführten Klöſter waren Abteien, deren 
Abte Neresheim zum Teil perſönlich beſuchten. Aus der Reihe de 
vierundzwanzig, die ſich eingeſchrieben haben, ſeien genannt: Robert 
von Elchingen, Plazidus von Deggingen, Robert von Salem, Gregor 
von Zwiefalten, Romuald von Ochſenhauſen, Xaver von Raysheim, 


Honorius von Irſee, Wikterp von Sankt Ulrich und Afra in Rugs⸗ 
burg, Friderich von Marchtal, Anſelm von Weingarten, Thaddäus 


von Roggenburg, Alois von Ursperg, Cöleſtin von heilig⸗Kreuz in 
Donauwörth und Dominikus von Beuron. 

Die traurigen Zeitläufte kamen im Fremdenbuch der Bibliothek 
zeitweiſe ſtarm zum Nusdruck. Nach dem 22. Juli 1796 komm 
plötzlich eine Lücke von über zehn Monaten und die Bemerkung: 


„Am 8. Auguft dieſes Jahres rückten bei uns die Franzoſen ein. 


Schon im Julius ging der damalige Bibliothekar und zugleich Ar 
chivar, P. Auguftin, mit dem Archiv nach Roggenburg ab, und ſpente 
gegenwärtiges Buch in einen Kaſten, deſſen Schlüſſel er zu ſich nahm; 
daher kommt es denn, daß von den vielen franzöſiſchen Generälen 
und Offizieren, die unfere Bibliothek während dem vierzehntägigen 
Aufenthalt beſichtigten, kein Name aufgezeichnet zu finden iſt. An 
9. Auguſt ward der Herr General en Chef Moreau mit dem ſpaniſchen 
General Sola und feinem Generaladjutanten Deffaiz in dieſer Bibliothek. 

Don hiſtoriſch hervorragenden Perſönlichkeiten dürfen außer einigen 
bereits genannten noch verzeichnet werden: Erzbiſchof und Aurfürf 
ktlemens Wenzeslaus von Trier, P. Plazidus Braun, der ſich als 
Schriftſteller einen Namen erworben hat, Roman Zängerle, Mönch 
von Wiblingen und ſpäter Fürſtbiſchof von Seckau. Ein Mann von 
ganz beſonderer Art kam auf das Feſt Peter und Paul 1788 von 
kilein⸗Erdlingen herüber. Es ſchrieb ſich Johannes Lauter, Agricola, 
und fügte feinem Namen ein hebräiſches Zitat bei; der Bibliothekar 
aber ergänzte es durch ein äußerſt ehrendes lateiniſches Encomium. 
Wir erfahren hier, daß dieſer dreißigjährige, noch unverheiratete junge 
Mann, obgleich auf dem Lande geboren und erzogen, ſich dank feiner 
Beiftesanlagen und feiner Gernbegier ganz allein durch Gefen und lach 
denken zu einem erſtaunlichen Wiſſen auf allen Gebieten emporarbeitete. 
Dazu war er äußerft kundig in Fragen des Lebens, von guten Formen 
und ſchlichter Seſinnung, ein wahres Wunderskind, phænomenon 
prorsus singulare. N 


379 


Nun find fie alle längſt vom Schauplatze verſchwunden, die Mönche 
und ihre Freunde, die Gelehrten und die Lernenden, die Bewunderer 
und die Bewunderten. Aber nach hundert Jahren ſtiller Raſt geht 
wieder ein Flüſtern durch den der Wiſſenſchaft heiligen Raum, das 
von einem neuen Frühling des Klofters redet. In der Tat kann man 
dieſen Ausdruck anwenden. Rückblickend wird man ſagen dürfen: 
die vergangenen hundert Jahre waren ein troſtloſer Winter, die zweite 
Hälfte des 18. Jahrhunderts mit ihrem kloſterfeindlichen Geiſt auf der 
einen und der geiſtigen Ergiebigkeit auf der anderen Seite war ein 
erntefroher, zugleich aber auch unwirtlicher herbſt für das klöſterliche 
Geben, nachdem ihm in der Arbeit, den Widerwärtigkeiten, Erfolgen 
und Errungenfchaften der vorausgehenden Jahrhunderte ein holder 
Frühling und ein fruchtbarer Sommer beſchieden geweſen war. Die 
ſchönen Jahreszeiten ſollen ſich jetzt wiederholen. Soweit es in der 
Macht der Neubegründer Neresheims liegt, werden dieſe am Geſchaffenen 
weiterbauen und aus der Geſchichte lernen. Ein ſtilles und zugleich 
raſtloſes, zielbewußtes und geläutertes Streben nach dem Fiel des Berufes 
wird hoffentlich der Weg zu dauernder Blüte und reicher Geiſtesernte 
ſein zum Frommen des Landes und zur Erftellung jenes Gottesbaues, 
von dem der materielle ein Sinnbild iſt. 

Im Jahre 1806 trug J. A. Schreiber, Polizeikanzlift in Nördlingen, 
ſeinen Namen ins Fremdenbuch ein. Darunter ſetzte er den Denkſpruch: 
Non si male nunc, olim sic erit / Steht es nun auch gar ſchlecht, 
wird es nicht immer fo fein. Er hat bezüglich e und ſeiner 
geiſtigen Auferſtehung recht behalten. 


rere 
209 000000000 0 004 0000000 000200 0000900000000 09000 essere “oo... vo... “.... “n.n.0000.04un. 


Ein Wort des hl. Bafılius von der Gottesliebe. 


Wie das vierte Kapitel der Mönchsregel des hl. Benediktus mit dem chriſtlichen Doppelgebot der 
Siebe anhebt, fo auch die „Rusführllchen Regeln“ des heiligen ftirchenlehrers Bafılius (T 379), den Benediktus 
als feinen Vater hörte und ehrte. In der Antwort auf die zweite Frage lehrt dort der große fappadokler: 


„Die Liebe zu Gott wird fürwahr nicht durch äußere Belehrung beigebracht. Wir 
haben ja weder die Freude am Licht noch die Sorge ums beben von einem anderen 
angelernt, und die Eltern und Ernährer zu lieben, lehrte uns auch nicht erſt ein 
Uebenmenſch. Gleicherweiſe nun — oder noch viel mehr — kömmt auch die Unter⸗ 
weiſung zur Gottesliebe nicht von außen her, ſondern zugleich mit der Erfchaffung 
des bebeweſens — des Menſchen will ich ſagen — wird uns ein gewiſſes Reimgebilde 
eingeſenkt, das von hauſe aus die Triebkräfte befigt zur Aneignung der Liebe. 
Diefen Keim greift die Schule der göttlichen Gebote auf, pflegt ihn ſorgſam, zieht 
ihn kundig groß und führt ihn mit Gottes Gnade zur Vollendung.“ 


\ (Der griechiſche Urtegt in der Mauriner Baftlius-Ausgabe Bd. IL, Paris 1722, 8. 236 BC. 
Überf. von P. A. Manſer.) 


380 


Rleine Beiträge und Hinweiſe 
Die Feſtſchrift für Albert Ehrhardt. 


Ju beſonderem und ſchönem Maße iſt es dem deutſchen gebildeten Sinn und Gemüte 
eigen, Stätten und Quellen, von denen Religion, Kunſt und Wiffen kamen, mit 
einer Art andächtiger huldigung zu ehren. Gleiches zeigt ſich gegenüber führenden 
Perſönlichkeiten im Reiche der vornehmſten Bildungswerte. Jeugen dafür find fo viele 
ernſte wiſſenſchaftliche Feſtſchriften, die ſich als Huldigungsgaben an ſolche Männer 
ausweiſen. Wohl Raum irgendwo ift bislang dieſer Zweig des Buchweſens fo auf- 
geblüht wie gerade auf dem Boden deutſcher Sprache und Empfindungsart. Dem ver: 
gleichenden Beobachter der zahlreichen Gattungen wiſſenſchaftlicher Beröffentlichungen 
verſchiedener bänder mag ſich darin ein Merkmal deutſcher Geiftespflege offenbaren 


und abfpiegeln. Beim ſchmerzlichen Schwinden gelehrter Zeitfchriften und verwandter ° 


Sammelpunkte kleinerer Facharbeiten kann gerade die beliebt gewordene Gattung 
der wiſſenſchaftlichen Feſtſchrift manche derartige Arbeit retten und hervorrufen und 
damit das hart mitbedrängte Weiterleben gelehrter Forſchung und Belehrung ſtützen 
und fördern. Wie viel liegt auf dieſe Weiſe geborgen z. B. in der außerordentlich 
ſtattlichen „Ehrengabe deutſcher Wiſſenſchaft“ an Prinz gohann Georg, Herzog zu 
Sachſen (Herder, 1920). 

Am heurigen 14. März konnte der Geheime Regierungsrat und Bonner Hochſchul⸗ 
lehrer Prälat Dr. Albert Ehrhard feinen ſechzigſten Geburtstag feiern. Per ſon und 
name des weltbekannten Gelehrten find mit dem neuen Auffhwung und der Pflege 
der katholiſchen hiſtoriſchen Theologie auf deutſchem Boden und darum auch für 
immer mit ihrer Geſchichte tief und leuchtend verflochten. Eindrucksvoll belegen das 
allein ſchon die Vorworte dreier angeſehener und vielbändiger Studienſammlungen, 
an denen Albert Ehrhard gründend und ratend, leitend und mitarbeitend beteiligt war 
und blieb. Es ſind die erloſchenen „Straßburger Theologiſchen Studien“ (bei Herder), 
die mit dem mitfeiernden Prälaten Profeſſor Dr. J. Peter Rirſch herausgegebenen 
„Forſchungen zur chriſtlichen Giteratur= und Dogmengeſchichte“ (erſt bei Fr. Kirchheim 
in Mainz, jetzt bei F. Schöningh in Paderborn), und ſodann die „Theologiſchen Stu⸗ 
dien der Peo⸗Geſellſchaft“ (Wien, bei Mayer & Co.). Das vierte heft letzterer Samm- 
lung trägt eine beſondere Wiömung an Albert Ehrhard. Im Vorwort wird fie klar 
begründet. Der nunmehrige Münchener Kardinal⸗Erzbiſchof Michael von Faulhaber 
bekennt dort (8. IX) 1902 warm und offen: „Eine... große Dankesſchuld habe ich 
in der Widmung meines Buches öffentlich anerkannt: Prälat Profeſſor Albert Ehr- 
hard hat mir die erſte Anregung zu den Catenenftudien überhaupt gegeben, hat 
ſeitdem die Fortfegung dieſer Studien in hochherziger Weiſe ideell und materiell unter- 
ſtützt, ſchließlich auch die Aufnahme dieſer Arbeit in die Theologiſchen Studien der 
beo⸗Geſellſchaft gütig befürwortet und mich fo in vielfacher Weiſe zu Dank ver⸗ 
pflichtet“. Und Ähnliches verrät fi noch an gar manchen anderen Stellen. 

Dank, Siebe und Verehrung haben trotz ſchweren hemmenden Zeiten zum Gedenk- 
tage des berühmten und geliebten Lehrers, Forſchers und Schriftſtellers eine mannig⸗ 
faltige und wertvolle Feſtgabe zu bieten vermocht: zur Freude nicht allein dem 
Gefeierten, ſondern auch den Mitpflegern und Freunden feiner Forſchungsgebiete. 
Als ſolche hebt ſchon der Titel der gelehrten Feſtgabe treffend hervor: das grund⸗ 
legende chriſtliche Altertum und das in der griechiſchen Oſtkirche ſich unmittelbar 
daran anſchließende buzantiniſche Schrifttum. Von letzterem beſitzen wir ſeiner theo- 
logiſchen Sparte nach ſeit 1897 aus der hand Ehrhards die erſte geſchichtliche Dar- 

I Beiträge zur Seſchichte des chriſtlichen Altertums und der Byzantiniſchen Litera- 


tur: . .. herausgegeben von Dr. A. m. Roeniger; Kurt Schroeder, Verlag, Bonn und Leipzig 1922 
V und 501 SS. in Octav. 


ST 3 * 1 * ef ad Lan DEE un 1 _ -. 


381 


ſtellung in R. &rumbaders Geſchichte der buzantiniſchen Literatur. Möchten recht 
viele TCheologieftudierende wenigſtens den lichtvollen Vortrag Ehrharös von 1895 
über „Die theologiſche Literatur der griechiſchen Kirche von Johannes von Damaskus 
bis zum Falle Konſtantinopels“ Rennen lernen. Dieſer lehrreiche Abriß, im 6. Band 


(1896) der Paſſauer Theologiſch⸗praktiſchen Monats-Schrift (8. 1— 15; 8. 95 — 110) 


zugänglich, ſchließt mit Anführung dankbarer einſchlägiger Aufgaben, die von Seite 
der Wiſſenſchaft mitbeitragen ſollen zur erſehnten Wiedergewinnung der urſprüng⸗ 
lichen Einheit der morgen⸗ und abendländiſchen Kirche. Dieſe Sehnſucht kommt 
zu vollem und wahrhaft ergreifendem Klingen in Ehrhards großer Wiener Rede 
von 1898: „Die orientaliſche Kirchenfrage“ (Wien und Stuttgart, 1899). Die Fälle 
und Beiſpiele mögen wohl ſelten fein, wo die Bedeutung und Heilkraft geſchichtlichen 
Sinnes und Wiſſens, wie der Unſegen ihres Abganges fo handgreiflich gemacht iſt 
wie hier. Man wird bei dieſer hohen und weiten Betrachtung an das Wort des 
heiligen Paulus an die rõömiſche Chriſtengemeinde gemahnt: „Das Trachten des Geiftes 
aber ift Geben und Frieden“ (8, 6). 

Unter den vierundzwanzig Beiträgen der Feſtſchrift nehmen die buzantiniſchen die 
Aufmerkfamkeit in befonderen Anſpruch. Im fünften Beitrage bietet da Fr. Drezl 
fogar einen neuen kritiſchen Text des Traumbuces des Patriarchen Tlikephoros von 
Konſtantinopel (806 - 815). Im fünfzehnten Beitrag ſpendet Paul Maas, wieder 
nach handſchriftlichen Jeugen, etliche Dichtungen des hervorragenden buzantiniſchen 
Myſtikers Symeon (etwa 960 — 1040). Husgehobene Teile der breiten volkstümlichen 
Modeſtoslegende des epheſtniſchen Erzbiſchofs Nikolaos Mesarites veröffentlicht und 
behandelt Auguſt Heiſenberg im zehnten Beitrag. Der heilige Modeſtos, dem die 
begende gilt, erſcheint als. beliebter und allbewährter Patron des kranken Diehes 
und darum als buzantiniſcher Bauernheiliger. Eine Frau 3. B., deren fünf Rinder⸗ 
geſpannen er geholfen, ehrt fein Grab mit Weihrauch und Murrhe, mit Lampen und 
kierzen (8. 225). Wohltuend ſpürt man an dieſem Beifpiel, wie ſelbſt im zwölften bis 
oreizehnten Jahrhundert neben dem buzantiniſchen Hof» und Selehrtenſchrifttum auch 
ein volkstümliches emporkeimte. In der vorausgehenden neunten Hummer macht 
Georg Graf einen volksarabiſchen alten Gegendentegt vom heiligen Märtyrer Pappus 
und ſeinen vierundzwanzigtauſend Gefährten in Überſetzung bekannt. Fein berührt 
hierin u. a. der allerdings übernommene Zug, nach Oſten gewendet den Schwertftreich 
zum Todesopfer für den Chriſtusglauben zu empfangen (5.208, $ 25). 

Im griechiſchen Urtext, mit erklärender Übertragung und rechtsgeſchichtlichen Erläu- 
terungen, legt in Ur. 22 Leopold Wenger feſſelnd ein chriſtliches Freiheitszeugnis aus 
Ägypten vor, anhebend: „Es iſt aller Welt ganz offenſichtlich, daß die den Menfchen 
von oben (gegebene) und von der Hatur zugebilligte Freiheit weder langer Jeitablauf 
noch eingetretener Irrtum verringern können“ (S8. 458). Diefe Bapyrusurkunde wird 
in die Jeiten K. Juſtinians und ſomit auch des heiligen Benedikt gehören (S. 475). 
Sie berührt auch die Geſchichte des Rönchtums. Eines feiner damaligen Vorrechte 
im Oſten war, daß der aus unfreiem Stande zum Mönchtum Übertretende damit 
von ſelbſt in den ſtaatsbürgerlichen Edelftand der Freien aufrückte, während doch der 
Mönch ſich ſelber in weitem Umfang der perſönlichen Freiheitsbetätigung begab. 

Für Mönchtum und Ägypten ift aber vor allen der elfte Beitrag von Wilhelm 
Bengftenberg von Belang: Pachomiana, mit einem Anhang über die Liturgie von 
Alexandrien. In den deutſch mitgeteilten koptiſchen Tezten treten in den Vorder⸗ 
grund der heilige Generalabt Horfiefius und die alexandriniſche Tauforönung. 
Ausſchließlich der Citurgiegeſchichte iſt der dritte Beitrag von Anton Baumftark ge⸗ 
widmet: Viturgiſcher Uachhall aus der Derfolgungszeit. Der Derfaffer, der beinahe 
gleichzeitig ſeine wohl bahnbrechende Seſchichte des alten ſuriſchen Schrifttums der 
Öffentlichkeit übergeben ſah, ſpendet hier neues Licht vorab über die feierlichen 
Fürbitten des Karfreitags (ogl. bef. 8. 64 ff.). Stoff zu ähnlichen Beobachtungen 
und Schlüffen birgt auch der Gebeteſchatz der altmailändiſchen Gottesdienftorönung. 


382 


dum liturgiegeſchichtlichen Ertrag der Feſtſchrift zählt auch ihre zwölfte Abhandlung 
von Prälat Johann Peter KRirſch. Sie hellt das Abhängigkeits verhältnis des foge 
nannten Marturologium Hieronymianum von der römiſchen Depositio Martyrına 
von 354 auf und damit auch die ſtadtrömiſche Feſtgeſchichte. Für die alte fortlaufende 
Evangelienlefung im Gottesdienft (lectio continua) dürften die Ausführungen Heinrig 
Vogels zur Texteinteilung in altlateiniſchen Evangelienhandſchriften wenigſtens mittel 
bare Berückſichtigung verdienen, während fie den Bibeltertforſcher unmittelbar au 
gehen (Ur. 21). Giturgifhe Kunft und Symbolik wird mehrfach in der ſchlichtenden 
Abhandlung von Walter Rothes geſtreift (Ir. 18): Heidniſches in altchriſtlicher Ruuſt 
und Symbolik. 

Uber eine Reihe von Jahrhunderten erſtrecken ſich die dreizehn Analecta sacza 
et profana von Carl Weuman. Es finden fi hier erleſene Beobachtungen wie zu 
den heiden Cicero und Salluft, Quintilian und Rpuleius, fo zu den chriſtlichen Schrifte 
ſtellern Gregor von Elvira und Hieronymus, Auguftinus und Sulpicius Severus, 
Eucherius und Sedulius, uſw. UHiemanden erſcheinen derartige Kleinigkeiten kleinlich. 
der meint, ohne das Kleine könne man das Große nicht haben. 

Sehr zeitgemäß ift der heilige Ephräm, der neueſte Rirchenlehrer des römiſchen 
Feſtkalendarium, mit zwei Studien bedacht (Ur. 6 und 7). Adolf Duroffs Unter 
ſuchung zu Ephräms (2) Rede über: „Alles ift Eitelkeit und Seiſtesplage“ ſteht in 
Dienſt der geiſtesgeſchichtlichen Kernfrage nach der Berührung zwiſchen Chriftentum 
und Griehentum. Wie las der große oſtſuriſche Kirchenvater in feinem Diateffarontegt 
die Hauptſtelle bei Matthäus 16, 18 für den apoſtoliſchen Vorrang Petri? Nahen 
gleichlautend mit dem Ranoniſchen Text, ſagt das Gefamtergebnis der umfaſſenden 
und bedeutfamen Erhebungen Sebaftian Euringers. 

Innerlich verwandt mit der genannten ift die einnehmende Eröffnungsabhandlung 
der ganzen Feſtſchrift von Karl Adam über das berühmte Wort des heiligen Rugu- 
ſtinus vom 23. September 417: „Caussa finita est (die ſchwebende Streitfrage if 
jetzt grundſätzlich entſchieden)“, in der hunderteinundoͤreißigſten Predigt (im zehnten 
Abſchnitt nach der Maurinerausgabe), gegen die Pelagianer. „Erft feit den Aus 
einanderſetzungen mit den Pelagianern wird Ruguſtin ein einwandfreier Zeuge für 
den Pehrprimat des apoſtoliſchen Stuhles. Er entnahm dieſes Zeugnis nicht der 
Bibel, ſondern der Tradition“ (8. 22). Die hier angezogene Stelle aus den Wider⸗ 
rufungen Auguftins mit den wichtigen Ambrofiusverfen bietet die kritiſche Diener 
ausgabe (1902) von Pius Anöll im erſten Buch, Rap. 20, Ur. 2 f., 8. 97 f. Don 
einer anderen Seite her beſchäftigt ſich die dreizehnte Abhandlung mit dem päpſtlichen 
Primat. Sie ſtammt vom Leiter und Herausgeber des Feſtbandes. Albert Michael 
Roeniger zeichnet das Werden des feſtſtehenden kirchlichen Rechtsgrundſatzes: Prima 
sedes a nemine iudicatur: Der apoſtoliſche Stuhl unterſteht keinem dies ſeitigen Be 
richt. Bald nach der Bulle Unam sanctam von 1302 hat die Formel bleibende Geftalt 
gewonnen (8. 300). Der durch große Quellenveröffentlichungen über die tridentiniſche 
Rirchenverſammlung bekannte und verdiente Sebaftian Merkle widmet Ehrhard ein 
Bild vom hervorragenden und anziehenden Rardinal Wilhelm Sirleto als einem 
patriſtiſchen Gewährsmann des Tridentinums (Ur. 16). 

Unter den väterkundlichen Beiträgen ſtechen einige von ſittengeſchichtlichem Belang 
hervor: Glaube und Praxis im Frühchriſtentum, von Alfons Schenz (Ur. 19); dur 
Frage des Sozialismus und Kommunismus im Chriftentum der erſten drei gahr⸗ 
hunderte, von Andreas Bigelmair (Ir. 4); die Güge in der patriſtiſchen Viteratur, 
von Franz Martin Schindler (Ur. 20); Der Wucherbegriff in des Pſeudo⸗ Chruſoſtomu⸗ 
Opus imperfectum in Matthaeum, von Franz Fehentbauer (Ur. 24). Ambroſius, 
dem großen hoheprieſterlichen behrmeiſter chriſtlicher Gebensgeftaltung, ift eine Sonder» 
ſtudie geweiht, die feine unvergleichlich vornehme und innige Trauer- und Troſtrede 
auf ſeinen heiligen Bruder Saturus zum dankbaren Vorwurf nahm; ſie entſtammt 
der Feder von Paul Bruno Albers (Ur. 2). Durch ein eingeſprungenes Romma 


eh e in 


383 


zwiſchen Flavius und Joſephus auf 8. 47 erſcheint die Dorbilderzahl dort zu hoch. 
Allgemein und lehrgeſchichtlich iſt hinwieder die Darſtellung von Joſeph Portz: Das 
Chriſtentum als Monotheismus in den Rpologien des zweiten Jahrhunderts (Ir. 14). 
Der überragende Slaubensanwalt des dritten Jahrhunderts, Origenes von Alezan- 
örien, nimmt im fiebzehnten Beitrag eine einfame Stellung ein. Er behandelt eine 
hohe und bewegende Frage der alten griechiſchen Philoſophie: die Gehre von der 
ewigen Wiederkunft aller Dinge. „Eine chriſtliche Perſönlichkeit iſt je och zu nennen“, 
ſagt hans Meyer 8. 368, „die die Lehre von der ewigen Wiederkunft aller Dinge 
als Rernſtũck in ihre Weltanſchauung aufgenommen hat, und das iſt Origenes, 
ein Mann, der auch ſonſt antik-philofophifcher Denkart feinen Tribut gezollt hat“. Don 
dieſer geschichtlichen Erkenntnis aus wird die Spannung zwiſchen dieſer perſönlichen 
Anſchauung des tieffrommen und geiſtesmächtigen Hlexandriners und der überlieferten 
reinen Rirchenlehre um vieles verſtändlicher. Über die lateiniſchen mittelalterlichen 
Überſetzungen des neuplatoniſch beeinflußten und gefärbten Pfeudo-Dionyfius 
Areopagita gibt Martin Grabmann im achten Beitrag neue wertvolle Nufſchlüſſe. 
Am meiſten erregen die über Johannes Sarracenus Aufmerkfamkeit, der mit einem 
Abte Odo von Saint⸗Denis in Beziehungen ſtand (8. 185 f.). 

Außerhalb des Rahmens der vorgeführten Feſtſchrift hat Fr. J. Dölger dem Jünger 
Giovanni Battista de Rossis und hohen Freund der monumentalen Theologie eine 
gar Roſtbare Gabe mitgewidmet: den geſondert ausgegebenen krönenden Schlußteil 
des zweiten Ichthus bandes: „Die Luchariſtie nach Inſchriften frühchriſtlicher Zeit“ 
(Münſter, 1922). Wie dieſe, ſo kamen die meiſten anderen Feſtgaben aus prieſterlichen 
Händen. Das freut einen für den Mann, der im Geleitwort zur dritten Ausgabe 
(1909) von Fr. Hettingers klaſſiſchem „Timotheus“ ausſpricht, „daß der katholiſche 
Prieſter nur dann geiſtlich leben kann, wenn er zugleich ein intenfives geiftiges 
Geben führt“ (8. XI). 

Die reiche Feſtſchrift ſpiegelt mittelbar die fachwiſſenſchaftliche Tätigkeit und An⸗ 
regungskraft des Gefeierten wieder. Überdies verdankt man ihm neben kultur ⸗ 
philoſophiſchen eine Reihe nach Gehalt und Form geſchätzter Schriften für weitere 
Gebildetenkreife zur Pflege des religiöfen und geiftigen Lebens: fo das „Vaterunſer“ 
(Mainz, 1912), „Das Chriſtusproblem der Gegenwart“ (ebenda, 1914) und vor allem 
„Das religiöſe Geben in der Ratholiſchen Kirche“ (Herder, 1904). Man läßt nicht 
gern etwas von dieſem geſchichtsphiloſophiſch denkenden Erforſcher chriſtlichen Schrift ⸗ 
tums und Lebens ungeleſen, fo wenig etwa wie von einem Möhler. Wer das Glück 
hat, in der Stammabtei von Monte ⸗Caſſino fein klöſterliches Urheim verehren zu dürfen, 
wird ſich auch immer wieder dankbar an Ehrhards erhebende kulturhiſtoriſche Skizze 
im erften Band der „Kultur“ erinnern (Wien, 1899, 8. 14 — 31, und 8. 102 — 117). 

P. Anfelm Manfer (Beuron). 


Dom Germain Morin und Dom Ursmer Berliere 
zur literariſchen Eigenart der Benediktinerregel. 


n einer ausführlichen Beſprechung der neuen Textausgabe und philologiſchen 

Erklärung der „Regula Ronachorum“ von P. Benno Ginderbauer ſpricht einer der 
großen Meiſter in der Erforſchung der altchriſtlichen Citeratur, Dom Germain 
Morin 0. 8. B., feine perſönlichen Eindrücke und Überzeugungen über die Regel 
des hl. Benedikt und ihre eigenartige Schönheit und Größe auch rein als Schrift⸗ 
werk in ſehr beachtenswerter Weiſe aus. Wir möchten verſuchen, die feine Seite, 
die in der „Revue bénédictine“ 34 (1922) 122 f. zu leſen iſt, in deutſcher Uberfegung 
zu bieten. Im hinblick auf die manchmal zu beobachtende Ueigung, faſt alles 
Schöne und Kraftvolle der Regel durch Entlehnung aus früheren Schriftwerken zu 
erklären, ſchreibt der feinſinnige Gelehrte alſo: 


384 


„Ich bin immerhin einigermaßen mit dem lateiniſchen Schrifttum des frühen 
Mittelalters vertraut — und ich bin feſt überzeugt, daß der Verfaſſer der Mönds- 
regel trotz feines angeblichen Mangels an Urfprünglichkeit feinen eigenen Stil hat, eine 
wahrhaft eigentümliche Sprache, die den übrigen Werken dieſer Art durch die Bündig⸗ 
Reit, die Klarheit, die Kraft und die ganz und gar römiſche Größe überlegen ist 
Es ift mir faſt unmöglich, daraus ein Kapitel, einen Abſchnitt leſen zu hören, ohne 
in mir ein Gefühl zu empfinden, das keine andere Gefung, abgeſehen von der des 
Evangeliums und einer ſehr kleinen Zahl von Erzeugniſſen des chriſtlichen Geiſtes, 
in gleichem Maße hervorruft. Man wird ſagen, daß ich, obwohl ein ſchlechter Mönch, 
oͤoch Mönch bin: aber man braucht nicht die Kutte zu tragen, um die Wahrheit 
oͤeſſen zu empfinden, was ich hier ſage. Als ich im herbſt 1900, gedrängt durch 
das NUahen der Kirchweihe, die am 11. November auf dem Aventin ſtattfinden ſollte, 
zu Rom in der Tipografia del Senato eilends an der Durchſicht der letzten Druck; 
bogen des caſſinenſiſchen Regelteztes arbeitete, der aus jenem Anlaß veröffentlicht 
wurde, hatte ich als Gehilfen einen Angeſtellten des Hauſes, einen alten, ſehr gefcheiten 
Saribaldianer, der im Datein recht gut zuhauſe war. Dieſer Mann, den ich für 
ſolche Eindrücke unzugänglich geglaubt hätte, konnte ſich nicht enthalten, mir ſeine 
HBegeiſterung und die große Freude zu bezeugen, die ihm dieſe Arbeit bereitete: ‚Des 
ift‘, ſagte er mir, ‚das Beſte an römiſcher Sprache, das ich ſeit langem gekoftet 
habe‘. Ein einfacher Buchdrucker erkannte ohne weiteres das, was vielen in genanefte 
Unterſuchungen vertieften Berufsphilologen entgangen zu fein ſcheint, und nicht mr 
den Philologen, ſondern auch einem Geſchichtsforſcher von der Bedeutung eines 
Heinrich Schrörs: wenigſtens muß man P. Linderbauer dafür Dank wiſſen, daß et 
da und dort offen Stellung genommen hat gegen gewiſſe vorſichtig aufzunehmende 
Behauptungen und Anſichten des Bonner Profeſſors.“ 

Im gleichen Heft der Revue benédictine, Seite [37] — 40] des Bulletin d ancien 
litterature chrötienne latine, legt Dom Germain Morin einige Gedanken vor über 
den Guellenwert der Regula und des zweiten Buches der Dialoge des hl. Gregor d. 6t. 
für ein geſchichtlich begründetes Charakterbild des hl. Benedikt. Den Anlaß dazu 
gab Profeſſor Schrörs’ Auffa „Das Charakterbild des hl. Benedikt von Uurſta und 
feine Quellen“ (Jeitſchrift für Ratholiſche Theologie 45 [1921] S. 169-207). Au 
in dieſer ſcharfſinnigen und inhaltsreichen Hußerung Morins finden ſich ſehr bemer⸗ 
Renswerte Darlegungen über Art und Stil der Mönchsregel. 

„Auch jetzt noch glaube ich, daß die Benediktinerregel, trotz allem, was man 
ſagen mag, eine im höchſten Maße perſönliche Schrift iſt, in der faſt jede Seite 
durch irgend eine Stelle die Eigenart ihres Derfalfers verrät. Es ift ein falſches 
und unzuläſſiges Verfahren, unter dieſem Geſichtspunkte den alten Regeln die neueren 
ltonſtitutionen mancher religiöfen Genoſſenſchaften gegenüberzuſtellen: jeder, der ein 
wenig belefen ift, wird leicht die ganz verſchiedene Art unterſcheiden, die beiſpiel⸗ 
halber aus den Regeln des hl. Cäfarius von Arles, des hl. Kolumban, der Regula 
Magistri uſw. ſpricht. Ich möchte ſogar behaupten, daß die Gefebücher diefer Art 
manchmal eine um fo perſönlichere Note aufweiſen, in einer um fo weniger kon 
ventionellen und künſtlichen Sprache abgefaßt find, je weiter man ſich von der 
neueren Jeit entfernt. Aweifellos finden ſich Entlehnungen in der Regel. aber mau 
hat fie bereits hinlänglich aufgezeigt, um es von vorn herein wenig wahrfdeinlid 
erſcheinen zu laſſen, daß man künftig noch viele neue entdecken werde; und unter 
dieſen Entlehnungen finden ſich ſehr wenige, die man eigentlich textliche Entlehmungen 
nennen könnte, ganz gewiß nicht genug, daß dadurch die urfprüngliche Eigenart des 
Ganzen merklich beeinträchtigt würde. Man ſchäle die Leitgedanken der Predigten 
Boffuets heraus und ſcheide jene aus, die faſt wörtlich aus dem hl. Auguſtinus und 
aus Tertullian entlehnt find, und man wird ſtaunen, wie wenig übrig bleibt; und 
doch wird es niemand einfallen, zu beſtreiten, daß eine hohe und mächtige Perſön · 
lichkeit faſt aus jeder Seite, ja aus jedem Ausdruck des einzigartigen Reöners ſpricht 


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385 


So kann ich es mir auch nicht vorftellen, daß ein geiſtig ſcharfſichtiger menſch, der 
mit der altchriſtlichen Literatur vertraut iſt, nicht auf den erſten Blick das erfaffe, 
was in Gedanken und Ausdruck die Sonderart der Regel iſt, und was ihr in ver- 
hãltnismãßig kurzer Zeit für Jahrhunderte die unbedingte Überlegenheit über alle 
verwandten Regelbücher ſicherte, obwohl dieſe zumteil von beſſer bekannten, einfluß- 
reicheren und nicht weniger vorbildlichen und heiligen Männern herrührten“ 8. [38]. 

„Ich gebe zu, daß die Schriften eines Menfhen es nicht immer ermöglichen, ſich 
eine angemeſſene Dorftellung von feiner Eigenart zu machen; und wirklich, wer 
kann den Grund der Seelen erkennen außer Dem, der fie geſchaffen? Es hat Schrift 
ſteller gegeben, deren Charakter viel zu wünſchen übrig ließ, und deren literariſche 
Werke nur die gute Seite, das, was ſie ſein oder ſcheinen wollten, ſichtbar werden 
laſſen, mehr als das, was fie waren. Aber das find Ausnahmen: gewöhnlich er- 
kennt man das ſeeliſche und ſittliche Antlitz eines Nenſchen an dem, was er ſchreibt, 
und an der Art, wie er ſchreibt. Uicht jeder kann dieſen Charakter leſen, ähnlich 
wie die handſchrift nur einer kleinen Zahl geübter Schriftdeuter wirklich etwas 
offenbart. Aber fo viele Jahrhunderte hindurch haben ſich die edelften Geifter der 
chriſtlichen menſchheit die Mühe gegeben, die Hauptzüge herauszuheben, die in der 
Regula monachorum hervorleuchten, und es zeigt ſich, daß fie darin Übereinkommen, 
in dem Derfaffer diefes kleinen Buches eine durch und durch eigenartige Geftalt von 
großartiger und klar beſtimmter Linienführung zu erkennen“ 8. [40]. 

hnlich wie Dom Germain Morin äußerte ſich bereits vorher deſſen hochangeſehener 
mitbruder Dom Ursmer Berlière, der gelehrte Erforſcher der Mönchsgeſchichte. 
Im Bulletin d'histoire benedictine (Rev. bened. 34 [1922] 1. Heft) 8. 382“ — 384“ 
beſpricht er die von Profeſſor Schrörs aufgeworfenen Fragen und ſchreibt dabei von 
der Regel des hl. Benedikt unter anderem wie folgt: 

„Die Regel des hl. Benedikt iſt etwas ganz anderes als eine Kompilation, eine 
Juſammenſtellung fremden Gutes. Wie Kürzlich P. Delehaue im Hinblick auf die 
‚Übungen‘ des hl. Ignatius ſehr gut gefagt hat: ‚Die Ursprünglichkeit eines Schrift⸗ 
ſtellers beſteht nicht darin, daß er von niemand abhängt. Es gibt Leute, denen der 
literariſche Sinn derart abgeht, daß fie aus dem Studium der Quellen Shakeſpeares 
folgern, dieſer Dichter werde alles in allem genommen ſehr überſchätzt und müſſe 
als Hbſchreiber behandelt werden‘ (Anal. Boll. 39, 8. 441). Was die ‚Übungen‘ für 
die Jeſuiten find, das iſt die Regel für die Mönche. Weniger methodiſch in ihren 
Ainorönungen, iſt fie trotzdem voll geiftiger Kraft und Gehrweisheit. Wer fie etwa 
für eine Zufammenftellung fremden Gutes hält, kann fie nur oberflächlich durch⸗ 
forſcht haben. Um fie aber wirklich zu kennen, um ihre ganze behrweisheit zu 
würdigen, um die ganze afzetifhe Kraft zu entdecken, die in ihr ſteckt, muß man 
fie gelebt, geübt, betrachtet haben — ſolche Beſchäftigung mit ihr wird im Laufe 
der Jahre immer lebendiger und lohnender —, man muß auch ihre Wirkung im 
beben anderer Seelen erfahren haben, um all das zu gewahren, was fie an Licht 
und Wärme dort hineinzulegen vermag. Aus ihr erneuert das Mönchtum fort und 
fort feine Jugend; fie ift der immer friſche Quell, an dem es trinkt, um ſich zu 
erquicken und zu ſtärken. Beweis ſei hier nur das ſtetig wachſende Intereſſe, von 
dem zahlreiche in den letzen Jahren veröffentlichte Werke zeugen. Jeder, der im 
vertrauten Umgang mit dieſer Regel gelebt hat, iſt erſtaunt über die Weisheits⸗ 
fülle, die fie enthält, und irgend ein kleines Kapitel, irgend ein kleiner Satz über 
den Gebetsgeiſt, die brüderliche Giebe, den Gehorſam ufw. wiegt ihm lange belehrende 
Abhandlungen über dieſe Gegenftände auf. Es finden ſich in ihr feingeprägte Sätze, 
wahrhaft packende Worte; das find keine Entlehnungen, das ſind Äußerungen einer 
Perſönlichkeit, eines Charakters. hier haben wir Erfahrungsweisheit vorzüglichfter 
Art“ (8. 383 ). 

B. Daniel Feuling (Beuron). 


386 


Der Seelſorgsklerus und die Pflege der Liturgie. 


J. öſterreich haben ſich ſeit längerem die Steuler Miffionäre vom Miffionshaus 
St. Gabriel, Mödling bei Wien, unter ihnen beſonders der rührige P. Wilhelm 
Schmidt 8. D. D.“, mit Geſchick und Eifer der liturgiſchen Beſtrebungen angenommen. 
Neueſtens iſt nun im Miſſionshaus St. Rupert 8. U. D. bei Salzburg am 2. md 
28. Juli unter der beitung des P. Rektor Brodmüller ein liturgiſcher Kurs für der 
ſorger abgehalten worden. Wir geſtatten uns, aus dem Bericht der „Salzburger 
liatholiſchen Kirchenzeitung“ (62. Jahrg., 1922, Ur. 31 u. 32) einiges unſeren Gefen 
mitzuteilen. Die fünfunddreißig Teilnehmer waren meift aus der Diözeſe Jalzbumg 
und anderen öſterreichiſchen Bistümern; aus Deutſchland war München vertreten. 


In den Vorträgen wurden hauptſächlich ſolche Fragen behandelt, aus denen ſich un 


mittelbar praktiſche Folgerungen ziehen laſſen. Junächſt wurde über Geſchichte und 
Weſen der liturgiſchen Bewegung geſprochen. Ferner über das liturgiſche beben als 
Heilmittel gegen falſchen Sozialismus und modernen Okkultismus. hier wude 
beſonders empfohlen die Pflege der gemeinſchaftlichen Kommunion als Opfermajl 
während der heiligen Meſſe. In der ſich anſchließenden Ausſprache wurde feftgeftellt, 
daß die Kommunion während der heiligen Mleffe an Wochentagen keine Schwirtig 
keit mache, wenn der Seelforger nicht widerſtrebe. Der dritte Vortrag erörterte bie 
Stellung des Materiellen in der Liturgie als Jeichen und Ausdruck des inneren 
Gebens und feine Rückwirkung auf das innere Geben. Im Anſchluß daran wurde 
eine Reihe praktiſcher Grundſätze aufgeſtellt, von denen wir nur folgende heros 
heben möchten: Reinheit des Gotteshaufes, Entfernung von Störendem und Un- 
paſſendem, reine, ſtilvolle Baramente?. Ein weiterer Vortrag galt der Verehrung bes 
heiligſten Altarfakramentes, wobei auch die Frage aufgeworfen wurde, ob die zu 
häufigen Ausfegungen, Segnungen mit Ziborium, theophoriſchen Prozeſſtonen nicht 
verflachend wirken und die Rufmerkſamkeit von der Opferhandlung ablenken. Ba 
der Ausſprache wurde die Schädlichkeit der zu häufigen Expoſition anerkannt und 
ein kluges entgegenwirken empfohlen, wobei natürlich alte Gewohnheiten taktool 
zu behandeln ſeien. Auch wurde der Wunſch laut nach größerer Abwechslung be 
den Volksandachten (nicht immer nur Roſenkranz, nicht immer lautes Beten uf). 
Beſonders eingeprägt zu werden verdient ein fruchtbarer Gedanke, den P. Brodmülle 
in dieſem Vortrage verwertete: des Priefters Derhalten vor Tabernakel und gegen 
über fielch und Paramenten wirkt mehr als eine Predigt. Die letzten Vorträge be 
handelten die erziehung der Altardiener, des Klerus und des Volkes zum liturgiſchen 
beben. Ein Beweis für die Zielftrebigkeit und Klarheit dieſer Vorträge liegt unfaes 
erachtens darin, daß der Grundſatz deutlich ausgeſprochen wurde, die Seelforge 
müßten ſelbſt zuerſt vom Geift der Liturgie durchoͤrungen fein. Bei der Kleriker 
bildung genüge nicht die Rubriziſtik, der tiefe Gehalt der Giturgie und ihrer Form 
müffe dargelegt und an Hand guter liturgiſcher Werke durch Betrachtung erfaßt 
werden. Don den Übungen, die P. Brodmüller mit den Vorträgen verband, wat 
beſonders die „Missa recitata“ von großer Wirkung. „Die ſtille Meſſe des hoch 
würdigſten Herrn Weihbiſchofs Keil, wobei der Felebrant die altchriſtliche Stellung 
auf der Rückfeite des Altares einnahm und die deutſche Mleffe von Guardini gemein‘ 
ſam gebetet wurde, gab eine Ahnung, wie viel intenfiver die Mitfeier des heiligen 
Opfers ſeitens der Gläubigen ſich geftalten ließe.“ Die Deranftaltung ſchloß mit 
einem Wort des Dankes gegen B. Brodmüller, den beiter des Aurfes. Dieſem D 
möchten wir ein Wort der Freude beifügen über den Fortfchritt der liturgiſchen Be 
ſtrebungen, der darin beſteht, daß der Seelſorgsklerus in geſchloſſenen Gruppen für 
Vertiefung des liturgiſchen Gebens arbeitet und den Zufammenhang von Lite 

I Dol. 3.8. „Piturgiſche Exerzitien“ in der Wiener „Rorrefpondenz (der) Rssociatio Pers. sacend.” 5° 
vom 25. Februar 1921, 8. 21 f. und „Bened. Monatſchr.“ dleſen Yhg. 8. 236. 

2 man vergleiche hiezu wie zum folgenden u. a. die Ausführungen von P. Rösler C. 58. K 1 dr 


„Linzer Theol. - prakt. Quartalfhrift” 74 (1921) 323 ff., beſ. 326 fl. und von Dompräbendar Dr. Stor in 
„Rottenburger Monatſchrift“ V, 8 (Mai 1922), 169 ff. N 


387 


und Seelforge immer klarer zu erfaſſen ſucht. Man wende nicht ein, daß die Salz- 
burger Tagung nur eine vereinzelte Erſcheinung war und die Anſchauungen weniger 
verſtiegener Jöealiſten“ wiedergibt. Aus der Arbeit, die geleiftet wurde, gewinnt 
man nicht den eindruck, als ſei der Boden des Wirklichen und Möglichen und 
erreichbaren verlaſſen worden. 

Daß dieſe Fragen ſchon weite Kreiſe des Seelſorgsklerus erfaßt haben und be⸗ 
ſchäftigen, zeigt u. a. eine Anregung für eine Paſtoralkonferenz über die Feier der 
heiligen meſſe im „Rölner Paſtoralblatt“ 57 (1922) Nr. 7/8, 8. 85 ff. Huch hier be⸗ 
merkt man ſofort ein zielbewußtes Streben nach dem Weſentlichen. „Die Meßfeier 
wird faft zu einer bloßen Gelegenheit, den Roſenkranz oder beſondere Gebets inten⸗ 
tionen zu verrichten, wobei eigentlich nur während der heiligen Wandlung die Seele 
Ruhe hat, den Sinn des Wortes zu ahnen: ‚Tuet dies zu meinem Andenken!‘ Das 
Opfermahl der Gläubigen ift aus der Meßfeier meiſt herausgenommen. Hat man 
den Ruf des euchariſtiſchen Papſtes Pius X. zur Förderung der öfteren heiligen 
Kommunion beachtet, dann ſollte man auch feiner Mahnung Raum ſchaffen: „Ihr 
ſollt die heilige Mef[fe — nicht in der heiligen Melfe beten‘ (8. 85 f.). Um den 
gerügten Mißftänden zu ſteuern, muß der Pfarrer bei „Beftellungen von Seelen- 
ämtern und Roſenkranzmeſſen, insbefondere für die Schulmeſſe, die Beſteller für eine 
ſtille heilige Meffe mit Gefang und Gebet der Schulkinder gewinnen“ (S. 86). Recht 
beachtenswert find auch die Winke für eine Meßfeierprobe, die das gemeinſchaftliche 
Beten der Mleffe vorbereiten ſoll. Mögen auch recht viele Paſtoralkonferenzen zu 
dem Ergebnis kommen, das der Diözeſanpräſes Dr. Stoffels anſtrebt: „die Selbſt⸗ 
prüfung und der einmütige Entſchluß, in allen Orten des Dekanates die heilige Neffe 
zu einer ſtets eindrucksvollen und die innere Anteilnahme der Gläubigen erleichtern⸗ 
den ſtillen religiöfen Feier zu erheben, aus der die Gläubigen, den Erlöfungstoö 
Chriſti im Herzen tragend, zu den Aufgaben und Opfern ihres Pebens entſchloſſen 
zurückkehren“ (8. 87). Würde mit der geforderten Selbftprüfung überall, oben und 
unten, Ernſt gemacht, fo müßten doch manche Mißbräude zu beſeitigen fein, die 
man gedankenlos weitergehen läßt oder mit Achſelzucken und einem bequemen 
„Daran iſt nichts zu ändern“ erträgt. Ein ſolcher Mißſtand iſt z. B. die Unſttte, 
die noch in manchen Diözefen herrſcht, an Sonntagen die Opferung noch während 
des Geſanges des Credo zu beginnen, fo daß dieſer wichtige Teil der Meſſe, in dem 
die Gläubigen ihre geiſtigen Gaben mitopfern follen, faſt unbeachtet bleibt. Die ent⸗ 
ſchuldigung, es dauere fonft dem Volke zu lang, berührt beſonders da merkwürdig, 
wo man im Hochamt viel Zeit übrig hat für Ausfegungen, Wetterſegen, Vor ⸗ und 
NUachſpiele, Seſangseinlagen uſw. Wie will man das Volk zum Mlitopfern erziehen, 
wenn der Prieſter unbedenklich gegen das ausdrückliche Verbot der Kirche die Opferung 
in das Credo „einſchachtelt“! Man ſchütze doch nicht immer den Willen und die Be⸗ 
dürfniſſe des Volkes vor, wo das bloße herkommen und der Mangel an Empfinden 
für die Bedeutung der Opferhandlung die Hauptfhuld tragen. Freilich Rann der 
einzelne Pfarrer wohl nicht viel tun, aber durch gemeinſame Beſprechungen und 
Vereinbarungen auf Konferenzen und bei liturgiſchen Kurſen ließe ſich vieles er⸗ 
reichen, und man könnte für den Beginn des Offertoriums das Ende des Credo ab⸗ 
warten, ohne den Gottesdienft ungebührlich zu verlängern. Man wende nicht ein, 
es handle ſich hier um „äſthetiſche Feinheiten“. Wer fo ſpricht, wird auch die ernfte 
Arbeit der Salzburger Kurſe und die verſtändnisvollen Anregungen des Kölner 
Paſtoralblattes nicht würdigen können. Denn hier wie dort und bei vielen anderen 
Anläſſen, wo wahre Seelforger der Pflege der Giturgie nähertreten, ſchält ſich immer 
wieder ein hauptgedanke klar heraus: Opferhandlung und Opfermahl. Und un⸗ 
willkürlich [hauen wir zurück zur hehren Geftalt Pius“ X. und erkennen deutlich 
die Linie, die von feinen euchariſtiſchen Dekreten zu den Beſtrebungen der ſogenann⸗ 
ten „liturgiſchen Bewegung“ führt, die ganz folgerichtig zunächſt diejenigen Teile des 
Alerus erfaßt, die den Reformen und Abſichten des großen Papſtes der Seelforge 
am meiſten Derftändnis entgegenbringen. P. Amandus G'sell (Beuron). 


388 


Bücherſchau 


Rive, Bernhard, 8. J., Die ehe in dog⸗ 
matiſcher, moraliſcher und ſozialer Be⸗ 
ziehung. 2. verb. teilweiſe umgearb. Aufl. 
von J. B. Umberg 8. J. 8° (396 8.) 
Regensburg 1921, Köfel und Puſtet. 
m. 17.—; geb. III. 23.80. 

Der Derfaffer überlebte das Erfcheinen 
ſeines Werkes (1876) nur um acht Jahre. 
P. Umberg machte ſich an die verdienſt⸗ 
volle Arbeit, das ehedem hochgeſchätzte 
Buch über die Ehe neu aufzulegen. Der 
Fortſchritt der katholifhen Dogmatik und 
die Ueẽgeſtaltung des Kirchenrechtes fin ⸗ 
den in der Ueuauflage entſprechende Be⸗ 
achtung und Verwertung. 

In Kapiteln werden behandelt: die 
Wichtigkeit der Ehe für den Einzelmenſchen, 
für Staat und Kirche; der moderne Der- 
fall der Ehe; die Ehe in ihrem Urfprung; 
die Ehe als Vertrag, als religiöfe hand 
lung, als Sakrament; die Unauflösbar- 
Reit, die Einheit der Ehe; die Gewalt der 
Kirche und des Staates über die Ehe und 
Ehehinderniffe; die gemiſchten Ehen; die 
divilehe; die Pflichten der Ehe; die Jung⸗ 
fräulichkeit und die Ehe. 

Der Schwerpunkt liegt in der Darſtel⸗ 
lung der dogmatiſchen Seite der Ehe. 
Wohltuend wirkt die ſtarke Betonung der 
geiftig-fittliden Zwecke der Ehe. Die hi⸗ 
ſtoriſchen Darſtellungen über die Faktoren, 
die den Verfall der Ehe in unferer Zeit 
einleiten, ſind ebenſo lehrreich wie treffend. 
Die dogmatiſchen Entwicklungen und Be⸗ 
gründungen verdienen alle Anerkennung. 

Freilich will mir ſcheinen, daß es dem 
Berfaſſer nicht gelungen ift, die ſchwierige 
Frage über die Erlaubtheit der Viel- 
weiberei und der gänzlichen Eheſcheidung 
im Alten Teſtament genügend zu löſen. 
Derfaffer empfindet die Schwierigkeit ſatt 
ſam und meint, die Anorönung der an⸗ 
fänglichen Monogamie, die [pätere Ge- 
ſtattung der Polugamie und die Wieder⸗ 
herſtellung der Monogamie und Empfeh⸗ 
lung der Jungfräulichkeit im Chriſtentum 
ſeien „in letzter Inftanz Akte der höchſten 
Souveränität Gottes, unter die der Menſch 
ſich zu beugen, die er aber nicht zu er⸗ 


gründen hat“ (S. 173). Es klingt neben 
der Betonung der Naturrechtlichkeit der Ein- 
ehe befremdend, wenn Derfaſſer [chreibt: 
„Wir dürfen uns alſo nicht wunden, 
wenn unter veränderten Umſtänden durd 
die Geftattung der Polugamie die Ueben⸗ 
zwecke der Ehe bedeutend leiden und die 
Dielehe id alſo zu einer wahren 
Quelle des Derderbens geſtalten 
durfte, fo daß Chriſtus durch die Wieber⸗ 
herſtellung der Einheit der Ehe den Il 
[hen eine unermeßliche Wohltat leiſtete 
(ebd.). Die tiefſte Göfung der Frage dürfte 
ganz wo anders zu ſuchen fein. die 
Faſſung: „So bildet die innere Juſtim⸗ 
mung (der Uupturienten) die eigentliche 
wirkende Urſache des Sakramentes” 
(8. 217) iſt nicht glücklich. 

Don dieſen und einigen anderen leich 
teren Ausftellungen ſieht man aber om 
geſichts des reichen Stoffes und der klaren, 
oft warmen Darſtellung gerne ab. Das 
ſchöne Werk verdient volle Anerkennung. 
Die Seelſorgsprieſter haben hier eine reiche 
Fundgrube und mächtige hilfe zu Belch⸗ 
rungen, Predigten und Vorträgen über 
die chriſtliche She. Wir möchten ihnen 
ſowie den Studierenden der Theologie des 
Werk angelegentlichſt empfehlen. 

B. Benedikt Baur (Beuron). 


Wöhrmüller, Abt Bonifaz, 0.5. B. 
Das königliche Gebot. Kleine Kapitel don 
der Uächſtenliebe. 8° (412 8.) Kempten 
1921, Röſel u. Puſtet. 

Die Innerlichkeit, von der ſo viel ger 
ſprochen und geſchrieben wird, iſt uur 
dann echt, wenn fie ſich auch im Außen 
leben offenbart. Das innere geiſtliche beben 
iſt nichts anderes als Gottesliebe, und dieſe 
ſucht ihre Betätigung und Ergänzung IM 
reiner Wenfchenliebe. Das mag der Grund 
gedanke des vorliegenden Buches ſein 
feine Durchführung auf allen Gebieten 
und in allen Derhältniffen des Lebens 
laſſen es als überaus zeitgemäß und 
eminent praktiſch erſcheinen. Der Hodw. 
Derfaffer ift ein feiner Pfydolog und 
menſchenkenner, aber, was mehr beſagt, 


S N 2 1 zZ zu 


ſelbſt von dieſer edlen Menſchenliebe tief 
durchdrungen. Er kennt die Tiefen des 
menſchenherzens und feine Regungen und 
Bedürfniffe, aber auch die Klippen und 
Untiefen, die der Uächſtenliebe durch die 
leidige Selbſtſucht bereitet werden. Er 
legt den Finger auf manche Wunde; aber 
er weiß fie auch zu heilen. Uachdem er 
„der Liebe Art und Weſen“ dargelegt, 
betrachtet er in ſiebzehn kurzen Kapiteln 
die „Feinde der biebe“. Dann geht 
er in achtzehn Kapiteln zu den menſchen 
über, auf die ſich als unſere Uächſten die 
Giebe erſtrecken ſoll. In ſteigender Ord«- 
nung folgen „die Belohnungen der 
Siebe“, dann die „Wege zur biebe“ und 
endlich heilige „Dorbilder der Liebe“. 
Die kurzen, geiftvoll behandelten und 
mit paſſenden Beiſpielen belebten Kapitel 
leſen ſich angenehm. Manche Kapitel, z. B. 
das Piebes verhältnis „Mann und Frau“ 
find wahre Rabinettftücke. Aber was mehr 
wert iſt, fie dienen dem Gefer zur Ge⸗ 
wiſſenserforſchung; dann aber auch zur 
Anregung, auf den gewieſenen Wegen und 
Stufen zu reinerer Gottes - und Menſchen⸗ 
liebe emporzuſteigen. So wird dieſes Buch 
ſelbſt zu einer Tat der Hächftenliebe. 
| P. Sebaſtian v. Oer (Beuron). 


Wittig, J., Herrgottswiſſen von Weg- 
rain und Straße. Geſchichten von We⸗ 
bern, Zimmerleuten und Dorfjungen. 
kl. 8° (246 8.) Freiburg 1922, Herder. 
M. 30.— geb. M. 48.— 

Wittig belehrt immer, wo er erzählt, 
und erzählt immer, wo er belehrt. Hier 
bietet er, Ernft und Laune meiſt glück ⸗ 
lich miſchend, aus feinem Einft und Jetzt 
Reflexion und Selbſtbiographie. Religion 
und Theologie ſteckt in dem kleinen 
Bande mit feinen fünfzehn „Geſchichten “, 
die der Mehrzahl nach eigentlich Reine 
Geſchichten find, und ſchleſiſche heimat und 
katholifhes Dolksempfinden. Man lieſt 
es nicht nur, man glaubt es auch nach 
folder beſung und ſpürt es ordentlich 
mit: „Erft der gläubige Menſch ift ein 
Vollmenſch; jeder andere Menſch iſt inner» 
lich Torfo, ein Stummel“. 

In der „Theologie ohne Bücher“, dem 
„Herrgottswiſſen von Wegrain u. Straße“, 
urſprünglich aufgewachſen und innerlich 


389 


wie äußerlich immer wieder zu ihr heim⸗ 
kehrend, ſcheint Wittig manchmal faſt der 
gelehrten, der „Büchertheologie“ ein we- 
nig gram zu werden. Aber wenn auch 
der Grafſchaftler Wittig das Leben im 
Glauben mehr betont, fo leugnet doch 
der Theologieprofeſſor Wittig darüber 
nicht den hohen Wert auch der Wilfen- 
ſchaft vom Glauben. Vielleicht regt gerade 
dieſe weſentliche Schilderung und Beto- 
nung des Lebens den hang zur theore⸗ 
tiſchen Durdödringung mehr an als die 
ſchönſte gelehrte Abhandlung. Ob z. B. 
beim Zuftandekommen des Glaubensaktes 
das Glauben das Erſte und Wichtigere iſt, 
oder die objektive Darbietung des Glau- 


bens? Vetztlich ift die perſönliche Erfaſſung 


des Glaubensgutes zweifellos das Wid- 
tigere. Im Werden des Glaubens wirken 
aber wohl beide Dinge gleichwertig auf- 
einander im Sinne der Sämannsparabel 
und der Paulusſtelle Röm. 10, 14 ff. 
„Daß der chriſtliche Glaube am fruchtbar 
ſten war, als die Zahl feiner Objekte noch 
gering war“, wer wollte es leugnen? 
Damals war er eben noch jung. Die 
kraft des Glaubens hängt aber doch weder 


von der Dogmen Fülle ab, noch von 


deren geringer Anzahl. Sie hängt vor- 
nehmlich ab von der Liebe, mit der man 
das viele oder wenige umfängt und auf 
ſeinen Urquell zurückführt. Und ob es 
nicht doch Weisheit iſt, zu unterſcheiden 
zwiſchen Gottes „Wollen des Guten“ und 
„Aulaffen des Böſen“? Gewiß gibt 
ſolche Unterfheidung nicht des Rätſels 
Göfung; fie weiſt aber hin auf einen 
weſentlichen Unterſchied. Und ſoll die 
„Reue“ nun wirklich von der Erde ganz 
verſchwinden und nur die „Buße“ noch 
Geltung haben? Wenn nie eine „Tat“ 
zu bereuen ift, ſtets nur die „ſündhafte 
Seſinnung“: woher ſtammt denn die Ge⸗ 
finnung, und ift innere Willenstat nicht 
auch „Tat“? Gewiß: fort mit aller taten; 
loſen, unfruchtbaren Reue! Aber iſt 
es nicht, wenigſtens in vielen Fallen, 
Klugheit, dem Rat des fehr erfahrenen 
heiligen Franz von Sales zu folgen 
(Philothea 3, 9), daß man ſich zwar über 
feine Fehler und Sünden weder „ärgern“ 
noch „wundern“, fie aber doch aufrichtig 
und herzlich bedauern, „bereuen“ ſoll? 


390 


Übrigens hätte man an diefer Stelle gern 
ein wenig gehört von den ganz lehrreichen 
Auseinanderſetzungen, die gerade „Das 
Muſterium der menſchlichen handlungen“ 
ſ. 3. im zehnten Bande (1919/20) des 
„Heliand“ gefunden hat. Auch ſonſt wäre 
eine Angabe des Erſweröffentlichung keine 
Schande geweſen. 

Wenn ein Buch, das zunächſt nur vom Le= 
ben reden möchte, nicht von der Theorie, zu; 
gleich das Sinnen und Denken nachhaltig 
beeinflußt, Jo iſt das gewiß kein ſchlechtes 
Jeichen für ſeinen Wert. Wenn aber je⸗ 
mand nie dagu käme, es zu leſen, ſo ſoll 
er wenigſtens von dem Gedankengute des 
Buches etwas miterhalten, den alten, 
weiſen Rat nämlich, neu verdeutlicht an 
der, heiligen Tyrannei“ der Bilder von leu · 
ſorge, ſich, wenn es nottut, aus der Über⸗ 
ladung mit ſelbſtgewählten Ubungen und 
Andachten „einmal völlig zurückzuziehen 
auf das Gebiet des wirklich Pflihtmä- 
Bigen“, dies aber gern und gut zu tun: 
„dann löſt ſich allmählich die Bindung 
und Unfreiheit, und in neu erlangter 
Freiheit beginnt die Seele ganz allmäh- 
lich zu ihren früheren Andachten zurück⸗ 
zukehren, ſo gern wie einer, der ſich von 
feiner heimat und ihren Unfreiheiten los 
geriſſen hat, nach Jahren wieder in ſeine 
Heimat zurückkehrt, um dort als er⸗ 
fahrener, freier Mann zu leben“. 

B. Sturmius Kegel (Beuron). 


Camelli, J., Bekenntniſſe eines 8ozia⸗ 
liſten. Aus dem Italieniſchen überſetzt von 
Dr. Carl Müller. 2. u. 3. Aufl. Freiburg 
1922, Herder. M. 40.—; geb. M. 60.—. 
Glücklider als tauſend andere, wurde 
der Derfalfer diefer „Bekenntniſſe“ in das 
ſozialiſtiſche Elend weder hineingeboren 
noch von der Hot in es hineingetrieben. 
Sein Idealismus hat ihn dem Sozialismus 
zugeführt; der gleiche Jdealismus auch 
wieder von ihm erlöft. Man hat hier ein 
Stück Frühgeſchichte der italieniſchen Jozia- 
liſtiſchen Partei vor ſich. Zugleich bekommt 
man eine Ahnung von den inneren trei⸗ 
benden Kräften im Sozialismus überhaupt: 
dem Gefühl des Schmerzes, aus dem 
heraus die ganze Welt mit Schmerz ge⸗ 
zeichnet erſcheint, der Macht der Idee, der 
Hoffnung auf eine ſchönere, ganz diesſeits 


glückliche Zukunft, in der es nur noch ein 
„Du“ gibt, nur Brüder, Brot und Arbeit, 
gepaart mit dem Gefühl der Kraft in 
Bewußtſein der Maffe und dem Willen 
zur Revolution, der an Reſtauration nicht 
glaubt, dem Geiſt des Heroismus, der zum 
Geiſt des Radikalismus wird. Camelli if 
am Sozialismus irre geworden, als er 
erkannte, wie der Mlenfch leider nicht bas 
ideale Weſen ift, als das ihn die Parte 
fo gerne ſchildert. Das alles ift wohl der 
Erwägung wert. Das Wertvollſte an dem 
Buche iſt aber vielleicht die Selbftfchilderung 
einer gewiß nicht alltäglichen, bis zun 
Übermaß weich empfindſamen Seele, die 
aus den Spannungen einer ihr nicht zw 
träglichen rauhen Wirklichkeit durch die 
ſchließliche Dienſtaufkündigung aller Kräfte 
gerettet, vom lärmenden ſozialiſtiſchen 
Parteigetriebe zum ſtillen ſozialen Wir 
ken im Prieſtertum übergeht. 

Das gehaltvolle Dorwort, das die neuefle 
ſechſte italieniſche Auflage bieten ſoll (Bre 
scia, 1921; vergleiche Ga Civiltà Cattolica 
72, 3 pag. 837), und die „Originalzeich⸗ 
nungen des Derfaffers” bietet die deutſche 
Ausgabe nicht. Die freie Heumahl des 


Titels ift nicht ungeſchickt; die vorliegende 


zweite Auflage verrät in kleinen Drud- 
neuerungen und mancherlei Stilande 
rungen überall die beſſernde hand. 

B. Sturmius Kegel (Beuron). 


Haaſe, b., O. 8. B., Corvey im Sonnen: 
glanze. Herausg. als Feſtſchrift zur Elf 
hundertjahrfeier der Gründung des Rlofters 
Corvey von Karl Wallmeyer, Pfarrer 
zu Corvey. 8° (180 S. u. 2 Bilder) Pader- 
born 1922. Derlag des Herausgebers. 

Zum Jubiläum Corveys herausgegeben, 
will das hübſch ausgeſtattete Büchlein 
weniger den Ruhm der Aulturftätte ver- 
künden. Dielmehr gelten die Ausführungen 
dem inneren Geben, dem Klofter als Schule 
der Heiligkeit. Ulach einem kurzen Überblik 
über Corveys Geſchichte folgt ein Kapitel 
über „Corveys Vorbilder“ — Heiligen 
geftalten, an deren Beifpiel die Corveyer 
Mönche ſich ſchulten — und über „Corveys 
Heldenfhar” — Corveyer Mönche, die als 
heilige verehrt werden. Der Zwek der 
Schrift ift alſo ein erbaulicher. 

B. Fidelis Böfer (Beuron). 


391 


Aus dem Orden des hl. Benediktus 


* Zweite Tagung chriſtlicher Künſtler in Maria-Laad). 


= ie herrſchenden Strömungen im modernen Rünftlerleben machen es notwendiger 
= denn je, daß ſich die chriſtlichen Künſtler ihrer hohen Aufgabe und Grundfäte 
‚bewußt find. Rus dieſem Empfinden iſt die deutſche Gefellfhaft für chriſtliche Kunſt, 
| in ie Tagungen für chriſtliche Kunſt hervorgewachſen, die in den verfloffenen zwei 
„Jahren in Würzburg und Köln ftattgefunden haben. Aus der Notwendigkeit, ſich 
zu orientieren, find auch die Kurſe in Maria-Gaad) entſtanden, die in erfter Pinie 
für die Studierenden an der Düſſeldorfer Akademie gedacht waren. Vom 20.— 24. 
Juni verſammelten ſich zum zweiten Male angehende und ausübende Künſtler in 
der Abtei, die großen Probleme der chriſtlichen Segenwartskunſt zu erwägen, die 
‚hier in einer größeren Geſchloſſenheit und Einheit behandelt werden können, als das 
bei den großen Tagungen möglich iſt, in denen verſchiedene Seiſtesrichtungen zur 
„Geltung kommen. Wenn auch diesmal auf ausdrücklichen Wunſch der Teilnehmer 
vielfach dieſelben Fragen erörtert wurden wie im verfloffenen Jahre, fo iſt doch ihr 
Inhalt und Umfang Jo tief und weit, daß weſentlich Neues geboten werden konnte. 
Worauf es bei der Tagung vor allem ankam, war, den Geiſt klar zu legen, der 
in der Ratholiſchen Liturgie, im liturgiſchen Gottesdienft und Gebetsleben, kurz ge⸗ 
2 ſagt, im Kirchenjahr, lebendig ift und von dem nicht zuletzt die chriſtliche Kunſt er · 
2 füllt und getragen fein muß. Daher die Einführung in die Kunſt der Katakomben, 
„die erfüllt ift von dem Gedanken „Translati sumus de morte ad vitam“, wir find 
vom Tode in das Reich des Lebens verſetzt, und der Mofaiken von Ravenna, die 
ron der Derklärung reden, von der Derklärung Chrifti, des Königs, der Chriften 
"und der Hirche. Don Bedeutung war die Überſicht der religiöfen Aunft ſeit Ravenna 
bis zur Beuroner Malerſchule, die den Sinn für Eurhythmie und Symmetrie von der 
. Antike gelernt hat. Ueben den direkt künſtleriſchen Fragen ging die Darlegung des 
eigentlichen Sinnes des Kirchenjahres und feiner doppelten Auffalfung im Sinne der 
„alten kirche, welche ſich um das Tauf⸗ und Oſterfeſt bewegt, und der neueren, die 


A das Geben geſu im Laufe des Kirchenjahres betont. Dem Mittelpunkt alles litur⸗ 


1422 


4 


giſchen Gebens, dem heiligen Meßopfer, wurde befondere Aufmerkfamkeit gewidmet. 
Die während der Tagung ftattfindende Weihe des Laacher Waldfriedhofes bot Ge⸗ 
legenheit, an dieſem Ritus zu zeigen, wie voll tiefer Symbolik und geiſtigen Lebens 
die Gebete und Segnungen der Kirche überhaupt ſind, und wie insbeſondere die 
Kirche über Tod, Leib und Friedhof denkt. Das ift für die Friedhofskunſt von der 
größten Bedeutung, die erfüllt fein ſoll von der chriſtlichen genſeitsſumbolik, die 
„ ihrem Weſen nach Freude, Friede, Troft und Triumph beſagt. Wertvolle Hinweife 
„ enthielt der Vortrag „Der Rünftler in der HI. Schrift“. Erfaßt der Künſtler das 
“ Rein«Religiöfe in der HI. Schrift, den Fuſammenhang des Alten und Neuen Tefta- 
mentes in feinen zahlreichen Beziehungen, ſucht er den Heiland und Erlöfer in der⸗ 
“ felben, dann wird das alles in feinen Werken zum Ausdruck kommen. In felfeln- 
3 der Weiſe wies der hochwürdigſte herr Abt Dr. Adefons herwegen nach, wie Joakim 
Skovgaard in den großen Fresken im Dom zu Viborg aus der HI. Schrift geſchöpft, 
‚ in künftlerifcher Weiſe Szenen ausgeführt, die ſich aus dem ZJuſammenhang ergeben, 
aber nicht ausdrücklich genannt find, wie lich aber auch der Uichtkatholik geltend macht, 
5 der Szenen in den Mittelpunkt ſetzt, die 
„Galt der Einleitungsvortrag der Charakteriſterung der modernen und chriſtlichen 
° Runft und der daraus ſich ergebenden Folgerungen, die in das Urteil aus mündeten, 
daß die Kirche einer von allem Gegebenen ſich losſagenden individualiſtiſchen Aunft 
ihre Tore nicht öffnen könne, ſo war der Schlußvortrag dem Innenleben des chriſt⸗ 
lichen Künftlers gewidmet, in dem betont wurde, unſer hauptbedürfnis beſtehe darin, 
mehr „religiöfe Künſtlerſeelen“ zu beſitzen. 

Die Vorträge, Ausſprachen, Beſichtigungen wurden mit großer Dankbarkeit auf- 
genommen. mit Recht bemerkte ein älterer Künſtler, welch eine Wohltat es wäre, 
wenn an der Akademie ſelbſt den jungen Leuten dieſe Wege zu einem religiöfen 
Innen- und Künſtlerleben gezeigt würden in einer Zeit, in der von verſchiedenen Seiten 
alles daran geſetzt wird, um das Gegenteil zu erreichen und das chriſtliche Denken 
und Empfinden zu vergiften. B gohannes Vollmar (Maria-Gaach). 


och von untergeordneter Bedeutung ſind. 


392 


Don der feligen Irmengard von Chiemfee. 


or einem Jahre hat J. Schlecht in den Hift. Pol. Blättern (125 ff. u. 212ff.) Pit 
D felige IJrmengard von Chiemſee“, + 16. Juli 866, mit Liebe und 
vorgeführt und das Wenige, das von ihr geſchichtlich feſtſteht, kurz und 
umriſſen. Im gleichen Jahre hat das Kloſter Frauenchiemſee in einem „Irmengakl⸗ 
büchlein“ (Münden 1921) den Verehrern und Derehrerinnen Irmengards einen Leal 
der ſchönen alten Gebete zu ihr geboten. Uun vollendet das Inſelkloſter fein litenm 
ſches Werben um Verbreitung eines tauſendjährigen Kultes und feine Anerkenmimg 
durch die höchſte kirchliche Behörde mit Herausgabe eines mit Bildern und Beigabe 
und prächtiger Deckelpreſſung geradezu glänzend ausgeſtatteten Bändchens:, Die ſelige 
Irmengard von Chiemfee...“ von M. Walburga Baumann O. S. B., 
1922, Pfeiffer. Wohl kann das Büchlein nicht allen Wünſchen genügen; es gibt abe 
einen guten Einblick beſonders in die Reliquien- und Kultgeſchichte der Seligen, 
worauf ſich beim Fehlen ältefter Pebensberichte jede Irmengardgeſchichte wefentih 
beſchränken muß. Heute wäre es bereits um ein neues Kapitel zu bereichern. Die 
wir aus Ur. 175 der „Augsburger Poſtzeitung“ entnehmen, fand nämlich am lay 
mittag des 13. Juli als alba des bereits im April beendeten biſchöflichen Prozeſſes 
im Beiſein des Konventes, der Prozeßmitglieder und einiger geladener Zeugen n 
Chiemfee die feierliche Erabes öffnung, die dritte bezw. vierte in der Irmengaris 
geſchichte, durch Erzbiſchof, Kardinal v. Faulhaber ſtatt. Uachdem ſchon am Dormitisg 
die nötigen Vorbereitungen getroffen waren, entnahm man nün dem Marmorſem 
einen Sinkfarg, „das zinne ſarkel“, in das „das ſelige gebain ... hinein gericht“, nie 
es im Bericht von 1631 heißt. Der Bericht von 1641, „in einem Glas auf Pergament 
alles ordentlich verzeichnet und auch dies zu dem ſeligen Gebein gelegt“, ſcheint merk 
würdigerweiſe nicht aufgefunden; dafür aber eine im Zinkdeckel eingravierte Inſchrit 
von 1631. Im Zinkfarg ſelber ruhte ein Glasſchrein, erhebbar an Peinenbändern. De 
rinnen lagen in Seidentüchern die heiligen Gebeine. Sechs Glaskäftchen entnahm ma 
der Herr Kardinal dem größeren Schreine, als die Hüllen zurückgeſchlagen waren 
Fünf hievon enthielten die kleinen und kleinften Gebeine, das ſechſte bewahrte Refte 
von Kleidern und einem Holzſarge, vielleicht dem, in den fie 866 zuerſt gebettet wardff). 
Die großen Gebeine lagen in noch ſehr gut erhaltenen Seidenhüllen, nur eines 
beiden Seidentücher zeigte ſich etwas ſchadhaft. Die Gebeine wurden ſorgfältig auf 
weißem Linnen ausgebreitet. Univerfitätsprofeffor Dr. Birkner ſtellte fie anatomiſt 
zuſammen. Es war faſt das 8 kinochengerüſt ſichtbar, nur das Haupt fehle 
„Wo mag es hingekommen ſein, oder welche Kirche wird dieſen Schatz bergen?“ fraß 
der Berichterſtatter. Daß ſchon 1631 „das felige Haupt verfert und zerfallen, 10 zen 
(Zähne) fein darunder gefunden worden, noch 4 friſch zen gewöſen, als wan [y einen 
menſchen erſt neuerlicher zeit waren ausgebrochen“, hat er wohl nicht gewußt. Ruf 
Wunſch des h. Kardinals ordnete Prof. Birkner den größeren Teil der hl. Gebeine 
wieder in den Zinkfarg, während er ſelbſt kleinere Bebeine in ein Slaskäſtchen wm | 


diefes in einen Reliquienſchrein legte. Den Zinkfarg trugen die Nonnen unter den 
umnus „Jesu corona virginum“ mit brennenden bichtern auf blumengeſchmüchte 
Bahre in feierlichem Zuge zum Frauenchor. Dort wurde der Sarg und der kleine 
Reliquienſchrein mit Bändern umwunden und verfiegelt. Da ſoll der hl. Schrein fiehen 
bleiben bis zum römiſchen Entſcheid. Das kleine Käſtchen aber wird im Grabe rufen, W 
damit die Gläubigen ihre Andacht nicht vor einem leeren Denkmal verrichten müſſen 
Als Gerhard von Seeon um die erfte Jahrtauſendwende das Stab der Seligen öffne 
und wieder ſchloß, da legte er ein wundervolles Bleitäfelchen hinein (jetzt im Baut. 
Hat.-Muſeum Münden, Saal 3, Schrank 2, Ur. 691; vorzügl. Abb. bei Baumann 5.48). 
Er fette auf deſſen Dorderfeite den Bericht der Grabesöffnung. Auf die Kückſeite 
aber zeichnete er ein (Dop nn Areuz und ſchrieb in die Felder die Buchſtaben unn 
Worte: A N / CRVX LVX / NX LEX /AMEN. Den Rand aber umfäumte k 
mit den Aöventsworten Phil. 4, 4 f. und einem vorgeſtellten „Credite! Glaubet und 
freuet euch .. Der Herr ift nahe!“ Was wird man heute in das Grab [chreiben, 
wenn man es wieder öffnet und ſchließt? St. K 


herausgegeben von der Erzabtei Beuron (Hohenzollern), 
für die Schriftleitung verantwortlich: P. Daniel Feuling (Beuron), 
gedruckt und verlegt vom Kunſtverlag Beuron. 


SBRnEREMESÄLSLEESEEEEESEESESEREREBEEUSEEREREEEBRSSERERGERENERBREEESHASSHESESRERSEÄRESRNEEEHERENENEEERE 


Eingelaufene Schriften. 3 


(Die Einreihung eines Buches in dieſe Gifte bedeutet noch 2 


vo nt, 
‘ 


Reine Empfehlung — Beſprechung erfolgt nach Tunlichkeit. 
Rückſendung findet in keinem Falle ſtatt.) 


e 


artmann, B., Dogma und Religions- 
geſchichte. Für weitere lireiſe darge⸗ 


v. ktempen, Ch., Dier Bücher von der 
Uachfolge Chriſti. Nah dem von 


ſtellt. 8° (VIII und 110 8.) Paderborn Karl hirſche auf Grund der Selbſt⸗ 
| 1922, Schöningh. II. 48.— ſchrift des Thomas herausgegebenen 
Bierbaum, M., Pius XI. Ein Gebense Wortlaut überſetzt von Dr. Heinrich 
80 und Zeitbilö. 8° (181 8. u. 20 Abbild.) Clement. Mit Angaben des Inhalts 
2 Köln 1922, Bachem. M. 110.— der einzelnen Bücher und Kapitel, Hin- 
Braun, J., 8. J., Sakramente und woeiſen auf die entſprechenden Stellen 
Sakramentalien. Eine Einführung in der heiligen und weltlichen Schriften. 
a das röm. Rituale. 12 (VIII u. 256 8.) 12 (XVI und 429 8. mit Bildnis und 
5 Regensburg 1922, Köfel & Puſtet. Schriftprobe). M. Gladbach 1922, Volks ⸗ 
. Cobauß, O., 8. 4 menſchen, die am vereins-Derlag. M. 60.—, M. 128.— 
i eben leiden. 86 (156 8.) Beipzig 1922, und M. 150. 
5 n Kirchner, R., Marduk von Babylon 
| 4 Das häusliche Glück. Ein Büchlein für und Jefus Chriftus. Ein Beitrag zur 
ir Frauen und Mütter mit vollftändigem Apologie Chrifti auf religionsvergleichen⸗ 
5 Haushaltungsunterricht. Herausg. vom der Grundlage. [Apolog. Tagesfragen 
4 Derband für foziale Kultur. 30. Aufl. 19. heft]. gr. 80 (144 8.) m. Slaòbach, 
1205 (318 8.) m. Eladbach 1922, Dolks- _ Dolksvereins-Derlag. M. 60.— 
4 vereins-Derlag. M. 24.— Kunz, Chr., 8onntagsmiſſale. ent- 
3 Die Pfalmen. (1. Teil: 1—75) überſetzt haltend die Meſſen aller Sonn» und 
1 und kurz erklärt von Dr. R. Peimbach Feiertage lateiniſch und öeutſch mit aus; 
1 [Bibl. Dolksbücher 5. Heft]. 4. Auflage. führlichen Erklärungen. Kl. 12° (656 8. 
2 gr. 8° (XVIII und 220 8.) Fulda 1922, mit Titelbild). Regensburg 1922, Puſtet. 
: Aktiendruckerei. j f m 65.—; geb. m. 145.— und höher. 
a Dua, A., Die Miſſton im Lichte Landsberg, p., Die Welt des Mittel⸗ 
5 phi oſophiſcher Betrachtung. 7 8 alters und wir. Ein geſchichtsphiloſo⸗ 


* N 


4 


Nee ee EN * 5 x x 
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aus Miſſtonskunde uſw. 28. Heft]. 8° 
11. 8.) Hachen 1922. Xaverius- Verlag. 


Gebete der HI. Schrift. Uberſetzt und 
herausgegeben von Dr. P. Rießler. 24° 
(206 8.) m. Gladbach 1922, Volks- 
vereins -Derlag. M. 30.— 

Graf, R., Lit oder Irrlicht. Wider⸗ 
legung der größeren Irrtümer moderner 
Sekten. 12 (22 8.) Graz 1922, Paulus» 
verlag. I. 3.— 

Gründler, O., Elemente zu einer Re⸗ 
due ee loo de auf phänomeno- 
logiſcher Grundlage. gr. 8(IVu. 1368.) 
Kempten 1922, Köfel & Puſtet. 

Bartmann, ., Das Geſetzbüchlein der 
Rönigin. Die allgemeinen Regeln der 
Marianiſchen Kongregationen in aus⸗ 

führlichen Betrachtungen dargeboten. 
16° u. 332 8.) Regensburg 1922, 
HRöſel & Puſtet. M. 45.—; geb. M. 75.— 

geemſtede, G., Psallite Sapienter! Die 
Jubel-, Trauer» und Bußpſalmen aus 
Davidiſcher Zeit in deutſches Reim⸗ 
gewand gebracht. 8° (VIII und 296 8.) 
Münfter 1922, Aſchendorff. M. 30.—; 
geb. M. 50.— | 


phiſcher Derfudy über den Sinn eines 
5 gr. 8° (124 8.) Bonn 1922, 


ohen. 

Sübeck, ., Biſchof Juſtinus de ga⸗ 
cobis, der Apoftel Abeſſiniens. [Abh. aus 
Miffionskunde uſw. 26. Heft]. 8° (125 8. 
mit 2 Bildern und 1 Karte). Rachen 
1922, Xaveriusverlag. M. 45.— 

Mager, A., O0. 8. B. Moderne Theofo- 

hie. Eine Wertung der Gehre Steiners. 

2 Meg Beitfragen 4 Jhg. 5. Heft] 8° 
16 8.) München 1922, Fr. Pfeiffer & Co. 

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Bericht, Reden u. Vorträge des Euchar. 
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Morin, 6., O. 8. B., Möndtum und 
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1922, Theatiner-Derlag. M. 80.— 


RZUS5ER2ESEBNESUBNSERSEEBENSERSZENREBENENBHESEEBEENRREREESNEABEREHERERREENRZUNBENANERRERENREERBERBEUBEEHANERRBENNSRBEREBRBENERSUSEHENNERBUAHEUEHBERERBERENHARBERBUNNHRENERBENHANABRSD 
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Müncer, Th., Der pfyhifhe Zwang Jugend des Dolkes. 2. uff 
und feine Beziehungen zu Moral Donauwörth 1922, Brzer Ui 
und Paftoral. [Abhanödl. aus ethik und MI. 45.— mit Bildern 50: 
Moral 2. Bd.] gr. 8° (VIII u. 344 5.) Seelſorgehilfe durch giendia 
Düſſeldorf 1922, Schwann. M. 180.— Drei Beiträge v. Prof. Dr. Arer 

Newman, Kardinal, Sankt Philippus W. Baumeifter u. Dr. m e 
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zu den Heiligen. RI. 8° (VIII u. 112 8. code Juris Canon ĩ 
und Titelbild) München 1922, Theatiner⸗ dufammenftellung der wenig 
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von Joh. Dickerſcheid. 12° (210 8.) Walter, Fr. X., Bildurmgepflich | 
Münden 1922, J. Pfeiffer. Batffolizismus nach Den Grund 

Sawicki, Fr., Das Ideal der perſön. der chriſil. Ethik dargepzellt (our 
lichkeit. 2. Aufl. 8° (VIII u. 224 8.) des Jentralbildungsa usſchuſſe 
Paderborn 1922, Schöningh. M. 39.— Rath. Berbände Deutſch Lands J. 55 

Schuck, J., Das religiöfe Erlebnis (360 8.) M. Slaöbach 1922, U 
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Benediktiniſche 
Monatſchrift 


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P. Benedikt Baur: Die Gemeinſchaft der heiligen (8. 393). N 
P. Alois Mager: Erwachen der Vernunft u. Sündenbewußt⸗ 8 
fein (8. 409). M. Benedikta v. Spiegel: »Ipsi sum despon- 95 
sata« (S. 418). P. Bernhard Barth: Die Advents kantika 84 
des monaſtiſchen Breviers (8. 419). P. fornelius Eniel: WV 
Ein taufendjähriges St. Bendiktsheiligtum (S. 426). Abt N27 
Plazidus Glogger: Die drei „O“ (8. 442). P. hugo Lang: N7 
Oberammergau 1922 (8.449). | 


kleine Beiträge und Binweife: N 


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P. Alois Mager: Aus der Giteratur gegen Theofophie u. Anthropoſophie N 


(5.457). P. Saurentius hanſer: Zum 100. Todestage von P. Agidius Fais, N 
HBenediktbeuren (461). P. Amandus “sell: Zur Weihnachtskrippe (462). AN 


Bücherſchau: 


Beſprechungen von P. Daniel Feuling, P. Sturmius Regel, ö 
B./lois mager, P. Athanafius Miller. UN 


Aus dem Orden des hl. Benediktus: IN 


Weihe der Abteikirche zu 8. Paolo in Brafilien. Das wiedererftehende IN 


Buckfaſt. Don 8. Matthias zu Trier. Fünfzig Jahre Maredſous. W 
Unſere Bilder: AN 


Harolingiſche Malereien im St. Benediktikirdjlein von Mals in Südtirol. IN | 
| Erläuterung im Text. 5 N 


1922 | D. V 9 * 8 N 9 \ 
Vierter Jahrgang fr Ni november — Dezember ; an 


herausgegeben von der 0 2 Druck und Verlag: N 
Erzabtei Beuron (Hohenz.) Kunſtverlag Beuron. PN 


Inhalt: | SH 


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Free 6 * 
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An unfere Gefer! 


Mit diefem Doppelhefte ſchließt der vierte Jahrgang der -Benediktiniſchen monat. 
ſchrift“. Die wachſende Zahl der Freunde gibt uns den Mut, auch im neuen ga 
für das gewählte Ziel, die Pflege religiöfen und geiſtigen Lebens, zu u Ben: 
ungeachtet der aufs äußerſte geſteigerten Koſten, die wir im ablaufenden 9 
durch unſere ausländiſchen Bezieher und die kräftige Hilfe einiger Gönner im E 
lande in etwa ausgleichen konnten. 

Um die Monatſchrift weiterführen zu können, find wir genötigt, folgende beg Be 
bedingungen feſtzuſetzen: 

Für diejenigen Bezieher, die vor dem 1. Januar 1923 an den Verlag bezahlen, 
berechnen wir M. 500.— für den kommenden Jahrgang. Don ſolchen, die Jahr 
gang 1923 bereits bezahlt haben, fordern wir Reine Uachzahlung. 1 

Dom 1. Januar 1923 ab gilt für den Jahrgang der ſehr niedrig gehaltene Srund⸗ 
preis von M. 2.80 vervielfacht mit der jeweils im Buchhandel geltenden Sc lüffelgaht. 4 

Dieſe Preiſe gelten für den Bezug auf dem Poſtzeitungsweg. Bei Zuſendung unter H 
Kreuzband ift der Betrag für Porto und Verpackung befonders zu EEE UNTEN gegen a 
wärtig für Deutſchland, öſterreich, Gugemburg und Danzig M. 100.—; für Finnland, = 
Fugoflavien, Polen, Rumänien, Tſchecho⸗Slovakei und Ungarn M. 200.—. Die Betrag 
für die im Gaufe des Jahres zu erwartenden Portoerhöhungen werden nacher 

Für das übrige Ausland gelten folgende Jahrespreiſe (einſchließlich Porto); 

Amerika 1 Doll. | England 45h. | Italien 10 Pire. 
Belgien 6 Fr. Frankreich 6 Fr. Schweiz 4 Fr. 
Dänemark 4 Kr. Holland 2Glöd. | Spanien 4 Des. 

Seminarien, Erziehungsanſtalten und Vereinen, die mindeſtens 5 Stück unmittelbar 
beziehen, gewähren wir einen Vorzugspreis. E 

Die unmittelbaren Bezieher bitten wir um Einzahlung des gabrespe * 
auf unſer Poſtſcheckkonto Ur. 7034 beim Poſtſcheckamt Karlsruhe, Baden 
Verlag der Beuroner Kunſtſchule, Beuron (Hoheng.). Direkte Geld ſendungeg 
richte man an den Verlag der Beuroner Kunſtſchule, Beuron (Hohenz.) — nicht einfach⸗ 
hin an die Abtei oder die Kloſterverwaltung — und füge die Bezeichnung „für die 
Benediktiniſche Monatſchrift“ gütigſt bei. 

Beſtellungen nehmen entgegen: der Verlag der Beuroner Kunſtſchule, Beuron 
(Hohenz.), alle Poftanftalten und Buchhandlungen. Beſtellung durch die Poſt⸗ 
anſtalten iſt jeweils anfangs Januar zu erneuern, wobei der ganze Jahresbetrag, 
deſſen höhe die Poſtanſtalt mitteilt, bezahlt werden muß. Beziehern, die unmittel⸗ 
bar an den Verlag bezahlen, wird die Monatſchrift bis zu ausdrücklicher Abbeſtel⸗ 
lung fortlaufend zugeſandt. Nicht zu umgehende Abbeſtellungen von ſeiten unmittel⸗ 
barer Bezieher müſſen vor dem 1. Dezember erfolgen. 

Bei etwaigen Ausbleiben der Hefte oder bei unrichtiger Gieferung reklamiere 
man ſtets zunächſt bei dem in Frage kommenden Poſtamt. Eine ſolche Reklamation 
geſchieht am beſten ſchriftlich und koſtet keinerlei Porto oder Spefen. Die Poſt ift 
verpflichtet, etwa nicht eingegangene Hefte koſtenfrei nachzuliefern. Erſt wenn eine 
ſolche bei der Poſt angebrachte Reklamation zu gar keinem Erfolge führen follte, 
wende man ſich an den Verlag. — Bei Bezug unter Kreuzband find alle Reklama- 
mationen unmittelbar an den Verlag zu richten. 

Änderungen der Anſchrift find ſtets zeitig bekannt zu geben: bei Bezug unter 
Kreuzband an den Verlag, andernfalls an das zuſtändige Poſtamt. 

Jahrgang 1920, 1921 und 1922 find noch erhältlich, Jahrgang 1919 iſt vergriffen. 


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Die Schriftleitung. Kunſtverlag Beuron. 


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Die Gemeinſchaft der Heiligen. 


Don P. Benedikt Baur (Beuron). 


as Feſt Allerheiligen zieht den Blick unſeres Geiftes und das 

Sehnen unſeres Herzens empor in die lichten Wohnungen jener, 
die einſt hier auf Erden gekämpft und gerungen, die ſtandhaft und 
tapfer geſiegt und nunmehr in der feligen Anſchauung Gottes eines 
ewigen Lohnes ſich erfreuen. gubelnden Herzens erkennen wir, wie 
in ihnen die Seligpreiſungen des Evangeliums in der vollkommenſten 
Weiſe ſich bewahrheitet und ihre Beſtätigung gefunden haben. „Selig 
die Armen im Geiſte: ihrer iſt das Himmelreich. Selig die Sanft⸗ 
mütigen, die Trauernden, die hungern und dürften nach der Gerechtig⸗ 
Reit; ſelig die Barmherzigen, die reinen Herzens find, die Frieöfertigen; 
felig, die Derfolgung leiden um der Gerechtigkeit willen. Selig ſeid 
ihr, wenn man euch um meinetwillen ſchmäht, verfolgt und lügneriſch 
euch alles Böſe nachſagt: freuet euch und frohlocket, euer Lohn im 
himmel wird groß fein“ (Matth. 5, 3ff.). Haum ift Allerheiligen ver⸗ 
klungen, fo läuten die Glocken in dumpfem Schall den Allerſeelentag 
ein. Wir fteigen im Geifte und mit inniger Teilnahme unferes Herzens 
hinab in die Flammen des Reinigungsortes und flehen mit den armen 
Seelen, für fie und in ihrem Namen um Erlöfung und Befreiung, um 
Julaſſung zur ſeligen Gottanſchauung und um Aufnahme in die Wonnen 
der Seligen des Himmels. Hat indes dieſe unfere Teilnahme an dem 
Sieg und an der Seligkeit der himmelsbewohner einerfeits und an 
dem beiden und Sehnen der armen Seelen andererſeits für ſie oder 
für uns einen Wert, einen Sinn? mit welchem Recht wagen wir 
es, mit himmel und Fegfeuer in Beziehung und lebensvolle Verbin⸗ 
dung zu treten? Wer lehrt uns, uns mit den heiligen und Seligen 
zu freuen, mit ihnen gleichſam uns über die Erde zu erheben und 
mit ihnen Bott zu grüßen, ihn anzubeten, mit ihnen zu danken und 
Siegesfeſte zu feiern? Wer gibt uns die Vollmacht, uns den leidenden 
Seelen des Fegfeuers beizugeſellen und in ihren Ruf und in ihr Flehen 
um Erlöfung aus den Qualen des Reinigungsortes einzuſtimmen? 

Wir dürfen es, wir können es, wir follen es: es gibt eine Gemein- 
ſchaft der Heiligen. Was wir im Glaubensbekenntnis ſprechen: „Ich 
glaube an eine Gemeinſchaft der Heiligen“, ift nicht ein leeres Wort, 
eine tönende Phraſe, ſondern lebendige und lebenſchaffende Wahrheit. 
Die höchſten Werte des chriſtlichen Lebens: als Kirche, Prieſtertum, 
Sakramente, Meßopfer und Liturgie, Fürbittgebet, gegenfeitige über⸗ 
natürliche Hilfe, Abläffe, beruhen auf der Gemeinſchaft der Heiligen, 


Benediktinifche Monatſchriſt IV (1922), 11—12. 26 


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leben von ihr und ſtützen fie. Ausgangspunkt, tern und Grundlage 
der Gemeinſchaft der Heiligen ift die übernatürliche Gebensgemeinfchaft 
Chrifti, des Sottmenſchen, mit den Gläubigen, feinen Gliedern, d. h. 
mit feiner kirche. Aus dieſer Gebensgemeinfchaft Chriſti mit feinen 
Gliedern ergibt ſich die übernatürliche bebensgemeinſchaft der Gläu⸗ 
bigen untereinander, eine Anteilnahme aller an den Gebeten, guten 
Werken, Genugtuungen, Leiden und Opfern aller. 


I. 
Die Gemeinſchaft der Gläubigen mit Chriftus. 

E. iſt ein tröſtliches Wort, das uns der Heiland beim letzten Abend⸗ 

mahle hinterließ: „Ich bin der wahre Weinſtock, und mein Dater 
iſt der Weingärtner. Jeden Rebzweig an mir, der keine Frucht 
bringt, ſchneidet er ab, jeden, der Frucht bringt, reinigt er, damit er 
noch mehr Frucht bringe... Bleibt in mir, und ich bleibe in euch. 
Wie der Rebzweig aus ſich, wenn er nicht am Weinſtocke bleibt, 
keine Frucht bringen kann, ſo auch ihr nicht, wenn ihr nicht in mir 
bleibt. Ich bin der Weinſtock, ihr feid die Rebzweige. Wer in mir 
bleibt und in wem ich bleibe, der bringt viele Frucht: getrennt von 
mir, vermögt ihr nichts“ (Joh. 15, 1 ff.). Damit kennzeichnet der 
Heiland fein Derhältnis zu uns und unfer Verhältnis zu ihm. Es 
iſt das Derhältnis eines organiſchen Miteinanderverwachſenſeins, einer 
innigſten Lebensgemeinſchaft, eines beſtändigen Lebensaustaufcdes, 
eines ſteten gegenſeitigen Gebens und Nehmens. „Bleibt in mir, und 
ich bleibe in euch.“ Chriſtus iſt für die Seinigen, was der Wein⸗ 
ſtock für ſeine Zweige iſt: der einzige und unmittelbare Quell des 
Gebens und der Fruchtbarkeit. Chriſti Gebenskraft ergreift und durch⸗ 
ſtrömt die ihm verbundenen Gläubigen. So iſt es Ein Geben, das 
im Weinſtock und in den Rebzweigen pulfiert, beide geheimnisvoll 
verbindet und durchdringt. Chriſtus iſt in den Seinigen, ſie in ihm. 
Wer mag den tiefen Gehalt, die Innigkeit und Fruchtbarkeit dieſer 
bebenseinheit und Cebensgemeinſchaft erfaſſen? Sie beginnt in dieſem 
beben im heiligen Sakrament der Taufe, ſie entwickelt ſich mit jedem 
Zuwachs an Gnade, mit jedem guten Werk, mit jedem Derdienft, 
mit jedem Gebet und mit jeder Erneuerung der liebenden Hingabe 
an Chriſtus, den Weinſtock, um vollendet zu werden in der Zemein⸗ 
ſchaft der himmelsſeligkeit mit ihren Wonnen, mit ihrem vollkommen- 
ſten Geben, das keine Abnahme, keinen Mangel, keinen Schmerz, 
keine Krankheit, keinen Tod mehr kennt. It es nicht ein Troſt zu 
wiſſen, daß geſus mit uns jetzt und für ewig Lebensgemeinfdaft 


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haben will, daß er uns innigſt in fein beben hineinziehen, an feinem 
beben, an feiner Wahrheit, an feiner Gnade, an feinem kampf und 
Sieg über das Böſe, an feiner hingebung an den Dater, an [einer 
unendlich heiligen und unendlich befeligenden Gottesverehrung Anteil 
nehmen laſſen will? 

Diefe unſere Gemeinſchaft mit Chriftus verkündigt uns der heilige 
Paulus mit aller Eindringlichkeit in feinen Briefen. Er fieht in Chriſtus 
„das Haupt des Leibes der kirche” (kiol. 1, 18). „Wir bilden alle 
zuſammen einen Leib in Chriſtus“ (Röm. 12, 5). „Wie der Leib nur 
einer iſt und doch viele Glieder hat, alle Glieder des Leibes aber trotz 
ihrer Dielheit nur Einen Leib bilden, fo verhält es ſich auch mit 
Chriftus. Denn in der Taufe find wir alle... durch Einen Geiſt zu 
Einem Leib verbunden .. Ihr ſeid der Leib Chrifti, und einzeln 
genommen, feine Glieder“ (1 Kor. 12, 12 f.; 27). 

In dem Leibe der kirche hat Chriftus die Stellung und Aufgabe 
des Hauptes, das mit dem Leibe und mit all deſſen Gliedern und 
Teilen in innigfter Lebens verbindung ſteht. Es iſt das, was für die 
Pflanze die Wurzel, für die Rebzweige der Weinſtock iſt. Es iſt das, 
worin der ganze Leib zuſammengehalten wird, das, was den Körper 
leitet und beherrſcht und worin der Körper gleichſam aufgeht. Es 
gibt dem Leib feine Würde und feinen Beſtand. Wie wollten die 
Glieder ihre Tätigkeiten ausüben, wenn fie nicht dem Haupte an⸗ 
gehörten, mit ihm verwachſen und von feinem Leben erfüllt wären? 
IA alſo Chriftus das Haupt der Kirche und all derer, die ihr an⸗ 
gehören, fo ſtehen dieſe in ihrer Gefamtheit und jeder Einzelne mit 
ihm, dem Haupte, in lebendigſter Gebensgemeinfchaft, in wahrſtem, 
wirklichſtem bebensaustauſch. 

Die Einheit, welche die Gläubigen auf Erden, im Fegfeuer und im 
Himmel mit Chriſtus verbindet, iſt zunächſt die Einheit der gleichen 
Berufung zur würdigen Anbetung, Liebe und Derberrlichung Gottes, 
des Dreieinigen, eine erhabene Gebetsgemeinſchaft. Wie ohn⸗ 
mächtig iſt der Menſch, auf ſich allein geſtellt, gegenüber ſeinem 
Berufe, den unendlichen Gott würdig zu verherrlichen! „Mögen wir 
auch viel ſagen, fo mangeln uns doch die Worte... Wenn wir 
ihn rühmen, was vermögen wir? Denn er iſt der Allmächtige, er⸗ 
haben über alle feine Werke... Erhebet den Herrn mit Lobpreis, 
ſoviel ihr vermöget: er iſt doch noch höher, und wunderbar iſt ſeine 
Herrlichkeit. Preiſet den herrn, erhebet ihn, ſoviel ihr könnt, denn 
er iſt erhaben über alles bob. Erhebet ihn und nehmet alle euere 
Kraft zuſammen: bemühet euch nicht, denn ihr werdet ihn nicht 

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erreichen“ (Eccli. 43, 29ff.). Jeſus Sirach hat recht: Gott iſt erhaben 
über alles bob, fo ſehr, daß alles Mühen und alle Anſtrengung des 
menſchen nie ausreichen wird, Gott entſprechend zu verherrliden. 
Und doch iſt die würdige Gottverherrlichung der Zweck und die Auf 
gabe der ganzen Schöpfung und vorzüglich des Menſchen, des Priefters 
der Schöpfung. Um dieſem Ungenügen der Schöpfung und des Men 
ſchen abzuhelfen, ift der Sohn Gottes durch die Menſchwerdung ſelber 
in die Menſchheit eingetreten und zieht durch den Glauben und die 
heilige Taufe die Menſchen aus ihrem Unvermögen machtvoll zur 
Einheit und Semeinſchaft mit fi) empor, damit fie nunmehr durch 
ihn, angeſchloſſen an ſein Gloria Patri, an die Anbetung und hul⸗ 
digung feines göttlichen Herzens, dem Vater den Tribut ihrer Hin 
gebung, Liebe und Verehrung zollen. „Wahrhaft würdig ift es und 
gerecht, billig und heilſam, daß wir dir immer und überall danken, 
heiliger herr, ewiger Gott, durch Chriſtus unſeren Herrn.“ 80 
denkt die heilige Citurgie in der Präfation der heiligen Meſſe von 
unſerer Gebetsgemeinſchaft mit Chriftus. Und fie geht ſofort über 
auf die Gebetsgemeinſchaft der Engel mit Chriftus: „Durch ihn, fo 
ſingt ſie, loben die Engel deine Majeſtät, beten die Gewalten ſie an, 
verehren fie zitternd die Mächte...” Durch Chriſtus iſt dem Dater 
in Einheit mit dem heiligen Geifte alle und vollkommene, würdige 
Ehre und Verherrlichung, läßt die Liturgie den Kanon der heiligen 
meſſe ausklingen. Wo iſt ein Gebet der heiligen Kirche, das nicht 
mit feinem per Dominum nostrum jesum Christum unſerer Gebets 
gemeinſchaft mit Chriſtus beredten Ausdruck verliehe? 

Am vollkommenſten tritt dieſe Einheit der Berufung zur würdigen 
Gotwerherrlichung in der Opfergemeinſchaft Chrifti mit den de 
tauften in der heiligen Meſſe in die Erſcheinung. Da werden wir 
geheimnisvoll, im Symbol der Opfergaben von Brot und Wein, mit 
dem ſich opfernden Chriſtus zu Einer Opfergabe mit all dem, was 
wir an Gebeten und Gaben, an bob und Dank, an Liebe und Sühne, 
Reue und Bitten, Fehlern und gutem Willen beſitzen. Da treten mir 
vor Gottes Thron nicht mehr in unferer unendlichen Aleinheit und 
Unwürdigkeit, ſondern aufgenommen und einbezogen in die unend- 
liche Kraft des ſich mit uns opfernden Sottmenſchen. Engel und Men⸗ 
ſchen, die lichten Geſtalten der heiligen und Seligen des himmels 
ebenſo wie die Glieder der ſtreitenden kirche auf Erden und die in 
heiliger Gottesliebe und Anbetung erglühenden Seelen des Fegfeuers 
find in dem großen Opferer Chriſtus, in feinem Beten und Lieben, 
gleichſam aufgegangen. Mit ihm, in feinem Geiſte, getragen von 


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feiner Sefinnung, geben fie fid mit all dem, was ſie find und be⸗ 
figen, dem Dater hin, feinen Willen zu tun, ihm zu leben, ihn zu 
lieben und zu verherrlichen. Die Vielen ſind Einer geworden, der 
fie alle in fein Beten und Opfern einbeziehende Chriſtus! Nun iſt 
ihr Beten, Danken, Sühnen und Flehen in dieſer Opfergemeinſchaft 
mit Chriſtus fo wirkſam, fo groß und Gottes wahrhaft würdig ge⸗ 
worden! „Ohne mich könnt ihr nichts.“ „Wer in mir bleibt und 
in wem ich bleibe, der bringt viele Frucht“ (Joh. 15, 5). Wie voll⸗ 
kommen bewahrheitet ſich dieſes Wort des BHeilandes in der Opfer⸗ 
gemeinſchaft, in der er in der heiligen Meſſe ſeine Glieder alle in 
ſein hochheiliges, unendlich reines und koſtbares Opfer einbezieht! 

Dieſe Gebets⸗ und Opfergemeinſchaft der Gläubigen mit Chriſtus 
gründet auf der ebenſo geheimnisvollen, wie wirklichen Einheit des 
bebens der Chriſten mit Chriſtus, der Rebzweige mit dem Weinſtock. 
In heiligſter Ehrfurcht beten wir das unerforſchliche Geheimnis an, 
daß in Chriftus und durch ihn der von Ewigkeit vom Dater in den 
Sohn ſich ergießende Lebensſtrom in die dem Sohne verbundenen 
und mit ihm verwachſenen Glieder, die Chriften, einmündet. „Wie 
mich der lebendige Vater geſandt hat und ich durch den Vater lebe, 
fo wird auch, wer mich ißt, durch mich leben“ (Joh. 6, 58). „Ich 
bin der Weinſtock, ihr ſeid die Rebzweige“ (Joh. 15, 5). Ein beben 
durchſtrömt den Weinſtock und feine Zweige, Eine Lebenskraft, Eine 
Fruchtbarkeit. Chriftus leidet in uns, und wir leiden Chriſti Geiden 
weiter (Kol. 1, 24; 1 Petr. 4, 13). Wir tun Chriftus ſelbſt, was wir 
den Seinigen tun (Matth. 25, 40). Wenn Chriſtus ſtirbt und begraben 
wird, ſterben wir und werden wir in ihm begraben (Röm. 6, 4; 6). 
Wenn Chriſtus von den Toten auferſteht und gen Himmel fährt, 
dann ſtehen wir mit ihm auf und ſteigen in ihm in den Himmel 
empor. So bezeugt es der Apoſtel: „Gott ... hat uns mit Chriſtus 
wieder lebendig gemacht, obſchon wir in unſeren Vergehen geſtorben 
waren ., er hat uns in Chriftus geſus miterweckt, uns mit ins 
Himmelreich verſetzt, um in den zukünftigen Zeiten den überragen⸗ 
den Reichtum feiner Gnade zu zeigen“ (Eph. 2, 4 f.). 

Dann folgt auch für uns, nach dem Maße der Gemeinſchaft der 
beiden (Röm. 8, 14), die 6emeinſchaft des Triumphes über Tod 
und Sünde und Hölle in der ſeligen Auferſtehung des Fleiſches und 
in der ewigen Glorie. Da wird das göttliche Leben, das er von 
feinem Geben in der heiligmachenden Gnade in uns niedergelegt hat — 
„von feiner Fülle haben wir alle empfangen“ (Joh. 1, 16) — auf⸗ 
blühen zur innigſten Teilnahme an Chrifti Herrlichkeit. Es wird ſich 


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das Wort erfüllen: „Ich habe ihnen die Herrlichkeit gegeben, die du 
mir gegeben haft“ (Joh. 17, 22). Wir werden zuſammen mit allen 
Seligen und heiligen in des Sohnes Erbe eintreten, „Erben Gottes 
und Miterben Chriſti“ (Röm. 8, 14), ewig erſtrahlend im Lichte der 
Sonne, die Chriſtus iſt, eingetaucht in die Wonnen und Freuden, die 
er ſelber genießt. Dazu hat er uns berufen in der heiligen Taufe, 
in den ungezählten heiligen kkommunionen und Gnaden, damit er 
uns ewig bei ſich habe, ewig ihm verbunden in ſeligſter Liebe und 
im Genuß des gleichen Glückes in dem entzückenden Schauen des 
Vaters, im reinften, ſeligſten Genießen der Güter der Gottheit. 


II. 
Die Gemeinſchaft der Gläubigen untereinander. 


ie Gemeinſchaft der Gläubigen mit Chriftus, dem Haupte, iſt die 

Vorausſetzung und der Grund der übernatürlichen Gemeinſchaſt 
der Heiligen untereinander. Die Zweige des Weinftockes ſtehen durch 
ihre Derbindung mit dem Weinſtock auch miteinander in Gemeinſchaſt 
und in ſtetem Austauſch. „Auch der Leib”, fo ſchreibt der Apoftel, 
„beſteht nicht aus einem Gliede, ſondern aus vielen. Spräche nun 
der Fuß: weil ich nicht Hand bin, gehöre ich nicht zum Leibe, fo 
gehört er darum doch zum Leibe. Gott hat den Leib fo eingerichtet, 
damit die Glieder einträchtig für einander Sorge tragen. Leidet ein 
Glied, ſo leiden alle Glieder mit; wird ein Glied geehrt, ſo freuen ſich 
alle Glieder mit“ (1 Kor. 12, 14ff.). 

1. Es iſt dieſe Semeinſchaft der heiligen einmal die Gemeinſchaft 
der Glieder der ſtreitenden Kirche untereinander, ein gegenſeitiges 
Geben und Nehmen, ein gegenſeitiges voneinander Abhängen, einan⸗ 
der Beeinfluſſen und aufeinander Angewieſenſein. In heiliger, über- 
natürlicher Gemeinſchaft des Glaubens und der Liebe beten fie: Vater 
unſer. Einer iſt ihr Wunſch: „Sebeiligt werde dein Name. Dein 
Wille geſchehe“. Einer für alle und alle für einen flehen ſie: Unſer 
tägliches Brot gib uns heute. Dergib uns unſere Schulden. Erlöſe uns 
von dem Übel. Eine erhabene Gebets- und Opfergemeinſchaft 
einigt und verbindet fie und macht ihre Gebete und ihre Opferhand⸗ 
lung wirkſam und fruchtbar. Das Danken und Anbeten, Flehen und 
Sühnen der vielen Herzen fließt zu einem gewaltigen Gebetsſtrom zu⸗ 


ſammen, der in das Gebet des heiligſten herzens des Gottmenſchen 


einmündet und mit dem unendlich heiligen und vollkommenen Beten 
geſu, des Hauptes und Mittlers, zu einer würdigen Anbetung, Bitte 
und Sühne verſchmilzt. Wie tröſtlich iſt für den betenden Chriften 


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das Bewußtſein, daß er mit feinem oft fo armfeligen und unvollkom⸗ 
meren Beten nicht allein fteht, daß vielmehr tauſend und abertaufend 
heilige Beter mit ihm und für ihn beten, ihm ihr Herz, ihre Liebe 
und ihr Gebet leihen und ſo erſetzen, was er trotz ſeines guten Wil⸗ 
lens infolge der menſchlichen Schwäche in feinem Gebete fehlen läßt! 
Wie erhebend und ehrfurchtgebietend iſt es für die Prieſter und für die 
Ordensleute, zu wiſſen, daß ſie ihre kirchlichen Tagzeiten nicht allein 
verrichten, ſondern im Derein mit dem großen Beterchor der ſtreitenden 
Kirche; zu wiſſen, daß ungezählte reine, in heiliger Liebesglut und 
Andacht erglühende Seelen mit ihnen, in ihren Anliegen und mei⸗ 
nungen, Herz und Band zum Vater erheben und fo ihr Gebet, ihre 
Frömmigkeit und Andacht unterſtützen und ergänzen! Wie gewinnen 
die Pſalmen, die fie beten, in dem Glauben an die Gebetsgemeinſchaft 
der ſtreitenden Kirche an Tiefe, an Gehalt und Sinn! — Wie beglückend 
iſt es ferner für den einzelnen zu wiſſen, daß da, wo er, in des Pe⸗ 
bens Sorgen und Mühen verſtrickt, ſeinem Schöpfer und Herrn nicht 
ununterbrochen ſeine huldigung und ſeinen Dank entbieten kann, die 
anderen ſtellvertretend für ihn, in feinen Anliegen und Intereſſen vor 
Bottes Angeſicht ſtehen, Tag und Nacht. Wie beglückend iſt es für 
ihn, ſich ſagen zu können, daß die Frucht jeder heiligen Meſſe und 
des ununterbrochenen kirchlichen Chorgebetes auch ihm zukommt, 
Segen und Gnade, Licht und Troft, Reue und Verzeihung, Glaube und 
Tugend ihm erflehend. 

Wie aber kraft der Semeinfchaft der Heiligen kein Glied der ſtrei⸗ 
tenden Kirche für ſich allein betet, losgelöſt vom Ganzen und aus 
ihm herausgeſtellt, ſo leidet auch keines für ſich allein. Das gott⸗ 
gefällig getragene Leiden, die freiwillig, aus dem Drang der heiligen 
Chriftus= und Gottesliebe übernommenen Mühen und Arbeiten, Ab⸗ 
tötungen und Opfer, dienen dem Wohl und dem Wachstum aller, er⸗ 
wirken allen Gliedern des geheimnisvollen Leibes Chrifti auf Erden 
ſteten Zuwachs an Gnaden und übernatürlichen Reichtümern. Wieviel 
Segen ergießt ſich von dem Schmerzenslager eines guten Chriſten auf 
die ganze Rirche auf Erden, auf die Sünder und auf die Gerechten, 


auf die Derfuchten und Befährdeten, auf die Ringenden und Schwan⸗ 


kenden! Wer erkennt nicht die Macht der Gemeinſchaft der Heiligen 
in der leidenden Nonne von Dülmen, Ratharina Emmerich, in der Dul⸗ 
derin von Porto, der Schweſter Maria vom göttlichen Herzen von 
Droſte⸗Uiſchering, in der ſeligen Kreszentia von Kaufbeuren und fo 
vielen andern chriſtlichen Duldern? Wieviel Sühne leiſten dieſe helden⸗ 
ſeelen, die hochherzig und geduldig ihren blutigen kireuzweg gehen, 


400 


nicht nur für ſich, ſondern für ihre Brüder und Schweſtern auf Erden, 
Dadbilder und Nachfolger deſſen, der in feinem beiden und Sterben 
ftellvertretend für uns alle dem Dater vollkommen genuggetan! Wie 
viel Strafen wenden diejenigen von ihren Brüdern ab, die in Chrifti 
Geift ihr Leiden und ihre krankheit tragen! Sind es nicht oft reine, 
unſchuldige Seelen, die kaum mehr für ihre eigenen Sünden, dafür 
umſo mehr für die Sünden ihrer Mitchriſten Sühne leiſten und ſich 
opfern müffen? | | 

Wie mächtig erweilt fi die Semeinſchaft der Heiligen hier auf 
Erden in der Tatfache, daß der Chrift im Stande der heiligmachenden 
Gnade mit all feinen guten Werken, mit allem, was er betet und 
arbeitet, opfert und leidet, den anderen, ſelbſt den Sündern, Gnaden 
und Segen erflehen kann! In der Gemeinſchaft der Heiligen wird der 
Chrift eine Quelle des Segens nicht nur für ſich, nicht nur für den einen 
oder anderen, nicht nur für feinen Freund oder feine Dolksgenoffen: 
er wächſt hinaus über die Engheit ſeiner Perſon, ſeiner Familie und 
feines Volkes. Sein Beten und Wirken wird allumfaſſend, Ratholiſch, 
allen dienend und helfend. bebte der Chriſt doch immer im Bewußt⸗ 
ſein dieſer ſeiner Stellung und Bedeutung im Ganzen, dieſer ſeiner 
macht für das Ganze und für alle einzelnen Glieder der ſtreitenden 
Kirche, im lebendigen Glauben an die Gemeinſchaft der Heiligen! 

Es ift die Semeinſchaft der Gläubigen auf Erden in der Tat eine 
wunderbare Gemeinſchaft übernatürlichen Sebens und Helfens, Emp⸗ 
fangens und Entgegennehmens, gegründet auf die Gemeinſchaft der 
alle umſchließenden chriſtlichen Liebe. Einer ift der Glaube, Eines 
das koſtbare Gut der Wahrheit, Eines iſt das ſichtbare Haupt der 
Erdenkirche. Alle beſitzen die gleiche Taufe, die gleiche heilige Meſſe, 
die gleichen heiligen Sakramente, die gleichen Gebote und Verbote. 
Eines ift das erhabene Fiel der ſeligen, übernatürlichen Sottanſchauung. 
Einer iſt der in allen wirkende Chriſtus. Indes, damit die Gemein⸗ 
ſchaft der Gläubigen auf Erden eine lebendige und wahrhaft leben⸗ 
ſpendende ſei, muß fie vor allem eine Zemeinſchaft der gegenſeitigen 
Liebe und der Eintracht der Herzen fein, eine Semeinſchaft gegen- 
feitiger Anteilnahme an Freud und Leid, an Glück und Unglück, eine 
Gemeinſchaft treuer Dienſtbereitſchaft und liebender Hingabe an den 
Mitbruder. „Leidet ein Glied, ſo leiden alle mit; wird ein Glied ge- 
ehrt, fo freuen ſich alle mit“ (1 Kor. 12, 26). nach dem Maß der 
biebe bemißt ſich die Wahrheit und Wirkſamkeit jeder anderen Ge- 
meinſchaft der Chriſten auf Erden. Wo innerer Haß ein Herz vom 
anderen trennt, da wird die Gemeinſchaft des Gebetes, des ſtellver⸗ 


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tretenden Leidens und Opferns zu nichte gemacht. Wie foll es auch 
anders fein? Nur wo Liebe im Herzen, ift die heiligmachende Gnade, 
und nur wo die heiligmachende Gnade, da iſt lebensvoller Anſchluß 
an Chriftus, ohne welchen es keine wirkſame Gemeinſchaft der Gläu⸗ 
bigen auf Erden geben kann. Aus dem vollen Derftändnis der Ge⸗ 
meinſchaft der Heiligen heraus gibt geſus das „neue“ Gebot, „daß ihr 
einander liebet, wie ich euch geliebt habe” (Joh. 13, 34). Aus der 
vollen Würdigung der Gemeinfchaft der Heiligen wird geſus beim 
Gerichte die Entſcheidung treffen nicht nach den höhen des Gebets⸗ 
lebens, nicht nach den großen Werken der Überwindung und der Ab⸗ 
tötung in ſich, ſondern nach der Geſinnung und nach den Werken 
der Liebe (Matth. 25, 34 ff.). Aus dem tiefen Derftändnis des Ge= 
heimniſſes der Gemeinfchaft der Heiligen heraus ſchreibt ein Apoftel 
Johannes feine unvergleichlichen Briefe und fingt ein heiliger Paulus 
das Hohelied der Liebe (1 Kor. 13). Daß doch in unſeren Tagen des 
Zwieſpaltes, des Neides, des Wuchers und des Nationalismus dem 
Chriften das Verſtändnis für die Semeinſchaft der Heiligen im vollen 
bichte aufgingel Wieviel Selbſtliebe und Selbſtſucht, wieviel Eng⸗ 
herzigkeit und kleingeiſtigkeit, wieviel Iwietracht und Eiferfucht würde 
ſterben, wieviel neues Leben erftehen! 

Es iſt ja leider zu wahr, daß kraft der Gemeinſchaft der Heiligen 
auch die Sünde des einzelnen das Ganze, die Geſamtheit der Kirche 
auf Erden, in ihren heiligſten Intereſſen und Gütern ſchädigt, daß, 
wer fündigt, nicht bloß ſich allein um Gnade und Fortſchritt bringt, 
ſondern auch alle ſeine Mitchriſten hemmt und an ihnen ſich verſün⸗ 
digt. Seine Sünde greift über ſeine Perſon und ſein Tun hinaus; es 
dringt mit unheimlicher Macht in den ganzen Organismus ein und 
wirkt ſich im Ganzen aus, da ſie dem Ganzen Gnade entzieht, das 
Ganze in feine Strafe mithineinzieht und in der vollkommenen Ent⸗ 
faltung des Gnadenlebens hindert, ſelbſt da, wo es ſich nicht um ein 
äußerlich in die Erſcheinung tretendes Ärgernis oder um Verführung 
handelt. Jede, auch die geheimfte Sünde, fei fie groß oder weniger 
groß, iſt ein Angriff auf den ganzen Leib und auf alle Glieder der 
ſtreitenden Hirche, auf ihre Geſundheit und ihre Lebenskraft, auf ihr 
Bedeihen und ihre Fruchtbarkeit. Aus dem Glauben an die Gemein⸗ 
ſchaft der Heiligen heraus erklärt es ſich, daß die heilige Liturgie in 
den Pſalmen und Gebeten Tag für Tag um die Befreiung von Schuld 
und Sünde fleht. Wie Chriſtus, der abſolut Reine und heilige, am 
ölberg unter der Wucht der Sünde zuſammenbricht, die er, ohne ſelbſt 
Sünder zu fein, freiwillig auf ſich genommen, als wäre fie feine eigene 


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Sünde, fo ſeufzt und fleht die heilige Kirche um Gnade, um Verzeihung 
und Erbarmen für die Sünden und Derbrecdhen, deren ſich ihre ein⸗ 
zelnen Glieder ſchuldig machen. Der ganze Leib leidet unter den 
Wunden des einzelnen Gliedes und fühlt deſſen Weh und Schmerz. 
Die ktirche in ihrer Geſamtheit fühlt ſich eins mit dem einzelnen, der 
ſündigt und hört nicht auf zu flehen: „Erbarme dich meiner, herr, 
nach deiner großen Milde, nach deiner übergroßen Güte tilge meine 
Sündenſchuld. Waſch meinen Frevel gänzlich ab von mir, rein mache 
mich von meiner Sünde: denn ich erkenne meine Miſſetat, bin meiner 
Schuld mir allzeit bewußt“ (Pf. 50, 3ff.). Hätten die Chriſten die Tiefe 
und Gebendigkeit des Glaubens an die Gemeinſchaft der heiligen, wie 
die heilige Kirche in ihren Gebeten fie hat, fie würden in der heiligen 
Liturgie den ganzen Schmerz und das bittere Leid der kirche leben⸗ 
diger und tiefer mitempfinden und daraus vor allem die Folgerung 
ziehen, daß fie alles tun, um ja die Kirche mit keiner Sünde zu be⸗ 
flecken und zu ſchädigen. Sie würden mit jedem Tage aus der hei⸗ 
ligen Liturgie einen neuen, glühenden Haß gegen das Böfe ſchöpfen 
und mit ganzer Seele daran gehen, ſich mehr zu heiligen und, wo 
immer fie können, ihre Mitmenſchen der Sünde zu entreißen und fie 
davor zu bewahren. Dazu drängt der Geiſt der heiligen Liturgie und 
der Glaube an die Gemeinſchaft der heiligen. 

Der Glaube an die Gemeinſchaft der heiligen bildet die eifrigen 
Prieſter, die alles dahingeben, nur um ihre eigene Seele zu heiligen 
und die Seelen der anderen zu retten. Dieſer Glaube bildet die 
heiligen Jungfrauen, die auf die Welt und ihre Reize, auf Ehe und 
Familie verzichten, ſich in die Klöſter zurückziehen, ſich dort gleichſam 
vor der Welt und für die Welt vergraben und ſo in einem Gebet 
aus reinem, gottliebenden Herzen für die Welt zur Quelle des Segens 
werden. Dieſer Glaube bildet die Heere unferer begeiſterten Miſſio⸗ 
näre und Apoftel, die ihr beben dahingeben, nur um den armen heiden 
die Türen zur Gemeinfchaft der heiligen und zu deren heiligen Gütern 
zu eröffnen. Dieſer Glaube bildet die herzen, die keine andere Liebe 
kennen als die hingebende Liebe zu den Armen und kranken, zu 
den Kleinen und Zertretenen. Sie find überreich belohnt, wenn [ie 
nur ihre Brüder und Schweſtern tröſten, ihnen helfen und ſie beglücken 
können, und wenn ſie dieſelben den Weg nach oben führen dürfen, 
zu Chriftus, zu Sott. Nur im Glauben an die Gemeinſchaft der hei⸗ 
ligen hat ihr beben und Wirken feinen Grund. 

2. Die Semeinſchaft der heiligen ift ſodann die Gemeinſchaft der 
ſtreitenden mit der leidenden Kirche. Trauernd ſteht das Kind 


. * 


u 1 


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am Grab der Mutter. Aber feine Trauer iſt verklärt durch den Glau⸗ 
ben und durch die Überzeugung, daß die Tote lebt. Noch mehr. Sie 
lebt nicht bloß, fie ſteht in lebendiger Derbindung und in wahrem 
bebensaustauſch mit dem auf Erden zurückgelaffenen Kind. Wie im 
Leben, fo gibt es auch jetzt, trotz der Trennung durch den Tod, zwi⸗ 
ſchen Mutter und Rind eine Gemeinſchaft des Sebens und Nehmens, 
des Belfens und Dienens, eine Bemeinfchaft wirkſamer ununterbroche⸗ 
ner heiliger Liebe und liebender, helfender Fürſorge. 

Unvergleichlich tief erfaßt die heilige Liturgie die Gemeinſchaft der 


ſtreitenden und leidenden Kirche. Sie macht mit der Wahrheit von 


unſerer ftellvertretenden Genugtuung für die Seelen des Fegfeuers 
vollkommen ernft, wenn fie im Totenoffizium aus dem herzen und 
aus den Peinen der armen Seelen heraus ihre Pſalmen und Gebete 
zu Gottes Thron emporſendet. Da iſt fie mit den büßenden Seelen des 
Reinigungsortes ganz eins geworden, teilt ihre Qualen, ihre Reue, 
ihre Peinen, ihre Gottesliebe, ihr Derlangen nach der Anſchauung Gottes, 
ihre Hoffnung auf baldige Erlöſung. „Ich erhebe meine Augen zu den 
Höhen, von denen mir Hilfe kommen ſoll. Meine Hilfe kommt vom 
herrn, der himmel und Erde gemacht. Er läßt deinen Fuß nicht 
wanken, und der, der dich behütet, ſchläft nicht“ (Pf. 120). Und wie⸗ 
derum: „Aus der Tiefe rufe ich zu dir, o herr, Herr, erhöre meine 
Stimme. Laß deine Ohren aufmerken auf das Rufen meines Flehens. 
Wenn du auf die Verſchuldungen acht haben willſt, Herr, o Herr, wer 
wird alsdann beſtehen?“ (Pf. 129). „Ich will dich preifen, Herr, von 
ganzem Herzen, will anbeten gegen deinen heiligen Tempel hin und 
deinen Namen preiſen, um deiner Barmherzigkeit und deiner Treue 
willen“ (Pf. 137). In froher Erlöſungshoffnung ſtimmt die heilige 
Liturgie das Magnifikat und Benediktus an, die Sehnſucht und Er⸗ 
wartung der Seelen des Fegfeuers teilend und miterlebend. Indes, 
es iſt der heiligen Kirche zu wenig, nur etwa im Totenoffizium, an 
Allerſeelen oder in den Totenmeſſen ihre Gemeinſchaft mit den Seelen 
des Fegfeuers zu betätigen. Sie weiß ſich vielmehr ununterbrochen 
eins mit ihnen, fie fühlt in allen ihren Gebeten mit ihnen und ſeufzt 
und fleht mit ihnen. Welcher Troſt für uns, zu wiſſen, daß die ſtrei⸗ 
tende Kirche mit ſolcher Liebe und hingebung für unſere verſtorbenen 
Brüder forgt, und dereinſt auch für uns ſorgen wird! Die lebendige 
Überzeugung von der Gemeinſchaft der ſtreitenden mit der leidenden 
Rirche durchherrſcht die ganze heilige Citurgie und verleiht den Pſal⸗ 
men und den Kirchengebeten eine erhabene Weite und Katholizität. 
Sie macht es auch demjenigen, der die kirchlichen Tagzeiten zu beten 


404 


verpflichtet ift, leicht, in dem heiligen Offizium immer neue Geſichts⸗ 
punkte und Anregungen, einen immer größeren Reichtum und eine 
unerſchöpfliche Fülle von religiöfen Antrieben und Betätigungen zu 
entdecken und fo das liturgiſche Leben fruchtbar zu machen. Die 
heilige Citurgie iſt eben der lebendigſte Ausdruck der Gemeinſchaft 
der heiligen, der Tatfache, daß die Seelen des Reinigungsortes mit 
der ſtreitenden Kirche auf Erden Glieder des Einen Leibes Chriſti find, 
Zweige an dem Einen Weinftock Chriftus. In Chriftus, dem die Glie⸗ 
der einigenden und belebenden haupte, gehören fie zueinander, beten 
in heiliger Liebe miteinander und füreinander, einander helfend und 
dienend, „ein herz und eine Seele. Niemand nannte etwas von feinem 
Beſitz fein eigen. Alles hatten fie miteinander gemeinſam“(Apg. 4, 32 ff.). 

Die armen Seelen leiden große Pein. Ihr ganzes Drängen und 
Sehnen geht nach Bott und feinem Genuß: aber eine mächtige Hand 
hält fie geheimnisvoll zurück, bis fie den letzten Heller bezahlt und 
die Strafe, die fie ſich im Erdenleben zugezogen, vollkommen abgebüßt 
haben. Wie ſoll dies geſchehen? Ihre Tränen helfen ihnen nichts; 
mögen fie noch fo ſehr in heiliger Giebe entbrennen, mögen fie noch 
fo ſehr die Dergangenheit bereuen, mögen fie unaufhörlich beten und 
flehen, es nützt ſie nichts, denn mit dem Sterben iſt die Zeit des 
Wirkens zu Ende. Es iſt „die Nacht gekommen, in der niemand mehr 
wirken” (Joh. 9, 4) und niemand mehr für fein Heil etwas tun oder 
Verzeihung und Entſündigung verdienen kann. Einzig leiden und 
immer leiden, bis der göttlichen Gerechtigkeit Genüge geleiſtet iſt! 
Bitteres os! Auf Grund der Gemeinſchaft der Heiligen aber dürfen 
und können wir, die wir noch in dieſem ſterblichen Leben zu wirken 
imftande find, an ihrer Statt, zu ihren Sunſten eingreifen. Was fie 
nicht können, iſt uns möglich gemacht, ſolange wir im Stande der 
heiligmachenden Gnade find und ſolange chriſtliche Liebe zu unferen 
Toten uns drängt. Die Gemeinſchaft der Heiligen wird zur innigſten, 
lebensvollſten Einheit, zur Einheit nicht nur der fürbittenden Liebe 
und Teilnahme, ſondern zur Einheit der Stellvertretung, des Aufgehens 
der Gläubigen auf Erden in den Seelen des Fegfeuers und der ſelbſt⸗ 
loſen hingabe an dieſe Armſten der Armen! Stellvertretend für fie 
vereinigen wir in der heiligen Meſſe unſer Flehen und Sühnen mit 
dem unendlich wirkſamen Flehen und Sühnen des ſich opfernden Chri- 
ſtus und bringen es durch ihn, durch ſeine hände und durch ſein herz 
vor den Vater (Gedächtnis der Derftorbenen nach der heiligen Wand⸗ 
lung). Stellvertretend für fie verrichten wir unſere Gebete, unfere 
Arbeiten und guten Werke, damit der ſühnende Wert deſſen, was wir 


405 


tun, zu ihrem Eigentum werde und ihre beiden mildere, abkürze und 
endige. 80 leben wir mit unſeren teueren Toten Tag für Tag, durch 
Abläſſe, durch Gebete, durch alles, was wir im Stande der heilig⸗ 
machenden Gnade tun und opfern, ihnen helfend, ſie aus ihren Peinen 
erlöſend! M das nicht eine herrliche Tat chriſtlicher Liebe! Die Liebe 
ift in der Tat ſtärker als der Tod, fie reicht über das Grab hinaus, 
nicht in unfruchtbaren Erinnerungen und Träumen, in totgeborenen 
Wünſchen und Worten, ſondern in wirkſamem Dienen und helfen, 
geftüßt auf die Semeinſchaft der Heiligen, auf das große Sakrament 
der heiligen Taufe, auf den Glauben, auf den Stand der heiligmachen⸗ 
den Gnade. Wie ift des echten Chriſten Beten und Wirken groß, daß 
es nicht bloß die Glieder der ſtreitenden Kirche auf Erden bereichert, 
daß es ſogar in die Flammen des Reinigungsortes hineindringt und 
Troſt, Hilfe und Erlöſung ſchafft! 

Aber auch das Beten und Flehen der leidenden Seelen im Fegfeuer, 
ohnmächtig, ihnen ſelbſt Hilfe oder Erlöſung zu verſchaffen, iſt in der 
Gemeinſchaft der heiligen fruchtbar geworden, fruchtbar für uns, ihre 
Brüder und Schweſtern in Chriſto. Die Liebe der armen Seelen, ihre 
dankbare Geſinnung, vor allem ihre Gebete und Fürbitten begleiten 
uns auf unſerem Lebensweg, uns Gnaden, Schutz und Hilfe erflehend. 

So umſchlingt die Kirche auf Erden und die Kirche im Fegfeuer ein 
heiliges Band der übernatürlichen Liebe, der gegenſeitigen Anteilnahme 
an Freud und Leid, des reinften Intereſſes für das gegenſeitige über- 
natürliche heil und Wohl. JIft es nicht ein großer Troſt und ein 
mächtiger Sporn zugleich, zu wiſſen, daß unſere Gieben auch über das 
Grab hinaus auf uns ſchauen, und daß fie von uns ein Geben er⸗ 
warten, kraft deſſen wir in der Gage ſeien, ihnen zu helfen und von 
ihnen Hilfe zu erhalten, ein Leben des lebendigen Anſchluſſes an 
Chriftus und feine heilige Kirche, an die Bemeinfchaft der Heiligen? 

3. Endlich iſt die Gemeinfchaft der Heiligen die Gemeinfchaft der 
leidenden und der ſtreitenden Kirche mit den Seligen und heiligen 
des Himmels. Eine Wahrheit voll unergründlicher Tiefe und un⸗ 
überfehbarer Weite! Wir wollen hier einzig die Gemeinſchaft der 
ſtreitenden mit der verklärten Kirche, unter Husſchluß der Gemeinſchaft 
der leidenden mit der triumphierenden Kirche, behandeln. 

Hoch über unſeren Häuptern kreiſen in feſten Bahnen die lichten 
Sterne des himmelsgezeltes. Sonnenfernen trennen uns von ihnen. 
Und doch verbinden uns die gleichen Kräfte und Geſetze der Natur 
mit ihnen und ziehen unſere Erde in die Bewegung der Sterne und in 
die Abhängigkeit von ihnen hinein. Tauſendmal erhabener als dieſes 


406 


Ineinandergreifen von Erde und Himmel ift das Geheimnis, daß wir 
Erdenpilger mit den Seligen und Heiligen des Himmels in übernatür⸗ 
licher Gemeinſchaft ſtehen, daß wir, obwohl fie hoch über uns ſtehen, 
von ihnen nicht getrennt und losgelöſt, vielmehr in Chriſtus und durch 
unſere Einverleibung in Chriſtus mit ihnen aufs engſte verwachſen ſind. 
Unſere Gemeinſchaft mit den Heiligen des Himmels feiert die hei⸗ 
lige Liturgie in jeder heiligen Meſſe in den verſchiedenſten Formen. 

Was iſt der Kuß des Altars durch den Prieſter anders als die Der: 
einigung und die bebendigmachung der Gemeinſchaft des opfernden 
Prieſters und durch ihn des mitopfernden Volkes mit dem Altar, d. i. 
Chriftus, und mit den Heiligen, deren Reliquien im Altare ruhen? Und 
wenn die heilige Liturgie in der Präfation unfer armſeliges Loben 
und Danken an die Huldigung ſich anſchließen läßt, welche die Engel 
der heiligſten Majeſtät des dreieinigen Bottes darbringen; und wenn 
ſie dann uns einſtimmen heißt in das Sanctus, sanctus, sanctus der 
Cherubim und Seraphim; und wenn ſie nach dem Gedächtnis der 
Lebendigen unſere Blicke emporhebt zu den ſeligen Regionen der 
lichten himmelsbewohner und uns in Bemeinfchaft treten heißt (Com- 
municantes), in Opfergemeinſchaft mit „der glorreichen, allzeit reinen 
Jungfrau Maria, der Mutter Gottes und unſeres Herrn geſus Chri- 
ſtus“; in Gebets⸗ und Opfergemeinſchaft „mit den heiligen Apofteln 
und Marturern Petrus und Paulus, Linus und Kletus ., Kosmas 
und Damian und allen Heiligen“, was feiert fie damit anders als das 
große Geheimnis der Bemeinfchaft der ſtreitenden mit der verklärten 
Kirche? Dem gleichen fruchtbaren Geheimniſſe dient die Feier der 
Feſte der Mutter Gottes, der Engel und heiligen. Immer und über⸗ 
all ſollen wir es erfahren, daß unſer beben aufs innigſte mit dem 
ſeligen beben unſerer Brüder im himmel verwoben iſt, uns zur Er⸗ 
mutigung, zum Vorbild und zur Mahnung, wie wir in Gemeinſchaft 
mit den heiligen und Auserwählten uns zu benehmen, was wir zu 
ſuchen und zu erſtreben haben. 

Wie fühlt ſich die heilige Kirche in ihrer Citurgie den Seligen und 
Heiligen des Himmels ſo nah! Sie nimmt teil an ihrer Anbetung, 
an ihrem Gotteslob, an ihrer Dankſagung, an ihrem Beten und Bitten. 
Sie tritt ein in ihre Reihen, geſellt ſich ihnen mutig bei, ſie trium⸗ 
phiert mit ihnen und jubelt mit ihnen heimatliche bieder voll himmels⸗ 
duft und Himmelsglück. Sie verkehrt mit ihnen wie ein Bruder mit 
dem Bruder. Sie nimmt an ihrem Sieg, an ihrer Ehre, an der Frucht 
ihrer Gebete, Mühſale, Ceiden, Kämpfe und Arbeiten auf Erden teil. 
In heiligem Drang der Liebe und der Dankbarkeit gegen Gott ruft 


407 


fie die Heiligen auf, den herrn zu lobpreiſen und ihm zu fingen. Nicht 
genug damit, daß ſie ſich ſo den Heiligen zugeſellt, betrachtet ſie auch 
deren Gnaden und Derdienfte als ihre eigenen Gnaden und Derdienfte 
und dankt durch geſus Chriftus dem Vater für alles, was er feinen 
Heiligen geweſen und gegeben. Ja, in dem gleichen Bewußtſein der 
Semeinſchaft der ſtreitenden und der verklärten Kirche bietet fie dem 
Vater zum Erſatz für die Unvollkommenheiten und Mängel ihrer 
Rinder auf Erden und um ihnen neue und größere Gnaden zu er⸗ 
langen, die Gebete und die Derdienfte der heiligen an, gleich als 
wären dieſe ihr eigenſtes Beſitztum. 

Welche Quelle geiſtlichen Reichtums und übernatürlicher Gnaden 
für die kirche auf Erden! Es iſt nicht ein leeres Wort, wenn wir 
zu den heiligen rufen: Bittet für uns. Mit ſeinem heiligen, aus 
innigſter Gottesliebe geborenen Gebet, unterſtützt von den in feinem 
Erdenleben gewirkten Derdienften, von feinen Werken, Abtötungen, 
beiden und Opfern, tritt der heilige durch Jefus, den Mittler, zum 
Dater und bietet ihm fein Gebet, feine huldigung, feine Unterwürfig⸗ 
Reit an, flehend, daß der Dater uns Erdenpilgern zurechne, was er 
im heiligen liebt und ehrt. Maria, die Mutter des Herrn, macht 
ihren Einfluß zu unſerem Heile geltend. Die Chöre der Heiligen vereinigen 
ſich mit ihr und weihen der heiligſten Dreifaltigkeit alles, was ſie 
haben, bittend, ſie möge es ſo annehmen, als käme es von uns und 
wäre es unſer Tun und unfere Gabe. 80 dürfen wir das beben und 
Lieben der Heiligen, ihre Demut, ihren Gehorſam, ihren Eifer, ihren 
Geift des Opfers und der Selbftverleugnung, ihre Nächſtenliebe, ihren 
Seeleneifer, ihre Tugenden und Dollkommenbeiten, ihre ununter⸗ 
brochenen Dankſagungen und Gobpreifungen im himmel als unfer 
Eigentum betrachten und Gott anbieten. 

Solches vermag die übernatürliche Liebe, welche die Glieder der 
Gemeinſchaft der Heiligen, die Setauften auf Erden mit den Seligen 
des Himmels verbindet. In dieſer Gemeinſchaft erwächſt uns eine 
beglückende Vollendung und Bereicherung unſeres unvollkommenen 
Betens und Wirkens. Es verſchmilzt mit dem vollkommeneren Beten 
und Lieben der Heiligen und wird fo ſegensreicher und gottgefälliger. 
bebte doch in den Chriften jener Glaube an die Gemeinſchaft der 
Heiligen, von dem die heilige Liturgie getragen ift! Sie blieben dann 
nicht einſeitig bei der Bewunderung unſerer heiligen ſtehen. Sie 
würden in den heiligen auch nicht einſeitig nur das Vorbild und das 
Beiſpiel ſehen oder gar darauf ausgehen, ihre rein menſchlich⸗natür⸗ 
lichen Seiten einfeitig ins Gicht zu ſtellen. Sie würden mit den heiligen 


408 


in lebendige Fühlung treten, als Brüder mit ihnen leben, ihre Gebete 
und Derdienfte, ihre Gottesnähe und Bottwohlgefälligkeit ſich zunutze 
machen, an ihrer Seligkeit ſich erfreuen und ſich hoffnungsfreudig 
an ihnen aufrichten, durch ihrer heiligen Freunde und Brüder der 
Zott ihre huldigung und ihre Bitten darbieten. Das wäre eine vor: 
zügliche Art, die Heiligen zu ehren, ihre Derdienfte und die Araft 
ihrer Fürbitte anzuerkennen und für uns wirkſam zu machen. bebte 
vor allem in den offiziellen Betern der Kirche, in den Prieſtern und 
Ordensleuten der Glaube an die Gemeinſchaft der heiligen, fo oft 
und ſolange fie dem göttlichen Offizium obliegen! Fühlten fie ſich 
dabei ganz aufgenommen und hineinverſetzt in die betende verklärte 
kirche und ſängen fie ihre Pfalmen und humnen zuſammen mit den 
Chören der Engel und Heiligen, unter der Führung und lebensvollen 
Teilnahme des hehren Liturgen und Hohenprieſters Chriftus! Wie 
ginge ihnen das Derftändnis für die liturgiſchen Feiern, für die Gebete 
und Texte auf! Wie ſehr würde die Andacht gewinnen! Wollten 
die Gläubigen mit den Heiligen in wahre Gebetsgemeinſchaft treten, 
wollten fie zuſammen mit dem Prieſter im Geift der Meßgebete, mit 
den Heiligen im gleichen Drang der hingabe an Gott und ſeine Ehre 
Opfergemeinſchaft halten und die heilige Meſſe feiern! Wollten fie 
nicht bloß mit Worten, ſondern in wahrer Geſinnungseinheit im 
Communicantes mit den heiligen in Derbindung treten, gleichen bei⸗ 
ſtes und Sinnes, gleichen Strebens und biebens mit ihnen! Es er 
blühte aus dem ſtarken Glauben an die Gemeinſchaft der Heiligen 
ungeahnte ktraft und friſcher Mut zu ganzem chriſtlichen Geben. Mit 
edlem Stolz würden die Chriſten bekennen: „Ich glaube an eine 
Gemeinſchaft der heiligen!“ | 

Es iſt eine erhabene, echt katholiſche Wahrheit, die wir im Bekennt- 
nis der Gemeinfchaft der Heiligen zum Ausdruck bringen. Es iſt der 
Semeinſchaftsgedanke in feiner edelſten Geſtalt, in feiner Erde und 
Fegfeuer und himmel umſpannenden kiraft, ohne das Individuum, 
die Einzelperſönlichkeit herabgzuwürdigen oder zu erdrücken, vielmehr 
fie erhebend, bereichernd und vollendend! Das iſt chriſtlicher Sozie 
lismus, fo alt wie die katholiſche kirche. Ein Sozialismus, nicht 
auf die Lügen des Materialismus und des ausſchließlichen Diesſeits⸗ 
gedankens aufgebaut, ſondern auf die untrügliche Wahrheit Chrifi 
und auf feine Perſon. Oder was iſt die Gemeinſchaft der heiligen 
anders als die Auswirkung und kraftvolle Durchſetzung der Menſch⸗ 
werdung des Sohnes Gottes? Was iſt fie anders als der Nusfluß der 
gottmenſchlichen Würde, Kraft und Gnade des Hauptes und Mittlers 


409 


gefus Chriftus? Was ift fie anders, als die Geltendmachung des 
Wortes Chriſti: „Ich bin der Weinftock, ihr feid die Rebzweige“ 
(goh. 15, 5)? Die Gemeinſchaft der Heiligen geht von Chriftus aus, 
hat in ihm ihren tiefften Grund und ihren Beftand, fie führt aber 
auch wieder zu ihm zurück. Sie iſt das beredte Zeugnis feiner einzig» 
artigen Würde und Stellung gegenüber den Engeln und den Menſchen, 
ja gegenüber der ganzen Schöpfung. Ihm iſt ein Name gegeben, 
: „der über alle Namen if. Im Namen Jefu ſollen ſich alle kiniee 
beugen im himmel und auf Erden und in der Unterwelt. Und alle 
Jungen ſollen zur Derehrung Gottes des Vaters bekennen: geſus 


Chriſtus iſt der Herr“ (Phil. 2, 9 ff.). 


2 


3 .“ 


EN: u Fa 


POUREOITREOEUEHIBOUEOUOROOEHOOORCUCEOEHUEHASTVEESOHETEOPEEEREOUEENEEHALORLEEHEUUOEOEEROOOIOUUUTOTFOTCTWEUTLEOTEOETEEEEUEOERELEOOREOTOHHUHTTEEEHOULEUHOVEORPHOREREOREAUUVHTETEREREE 
neee eee eee eee eee tees eesti ener 


Erwachen der Vernunft u. Sündenbewußtſein. 
| Don P. Alois Mager (Beuron). 


! 
Dis! darf ich vorausbemerken, daß wir die Frage, die hier an⸗ 
f geſchnitten werden ſoll, faſt ausſchließlich vom pſuchologiſchen 
Standpunkt aus erörtern. 
Gebrauch der Vernunft und Sündenbekenntnis beim kiind iſt ein 
Problem, das für die Pfychologie eine Reihe noch ungelöfter Fragen 
in ſich fließt. Gebrauch der Vernunft und Sündenbewußtſein find 
zwei ſeeliſche Tatſachen, die ſich gegenſeitig bedingen. Als Sünder 
ſich zu erkennen und zu bekennen vermögen nur diejenigen, die zu 
fündigen überhaupt imftande find. Sündigen aber kann nur, wer den 
Gebrauch der Vernunft hat. Zum Sündenbekenntnis darf daher nur 
einer verpflichtet werden, deſſen Vernunft ſich frei betätigen kann. 
EKliichenrechtlich und nach allgemeiner Annahme der Moraltheologie 
wird der Gebrauch der Vernunft im ſiebten Lebensjahr als vorhanden 
betrachtet. Soweit dieſe Beſtimmung kirchenrechtlicher Natur bleibt, 
wäre Rein Bedenken am Platz. Sie iſt vielmehr eine überaus zweck⸗ 
mäßige Feſtſetzung. Moraltheologiſch allerdings gelten hier Geſichts⸗ 
punkte, welche die Frage ungewöhnlich verwickeln. Denn für die 
Moraltheologie und die ſeelſorgerliche Praxis entſcheidend iſt die 
Frage: Wann tritt im beben des Menfchen der Augenblick ein, wo 
er wirklich fündigen kann und auch fündigt? Ohne Zweifel iſt er 
zunächſt an einen beſtimmten Grad innerer und äußerer, geiſtiger 
und körperlicher Entwicklung gebunden. Bei den verſchiedenen Men⸗ 
ſchen tritt er zu verſchiedenen Zeitpunkten ein, bei den einen früher, 
bei den anderen ſpäter, ſchon vor dem ſiebten Lebensjahr, vielleicht 
Benediktiniſche Monatſchrift IV (1922), 10— 12. 27 


410 


auch erſt nachher. Wir dürfen zur Löfung der Frage, wie wir ſie 
ſtellten, nicht ſchlechthin von einem phuſiſchen Lebensjahr ausgehen. 
Wir müſſen einen anderen Ausgangspunkt wählen. 

genes ſeeliſche Etwas, das im Einzelfall darüber letztlich entſcheidet, 
ob eine Handlung ſittlich gut oder bös iſt, nennen wir Sewiſſen. 
Gewiſſen iſt nach der Moraltheologie die unmittelbarſte innere Norm 
für die Sittlichkeit unſerer handlungen. Es wird damit eine Tatſache 
ausgeſprochen, deren pſychologiſche Tragweite allgemein unterſchätzt 
wird. Es kann der Grundſatz der Moraltheologie nicht nachdrücklich 
genug betont werden, daß die menſchlichen Handlungen ihre letzte 
ſittliche Prägung, ihr ſittliches Gut⸗ und Bösſein von Geſetzen und Ge⸗ 
boten nicht an ſich, ſondern nur inſofern haben, als dieſe in jedem 
einzelnen Fall vom Gewiſſen wirklich als verpflichtend erkannt und 
angewendet werden. 

Es will mir ſcheinen, als wäre es ein Mangel in unſerem theolo= 
giſchen und katechetiſchen Unterrichtsbetrieb, daß er zu einſeitig und 
ausfchließlich die Gefegesfeite und viel zu unzureichend die Gewiſſens⸗ 
abhängigkeit der ſittlichen handlungen in den Vordergrund rückt. Die 
Verſelbſtändigung des Einzelmenſchen und die Erforſchung des menſch⸗ 
lichen Seelenlebens machte ſeit den letzten zwei Jahrhunderten große 
Fortſchritte. Wir wären heute in der Cage, die Bedeutung des Ge⸗ 
wiſſens für unſeren ganzen ſeeliſchen haushalt viel umfaſſender zu 
begreifen, als es früher möglich war. Unſere religiöfe Erziehung 
müßte viel mehr darauf angelegt fein, das Einzelgewiſſen aus feinen 
Derfhalungen zu löſen, es zu ſchärfen und zur freien Auswirkung 
feines inneren Schiedrichteramtes zu bringen. Pſuchologiſch befteht 
die Gefahr, daß es ſchon in feinen erſten Regungen von der Über⸗ 
fülle erzieheriſcher Seſetze und Vorſchriften verengt, eingeſchüchtert 
und verkümmert wird. Als Antwort darauf wird bei geiſtig ſtärkeren 
naturen im Verlauf der ſpäteren Entwickelung eine grundaufwühlende 
Gegenbewegung eintreten. Gebote, wie überhaupt jede äußere Bin⸗ 
dung werden verworfen und die Willkürdiktatur des einzelperſönlichen 
Gewiſſens ausgerufen. 50 geſtaltet ſich der Werdegang ſehr vieler 
moderner Menſchen. 

Wann regt ſich im Leben des Menſchen zum erſten Male das Ge⸗ 
wiſſen? Erſt von dieſem Augenblick an iſt der Menſch fähig, ſittlich 
Gutes und Böſes zu tun. Erſt von dieſem Augenblick an kann von 
Sündenbewußtſein die Rede ſein. Wir dürfen uns nicht vom Schein 
trügen laſſen. Ruch beim Tier, beſonders beim höherentwickelten, 
können wir eine HArt Gewiſſen feſtſtellen. Auch es zeigt, wenn man 


X Zu wu vw zz. 


411 


fo will, eine Art Schuld⸗ und Reuebewußtfein. Wird ein Hund für 
eine Tat regelmäßig beftraft, fo benimmt er fid nach einer ſolchen 
wie einer, der ein „ſchlechtes Gewiſſen“ hat. kommen nicht auch 
beim Menſchen die erſten Regungen des Gewiſſens pſuchologiſch auf 
dieſe Weiſe zuſtande? Don Anfang an wird jede Erziehung dahin 
zielen, gewiſſe handlungen dem kinde ſtrafend abzugewöhnen. Es 
bahnen ſich Aſſoziationen aus, die in ihrem mechaniſchen Ablauf 
wie ein Gewilfen ſich äußern können. 

W. Köhler hat in der deutſchen Anthropoidenſtation auf Tene⸗ 
riffa Uerſuche mit vier⸗ bis fiebenjährigen Schimpanſen angeſtellt. 
Dieſe höchſtentwickelten Tiere wieſen nach und nach beiſtungen auf, 
die ſich von den primitiven, niedrigften Denkleiſtungen des Menſchen 
kaum abgrenzen laſſen. Ebenſo ſchwierig iſt es, das höchſtentwickelte 
tieriſche Sewiſſen vom primitivften menſchlichen zu unterſcheiden. 
Gaffen wir dieſe Frage zunächſt dahingeſtellt fein. Es mag fein, daß 
es nie vollftändig gelingen wird, den Punkt zu beſtimmen, wo eine 
unüberbrückbare Kluft zwiſchen Menfch und Tier ſich auftut. Es gibt 
aber ein Stadium, wo es außer allem Zweifel ſteht, daß beim Menſchen 
eine Bewußtſeinslage ſich ausgebildet hat, zu der auch das höchſt⸗ 
entwickelte Tier niemals gelangt. Und auf dieſer Bewußtſeinslage 
betätigt ſich das ſittliche Gewiſſen. 

Was haben wir uns unter ſittlichen Gewiſſen zu denken? Die 
Moraltheologie verſteht darunter zunächſt den Inbegriff der oberſten 
ſittlichen rund kräfte, alſo eine Zuſtändlichkeit unſeres Bewußtſeins, 
aus der heraus der Derftand die allgemeinſten Grundſätze der natür⸗ 
lichen Sittlichkeit raſch und ſicher durchſchaut. Der griechiſche, auch 
von den Scholaſtikern gebrauchte Ausdruck dafür iſt synteresis. Ge⸗ 
wiſſen aber bedeutet auch das Urteil, das unfer Geift unmittelbar 
und praktifh über die Sittlichkeit einer handlung in jedem Einzel- 
fall fällt. Es gibt ſich kund im ſogenannten Machtſpruch des Gewiſſens 
(dictamen conscientiæ). Die Griechen hatten dafür die Bezeichnung 
syneidesis. Dieſes Gewiffen meinen wir, wenn wir von der Stimme 
des Gewiſſens reden. Beide Bedeutungen, welche die Moraltheologie 
dem Gewiſſen beilegt, hängen aufs innigfte zuſammen. Wie könnte 
die Sittlichkeit von Einzelhandlungen durch das Einzelbewußtſein be⸗ 
urteilt werden, wenn nicht die oberſten Grundſätze ſittlichen Handelns 
in unſerem Geiſt unmittelbar einleuchtend vorhanden wären? Und 
was nützten allgemeine Grundſätze, wenn fie nicht auf die Einzel⸗ 
handlungen, die das Wirkliche find, angewendet würden? Theoretiſch⸗ 
metaphuſiſch ift die Beſtimmung des Gewiſſens durch die Moraltheologie 

27° 


412 


klar und einwandfrei. Es fehlt ihr aber vielfach die pſuchologiſche 
Ausgeftaltung und Dertiefung. | 

Für eine pſuchologiſche Betrachtung des Gewilfens müſſen wir von 
einer biologiſchen Anſchauungsweiſe ausgehen, die methodiſch der 
modernen Pſuchologie überhaupt zugrundeliegt. Gibt es im niederen 
Bewußtſeinsleben Dorgänge, die dem Gewiſſen im höheren Bewußtſeins⸗ 
leben entſprechen? nehmen wir einmal den Temperaturſinn: Eine 
mittlere Wärme empfindet die Haut angenehm, Kälte ſchmerzvoll. 
Der Taſtſinn hat das angeborene Streben, immer in einer mittel⸗ 
mäßigen Temperatur zu fein. Vor Kälte zieht er ſich gleichſam zurück. 
Denn es beftände die Gefahr, daß er vollſtändig zerſtört würde. Dor 
Schädigung, Zerſtörung aber ſchreckt er zurück. Förderung, Dollen» 
dung ſtrebt er an. Das Schädigende kündet ſich im Gefühl der Un⸗ 
luft, das Fördernde im Gefühl der Luft an. Im Luft= und Unluſt⸗ 
vollen gewahrt das Sinnesorgan das bebenfördernde und Leben- 
hemmende. Die Weſensart der Sinnesorgane, auf Nützliches luſtvoll 
und auf Schädliches unluftvoll zu reagieren, könnte man ihr Gewiſſen 
nennen. Was Luft und Unluſt auf den Sinnesgebieten, das iſt Lob 
und Tadel in der Sphäre des Geiſtigen. Sittlich Gut und ſittlich Bös 
hätten keinen verſtändlichen Sinn, wenn ſie nicht eine poſitive oder 
negative Anderung im geiſtigen Weſen des Menſchen bewirkten. 
Das ſittlich Gute wird zum Lebenfördernden und das ſittlich Böſe 
zum Lebenfchädigenden des Geiftigen. Und wegen der unmittelbaren 
Beziehung, in der das geiſtige Weſen der Seele zu Bott als ihrem 
Schöpfer ſteht, bedeutet jede Schädigung des Geiſtigen im Menſchen 
zugleich eine Derunehrung Gottes. Da Gott das Erſte, Abſolute iſt, 
wird es für das geiſtbegabte Weſen zur abſoluten Pflicht, das Gute 
zu tun und das Böſe zu laſſen. Wenn wir auch, unſerer Abſicht 
gemäß, das Pſuchologiſche ſtark betonen, fo ſoll damit ſelbſtverſtänd⸗ 
lich die unbedingte Oberhohheit Gottes in der Sphäre des Sittlichen 
keineswegs zugunſten einer falſch verſtandenen Autonomie des Men⸗ 
ſchen geſchmälert werden. Das Billigen des geiſtig bebenfördernden 
und das Mißbilligen des geiſtig bebenhemmenden iſt der geiſtigen 
Seele ebenſo zuſtändlich angeboren, wie Luft: und Unluſt den inneren 
und äußeren Sinnen. 

Die Weſenseigentümlichkeit der geiſtigen Seele, das Fördernde 
lobend zu billigen und das Schädigende tadelnd zu mißbilligen, iſt 
pſuchologiſch eben das, was wir Sewiſſen nennen. Wie unterſcheidet 
ſich das geiſtige Gewiſſen vom bloß ſinnlichen, das wir auch bei Tieren 
vorfinden? Luft und Unluſt können ſich nur dort äußern, wo der 


1 .. 


413 


Sinn in der ihm eigentümlichen Weife tätig if. Auch das geiftige 
Gewiſſen kann ſich nur dort kundgeben, wo die geiſtige Seele geiftig 
tätig iſt. Der Unterſchied liegt zwiſchen der bloß ſinnlichen Tätigkeit 
des Tieres und der geiſtigen des Menſchen. Jene läuft nur in aſſo⸗ 
ziativen Dorgängen ab, dieſe aber weiſt außer dem Aſſoziations⸗ 
mechanismus ein neues, andersgeartetes Moment auf. Ein beſtimmter 
Vorgang ruft durch Aſſoziation die Erinnerung an eine Strafe und 
an das damit verbundene Unluſtgefühl wach. Die Erinnerung löſt 
einen ſeeliſchen Zuftand aus, der ſich auch beim Tier im „ſchlechten 
Gewiſſen“ äußert, nämlich in Angſt⸗ und Erregungsgefühlen, die ſich 
in jene Erinnerungsvorftellung verflechten. Beim geiſtigen Gewiſſen 
handelt es ſich nachweisbar nicht um einen ausſchließlich aſſoziativen 
Vorgang, ſondern um ein Eingreifen des freien Willens. Ein Tier 
kann niemals etwas tun, mit dem ſich aſſoziativ das größere Unluſt⸗ 
gefühl verbindet. Der Menſch aber kann gerade fo eine Handlung 
zur Ausführung bringen. Nur ein Gewiſſen, das im freien Willen 
wurzelt, kann über ſittlich Gut und ſittlich Bös entſcheiden. Wann 
betätigt ſich zum erſten Male im beben des Menſchen der freie Wille? 
Es iſt hier nicht der Ort, die Willenstheorie, wie ſie neueſtens durch 
die experimentelle Pſuchologie angebahnt wird, vorzuführen. Soviel 
iſt gewiß: für den freien Willen bleibt dort kein Raum, wo der Dor- 
ſtellungsablauf durch rein aſſoziative Geſetze geregelt iſt. Das Strebe⸗ 
vermögen, auch das menſchliche, würde ſtets der aufdringlichſten Dor=- 
ſtellung folgen, die der Aſſoziationsmechanismus gerade in den Blick⸗ 
punkt des Bewußtſeins rückt. Vorausſetzung für die freie Tätigkeit 
des Willens iſt die Möglichkeit, zwei Dorftellungen miteinander zu 
vergleichen, um dann in freier Selbſtbeſtimmung die eine von beiden 
— durchaus nicht immer die aſſoziativ ſtärkere — zu wählen. Das 
tieriſche Strebevermögen reagiert mit Notwendigkeit nur auf eine 
Dorftellung, ohne je zwiſchen zwei wählen zu können. Und wollte 
man beim Tier auch von Wählen ſprechen, es wählt mit Notwendig⸗ 
keit immer nur das, was feine Sinnlichkeit am meiſten fördert. Ab⸗ 
tötung kennt das Tier nicht. Ein hund wird von zwei Futtern nie 
das ſchlechtere wählen, ſondern mit Notwendigkeit zum beſſeren greifen. 
Das Tier kann nie zwei Eindrücke oder Dorftellungen miteinander 
vergleichen. Der Menſch dagegen vergleicht die Sinneseindrücke mit⸗ 
einander und beſtimmt ſich ſelber von innen heraus, welchen er wählt. 
Die beziehende und vergleichende Tätigkeit durchbricht den Aſſoziations⸗ 
mechanismus. Die Pſuchologen find darin einig, daß ſich dieſer Tat⸗ 
beſtand im Urteil verwirklicht. 


414 


8o verſchiedenartig die Urteilstheorien in der heutigen Pſuchologie 
ſein mögen, in den grundlegenden Punkten beginnt man ſich zu 
einigen. Brentano hat überzeugend dargetan, daß das Urteilen ein 
ſeeliſcher Dorgang iſt, der in keiner Weiſe, auch durch verwickeltſte 
Aſſoziation nicht, erklärt werden kann. Er ſtellt ein von der Aſſo⸗ 
ziation artverſchiedenes Erleben dar. Bühler in feinem vortrefflichen 
Buch „Die geiftige Entwicklung des kindes“ weiſt nach, daß ©. E. 
Müller durch feine experimentellen Unterſuchungen der Erinnerungs- 
gewißheit die Anſicht Brentanos beftätigt. 

Pſuchologiſche Dorausfegung für das Juſtandekommen eines Ur- 
teiles iſt Überlegung und Einfiht in Sachverhalte und Sachverhalts 
zuſammenhänge. Sachverhalte fordern zur Stellungnahme heraus, 
die ſich im Annehmen oder Ablehnen äußert. Die Sachverhalte ſelber 
werden durch die Dorftellungstätigkeit vermittelt. Urteil iſt ein Über⸗ 
zeugungserlebnis, eine Gewißheit, die ſich auf Sachverhalte erſtreckt. 
Das Erfaſſen von Beziehungen an Sachverhalten nennen wir ſchluß⸗ 
folgerndes Denken. 

Die Schimpanſen, an denen Köhler ſeine verſuche machte, ge⸗ 
brauchten nicht nur Werkzeuge, ſondern ſtellten ſelber primitive Werk⸗ 
zeuge her. Verwendung und Anfertigung von Werkzeugen aber ſcheint 
Einficht vorauszuſetzen in den Beziehungszuſammenhang zwiſchen 
Zweck und Mittel. Einſicht aber bildet die Grundlage für das Urteil. 
Karl Bühler, der Mitbegründer der neueſten Denkpſuchologie, beftreitet 
es entſchieden, daß bei den Köhlerfchen Berſuchen von Urteilen die 
Rede fein könnte. Die Leiftungen der Schimpanſen laſſen ſich immer 
noch durch den bloßen, wenn auch außerordentlich hochentwickelten 
Aſſoziations mechanismus erſchöpfend erklären. Es fehlt eben doch 
die Grund vorausſetzung für das Urteil: die Einſicht. Der Affe hat 
wohl Einfälle, weiſt aber keine Erfindungen auf. Einfall iſt eine 
blinde d. h. uneinſichtige beiſtung des Aſſoziations mechanismus, wäh- 
rend Findigkeit in vergleichender Tätigkeit, im Urteilen ſich auswirkt. 
Den charakteriſtiſchen Ausdruck des ſeeliſchen Vorganges der Einſicht 
und Erfindung bezeichnet Bühler als „Aha⸗ Erlebnis“, weil der Menſch 
eine plötzliche Erfindung durch den Ausruf „Aha!“ unwillkürlich zu 
erkennen gibt. 

Die erſten Spuren von Einfällen zeigen ſich beim kind bereits im 
neunten oder zehnten Monat. Einſicht iſt beim kind zum erſten Male 
dann vorhanden, wenn es ſich bewußt wird, daß jedes Ding ſeinen 
eigenen Namen hat. Später kommt zur Einſicht die Überlegung hinzu. 
Das Rind nimmt dann bewußte Derbefferungen in der Namengebung 


415 


vor. Ein neunzehn Monate altes Kind z. B. rief, als es den Glanz 
eines ſchwarzſeidenen Kleides wahrnahm: „naß!“ Darauf fühlte es 
das kleid an und fagte: „naß nein!“ Preuer fand bei feinen Ver⸗ 
ſuchen, daß ein Kind im dreiundzwanzigſten Monat bereits ſein erſtes 
geſprochenes Urteil vorbrachte. Das Rind trank eine Taſſe Milch, die 
ihm zu heiß war. Schnell ſetzte es ab und rief: „heiß!“ In derſelben 
Woche ſtellte es ſich an den geheizten Ofen und ſagte: „heiß!“ Beide⸗ 
mal war es ein Urteil. 

Das Urteilen beginnt beim menſchen in der zweiten Hälfte des 
zweiten Gebensiahres. Es handelt ſich dabei immer nur um Urteile 
über Beziehungen zwiſchen Rind und unmittelbaren Sinneseindrücken. 
Sittliche Urteile, die vom Gewiſſen diktiert find, werden hier noch 
nicht gebildet. Dazu bedarf es einer Entwickelung, die ſich der Außen⸗ 
welt gegenũber in gewiſſer Weiſe ſelbſtändig macht. Erſt dann kann 
das Gewiſſen frei ſich regen. Auch im Stadium der gehäuften Warum⸗ 
Fragen des Kindes, etwa im vierten bebensjahr, ift das ſittliche Ge⸗ 
wiſſen noch gebunden. Gewigß, die geiſtige Tätigkeit kann hier ſchon 
recht lebhaft fein. Allein fie richtet ſich ausſchließlich auf ſinnliche 
Dorftellungen, nicht auf das ſittliche Geartetfein der Handlungen. 

Es hat den Anſchein, als ob der Gebrauch der Vernunft pſucho⸗ 
logiſch ſchon früher einſetzte, als das ktirchenrecht anzunehmen ſcheint. 
Allein das Denken bezieht ſich in ſeinen Anfängen faſt ausſchließlich 
auf das phuſiſche Wohlergehen. Wann die Einſicht in ſittliche 
Sachverhalte, alſo ſittliche Urteile und Schlußfolgerungen zum erſten 
male auftreten, ift nicht leicht zu beſtimmen. Experimentelle Unter- 
ſuchungen in dieſer Richtung liegen noch nicht vor. Jedenfalls iſt es 
fo, daß die Einficht in ſittliche Sachverhalte zuerſt kaum bemerkbar 
in andere Urteile einfließt, nach und nach an Deutlichkeit gewinnt, 
bis ſie im Bewußtſein beſtimmt ſich geltend macht. Die erſten voll⸗ 
wertigen ſittlichen Urteile werden ohne Zweifel im Anſchluß an ſolche 
Handlungen ſich bilden, die unter dem regelnden, gewiſſermaßen geſetz⸗ 
geberiſchen Einfluß der religiöſen Erziehung ſtehen. Hier taucht aller⸗ 
dings immer wieder die Gefahr auf, daß es ſich nicht um freie Ur⸗ 
teile, ſondern um aſſoziative Reaktionen handelt. 

Erfahrungen der Seelforge laſſen einen zur Anficht neigen, daß das 
Sündenbekenntnis nicht bloß beim Kind, ſondern felbft bei Erwach⸗ 
ſenen nicht ganz, oft gar nicht vom ſittlichen Gewiſſen im eigentlichen 
Sinn diktiert iſt. Es iſt hier vielmehr das von der religiöſen Er⸗ 
ziehung beeinflußte aſſoziative Sewiſſen im Spiel. Eine Art ange⸗ 
lerntes und anerzogenes Gewiſſen ſpielt pſuchologiſch eine viel weiter⸗ 


7 


416 


greifende Rolle, als man allgemein anzunehmen ſcheint. Tatſache if, 
daß Kinder vielfach Dinge beichten, die fie ſchlechthin nicht ſo be 
gangen haben können, wie ſie gebeichtet werden. Beſtimmte Reden, 
Bewegungen, handlungen werden den Kindern von den Erziehern 
ſehr ſtreng verwieſen zu einer Jeit, wo ein Sündenbewußtſein noch 
nicht vorhanden iſt. Da bildet ſich nur allzuleicht ein aſſoziatives 
Gewiſſen aus. 

Woher nun die Erſcheinung, daß das Sündenbekenntnis beim Rind 
und vielfach auch bei Erwachſenen ſo ſelten auch nur annähernd der 
adäquate Ausdruck des eigentlich ſittlichen Seelenzuſtandes iſt? Pſucho⸗ 
logiſch kann es nur ſo erklärt werden: In Unterricht und Predigt wird 
ſehr ausgiebig und zu ausſchließlich die Seſetzesſeite des Sittlichen und 
die ſtrafende Gerechtigkeit und viel zuwenig die Gewiſſensſeite, die 
Erziehung zum wirklich freien geiſtigen Gewiſſen betont. Aus Furcht, 
einem verkehrten Subjektivismus Vorſchub zu leiſten, vergißt man, 
daß das Formale des ſittlich Guten und Böſen im Gewiſſen wurzelt. 
Die Aufmerkfamkeit des ltindes wird vom Anfang an zu ſtark nach 
außen, auf Gebote und Dorfchriften gelenkt, viel zuwenig nach innen 
auf die freie perſönliche Entſcheidung. Es fehlt die oft vermißte 
Achtung vor der werdenden Perſönlichkeit des Kindes. Man verliert 
das Hauptziel aus dem Auge: Erziehung zu geiſtiger Selbftändigkeit. 
Unſer Innenleben, unfer religiöfes und ſittliches Streben iſt pſucho⸗ 
logiſch zu einfeitig in der Geſetzeswelt, zu wenig im eigenen Bewillen 
verankert. Unſere Perſönlichkeit wurzelt zu ſtark im Fremden, zu 
wenig im eigenen Selbſt. ge fremdoͤſtändiger der Menſch iſt, um fo 
weniger allerdings kann er ſündigen, um fo weniger aber kann er 
auch ſittlich 8utes tun. ge größer die Selbſtändigkeit, um fo höher 
die Sittlichkeit. Im Beſtreben, durch einſeitige Betonung des Geſetz⸗ 
mäßigen das Böſe zu verhindern, macht man auch das Gute un« 
möglich. Darf ich aber das Zute verhindern, um das Böſe unmög⸗ 
lich zu machen? Gilt nicht vielmehr der Grundfaß: das Gute iſt 
immer und überall zu fördern, das Böſe, das dabei auftritt, wird 
nur zugelaſſen? 

gedenfalls, wenn das Kind, von Anfang an einfeitig nach der 
Geſetzesſeite hin belaſtet, fein „Gewiſſen“ erforſcht, dann wird es leicht 
aſſoziativ und ſklavenhaft an dem Beichtſpiegel und an den äußeren 
Geboten hängen bleiben. Zu einer Innenſchau im ſeeliſchen Haus— 
halt, zu einer Erforſchung des Gewiſſens im eigentlichen Sinne 
kommt es gar nicht. Die Folge wird fein, daß ſehr viele Menſchen 
in ihrer normalen Weiterentwicklung zu einer immer unerträglicher 


417 


werdenden Disharmonie zwiſchen Perſönlichkeit und Geſetz gelangen. 
So bahnen fi innere Kriſen an. Eines Tages wird alles äußerlich 
Bindende, Geſetzmäßige über Bord geworfen. Die Alleinherrſchaft des 
perfönlichen Gewiſſens wird proklamiert. Wir ſtehen vor dem anderen 
Extrem, dem vollendeten Subjektivismus, der inneren Anarchie. 

Es ſoll nicht behauptet fein, daß das Sündenbekenntnis des Kindes 
überhaupt nicht vom ſittlichen Gewiſſen diktiert fei. Schon verhältnis» 
mäßig früh können eigentliche Gewiſſensregungen einſetzen. Das kind 


aber kann fie nicht unterſcheiden von den Regungen des rein aſſo⸗ 


ziativen Gewilfens. Unter dem Druck des Geſetzhaften, das Erziehung 
und Unterricht ihm einprägen, kann die Entfaltung des eigentlich 
fittliden Gewiſſens nicht gleichen Schritt halten. Angeſichts der ſee⸗ 
liſchen und religiöfen Not nicht etwa bloß der Erwachſenen, ſondern 
auch des jugendlichen Alters, die vielfach aus dem Miß verhältnis 
zwiſchen Sündenbewußtſein und Gewiſſen herauswächſt, müſſen Er⸗ 
ziehung und vor allem auch Seelſorge ihre Beſtrebungen und Ziele 
von der Befeßesfeite mehr nach der Gewiſſensſeite umſtellen. Ehrfurcht 
vor dem Gefeß ift eine Notwendigkeit, dringlicher aber muß heute 
zur Ehrfurcht vor der Menſchenſeele, vor dem Perſönlichen, vor dem 
Gewiſſen des Menſchen und ſchon des Kindes aufgefordert werden. 
Nicht das Geſetz, ſondern das Gewiſſen hat die letzte und oberſte Ent⸗ 
ſcheidung darüber, was in der Wirklichkeit des Einzelfalles tatſächlich 
gut oder bös iſt. 

Wir begrüßen alle Derfuche, die Beziehungen zwiſchen dem Seelen⸗ 
leben des Menſchen und Moral-Paftoral aufzudecken und zu klären. 
Eine bedeutſame Arbeit in dieſer Richtung iſt das eben erſchienene 
Buch „Der pſuchiſche Zwang und feine Beziehungen zu Moral und 
Paſtoral“ (Schwann, Düſſeldorf 1922) von Theodor Münker. Wir 
werden ihm eine ausführliche Beſprechung widmen. Wir dürfen eine 
böſung der ungewöhnlich verwickelten Fragen, die wir zum Teil nur 
obenhin berühren konnten, nicht ausſchließlich von der Pſuchologie 
erwarten. Einſeitigkeiten führen immer auf Abwege, zumal, wenn 
fie auf die Spitze getrieben werden. Wohl aber muß die Pſuchologie 
mit ihren neueſten Forſchungsergebniſſen als weſensmäßige Ergänzung 
der Moral an die Seite treten. Es ift ein zu grelles Mißverhältnis, 
wenn in einem mehrbändigen Werk der Moraltheologie die Abhand⸗ 
lung über das Gewilfen nur ein paar Seiten einnimmt, während alles 
andere ganz der Geſetzesſeite gewidmet iſt. Das heil der Seelen iſt 
oberſtes Befeß, salus animarum suprema lex! 


RR „ 


418 


„Ipsi sum desponsata 
(S. Agnetis et S. Gertrudis.) 


mit Gold und Perlen ſchmückt mich der Geliebte, 
Ins firahlend” Brautgemach führt er mich ein; 
Don feinen Pippen träufelt Milch und Honig, 
Sein Blut hat rot gefärbt die Wangen mein! 


Aus feinen Locken weht mir Duft des bebens, 
Vor feinem Licht der Sonne Glanz erbleicht; 
Dem Mächte zittern, Engelheere dienen, 

Er hat in Liebeshuld ſich mir geneigt! 


Sein Gottesauge fieht die ſchlichten Blüten, 
Die ſtill verblüh'n im dunklen Erdental, 
Wenn er der Sel'gen lichte Scharen führet 
Im Wonnereigen durch den Himmelsſaal. 


Was ſoll die Welt mir fürder, mein Geliebter? 
Im himmel ſelbſt will ich nur Dich allein! — 
Was ich begehrt, ſchon ward es mir zu eigen, 
Was ich erhofft, erſehnt, ſchon iſt es mein! 


In ew’ger Schönheit ſtrahlt, der mich erkoren, 
Er hat mich Schweſter, hat mich Braut genannt; 
Sein Siegel drückt er mir auf Herz und Stirne, 
Der Treue Ringlein gab er mir zum Pfand. 


Mit Gold und Perlen ſchmückt mich der Geliebte, 
Ins firahlend” Brautgemach führt er mich ein; 
Don feinen Gippen träufelt Milch und Honig, 
Sein Blut hat rot gefärbt die Wangen mein! 

m. Benedikta von Spiegel (Eichftätt). 


; 419 


Die HNdventsRantika des monaſtiſchen Breviers. 
Überfegt und kurz erklärt von P. Bernhard Barth (Maria-Gaad)). 


o oft im göttlichen Offizium der Kirche zu den Metten eine dritte 

Dokturn zu beten iſt, ſchreibt das monaſtiſche Brevier nicht wie 
das römiſche einige Pſalmen, ſondern ausgewählte Gefänge, KRantika, 
aus dem Alten Teftamente vor. Dieſe Kantika find jeweils den ver⸗ 
ſchiedenen Feſtzeiten und Feſten entſprechend ausgewählt und geben 
den Metten einen beſonderen Ton. Mancher, der ſie kennen lernte, 
empfand fie als einen eigentümlichen Reiz des monaſtiſchen Offiziums. 
Biſchof karl Marbach, welcher die der Hl. Schrift entnommenen Ge- 
ſangs⸗ und Gebetstegte der römiſchen Liturgie ſammelte und herausgab, 
konnte ſich nicht enthalten, auf die Kantika des Benediktinerbreviers 
zu verweiſen und dem Derzeichniffe der einunddreißig Befänge die 
Worte beizufügen: „Welche ſchöne Auswahl von Geſängen, die jeder 
Verehrer der HI. Schrift gern leſen, ſtudieren und bisweilen auch zu 
ſeiner Privatandacht gebrauchen wird!“ (Carmina Scripturarum, 
Straßburg 1907, 5. 25.) 

Wir hoffen nach und nach den Text dieſer kantika mit rhuthmiſcher 
Überſetzung und kurzer Erklärung in der Benediktiniſchen Monat⸗ 
ſchrift mitteilen zu können. Es foll fo eine Ergänzung zu P. Atha⸗ 
naſius Millers Pſalmenüberſetzung geboten werden, die in der eben 
erſcheinenden neubearbeiteten Auflage als Anhang nur jene kiantika 
bringt, die im römiſchen Brevier die Laudes, Defper und Komplet 
verſchönen. Die Grundſätze der Derdeutfhung find die gleichen wie 
die dort befolgten. Die deutſche Überſetzung gibt alſo den lateiniſchen 
Text wieder, fo jedoch, daß nötige Verbeſſerungen ſtillſchweigend aus 
dem Hebräiſchen herübergenommen werden. Lateinifche Worte, die 
infolgedeſſen nicht wörtlich übertragen werden konnten, find in Schräg⸗ 
druck, die betreffenden Überſetzungen geſperrt wiedergegeben. 

Die drei nun folgenden liantika aus dem Propheten Ifaias werden 
im monaſtiſchen Offizium an den Sonntagen des Advents gebetet. Es 
wäre verlockend, hier zugleich den Spuren nachzugehen, wo wohl dieſe 
bibliſchen antika zum erſten Male im weihevollen nächtlichen Chor⸗ 
gebete des Advents erklungen find. Lohnend wäre es gewiß auch, zu 
unterſuchen, wer es geweſen, der mit ebenſo reicher Schriftkenntnis als 
liturgiſchem Feingefühl aus dem bLiederſchatze der heiligen Bücher für den 
Sottesdienſt zu ſchöpfen wußte. Gern würde man ſchließlich vielleicht noch 
die Cieder im Fuſammenhange der ganzen Adventsliturgie gewürdigt 
ſehen. Indeſſen ſei zunächſt vor allem einmal der Lieder Text geboten: 


420 


11 


13 


14 


III 15 


17 


1. 


Ecce Dominus Deus in fortitudine veniet, 
et brachium eius dominabitur. 

Ecce merces eius cum eo, 

et opus illius coram illo. 

Sicut pastor gregem suum pascet, 

in brachio suo congregabit agnos, 


et in sinu suo levabit, 


fetas ipse portabit. 


Quis mensus est pugillo aquas, 

et cœlos palmo porderavit? 

Quis appendit tribus digitis molem terræ, 
et libravit in pondere montes, 

et colles in statera? 

Quis adiuvit spiritum Domini, 

aut quis consiliarius eius fuit et ostendit illi? 
Cum quo iniit consilium, et instruxit eum, 
et docuit eum semitam iustitiæ, 

et erudivit eum scientiam, 

et viam prudentiæ ostendit illi? 


Ecce gentes quasi stilla situlæ, 

et quasi momentum stateræ reputatæ sunt. 

Ecce insulæ quasi pulvis exiguus. 

Et Libanus non sufficiet ad succendendum, 

et animalia eius non sufficient ad holocaustum. 
Omnes gentes quasi non sint, sic sunt coram eo, 
et quasi nihilum et inane reputatæ sunt ei. 


Jſaias 40, 10-17. Die Freudenbotſchaft vom kommenden Erlöfergott. Im L. cel 
des Liedes ſchaut der Prophet, wie Jahwe, der Eroberer Babels, mit feiner Beute, 
dem Volke Ifrael, heimwärts zieht. Teil II und III antworten auf die bange Frage. 
wie es möglich fei, daß das bedrückte Vol aus Babels gewaltiger Macht befreit 
werde: Gott ift überragend mächtig (U. 12), weiſe (U. 18— 14) und erhaben übe 
alle Geſchöpfe (B. 15 — 17). 


11 


11 12 


18 


14 


III 15 


16 


17 


421 


1. 


Seht da, Gott der herr kommt heran mit Macht, 

und ſein Arm übt herrſchaft! 

Seht da, ſeinen Preis! hat er bei ſich, a 
er ſelber trägt feine Beute! 

Er führt wie der Hirt feine Herde,“ 

er ſammelt im Arm feine Lämmer, 

am Buſen birgt er ſie zärtlich, 

leitet ſorgſam die ſäugenden Mütter! 


Wer maß das Meer in der hohlen Hand, 
[hätte ab mit der Spanne die himmel? 
Wer hob mit drei Fingern? der Erde Gaft, 
wer wog nach Gewichten die Berge, 

die hügel genau nach der Wage? 

Und wer unterwies den Geift des herrn, 
wer war ſein Berater, ſein Meiſter? 

Wen bat er um Rat, ihn zu lehren, 

ihn zu weiſen den Weg des Rechten, 

in die Weisheit ihn einzuführen, 

der kilugheit Weg ihm zu zeigen? 


Sieh die Dölker — ein Tropfen am Eimer, 

wie ein Gramm“ auf der Wage fie wiegen, 

und die Inſeln, ſo leicht wie ein Stäublein! 
Selbft der Libanon genügt nicht zum Feuerbrand, 
fein Getier reicht nicht hin zum Opfer.“ 

Alle Völker find vor ihm, als wären fie nicht, 
fie verſchwinden vor ihm wie ein Nichts! 


1 Den Siegespreis, die Frucht feiner Eroberung: das befreite Volk Iſrael. Nicht 
wie ein ſtürmender Arieger kommt er, ſondern wie ein ſorglicher Hirte. Hebr.: Wer 
faßte mit dem Drittelmaß den Staub der Erde? Das Rleinfte Sewichtsmaß, das 
die Wage noch eben ausſchlagen läßt. Selbſt die Jeöernwälder des Libanon mit 
all ihrem Edelwild vermögen dem heiligen Gott kein würdiges Brandopfer zu bieten. 


422 


2. 


I 10 Cantate Domino canticum novum, 

laus eius ab extremis terræ: 

Qui descenditis in mare, et plenitudo eius, 
insule et habitatores earum. 

11 Sublevetur desertum et civitates eius, 
in domibus habitadif Cedar. 

Laudate habitatores Petræ, 
de vertice montium clamabunt. 

12 Ponent Domino gloriam, 
et laudem eius insulæ nuntiabunt. 


I 3 Dominus sicut fortis egredietur, 
sicut vir proeliator suscitabit zelum. 
* Vociferabitur et clamabit, 
super inimicos suos confortabitur: 
14 „Tacui semper, silui, patiens fui, 
sicut parturiens loquar, 
* dissipabo et absorbebo simul. 
(15) Desertos faciam montes et colles 
et omne gramen eorum exsiccabo. 
* Et ponam flumina in insulas, 
et stagna arefaciam. 
1% Et ducam cæcos in viam, quam nesciunt, 
et in semitis, quas ignoraverunt, ambulare eos faciam. 
* Ponam tenebras coram eis in lucem, 
et prava in recta.« 


Iſaias 42, 10-16. Ein Preislied auf Jahwe, der durch wunderbares Eingreifen 
fein Volk aus der babuloniſchen Knechtſchaft befreit. Der I. Teil iſt ein Aufruf 
an die Natur und die Renſchen, nah und fern, den fiegreihen Gott zu loben. Der 
II. Teil ſchildert in packender Gleichnisrede den Kampf, den Sieg und den Heimzug. 


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423 


2. 


1 10 Stimmt an dem herrn einen neuen Sang!, 

von der äußerſten Erde kündet fein Lob: 
die ihr fahrt auf dem Meer, und du braufendes Meer, 
ihr Inſeln und die darauf wohnen! 

11 ANufjauchze die Wüſte, die Städte darin, 
Die Dörfer, von liedar bewohnt! 
Gobfingt, ihr Bürger der Felfenftadt?, 
ruft laut vom Sipfel der Berge! 

12 Dem herrn ſei geſpendet Ehre und Ruhm, 
auf den Inſeln erſchalle fein Loblied! 


II 13 Der herr zieht aus, gerüftet zum kampf, 

entfacht feinen Eifer, ein ſtreitbarer Held. 
baut gellt fein Schrei, fein Schlachtruf ertönt, 
fordert ſtolz er heraus ſeine Feinde: 

14 „Gar lang? war ich ſtill, war ich ſtumm und ſchwieg, — 
wie in Wehen das Weib, ſchrei ich auf! 
Und ich ſchnaufe heftig und keuche wild“. 

15 Ich verſenge die Berge, die Hügel, | 
das Gras ihrer Triften verdorrt. | 
Ich mache die Flüſſe zu Infeln?, 
Und die Teiche trockne ich aus. 

16 Und ich leite die Blinden auf unbekanntem Weg, 
nicht kennen ſie den Pfad, den ich wähle. 
Ich verwandle vor ihnen das Dunkel in Licht, 
und der holprige Weg wird geebnet.“ 


ı Das Meer (B. 10), die Ebene und die Berge (D. 11), die ganze Schöpfung ſoll 
widerhallen vom Lob des göttlichen Befreiers. Griechiſch Petra, hebräiſch Sela. 
® Ganze fiebzig Jahre dauert ſchon die Gefangenfhaft in Babylon. Ein ſengender 
Slutwind ift die unheimliche Waffe des göttlichen Zornes. Die Flüffe verfickern, und 
es entſtehen Sandbänke. Die gefangenen Tfraeliten, blind für Gottes Wunderwege. 


* 


424. 


3. 


I 7 FHeæc dicit Dominus redemptor Israel, sanctus eius, 


ad contemptibilem animam, ad abominatam gentem, 
ad servum dominorum: 


* »Reges videbunt et consurgent principes, 


i0 


11 


12 


III 13 


et adorabunt propter Dominum, quia fidelis est, 
et sanctum Israel, qui elegit te. 


Hæc dicit Dominus: In tempore placito exaudivi te, 


et in die salutis auxilatus sum tui. 

Et servavi te, et dedi te in fœdus populi, 

ut suscitares terram et possideres hæreditates dissipatas; 

ut diceres his, qui vincti sunt: Exite, 

et his, qui in tenebris: Revelamini! 

Super vias pascentur, 

et in omnibus planis pascua eorum. 

Non esurient neque sitient, 

et non percutiet eos æstus et sol, 

quia miserator eorum reget eos, et ad fontes 
aquarum potabit eos. 

Et ponam omnes montes meos in viam, 

et semitæ meæ exaltabuntur. 

Ecce isti de longe venient, 

et ecce illi ab aquilone et mari, 

et isti de terra australi!« 


Laudate, cceli, et exsulta terra, 

jubilate, montes, laudem, 

quia consolatus est Dominus populum suum, 
et pauperum suorum miserebitur. 


Jſaias 49, 7—13. Ein Troftlied, das die Verherrlichung des gedemütigten Meffias () 
und deſſen Erlöfungswerk (I), beides als Gottes Tat, ſchildert und mit einem Rufe 
ruf zum Dank (III) abſchließt. 


I 7 


1 : 


10 


III 13 


425 


3. 


So ſpricht der Herr, der Ifrael erlöft, fein heiliger Gott, 
zum tödlich Gehaßten!, zum Abſcheu des Volkes ?, 
zum kinecht aller Herren: 


„Schauen ſollen die Könige, vom Thron aufſtehen die Fürſten, 


anbetend ſollen ſie niederfallen vor gahwe, der ſo getreus, 
vor Ifraels heiligem, der dich erkor.“ 


So ſpricht der Herr: „Jur Zeit der Huld erhöre ich dich, 
ich ſtehe dir bei am Tage der Rettung. 

Ich behüte dich und ſetze dich ein zum Bunde‘ des Volkes: 
Erneue das Land und erbe verödetes Erbe; 

den Gefangenen künde: Geht frei! 

und den Nachtumſchloſſenen: Heraus, ans Licht! 

Gleich am Wege finden fie Gabe, 

jede höhe beut ihnen Weide. 

nicht hungern ſie, nicht dürſten ſie mehr, 

nicht trifft fie die Hitze, die Sonne, 

denn der Hirt, ihr Erbarmer, betreuet fie 

und leitet ſie hin zu den Quellen. 

meine Berge mach ich zum gangbaren Weg, 

erhöht find all meine Straßens. 

Sieh, dieſe da kommen von fernem Land, 

und jene vom Norden, vom Meere, 

und dieſe vom Land im Süden!“ 


gauchzet, ihr Himmel, frohlocke, du Erde, 

ihr Berge hallt wider vom Jubel: 

der Herr hat getröſtet fein Volk, 

er erbarmt ſich der Seinen, die Drangſal leiden. 


1 Gemeint ift der Mleffias in feiner Erniedrigung; man achtet ihn nicht wert zu 
leben. Das Vateiniſche ſollte heißen: ad abominatum gentis. Dgl. Pf. 21,7. Zum 
folgenden: Phil. 2, 9f.: Darum hat ihn Gott auch erhöht. ., daß im Namen Jeſu 
ſich beugen alle Kniee. Durch den Meffias und fein Volk erweiſt ſich Gott als getreu. 
* An erfter Stelle ift Chriftus Mittler Ifraels. ° Man braucht nicht bergauf und 
ab zu fteigen, die Straßen find hochgebaut, allen ſichtbar. 

Benediktiniſche Monatſchriſt IV (1922), 1112. | 28 


426 


Ein tauſend jähriges St. Benediktsheiligtum. 
Don P. Kornelius Aniel (Beuron). 
J. dem nach Ort und Seit ſo weiten, nach Inhalt und Gehalt f 
reichen Orbis pictus benedictinus für ein faſt weltverlorenes und 
wenn auch nicht buchſtäblich neuentdecktes, ſo doch erſt kürzlich in 
feinem Wert erkanntes kunft- und kulturgefchichtliches Denkmal, für 
ein ganz kleines, äußerlich verelendetes, innerlich entweihtes Gottes: 
haus einen Ehrenplatz verlangen, könnte eine Kühnheit ſcheinen. Und 
doch dürfen wir für das Benediktikirchlein von Mals in Süd 
tirol dieſe Kühnheit kecklich wagen. 

Nach jenen heiligtümern, die ſich unmittelbarer Erinnerungen an 
unſeren heiligen Ordensvater rühmen können, dürfte das Benedikti⸗ 
kirchlein von Mals weit und breit das älteſte noch aufrechtſtehende, 
auf dieſen Namen geweihte ſakrale Bauwerk und weit und breit die 
älteſte in Stein geſchriebene Urkunde der dem „Manne Gottes“ von 
Caffino gezollten Derehrung fein: 

Gleichwohl braucht es ſich bei feinem Anfpruch auf eine Ehren 
ftellung weder auf den Dorzug diefer heiligengeſchichtlich bemerken 
werten Tatſache noch auf die kaum * gewichtige ordensgeſchicht⸗ 

liche Tatfache zu berufen, 

FE daß es mit feinen Mauern 

1 DAS KAROLINGISCHE ſozuſagen aus den Une: 
e BENEDICTIKIRCHLEIN ten nordwärts werbende 
| Rate Benediktinertums inunſe⸗ 

re Gegenwart hereinragt. 
Vielmehr darf es ſich da⸗ 
bei auf die in ſich ſelbſt 


hängen höchſt wertvolle 
kunſt⸗ u. kulturgeſchicht⸗ 
liche Tatſache ſtützen, daß 
es, ſchon in ſeiner bau⸗ 
2 . dm lichen Anlage von einer 
. u cee e nur hier und ſonſt nie und 

u „ A nirgends geſehenen kigen⸗ 
E art, in feiner Innenaus® 
5 ſtattung einen Schaß von 
malereien befigt, der ſamt 
den ihm gleichzeitigen 


und in ihren Zuſammen⸗ 


427 


Reften von Werken ornamentaler Plaſtik eine Schöpfung karolin» 
giſcher Kunſt und als ſolcher diesſeits des lateiniſchen Kulturkreiſes 
vom Fels zum Meer das einzige Denkmal ſeiner Art iſt. 
Freilich handelt es ſich da nicht um Dinge, die ein empfindſames 
Gemũt zu ſchwärmeriſcher Begeiſterung hinzureißen imſtande wären. 
Selbſt dem an rauhe Koft gewöhnten Archäologen kann der Beſuch 
des Malſer Benediktikirchleins Raum ein bedingungslos freudiger Ge⸗ 
nuß fein. Dieſe verwitterten und vermoderten, von einem gahrtauſend 
zerſchundenen und verſtaubten Gebilde werden aber die Mühe ernften 
Suchens, Schauens und Wägens jedem lohnen, der unter ihrer durch 
der Zeiten und der Menſchen Ungunſt verkümmerten Hülle den edeln 
kern zu finden und auf den Wert einzuſchätzen weiß, den fie in ſich 
ſelbſt beſitzen und als Glied in der Kette vielfeitiger Beziehungen zu 
£unft und Kultus und zu der geiſtlichen wie der weltlichen Aultur. 
der eigenen wie der Dor= und Folgezeit. 
Abgeſehen von ganz wenigen und nach Umfang und Wert ganz 
unerheblichen anderen Reſten hatten bislang die Gemälde unſeres bene⸗ 
diktiniſchen Gotteshauſes St. Georg zu Oberzell auf der Infel Reichenaut, 
die dem Ende des zehnten Jahrhunderts angehören, als die äußerſte 
rückwärts verfolgbare Grenze deutſchländiſcher architektoniſcher Mal⸗ 
Runft gegolten. Es gab zwar im Dintfchgau, neben einem raſſigen, 
maleriſch vom Edelroſt vieler Jahrhunderte umkleideten Turm unweit 
der Etfch im freien Felde ſtehend, noch ein anderes ganz winziges 
Kirchlein, das Prokuluskirchlein von Naturns, deſſen urſprünglicher 
Bilderſchatz, mochte er auch nur ganz verſchämt unter der gotiſchen 
Übermalungsſchicht hervorlugen, den fachkundigen Beobachter über 
jene Grenze hätte hinaus⸗ und damit zugleich auch einem wenigſtens 
annähernden Urteil über das Alter der Gemälde von Mals entgegen⸗ 
führen müſſen. Aber es war, als hätte man ſich in den zuſtändigen 
tiroliſchen ktunſtkreiſen, allzu ſchüchtern und beſcheiden, geſcheut, ſich als 
Träger eines kunſtgeſchichtlich ſo ganz einzigen Beſitzſtandes zu fühlen. 
man glaubte die Malereien unſeres Malſer Kirchleins mit den dem 
zwölften Jahrhundert angehörigen Wandgemälden in der Arypta der 
örtlich nahen Abteikirche von Marienberg auch zeitlich zuſammen⸗ 
ordnen zu müſſen. Huch mit den gleichfalls benachbarten romaniſchen 
Wandgemälden von Taufers im Münftertal pflegte man fie wie mit 
etwas Ebenbürtigem zu vergleichen, und mit denen von Morter, St. 
Medardus und batſch, von Cana, Hodyeppan, Sigmundskron, Tramin, 
F. X. raus: „Die Wandgemälde in der St. Georgskirche zu Oberzell“. Frei- 
burg i. B. 1884. ' 
28° 


428 


St. Jakob bei Oberbozen, St. Johann zu Brixen, ſämtlich an den Ufem | 
des Eiſack und der Etſch. Man vermeinte fie archäologiſch zu ehren, 
wenn man ſie in das bicht dieſer und anderer zwar wertvollen, 
aber doch erſt dem zwölften oder gar dem dreizehnten Jahrhundert 
entſtammenden, alfo verhältnismäßig ſpäten ſüdtiroliſchen Kunſtſchöp⸗ 
fungen rückte. Sogar der bewährte Fachmann Paul Clemen hat fe‘, 
allerdings auf Grund der damals erft ſpärlich hervortretenden Spuren, 
dem zwölften Jahrhundert zuweiſen zu müſſen geglaubt. 
nun trat das für die kiunſtwiſſenſchaft hochbedeutſame Ereignis 
ein, daß im Dachraum und an anderen verbauten Stellen der Kloſſee⸗ 
kirche von Münſter in Graubünden zahlreiche und koſtbare Gemälde 
Rarolingiſcher Herkunft entdeckt und damit die Grenzen des kunſ⸗ 
archäologifchen Geſichtskreiſes mit einem Male um annähernd zwei Jah | 
hunderte erweitert wurden“. Im Zuſammenhang damit gelangte man 
| 


nun auch über die Malereien unferes Malſer St. Benediktskirdjleins 
zur kilarheit. Im Jahre 1913 wurden auf Veranlaſſung des tiroliſchen 
bandeskonſervators Dr. Franz Wieſer und im Auftrag der k. k. Zentral 
kommiſſion von Profeſſor Dr. Ant. Mayer fachtechniſche Nufdeckungen 
an ihnen vorgenommen, und dieſe führten dann zuſammen mit ver: 
gleichenden ſtilkritiſchen Studien an den erwähnten karolingischen 
Wandgemälden der nur ein paar Wegſtunden entfernten Abteikirche 
von Münſter zu dem Ergebnis, daß die beiden Gemäldereihen von 
Mals und Münſter ihrem künſtleriſchen Charakter und der Zeit nach 
zuſammengehören. Dieſe Unterſuchungen und ihr Ertrag bilden die 
durch eigene Studien und die Fortſetzung der Nufdeckungsarbeiten 
erweiterte und gefeſtigte Grundlage einer durch ihren Text wie durd 
ihre Kunſtbeilagen vortrefflich unterrichtenden Abhandlung, die det 
Hochwürdige Herr Dr. 9oſeph Sarber, nunmehr Sekretär des Staats 
denkmalsamtes in Wien, in der „Zeitfchrift des Ferdinandeums“ ver 
öffentlicht hat?, und der auch dieſer Bericht außer mehreren Abbil⸗ 
dungen ſchätzenswerte Anregungen und Angaben verdankt. 

Der Marktflecken Mals iſt der bedeutendſte Ort des Oberen 
Vintſchgaus. Somit völkiſch im deutſchen Sprachgebiet von Süd 


1 Im fünfzehnten Jahrgang der Mitteilungen der k. k. Jentralkommiſſion 1889. 

? Joſ. Jemp und Rob. Durrer: „Das Alofter St. Johann zu Münſter in draw 
bünden“. Sonderausgabe aus „Aunftdenkmäler der Schweiz. Mitteilungen der 
ſchweizeriſchen Geſellſchaft für erhaltung hiſtoriſcher Kunftdenkmäler”. Uene Folge 
V (1906), VI (1908), vn (1910). 

® Sonderausgabe: „Die Rarolingiſche St. Benediktkirche in Mals“. Mit dreiumd 
zwanzig Tafeln und zwei Tegtilluftrationen. Innsbruck 1915. gelbſtwerlag des 
muſeum Ferdinandeum. 


429 


tirol, liegt er geographiſch auf rund tauſend Meter Seehöhe zwiſchen 
den beiden Hochgebirgsſtöcken der ötztaleralpen und der Ortlergruppe, 
landſchaftlich in einer prächtigen, ſanft anſteigenden Weitung des 
Etfchtals. Ihm gegenüber grüßt aus dem von der Schweiz her vor- 
ſtoßenden Taufer- oder Münſtertal das letzte Tirolerdorf, Taufers, mit 
feiner leider ſñʒandalõs verwahrloften, kunſtberühmten St. Johannis⸗ 
kirche, die, ſelbſt eine uralte Gründung des jenfeits der Landesgrenze 
zum Greifen nahen Karolingermünſters, von ihm aus den vermittelnden 
Übergang zu den zahlreichen altehrwürdigen Aunftftätten des Vintſch⸗ 
gaus, an erſter Stelle zu unſerem Benediktuskirchlein bildet. Vielleicht 
erhebt ſich Mals über römifchen Reſten, wie man denn auch den 
namen, gegenüber der wahrſcheinlichen Deutung wie Mils und Mauls 
als Mahl oder Mühlenort, von „Mallus“ d. i. Serichts⸗ oder Mal⸗ 
ſtatt herzuleiten verſucht. Handelt es ſich bei dem Namen von Mals 
mehr oder weniger um Vermutungen, fo beſitzen wir anderſeits für fein 
frũhes Daſein einen ſicheren Beleg gerade in der Gründung des Bene⸗ 
diktikirchleins zu Anfang des neunten Jahrhunderts. Die von der Ge= 
ſchichte gemeldeten „ſieben Kirchen” des Ortes, an die ſich in humaniſti⸗ 
ſcher Art ſein Spielname „Septifanum“ (Siebenkirch) knüpft, und deren 
teilweiſe noch erhaltenen Türme romanifcher Bauart heute noch feinem 
Seſamtbilde ſoviel Reiz und vor vielen anderen Landftädtchen einen fo 
vornehm überlegenen, faſt ſtilbollen Charakter geben, laſſen auf die 
Bedeutung ſchließen, die ihm auch im Mittelalter eigen war. 

Diefer „fieben kirchen“ eine iſt unſere St. Benediktuskirche. Man 
hat die meinung ausgeſprochen, daß ſie für die auf dem Malſer 
Wirtſchaftshof beſchäftigten Dienftleute des kloſters Münſter erbaut 
worden ſei. Dieſe Meinung mag in einem gewiſſen Grade richtig 
ſein, dürfte aber in dieſer Einſchränkung kaum der den alten Klöſtern 
als Glaubens- und kiulturzentren naturgemäß ganz allgemein und 
wohl auch dem kiloſter Münſter eigen geweſenen Spannkraft gerecht 
werden. Daß die Beziehungen zwiſchen Mals und Münſter nicht 
mit der Sorge für die geiſtlichen Bedürfniffe der Kloſterdienſtleute 
erſchöpft waren, geht aus der Tatſache hervor, daß in Mals außer 
der St. Benediktskirche ſchon früh wenigſtens noch eine andere, dem 
heiligen Jakobus geweihte Kirche beſtanden hat, die zweifellos öffent⸗ 
lichen Zwecken gedient haben muß. Denn fie war fo groß, daß die 
fibtiſſin Katharina I. Rink von Münfter im Jahre 1535 die Erlaubnis 
geben konnte, eine hälfte zur Einrichtung eines Hofpitals zu verwen⸗ 
den, und daß fie im Viſitationsbericht vom Jahre 1638 eigens als die 
„große“ bezeichnet wird. Ju Anfang des ſiebzehnten Jahrhunderts 


430 


ſtürzte fie ein, und im Jahre 1862 verfiel am Tage nach dem Magi⸗ 
ſtratsbeſchluß: „Erhalten, alfo ausbeffern!” der romaniſche Turm dem 
gleichen Geſchick. 

Rus einem leicht abſchüſſigen Wieſengrund erhebt ſich die Sankt 
Benediktskirche nur wenige Schritte von den letzten häuſern des Mark» 
tes, da wo die St. Benediktsſtraße in den durch das Schlinigtal dem 
Unteren Engadin zuſtrebenden Feldweg übergeht. Eine ſommerliche 
Wanderung zum Alofter Marienberg führte mich, durch den Namen 
des heiligen Benedikt gereizt, ſonſt ganz ahnungslos, zu ihr. Auf 
den erſten Blick ſchien fie ſich durch nichts von fo vielen anderen Land: 
Kapellen zu unterſcheiden, die ſich auf die Frage nach Herkunft und 
Alter in das Schweigen ihrer unausgeprägten, elementaren Formen 
hüllen. Schon der romaniſche Turm indes, als Ganzes wie in feinen 
tupiſchen Gliederungen weniger reich und fein als ſeine Kameraden 
nebenan, aber gerade dadurch umſo wirkſamer zu geſchichtlicher 
Jeugenſchaft beglaubigt, wies mit der Gefte bereöten Schweigens in 
weitentlegene Zeiten, bis in das zwölfte oder wohl gar in das 
elfte Jahrhundert hinab, nicht ohne zugleich die Ahnung zu wecken, 
daß es am Ende auch mit dem unſcheinbaren Kirchlein zu ſeinen 
Füßen eine weder der Würde des Alters noch der Bedeutung eines 
Runſtgeſchichtlichen Denkmals entbehrende Sache ſei. 

Und in der Tat war das, was mir in den nächſten Augenblicken 
durch die Gunſt einiger zerbrochenen Fenſterſcheiben der erſte ver⸗ 
ſtohlene Blick in das Gotteshaus erhaſchte, ſo undeutlich und ſo ge⸗ 
ring an Umfang es auch ſein mochte, etwas ſo Überraſchendes, ſo 
Weihevolles und von einer ſolchen Gewalt des Eindrucks, daß mir 
buchſtäblich ein Schauern durch die Glieder fuhr. Sah ich mich doch 
in dieſem weltfernen Bebirgstal, vor dieſem nüchternen, kümmer⸗ 
lichen, anſcheinend von Gott und den Menſchen verlaſſenen Land» 
kirchlein fo ganz plötzlich einem Kunſtgebilde von zweifellos höchſter 
Bedeutſamkeit und von ehrwürdigſtem Alter gegenüber: mehreren 
Gruppen hieratiſcher Geſtalten, die in der feierlichernſten haltung und 
ſtrengen Formengebung der karolingiſchen und frühottoniſchen Buch— 
malerei und der mehr oder weniger gleichzeitigen Schöpfungen des 
italieniſchen Kunſtkreiſes über viele Jahrhunderte, vielleicht über ein 
gahrtauſend hinweg eine fo eindringliche Sprache redeten, daß fie 
nach allem, was da geſagt wurde und wie es geſagt wurde, meine 
Seele mit lebhafter ehrfürchtiger Freude erfüllen mußten. 

Aus einem kleinen Bilde auf der Nordwand, beſonders günſtig 
meinem dürftigen Einlug gegenüber, ſchauten zwei große, ſtark von 


431 


dunkeln Konturen umriffene, feelenvolle Augen zu dem vorwitzigen 
Jaungaſt herab: Auf architektoniſch ausgeſtaltetem Hintergrunde, ſitzend 
über das Schreibpult hin gebeugt, in der einen hand die Feder, in 
der anderen das Schabemeſſer, eine geiſtliche Geftalt mit großer Tonſur, 
in liturgiſcher Gewandung. Eine weiße Taube auf der rechten Schulter 
zum Ohr, eine andere auf dem Pult zum Munde hingekehrt, eine 
dritte aus der höhe niederſteigend. Was und wer anders konnte 
das fein als der Lebensbeſchreiber des Patrons dieſes Gotteshauſes, 
feines eigenen und meines heiligen Ordens vaters, der heilige Papſt 
Gregor der Große? Und durch eine gemalte Säule getrennt gleich 
daneben, auch nur bruchſtückweiſe, aber in der Hauptſache leicht zu 
erkennen, die Darſtellung, wie derſelbe heilige kirchenlehrer [einem 
vertrauten Freund und Schüler Petrus Diaconus ein Buch überreicht, 
in dieſem Juſammenhange wohl nichts anderes als die vier Bücher 
„Dialoge“, deren zweites uns die anmutigen Ausfchnitte aus dem Geben 
St. Benedikts überliefert hat. — Tiefe Eindrücke, ein wertvoller Gewinn, 
doch allzu unvollftändig, unbeſtimmt und flüchtig, als daß nicht reich ⸗ 
licheres und befferes Sehen ihnen feſte Geftalt hätte geben müſſen. 
Auch das kam wiederholt und abermals. 

Das Kirchlein bildet im Grundriß ein Rechteck im Ausmaß von 
annähernd zwölf zu ſechs Meter und mißt von dem offenbar nach- 
träglich erhöhten, jetzt plattenloſen Boden bis zu der getäfelten flachen 
Decke annähernd vier und einen halben Meter. Als man zunächſt 
gelegentlich, fpäter planmäßig an die Unterſuchung ging, waren die 
bis auf ein paar kleine bloßgelegte Gemäldeteile ringsum weiß 
getünchten Wände ohne die geringſte architektoniſche Teilung und 
Schmückung. Man hätte glauben können, der ſonſt fo geſchäftige 
Ungeſchmack der letzten Jahrhunderte ſei, etwa ein paar vom Zwang 
der Umſtände veranlaßte Deränderungen ausgenommen, an dieſem 
ſchlichten Bauwerk tatenlos vorbeigegangen oder aber hätte in ihm, 
was wahrſcheinlicher war, ganz gründlich aufgeräumt. Baugeſchicht⸗ 
liche Nachrichten gab es nicht. Freilich durfte man vermuten, daß die 
Abtiſſin von Münfter Urfula V. Carlin von hohenbalken (1639 - 1666), 
die mit einem gewiſſen geſunden Empfinden, aber doch ohne allzu 
große kingſtlichkeit den Schöpfungen früherer Zeiten gegenüber eine 
für die Stiftskaſſe verhängnisvolle Bauluſt pflegte, auch in dem ihr 
unterſtehenden Benediktikirchlein handfeſt zugegriffen habe. Doch 
zeigten ſich in der Oſtwand Spuren, mehr oder weniger regelmäßig ver⸗ 
laufende Riffe, die Raum weniger ſicher als alte Aktenftücke es vermocht 
hätten, die Unterſuchung in Sang brachten und zum Ziele führten. 


482 


Denn ſiehe da: Bald war eine kunſt⸗ und regelrecht ausgeſtaltete 
Altarwand bloßgelegt. Aus der glatt verlaufenden Fläche ent⸗ 
wickelten ſich drei Apfiden, indes nicht in der üblichen Halbkreis⸗ 
und Muſchelform, ſondern, bis zur Menſa herab durchſchnittlich vierzig 
Jentimeter tief im Mauerkern ausgeſpart, in Seſtalt von rückwärts 
geradwandigen und von einem kleinen Fenſterſchlitz durchbrochenen, 
nach oben auffallenderweiſe mit einem Hufeiſenbogen abſchließenden 
Niſchen von ſchlank entwickelter höhe. Die Hauptniſche erwies ſich 
mit hundertfünfzehn Zentimeter Breite nur um ein Geringes vor den 
Debennifchen ausgezeichnet. In dem den unteren Teil der Tlifchen 
füllenden, mit der Wandfläche faſt bündig verlaufenden Mauerwerk 
wurden Altarunterbauten erkannt, umſo ficherer, als er in Menſahöõhe 
mit einer Bohle abgedeckt war und man in ihm verwitterte Splitter 
eines Glasgefäßes und kleine Mengen Erde fand, wie man fie vor⸗ 
alters von geruſalem und aus den Ratakomben und anderen heiligen 
Stätten in Kirchen zu übertragen und in Altäre einzufügen pflegte. 
Ob die ganze fo zutage geförderte Bauanlage mit dieſer feiner klar 
ausgeſprochen charakteriſtiſchen Altarwand vielleicht ein für karo⸗ 
lingiſche Candkirchen geltender Typus war, wie Dr. Sarber mit einem 
gewiſſen Grade von Wahrſcheinlichkeit andeutet, wer weiß es? Einſt⸗ 
weilen iſt fie ein durch kein anderes Beifpiel in ihrem ſouveränen 
Daſein beſchränktes Unikum, aber gerade darum ein umſo wert⸗ 
volleres Dokument für die Geſchichte der karolingiſchen Architektur. 

Einen ganz beſonders wertvollen Vorzug dieſer Altarwand macht 
es aus, daß ſie reichlich mit künſtleriſchem Schmuckwerk ausgeſtattet 
iſt, jetzt noch durch Malereien, wie ſie es ehedem auch noch durch 
ihnen gleichalterige und ihnen in einheitlichem architektoniſchem Plane 
beigeordnete Stuckaturen war. Don dieſen haben ſich gelegentlich 
der Nusbruchsarbeiten als Füllſel der Niſchen Bruchſtücke ornamen⸗ 
taler und figürlicher Art vorgefunden, teilweiſe bemalt und fo zahl⸗ 
reich, daß Dr. Sarber nach ihnen, beſonders unter Führung einer an 
Ort und Stelle noch faſt ganz erhaltenen Säule ſamt Kapitell, eine 
Rekonſtruktionsidee ausarbeiten konnte. Nach Ausweis feiner eigenen 
nebenſtehenden Zeichnung zweifellos mit glücklichem Erfolg; bis etwa 
auf die Unterbringung zweier im antikifierenden karolingiſchen Ge⸗ 
ſchmack plaſtiſch ornamentierten Platten, die ehedem, das Geſicht nach 
unten, den vor der vermauerten Altarwand errichteten barocken, jetzt 
in der St. Michaelskirche zu Mals befindlichen St. Benediktsaltar 
deckten und wohl als Überreſte von Banzellen oder von einer Altar⸗ 
bekleidung zu gelten haben. 


433 


In Derbindung mit diefem plaftifhen Schmuck muß die zum größten 
Teil noch gut erkennbare Bemalung der Flächen die Altarwand als 
Ganzes zu einem ungewöhnlich reichen und trotz der ganz auffallend 
zahlreichen und großen techniſchen Mängel wirkungsvollen Kunſt⸗ 


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gebilde gemacht haben. Die Niſche der Evangelienfeite zeigt den 
heiligen Papſt Gregorius, die der Epiftelfeite den heiligen Erzmarturer 
Stephanus und die Hauptniſche den Heiland in der alten tupiſchen 
Art als Majeſtas, in der Linken das offene Buch, die Rechte zum 
Segen erhoben, inmitten zweier vor ihm ſich neigenden Engel; ſämtliche 
Darſtellungen in ganzer Figur und aufrechtſtehend. Don den je fünf 
Jeilen der beiden Buchſeiten find zur Not die folgenden Reſte zu erkennen: 


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434 


IE . .  MIHI 
8 CVRVABIT 
DEVS OM GENS 
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eg NT’ OM 

Fwiſchen der Decke und dem oberen Abſchluß der Niſchen zieht ſich, 
in ſeiner Anlage leicht, in den Einzelheiten aber nur noch ſchwer er⸗ 
kennbar, ein gemalter Fries hin, der, in der heute noch üblichen Art 
der griechiſchen JRonoſtas, in feinen zwölf rundbogig abſchließenden 
Einzelniſchen Bruftbilder, wohl die der Apoftel, zeigt. In den deko⸗ 
rativen Teilen herrſcht neben einem ſtiliſterten Rebenmotiv und dem 
verſchlungenen Bandmotiv der perſpektiviſch gezeichnete und mehr⸗ 
farbig abgetönte Mäander vor, wie er uns in ähnlicher Aufmachung 
auch in St. Georg zu Oberzell und in der karolingiſchen Buchkunſt 
begegnet. N 

Die zwei beſonders gut erhaltenen Figuren auf den die Apfide 
ſcheidenden ſchmalen Pfeilern, die bereits vor der ſuſtematiſchen Unter⸗ 
ſuchung der Altarwand aufgedeckt waren, erheiſchen eine ganz eigene 
Aufmerkfamkeit. Nicht etwa nur weil fie von allen Malereien des 
Kirchleins das Beſte und auch techniſch Vollendetſte find, ſondern haupt⸗ 
ſächlich darum, weil fie ohne Zweifel mit deſſen Urſprüngen in einem 
inneren Juſammenhang ſtehen und demnach für die Beſtimmung ſeiner 
Entſtehungszeit von Wichtigkeit find. Die Figuren find etwa Drei» 
viertel lebensgroß. Eine von ihnen, die auf der Evangelienſeite, in 
der Gewandung der Dornehmen des frühen neunten Jahrhunderts, 
mit beiden händen den Griff des vom Gurt herabhängenden reich— 
geſchmückten, kurzen Schwertes umfaſſend, dürfte einen Fürſten und 
zwar als weltlichen Stifter des KRirchleins und feiner Ausftattung 
darſtellen, die andere, mit liturgiſchem Gewande (oder der monaſti⸗ 
ſchen Aukulle?) angetan, das noch turmloſe Modell des kKirchleins in 
Händen tragend, den geiſtlichen Stifter oder Stiftungsnehmer. 
Beider Haupt iſt von einer quadratifchen Bloriole umrahmt, abge 
ſehen von der ſtarken Individualiſierung ihrer Geſichtszüge, nach der 
bis in die frühromaniſche Zeit hineinragenden altchriſtlichen Übers 
lieferung ein Jeichen, daß fie zur Zeit ihrer Darſtellung noch unter 
den Lebenden weilten. 

Die Südwand weilt keine Spuren einer Bemalung auf und dürfte 
auch ſchwerlich jemals die Entdeckung ſolcher erwarten laſſen, da 
nach Ausweis innerer Spuren und insbeſondere der Tatſache, daß 
fie um Mauerſtärke außerhalb der Mittellinie ſteht, ihre Errichtung, 


435 


famt gleichzeitiger Dergrößerung der Fenfter und Übertragung des 
früheren öſtlichen Einganges, in eine ſpäte Jeit, wohl in die Zeit 
der „Reſtauration“, d. h. ins ſiebzehnte Jahrhundert fällt. | 

Die Nordwand dagegen trägt einen ausgedehnten Bilderſchmuck 
und zwar in zwei übereinander liegenden Reihen, von denen die untere 
bis auf die kümmerlichen Reſte mehrerer ſenſenbewaffneter Männer⸗ 
geſtalten durch eine nachträglich eingebaute Derftärkungsmauer voll» 
Rändig zerftört iſt, während die obere, ſoweit die Mauer nicht auch 
ſie verdeckt, mehrere Bilder in gut erhaltenem Zuſtand, die übrigen 
aber infolge Überſtreichung und Verwitterung in einem Grade der 
Verderbnis aufweiſt, der nur noch geringfügige und unbeſtimmbare 
Farbklee erkennen läßt. Die einzelnen Bilder, das eine vom anderen 
durch einen mehrfarbigen aber unverzierten Streifen geſchieden, haben 
quer eine Länge von 2,10 und eine höhe von 1,60 meter. Über 
dem Ganzen zieht ſich unter der flachen Decke ein auffallend breiter, 
perſpektiviſch gezeichneter, auf ſchwarzem Grunde rot, gelb, grau und 
weiß gemalter Mäander hin. 

Das in ſeinen nicht verdeckten Teilen vor allen anderen am beſten 
erhaltene Bild, das öſtlichſte der oberen Reihe, iſt das ſchon erwähnte 
dem Titelheiligen des evangelienſeitigen Altars, Gregorius dem 
Großen, gewioͤmete Doppelgemälde. Ihm folgt eine Bildfläche, in 
deren ganz geringen Reſten, Spuren einer am Boden liegenden Geſtalt, 
Dr. Sarber, des deutlich lesbaren Wortes SAVLVS wegen die Bekeh⸗ 
rung Pauli und damit einen Beſtandteil der von ihm angenommenen 
Paulusſerie ſehen zu ſollen glaubt. In dem nun folgenden Rahmen 
iſt überhaupt nichts mehr, in dem nächſten, trotz des ſchlechten Ju⸗ 
ſtandes, mühelos mit Dr. Garber die Steinigung des heiligen Stephanus 
zu erkennen. Und ſchließlich ſtellt das weſtlichſte Gemälde, faſt in ſei⸗ 
ner ganzen Ausdehnung erhalten, ein mit Rutenſchlägen und kohlen⸗ 
glut vollzogenes Marturium dar. 

Angeſichts ſo ſchwacher Unterlagen hat es keinen Wert, ſcharf 
Vermutung gegen Vermutung zu ſtellen. Gleichwohl möchte ich mir die 
erwähnte Annahme Dr. Garbers, es handle ſich bei der ganzen Bilder⸗ 
ferie, die beiden Gregoriusbilder ausgenommen, um Begebenheiten 
aus dem Leben des heiligen Paulus, nicht unbedingt zu eigen machen. 
Sher möchte ich mich, da wohl der auf der Altarwand liturgiſch aus⸗ 
geſprochene Leitgedanke hiſtoriſch erzählend auch für die übrige Rus⸗ 
ſtattung maßgebend geweſen ſein dürfte, der heilige Gregor aber als 
erſter Nebenpatron ſchon feinen Anteil vorweg hat, zugunſten des 
zweiten Nebenpatrons, alſo für eine Stephanusſerie entſcheiden, 


436 


umfo zuverſichtlicher, als auch in ihr, etwa in einer dem ſechſten oder 
ſiebenten Kapitel der Rpoſtelgeſchichte entnommenen Darſtellung, die 
Inſchrift SAVLVS leicht zu ihrem Rechte kommen könnte. Gegen 
eine Paulusſerie ſcheint es zu ſprechen, daß unter ihrer Vorausſetzung 
von den vier in Frage kommenden Bildern, die doch ihrer Harm 
nach den heiligen Paulus zu verherrlichen berufen wären, drei ihn 
als Verfolger darſtellen würden, nur eines, und auch das nur unter 
der Annahme der Tatſächlichkeit eines Bekehrungsbildes, als den gott 
begnadeten Heiligen, keines in feiner eigentlichen Größe, als den gewal⸗ 
tigen Dölkerlehrer. Das wäre aber ein Gedankengang, der nicht nur 
in ſich ſelbſt unnatürlich und darum unwahrſcheinlich erſcheinen, ſon⸗ 
dern außerdem in feiner Auswirkung gegen die liturgiſch korrekte 
Richtung der Reihenfolge verſtoßen müßte, wie ſie bereits von den 
Gregoriusbildern richtig als von Oſten nach Weſten ſchreitend eröffnet 
wurde. Schließlich würde eine Paulus ſerie, indem fie den Apoftel in 
dieſer Umgebung ohne erſichtlichen Grund und unvermittelt, ſozuſagen 
wie einen deus ex machina erſcheinen ließe, die künſtleriſche und 
liturgiſche Einheitlichkeit, wie fie doch für die Ausſtattung des Gottes⸗ 
hauſes eine berechtigte und darum wahrſcheinliche Vorausſetzung iſt, 
vermiſſen laſſen. 

Die Annahme einer Stephanusſerie dagegen hätte unferes befdei- 
denen Erachtens manches für fi: Die erwähnte Einheitlichkeit der 
Ausſtattungsidee wäre mit ihr verwirklicht; die Richtung der Reihen 
folge wäre einwandfrei; der Name SAVLVS wäre gerettet; vor allem 
wäre eines der vier in Frage kommenden Bilder, ohnehin ſchon als 
Stephani Steinigung anerkannt, für diefe Serie von vornherein ſicher⸗ 
geſtellt. 8o hätte ſich denn nur noch das andere vorhandene Marter⸗ 
bild in ſie und damit in das Ganze einzufügen; und es fügt ſich ohne 
Zwang und Widerſpruch hinein, wenn wir es, entſprechend der ur⸗ 
alten und bis heute lebendigen Überlieferung, die beiden Martyrer- 
diakone einander an die Seite zu ſtellen, als Martyrium des hl. 
Laurentius deuten. Es iſt in feinen Einzelheiten allzu eigenartig 
ausgeprägt und geht in ihnen allzuſehr über den in der Apoſtel⸗ 
geſchichte gezeichneten allgemeinen Derfolgungstypus hinaus, als daß 
es als eine Aluſtrierung desſelben gelten könnte. Als Marturium des 
hl. Caurentius dagegen hätte es den Vorzug, ſich in den weſentlichen 
Fügen, nämlich Hinrichtung durch Rutenſchläge und Feuer, mit den 
betreffenden Berichten zu decken. Welchen Marturer könnte das 
Bild beſſer darftellen als den hl. Caurentius? Gleich feinen beidens⸗ 
genoſſen mit der Bruſtſeite über die züngelnde Kohlenglut hingeſtreckt, 


437 


erhebt er heiter fein jugendliches Haupt, und es ift, als hörte man 
ihn feinem kaiſerlichen Peiniger, der mit lebhaften Geftus das Der» 
fahren leitet, mit heiligem Spott die Worte entgegenrufen: Ecce miser, 
assasti me una parte, regyra aliam et manduca. Falls nicht etwa, 
mit einiger Phantafie, in den regelmäßig angeordneten Feuerzungen 
der in der Überlieferung übliche Roft zu erkennen iſt, könnte man 
aus feinem Nichtdaſein eine Schwierigkeit herleiten. Aber keine ernſt⸗ 
liche, da ſich aus den nur in rhetoriſcher Verarbeitung vorliegenden 
Akten anerkanntermaßen das Sichere nicht mehr ausſcheiden läßt, 
die uns als chriſtliches Semeingut geläufige Nuffaſſung der Todesart 
aber nicht ohne ablehnende Kritik geblieben iſt. Außerdem werden 
in den in die Liturgie des Laurentiusfeftes übergegangenen Texten 
ausdrücklich zwei Dinge, Roft und Feuer, anſcheinend ſachlich und 
auch der Zeit der Anwendung nach auseinandergehalten: Strinxerunt 
corporis membra posita super craticulam: ministrantibus prunas 
insultat levita Christi. — In craticula positus Deum non negavit, 
et ad ignem applicatus Christum confessus est. 

nachdem fo den beiden Nebenpatronen Gregorius und Stephanus 
ihre Ehrung und damit ihr Anteil in dem Nusſtattungsplane ſicher⸗ 
geſtellt iſt, ſollte nun der Hauptpatron, der Titelheilige des ganzen 
Gotteshauſes, Sankt Benedikt, leer ausgegangen fein? Schwerlich. 
Einftweilen weiß kein Menſch, was die nördliche Derftärkungsmauer 
zerftört oder wenigſtens dem Blick entzogen haben mag. Man dürfte 
ſich aber nicht wundern, wenn es eine Reihe von Bildern zur Ver⸗ 
herrlichung des Vaters der Mönche wäre, die ihm das Heiligtum er⸗ 
baut haben. 


** * 
% 


W unferem Benediktikirchlein ſoviel Wert und Würde gibt, ift 
neben feinem Charakter als hervorragendes Kunſtgebilde fein 
ungewöhnlich hohes Alter und feine damit begründete Dorzugsftellung 
in der Geſchichte der kunſt. In Ermangelung ausdrücklicher Nach⸗ 
richten ſind wir darauf angewieſen, zu der Feſtſtellung ſeiner Ent⸗ 
ſtehungszeit ſchlußweiſe zu gelangen. Und dieſes Ziel wird ſich mit 
Erwartung eines wenn auch nicht auf Tag und Datum genauen, ſo 
doch annähernden und befriedigenden Ergebniſſes auf ſicherem Wege 
erreichen laſſen, nämlich durch die Dergleichung mit zwei anderen, inner⸗ 
lich verwandten und auch örtlich wie zeitlich naheliegenden Kunſt⸗ 
ſchöpfungen, von denen eine die ſpäteſte, die andere die früheſte Grenze 
beſtimmt: mit den Wandgemälden von Reichenau und Münfter. 


438 


Die Entſtehungszeit der Gemälde von Reichenau fällt in die Zeit 
zwiſchen 985 und 990. Erhebliche Verſchiedenheiten in Stil und Technik 
zwingen nach dem Urteil der genannten kundigen Fachmänner zu 
der Annahme, daß die Gemälde von Mals früherer Herkunft find, 
und fo müſſen wir fie denn vom Ende des zehnten Jahrhunderts ſo⸗ 
weit zurückdatieren, als es in jener überlieferungstreuen und darum 
nur langſam ſchreitenden Zeit ausreichend, aber auch notwendig 
ſcheinen mag, um für die Entwickelung der einen zur anderen Art 
den nötigen Raum zu gewinnen. 

Wenn wir der Vergleichung halber von gewiſſen in den Reichen⸗ 
auer Gemälden zutage tretenden Schwächen reden müſſen, ſo ſoll und 
kann ihnen das natürlich nichts von ihrem ganz einzig hohen künſt⸗ 
leriſchen und kunſtgeſchichtlichen Werte nehmen, umſo weniger, als 
man denen ſchwerlich Unrecht geben kann, die jene Schwächen reich⸗ 
lich durch Vorzüge ausgeglichen finden, beſonders durch den dem 
architektoniſchen Empfinden weſensverwandten Fortſchritt, der in der 
berführung der mit ſtarker Schattierung und ſogar aufgeſetzten Lichtern 
plaſtiſch geſtaltenden Malweiſe von Mals und Münfter in die mehr 
die Fläche und die Linie betonende Malweiſe von Oberzell liegt. 
An den Oberzeller Bildern iſt — um nur ein paar weſentliche Punkte 
hervorzuheben — unmöglich die Tatſache zu überſehen, daß ſich an 
ihnen An- und Nachklänge zur Antike nur noch in beſcheidenem Maße, 
und auch dann manchmal nicht mehr in echter und reiner, ſondern 
nur noch in mißverſtandener, ausgeleierter, zu Schema und Manier 
verkümmerter Geſtalt erkennen laſſen, in Formen, unter denen wir 
den Künftler folgerichtig halb gezwungen, halb freiwillig auf der 
Suche nach neuen Mitteln und ſchließlich auch nach neuen Bahnen 
ſehen. Eröffnet doch Oberzell tatſächlich den Ausblick auf eine nahende 
ganz neue Kunſtepoche. 

An den Reichenauer Bildern zeigen ſich ferner unverkennbare Der- 
luſte an künſtleriſcher Überlieferung in Bezug auf die Einordnung 
des Figürlichen in das Räumliche, ganz auffallend in der Behandlung 
des Hintergrundes, dann in der Zeichnung und Modellierung und 
ſchließlich ſogar in der Technik, die ſich gegenüber dem alten Geſetz 
möglichfter Beſchränkung wohlgefällig in einer faſt geſuchten Viel⸗ 
fältigkeit der Farbenleiter, gegenüber den klaren Laſuren der Alten 
in der Derwendung faſt zu Tode gemiſchter Deckfarben ergeht; kurz⸗ 
um auf der ganzen Linie ein allzuoft nicht vorteilhafter Wechſel in der 
maleriſchen Behandlung. 

Warum dieſe ſtarke Herausarbeitung der neuen Erſcheinungen an 


439 


den Reichenauer Bildern? Darum, weil all diefe Dinge in dem St. 
Benediktskirchlein von Mals nicht feſtzuſtellen find, nicht einmal 
ſumptomatiſch, geſchweige denn fyftematifh. In ihm vernimmt man 


noch, nicht laut aber deutlich, den Pulsſchlag der ſpätantiken kunſt, 


* 84 20 


= — N 1 — 5 


ſieht man noch die Nachwirkung ihrer Überlieferungen, Auffaffungen 
und Geſetze. Kurzum Mals und Reichenau find ſehr verſchiedene 
Dinge. Da aber derlei Übergänge, mögen fie als Rückfchritt oder als 
Entwickelung zu bewerten ſein, ſich erfahrungsmäßig und notwendiger⸗ 
weiſe nur langſam vollziehen, ſo weiſen uns unſere Beobachtungen 
hüben und drüben, und darauf kommt es hier an, mit Nachdruck 
auf einen weiten Weg, auf einen langen Feitraum zwiſchen Mals und 
Reichenau hin. 

Ein zweiter Vergleich, der mit den Wandgemälden von Münſter, 
wird dieſe Entfernung genauer beſtimmen, ja uns zur denkbar frü⸗ 
heſten Urſprungsgrenze des Benediktikirchleins und ſeiner Gemälde 
führen. Das Männerkloſter des Benediktinerordens Münfter im 
Taufertal (Monasterium Tuberis), ſeit dem elften Jahrhundert Doppel⸗ 
kloſter, ſeit dem während des Inveftiturftreites wegen Brand und 
Plünderung erfolgten Abzug der Mönche (zunächſt nach Schuls im 
Unteren Engadin und ſpäter nach Marienberg bei Mals) bis heute bene⸗ 
diktiniſches Frauenkloſter, iſt eine Stiftung Raifer Karls des Großen 
aus der Zeit ſeines dritten oder vierten Longobardenzuges, zwiſchen 
780 und 786. Neben feinem religiöfen Weſenszweck hatte es den 
politiſchen Nebenzweck, der Sicherung des Alpenüberganges über das 
Wormſerjoch zu dienen. Bereits im Jahre 805 wird es, worin ein 
ſchätzbarer Wink für die Annahme kunſt⸗ und kulturgeſchichtlicher 
Juſammenhänge liegt, im Reichenauer Derbrüderungsbud) genannt. Der 
aus des kaiſerlichen Stifters Lebzeiten ſtammende ausgedehnte Bilder- 
zuklus iſt auch heute noch, nachdem ein kleinerer Teil in das Züricher 
bandes muſeum übertragen worden, in reichlichem Maße wohlerhalten: 
ein Schatz von künſtleriſch und archäologiſch wertvollſten Runftgebilden, 
denen weder im deutſchen Sprachgebiet noch ſonſtwo in der geſamten 
Aulturwelt etwas Ähnliches, geſchweige denn Gleichwertiges an die 
Seite geſtellt werden kann. 

In welchen zeitlichen Derhältniffen ſteht nun mals zu Münſter? 
Die geringen Spuren karolingiſcher Malerei in der Kuppel des 
Hachener Kaiſerdomes, in Deutſchland die einzigen Reſte dieſer Art, 
können bei der Beurteilung der Malereien des Malſer Benedikti⸗ 
kirchleins nicht wirkſam in Betracht kommen. Dagegen iſt durch 
die zu Anfang dieſes Berichtes erwähnten Studien eine ſo nahe innere 


440 


7 ie 
Derwandtfchaft zwiſchen den Gemälden von mals ur nd denen vor 
Münfter nachgewieſen worden, daß die beiden Srupper en fraglos 5 auch 
zeitlich zuſammengerückt werden müſſen. Wie nahe, äßt t ſich ch ſchwer 
lich aus ihnen ſelbſt, bis zu einem hohen Srade der W ahrſcheinlich 
keit aber aus äußeren Umſtänden beſtimmen. * ke. 

Junächſt müſſen wir hier eine der ſchon erwähnten bei iden Porträt 
geſtalten des Benediktikirchleins zu Wort kommen laſſe n. Nachdem 
das Kloſter Münſter ſeit feiner Gründung unmittelbar er Beſitz des 
Rarolingiſchen Fürſtenhauſes geweſen, ging es im Jahre 881 durch 
Dergabung £aifer Karls des Dicken an deſſen Erakangle 2 55 Biſchof 
Guitward von Vercelli über, der es dann ſeinerſeits an Bistum 
Chur vertauſchte. Da nach dieſem Zeitpunkt Stifter aus dem! Baifer- 
hauſe — denn nur um einer ſolchen kann es ſich bei dem Fürſten bildnis 
handeln — nicht mehr in Frage kommen, fo ift für den Urſpr u 1g der 
Malereien eine Zeit anzunehmen, die vor dem gahre 881 liegt 

Wie weit zurück? Gute Gründe führen uns nicht unmal nchen. 
licherweiſe in die erſten Jahrzehnte, wenn nicht gar ganz ar den An⸗ 
fang des Jahrhunderts. Hauptgrund iſt und bleibt der Be fund der 
vergleichenden Studien an den Gemälden von Mals und Mü nfi ter. Da 
dieſer Befund, wie gejagt, auf Grund der nahen ſtiliſtiſchen Der rwandt⸗ 
ſchaft die notwendigkeit auch eines nahen zeitlichen Urſprungs beider 
erklärt, der Urſprung des Zyklus von Münſter aber mit Er 
raum von etwa zehn Jahren vorher oder nachher in die gahrbundert⸗ e 
wende fällt, fo ift damit folgerichtig auch der Malſer Zyklus in die 
Nähe des Jahres 800 gerückt. 

Es wäre folgerichtig nichts gegen die Annahme einzuwenden, 79 
die Künſtler von Mals, wenn auch vielleicht nicht gerade identiſch 
mit denen von Münſter, ſo doch mehr oder weniger gleichzeitige 
Genoſſen oder Schüler derſelben waren. Wenn man in Mals und 
Münſter unverkennbare Unterſchiede in der künſtleriſchen Behandlung 
feſtgeſtellt hat, ſo ſind dieſe hinreichend in der erfahrungstatſache 
erklärt, daß ſich innerhalb des gleichen Suſtems, auch bei der ſtrengſten 
einheitlichen Schulung, bei verſchiedenen Perſönlichkeiten, und ſogar in 
verſchiedenen Gebenszeiten derſelben Perſonen auf Grund befonderer 
Anlagen oder Einflüſſe ganz naturgemäß Verſchiedenheiten he 
bilden. Aus den nicht weſentlichen Unterſchieden im Stil oder in 
Technik, denn nur von ſolchen kann hier die Rede ſein, läßt 0 all 
nicht die Notwendigkeit der Trennung der Künftler von Mals und 
Münſter, umſoweniger aber die Notwendigkeit einer zeitlichen Tren= 
nung ihrer Werke herleiten. Gleichwohl braucht darum der Urſprung 
der Gemälde von Mals ſich nicht unmittelbar an den der Gemälde 


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Benediktikirchlein in Mals, Altarwand 


(Gregorius — Stifterbild — Stephanus) 


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Marturium des hl. Gaurentius (?) 


Benediktikirchlein in Mals, Nordwand 


441 


von Münſter zu fügen. Es bleibt vielmehr, freilich nur in beſchei⸗ 
denem Maße, die Möglichkeit eines zeitlichen Abſtandes offen, mag 
er nun noch innerhalb eines einzigen aber ausgiebigen Menſchen⸗ 
lebens oder innerhalb zweier Künftlergenerationen liegen, von denen 
die eine im Geifte und in der Geſtaltungsart der anderen ſtetig weiter⸗ 
ſchaffte. So könnten wir denn von dieſer Erwägung aus für die 
Entſtehungszeit der Malereien unſeres Malſer Benediktikirchleins trotz 
der beftehenden Derwandtfchaft mit denen von Münſter immerhin mit 
einem Spielraum von etwa fünfzig bis ſechzig gahren rechnen. Um 
meine perſönliche Meinung gefragt, würde ich, mehr die Umſtände 
wägend als die Gründe zählend, für das erſte Diertel des neunten 
Jahrhunderts ſtimmen. — 

Das Benediktikirchlein von Mals und insbeſondere ſeine Malereien 
haben wir in ihrem kKulturkreiſe als einzig in ihrer Art bezeichnet, 
und fie find es. Sie würden aber dieſen Vorzug der Einzigkeit, freilich 
damit nichts von ihrem hohen fachlichen Werte, in dem Augenblicke 
einbüßen, wo dem fähigen Kunſtarchäologen im Prieſtergewande, der 
fie aus ihrer Derkümmerung ins Leben, aus ihrer Verborgenheit ins 
bicht gerückt, der für die Kunſt⸗ und Kulturgeſchichte wünſchenswerte 
und nach Lage der Dinge auch beſtimmt zu erwartende Beweis ge⸗ 
länge, daß auch bei den Palimpſeſtmalereien des Prokuluskirchleins 
von Naturns die fo charakteriſch und offen ausgeſprochenen künſtle⸗ 
riſchen Raſſezüge auf echt karolingiſcher Blutsverwandtſchaft beruhen. 
Damit würde dann, zumal da die Aufdeckung noch anderer derlei 
goldführender Adern im Dintfhgau und übrigen ſüdlichen Tirol eher 
wahrſcheinlich als ausgeſchloſſen iſt, zuſammen mit Mals und Münſter 
auf einem geographiſch ganz geringfügigen Raum ein wahres Dorado 
alter großer Kunſt erſchloſſen fein, das ſeinesgleichen nicht hätte und 
zu dem zu pilgern es mit Recht jeden ernſten Junftgenoſſen gelüften 
dürfte. 


* ** 
% 


E lag außerhalb des Zweckes dieſer Zeilen, die ſpärlichen Nach⸗ 
richten über die mehr als tauſendjährige Geſchichte unſeres Bene⸗ 
diktikirchleins zuſammenzuſuchen. Schwer verhängnisvoll iſt dem 
ehrwürdigen Gotteshauſe die Derfügung Raifer goſeph II. geworden, 
die es des kirchenamtlichen Charakters entkleidete. Während der baue⸗ 
riſchen herrſchaft ging es 1803 in den Beſitz der Marktgemeinde 
über. Nachdem es ſeitdem, der gottesdienſtlichen Einrichtungsſtücke ent⸗ 
leert, verſchiedenen weltlichen Zwecken gedient hatte, mußte es während 
Benediktiniſche Monatſchrift IV (1922), 1112. 29 


442 


des Weltkrieges auch noch als Maultier⸗ und Munitionsdepot ein 
ihm weder ehrenvolles noch förderliches Daſein führen. Baulich iſt 
es in ganz ſchlechtem Juſtande, und der Zuſtand der Malereien iſt 
fo, daß falls nicht etwas Ernftes zu ihrer Sicherung geſchieht, wo⸗ 
mit beileibe nicht eine „Runftgerechte Reſtaurierung“ gemeint iſt, ein 
ganz ungewöhnlich hochwertiges kunſt⸗ und kulturgeſchichtliches Denk⸗ 
mal in abſehbarer Zeit zugrunde gegangen fein wird. Die Markt⸗ 
gemeinde will das Kirchlein, ſo hört man, zu einem ortsgeſchicht⸗ 
lichen Mufeum umgeſtalten. Das wäre ein Unternehmen, das außer 
Heimatliebe ein ehrendes Verſtändnis für den Schatz bewieſe, den es 
zu hüten gilt. Neben dem Zwecke der Erhaltung aber wäre zugleich 
auch ein erftrebenswertes höheres Ideal dann erreicht, wenn das 
Kirchlein dem erften Zwecke zurückgewonnen würde, dem es ein gahr⸗ 
taufend lang gedient, der Ehre Gottes und des großen heiligen Erzvaters 
Benediktus. 


Die drei „G“. 


Eine Weihnachtsbetrachtung für Novizen. 
Don Abt Plazidöus Glogger 0. 8. B. (Augsburg). 


I. 

n den herrlichen O-Antiphonen hat uns die Kirche auf die Ankunft 

des Meſſias vorbereitet. Jetzt knien wir an feiner Krippe, und 
wie wir das göttliche Kind betrachten, da kommen uns drei Wörtchen 
der heiligen Regel in den Sinn, die alle auch mit „O“ beginnen und 
die uns das liebe geſulein mit feiner ſtummen Beredſamkeit ans herz 
zu legen ſcheint; ich meine die drei Erforderniſſe, die der heilige Dater 
Benedikt vom Novizen verlangt: »si sollicitus est ad opus Dei, ad 
obœdientiam, ad opprobria« (Hap. 58). An Weihnachten freut ſich 
alles mit den kindern, weil Gottes Sohn ein Kind geworden, und ſo 
freuen wir uns diesmal im Kloſter mit unſeren güngſten im Haufe, 
unſeren Novizen, für die in erſter Linie der Heiland als vorbildliches 
„Novizlein“ in der kirippe liegt. | 

Allgemein gilt das Noviziat als die ſchönſte Zeit im Klofter; es 
ift die goldene Jugendzeit des Mönches. Und da klingen die oben 
angeführten Worte des heiligen Ordensſtifters ſcheinbar ſehr hart 
hinein in dieſes Kloſterparadies: „Es werde behutſam darauf geachtet, 
ob der Novize wahrhaft Gott ſucht, ob er eifrig iſt im Chorgebete 
(opus Dei), im Gehor ſam (obœdientia) und bei Derdemütigungen 


443 


(opprobria). Man ftelle ihm alles Mühfame und Beſchwerliche des 
Weges vor Augen, auf dem wir zu Bott gelangen.” Manches Welt⸗ 
kind denkt ſich hiebei: Das ganze Geben dieſelben Weifen herleiern, 
immer ſich ducken, beftändig ſchlucken, wie einförmig muß das fein, 
wie unwürdig eines freien Mannes, wie verbitternd für ein lebens⸗ 
frohes Gemüt! Ich möchte die Ordensleute nicht vollkommener ſchil⸗ 
dern, als fie in Wirklichkeit find, und leugne nicht, daß ſolche Ge⸗ 
danken dem beſten Mönche kommen können und daß leider manch 
unglücklicher Mitbruder ihnen vielleicht ſchon nachgegeben hat. Aber 
wenn man die Geſichter unſerer Novizlein ſieht, da merkt man nichts 
von einem Gefühle der Langeweile, des JFwangs, der Bitterkeit. Raum 
kann es der gute Novize erwarten, bis er zum erſten Male dem Chor⸗ 
gebet beiwohnen darf. Wie gewiſſenhaft iſt er vorbereitet, mit welcher 
Aufmerkſamkeit verfolgt er den heiligen Text, wie klingen Herz und 
Mund zuſammen, wenn er vorlieft oder ſingt, wie reumũtig fühnt er 
die unvermeidlichen „Novizenſtückchen“ beim Pſallieren oder im Amt 
des Vektors, wie ſtrahlt voll kindlich heiterer Freude fein Geſicht, 
wenn die Chorglocke von neuem ertönt — ein lebendiges Lætatus 
sum in his quæ dicta sunt mihi: In domum Domini ibimus „Ich 
freue mich, da man zu mir ſagt: Ins Haus des herrn laßt uns gehn“ 
(Pf. 121, 1). Ya, die Novizlein haben es leicht! Das junge Füllen 
kann munter ſpringen; es hat noch keine Gaft zu tragen, noch keinen 
Wagen zu fahren. 50 war ich auch einmal. Aber jetzt iſt der Kopf 
voll Sorgen und zeitlicher Geſchäfte oder das alte Rößlein will nicht 
mehr ziehen, das alte Herz iſt wie ein ausgebrannter Krater! 80 
oder ähnlich ſeufzt gar mancher, den die baſt der Geſchäfte oder die 
Bürde der Jahre drückt, etwa ein vielgeſchäftiger Jellerar, ein altes 
Paterchen im Silberhaar oder gar — ich will nicht unbeſcheiden fein — 
Reverendissimus ſelbſt da vorne an feinem Abtſtuhl. Ich verarge 
es keinem; denn der fervor novitius, „Erſtlingseifer“ (Hl. Regel Kap. 1), 
iſt wie eine friſche Frühlingsblüte, die unſer Aug’ erfreut, aber nur 
zu raſch wieder abfällt. Hat doch keine geringere als die hl. Therefia 
zwanzig gahre fo geſeufzt. Wenn es den Sternen ſo erging, wie 
wird es uns armſeligen Nachtlichtlein gehen? Aber alle Entſchuldi⸗ 
gungen laſſe ich doch nicht gelten. Soll nur der Novize zur gewiſſen⸗ 
haften Vorbereitung, zum pünktlichen Erſcheinen, zur Andacht, zum 
freudigen Gotteslob verpflichtet ſein — deshalb, weil er noch keine 
Verpflichtung auf ſich genommen hat, und ſoll der Profeßmönch, 
welcher ſich feierlich verbunden hat, deshalb ſeiner Verpflichtung ganz 
oder teilweiſe entbunden fein? Wer als Oberer oder im Gehorfam 
29* 


444 


viel durch äußere Geſchäfte vom inneren Geben abgezogen wird, der 
flüchte ſich wie die verfolgte Taube in die ſchützenden Mauern des 
Beiligtums, der begrüße die Stunde, die er ungeſtört in ſüßer Zwie⸗ 
ſprache mit ſeinem Gott verbringen darf. Und unſeren ehrwürdigen 
Veteranen möchte ich zum Troſte die Antwort des achtzigjährigen 
Abtes Anſelm Erb von Ottobeuren ans herz legen, die er bei der 
feierlichen Einweihung des jetzigen herrlichen Gotteshauſes dem Fürſt⸗ 
biſchof goſeph von Augsburg gab. Als der hohe KRirchenfürſt meinte, 
Seine Gnaden bräuchten in fo hohem Alter kein Brevier mehr zu 
beten, ſagte der Greis mit dem Pſalmiſten: Psallam Deo meo, 
quamdiu sum „Ich will meinem Gott Pſalmen ſingen, ſolang ich 
bin“ (Pf. 103, 33). Indeſſen wollen wir ſtatt langer Erörterungen 
unſer göttliches Krippenkindlein betrachten! Ein Gott angenehmes, 
von ihm ſelbſt angeorönetes Opfer war das Raudjopfer im Tempel. 
Angenehmer noch war dem Herrn das Opfer des Gebets, von dem 
der königliche Sänger ſagt: „Mein Gebet ſteige vor deinem Angeſicht 
auf wie Weihrauch“ (Pf. 140, 2). Aber „der füßefte Geruch vor dem 
Herrn“ (Ex. 29, 25), der die Gebete aller Heiligen des Alten Bundes, 
das unaufhörliche Sanctus, Sanctus, Sanctus der Seraphim ſoweit 
übertraf, als der himmel die Erde überragt, iſt das hoheprieſterliche 
Gebet, das ſeit dem gawort der reinſten Jungfrau unaufhörlich zum 
Vater ſtieg, das während dreiunddreißig Jahren eines mũhſamen Erden⸗ 
lebens nicht verſtummte, das am RAreuze in das mächtige Consum- 
matum est „Es iſt vollbracht“ (Joh. 19, 30) ausklang um im ver⸗ 
klärten Herzen geſu, namentlich im Heiligtum des Tabernakels, weiter⸗ 
zuklingen bis ans Ende der Zeiten und fortzutönen im Alleluja der 
„Erlöſten aus allen Nationen“ (Offb. 5, 9), ſolange Gott Gott bleibt. 
Wie glücklich ſind wir Ordensleute, daß wir im liturgiſchen Chor⸗ 
gebete als Glieder des Leibes Chriſti unſere Stimme mit der unſeres 
göttlichen Hauptes vereinigen dürfen! Möchten wir da zur Wahrheit 
machen, um was wir in dem ſchönen Vorbereitungsgebete flehen: 
„herr, in Vereinigung mit jener göttlichen Meinung, mit welcher du 
ſelbſt auf Erden Gott Cob dargebracht haft, will ich dieſe Tagzeiten 
verrichten“. Dann fteigen auch von unſeren Gebeten die Weihrauch⸗ 
wolken aus der hand des Engels auf zu Gott (vgl. Offb. 8, 4). 


II. ö 
Das zweite „O“ fällt ſelbſt dem eifrigften Novizen etwas ſchwerer 
als das erſte, auch wenn er es ſich äußerlich nicht anmerken läßt. 
Aber mit jugendlichem Heldenmut macht er ſich an „die mühevolle 


er de ie n r K a u 


445 


Arbeit des Gehorſams“ (Dorrede zur hl. Regel) und erreicht fo — 
wenigftens für den Pflichtenbereich der kurzen Noviziatszeit — nicht 
ſelten das Jdeal, das uns die hl. Regel (5. Rap.) mit einer auffallen⸗ 
den Häufung von Ausdrücken zeichnet: „Der vorher ausgeſprochene 
Befehl des Meiſters und das vollzogene Werk des güngers gehen 
gleichſam in demſelben Augenblick raſch vor ſich“. Die St. Maurus⸗ 
kapelle bei Beuron verkörpert nicht nur in klaſſiſcher Weiſe die jung⸗ 
aufſtrebende kunſt des Mutterklofters, ſondern auch die kindlichfromme 
Auslegung der hl. Regel, wie fie von Anfang an dort gehandhabt 
wurde. Man ſehe ſich nur den jugendlichen hl. Maurus an, wie er 
durch die Haltung ſeiner hände, die Stellung ſeiner Füße und namentlich 
durch ſeine unverwandt auf den Meiſter gerichteten Blicke gleichſam 
fagen will: Nur ein Wink von deinen Augen, und ich gehe, ja ich 
laufe, ich fliege dahin. Tatſächlich führt er dies bereits im zweiten 
Bilde aus, wo ihn die Macht des Gehorſams furcht⸗ und ahnungs⸗ 
los über die Wogen eilen läßt. Heil dem kfloſter, das recht viele 
ſolcher Novizen hat! Aber das Noviziat geht raſch zu Ende. Was 
bis jetzt ein Jährchen probeweiſe geübt wurde — vielleicht mit dem 
Hintergedanken erlaubter Selbſtſucht, daß man deſto ſicherer zur 
hl. Profeß zugelaſſen werde — muß von nun an auf Grund eines 
feierlichen Shwurs zuerſt drei Jahre lang und dann zeitlebens ge⸗ 
halten werden, usque ad mortem, „bis zum Tode“. Sollte etwa der 
Soldat, der den Fahneneid geſchworen hat, deshalb weniger ver⸗ 
pflichtet ſein, ihn zu halten, als der, welcher ihn noch nicht geſchworen 
hat? Kein Zögern, lieber Freund! Im Archiv deines Kloſters liegt 
die hl. Urkunde, durch die du dich zum hl. Behorfam verpflichtet haft. 
Dies Pergament wird einft für dich oder wider dich zeugen. Dergiß 
nicht, daß du vor der Krippe knieſt, in welcher derjenige liegt, von 
dem der Apoftel (Phil. 2, 8) ſchreibt: Chriſtus „iſt gehorſam geworden 
bis zum Tode, ja bis zum Tode des ktreuzes“. Die Unterwerfung 
unter den Willen des Vaters ift das Lebensziel des Krippenkindleins 
und der Grundton ſeiner ganzen Wirkſamkeit. „Meine Speiſe iſt, 
daß ich den Willen deſſen tue, der mich gefandt hat, fein Werk zu 
vollenden“ (Joh. 4, 34), ſprach der Meiſter zu feinen Jüngern. Mit 
dem Pſalmiſten (Pſ. 39, 8 f.) ſpricht der Erlöſer bei ſeinem Eintritt 
in die Welt (vgl. Hebr. 10, 7), alſo ſchon in der Krippe: „Siehe, ich 
komme. Am Unfang des Buches ſteht von mir geſchrieben, daß ich 
deinen Willen tue“. Erft nachdem unter dem Ausruf „Vater, in 
deine hände empfehle ich meinen Geift“ feine hl. Seele ſich vom Leibe 
getrennt hatte, hörte fein Gehorſamswerk auf. Wenn „der Jünger 


FE 
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446 


nicht über den Meifter iſt“(Ouk. 6, 40), bleibt uns Chriften und namen ⸗ 
lich uns Ordensleuten nichts anderes übrig, als den Königlichen Weg 
des Gehorſams zu gehen. Je älter wir werden, je länger wir im 
Rlofter find, deſto gehorſamer müſſen wir werden, auch wenn unſere 
Oberen uns nicht in allweg entſprechen, auch wenn einer unſerer 
Schüler unſer Abt wird. Selbſtverſtändlich muß auch der letztere in 
feiner Art feinen Mitbrüdern gehorchen, indem er „den Sigentüm⸗ 
lichkeiten vieler dient“ (HI. Regel Kp. 2) und nach dem Beifpiel des 
himmliſchen Lehrers ihnen in Liebe die Füße wäſcht. Die Feuerprobe 
aber muß unſer Sehorſam in der Stunde beſtehen, wo wir Rörper⸗ 
lich und geiſtig am ſchwächſten ſind, wo Freunde, Mitbrüder, Sinne 
Sonnenlicht und Erdenluſt uns verlaſſen, wo wir unſerer Beiblichkeit 
nach uns der völligen Vernichtung preisgeben müſſen in gehorſamer 
Unterwerfung unter den ſouveränen Willen des Allerhöchſten. Da 
wird ſich zeigen, ob unſer Sehorſam das war, was er hätte fein 
ſollen — lauteres Gold, „geläutert im Feuer, geſäubert von Schlacken, 
gereinigt ſiebenmal“ (Pf. 11, 7). Mit dieſem Opfer in den Händen 
müſſen wir zuverſichtlich vor unſeren Richter hintreten Können, den 
wir in der hl. Weihnacht freudig als Erlöfer begrüßt haben (vgl 
Rirchengebet am HI. Abend). In jener Stunde äußerſter Hilflofigkeit 
wird uns Gott um fo väterlicher feine „überreiche Gnade“ (Röm. 5, 20) 
zukommen laſſen, je Rinölicheren Sehorſam wir in den Tagen unſerer 
Vollkraft geleiſtet haben. Der Segen des Sehorſams läßt ſich in 
dieſem Jammertal oft gleichſam mit Händen greifen, an der Pforte 
der Ewigkeit aber wird er zur ſicheren Brücke des Heils. 


III. 

Es bleibt uns nur noch ein „OÖ“ — opprobria, von allen drei ſicher⸗ 
lich das ſchwerſte. Die Überſetzung „Verdemütigungen“ beſagt nur 
einen Teil deſſen, was der lateiniſche Urtext unter jenem Wort verfteht. 
Opprobria heißt nämlich „Vorwürfe, Schmähreden, Schimpfworte, 
Schande“. Kann es denn ſo etwas im Rlofter, im Haus des Friedens 
geben? Ja, lieber Freund, leider und Gott ſei Dank! Teilweiſe werden 
ſolche Seduldproben eigens erfonnen, teilweiſe ergeben fie ſich aus 
der Derfchiedenheit der Haturanlagen, aus der Schwachheit oder Sünd⸗ 
haftigkeit der Kloſterinſaſſen. Der hl. Ordensſtifter Benediktus will 
nichts von auföringlicher Werbetätigkeit, nichts von Anlocken und 
Herbeitreiben wiſſen. Er hat das felſenfeſte Dertrauen, daß bei wahren 
Berufen der innere Drang der Gnade ſich trotz aller äußeren Schwierig⸗ 
keiten durchſetzen muß, wenn nur der Menſch einigermaßen ſich dem 


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447 


Ruf von oben willfährig zeigt. So ſoll (nach Kapitel 58 der heiligen 
Regel) dem DHeuankommenden „die Aufnahme nicht leicht gewährt 
werden“. Erſt wenn „es ſich nach vier oder fünf Tagen zeigt, daß 
er die ihm zugefügten Unbilden und die Erſchwerung des Eintritts mit 
Geduld erträgt“, werde er zum Probejahre zugelaſſen. In manchen 
teligiöfen Genoſſenſchaften gibt es während des Noviziates noch mehrere 
ſolcher künſtlicher Proben; in unſerer heiligen Regel iſt die erwähnte 
die einzige. Ungeſuchte oder ungezwungen ſich anbietende Gelegen⸗ 
heiten dagegen gibt es unzählige, wenn ille frater novitius (fap. 58) 
auf das dritte „O“ geprüft werden ſoll. Trotz des beſten Willens und 
Strebens ſteckt noch ſo viel Welt in dem Neuling, ſo viel iſt noch 
unreif, ungegoren, unvollmommen, daß die „Noviziatsmutter“ — ich 
meine den treubeſorgten Pater Magiſter — ſich tüchtig zuſammen⸗ 
nehmen muß, um nicht den lieben langen Tag zu zupfen und zu 
verbeſſern. Was dann wirklich noch „gezupft“ wird, gibt reichlich 
Stoff für das dritte „O“-ECxamen. Zuweilen ſtellt ſchon während der 
Prüfungszeit der eine oder andere durch die Ecken oder Spitzen [eines 
ſonderlichen Charakters die Geduld ſeiner ſonſt ſo geſelligen und 
entgegenkommenden Mitnovizen auf eine recht harte Probe. Der 
wachſame Novizenmeiſter beachtet dann im Stillen, ohne ſich direkt 
einzumiſchen, das Verhalten der einzelnen zu einander. Im Geiſte 
zeichnet er die vorderhand nur ſchwach angedeuteten Striche etwas 
ſtärker, ſubtrahiert ein wenig Frühlingsſonnenſchein und addiert 
Arbeitshäufung, Kränklichkeit, Gebrechlichkeit, fett ſtatt der winzigen 
Sahlen des Noviziatsjahres (Beſchämung im Chor, bei Tiſch, Wort⸗ 
wechfel in der Rekreation) die größeren Nummern des praktifchen 
bebens als Profeßmönch ein, wie Übergehung bei Dertrauenspoften, 
Mißkennung durch die Vorgeſetzten, Amtsentſetzung, ungerechte Der- 
dächtigungen. Wird mein Novizlein, wenn aus dem Hänschen ein 
hans geworden, wenn es ſtatt Ezerzierübungen blutige Schlachten 
und ermũdenden Stellungskrieg mitmachen muß, auch noch ſtandhalten? 
So denkt ſich der Pater Magiſter und bangen Herzens faltet er die 
Hände und kniet ſich an der Krippe nieder. Ach, nicht immer wird 
das zarte kinäblein ſo holdſelig lächeln, nicht immer wird es von 
Marias liebender Mutterhand in ſchützende Windeln gehüllt. Die 
Jeit wird kommen und für das allſehende Auge des neugeborenen 
Erlöſers iſt ſie ſchon da, wo die Worte des Pſalmiſten zur Wahrheit 
werden: „denn deinetwegen erduldete ich Schimpf (propter te sus- 
tinui opprobrium), und die Schmähungen (opprobria) derer, die dich 
ſchmähen, fielen auf mich hernieder“ (Pf. 68, 8 und 10), Paſſtons⸗ 


448 


bilder fteigen im Geiſte auf, wie fie Ifaias mit Meiſterhand entworfen 
hat (If. 50,6 f): „Meinen Leib gebe ich preis denen, die ihn zer- 
ſchlagen und meine Wangen denen, die den Bart ausraufen; mein 
Angeſicht wende ich nicht weg von denen, die mich ſchmähen und 
auf mich ſpucken. Gott der Herr ift mein Helfer; deshalb werde ich 
nicht zu Schanden“. Stören wir den guten Magister Novitiorum 
nicht in ſeiner Andacht, wie er dem lieben Jeſulein, ſeiner reinſten 
Mutter und dem treuen hl. Joſeph die Seelen feiner Hergkäferlein 
empfiehlt, damit ſie dieſe harten Proben gut beſtehen. Reden wir 
nicht viel, ſondern knien wir uns alle, wettergebräunte Kämpfer im 
ſchwarzen Soldatenrock des hl. Benediktus und verdiente Veteranen, 
Untergebene und Obere, mit der Jugend unferes Kloſters an der 
Krippe nieder. Laffen wir es uns nicht verdrießen, die Worte der 
Nachfolge Chriſti (I, 22, 7) auf uns anzuwenden: „Es täte wohl not, 
daß wir wiederum wie gute Novizen Unterricht bekämen zu beſter 
bebensführung. Dann möchte vielleicht Hoffnung vorhanden fein, 
daß wir in Zukunft unſere Fehler verbeſſerten und größere Fortſchritte 
im geiſtlichen Leben machten.“ Mit immer noch jungem Herzen 
erneuern wir dann das Opfer unſerer hl. Profeß und bringen mit 
unferen Novizen und Jungprofeſſen unſerem neugeborenen König die 
Gaben der drei Weiſen aus dem Morgenlande dar: Weihrauch, Gold 
und Murrhen — Gebet, Gehorſam, gedemütigtes herz — opus Dei — 
obœdientia — opprobria! 


reer re 
Eee. Se 


Weihnacht. 


Dom Himmel herab ſtieg der wahre Gott, 

vom Vater gezeugt; 

kam in der Jungfrau Schoß, 

daß er uns ſichtbar erſcheine 

im Gewande des menſchlichen Fleiſches, wie es vom Urvater ſtammt. 


Und durch das verſchloſſene Tor ging hervor 
Gott und menſch, 

bicht und Geben, 

der Schöpfer der Welt. — 


Wie der Bräutigam aus ſeinem Gemach, 

tritt heraus der Herr. 

Und durch das verſchloſſene Tor 

Ehre dem Vater, dem Sohn und dem HI. Geiſt. 
Und durch das verſchloſſene Tor 


Diertes Reſponſorium der erſten Tlokturn in den 
Weihnachtsmetten des Benediktiner · Brenlera. 


449 


Oberammergau 1922 
Don P. Hugo Gang (St. Bonifaz, Münden). 


ie Rückwand der Oberammergauer Feftfpielhalle zieren zwei Bilder, 

deren eines den alten „Freithof“ mit der primitiven Paſſions⸗ 
bühne früherer Zeiten, das andere das nahe Benediktinerftift Ettal 
in deſſen gotiſcher Baugeſtaltung darſtellt. Beide Bilder weiſen auf 
die hauptwurzeln des weltberühmten Spieles hin, die in einer Bene⸗ 
diktinerzeitſchrift nicht unerwähnt bleiben ſollen. Die eine Wurzel 
iſt die kirchliche Liturgie, in der ſchon früh dramatifche Paſſions⸗ 
aufführungen keimhaft angelegt waren, die ſich bald, bei gleichzeitigem 


Eindringen volkstümlicher Elemente in den ſtrengen Stil des Gottes- 


dienſtes, zunächſt noch in der kirche ſelbſt entwickelten, zuſehends 
aber verſelbſtändigt, in den Kirchhof und erſt ſehr ſpät in eigene 
Hallen verlegt wurden. Paſſionsſpiele waren früher demnach durch⸗ 
aus nichts Ungebräuchliches, ſodaß man ſich nahezu wundern und 
betrüben muß, daß nicht noch mehr der Spiele Lebenskraft bis heute 
bewahrten. In Oberammergau bürgte dafür das bekannte Gelübde 
aus der Peſtzeit. Doch dürfte dieſes das Spiel nur erhalten, nicht 
geſchaffen haben. Der Gedanke, gerade damit ein gottgefälliges Werk 
zu tun, wäre ja ſonſt ganz abgelegen geweſen. Vielleicht auch war 
es für das Dorf die Neuaufnahme eines Brauches, der in der Um⸗ 
gebung zwiſchen Augsburg und den Alpen ſich vielfach fand. Mit 
der Coslöſung vom liturgiſchen Mutterboden war allenthalben auch 
die Gefahr der Profanierung verftärkt, dem Volke felbft überlaſſen, 
mußte der Actus tragicus zur Burleske werden. Davor bewahrte 
nun das Oberammergauer Spiel die immer neue Aulturkraft aus einer 
zweiten Wurzel: aus der klöſterlichen Kultur, in die das Dorf 
wie eingebettet war. Lag es doch im bauriſchen „Pfaffenwinkel“, 
und war felbft Pfarre und Pflegſchaft des großen Auguftinerchor- 
herrenſtiftes Rottenbuch, genoß es doch vor allem die Freundnach⸗ 
barſchaft der Ettaler Mönche, die ihnen die urſprünglichen Texte ver⸗ 
ſchafften, welche fie in der Barockzeit in den Stil des Jeſuiten⸗ 
dramas kleideten, bis P. Othmar Weiß die fremden hüllen wieder ab⸗ 
nahm und die heutige Sprachgeſtalt im weſentlichen ſchuf. Sein Text 
wurde erft 1910 in Andechs wiederentdeckt. Auch nach der Säku⸗ 
kariſation wirkte Ettal dort weiter durch feinen Schüler, Pfarrer 
Daiſenberger, dem der Text die fette Redaktion verdankt. Des neu⸗ 
erſtandenen Ettal Gehranftalt ermöglicht heute wieder vielen begabten 
Jungen des Dorfes das Studieren. Zum Ausdruck alter Dankes⸗ 


450 


ſchuld und Herzenstreue wallfahrten darum am Michgelstage Zum 
Abſchluß des Spieljahres die Oberammergauer zur Sttaler „Frau 
Stifterin“. Der Liturgie und dem Mönchtum, alfo rein Kirchliche 
kräften, verdankt demnach die Welt das erhabene Schaufpiel, © 

Ob der kirchliche, religiöfe Charakter einer Gelübdeerfüllung für die 
Spieler und einer Wallfahrt für die Hörer heutzutage noch gewahrt 
ſei, war jedem Chriſten eine ernſte Frage, fie ift die Frage, die über 
Sein oder Nichtſein des Spieles überhaupt entſcheidet. Diele Konnten 
von vorneherein nicht mehr glauben, daß in der Welt, die alles am 
Stand des Dollars mißt, reiner Idealismus noch möglich fei. Und 
es iſt unzweifelhaft, daß gegen den Geiſt der Sewinnſucht einerſeits, 
und den der Senſationsgier andererſeits nur eine Kraft aufkommen 
kann: die Übermacht von Traditionen. Es liegt weiterhin far 
zutage, daß die Beantwortung dieſer Einzelfrage ſumptomatiſche Be⸗ 
deutung hat für die Frage nach der Möglichkeit echter Dolkskultur 
und Dolkskunft, beſonders echter Dolksbühnenkunft, überhaupt. Noch 
mehr: hier liegen Winke für neue Schätzung des Dolks-, Heimal- 
und Stammesprinzips, für einen;kulturaufbau, den man „föderaliſtiſch“ 
zu nennen ſich gewöhnt hat, ja für die Verwirklichung übernationalen 
Sich⸗Verſtehens überhaupt, das nur über wahrhaft „nationalen“ 
Gemeinfchaften ſich erheben kann. Das höchſte Geſchehen in der 
Weltgeſchichte hat auch hier die „alles an ſich ziehende“ Kraft be 
wieſen, ſtärker als Bewinntendenzen und oberflächlicher Kosmopoli- 
tismus, weil dies eine Dorf alle bodenſtändige Kraft, Luft und Schmerz, 
feiner Darftellung widmete. Im Jubiläumsheft des „Türmer“ (Ok- 
tober 1922) vergleicht der berühmte Philoſoph H. Vaihinger das 
blinkende Kofelkreuz über Oberammergau der goldenen Vanzenſpitze 
der Athene auf der Akropolis, die ſchon ſtundenweit denen entgegen⸗ 
leuchtete, die zu den Panathenäen wallten. „Dieſe Vergleichung if 
weder müßig noch geſucht.“ Wie im alten Hellas find hier wieder 
Spieler und Zuſchauer eine große Geiſtesgemeinſchaft geworden. Wer 
glaubt, daß ſolches durch Technik oder Reklame ermöglicht werden 
könne, geht fehl, wer hier nur Technik ſehen will, der wird ſogar ent- 
täuſcht, denn dieſe wollen und können die Oberammergauer nicht bieten. 

Unſere Zeit erſtrebt Semeinwirtſchaft. Schon darin kann fie 
von den Oberammergauer Dorbereitungsarbeiten viel lernen. Feſt⸗ 
ſetzung der Rollen, der Entſchädigungen, der Preiſe, Ordnung von 
Unterkunft und Verpflegung verlangen von den, aus dem gewohnten 
Wirtſchaftsleben völlig herausgeriſſenen Einwohnern genug Ein⸗ und 
Unterordnung, von Dielen beträchtliche Opfer. Nur echte Liebe zur 


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5 5 
[2 


451 


heimatlichen Tradition hilft darüber hinweg, wenn z. B. einer der 
tüchtigſten Schnitzer ſchon zu Beginn der „Saiſon“ nichts zu verkaufen 
hat, weil er monatelang kaum mehr aus dem Theatergebäude kam. 
Dabei hat er nicht einmal lange Haare und eine ebenſo ſchwierige, 
wie unſcheinbare Aufgabe: die letzte Bühnenkontrolle nämlich, wo⸗ 
durch die beifpiellofe Präziſton beſonders der lebenden Bilder ermöglicht 
wird. Das Dorf kann nur alle zehn Jahre ſpielen, wenn es auch 
unter der Zeit Paſſtonsdorf geblieben iſt, wenn der Gedanke ans 
Spiel ſtets „die große Sache“ war, wenn das kleinſte Rind ſchon damit 
aufwächſt, wenn man das ganze beben nach Spielzeiten zählt und 
nach der Rolle ſchätzt. Schwankungen im Bewußtſein von der ſittlich⸗ 
religiöfen Verpflichtung, ih würdig zu halten, waren natürlich in der 
verworrenen Zeit da, jedoch hatte die Gemeinde immer Geiſtesträger 
beſonders aus der älteren Generation in ihrer Mitte. Mit lockenden 
Angeboten wurde ſchon 1910 der Idealismus auf ſchwere Proben 
geſtellt, doch nur Magdalena iſt „gefallen“, die ſchon dem kritiſchen 
Blick Daihingers allein als „unecht“ vorkam; fie verließ Europa und 
verlor die heimat. Und als heuer ein ungeheuerliches Angebot für 
Verfilmung gemacht wurde, ſchrieb der Spielleiter eine ganze Nacht 
hindurch an einer Denkſchrift dagegen, und die meiſten Spieler ließen 
ſich kurzerhand die haare ſcheren. So wuchs Oberammergau auch 
heuer „mit feinen größeren Zwecken“. Das Ganze wurde ein Friedens 
ſpiel nicht nur für die große Welt, ſondern auch für das kleine Dorf. 

Unſere Zeit ſucht Gemeinſchaft der Geifter und herzen; das 
braucht man ihr nicht zu deuten. Daß fie aber im Grunde damit 
nichts Neues, ſondern das verlorene Alte, die Tradition, ſucht, das 
muß man ihr ſagen. Wenn ſie das wieder beſſer verſtehen lernte, 
hat ſie Oberammergaus befte ehre begriffen. Es möchte uns ſcheinen, 
als ob erſt heute nach ſolchen Erſchütterungen und „Opfern, heilig 
großen“, das Baffionsfpiel wieder in feinem ganzen Ernſt verſtanden 
werden konnte. Man hat wohltuend empfunden, daß es von kon⸗ 
feffionellen und nationalen Eigenheiten und Engheiten ſich frei halte. 
Das konnte es gerade deshalb, weil es fo ſelbſtverſtändlich katholiſch, 
nichts als Ratholifh, auf anderem als katholiſchem Boden einfach 
unmöglich, und weil es ſo völlig deutſch, ſüddeutſch — ja noch viel 
enger: weil es echt oberammergauiſch iſt. Es iſt ein Muſterbild des 
ſpezifiſch ſüddeutſchen kiatholiſchſeins, das nie einen Bruch mit dem 
Däterglauben, nie eine Bilderſtürmerei, dafür aber die geruhſame 
Weiterentwicklung im Barock, die taufenderlei Einwirkungen der 
Rirhen- und liloſterkunſt erlebte, die ſich zeigen im Bau der faft 


452 


überreichen Dorfkirche und ihrem Schmuck, in den Bäufermalereien, 
in der Bauskrippenkunft, in den dramatiſchen Dolksandachten, bei 
denen 3. B. noch heute die Figur des herrn am Ölberg dreimal in 
die Knie fällt. Wie wenig der Rationalismus der Aufklärungsperiode, 
der auch dem Spiel ein Ende zu dekretieren drohte, dem Abbruch 
tun konnte, zeigt der Dolkshumor, der einen Berg in der Tiefe des 
Sraswangtales wegen feiner kurioſen Form als Derfteinerung des 
bauriſchen kiloſterſtürmers „Montgelas“ bezeichnet. 

Die Oberammergauer haben aber innerhalb der ganzen bauriſchen 
Art wieder eine merkwürdig geſchloſſene und abgeſchloſſene Eigenart. 
Diele erwarten dort ein Bauernſpiel, find enttäuſcht, wenn fie Bil⸗ 
dung finden. Sie glauben, daß damit die „Echtheit“ verloren ge⸗ 
gangen fein müffe. Genau das Gegenteil iſt richtig: Bauernart wäre 
hier ungeſchichtlich und unecht, denn die Oberammergauer waren 
niemals Bauern. Es wächſt ja nichts in dieſem Hochtal, auch der 
Viehzucht ift die Formation der Bergwelt ringsum nicht allzu günflig. 
Dagegen lag das Dorf an der großen heer⸗ und Handelsſtraße von 
Italien nad) Augsburg, ſodaß nur handel und handwerk, beſonders 
auch Künſtlerhandwerk, als Erwerbszweige in Betracht kamen. Die 
große Derkehrsader und die Nähe der Klöſter mußten früh ſchon den 
Seſichtskreis erweitern, wie denn Oberammergau auch heute noch 
eine „Sprachinſel“ iſt; fein Dialekt weiſt bei bauriſcher Srundhaltung 
tiroliſche und ſchwäbiſche Eigenheiten auf, die er eben der ſteten Ver⸗ 
bindung nach Nord und Süd verdankt. An das eine Ende der Straße, 
nach Augsburg, weiſen auch die Forſchungen bezüglich der Herkunft 
der älteſten Teztgeftalt. Allgemein bekannt ift, daß hier, wie etwa in 
manchen ſchweizer Dörfern, nur wenige Familiennamen immer wieder 
zu finden find, zwiſchen denen unzählige Detternfchaften beftehen, fo 
daß ih auch phuſiſch ein eigener „Menſchenſchlag“ herausbildete, 
deſſen auffallende Schönheit eine gewiſſe Adelsreife hat. Daher die 
ungekünftelte Würde eines Geſchlechtes, das noch „ſchreiten“ kann, 
bei dem nichts „Tempo“ haben muß, daher die „edle Einfalt und ſtille 
Größe”. Das Wort Winkelmanns, das der Antike gilt, ift hier nicht 
fehl am Ort. Wo findet man anderwärts eine Handwerkerfamilie, 
die an langen Winterabenden 3. B. den „Kaufmann von Venedig“ 
mit geteilten Rollen lieſt, wo kann man in Sommernächten aus dieſem 
und jenem haus Klänge von Haydn oder bieder von Cornelius er⸗ 
lauſchen? Dabei bleiben der Naivitäten noch genug, wovon die 
köftlihften Anekdoten erzählt werden. Der einzige „Intellektuelle“ 
unter den Spielern, der Arzt des Dorfes als Pilatusverteter, wurde 


453 


durchaus nicht als folder empfunden, er ift ganz der Erbe des „Pilatus⸗ 
hauſes“. Daß aber der Chriſtus⸗Cang nicht auf hohen Schulen ge⸗ 
weſen iſt, muß man aus freundlichen Dialektanklängen und aus 
ſeinem wunderbar ſchlichten, von aller „Berühmtheit“ unberührten, 


F bürgerlichen“ Benehmen lernen. Wo ein gewaltiger Fonds von 


Däterzeiten her in jedem Darſteller lebt, braucht der Spielleiter nur 
darauf zu achten, daß jeder einfach „er ſelbſt“ iſt, da auch das 
Zuſammenſpiel vielfach durch Überlieferung geſtützt wird. Umſomehr 
kann er in charakteriſtiſchen Anderungen für ſtete Auffrifhung forgen. 
Heuer waltete eine ganz befonders geſchickte hand, der Bildhauer 
Johann Georg Lang, der durch gründliche Schulung ein beſonders 
feines Empfinden für echt und unecht mitbrachte. Dem konnten die 
beute gar nicht einfach genug ſich geben! 

Sanz bodenſtändig iſt der Spieltert. Er zeigt manche Spuren 
von Entwicklung, wenn auch viel verſtaubtes Aktendeutſch; vielleicht 
kommt einmal wieder eine feine prieſterliche hand darüber. Aber 
auch ſo können ihn kleine Kinder ganz auswendig, was doch für 
den Dichter ehrend iſt! Und des würdigen Lehrers Dedler liebe, 
altmodiſche Paſſionsmuſikl Wer fie tadelt, gehörte dazu verurteilt, 
eine beſſere zu ſchreiben. Aufgeführt würde fie ja doch nie, denn die 
gegenwärtige fingen und hören die Leute zu gerne in ihrer Reinheit, 
Fröhlichkeit und Beſinnlichkeit. Gott hat die Oberammergauer in 
Gnaden vor einer Lisztſchen Mufik bewahrt! Die Aufführung ift eine 
brave beiſtung von Chor und Orcheſter, die durch ſtete Übung auf 
dem Kirchenchor erzogen find. Ein angeborener, anſpruchsvoller 
Schönheitsſinn lehnte in Altbayern, wo ſoviel klöſterliche Muſikpflege 
war, den „bloßen“ Gemeindegeſang ſtets ab und liebte die barockeſten 
Figuralleiſtungen der Chöre. Dedler ſelbſt war Sängerknabe in Rotten- 
buch geweſen, ebenſo wie Ett, der Begründer der heutigen Kirchen⸗ 
muſik in München, als Sängerknabe in Andechs geſchult worden war. 
Auch dieſe Tradition iſt gewiß lehrreich! Die Bühne iſt der Ent⸗ 
wicklung der Maſſenſzenen ſehr günſtig. Nur die Mittelbühne iſt 


auf dem Buckkaftenftil zurückgeblieben, weil das vielverleumdete 


und beneidete Dorf für eine durchgehende Erneuerung eben zu arm war. 

Der Aufbau des Paſſionsſpieles iſt von prachtvoller Abrundung. 
Die beidensgeſchichte Jefu bildet — meift dem bibliſchen Wortlaut folgend 
und nur im Anſchluß an alte Beigaben liebender Einbildungskraft des 
Volkes, 3. B. durch den Abſchied des Herrn von feiner Mutter, durch 
pſuchologiſierende Rusmalung des Derrates erweitert — die Haupt⸗ 
handlung. Dieſes neuteſtamentliche Geſchehen wird in feiner Bedeutung 


454 


für die Heilsgeſchichte erklärt durch die jeweiligen, altteftamentlie 
Vorbilder, die als „lebende Bilder“ die Mittelbühne füllen. Wel 
ausgedehnte und lebendige Bibelkenntnis vermittelten dieſe Schau 
ſpiele dem Volm! Die Erklärung der Vorbilder, ihre Beziehung zum 
Evangelium, den Ausdruck der Stimmungen und Gedanken, die gie 
im Beſchauer wecken, übernimmt der Chor det Schutzgeiſter in Solo 
und Chorgeſängen. In Mahnreden an das Volk, die einmal, vor der 
Kreuzigung, erſchütternde melodramatiſche Form annehmen, vertieft 
das Ganze der würdige Prologſprecher. 

Es werden nur wenige gebildete Beſucher gekommen ſein, ohne 
eine gewiſſe Bangigkeit, ob denn der kühne Derfuch, die Heilsgeſcheh⸗ 
niſſe darzuſtellen, nicht in ſich ſchon eine Unmöglichkeit bedeute, oh 
nicht der religiöfe Menſch noch mehr als der künſtleriſch Feinfühlige 
eine peinliche Zwieſpaltigkeit zwiſchen dem „Heiligen“ und dem doch 
„nur Menſchlichen“ geradezu als Beleidigung empfinden müſſe. Wohl 
alle werden ſich beruhigt gefunden haben. Die Kreuzigungsizene 
ſelbſt ſcheint tatſächlich Unerreichbares zu wagen, man Rann aber 
ſchlimmſtenfalls auch von ihr ſagen: „Sie ſtört niemand“, viele 
menſchen erſchüttert auch ſie zutiefſt, und Einzelheiten werden zu 
jedem Herzen ſprechen. Andere Szenen find, ganz abſolut betrachte, 
von unproblematiſcher und unvergeßlicher Größe, wie der Einzug in 
geruſalem und die Kreuztragung. Wo findet man ein Antlitz von 
fo herzzerreißender Traurigkeit wie das des Chriſtusdarſtellers, der 
geradezu das arme, deutſche Volk mitrepräfentiert? Wo iſt aber auch 
ſonſt ſo viel Schönheit und Einprägſamkeit beiſammen, wo ſolch ein 
Petruskopf, der unſeren ſchönſten ktinderträumen entſpricht, wo ſo 
hohe Geſtalten wie der leidenſchaftdurchloderte Greis Annas, der | 
Fanatiker Kaiphas, ſchön wie eine Tollkirſche, der überlange beweg⸗ | 
liche Hathanael, ein Trio, wie es geniale Künſtlerphantaſie nicht vole = 
kommener bilden kann. Wo finden ſich fo markige Römerköpfe, wo 
ſolche Phariſäer- und Händlergeſichter mit geradezu unwahrſcheinlich 
mächtigen Hafen? Die Natur ſchon ſcheint jeden zu feiner Rolle 
geſchaffen zu haben. Echte Koſtüme heben die Geſtalten noch. Das 
Spiel der Einzelnen lebt davon, daß das Auftreten die Erfüllung des 
größten Gebensmwunfches iſt, und von dem Maß religiöfer Hingabe 
In profanen Stücken überragen die Leute kaum das übliche Dilel- 
tantenmaß, hier aber find fie groß wie Beftalten Dürers, Tizians und 
Deronefes, charaktervoll wie die gelungenen Figuren aus alten Spiel⸗ 
zeiten, die dem „Cüftlmaler“ Zwink in feinen Fresken an Kirchen⸗ 
emporen oder Häuſerwänden die ſchnurrige Phantaſie beflügelten. Die 


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Probe auf künſtleriſche und religiöfe Tiefe ſcheinen die „himmliſchen 
Längen” der Fußwaſchungs⸗ und Abendmahlsſzenen zu fein, bei denen 
ſich doch kein Laut zu regen wagt. hier predigt der ſchweigende 
Chriftus wohl keinem aus dem Tauſenden ganz umſonſt. 

Wie die Einzelnen ihre Rolle auffaſſen, ganz treffend und doch ganz 
urwũchſig, dafür ein Beifpiel: Der Johannesdarſteller, deſſen lautere 
Begeiſterung eine feine Beſcheidenheit zu großer Einfachheit bändigte, 
antwortete auf ein Lob, daß er den Jünger nicht, wie naheliegend, 
ſehr weich gebe: „Ich denke mir halt, der hl. Johannes muß doch 
ein richtiges Mannsbild geweſen ſein, ſonſt hätte die Muttergottes 
nichts von ihm gehabt, als ihr der Heiland ſagte: Siehe Deinen 
Sohn!“ Und wie rührend ſind die naiv erſchreckten Kinder, die dem 
Heiland auf dem Kreuzweg begegnen! 

Was aber „den“ Paſſion, wie die Oberammergauer ſelbſt ſagen, 
aus dem Naturalismus ganz heraushebt und dem Spiel klaſſiſchen 
Stil gibt, das iſt der wahrhaft ans Griechiſche gemahnende Chor, der 
in dem Augenblick, da er erſtmals in langſamen Zuge rechts und 
links aus den Arkaden tritt, jeden Zweifler und Gegner entwaffnet. 
Der da vorausſchreitet im roten Mantel, iſt der lebendig gewordene 
Reiter vom Bamberger Dom, deutſch über alles! Und Stefan Lochner 
müßte fi) freuen, wie die goldenen haare von Mädchen auf lichtblaue 
Mäntel niederfluten! Still und ganz einfach, ohne alle Poſe, nur 
dann und wann in einer von eigener Ergriffenheit faſt verwirrten 
Regung, ſteht dieſer Chor da, tritt vor und zurück, zieht ein und aus. 
In ihnen wird das Laut, Wohllaut, was in den Tauſenden der Zus 
ſchauer auflebt. So iſt der Chor zugleich Spieler und Volk und ſchafft 
die letzte Einigung zwiſchen beiden. ö | 

Dazu tritt noch ein „Rlaffifches” Moment: die ganze Natur fingt 
und betet und ſpielt mit. 

„Wie klang durch Hellas dort vor Zeiten heldenſchritt, 
Wenn ſeine Dichter ſangen, ſang das Weltmeer mit!“ 

In die Paſſion rauſcht der deutſche Wald und ragen die grünen 
Berge und ſpannt ſich der hohe himmel. In geruſalems Gaſſen 
zittern die heimiſchen Birken, und Wind und Wetter reden ihr gewichtig 
Wort mit. Gar oft fügte ſich die Sonne ſelbſt freundlich der „Regie“, 
überzog die Kreuzigung mit Dunkel und den Allelujachor mit Sold, 
Farbe und Glanz, ebenſo, wie die Sänger ihre farbigen Mäntel zur 
größten Szene mit ſchwarzen vertauſchen, ſodaß der Beſchauer zum 
hohen Schluß mit neuem Entzücken die alte Herrlichkeit wiederbegrüßt. 
Wir farbentwöhnten Noröländer find davon völlig benommen. 


456 


Döglein ſchießen durch die Riefenhalle, Tauben flattern aus den um 
geſtürzten Käfigen der Händler, und wie frei en 10 Kinder „ went 
das Eſelein, und gar das Pferd die Bühne betritt! J 

Und ein eigenes Lobeswort gehört — den Zuschauern. hier if if 
wieder ein Theater, das ein „Volk“ vor ſich hat, nicht nur ein, ‚But 
likum“, ein Volk, bald atemlos lauſchend, bald in Bewunde rung 
tree bald zu Tränen erſchüttert. Was da auf der Bü hn 
ſich darſtellt, hat Jedem etwas zu fagen. Und ſelbſt der, dem tag 
täglich in der hl. Meſſe die wahrhaftige Wiederholung von Sion un 
Golgatha vertraut wurde, iſt um dieſe Derlebendigung und Vertiefung 
feines Derhältniffes zu den größten Augenblicken der Hheilsgeſchicht 
froh. Die Amerikaner, die vor dem Krieg aus dem „Hände Shaker 
ſich eine Senfation neben anderen machten, hat die Friedensp redig 
Oberammergaus meiſt tief nachdenklich gemacht und wortlos dank 
bar, anders wie ehedem. Die Worte gegen den Mord und den haf 
und die Geldgier find nicht fehlgegangen. Wenn aber unfer | Heiland 
als die einzige Geſtalt, auf die alle Menſchen ſich einigen Könner 
wenn ſie nur wollen, auch nur einer Seele näher gebracht wurd 
iſt das Spiel nicht umſonſt geweſen, iſt es Seelforge geweſen. Jun 
Gottesdienſt hat es die Seſinnung der Spieler gemacht: „mein 106 
lübde will ich dem Herrn erfüllen vor all feinem Volk.“ Noch ein 
zweite, nicht gering zu wertende Wirkung tat das Spiel: es es zeig gte 
den Fremden — und auch uns ſelber die tröſtliche Wahrheit, die mar 
ſich zu Zeiten nur ſchwer mehr ſtützen konnte: „Es gibt ein deu tſches 
Weſen!“ Das Zauberwort „Fortſchritt“ öffnet die Tore der k herzen 
nicht mehr, wie noch vor wenigen Jahren. Wir wiſſen jetzt wieder, 
und haben es durch Oberammergau beſtätigt gefunden: Nicht Fort⸗ 
ſchritt aus dem Alten heraus rettet die Welt, ſondern die e 
Vervollkommnung in dem bewährten Alten. „Hus dem Chrifter 
kommt nur heraus, wer nie hineingekommen ift“, ſprach P. 050 
Rottmanner. Ein kHhnliches gibt von allem, was irgendwie gott⸗ 
gegeben iſt, und dazu rechnen wir deutſchen Volkes Eigenfein, Boden n⸗ 
ſtändigkeit des eigenen Stammes, Heimaterde, Däterglaube und Däter- 
ſitte. Tauſende danken Dir für ſolche Erkenntniſſe, liebes paſſiorsde or! 
Taufende grüßen in andächtiger Erinnerung Dein Bofelkreuz! 


N 
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457 


Rleine Beiträge und Hinweiſe 


Aus der Literatur gegen Theofophie und Anthropoſophie. 
„Di theoſophiſche Bewegung, die 1878 mit der Gründung der „Theoſophiſchen Ge⸗ 
ſellſchaft“ in Hew-York durch Helene Blavagky und henry Olcott ins Geben 
at, nahm in der Tlachkriegszeit einen ſolchen Umfang an, daß ſie ſchließlich 
:jefunde Vernunft, Wiſſenſchaft und Chriſtentum zur Stellungnahme herausforderte. 
aß das Urteil über fie in allen drei Gerichtshöfen durchaus ablehnend ausfallen 
nußte, war vorauszuſehen. Bei uns in Deutſchland hätte die Bewegung wohl nie 
-peitere Derbreitung gefunden, wenn ihr Rudolf Steiner in der Anthropoſophie nicht 
ine ganz neue Prägung gegeben hätte. Er flößte ihr reiche Tropfen deutſchen, 
„ diſſenſchaftlichen Geiſtes und gnoſtiſchen Chriſtentums ein. Aber gerade in ihrem 
Alettantiſch naturwiſſenſchaftlichen und ſcheinchriſtlichen Mäntelchen täuſchte ſie Tau⸗ 
Wende üher den widerſpruchs vollen, bizarren, magiſchen Inhalt und den im innerften 
„Defen widerchriſtlichen Geift hinweg. Wie die Erfahrung zeigt, ift die anthropoſo⸗ 
phische behre für den katholiſchen Glauben weit gefährlicher, als es eine glatte und 
offen feindſelige Geugnung des Chriſtentums wäre. 
die heuer in Fulda verſammelten Biſchöfe erfüllten nur eine heilige Pflicht ihres 
„pottübertragenen Hirtenamtes, als fie zur energiſchen Bekämpfung der ſpiritiſtiſchen 
“und theoſophiſchen Beſtrebungen aufforderten. Eine Reihe von Schriften find ſchon 
von katholifher und akatholiſcher Seite erſchienen, die mit mehr oder weniger großer 
Schlagkraft gegen Theoſophie und Anthropoſophie zu Felde ziehen. Im Folgenden 
ſollen einige charakteriſtert und kurz beſprochen werden: 
„ 1. Bruhn, Wilh., Theoſophie und Anthropoſophie. (Aus Natur und Geiſtes⸗ 
“welt, BB. 775). Teubner, beipzig und Berlin 1921. Das Büchlein bietet eine klare 
:Darftellung und fachlich kritiſche Beurteilung der neuindiſchen Theoſophie und der 
nthropoſophie Steiners. In einer Einleitung deckt es die Wurzel dieſer eigentüm⸗ 
lichen Bewegung, die Jenſeitsempfänglichkeit, auf, die immer als Begleiterſcheinung 
großer Weltkataſtrophen auftritt. Daß es immer fo war, zeigt die Geſchichte aller 
Jeiten. es wird ein kurzer Überblick über die Entſtehung der theoſophiſch-anthro⸗ 
poſophiſchen Bewegung gegeben. 
: Ein erſter Teil verbreitet ſich über das Programm und die Geheimlehre der theo⸗ 
- fophifchen Gefellfhaft. Scharf wird die Gehre von Gott, vom Menſchen und vom heils⸗ 
weg herausgearbeitet. Es wird dann mit ſchlagenden Gründen der Riß aufgeseigt, 
der ſich durch die neuindiſche Theoſophie zieht. Erkenntnistheoriſch tritt er in einem 
pſuchiſchen Monismus, entwicklungstheoretiſch in einem peſſtmiſtiſchen Dualismus 
zutage. Eine geſchichtliche Analuſe weiſt nach, wie die Grundbeſtandteile alle aus 
der indiſchen Philoſophie, aus Brahmanismus und Buddhismus übernommen ſind. 
Uach gleichen Grund ſätzen folgt dann eine Darftellung der Anthropoſophie Steiners. 
Die Anthropoſophie unterſcheidet ſich von der Theoſophie vor allem dadurch, daß das 
, kos mologiſch⸗ ſpekulative Moment mehr zurücktritt, das anthropozentriſch⸗ praktiſche 
; Intereffe dagegen in den Vordergrund rückt. Die Anthropoſophie will ein rein gei⸗ 
ſtiges Erkenntnisvermögen ausbilden, das die Menfden in unmittelbare Beziehung 
zur Geiftwelt bringt. Die Syftematifierung der fo gewonnenen Erkenntniſſe macht 
die Seiſteswiſſenſchaft aus. 

Die Kritik, die in einem zweiten Teil an Theoſophie und Anthropoſophie geübt 
wird, vollzieht ſich nach drei Gefichtspunkten: 1) nach der wiſſenſchaftlichen 2) nach der 
philoſophiſch⸗ ſpekulativen und 3) nach der religiös ⸗ſittlichen Geiftung hin. Wiſſen⸗ 
ſchaftlich verdanken wir weder der Theoſophie noch der Anthropoſophie irgend einen 
Fortſchritt. Wozu ein neues Erkenntnisvermögen, wenn es uns keine neuen Erkennt⸗ 


Benedintiniſche Monatfchrift IV (1922), 11—12. 30 


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niſſe bringt? Philoſophiſch bewegen ſich Theoſophie und Anthropoſophie in magiſchen 
Träumereien. Religiös⸗ſittlich verſagen beide Syfteme. In einem Nachwort ergeht 
an Philoſophie und Religion die Aufforderung, aus ihren bewährten Tiefen den 
theoſophiſchen hunger der Gegenwart zu ſtillen. 

Wir können Bruhns Schrift empfehlen. Nur iſt fie zu akademiſch-wiſſenſchaftſich 
gehalten. Auch ruht die philoſophiſche und religiöfe Weltanſchauung auf wenig 
ſoliden Grundlagen. Es fehlt das Derftändnis für die Muſtik, die es ja im vollen 
Umfang nur in der katholifhen Kirche geben kann. 

2. Leefe kurt, Moderne Theofophie. Ein Beitrag zum Uerſtändnis der geiſtigen 
Strömungen der Gegenwart 2. Auflage. Furche⸗Berlag, Berlin 1921. 

Aus Vorträgen in einem Kriegslazarett entftanden, hat das treffliche Buch etwas 
von dem friſchen, unmittelbar überzeugenden Ton der lebendigen Rede bewahrt. 
Theofophie und Anthropofophie werden in einem behandelt. Zuerft wird der architek⸗ 
toniſche Aufbau des Ganzen nach den vier Reichen entworfen. Daran ſchließt ſich 
an die pſuchologiſch-erkenntnistheoretiſche Grundlegung. Ein befonderes Kapitel if 
dem „Weg ins Überſinnliche“ gewidmet, an das ſich ungezwungen ein Abſchnitt 
über die Pſuchologie des Hellfehens anreiht. In Gegenüberftellungen zu Buddhismus, 
Gnofis, Muſtik und Chriſtentum im beſonderen wird das Religiöfe der Theoſophie 
und Anthropofophie gewertet. Die Charakterifierung, die Steiners Anthropoſophie 
hier erfährt, berührt angenehm durch ihre ruhige Sachlichkeit, die auch anerkennt, 
wo es anzuerkennen gibt. Sie weiſt vorzüglich die Schwächen und Widerſprüche 
der Anthropoſophie nach. Kein Wunder, daß auch beeſe zu einer völligen Ablehnung 
der Theoſophie gelangt. Vielleicht hätte mehr Nachoͤruck auf entſcheidende Punkte 
3. B. den Begriff der Geiftigkeit gelegt werden müſſen. Manche Uebenſächlichkeiten 
hätten dafür wegbleiben können. 

3. Frohnmeyer, Die theoſophiſche Bewegung. Stuttgart 1920, Calwer Vereins- 
handlung. Eine beſondere Bedeutung in der Abwehrbewegung gegen Theoſophie und 
Anthropoſophie erhält dieſe Broſchüre dadurch, daß ſie von einem erfahrenen, wiſſen⸗ 
ſchaftlich gebildeten Indien⸗Miſſtonar geſchrieben iſt. Der indiſche Einfchlag in Theo⸗ 
ſophie und Anthropoſophie iſt meiſterhaft gekennzeichnet. Wiederverkörperung und 
Karma finden eine anſchauliche Darftellung. Die Beziehungen zum Chriftentum find 
weit beſſer und tiefer hervorgehoben, als in den beiden vorausgehenden Schriften. 
Diefes Büchlein hat außerdem den Vorzug, daß es auch für den gewöhnlichen Mann 
leicht verſtändlich iſt. Es iſt mit dem Akzent des Seelforgers abgefaßt. Als wiſſen⸗ 
ſchaftliche Widerlegung der Theoſophie und Anthropoſophie iſt es ungenügend. 

4. Niebergall, F., Idealismus, Theoſophie und Chriſtentum. (Religions- 
geſchichtliche Dolksbücher 5. Reihe, 23. Heft) Mohr, Tübingen 1919. 

Bon Weltanſchauungsfragen, wie fie aus dem Unglück des verlorenen Krieges 
herauswuchſen, geht der Derfaffer aus. Antwort auf das Warum und Wozu des 
bebens könne der Materialismus nicht geben, aber auch nicht die Ruſtik in ihrer 
Weltfremöheit. Sie kann nur vom Idealismus kommen. IJdealiſtiſch gerichtet iſt 
auch die Theoſophie. Hiebergall tritt — darin unterſcheidet feine Schrift ſich von den 
. anderen — poſitiv wertend an die Theoſophie heran. Insbeſondere ſucht er in 
Steiners Syftem ausſchließlich die guten Seiten hervorzukehren. Don einem noch 
höheren Jdealismus iſt das Chriſtentum getragen. Nur nebenbei [ei erwähnt die 
Rategorifche Gleichſetzung des Katholizismus mit der Verquickung von chriſtlichem 
Glauben und griechiſcher Philoſophie. Derdienft der Reformation ſei es, die Spren« 
gung dieſer unnatürlichen Derbindung angebahnt, und Derdienft des kantſchen Jdealis- 
mus, fie vollendet zu haben. Kant, Goethe, Luther, hinter denen Plato, Buddha, 
Chriftus ſtehen, ſeien das hehre Dreigeſtirn, das Antwort in das Dunkel der Lebens- 
rätſel hineinleuchtet. Mit Goethe wird Steiner in Uerbindung gebracht. Am höchſten 
ſtehe, was umgeſtaltende und erneuernde Kraft betrifft, das Chriftentum. Ihm gegen« 
über wären Jdealismus und Theofophie nur „dünne blaſſe Wahrheiten“. Damit iſt 


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niebergalls Kritik der Theoſophie ungefähr abgeſchloſſen. Er muß ſich aber ſagen 
laſſen, daß feine Renntnis der Theoſophie erſtaunlich arm und oberflächlich iſt. Für 
das Derftändnis der kirchlichen Myftik fehlen ihm ſchon die Dorausfegungen. Ruch 
das tiefſte, entſcheibende Weſensmerkmal des Chriſtentums iſt ihm verborgen ge⸗ 
blieben: das Übernatürliche. 

5. Lraub Fried., Rudolf Steiner als Philoſoph und Theoſoph. (Sammlung 
gemeinwiſſenſchaftlicher Vorträge und Schriften aus dem Gebiet der Theologie und 
Religionsgefhichte, 91). Mohr, Tübingen 1921. 

Dieſer Vortrag hat in ſeiner erſten Auflage die Wut der Anthropoſophen ent⸗ 
feſſelt. Der Steiner⸗ Schüler Stein ſchleuderte ihm ein gleichnamiges Pamphlet ent⸗ 
gegen. Die zweite Auflage der Traubſchen Schrift will die Erwiderung darauf fein. 
Sie iſt logiſch zielſicher aufgebaut. Sie führt Steiner zuerſt als Philoſoph und dann 
als Theoſoph vor. Steiner weiß nicht zu unterſcheiden zwiſchen Wiſſenſchaft und 
Weltanſchauung und hat keinen klaren Begriff von der erſteren. Das Verhältnis 
feiner Bhilofophie zum Chriſtentum wird gekennzeichnet als: „Ablehnung des per⸗ 
ſonaliſtiſchen Gottesbegriffes. Gott der ins Jenſeits verſetzte Menſch!“ (71). Die 
Darſtellung der Theoſophie Steiners erſtreckt ſich auf Methode, Reſultate, Anthro⸗ 
pologie, Kosmologie, Chriſtologie und Seſchichtsphiloſophie. Die Beurteilung ſetzt am 
richtigen Punkt ein, nämlich beim hellſehen. Das anthropoſophiſche hellſehen iſt 
kein geiftiges Erkennen. Seine Ergebniſſe ſtehen im Widerſpruch mit Wiſſenſchaft 
und geſunder Vernunft. Don allen Nichthellſehern wird ein blinder Glaube ſonder⸗ 
gleichen verlangt. Sehr richtig beſtimmt Traub auch das Verhältnis der Anthropo⸗ 
ſophie zum Chriftentum. Zunächft beſteht eine gewiſſe Derwanötfchaft, infofern als 
beide den Materialismus bekämpfen, etwas Überſinnliches annehmen, die Unſterb⸗ 
lichkeit der Seele vorausſetzen. Die Verwandtſchaft aber reicht nicht weit. Schon in 
der Art der Auffaffung und Beantwortung dieſer Fragen gehen fie weſentlich aus⸗ 
einander. Der Gegenſatz zwiſchen beiden iſt tatſächlich — was immer die Anthro⸗ 
poſophen auch ſagen mögen — ſo groß, daß eines das andere ausſchließt. Schon 
die Angelpunkte, um die beide ſich bewegen, ſind weſensverſchieden: übernatürlicher 
Glaube und anthropoſophiſches Schauen. Und wie verſchieden iſt das Chriftusbild 
des Chriſtentums von dem der Anthropoſophie! Traubs Schrift iſt eine ſorgfältige, tief⸗ 
gründige Abfertigung der Theoſophie und Anthropoſophie in manchen wichtigen Punkten. 


Die eben beſprochenen Schriften ſtehen in ihrer Abwehr gegen die Theoſophie auf 
nicht⸗katholiſchen Standpunkt. Es iſt keine Frage, daß das Chriſtentum in 
feiner katholiſchen Faſſung nicht anders Kann, als Theofophie und Anthropoſophie 
auf der ganzen Pinie ablehnen. Denn die beiden Geheimlehren bedeuten die Geug- 
nung der weſenseigentümlichen Grundlage, auf der die katholiſche Religion ruht: 
Glaube und Offenbarung. Uur langſam entſchloß man ſich Ratholiſcherſeits, 
der Gefahr, die von der Anthropoſophie dem katholiſchen Slaubensleben drohte, ent⸗ 
gegenzutreten. B. Zimmermann 8. J. war wohl der erſte, der in feinen Nufſätzen 
„die neue Theoſophie“ (St. aus III.-Paach 1910, 79), „Anthropoſophiſche Irrlehren“ 
(St. der Zeit 1918, 95) und „Anthropoſophiſcher Myftizismus“ (St. der Zeit 1918, 95) 
auf das Widerſpruchsvolle und Unchriſtliche in Theoſophie und Anthropoſophie auf⸗ 
merkſam machte. Auch ſonſt nahmen da und dort Zeitungen und Feitſchriften in 
kleineren und größeren Huffäten Stellung zur theoſophiſchen Bewegung. Aus= 
gezeichnet iſt der Dortrag von Domkapitular baun, im Druck erſchienen in Rotten⸗ 
burg 1920. Er wurde in feiner erſten Auflage in dieſer Zeitſchrift II (1921) 347 mit 
viel Anerkennung beſprochen. Unermüdlich im Kampf gegen die Anthropoſophie 
betätigt ſich Generalmajor v. Gleich. Der alte Soldat verſteht ſich trefflich auch in 
der Strategie des Geiftes. Uur find feine Vorträge zu ſtark auf einen perſönlichen 
Ton geſtimmt, der leicht ins Unſachliche übergeht. Sie wirken oͤurch Ironie, aber über⸗ 
zeugen nicht. Einzeln beſprochen ſeien noch folgende katholiſche Abwehrſchriften: 


30* 


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1. £ully, M., Die Seheimniffe des Tempels von Dornach (2 Teile). Verlag, Ba- 
ſeler Volksblatt“ Baſel 1921. Steiner hat der Anthropoſophie einen ſichtbaren Mittelpunkt 
geſchaffen in dem gewaltigen Bau des „Goetheanum“ (zuerſt Johannesbau) zu Dornach 
bei Bafel. Der Derfaffer waltet in unmittelbarer Nähe feines Amtes als Pfarrer. Er 
hatte Gelegenheit, das beben und Treiben der Anthropoſophen im Alltag zu beobachten. 
Und er verfügt über eine Beobachtungsgabe, die einem Geheimpoliziften Ehre machen 
würde. Mit der Beobachtung verband er das Studium der anthropoſophiſchen ehre. 
Der Niederſchlag von beidem liegt in den zwei heften feiner Schrift vor. Das Urteil 
gegen die Anthropoſophie lautet vernichtend. AKully ift eine ausgeſprochene Kampf- 
natur, einzig eingeſtellt auf die ſchwache Seite des Gegners, blind für feine Stärke. 
Er verfällt fo in den Fehler, feinen Gegner zu unterſchätzen. Manche Punkte feine 
Beweisführung find ſachlich unhaltbar. Er hat mehr die Perſon als die Sache des 
Gegners im Auge. Das nimmt der ſonſt vortrefflichen Schrift viel von ihrer Schlag 
Kraft. Die Gerechtigkeit verlangt es, daß wir die Irrlehre der Anthropoſophie 
ſtreng ſachlich widerlegen unter möglichſter Ausſchaltung der Perſon Steiners. 

2. Rilinger, Albert 8. J., Sibt es eine Seelen wanderung? Gemeinverftändlides 
über Theofophie und Anthropoſophie. Verlag Köfel & Puſtet, Regensburg 1921. 
Ein friſch und flott geſchriebenes Schriftchen, das ſich wie kein anderes zur Maffen- 
verbreitung unter dem gewöhnlichen Volk eignet. Es behandelt das große Senſations⸗ 
ſtück der neuzeitlichen Theofophie, das aus dem Buddhismus herübergenommen ſſt. 
Ueẽe Gedanken bringt es nicht. Es hat aber die alten trefflich verarbeitet und in eine 
packende volkstümliche Sprache gehüllt. Der Derfaffer ſcheint der Anſicht zu fein, 
daß die Seelenwanderung keinen Widerſpruch in ſich ſchließe, ſondern nur aus 
Konvenienzgründen abzulehnen fei. Hein, Seelen wanderung ift in ſich widerſpruchsboll. 

3. Michel, Ernſt, Erkenntnis oder Offenbarung höherer Welten? Eine Streit 
ſchrift wider der Anthropoſophie. Matthias⸗Srünewald⸗ Verlag, Mainz 1922. Michel 
bohrt an einem Hauptpunkt in letzte Tiefen. Er geht von der phänomenologiſchen 
Beſtimmung des Glaubensaktes aus, durch den der menſch „Gott, das wirkende 
Wort, als feinen Schöpfer und herrn und als Quell aller Wahrheit anerkennt”. 
Theoſophie mit Jdealismus ſteht auf gerade entgegengeſetzten Standpunkt. „Die 
Spannung zwiſchen Slaubens⸗ und Offenbarungswahrheit einerfeits und menſchlichem 
Wiſſen und Erkennen andererſeits“ iſt dem Chriſtentum weſenhaft. Die Anthro 
poſophie will fie löſen. Sie hebt damit das Chriftentum auf. Seiſtig tief und fein 
begründet wird die grundverſchiedene Stellung des Chriſtentums und der Anthro⸗ 
poſophie zu Chriſtus. Originell und anregend ift ferner die Auseinanderfegung mit 
dem Sprachgeiſt Steiners. Die Schattenſeite der Michelſchen Schrift iſt, daß ſie auf 
zu wenig objektiven Einzelkenntniſſen des anthropoſophiſchen Syftems beruht. Was 
er zu entgegnen hat, war ſchon fertig, ehe er die Anthropoſophie kennen lernte. 
Durch die Antwort kam er erſt zur Frage. 

4. Mager, P. Alois, O. 8. B., Theofophie und Chriſtentum. Dümmlers Der- 
lag, Berlin 1922. Ausgangspunkt für die Vorträge, die hier in Buchform geboten 
werden, war die Frage: Worin beſteht das Verlangen und hungern der Gegenwarts⸗ 
menſchen nach der Art von geiftiger Uahrung, wie fie Theoſophie und Anthropo⸗ 
ſophie zu reichen vorgibt? es tritt hier ſeeliſch etwas in erſcheinung, was zu allen 
Zeiten in den Menſchen vorhanden war: der Drang, über das begriffliche Denken 
hinaus mit einer überſinnlichen, geiſtigen Welt unmitelbar in Berührung zu gelangen. 
Wie geſchah im Lauf der Menſchheitsgeſchichte dieſem Drang Genüge? Zwei ernſt⸗ 
hafte Verſuche liegen aus der außerchriſtlichen Zeit vor in Ueuplatonismus und 
Buddhismus. Beide aber vermochten nur fehr dürftig den theoſophiſchen Hunger 
der Menſchen zu ftillen. Das Chriftentum ift die Tatſache, die alles Sehnen der 
Menſchenbruſt, ja noch unendlich weit darüber hinaus, mit feinem pneumatiſch⸗mu⸗ 
ſtiſchen Weſensgehalt zu ſtillen vermag. es ift und bleibt hier unerreicht. Jeder 
andere Derfuh kann nur gegen es geſchehen, muß alſo auch gegen das Wohl der 


461 


Menſchen felber fein. Die neuzeitliche Theoſophie und die Anthropoſophie Steiners 
find ſolche widerſpruchsvolle Uerſuche. Weit entfernt, mit dem Chriſtentum in Par- 
allele geſtellt werden zu können, vermögen fie nicht einmal das zu leiſten, was einſt 
die beiden alten Theofophien, Ueuplatonismus und Buddhismus erreichten. Trotz 
ihrer Derbindung mit der indiſchen Philoſophie bleibt der Kern der neuzeitlichen Theo⸗ 
ſophie magiſch⸗okkultiſtiſch. Magie iſt auch die Seele der Steinerſchen Anthropoſophie 
trotz ihrer Derbindung mit indiſcher, gnoſtiſch⸗manichäiſcher, roſenkreuzerſcher, kabba- 
liſtiſcher, von Baader-St. Martinfcher Weisheit! Licht Magie, ſondern Myftik, eine 
Muyftik, die das innerfte Wefen des Chriſtentums ausmacht, kann den Hunger nach 
dem dies ſeitigen Erleben des Geiftigen, Ewigen im Menſchen ftillen. 

Eine im übrigen verſtändnisvolle und wohlwollende Beſprechung dieſes Büchleins 
im bit. handweiſer (1922, 8) bezweifelt, ob Plotin und Buddha zu einer Gottihau 
gelangten, wie fie der leibgetrennten Seele in der natürlichen Ordnung entſpräche. 
Ihr Gottesbegriff hätte, fo meint fie, wohl eine andere Geftalt benommen müſſen. 
Warum denn? Sie konnten das innerlich Geſchaute doch nicht unmittelbar aus⸗ 
drücken. Sie konnten es nur urteilend tun, indem fie es in das philoſophiſche 
und ſprachliche Begriffſuſtem ihrer Zeit faßten. Daß hier Irrtümer unterlaufen, 
liegt in der Natur der Sache. — Leider können infolge Preßgeſetzes die „Seheimzuklen“ 
Steiners vorläufig literariſch noch nicht verwertet werden. Sie ändern aber nichts 
in der Beurteilung der im Buchhandel erſchienenen anthropoſophiſchen Schriften. 
5. Bappert, Dr. Jakob, kritik des Okkultismus. Patmosverlag, Frankfurt a. . 
1921. Wenn inhaltlich diefe Schrift auch nicht unmittelbar in einen Literaturüber- 
blick über Theoſophie gehört, Jo behandelt fie doch Fragen, die unmittelbar an Theo» 
ſophie und Anthropoſophie angrenzen. Der Derfaffer nimmt ſelber Bezug auf die 
Anthropoſophie Steiners (8. 165). Wir ſahen bereits, daß die neuzeitliche Theoſophie 
okkultiſtiſchen Urſprunges iſt. Der Okkultismus unterſcheidet ſich von der Anthro⸗ 
poſophie nur dadurch, daß der Okkultismus annimmt, nur gewiſſe, befonders ver⸗ 
anlagte menſchen — Medien — könnten mit einer jenfeitigen Geiftwelt in Beziehung 
treten, während die Anthropoſophie behauptet, in allen Menſchen ſchlummere dieſe 
Fähigkeit, ſie brauche nur geweckt und entfaltet zu werden. 

Ich wüßte zur Zeit kein Werk, das klarer, überſichtlicher über die Fragen und 
Tatſachen des Okkultismus orientierte, als Bapperts Schrift. Die okkulten Phä⸗ 
nomene werden in logiſcher Reihenfolge behandelt: Gedankenlefen, Tiſchrücken, hell⸗ 
ſehen, Materialiſationsphänomene uſw. 

Früher nahm man ziemlich allgemein an, die meiſten oder alle okkulten Erſchei⸗ 
nungen beruhten auf Täuſchung und Betrug. Unleugbare Tatſachen zwangen doch, 
erheblich Einfhränkungen zu machen. Faſt alle unbeſtreitbaren okkulten Vorgänge 
Kann man auf natürliche und naturgeſetzliche Weiſe erklären. Aus der beſung des 
Büchleins nahm ich den beſtimmten Eindruck mit, als ob der Derfaffer in diefer 
Beziehung es ſich doch hin und wieder allzu leicht machte. Mit Recht wird betont, 
daß gewohnheitsmäßige Teilnahme an ſpiritiſtiſchen Sitzungen keinen wiſſenſchaft⸗ 
lichen Uutzen bringt, aber für das religiöſe beben des Betreffenden ſehr gefährlich 
iſt. Darum das kirchliche Verbot. ü P. Alois Mager (Beuron). 


öum 100. Todestage von P. Ägidius ais, Benediktbeuren. 


dum hundertſten Todestage des verehrungswürdigen B. Agidius Jais von Benedikt- 
beuern (+ 3. Dez. 1822) ſei auf deſſen bebensbeſchreibung im 33. Jahrgang (1909, 
8. 26 — 36) der „St. Benedikts⸗ Stimmen“ verwieſen. Aus dem gleichen Anlaſſe wurde 
fein beſcheidenes Grabdenkmal durch die Bemühungen des derzeitigen Abtpräfes der 
baueriſchen Kongregation, Dr. Plazidus Glogger von St. Stephan in Augsburg, ent» 
ſprechend in Stand geſetzt. Möchte auch das herrliche Profeßkloſter des im Rufe der 
Heiligkeit Entfchlafenen, das „baueriſche Fulda“, durch die Fürſprache ſeines großen 
Sohnes zu neuem beben erwachen! P. Gaurentius Hanfer (Scheyern). 


462 


Zur Weihnachtskrippe. 


W. find leicht geneigt, in der Giturgie zwiſchen altchriſtlichem und mittelalterlihem 

Gut eine ſcharfe Grenze zu ziehen. Oft ſcheiden wir mehr gefühlsmäßig, als auf 
Grund einer genauen Unterſuchung und möchten alles, was uns naiv, menſchlich, 
idulliſch vorkommt, ohne weiteres dem Mittelalter, namentlich der franzisgkaniſchen 
Periode zuweiſen. So iſt es uns ganz geläufig, den hl. Franziskus als den Begründer 
der Krippenfeier und Krippendarſtellung anzuſehen, während uns die althriftlihe 
Weihnachtsauffaſſung mehr etwa in den Antiphonen der Weihnachts veſper ihren gus⸗ 
druck gefunden zu haben ſcheint. Nun hat ja unleugbar die franziskaniſche Bewegung 
die „Krippenfrömmigkeit“, wenn man dieſes Wort prägen darf, mächtig gefordert 
Ent[prad fie doch ſo ganz dem Geift des hl. Franz. Aber wir würden uns täuſchen, 
wenn wir erſt ſo ſpät das Entſtehen der Krippenſpiele anſetzen würden. 

Dom Louis Gougaud, Benediktiner der Abtei Farnborough, hat in der „Rede 
des Sciences Religieuses“ 2 (1922), 16—34 eine Studie veröffentlicht: „La credje de 
NUoel avant saint Frangois d' Assise“, aus der klar hervorgeht, daß ſchon geraume 
Zeit vor Franziskus die „Officia pastorum“ eine Krippendarſtellung vorausfegten 

Einen deutlichen Beleg für Krippenbilder bietet Gerhoh von Reichersberg (+ 1169) 
in feiner Schrift „De investigatione Antichristi“ I. Ic. 5. (M. 6. Gibelli de lite 3,316) 
erhibent praeterea imaginaliter et Salvatoris infantiae cunabula. 

Doch reicht die Sitte des Krippenbaues wahrſcheinlich noch bedeutend weiter 

| 


hinauf. Dom Gougaud läßt unentfchieden, ob die etwa aus dem vierten bis fünften 
Jahrhundert ſtammende Predigt des Pfeudo-Gregor Thaumaturgos vor einer Krippe 
gehalten ift, wie Ufener anzunehmen ſcheint. (Das Weihnachtsfeſt, 1911, 5.295). 
Aber jedenfalls wurde in Rom [don früh eine Holzkrippe in 8. Maria Maggiore 
aufbewahrt (ſpäter auch in 8. Maria in Trastevere), und bereits ſeit dem vierten 
Jahrhundert finden ſich künſtleriſche Darſtellungen der Geburt des Herrn auf Sarßo⸗ 
phagen und Wandgemälden. Das mußte frühzeitig zur Nachahmung reizen und 
das Krippenbauen zu einer volkstümlichen Sitte machen, beſonders da manche Feile 
des Offiziums, wie die Gaudesantiphonen „Quem vidistis pastores“ für dramatiſche 
Darſtellungen fruchtbar waren und zu Weihnachtsſpielen verarbeitet wurden, die 
notwendigerweiſe vor einer Krippe aufgeführt werden mußten. So ſehen wir wie 
die Weihnachtskrippe tatſächlich in ihren Anfängen bis in die altchriſtliche Zeit 
hinaufreicht und aus der Giturgie Geben und Husgeftaltung empfing. 

Wir tun deshalb gut daran, in den Ruf miteinzuftimmen: „Zurück zur Weihnachts⸗ 
krippe.“ Der Kapuzinerpater Oderich aus Königshofen beſpricht unter dieſem Citel in 
der Monatſchrift „Der Prediger und Katechet“ 2 (1922),79—84 die religiöſen Werte der | 
Weihnachtskrippe und bedauert mit Recht, daß in vielen Familien der Weihnadjts- 
baum die Krippe verdrängt hat. Er weilt nach, wie arm an religiöfen Gedanken der 
Baum ohne Krippe ift, der zu einer Derflahung des Weihnachtsgedankens führen muß, 
Seine beachtenswerten Ausführungen und praktiſchen Vorſchläge werden Seelſorgern, 
Erziehern und allen, die Einfluß auf die Familie haben, viel Wertvolles bieten. 

Wenn aber, wie wir geſehen haben, die Weihnachtskrippe der Piturgie ſoviel 
verdankt, dann wird auch eine Hebung der Weihnachtskrippe abhängen von der 
Spendung der Schätze, die in der Piturgie enthalten find. Vergeſſen wir nicht, daß 
vor der Krippe in 8. Maria Maggiore der geheimnisvoll erhabene Pfalm geſungen 
wurde: „Dominus digit ad me: Filius meus es tu: ego hodie genui te“ (Introitus 
der Mitternachtsmeſſe). Wenn etwas von dieſem Geift hineingelegt wird in die 
Krippenfeier, dann wird Weihnachten „ſich wieder in die Tiefe der Seelen fenken und 
ein unverlierbares Gebensgut werden.“ P. Amandus G'sell (Beuron). 


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463 


Bücherſchau 


Allgeier, Artur, Bibel und Schule. 
Eine Einleitung ins Alte Teſtament für 
Religionslehrer in ſechs Vorleſungen. Mit 
12 Bildern. 8° (122 8.) Freiburg 1922, 
Herder. 

Die Schrift enthält ſechs Vorträge über 
Fragen des H. T., die der gelehrte Der- 
faffer vor Gehrern, ſpeziell in ihre Eigen⸗ 
ſchaft als Religionslehrern, an verſchiedenen 
Orten der Erzdiözefe Freiburg gehalten hat. 
Durch fie follten die Hörer in den gegen⸗ 
wärtigen Stand der bibliſchen Wiſſenſchaft 
eingeführt und fo in ihrer eigenen behr⸗ 
tätigkeit gefördert werden. Die Vorträge 
behandeln: 1. Die geſchichtliche Erſchließung 
des vorderen Orients im neunzehnten 
Jahrhundert. 2. Die Bedeutung der neue⸗ 
ren vorderaſtatiſchen Altertumskunde für 
das Derftändnis des Alten Teftamentes. 
3. Die einzigartige religionsgeſchichtliche 
Stellung des iſraelitiſchen Dolkes. 4. Die 
Schönheit des Alten Teſtamentes. 5. Das 
Alte Teſtament als heilige Schrift. 6. Den 
pädagogiſchen und didaktiſchen Wert des 
Alten Teſtamentes. 

Es braucht kaum hervorgehoben zu 
werden, wie gerade ſolche Vorträge den 
Bedürfniſſen und Wünſchen des heutigen 
Religionslehrers entſprechen. Darum iſt 
jedes diesbezügliche Entgegenkommen von 
ſeiten der berufenen Vertreter der bib⸗ 
liſchen Wiſſenſchaft auf das wärmſte zu 
begrüßen. Die vorliegende Auswahl von 
Dorträgen ift gut und zeitgemäß, wenn 
fie auch, wie der Derfaffer ſelbſt gefteht, 
durch weitere ergänzt werden könnte und 
müßte, um wirklich auch nur eine Art 
„Einleitung ins Alte Teſtament“ darzu⸗ 
ſtellen. Hoffentlich findet der gelehrte Der» 
faſſer bald die nötige Muße dazu. Eine 
Behandlung der Giterarkritik kann dabei, 
wie im Vorwort richtig bemerkt wird, 
füglich unterbleiben. Dagegen wäre in 
erſter Pinie eine religionsgeſchichtliche Ju⸗ 
ſammenfaſſung und eine Darſtellung der 
Entwicklung der altteſtamentlichen Offen⸗ 
barung als ſolcher am Platze; 8. 116 
findet ſich vom Autor ſelbſt eine ent⸗ 
ſprechende Bemerkung hierüber. Vor allem 


wünſchte man auch eine viel ausgiebigere 
Verarbeitung und Ausbeutung der orien- 
taliſchen Altertumskunde der profanen 
wie der ſakralen. Gerade die verglei⸗ 
chende Altertumskunde zeigt wie Raum 
etwas anderes die Bodenſtändigkeit und 
Urwüchſigkeit des Alten Teſtamentes und 
iſt darum zugleich von hervorragend apo⸗ 
logetiſchem Wert. In dieſer Beziehung 
könnte gerade der zweite Vortrag wirk⸗ 
ſam ergänzt werden. Im dritten Vortrag 
gibt der Derfaffer anregende Gedanken 
über die Auffaffung des Sechstagewerkes. 
Ich habe bei ähnlichen Vorträgen immer 
die Beobachtung gemacht, daß etwaige Be⸗ 
denken des Zuhörers über das „Wie“ 
des Schöpfungswerkes, das ja an ſich rein 
Sache der naturwiſſenſchaftlichen Forſchung 
iſt, in dem Maße ſich verflüchten als man 
den Uachoͤruck auf das „Was“ legt, d. 
h. die darin ausgeſprochenen Tatſachen 
und Wahrheiten ſcharf hervorhebt und 
unter Heranziehung der vergleichenden 
Religionsgeſchichte anſchaulich begründet. 
Die formelle Faſſung des Schöpfungs⸗ 
berichtes iſt demgegenüber ſo gut wie 
nebenſächlich. Im vierten Vortrag lenkt 
der Derfaffer richtig, wenngleich ſehr vor⸗ 
ſichtig, das Intereſſe auf die literariſchen 
Arten, ohne die das A. T. ja überhaupt 
nicht mehr erklärt werden kann. Sehr 
zu unterſtreichen iſt der Sat im fünften 
Vortrag 8. 100: „Die Bibel ſelbſt leitet 
uns zu einer Art experimenteller Theo- 
logie an, die an ihr geübt wird“. Wie 
weit dieſe „experimentelle Theologie“ 
gehen kann und darf, das iſt gerade das 
Problem der Zeit. Auch die pädagogiſchen 
Grundſätze im ſechſten Vortrag find ſehr 
beachtenswert. Hier wäre natürlich wohl 
zu unterſcheiden zwiſchen niederen und 
höheren Schulen. Auch den Beſuchern der 
höheren Schulen kann man meines Er⸗ 
achtens beim Fehlen beſſer geeigneter 
Hilfsmittel heute noch nicht beoͤingungs⸗ 
los das ganze Alte Teſtament in die hand 
geben. Anderſeits wird es wenige Erzäh⸗ 
lungen im A. T. geben, die nicht auch 
für ſolche Kreiſe in anziehender und nutz ⸗ 


464 | 


bringender Weife verwertet werden kön⸗ 
nen. Gerade die „verdächtigſten“ erweifen 
ſich in den geſchichtlichen Juſammenhängen 
der Bibel oft als die ſittlich bildendſten; nur 
müſſen wir erſt wieder den Standpunkt 
einer gewiſſen religiöfen und z. T. auch 
ſittlichen „Verbildung“ überwinden. 

Die Vorträge des Verfaſſers zeigen große 
Sachkenntnis und ihr praktiſcher Wert 
wird durch Angabe meiſt populär gehal · 
tener Literatur vermehrt. Faſt überall 
bemerkt man einen geſunden Sinn in der 
Behandlung altteſtamentlicher Probleme, 
fo in der Betonung von Entwicklungs» 
ſtufen im A. T. (8. 66), der engen Ju⸗ 
ſammengehörigkeit von A. T. und U. T. 
(8. 67; 107 f.)., fowie in der richtigen 
Einſchätzung einer Uroffenbarung zum Der» 
ſtändnis der ifraelitifhen und altorien- 
taliſchen Religionen überhaupt (8. 61 ff.). 
Hat Allgeier für feine Vorträge dankbare 
Hörer gefunden, fo werden ihm die Gefer 
nicht minder dankbar ſein. 

P. Athanaſius Miller (Beuron). 


Meffert, Dr. Franz, Ifrael und der 
Alte Orient. Apologetiſche Vorträge 3. 
Band. 2. vermehrte Auflage. 8 (282 8.) 
M. Gladbach 1921, Dolksvereinsverlag. 

Inhalt: Der Monotheismus Iſraels. Die 
moderne, nurreligionsgeſchichtliche Retho⸗ 
de. Die religionsgeſchichtliche Theorie und 
das Alte Teſtament. Iſrael und die Völker 
des Alten Orients. Der moderne Antife- 
mitismus und das Alte Teſtament. 

Das Werk ſtellt eine, faſt alle ein⸗ 
ſchlägigen Fragen umfaſſende, hiſtoriſch⸗ 
Rritifhe Würdigung der altteſtamentlichen 
Religion durch die moderne Forſchung dar. 
Es iſt erſtaunlich, welche Beleſenheit der 
Derfaffer in allen wichtigen Fragen beſitzt 
und mit welcher gewandten Abgrenzung 
er den Stoff zu einheitlichen Themata 
zuſammengruppiert. Die Stellung des Ver⸗ 
faffers zu den einzelnen Fragen ift im alle 
gemeinen nüchtern und zuverläffig (vgl. z. 
B. 8. 144 über die UIniverfalität der Meffias= 
hoffnungen oder 8. 237 f. über die altteſta⸗ 
mentliche Geſchichtsſchreibung). Bringt es 
die ſtreng apologetiſch eingeſtellte Behand⸗ 
lung des Stoffes mit ſich, daß die Ent⸗ 
ſtehungsgeſchichte ſo mancher gegneriſchen 
Anſchauung ganz in den hintergrund tritt 


und damit auch manches Wahre und 
Berechtigte in ihr, fo kann das dem ge 
bildeten Lefer, vor allem dem Theologen 
nur ein Sporn fein, zu näherem Studium 
an die Quellen ſelbſt zu gehen. Aber auch 
da wird ihm der Verfaſſer immer als 
guter Führer dienen, beſonders dann, wenn 
er ſich bei einer Ueuauflage entſchließen 
könnte, die in feiner Arbeit reich und 
fleißig benutzte Literatur an irgend einer 
Stelle des Werkes überfichtlid) zufammen- 
zuſtellen. 
B. Athanaſtus Miller (Beuron). 


neue Pſalmenliteratur. 
1. Gandersdorfer, P. Simon, 0. 8. B., 
Die Pſalmen, lateiniſch und deutſch für 
gebildete Beter bearbeitet. 8° (416 8.) 
Regensburg 1922, Köſel & Puftet. 
2. van heemſtede, Geo, Psallite sapi⸗ 
enter. Die Jubel-, Trauer - und Buß 
pfalmen aus Davidiſcher Zeit in deutfäes 
Reimgewand gebracht. 8° (VII u. 296 8.) 
Münfter 1922, Afchendorff. 
3. Geimbad, Dr. R., Die Pfalmen. 
[Bibl. Dolksbüdher des A. T. 5. u. 6. heft 
4. u. 3. Aufl. 8° (XVIII u. 219 u. 192 8.) 
Fulda 1921 u. 1922, Aktiendruckerei. 
4. Gebete der hl. Schrift. Uberſ. u. hrsg. 
von Dr. P. Riegler. 24 (206 8.) Hl. lab 
bach 1922, Dolksvereins verlag. 

1. Nicht einzig das wiſſenſchaftliche, ſon 
dern vor allem auch das praktifche und 
rein religiõſe Intereſſe macht, daß einen 
Buche des f. T. immer wieder neue Werke 
gewidmet werden: dem Pfalter. 

Dem Pfalmenbeter die Ergebniſſe der 
wiſſenſchaftlichen Pſalmenforſchung in ge 
drängter Kürze und anſchaulicher Form 
darzubieten, hat P. Simon Ganders- 
dorfer 0. S. B., nunmehr Abt von Scheu · 
ern, unternommen. Im Dorwort betont der 
Verfaſſer gegenüber dem zwar berechtigten, 
aber allzu ſtürmiſchen Verlangen n 
einer befriedigenden lateiniſchen Neuüber- 
ſetzung des Pſalteriums, daß einer ſolchen 
Ausgabe vorläufig noch Schwierigkeiten 
entgegenftehen, von dem der „icht ⸗Fach⸗ 
mann“ gar keine Ahnung hat. Die kurze 
Einleitung behandelt in gedrängter Form 
die wichtigſten allgemeinen Pſalmenpro⸗ 
bleme. Die immer noch umſtrittene Frage 
nach einem eigentlichen Metrum in der 


iO 


hebräifchen Poeſte ſcheint der Derfaffer in 
ſtark bejahendem Sinn zu beantworten. 
Mir ſelber ſcheinen vorläufig noch gewich⸗ 
tige Gründe dagegen zu fprechen. — In 
der Überſetzung iſt Gandersdorfer haupt⸗ 
ſächlich beſtrebt, ſo gut wie möglich die 
urſprünglich poetiſche Form und inhaltliche 
Geftalt der einzelnen Pſalmen herzuſtellen. 
Dabei kommt die Textkritik natürlich reich · 
lich in Anwendung, und darin zeigt ſich 
auch des Derfaffers Stärke. Durch Schräg⸗ 
druck, Kleindruck und dergleichen find fo 
ziemlich alle Derfuche die ſicher und ver ⸗ 
mutlich alte Tegtgeftalt wiederherzuſtellen 
vermerkt, ſowie Einſchiebſel und Zutaten 
als ſolche gekennzeichnet. Eine kritiſche 
Begründung ſeiner Arbeit verboten Kürze 
und praktiſcher Zweck des Buches. Bei 
dem Eintreten des Verfaſſers für ein 
eigentliches hebräiſches Metrum iſt es 
verſtändlich, daß die Mafora und die alten 
Überfegungen nicht in dem Maße heran⸗ 
gezogen bezw. gewertet wurden, wie das 
ſonſt wohl der Fall iſt. Die Überſetzung 
ſelbſt folgt der Mafora und lehnt ſich an 
die Pſalmenüberſetzung von Schlögl (1911) 
an. Sie ift gut und kräftig und entſpricht 
dem Charakter des hebräiſchen Originals. 
Jeder Pfalm hat eine Überſchrift. Eine 
Kurze Einleitung behandelt Inhalt und 
Form, Derfaffer, Entſtehungszeit und ur⸗ 
ſprüngliche Derwendung. Beſonderen Fleiß 
verwendet da Pandersdorfer auf Heraus: 
arbeitung des geſchichtlichen Anlaſſes. 
Freilich bieten gerade hierin die Pſalmen 
die allergrößte Schwierigkeit. 

Neben der deutſchen Überſetzung fteht 
in weder genügend großer Tupe noch 
immer überſichtlicher Form der lateiniſche 
Dulgatatezgt. Den Pfalmen ift eine gleich- 
wertige ÜUberſetzung der Kantika beige⸗ 
geben. Der prieſterliche Beter wie der 
pſalmliebende Laie werden für ihr Beten 
wie ihr Pſalmſtudium ſicher reichen Gewinn 
aus dieſem Buche haben. 

2. Ein ganz anderes Ziel als der ge⸗ 
lehrte Abt hat ſich der ehrwürdige Dichter ⸗ 
greis Geo van Beemftede geſetzt in 
feinem „Bsallite sapienter“. hier 
ſpricht nur der gottbegeifterte Sänger, der 
ſich um gelehrte Pſalmenprobleme nicht 
weiter kümmert, der, hingeriſſen von Ge» 
halt und Schönheit dieſer herrlichen Lieder, 


465 


ſich pietätvoll in ihren Inhalt verfenkt 
und fie dann, übrigens alle hundertfünfzig, 
dichteriſch neugeſtaltet in deuſchem Reim · 
gewand wiedergibt. „Die Guft zum Singen 
und Pſallieren“ war ihm in den böfen 
und unweiſen Zeiten ſchon vergangen, als 
fie durch die Beſchäftigung mit dem Dfal- 
ter neu erwachte. „Das klaſſtſche fünf⸗ 
bändige Werk des im Jahre 1890 ver- 
ſtorbenem Dr. Maurus Wolter“ hat nach 
dem Dorwort nicht nur den Titel geliehen. 
Wenn Heemftede freilich meint, daß er der 
erfte iſt, der ſ. Wiſſens die Pfalmen „in 
das Gewand des klangvollen deutſchen 
Reimes kleidet“ (8. VIII), fo wird damit 
mindeſtens der alte C. Ulenberg nicht 
ganz zufrieden ſein, da er doch ſchon 1582 
„Die Pſalmen Davids in allerlei Teutſche 
geſangreimen bracht“ hat. Vielleicht locken 
auch hier Reim und Rhuthmus zur Der- 
tonung; denn gelungen, vielleicht auch 
künftlerifh vorgetragen bei religiöfen, 
kirchlichen oder Familienfeiern mag der 
Reim angenehm wirken. Sonſt wäre lei⸗ 
der zu fürchten, daß gerade des Reimes 
wegen mehr Freunde der Poeſie als 
fromme Beter oft und gern nach dieſen 
Liedern greifen. 

3. Mit der Wiſſenſchaft in Fühlung und 
dabei doch ganz volkstümlich iſt die in 
3. bezw. 4. Auflage erſchienene, kurze 
Pfalmen erklärung von Dr. K. Deim⸗ 
bach. Die Einleitung gibt in leicht ver⸗ 
ſtändlicher Form eine knappe Überſicht 
über alle wichtigeren Fragen des Pfalters. 
Betreffs der mufikalifhen Angaben ſcheint 
mir das erſte Melodiebeiſpiel (Pf. 21) 
nach den Ausführungen von R. Eisler 
nicht mehr zutreffend. Dol. auch P. Rieß⸗ 
ler, Theve Q. 8. 101 (1920) 8. 312. Es 
muß heißen: „Beim Morgengrauen“. Bei 
den Fluchpſalmen bemerkt der Autor 
ſehr gut, daß die Annahme von „Cita⸗ 
tiones implicitae“ keine Grundlage zur 
böſung des ſchwierigen Problems abgebe. 
Die Überſetzung folgt dem hebräiſchen 
Texte, verzeichnet aber die Abweichungen 
der Uulgata in den Noten. Der lateinifche 
Text iſt nicht beigegeben. Die Erklärung 
ſchließt ſich paraphraſtiſch in Abſchnitten 
der ſtrophiſchen Abteilung des Textes an, 
iſt leicht, ein wenig breit, aber über⸗ 
ſichtlich und klar. Die Pfalmfreunde 


466 


vor allem in der baienwelt werden ſicher 
nach wie vor beſondere Freude an dieſen 
beiden Heften der „Bibliſchen Volksbücher“ 
haben. 

5. Schließlich ſei noch das handliche 
Büchlein „Gebete der Heiligen Schrift“ von 
Dr. P. Rießler erwähnt. Es iſt die Ueu⸗ 
ausgabe eines im Jahre 1529 in Paris 
erſchienenen Büchleins „Bibliſche Gebete“ 
(Orationes biblicae), das der Überſetzer 
in bekannter Meiſterſchaft und Kraft ins 
Deutſche übertragen und mit Anmerkungen 
verſehen hat. Das Büchlein enthält Ge⸗ 
bete aus dem ganzen alten und neuen 
Teſtament nach inhaltlicher Gruppierung, 
in überſichtlicher Form, vorab eine reiche 
Auswahl von Pfalmengebeten. Wie ſchon 
der erſte Herausgeber bemerkt, vermögen 
gerade dieſe vom heiligen Geiſte inſpirierten 
Gebete der heiligen Schrift am eheſten 
das menſchliche Herz in Feiten der Hot 
zu heben und zu tröften und Gottes Zorn 
zu Nachſicht und Erbarmen zu wenden. 

P. Athanafıus Miller (Beuron). 


Rrebs, Prof. Dr. Engelbert: Dogma 
und Geben. Die kirchliche Slaubens⸗ 
lehre als Wertquelle für das Geiftes- 
leben. (Katholiſche Gebenswerte 5. Bd.) 
gr. 8° (XXIV u. 466 8.) Paderborn 1921, 
Bonifatius-Druckerei. 

So ein Buch, wie Krebs es hier dar= 
bietet, braucht die ſuchende Zeit von heute 
[fo notwendig wie das tägliche Brot. Nur 
aus den unerſchöpflichen Schatzkammern 
der kirchlichen Glaubenslehre können dieſe 
Hungrigen geſpeiſt, dieſe Durſtigen ge— 
tränkt werden. Bis jetzt hat uns eine 
Darſtellung des katholiſchen Dogmas als 
Wertquelle für das Geiſtesleben gefehlt. 
Wievielen Fragern hat er ſchon geant= 
wortet, wievielen Fweiflern ſchon die Gö- 
ſung ihrer Bedenken gebracht innerhalb 
der vier Wände ſeines Studierzimmers! 
In manche Finſternis hat er ſchon die 
beuchte der Katholifhen Glaubenslehre 
getragen. So wurde ſein reiches theo= 
logiſches Wiſſen mit einer nicht minder 
reichen ſeelſorglichen Erfahrung unterbaut. 
Wie nur wenige oder kein anderer war 
er befähigt, uns dieſes Werk zu ſchenken. 
In einer Einleitung wird Glaubensgehalt 
und Glaubenswert des kirchlichen Gehr- 


amtes, der hl. Schrift und der wiſſe 
ſchaftlichen Theologie erläutert. Das Der 
hältnis zwiſchen Glauben und Geben e 
hält eine lichtvolle, anziehende Darftellung 
Im engſten Anſchluß an die ſeit dem 
hl. Thomas gebräuchliche Einteilung der 
wiſſenſchaftlichen Dogmatik wird die Lehre 
von Gott im allgemeinen, vom dreifal⸗ 
tigen Gott, von der Schöpfung der Welt, 
von der Erbfünde, von der Erlöſung in 
dieſem erſten Band erklärt und für das 
chriſtliche beben ausgewertet. Manche 
Ausführungen find von ergreifender Schön⸗ 
heit z. B. der Glaube an die Allmacht 
Gottes als der Grundlage des Bittgebetes 
(146 ff.). Ausgezeichnet finde ich die Art 
und Weiſe, wie die fo heikle Prädeſti⸗ 
nationslehre behandelt wird. Und den 
Anhang „Die Prädeſtinationslehre des 
Römerbriefes“ zähle ich zu dem Beſten 
und Einleuchtendſten, was je zu dieſer 
Frage geſchrieben worden iſt. Aus der 
Erlöſungslehre, wie fie der Derfalfer dar» 
ftellt, hätte Wittig für feinen berühmten 
Hochland-Aufſatz „Die Erlöften“ viel 
Klarheit holen können. Das Werß er: 
füllt in hohem Maß die Abſicht des Vor⸗ 
wortes: „Den vielen, die im Schiff und 
draußen den Meſſtas, den Retter, kennen 
lernen wollen, bietet dieſes Buch ſich als 
einen Wegweiſer an zu den lebenerhellen⸗ 
den, lebenſtählenden Reichtümern des 
katholiſchen Dogmenglaubens.“ 
P. Alois Mager (Beuron). 


Arias, P. Franz 8. 9. Die Dergegen: 
wärtigung Gottes. Eingeleitet und über⸗ 
tragen von P. hubert Hartmann 8. 9. 
Kl. 8° (70 S.) Geipzig 1922, Vier⸗Quellen⸗ 
Verlag. 

Der Wandel in der Gegenwart Gottes 
wird von allen Muſtikern als der ſicherſte 
und kürzeſte Weg zur Beſchauung ge 
prieſen. Es iſt pſuchologiſch ohne Zweifel 
gerechtfertigt. Es darf daher nicht wunder⸗ 
nehmen, wenn in unſerer muſtiſch ſo tief 
bewegten Zeit die Frage nach der Der 
gegenwärtigung Gottes immer wieder auf⸗ 
geworfen wird. Eine Neuerung ift fie 
keineswegs. Beweis dafür ift das [done 
Büchlein des Jeſuiten Arias, das uns hier 
in gefälliger Überſetzung und mit einer 
beachtenswerten Einleitung geboten wird. 


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Aus) 


Es ſtammt aus der Blütezeit der ſpani⸗ 
[hen Muſtik. Der Verfaſſer war Zeit- 
genoſſe der hl. Thereſia. Wer es gelefen 
hat, wird wenig überraſcht ſein von den 
eindringlichen Forderungen neuerer Schrif⸗ 
ten. Hach Arias gibt es zwei Arten der 
Dergegenwärtigung Gottes: 1. In den Ge» 
Ihöpfen den Schöpfer ſehen; 2. Gottes 
Weſen unmittelbar betrachten. Mit dem 
erkennenden Derftand muß ſich der liebende 
Wille verbinden. Erft dann wandelt der 
Menſch in der Gegenwart Gottes. 
P. Alois Mager (Beuron). 


Böcherer, Der Wandel vor Bott. 
Fünfte, umgearbeitete Auflage, beſorgt 
von einem Benediktiner. kl. 80 (313 8.) 
St. Ottilien 1919, Miffionsverlag. 

Da heute wieder mehr denn je vom 
„Wandel in der Gegenwart Goftes” ge⸗ 
redet wird, bedarf es zuverläſſiger behr⸗ 
meiſter in dieſer bung. Und ein ſolcher 
iſt das vortreffliche Buch von Oöcherer, 
das ein Mitbruder von St. Ottilien in 
dankenswerter Weiſe der öffentlichkeit 
von neuem ſchenkt. Es trägt etwas von 
Benediktiniſchem Geift in ſich. Es iſt 
nämlich diskret in jeder Beziehung. Es 
vermeidet alles Schablonenhafte und 
Iwangsjackenmäßige. Mit einfachen, aus 
dem Geift der Hl. Schrift geſchöpften Worten 
legt es die Schönheit und die Bedeutung 
des Wandels in der Gegenwart Gottes 
dar, überläßt es aber der Eigenart jedes 
einzelnen, wie er dieſe Übung verwirk⸗ 
licht. Wer dieſes Büchlein ſich zum Führer 
wählt, läuft nie Gefahr, einer falſchen 
Innerlichkeit zu verfallen. Wir wären 
dem herausgeber dankbar, wenn er für 
eine ſpätere Auflage, die Anführungen 
aus fiirchenvätern uſw. nachprüfte und 
die Stellen anzeigte. 

P. Alois Mager (Beuron). 


Rothacker, Dr. erich: Einleitung in die 
Seiſteswiſſenſchaften. gr. 8° (XVI und 
277 8.) Tübingen 1920, Mohr. 

Wer Werke wie das vorliegende ver⸗ 
ſtehen will, muß wiſſen, daß die moderne 
Wiſſenſchaftsbeſtimmung und »einteilung 
von anderen Gefihtspunkten und Grund- 
ſätzen ausgeht, als die ariſtoteliſch⸗ſcho⸗ 
laſtiſche Philoſophie. Eines kann nicht 


467 


den Maßſtab für das andere abgeben. 
Beide Anſchauungen treffen ſich in dem 
einen Punkt, daß die Wiſſenſchaft von 
erfahrungsmäßigen Gegebenheiten aus- 
zugehen hat. Die ariſtoteliſch⸗ſcholaſtiſche 
Philoſophie kannte nur einen Bereich 
unmittelbarer Gegebenheiten: die ſtoff⸗ 
lichen Gegenſtände der Außenwelt. Die alte 
Philoſophie war wefensmäßig Natur» 
wiſſenſchaft. Der Einteilungsgrund für 
die Gebiete der Philoſophie, die eben die 
Wiſſenſchaft war, war der Grad der Ab⸗ 
ſtraktion von den ſinnenfälligen Gegen- 
ſtänden. Die neuere Philoſophie kennt 
noch einen anderen Bereich erfahrungs⸗ 
mäßiger Gegebenheiten: Die hervorbrin⸗ 
gungen des menſchlichen Seiſtes. So 
bahnte ſich allmählich die neue Unter⸗ 
ſcheidung zwiſchen Natur- und Geiſtes⸗ 
wiſſenſchaften an. Der Derfaſſer bietet 
ſich an, uns in Sinn und Aufgabe der 
Geiſteswiſſenſchaften einzuführen. Er bringt 
dazu eine umfaſſende Sachkenntnis und 
ein durchoͤringendes Urteil mit. Don der 
Geiftesphilofophie Hegels, dem erften und 
großartigſten Derſuch einer Philoſophie der 
Geiſteswiſſenſchaften, werden wir hinüber 
geleitet in die hiſtoriſche Schule Savignus. 
Das Verhältnis zwiſchen Hegel und dieſer 
Schule wird vor uns aufgerollt. Wir 
folgen dann der Weiterentwicklung der 
romantiſch⸗hiſtoriſchen Wiſſenſchaft und 
ſchließen mit Dilthey ab. Gerade der letzte 
Abſchnitt über Dilthey verdient beſonderes 
Intereſſe. Dilthey hat es zum erſten Male 
mit aller Schärfe formuliert, daß wir in der 
inneren Erfahrung eine Realität befiten, 
auf die die Selbftändigkeit der Geiftes= 
wiſſenſchaften gegründet werden kann 
(267). Die neuere Pogik hat ſich auch die 
drei Diltheuſchen Geſtchtspunkte zueigen 
gemacht, unter denen die Geiſteswiſſen⸗ 
ſchaften ihre Gegenftände betrachten: 1. den 
hiſtoriſchen, 2. den pſuchologiſch⸗theoreti⸗ 
ſchen, 3. den normativen (271). Mit Recht 
verweiſt der Derfaffer auf die tieffinnige 
Vorrede Grimms zu feiner deutſchen Gram⸗ 
matik, wo die Beobachtung in ihrer Be⸗ 
deutung für die Geifteswilfenfchaften vor⸗ 
trefflich charakteriſtert wird. Nach dem 
Derfaffer gibt es „zunächſt nur einen Weg 
zur Grundlegung der Geiſteswiſſenſchaften, 
und dieſer führt durch die maximale gegen; 


468 


ſtändliche Derfenkung der Wiſſenſchafts⸗ 
lehre in die großen Gedankenſuſteme der 
Seſchichtsſchreibung, der Philologen, der 
Zurisprudenz und der übrigen Wiſſen⸗ 
ſchaften von den Kulturſuſtemen und Orga⸗ 
niſationen der Geſellſchaft.“ Eine große 
Aufgabe, deren Göfung viel Zeit und viele 
Arbeit heiſchen wird. 
D. Alois Mager (Beuron). 


Becher, erich: Geiſteswiſſenſchaften u. 
Uaturwiſſenſchaften. Unterſuchungen 
zur Theorie und Einteilung der Real- 
wiſſenſchaften. kl. 4 (X u. 335) München 
und Leipzig 1921, Dunker & Humblot. 

Wir haben es hier mit dem großzügig⸗ 
ſten Derfud zur erſchöpfenden Einteilung 
der Realwiſſenſchaften zu tun, den wir bis 
heute kennen. Er zeichnet ſich beſonders 
dadurch aus, daß er mit gleicher ſouve⸗ 
räner Stoffbeherrſchung und wiſſenſchaft⸗ 
licher Sicherheit auf das Ganze wie auf 
Teile und Unterteile geht. Uur ein Ge- 
lehrter mit dem ungewöhnlichen pofitiven 
Wilfen, wie wir es an Becher bewundern, 
Konnte dieſe gewaltige beiſtung vollbringen. 
Das Ziel, welches das Buch anſtrebte, hat 
es ganz erreicht: „Die Realwiſſenſchaften 
nach allen Seiten hin eindringender wiſſen⸗ 
ſchaftstheoretiſcher Betrachtung zu unter⸗ 
ziehen“ und fo gleichſam zu einer „ver⸗ 
gleichenden Anatomie“ der Wiſſenſchaften 
zu gelangen. — Ein vorbereitender Teil 
arbeitet aus dem Weſen der Wiſſenſchaft 
vollzählig die Geſichtspunkte heraus, die 
für eine Einteilung der Wiſſenſchaften in 
Frage kommen können. Als Kontrolle 
der. theoretiſchen Erörterungen werden 
immer wieder die geſchichtlich gewordenen 
Wiſſenſchaftsverzweigungen herangezogen. 
Ein anderer Weg zur Einteilung der 
Wiſſenſchaft wäre, aus dem Weſen der 
Teildisziplinen der Wiſſenſchaftslehre die 
Geſichtspunkte der Einteilung herzuleiten. 
Der Hauptteil des Werkes wird in vier 
Abſchnitten abgewandelt: 1. Die Gegen- 
ſtände und die Einteilung der Realwiffen« 
ſchaften. 2. Die Methoden und die Ein⸗ 
teilung der Realwiſſenſchaften. 3. Die Er⸗ 
kenntnisgrundlagen und die Einteilung 
der Realwiſſenſchaften. 4. Metaphyfik und 
Geiftes- und Naturwiſſenſchaften. — Die 
Unterſuchung fegt ſich auf Schritt und Tritt 


mit der Windelband⸗Rickertſchen Wilfen- 

ſchaftseinteilung auseinander. Gründlicher 
und überzeugender kann Richert nicht 
widerlegt werden als es von Becher ge 
ſchieht — Neu, aber zutreffend iſt die 
Unterſcheidung von Natur» und Geiſtes⸗ 
wiſſenſchaften auf Grund der Methode, 
wie die Realwiſſenſchaften ihrer Gegen · 
ſtände ſich bemächtigen: 1. durch Sinnes- 
wahrnehmung (Haturwiſſenſchaften) 2. 
durch Selbſt⸗ und Fremoöͤbeobachtung 
(Geiſteswiſſenſchaften). Das Buch wird 
außerdem zu einer glänzenden Rechtferti⸗ 
gung des gegenſtändlichen Wertes der 
Außenwelt. Wir verweiſen ferner auf die 
intereffanten Ausführungen über den Sub ⸗ 
ſtanzbegriff. Zum Schluß wird ein hoff- 
nungsooller Ausblick auf Metaphyfik er · 
öffnet. Alle Aufmerkſamkeit verdient die 
Definition, die der Derfaffer von Meta 
phuſik gibt: Sie „ift die auf das Be 
ſamtwirkliche eingeſtellte Realwiſſenſchaft 
(323). — Ls will mir ſcheinen, als wäre 
eine geſchichtliche Tatſache von weit. 
tragender Bedeutung für die Einteilung 
der Realwiſſenſchaften nicht recht be⸗ 
achtet worden. Ich meine die Tatfade, 
daß die Art und Weiſe der Gegenftands 
erfaſſung bei Ariftoteles und bei Des 
cartes zwei verſchiedene Welten find. Auf 
Grund der ariſtoteliſchen Rann ich mir 
wohl die Unterſcheidung in Sinneswahr⸗ 
nehmung und Seldft- und Fremoͤbeobach 
tung als methodiſchen Einteilungsgrund 

der Realwiſſenſchaften denken, nicht aber 
vom Descartesſchen Standpunkt aus. licht 
unerwähnt darf die Stellungnahme des 
Derfaffers zum Problem der Willens 
freiheit bleiben. Mit viel Takt ſetzt er 
ſich mit dem Indeterminismus aus- 
einander. Wir können es begreifen, daß 
Becher auf die Gründe hin, die nach ihm 

für den Indeterminismus ſprechen follen, 
vom Determinismus ſich nicht losſagen 
kann. Die Freiheit des Willens befteht 
keineswegs in einem Uichtverurſachtſein 

oder — fagen wir beſſer — Unmotiviert⸗ 

fein. Jede Willenshandlung ſetzt weſens 

mäßig ein Motiv voraus. Inſofern iſt 

der Wille determiniert. Die einzelne 

Willenshandlung aber ift nicht an nut 

ein einziges, beſtimmtes Motiv ge 

bunden. Diele Motive können eine 


einzelne Willenshandlung bedingen. Daß 
eines unter ihnen enögiltig wirkfam 
wird, liegt nicht im Motiv, ſondern in 
der Selbſtbeſtimmung des Willens. Dieſes 
nichtgebundenſein an ein beſtimmtes Mo⸗ 
tiv macht die Freiheit des Willens aus. 
P. Alois Mager (Beuron). 


Regin, Reinold, Der alte Gott und der 
neue Glaube. Ein Buch vom wahren 
Glauben und heldiſchen Leben. kl. 8° 
(127 8.) Nürnberg 1921, Porenz Spindler. 

Der Verfaſſer breitet feine Gedanken 
aus über Wahrheit, Religion, Worte und 
Werte, Kirche und Staat, Gott und Götter, 
menſch und Kirche. Aber es fehlt ihm 
allzuſehr an philoſophiſcher und theolo⸗ 
giſcher Klarheit und Sicherheit, und fo ver⸗ 
fällt er in ermüdendes Spiel mit Worten 
und Gedanken, in Träumereien, in ober⸗ 
flächliche Kritik, in unhaltbares Konſtru⸗ 
ieren. Wo ſchon den Grundbegriffen, wie 
Gott, Wahrheit, jede Klarheit fehlt, ift es 
nicht erſtaunlich, daß zu Offenbarung, Ge= 
heimnis, Übernatur überhaupt kein Der- 
hältnis gefunden wird. Soll ich Proben 
geben? So ſeien es zwei oder drei. Es 
komme dem Verfaſſer in ſeinem Buche an 
„nicht auf das ‚Wort‘, den toten Buch⸗ 
ſtaben, der angeblich im Anfang“, ‚bei 
Gott’ und ‚Gott ſelbſt' war, ſondern auf 
den Geift und zwar auf den Geift der 
der Wahrheit“ (8. 5). „Wie will der Papſt 
unfehlbar fein? Dann müßte er allwiſſend 
ſein!“ (S. 45). Es „war der Sündenfall 
die Geburtsftunde des Menſchen“ (8. 50). 
„Man kann ruhig behaupten, daß es keinen 
Kirchenchriſten gibt, auch den Papſt nicht 
ausgenommen, der alles glaubt, was die 
Kirche lehrt, weil man ſehr viele kirch⸗ 
liche Glaubenslehren einfach nicht glauben 
kann“ (S. 72). Don derlei Mätzlein wim⸗ 
melt das Buch. Die Zeit, die man dar⸗ 
auf verwendet, iſt verloren. 

P. Daniel Feuling (Beuron). 


Heinen, N., Die Bergpredigt Jeſu 
Chrifti. Was fie dem Manne des 20. Ihrh. 
zu ſagen hat. Ein Büchlein zur beſinn⸗ 
lichen Gefung. RI. 80 (217 8.) M. Gladbach 
1921, Dolksvereinsverlag. M. 10.— 
Das Büchlein iſt für Männer beſtimmt, 
für Männer des 20. Jahrhunderts, ins⸗ 


469 


beſondere berückſichtigt es die Männer des 
Arbeiterſtandes. mit jeder dieſer Ein⸗ 
ſchränkungen nennen wir einen neuen 
Vorzug. Auch hier gilt: In der Beſchrän⸗ 
kung zeigt ſich erſt der Meiſter. Die 
Männer, welche der Derfaffer im Auge 
hat, kennt er durch und durch. Er iſt 
gut Freund mit ihnen. Deshalb darf er 
es wagen, fie zum Heiland zu führen. 
„Was würdeſt du denken, Freund, wenn 
eines Tages Chriſtus, der herr, in ganz 
ſtiller, ſchlichter Anſpruchsloſigkeit unter 
uns erſchiene? ... Und er führte uns aus 
der Enge der Fabrik und der Stadt hinaus 
in die freie Natur, ſetzte ſich in unſere 
Mitte, wir aber nähmen Platz um ihn 
herum und er hübe jetzt an, uns eine 
Predigt zu halten.“ Und nun perlen fie 
von feinen Lippen, die goldenen Worte 
von den acht Seligkeiten, vom neuen Ge⸗ 
ſetz, vom neuen Gebet (Vater unſer), die 
ganze Bergpredigt Matth. 5 7. Der Der- 
faſſer bringt ſie ſeinen Männern ſo nahe, 
daß ſeine Worte ſie in der Seele packen 
müſſen. Keiner wird ſagen: Das haben 
wir ſchon oft gehört, das wiſſen wir längſt. 
Nein, fie lauſchen, als hörten fie eine 
neue frohe Botſchaft. 8o muß man Fefu 
Worte hineintragen in die Männerwelt, 
und fie werden zünden. 
P. Laurentius Rupp (Weingarten). 


von Goyola, hl. Jgnatius. Die geiſt⸗ 
lichen Ubungen. Nach dem ſpaniſchen 
Urtext übertragen, eingeleitet und mit An- 
merkungen verſehen von A. Feder 8. J. 120 
(XI u. 178 8.) Regensburg 1922, Manz. 

dur dritten Jahrhundertfeier der heilig⸗ 
ſprechung Ignatius von Poyolas (1622) 
und zum vierten der Abfaſſung des Exer⸗ 
zitienbüchleins (1522) mit großer Treue 
aus dem Spaniſchen übertragen, einer guten 
Einleitung und nützlichen Anmerkungen 
verſehen, iſt einem dieſe Ausgabe der „Exer 
zitien“ reſtloſe Freude. Möchte über ihr 
aller Streit verſtummen, und jeder nur 
bemüht ſein, ſelber zu erproben, ob und 
wieweit Ignatius“ Anleitung auch heute 
noch imſtande iſt, „zum heile der Seele 
fein Geben zu oroͤnen“. 

P. Sturmius Kegel (Beuron). 


„ & 


470 


Aus dem Orden des hl. Benediktu 


Weihe der Abteikirche zu 5. Paolo in Brafilien. 
N: Weihe einer Kirche, als des Symbols der Einheit einer religiöſen 10 1, 


iſt immer ein hochbedeutſames, indeſſen doch nicht alfo ſeltenes Ereignis, 

man über Länder und Meere hin ſtets freudigen Anteil an ihm nehmen Konnte: 
Die Weihe der neuen Abteikirche zu 8. Paolo in Brafilien beſitzt aber durch eine 
eigentümliche Verkettung von Umſtänden mehr als bloß örtliches, fie gewinnt ig 
manchem Allgemeinintereſſe. Es liegen uns über ſie zwei einläßliche Berichte vor 
aus der „Deutſchen Zeitung“, 8. Paolo, den 8. Hug. (vgl. auch „Köln. Volkszig.“ 
Ur. 779 vom 10. Okt.) und der Pariſer „Croig“ vom 24. Sept.; eine Hotiz der 
Doyez de Petropolis (1922, 5. 1136), Bilder und Briefe ergänzen beide 

Inzwifchen iſt auch durch die „Acta Apostolicae Sedis“ (XIV, 14,494 f.) bezw. 
das in ihnen enthaltene Apoſt. Schreiben „Media in urbe“ vom 21. Juli ö. J. aller 
Welt kundgetan, daß „im Zentrum von 8. Paolo in Braſilien eine Abteikirche ſteht 
mit anſtoßender Benediktinerabtei, die ihren Urſprung zurückführt bis etwa in das 
Jahr des Heils 1598, in dem einſtmals die alte Kirche zu Ehren der Himmelfahrt 
Mariens Gott geweiht wurde“. So gut wie vollftändig neu errichtet, übertreffe die 
jetzige Kirche alle anderen der Hauptftadt durch Mächtigkeit des Baues, vornehmen 
Stil und künſtleriſche Ausſtattung, dies beſonders in der Saßkraments kapelle. Die 
Rirche, ein Backſteinbau mit Einlagen aus rotem und bläulichem Granit, iſt mit 
modernem Empfinden in normanniſchem Stile erbaut. Iwei wuchtige Türme fragen 
ſechs wohlgeſtimmte Glocken und eine Turmuhr; ein Riefenzifferblatt ſteht über dem 
hochſtrebenden Emporefenfter in, der Mitte. Über Kirche, Kloſter und Zumnaſium 
als Bauwerk hoffen wir, ſo Gott will, ſpäter einmal ausführlicher und mit 
Bildern berichten zu können. Inzwiſchen ſei nur bemerkt, daß der gange Heubagu 
auf die entſchloſſene Tatkraft von Michael Kruſe zurückgeht, der dem vor zweiund⸗ 
zwanzig Jahren meubefiedelten Kloſter von 8. Bento feit 1907 als Abt vorfteht. 
Am 11. Uovember 1910 wurde der Grundſtein zur Kirche gelegt. Die Pläne ſtammen 
von Prof. R. Bernöl, München; die Malereien leitet P. Adalbert Gresniht 0. 8. B. 
Mönch von Ulareöfous, einft Mitarbeiter von P. Defiderius Denz auf Monte Caffino. 

Am Feſt der Verklärung Chriſti, den 6. Huguft, iſt nun das neue Gotteshaus 
durch den Benediktiner- und Kurienkardinal Aidan Gasquet aus der engliſchen Kon⸗ 
gregation feierlich eingeweiht worden. Zugleich mit der Weihe wurde die neue Kirche, 
auf Bitten des Rirchenfürſten⸗ Purpurträgers wie das Hpoft. Schreiben beſagt, zum 
Range einer „Bafilika minor“ erhoben. Die tatſächlichen Rechte einer Bafılika minor 
find gering. Sie beſtehen in Prozeſſionsſchirm und =glocke (conopaeum und tintin⸗ 
nabulum), wie man fie 3. B. auf Bildern des Euchariſtiſchen Kongreſſes zu Rom 
ſehen konnte, einem „Rechte“, von dem aber felbft in Rom nicht alle Bafıliken Ge- 
brauch machen; außerdem im Anſpruch auf die lange Schleppe (Cappa magna), hier 
für den Abt des Kloſters. Wenn auch praktiſch von geringer Bedeutung, ift die 
Auszeichnung doch eine beſondere Ehrung der Kirche. Sanz außerordentlich aber 
war es, daß ein römiſcher Kardinal die Weihe vornahm: „ein ſenſationelles Ereignis, 
das erſte Mal, daß ein Fürft der Kirche und Mitglied des heiligen Kollegiums in 
Sonderauftrag des Hl. Daters von Rom nach Braſilien, ja überhaupt ins lateiniſche 
Amerika kam“. Die brafilianifhe Bundesregierung wie die Staatsbehörden von 5. 
Paolo wußten dies zu würdigen, und die Stadt hatte alles getan, die Weihe in Doll- 
entfaltung, „com desusado brilhantismo, mit ungewohnten Glanze“ zu ermöglichen. 

Wenn am Samstag Abend die große Weiheprozeſſion, elf Mitraträger in ihrem 
Zuge, vor das Portal der neuen Kirche zog, und wenn dann erſt ein Biſchof, dann 
ein zweiter, ſchließlich der greiſe Kardinal ſelber ſie umſchritt, um ſie zu beſprengen 
„Im Uamen des Vaters und des Sohnes und des HI. Geiftes“ und Einlaß zu begehren 
für Chriſtus, dann fanden ſie die ganze Stirnſeite des großen Gebäudes gegen den 
Gargo 8. Bento, den Platz von 8. Bento und die Rug Florencia de Abreu freigehalten 
und durch Dolizeiaufgebot abgeſperrt, obwohl ein Dutzend Llektriſche den großen 
Platz kreuzt und die Straße eine Hauptverkehrsader iſt und auf den Bahnhof ein⸗ 


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mündet. Mit befonderer päpſtlicher Erlaubnis wurde nämlich die Konfekration der 
Kirche in zwei Übſchnitten vollzogen: die Jeremonie der Entfühnung am Samstag 
Abend, die der Weihung am Sonntag Morgen. Vielleicht eine zarte Rückſichtnahme 
auf die 76 Jahre des Ronfekrators; ſetzt doch das Pontifikale allgemein die Möglich⸗ 
Reit „allzugroßer Ermüdung“ voraus. Beſonders eindrucksvoll geſtaltete ſich die 
Prozeſſton mit den heiligen Reliquien, auf ſchmucker Br getragen von den vier 
nicht mitweihenden Abten in roten Pluvialien. Im Abenddunkel zog die Prozeſſion 
unter Pſalmenſang und Antiphonen durch das Gumnaſtum zum Tor der Kirche, 
während die ganze Front des Kloſters nach dem großen Platze hin in feſtlicher Be⸗ 
leuchtung aufflammte. Auch fo ſchon hatten die Zeremonien am Abend volle vier 
Stunden gedauert, um halb fünf Uhr begonnen und erft halb neun Uhr geendet. 

Am Sonntag früh halb acht Uhr begannen ſie von neuem und währten mit dem 
um zehn Uhr beginnenden Pontifikalamt bis halb zwölf Uhr. Es muß höchſt feierlich 
geweſen ſein, zu ſehen, wie die große Kirche von ſieben Prälaten zugleich in wohl⸗ 
georönetem Zufammenwirken geweiht wurde. Den Hochaltar zu Ehren der Himmel⸗ 
fahrt Mariä Ronſekrierte der Kardinal, den Altar der Unbefleckten Empfängnis und 
den Joſephsaltar je ein Suffragan des Erzbiſchofs von St. Paul, der Erzbiſchof von 
8. Carlos und der Biſchof von Campinas, den Benediktusaltar der Abtprimas des 
Ordens, den Anna⸗, Joh. d. Täufer-, und Gertrudenaltar die Abte von Rio, Sept Fons 
. und Bahia. Nach vollendeter Weihe fand die gemeinſame Felebration an 

en neuen Altären ftatt. „Geſchart um den Hochaltar im Schmucke ihrer Inſignien, 
mit gotiſchen Meßgewändern angetan, den Stab in der hand begleiteten die ſechs 
Prälaten den Kardinal beim heiligen Opfer bis zur Opferung. Dann folgte ein 
großartiges Schauspiel“, ſchreibt Don Amaro 0. 8. B. in der ‚Croiz‘. „Die ſechs Prä- 
laten mit Mitra und Stab, jeder mit feinem Gefolge verlaſſen in Prozeſſion das hohe 
Chor und begeben ſich jeder an den Altar, den er ſoeben konſekriert hat, die heilige 
"Meffe zu feiern, während Se Eminenz der Kardinal am Hochaltar das heilige Opfer 
fortſetzt. Nach dem letzten Evangelium vereinigen ſich wieder alle, von ihren Altären 
kommend, mit dem Kardinal am hochaltare. Und dann zieht die ganze Prozeſſton, 
der Mönchschor voraus, durch Kirche und Klofter ins Kapitel, wo die hochfeierliche 
Jeremonie ihren Abſchluß fand.“ — Am Abend hielt der Abtprimas die Pontifikal⸗ 
veſper; danach beftieg der Erzbiſchof der Stadt die Kanzel, um „in meiſterlicher Kürze“ 
das Wiedererſtehen der Abtei, ihre Wirkſamkeit und die Bedeutung der neuen Bafılika 
für ſeine i zu ſchildern. Ein Tedeum und der feierliche Segen durch den 
Kardinal bildeten denn würdigen Abſchluß des erhebenden Tages. Er war zugleich 
ein Ausdruck der Einheit und Übernationalität der Kirche, indem ein engliſcher Kar⸗ 
dinal, aus Rom geſandt, auf braſtlianiſchem Boden die Kirche einer Abtei weihte, 
die ein Abt weſtfäliſcher Herkunft mit weſentlich deutſchem Aonvente unternimmt, 
ein Münchner Architekt erbaut und ein holländiſch⸗belgiſcher Künſtler ausmalt. 
Möchten ſolcher Symbole viele werden! 


Das wiedererſtehende Buckfaſt. 


och vor der Kirchweihe in 8. Paolo, Brafilien, hat am 2. und 3. Auguſt d. J. 
N in England die Weihe (Benediktion, noch nicht Konſekration) der neuen Abtei⸗ 

kirche zu Buckfaſt am Dart im naturſchönen Devon unweit Askburton, Diö⸗ 
zeſe Plu mouth, ſtattgefunden. Vielleicht nicht ganz fo glänzend, war fie doch minde⸗ 
ſtens ebenſo bedeutend wie die in 8. Paolo. Kardinal Bourne von Weſtminſter ſelber 
hielt von den Stufen des Altares aus die Predigt im Anſchluß an Czechiel 37, 3: 
„Glaubſt du, daß dieſe Gebeine wieder lebendig werden?... Engliſche Zeitungen 
ſprachen von einer „wunderbaren Auferſtehung“, deutſche brachten Ankündigungen 
und Berichte (Augsburger Poſtztg Nr. 72, Köln. Dolksztg Ur. 903, Zifterzienfer- 
Chronik Ur. 404), „Die Welt“, Berlin, in Nr. 24 ein, allerdings nicht ſehr überſicht⸗ 
liches Bild. — Eine Abtei keltiſchen Urſprungs, normanniſcher Tleubefiedelung, eine 
ehemalige Angehörige der bedeutenden Kongregation von Savigny, mit dieſer feit 
1148 zur Reform von Citeauz dekretiert, durch vier Jahrhunderte Fiſterzienſerabtei, 
bis 5 VIII. fie im Jahre 1539 gewaltſam unterdrückte, dann dreieinhalb Jahr⸗ 
hunderte verwaiſt und zerfallen und nun neu erſtanden bezw. neu erſtehend: eine 
ſolche Abtei verkörpert Geſchichte und ift in ſich ſchon aller Beachtung wert. Wenn 


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aber ein raffiger Bau von 67 Meter Gänge und 9½ Meter Breite mit zwei Seiten- 
ſchiffen von je 4 meter Breite und einem Dierungsturm von 61 meter Höhe ohne 
einen Pfennig Urbeitslohn, ganz allein durch fleißiger Brüder Arbeit genau auf den 
alten Fundamenten neu erſteht und zum großen Teil ſchon erſtanden ift, ſo verdient 
das doppelt Beachtung. Größte Freude aber iſt es zu hören, daß auch dieſer Bau, 
1906 begonnen und ſelbſt im Kriege nicht ganz unterbrochen, weil unter zwei deut⸗ 
[hen Abten und in einträchtigem Fuſammenhelfen von Mönchen verſchiedener Natio⸗ 
nen geſchaffen, zugleich ein Denkmal des Friedens iſt. Wir hoffen Näheres berichten 
zu können, wenn einmal die Feſtnummer der von der Abtei herausgegebenen „Cimes” 
vorliegt. „Nec mirum, cui pax inerat, si pacis amator / Discordes poterat conciliare 
sibi, was Wunder, daß der, dem Frieden war und der Freund des Friedens, die Fried- 
loſen an ſich zu ketten vermochte“: mögen es die vierzehn neu geſtifteten Glocken 
unterdeſſen von Buckfaſts Turme aus in alle Lande läuten wie es von St. Dital, 
dem Gründer der Kongregation von Savigny, hugo von Avranches einſt fang. 


Von St. Matthias zu Trier. 


or den Toren von Trier [pielte die ergreifende Erzählung, von der der hl. Augu⸗ 
D ftinus in feinen „Bekenntniſſen“ (8, 6) ſpricht, die ihn außer ſich und dadurch 

zu ſich brachte. Wenn heute der Wanderer abermals hinauszieht vor die Stadt, 
findet er wieder Mönche noch faſt einfiedelnd bei der alten Abteikirche von St. Matthias, 
wenn auch nicht gerade in den Gebäuden der alten Abtei. „Trier, 17. Oktober 1922. 
Die uralte Benediktinerabtei St. matthias zu Trier, die im Jahre 1802 auf- 
gehoben wurde, ift durch päpſtliches Breve vom 18. April 1922 wieder errichtet worden 
und ſoll am kommenden Sonntag, 22. Oktober, mit acht Patres und vier Gaien- 
brüdern feierlich eröffnet werden. Um neun Uhr vormittags erfolgt der Einzug. 
Biſchof Dr. Bornewaſſer wird die Predigt halten, worauf das fo lange unterbrochene 
Chorgebet mit der Terz und dem von Abt-Aöminiftrator Dr. Gaurentius Zeller O. 8. B. 
gefeierten Pontifikalamt wieder beginnt,“ fo lautete die ‚kurze Anzeige in Ur. 803 
der Köln. Volkszeitung. Die Mönche, die hier eingezogen, kamen teils aus Maria⸗ 
Gaad) teils aus der Abtei Seckau in Steiermark. Die ſteieriſche Abtei beſteht, vor⸗ 
läufig unter einem Prior, fort; ihr Abt „verwaltet“ zugleich als als „Aöminiftrator” 
den Abtsſitz zu Trier. Sind die Anfänge einfach, Jo iſt doch die Vorgeſchichte der 
Abtei zu Trier alt und groß. Wohl „ältefter Sitz des Chriſtentums“ alldort und 
Ausgangspunkt der fo ſegensreichen Bursfelder Kongregation, iſt dieſe Stätte wie 
wenige geeignet zur Pflege mönchiſchen Lebens. Möge es ihr in reicher Fülle werden! 


Fünfzig Jahre Maredſous. 


n feiner Nr. 243 vom 17. Oktober brachte „Ders G’Avenir“, Namur, einen Bericht 
J über die Jubelfeier von Mareoͤſous. Die Abtei ſelbſt gab bei Desclee, Brügge, 

eine hundertſeitige, reich ausgeſtattete Feſtſchrift heraus, die „Revue liturgique 
et monastique“, Mareöfous, bot bereits in einem erſten Aufſatz einen Auszug dar⸗ 
aus und verheißt einen weiteren Aufſatz. Kardinal Mercier, der perſönliche Freund 
des Abtes, hielt den Dankgottesdienſt, Biſchof Heulen von Namur die Defper. Ein 
Dutzend Abte und Prälaten und viele Gäfte wohnten der Feier bei; unter ihnen 
noch Madame Henry Desclee, die Frau eines der eölen Gründer. Uach dem Evan» 
gelium wurde feierlich von den Chorſchranken herab das Handfhreiben Seiner 
Heiligkeit does Papſtes verlefen, der, ſelbſt einſt Saſt in Mareöfous, herzlich glück ⸗ 
wünſcht, den Apoſt. Segen und für den Therefientag, den 15. Oktober, den Beſuchern 
der Abteikirche einen vollkommenen Ablaß ſpendet. Die herzlichen Worte für den 
Hl. Dater beim Feſte darf man ſich daher doppelt begeiſtert denken; daß ein im 
Grunde rein religiöfer Gedenktag zugleich beſondere patriotiſche Gefühle auslöfte, 
verfteht man aus der Zeit. Wir denken das ſo erfreuliche Ereignis ſpäter ausführ- 
licher würdigen zu können. St. K. 


Herausgegeben von der Erzabtei Beuron (Hohenzollern), 
für die Schriftleitung verantwortlich: P. Daniel Feuling (Beuron), 
gedruckt und verlegt vom Runftverlag Beuron. 


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Eingelaufene Schriften. 
(Die Einreihung eines Buches in dieſe Lifte bedeutet noch 
keine Empfehlung — Beſprechung erfolgt nach Tunlichkeit. 
Rückſendung findet in keinem Falle ſtatt.) 


Adam, k., Die geheime Rirdenbuße 
nach dem hl. Auguftin. Eine Aus» 


einanderfegung mit B. Poſchmann. 
[Münchener Studien zur hiſt. Theologie 
2. Heft] gr. 8 (VIII u. 90 8.) Kempten 
1921, Köſel & Puſtet. 

van Acken, J., Chriſtozentriſche Rir- 
chenkunſt. Ein Entwurf zum litur⸗ 
giſchen Geſamtkunſtwerk. gr. 8° (100 8.) 
Gladbeck i. W., Theben. M. 70.— 

Aus dem Geiſtlichen Lagebuch des hl. 
Ignatius von Goyola. lach dem ſpani⸗ 

ſchen Urtegt übertragen, eingeleitet und 
mit Anmerkungen verfehen von Alfred 


Feder 8. J. kl. 8° (VIII und 127 8.) 


Regensburg 1922, Röſel & Puſtet. 
Srundpreis M. 1.60; kart M. 2.— 
Cardauns, 5., Karl Trimborn. Nach 


feinen Briefen und Tagebüchern. [Führer 


des Volkes, 31. Bd.] 8 (196 8.) III. Glad. 
bach, Volks vereins verlag. M. 75.— 

Croegaert, N., Nux Sources de la 
piete liturgique. Essai de vulgari⸗ 
sation doctrinale. gr. 8° (54 8.) Bru- 
zelles 1921, P action catholique (Chaus- 
see de haecht) Fr. 1.— 

Das gleiche in italieniſcher Uberſetzung 
8° (88 8.) Torino, Pietro Marietti. 
Dornſeif, F., Das Alphabet in Muſtik 
und Magie. [Studien zur Geſchichte 
des antiken Weltbildes, 7. Heft] gr. 8° 
(VI u. 177 8.) Leipzig 1922, Teubner. 
Mm. 352.—; geb. I. 560.— | 

Hoffmann, ., Vorher und Uachher. 
Die Kommuniongebete der Kirche. 
6.— 10. Tſö. 32 (64 8.) Burg Rothen 
fels am Main 1922, Verlag Deutſches 
Quickbornhaus. 

Imle, F., Chriftusideal und kath. 
Ordensleben. Ein Blick in die Seele 
unſerer religiöfen Orden. 8° (VIII u. 
104 8.) Kempten 1922, Köſel & Puſtet. 

krebs, C., Der Anecdhtsdienft des ka⸗ 
tholiſchen Prieſters. Gedanken über 
das Prieſterideal gegenüber Fr. Mer · 
tens Anklagefchrift. 3. Auflage gr. 8° 
32 8.) Ronſtanz 1921, Münſterbuch⸗, 

andlung. | 

Niederhuber, J., Das Evangelium Jefu 
Chrifii nach Matthäus. Für gebildete 
Chriften überſetzt und kurz erklärt. 8 
(204 8. mit Abbildungen). Regensburg 
1922, Röſel & Buftet. Grundpreis In. 3.—; 
Kart. M. 3.30; geb. II. 3.75. 


Dielen, 9., C. 88. R., Don neuer Jugend 
Sein und Sinn. 2. verb. Auflage. kl. 80 
(40 8.) Rothenfels a. M. 1922. Verlag 
Deutſches Quickbornhaus. M. 40.— 

Rathgeber, RA., Am Sonntag Uach⸗ 
mittag. Lefungen über die Gnaden⸗ 
lehre für ſchlichte beute. 8° (224 8.) 

„Rottenburg a. U. 1922, Bader. III. 90.—; 
geb. M. 125. 

Ritter, e., Das gelbe Feſtſpielbuch. 
£leine Feſtſpiele für Familie u. Schule. 
2. vermehrte Auflage 12 (202 8.) IL. 

5 en 1922, TDolksvereins- Derlag. 
. 72.— 

Scheeben, m. J., Natur und Gnade. 
Eine ſuſtematiſche Darlegung der natür⸗ 
lichen und übernatürlichen Pebensord⸗ 
nung im Menſchen. Heu hrsg. von 
Dr. m. Grabmann. gr. 8° (VIII u. 346 8.) 
Münden 1922, Theatiner- Verlag. Geb. 
M. 400.— 

Schrott⸗Fiechtl., ., Bergblüh. Tiroler 
Seſchichten. mit Geleitwort von Dr. 
Hans Elfter. 8° (VIII u. 176 8.) Frei- 
burg 1922, Herder. Geb. II. 200.— 

Stieglitz, h., ein glaubensſtarker Chrift. 
Ratedyefen für Jugendliche. 2. Auflage. 

Kl. 8° (VIII u. 266 8.) Kempten 1922, 
Röſel & Puſtet. 

— ein willensftarker Chrift. 8° (XIV u. 
208 8) Ebd. 1922. | 

— ein ganzer Chrift. 8° (XIV u. 146 8.) 
Ebd. 1922. 

Thill 
Gedanken für die erſten Werkſtunden 
kl. 8° (405.) Burg Rothenfels a. II., Ver⸗ 
lag Deutſches QAuickbornhaus. M. 32.— 

Waſſerzieher, E., Sprachgeſchichtliche 

laudereien. 8° (VIII und 288 8.) 
erlin 1922, Dümmler. M. 250; geb. 
0 


M. 300.— | 
Weigert, 9., Die Volksbildung auf dem 
Lande. [Schriften des Jentralbildungs⸗ 
ausſchuſſes der Rath. Verbände Deutſch · 
lands 2. Heft] 8° (192 8.) M. Slaöbach 
1922, Dolksvereins-Derlag. M. 96.— 
Weinberg, m., Unſere hauswirtſchaft 
und Volkswirtſchaft in ihren wechfel- 
ſeitigen Beziehungen. [Staatsbürger. 
Bibliothek 104. Heft] 8° (69 8.) M. Glaò⸗ 
bach 1922, Dolksvereins-Derlag. M. 24. 


Für den augenblicklichen Stand der 
Preiſe wird keine Gewähr geleiſtet. 


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A., Vom Schauen und Schaffen. ö 


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